Seelen
Glaube. Kämpfe. Liebe. Das Buch zum Film
Sogenannte Seelen haben sich in den Körpern der Menschen eingenistet. Als die Rebellin Melanie von der Seele Wanda in Besitz genommen wird, setzt sie alles daran, nicht aus ihrem
Körper verdrängt zu werden.
Denn Melanie will Jared...
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Buch (Kartoniert)
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Seelen “
Sogenannte Seelen haben sich in den Körpern der Menschen eingenistet. Als die Rebellin Melanie von der Seele Wanda in Besitz genommen wird, setzt sie alles daran, nicht aus ihrem
Körper verdrängt zu werden.
Denn Melanie will Jared wiederfinden, in den sie unsterblich verliebt ist
Klappentext zu „Seelen “
Planet Erde, irgendwann in der Zukunft.Sogenannte Seelen haben sich in den Körpern der Menschen eingenistet und ihre Kontrolle übernommen. Als die Rebellin Melanie von der Seele Wanda in Besitz genommen wird, setzt sie alles daran, nicht aus ihrem Körper verdrängt zu werden. Denn Melanie hat ein Ziel: Sie will ihren Geliebten Jared wiederfinden. Melanies Gefühle sind so stark, dass Wanda immer mehr in ihren Bann gerät und sich aufmacht einen Mann zu suchen, den sie nicht kennt. Und den sie dennoch zu lieben scheint, mit Körper, Geist und Seele ...
Lese-Probe zu „Seelen “
Seelen von Stephenie Meyer Aus dem Englischen von Katharina Diestelmeier
Ich war im Westen am Meer gewesen, hatte die schöne kalifornische Küste in nördlicher und südlicher Richtung abgefahren, aber nach Osten war ich noch nie gereist. Bald war ich von den kahlen Bergen und Felsen umgeben, die bereits Vorboten der leeren, öden Wüste waren.
Es war ungemein entspannend, die Zivilisation hinter sich zu lassen. Die Einsamkeit hätte mir eigentlich nicht so willkommen sein dürfen. Seelen waren gesellig. Wir lebten gemeinsam, arbeiteten gemeinsam und entwickelten uns in Harmonie miteinander weiter. Wir waren alle gleich, friedlich, freundlich, ehrlich. Warum fühlte ich mich besser, wenn die Meinen nicht in der Nähe waren? War Melanie dafür verantwortlich?
Ich suchte nach ihr, aber sie war weit weg und träumte in meinem Hinterkopf vor sich hin.
So gut war es noch nie gewesen, seit sie wieder angefangen hatte zu sprechen.
Die Kilometer flogen nur so dahin. Die dunklen, schroffen Felsen und die staubigen, mit Gestrüpp bedeckten Ebenen zogen in monotoner Eintönigkeit an mir vorbei. Ich merkte, dass ich schneller fuhr, als ich eigentlich wollte. Es gab hier nichts, worauf sich meine Gedanken konzentrieren konnten. Geistesabwesend überlegte ich, warum die Wüste in Melanies Erinnerungen so viel bunter, so viel verlockender war. Ich ließ meine Gedanken neben ihren hergleiten und versuchte zu erkennen, was so besonders an diesem einsamen Ort war.
... mehr
Aber sie sah nicht das karge, tote Land, das uns umgab. Sie träumte von einer anderen Wüste, zerklüftet und rot, einem magischen Ort. Sie versuchte nicht, mich auszuschließen. Meine Anwesenheit schien ihr noch nicht einmal voll bewusst zu sein. Ich fragte mich erneut, was ihr Rückzug zu bedeuten hatte. Aber ich spürte keinen Gedanken an einen Angriff. Es fühlte sich eher wie die Vorbereitung auf das Ende an.
Sie lebte in ihrer Erinnerung an einem glücklicheren Ort, als wollte sie sich verabschieden. Es war ein Ort, den ich bisher nicht zu sehen bekommen hatte.
Da war eine Hütte, eine improvisierte Behausung, in einen Spalt des roten Sandsteins gezwängt und gefährlich nah an der Kante zum Abgrund. Ein unwirklicher Ort, weit entfernt von jeglichem Weg oder Pfad, an einer scheinbar unsinnigen Stelle. Ein karger Ort ohne irgendwelche Annehmlichkeiten der modernen Technik. Sie erinnerte sich daran, wie sie neben dem Becken, an dem man Wasser aus dem Boden pumpen konnte, gelacht hatte.
»Besser als Rohre«, sagt Jared. Die Falte zwischen seinen Augen vertieft sich, als er seine Brauen zusammenzieht. Mein Gelächter scheint ihn nervös zu machen. Hat er Angst, dass es mir nicht gefällt? »Nichts, dem man folgen könnte, kein Hinweis darauf, dass wir hier sind.« »Ich find's wunderbar«, sage ich schnell. »Es ist wie in einem alten Film. Einfach perfekt.« Das Lächeln, das eigentlich nie aus seinem Gesicht verschwindet - er lächelt sogar im Schlaf -, wird breiter. »Die unangenehmen Seiten kommen in den Filmen allerdings nicht vor. Los, kommt, ich zeig euch die Latrine.« Ich höre, wie Jamies Gelächter durch den engen Canyon hallt, als er vor uns herrennt. Seine schwarzen Haare hüpfen im Takt mit seinem Körper. Er hüpft jetzt andauernd, dieses dünne Kind mit der sonnengebräunten Haut. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie viel Gewicht auf diesen schmalen Schultern gelastet hat. Seit Jared bei uns ist, hat er wieder unglaublich viel Energie. Der ängstliche Ausdruck ist aus seinem Gesicht verschwunden und ein Grinsen ist an seine Stelle getreten. Wir sind beide deutlich zäher, als ich es uns zugetraut hätte. »Wer hat das hier gebaut?« »Mein Vater und meine großen Brüder. Ich habe ihnen ein bisschen geholfen oder sie wohl eher behindert. Mein Vater zog sich gern ab und zu hierher zurück. Und er kümmerte sich nicht groß um Konventionen. Er hat sich nie die Mühe gemacht herauszufinden, wem das Stück Land hier eigentlich gehörte, oder Genehmigungen einzuholen oder solchen überflüssigen Kram.« Jared lacht und legt dabei den Kopf in den Nacken. Die blonden Strähnen in seinem Haar reflektieren das Sonnenlicht. »Offiziell existiert dieser Ort hier gar nicht. Praktisch, was?« Scheinbar ohne darüber nachzudenken, streckt er den Arm aus und nimmt meine Hand. Dort, wo er mich berührt, glüht meine Haut. Es fühlt sich auf eine nie gekannte Art gut an, aber gleichzeitig spüre ich einen eigenartigen Schmerz in der Brust. Immer wieder fasst er mich so an; es scheint, als müsste er sich jedes Mal wieder vergewissern, dass ich wirklich da bin. Merkt er, was das mit mir macht, der einfache Druck seiner warmen Handfläche auf meiner? Pulsiert ihm auch das Blut in den Adern? Oder ist er einfach nur froh, nicht mehr allein zu sein? Er schwingt unsere Arme hin und her, als wir unter einer Gruppe Balsampappeln hindurchgehen, deren Grün sich so lebhaft von dem Rot dahinter abhebt, dass meine Augen ganz durcheinandergeraten und ich alles verschwommen sehe. Er ist glücklich hier, glücklicher als irgendwo anders. Ich bin auch glücklich. Das Gefühl ist mir immer noch fremd. Seit jener ersten Nacht, in der ich geschrien habe, als ich die Narbe in seinem Nacken ertastete, hat er mich nicht mehr geküsst. Will er mich nicht mehr küssen? Sollte ich ihn vielleicht küssen? Und wenn er das nicht mag? Er sieht auf mich herunter und lächelt; die Fältchen um seine Augen breiten sich wie kleine Netze aus. Ich überlege, ob er wirklich so gut aussieht, wie ich glaube, oder ob es mir nur so vorkommt, weil er außer mir und Jamie der einzige Mensch auf der ganzen Welt ist. Nein, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Er ist wirklich schön. »Woran denkst du, Mel?«, fragt er. »Du siehst aus, als würdest du über etwas wirklich Wichtiges nachgrübeln.« Er lacht.
Ich zucke mit den Schultern und mein Bauch kribbelt. »Es ist schön hier.« Er sieht sich um. »Das stimmt. Aber ist es zu Hause nicht immer schön?« »Zu Hause«, wiederhole ich leise. »Zu Hause.« »Es ist auch dein Zuhause, wenn du willst.« »Ich will.« Es kommt mir vor, als hätte mich jede einzelne Meile, die ich in den letzten drei Jahren zurückgelegt habe, an diesen Ort geführt. Ich möchte hier nie wieder weg, auch wenn ich weiß, dass wir das müssen. Essen wächst nicht auf Bäumen. Zumindest nicht in der Wüste. Er drückt meine Hand und mein Herz donnert gegen meine Rippen. Es schmerzt, dieses Glück.
Das Bild verschwamm, als Melanie weitersprang, ihre Gedanken durch den heißen Tag tanzen ließ, bis die Sonne längst hinter den roten Felswänden des Canyons untergegangen war. Ich folgte ihr, fast schon hypnotisiert von der endlosen Straße, die sich vor mir erstreckte, und den verkrüppelten Sträuchern, die mit einschläfernder Gleichförmigkeit vorbeiflogen.
Ich werfe einen Blick in das schmale kleine Schlafzimmer. Die breite Matratze ist auf beiden Seiten nur ein paar Fingerbreit von den rauen Steinwänden entfernt.
Es erfüllt mich mit einem unglaublichen Glücksgefühl, Jamie in einem richtigen Bett schlafen zu sehen, den Kopf auf ein weiches Kissen gebettet. Er hat seine schlaksigen Arme und Beine ausgestreckt, so dass neben ihm nicht mehr viel Platz für mich ist. In Wirklichkeit ist er viel größer als in meiner Vorstellung. Fast elf - bald ist er kein Kind mehr, auch wenn er für mich immer eines bleiben wird. Jamie atmet ruhig im Schlaf. Keine Angst, die seinen Traum stört, im Moment jedenfalls.
Leise schließe ich die Tür und gehe zurück zu dem kleinen Sofa, auf dem Jared wartet.
»Danke«, flüstere ich, obwohl ich bezweifle, dass Jamie aufwacht, selbst wenn ich die Wörter schreien würde. »Ich hab ein schlechtes Gewissen. Dieses Sofa ist doch viel zu kurz für dich. Vielleicht solltest du lieber bei Jamie im Bett schlafen ...«
Jared lacht leise. »Mel, du bist doch nur ein paar Zentimeter kleiner als ich. Schlaf endlich mal bequem. Nächstes Mal, wenn ich auf Tour gehe, klaue ich mir ein Klappbett oder so was.«
Das gefällt mir aus mehreren Gründen nicht. Will er denn bald wieder weg? Wird er uns dann mitnehmen? Hält er diese Zimmeraufteilung für dauerhaft?
Er legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an sich. Ich schmiege mich dicht an ihn, obwohl mir die Wärme seiner Berührung schon wieder einen Stich ins Herz versetzt.
»Was ist?«, fragt er.
»Wann musst du ... wann müssen wir hier wieder weg?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wir haben auf dem Weg hierher genug Essen für ein paar Monate eingesackt. Ich kann ein paar kürzere Touren machen, wenn du eine Weile an einem Ort bleiben möchtest. Ich bin sicher, du hast das Umherziehen satt.«
»Allerdings«, gebe ich ihm Recht. Ich hole tief Luft, um mir Mut zu machen. »Aber wenn du gehst, komme ich mit.«
Er drückt mich noch fester an sich. »Ich gebe zu, dass mir das lieber ist. Der Gedanke, von dir getrennt zu sein ...« Er lacht lautlos. »Klingt es verrückt, wenn ich sage, dass ich lieber sterben würde? Zu melodramatisch? «
»Nein, ich weiß, was du meinst.«
Er muss einfach dasselbe fühlen wie ich. Würde er all diese Dinge sagen, wenn er in mir einfach nur einen anderen Menschen sähe und keine Frau?
Mir wird bewusst, dass wir seit der Nacht, in der wir uns getroffen haben, zum ersten Mal wirklich allein sind - zum ersten Mal gibt es eine Tür zwischen dem schlafenden Jamie und uns beiden. In so vielen Nächten sind wir wach geblieben, haben uns flüsternd unterhalten, uns all die Geschichten erzählt, die glücklichen Geschichten und die schrecklichen, immer mit Jamies Kopf in meinem Schoß. Diese geschlossene Tür genügt, um meinen Atem schneller gehen zu lassen. »Ich glaube, du musst dir kein Feldbett suchen, noch nicht.«
Ich spüre, wie sein Blick fragend auf mir ruht, aber ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Jetzt bin ich verlegen, aber es ist zu spät. Die Wörter sind heraus.
»Keine Sorge, wir bleiben hier, bis das Essen aufgebraucht ist. Ich habe schon auf schlimmeren Dingen als diesem Sofa geschlafen.« »Das habe ich nicht gemeint«, sage ich, den Blick immer noch gesenkt.
»Du schläfst im Bett, Mel. Davon kannst du mich nicht abbringen.«
»Das habe ich auch nicht gemeint.« Meine Stimme ist kaum ein Flüstern. »Was ich meine, ist, dass das Sofa lang genug für Jamie ist. Es wird noch lange dauern, bis er zu groß dafür ist. Ich könnte mir das Bett mit ... dir teilen.«
Er schweigt. Ich möchte den Blick heben, um den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen zu können, aber ich traue mich nicht. Was, wenn ich ihn jetzt abgeschreckt habe? Wie werde ich damit fertig? Wird er mich wegschicken?
Seine warmen, schwieligen Finger heben mein Kinn an. Mein Herz macht einen Satz, als unsere Blicke sich treffen.
»Mel, ich ...« Ausnahmsweise lächelt er nicht.
Ich versuche wegzuschauen, aber er hält mein Kinn so, dass ich seinem Blick nicht ausweichen kann. Spürt er das Feuer zwischen unseren Körpern nicht? Oder geht das nur mir so? Es fühlt sich an wie eine flache Sonne zwischen uns - zusammengepresst wie eine Blume zwischen den Seiten eines dicken Buches, dessen Papier sie verbrennt. Fühlt es sich für ihn anders an? Unangenehm?
Nach einer Weile dreht er den Kopf zur Seite, jetzt ist er es, der wegschaut, wobei er jedoch immer noch mein Kinn festhält. Seine Stimme ist ruhig. »Du schuldest mir nichts, Melanie. Du schuldest mir überhaupt nichts.«
Ich schlucke schwer. »Ich ... ich meine damit nicht, dass ich mich verpflichtet fühle. Und ... du solltest das auch nicht. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.«
»Das ist eher unwahrscheinlich, Mel.«
Er seufzt und ich würde am liebsten verschwinden. Aufgeben - meinen Verstand an die Invasoren verlieren, wenn ich damit dieses riesige Fettnäpfchen auslöschen könnte. Die Zukunft gegen die letzten zwei Minuten der Vergangenheit eintauschen. Was auch immer.
Jared atmet tief durch. Mit zusammengekniffenen Augen und angespanntem Kiefer sieht er zu Boden. »Mel, es muss nicht so laufen zwischen uns. Nur weil wir zusammen sind, nur weil wir der letzte Mann und die letzte Frau auf Erden sind ...« Er sucht nach Worten, zum ersten Mal seit ich ihn kenne. »Das heißt nicht, dass du irgendwas tun musst, was du nicht willst. Ich bin nicht einer dieser Männer, die erwarten würden ... Du musst nicht ...«
Er sieht so aufgewühlt aus, wie er immer noch mit gerunzelter Stirn nach unten starrt, dass ich einfach etwas sagen muss, obwohl ich weiß, dass es ein Fehler ist. »Das habe ich nicht gemeint«, murmele ich. »Ich rede nicht von ›müssen‹ und ich halte dich nicht für ›einen dieser Männer‹. Nein. Wie könnte ich. Es ist nur, dass ...«
Nur, dass ich ihn liebe. Ich beiße die Zähne zusammen, bevor ich mich noch weiter erniedrigen kann. Ich sollte mir jetzt sofort die Zunge abbeißen, bevor sie noch mehr kaputt macht.
»Nur, dass ...?«, fragt er.
Ich versuche den Kopf zu schütteln, aber er hält immer noch mein Kinn fest.
»Mel?«
Ich reiße mich los und schüttele energisch den Kopf.
Er beugt sich näher zu mir und hat plötzlich einen ganz anderen Gesichtsausdruck. Ich sehe einen neuen Konflikt in seiner Miene und obwohl ich ihn nicht ganz verstehe, löscht er das Gefühl des Zurückgewiesenseins aus, das mir die Tränen in die Augen treibt.
»Würdest du bitte mit mir reden? Mir sagen, was du denkst? Bitte«, murmelt er. Ich kann seinen Atem auf meiner Wange spüren und es dauert ein paar Sekunden, bis ich überhaupt wieder denken kann.
Seine Augen lassen mich vergessen, dass ich mich schäme, dass ich nie wieder etwas sagen wollte.
»Wenn ich jemanden - irgendjemanden - auswählen müsste, mit dem ich auf einem verlassenen Planeten ausgesetzt werden sollte, würde ich mich für dich entscheiden«, flüstere ich. Die Sonne zwischen uns brennt jetzt noch heißer. »Ich will für immer mit dir zusammen sein. Und nicht nur ... nicht nur zum Reden. Wenn du mich berührst ...« Ich wage es, ganz leicht mit meinen Fingern über die warme Haut seines Arms zu streichen, und es fühlt sich an, als würden die Flammen jetzt aus meinen Fingerspitzen schießen. Sein Arm umschließt mich fester. Kann er das Feuer spüren? »Ich möchte, dass du nie wieder damit aufhörst.« Ich möchte noch deutlicher werden, aber ich finde nicht die richtigen Worte. Ich habe sowieso schon zu viel gesagt. »Wenn du nicht so fühlst, verstehe ich das. Vielleicht geht es dir nicht so wie mir. Dann ist das auch in Ordnung.« Lügen.
»Oh, Mel«, flüstert er mir seufzend ins Ohr und zieht mein Gesicht zu sich heran. Seine Lippen stehen ebenfalls in Flammen, die noch höher züngeln als vorhin und alles verbrennen. Ich weiß nicht, was ich tue, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich spüre seine Hände in meinen Haaren und mein Herz ist kurz davor zu zerspringen. Ich kann nicht atmen. Ich will nicht atmen.
Aber dann wandern seine Lippen zurück zu meinem Ohr und als ich meine Lippen wieder auf seine zu drücken versuche, hält er mein Gesicht fest.
»Es war ein Wunder - mehr als ein Wunder -, dass ich dich gefunden habe, Melanie. Wenn man mir genau jetzt die Wahl lassen würde, ob ich die Welt zurückgewinnen oder dich behalten will ... ich könnte dich nicht aufgeben. Nicht mal, um fünf Milliarden Leben zu retten.«
»Das wäre nicht richtig.«
»Absolut nicht richtig, aber die reine Wahrheit.«
»Jared«, stoße ich hervor und suche erneut nach seinen Lippen. Er weicht zurück und sieht aus, als wollte er etwas sagen. Was gibt es jetzt noch zu sagen?
»Aber ...«
»Aber?« Was hat ein Aber hier zu suchen? Was könnte nach all diesem Feuer noch kommen, das mit einem Aber beginnt?
»Du bist erst siebzehn, Melanie. Und ich sechsundzwanzig.«
»Was spielt das für eine Rolle?«
Er antwortet nicht. Seine Hände streicheln langsam meine Arme und überziehen sie mit Feuer.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein.« Ich befreie mich aus seinem Griff, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Das Ende der Welt ist da und du scherst dich noch um Konventionen?«
Er schluckt schwer, bevor er weiterspricht. »Die meisten Konventionen haben einen bestimmten Grund, Mel. Ich käme mir schlecht vor, als würde ich die Situation ausnutzen. Du bist einfach noch sehr jung.«
»Niemand ist mehr jung. Jeder, der bis jetzt überlebt hat, ist uralt.«
Ein Lächeln zieht einen seiner Mundwinkel nach oben. »Vielleicht hast du Recht. Aber es gibt keinen Grund zur Eile.«
»Worauf sollen wir denn warten?«, will ich von ihm wissen.
Er zögert eine ganze Weile, überlegt.
»Na ja, zum einen müssen wir über ein paar ganz ... praktische Dinge nachdenken.«
Ich frage mich, ob er nur versucht, auszuweichen. Zeit zu gewinnen. Ich hebe eine Augenbraue und merke, wie ich langsam ungeduldig werde. Ich kann nicht glauben, dass unser Gespräch eine solche Wendung genommen hat. Wenn es wirklich stimmt, dass er mich auch liebt, ergibt das alles hier überhaupt keinen Sinn.
»Schau mal«, erklärt er zögernd. Es sieht fast so aus, als würde er rot unter dem goldenen Braun seiner Haut. »Als ich die Hütte hier mit Vorräten ausgestattet habe, habe ich nicht gerade mit ... Gästen gerechnet. Was ich sagen will, ist ...« Der Rest des Satzes sprudelt geradezu aus ihm hervor. »Verhütung war nun wirklich das Letzte, woran ich gedacht habe.«
Ich verstehe. »Oh.«
Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht und einen kurzen Augenblick lang sehe ich zum ersten Mal Zorn darin aufblitzen. Das lässt ihn auf eine Art gefährlich aussehen, die ich von ihm nicht erwartet hätte. »Und in diese Welt hier möchte ich ganz bestimmt kein Kind setzen.«
Die Worte sickern in mich ein und ich schaudere bei dem Gedanken an einen winzigen, unschuldigen Säugling, der seine Augen an diesem Ort öffnen muss. Es ist schlimm genug, Jamies Augen zu sehen, zu wissen, was das Leben ihm bringen wird, sogar unter den besten Umständen.
Jared ist plötzlich wieder Jared. Die Lachfältchen um seine Augen kehren zurück. »Außerdem haben wir noch unendlich viel Zeit, um ... um darüber nachzudenken.« Ich habe den Verdacht, dass er schon wieder versucht, mich hinzuhalten. »Ist dir klar, wie wenig Zeit wir bisher zusammen verbracht haben? Es ist erst vier Wochen her, dass wir uns getroffen haben.«
Das haut mich um. »Unmöglich.«
»Neunundzwanzig Tage. Ich habe mitgezählt.«
Ich denke zurück. Es kann nicht sein, dass es erst neunundzwanzig Tage her ist, seit Jared unser Leben verändert hat. Es kommt mir so vor, als wären Jamie und ich schon genauso lange mit Jared zusammen, wie wir vorher alleine gewesen sind. Zwei oder drei Jahre vielleicht.
»Wir haben viel Zeit«, sagt Jared wieder.
Ein plötzlicher Anflug von Panik, wie eine ungute Vorahnung, macht es mir einen Moment lang unmöglich, etwas zu sagen. Er beobachtet die abrupte Veränderung in meinem Gesicht besorgt.
»Das weißt du doch gar nicht.« Die Verzweiflung, die seit der Begegnung mit ihm etwas nachgelassen hat, trifft mich wie ein Peitschenhieb. »Du kannst nicht wissen, wie viel Zeit uns noch bleibt. Du weißt nicht, ob wir sie am besten in Monaten, Tagen oder Stunden zählen sollten.«
Er lacht ein warmes Lachen und drückt seine Lippen auf die Falte, in der meine Augenbrauen zusammenstoßen. »Mach dir keine Sorgen, Mel. So ist das nicht mit Wundern. Ich werde dich nie verlieren. Ich werde dich nie fortlassen.«
Sie holte mich zurück in die Gegenwart - zum dünnen Band des Highways, der sich in der erbarmungslosen Mittagssonne durch die Ödnis Arizonas wand -, ohne dass ich darum gebeten hatte. Ich starrte in die Leere vor mir und spürte die Leere in meinem Innern.
In meinem Kopf war ihr schwaches Seufzen zu vernehmen:
Du weißt nie, wie viel Zeit dir noch bleibt.
Die Tränen, die ich vergoss, waren von uns beiden.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben: 2008, 2011 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg
Aber sie sah nicht das karge, tote Land, das uns umgab. Sie träumte von einer anderen Wüste, zerklüftet und rot, einem magischen Ort. Sie versuchte nicht, mich auszuschließen. Meine Anwesenheit schien ihr noch nicht einmal voll bewusst zu sein. Ich fragte mich erneut, was ihr Rückzug zu bedeuten hatte. Aber ich spürte keinen Gedanken an einen Angriff. Es fühlte sich eher wie die Vorbereitung auf das Ende an.
Sie lebte in ihrer Erinnerung an einem glücklicheren Ort, als wollte sie sich verabschieden. Es war ein Ort, den ich bisher nicht zu sehen bekommen hatte.
Da war eine Hütte, eine improvisierte Behausung, in einen Spalt des roten Sandsteins gezwängt und gefährlich nah an der Kante zum Abgrund. Ein unwirklicher Ort, weit entfernt von jeglichem Weg oder Pfad, an einer scheinbar unsinnigen Stelle. Ein karger Ort ohne irgendwelche Annehmlichkeiten der modernen Technik. Sie erinnerte sich daran, wie sie neben dem Becken, an dem man Wasser aus dem Boden pumpen konnte, gelacht hatte.
»Besser als Rohre«, sagt Jared. Die Falte zwischen seinen Augen vertieft sich, als er seine Brauen zusammenzieht. Mein Gelächter scheint ihn nervös zu machen. Hat er Angst, dass es mir nicht gefällt? »Nichts, dem man folgen könnte, kein Hinweis darauf, dass wir hier sind.« »Ich find's wunderbar«, sage ich schnell. »Es ist wie in einem alten Film. Einfach perfekt.« Das Lächeln, das eigentlich nie aus seinem Gesicht verschwindet - er lächelt sogar im Schlaf -, wird breiter. »Die unangenehmen Seiten kommen in den Filmen allerdings nicht vor. Los, kommt, ich zeig euch die Latrine.« Ich höre, wie Jamies Gelächter durch den engen Canyon hallt, als er vor uns herrennt. Seine schwarzen Haare hüpfen im Takt mit seinem Körper. Er hüpft jetzt andauernd, dieses dünne Kind mit der sonnengebräunten Haut. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie viel Gewicht auf diesen schmalen Schultern gelastet hat. Seit Jared bei uns ist, hat er wieder unglaublich viel Energie. Der ängstliche Ausdruck ist aus seinem Gesicht verschwunden und ein Grinsen ist an seine Stelle getreten. Wir sind beide deutlich zäher, als ich es uns zugetraut hätte. »Wer hat das hier gebaut?« »Mein Vater und meine großen Brüder. Ich habe ihnen ein bisschen geholfen oder sie wohl eher behindert. Mein Vater zog sich gern ab und zu hierher zurück. Und er kümmerte sich nicht groß um Konventionen. Er hat sich nie die Mühe gemacht herauszufinden, wem das Stück Land hier eigentlich gehörte, oder Genehmigungen einzuholen oder solchen überflüssigen Kram.« Jared lacht und legt dabei den Kopf in den Nacken. Die blonden Strähnen in seinem Haar reflektieren das Sonnenlicht. »Offiziell existiert dieser Ort hier gar nicht. Praktisch, was?« Scheinbar ohne darüber nachzudenken, streckt er den Arm aus und nimmt meine Hand. Dort, wo er mich berührt, glüht meine Haut. Es fühlt sich auf eine nie gekannte Art gut an, aber gleichzeitig spüre ich einen eigenartigen Schmerz in der Brust. Immer wieder fasst er mich so an; es scheint, als müsste er sich jedes Mal wieder vergewissern, dass ich wirklich da bin. Merkt er, was das mit mir macht, der einfache Druck seiner warmen Handfläche auf meiner? Pulsiert ihm auch das Blut in den Adern? Oder ist er einfach nur froh, nicht mehr allein zu sein? Er schwingt unsere Arme hin und her, als wir unter einer Gruppe Balsampappeln hindurchgehen, deren Grün sich so lebhaft von dem Rot dahinter abhebt, dass meine Augen ganz durcheinandergeraten und ich alles verschwommen sehe. Er ist glücklich hier, glücklicher als irgendwo anders. Ich bin auch glücklich. Das Gefühl ist mir immer noch fremd. Seit jener ersten Nacht, in der ich geschrien habe, als ich die Narbe in seinem Nacken ertastete, hat er mich nicht mehr geküsst. Will er mich nicht mehr küssen? Sollte ich ihn vielleicht küssen? Und wenn er das nicht mag? Er sieht auf mich herunter und lächelt; die Fältchen um seine Augen breiten sich wie kleine Netze aus. Ich überlege, ob er wirklich so gut aussieht, wie ich glaube, oder ob es mir nur so vorkommt, weil er außer mir und Jamie der einzige Mensch auf der ganzen Welt ist. Nein, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Er ist wirklich schön. »Woran denkst du, Mel?«, fragt er. »Du siehst aus, als würdest du über etwas wirklich Wichtiges nachgrübeln.« Er lacht.
Ich zucke mit den Schultern und mein Bauch kribbelt. »Es ist schön hier.« Er sieht sich um. »Das stimmt. Aber ist es zu Hause nicht immer schön?« »Zu Hause«, wiederhole ich leise. »Zu Hause.« »Es ist auch dein Zuhause, wenn du willst.« »Ich will.« Es kommt mir vor, als hätte mich jede einzelne Meile, die ich in den letzten drei Jahren zurückgelegt habe, an diesen Ort geführt. Ich möchte hier nie wieder weg, auch wenn ich weiß, dass wir das müssen. Essen wächst nicht auf Bäumen. Zumindest nicht in der Wüste. Er drückt meine Hand und mein Herz donnert gegen meine Rippen. Es schmerzt, dieses Glück.
Das Bild verschwamm, als Melanie weitersprang, ihre Gedanken durch den heißen Tag tanzen ließ, bis die Sonne längst hinter den roten Felswänden des Canyons untergegangen war. Ich folgte ihr, fast schon hypnotisiert von der endlosen Straße, die sich vor mir erstreckte, und den verkrüppelten Sträuchern, die mit einschläfernder Gleichförmigkeit vorbeiflogen.
Ich werfe einen Blick in das schmale kleine Schlafzimmer. Die breite Matratze ist auf beiden Seiten nur ein paar Fingerbreit von den rauen Steinwänden entfernt.
Es erfüllt mich mit einem unglaublichen Glücksgefühl, Jamie in einem richtigen Bett schlafen zu sehen, den Kopf auf ein weiches Kissen gebettet. Er hat seine schlaksigen Arme und Beine ausgestreckt, so dass neben ihm nicht mehr viel Platz für mich ist. In Wirklichkeit ist er viel größer als in meiner Vorstellung. Fast elf - bald ist er kein Kind mehr, auch wenn er für mich immer eines bleiben wird. Jamie atmet ruhig im Schlaf. Keine Angst, die seinen Traum stört, im Moment jedenfalls.
Leise schließe ich die Tür und gehe zurück zu dem kleinen Sofa, auf dem Jared wartet.
»Danke«, flüstere ich, obwohl ich bezweifle, dass Jamie aufwacht, selbst wenn ich die Wörter schreien würde. »Ich hab ein schlechtes Gewissen. Dieses Sofa ist doch viel zu kurz für dich. Vielleicht solltest du lieber bei Jamie im Bett schlafen ...«
Jared lacht leise. »Mel, du bist doch nur ein paar Zentimeter kleiner als ich. Schlaf endlich mal bequem. Nächstes Mal, wenn ich auf Tour gehe, klaue ich mir ein Klappbett oder so was.«
Das gefällt mir aus mehreren Gründen nicht. Will er denn bald wieder weg? Wird er uns dann mitnehmen? Hält er diese Zimmeraufteilung für dauerhaft?
Er legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an sich. Ich schmiege mich dicht an ihn, obwohl mir die Wärme seiner Berührung schon wieder einen Stich ins Herz versetzt.
»Was ist?«, fragt er.
»Wann musst du ... wann müssen wir hier wieder weg?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wir haben auf dem Weg hierher genug Essen für ein paar Monate eingesackt. Ich kann ein paar kürzere Touren machen, wenn du eine Weile an einem Ort bleiben möchtest. Ich bin sicher, du hast das Umherziehen satt.«
»Allerdings«, gebe ich ihm Recht. Ich hole tief Luft, um mir Mut zu machen. »Aber wenn du gehst, komme ich mit.«
Er drückt mich noch fester an sich. »Ich gebe zu, dass mir das lieber ist. Der Gedanke, von dir getrennt zu sein ...« Er lacht lautlos. »Klingt es verrückt, wenn ich sage, dass ich lieber sterben würde? Zu melodramatisch? «
»Nein, ich weiß, was du meinst.«
Er muss einfach dasselbe fühlen wie ich. Würde er all diese Dinge sagen, wenn er in mir einfach nur einen anderen Menschen sähe und keine Frau?
Mir wird bewusst, dass wir seit der Nacht, in der wir uns getroffen haben, zum ersten Mal wirklich allein sind - zum ersten Mal gibt es eine Tür zwischen dem schlafenden Jamie und uns beiden. In so vielen Nächten sind wir wach geblieben, haben uns flüsternd unterhalten, uns all die Geschichten erzählt, die glücklichen Geschichten und die schrecklichen, immer mit Jamies Kopf in meinem Schoß. Diese geschlossene Tür genügt, um meinen Atem schneller gehen zu lassen. »Ich glaube, du musst dir kein Feldbett suchen, noch nicht.«
Ich spüre, wie sein Blick fragend auf mir ruht, aber ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Jetzt bin ich verlegen, aber es ist zu spät. Die Wörter sind heraus.
»Keine Sorge, wir bleiben hier, bis das Essen aufgebraucht ist. Ich habe schon auf schlimmeren Dingen als diesem Sofa geschlafen.« »Das habe ich nicht gemeint«, sage ich, den Blick immer noch gesenkt.
»Du schläfst im Bett, Mel. Davon kannst du mich nicht abbringen.«
»Das habe ich auch nicht gemeint.« Meine Stimme ist kaum ein Flüstern. »Was ich meine, ist, dass das Sofa lang genug für Jamie ist. Es wird noch lange dauern, bis er zu groß dafür ist. Ich könnte mir das Bett mit ... dir teilen.«
Er schweigt. Ich möchte den Blick heben, um den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen zu können, aber ich traue mich nicht. Was, wenn ich ihn jetzt abgeschreckt habe? Wie werde ich damit fertig? Wird er mich wegschicken?
Seine warmen, schwieligen Finger heben mein Kinn an. Mein Herz macht einen Satz, als unsere Blicke sich treffen.
»Mel, ich ...« Ausnahmsweise lächelt er nicht.
Ich versuche wegzuschauen, aber er hält mein Kinn so, dass ich seinem Blick nicht ausweichen kann. Spürt er das Feuer zwischen unseren Körpern nicht? Oder geht das nur mir so? Es fühlt sich an wie eine flache Sonne zwischen uns - zusammengepresst wie eine Blume zwischen den Seiten eines dicken Buches, dessen Papier sie verbrennt. Fühlt es sich für ihn anders an? Unangenehm?
Nach einer Weile dreht er den Kopf zur Seite, jetzt ist er es, der wegschaut, wobei er jedoch immer noch mein Kinn festhält. Seine Stimme ist ruhig. »Du schuldest mir nichts, Melanie. Du schuldest mir überhaupt nichts.«
Ich schlucke schwer. »Ich ... ich meine damit nicht, dass ich mich verpflichtet fühle. Und ... du solltest das auch nicht. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.«
»Das ist eher unwahrscheinlich, Mel.«
Er seufzt und ich würde am liebsten verschwinden. Aufgeben - meinen Verstand an die Invasoren verlieren, wenn ich damit dieses riesige Fettnäpfchen auslöschen könnte. Die Zukunft gegen die letzten zwei Minuten der Vergangenheit eintauschen. Was auch immer.
Jared atmet tief durch. Mit zusammengekniffenen Augen und angespanntem Kiefer sieht er zu Boden. »Mel, es muss nicht so laufen zwischen uns. Nur weil wir zusammen sind, nur weil wir der letzte Mann und die letzte Frau auf Erden sind ...« Er sucht nach Worten, zum ersten Mal seit ich ihn kenne. »Das heißt nicht, dass du irgendwas tun musst, was du nicht willst. Ich bin nicht einer dieser Männer, die erwarten würden ... Du musst nicht ...«
Er sieht so aufgewühlt aus, wie er immer noch mit gerunzelter Stirn nach unten starrt, dass ich einfach etwas sagen muss, obwohl ich weiß, dass es ein Fehler ist. »Das habe ich nicht gemeint«, murmele ich. »Ich rede nicht von ›müssen‹ und ich halte dich nicht für ›einen dieser Männer‹. Nein. Wie könnte ich. Es ist nur, dass ...«
Nur, dass ich ihn liebe. Ich beiße die Zähne zusammen, bevor ich mich noch weiter erniedrigen kann. Ich sollte mir jetzt sofort die Zunge abbeißen, bevor sie noch mehr kaputt macht.
»Nur, dass ...?«, fragt er.
Ich versuche den Kopf zu schütteln, aber er hält immer noch mein Kinn fest.
»Mel?«
Ich reiße mich los und schüttele energisch den Kopf.
Er beugt sich näher zu mir und hat plötzlich einen ganz anderen Gesichtsausdruck. Ich sehe einen neuen Konflikt in seiner Miene und obwohl ich ihn nicht ganz verstehe, löscht er das Gefühl des Zurückgewiesenseins aus, das mir die Tränen in die Augen treibt.
»Würdest du bitte mit mir reden? Mir sagen, was du denkst? Bitte«, murmelt er. Ich kann seinen Atem auf meiner Wange spüren und es dauert ein paar Sekunden, bis ich überhaupt wieder denken kann.
Seine Augen lassen mich vergessen, dass ich mich schäme, dass ich nie wieder etwas sagen wollte.
»Wenn ich jemanden - irgendjemanden - auswählen müsste, mit dem ich auf einem verlassenen Planeten ausgesetzt werden sollte, würde ich mich für dich entscheiden«, flüstere ich. Die Sonne zwischen uns brennt jetzt noch heißer. »Ich will für immer mit dir zusammen sein. Und nicht nur ... nicht nur zum Reden. Wenn du mich berührst ...« Ich wage es, ganz leicht mit meinen Fingern über die warme Haut seines Arms zu streichen, und es fühlt sich an, als würden die Flammen jetzt aus meinen Fingerspitzen schießen. Sein Arm umschließt mich fester. Kann er das Feuer spüren? »Ich möchte, dass du nie wieder damit aufhörst.« Ich möchte noch deutlicher werden, aber ich finde nicht die richtigen Worte. Ich habe sowieso schon zu viel gesagt. »Wenn du nicht so fühlst, verstehe ich das. Vielleicht geht es dir nicht so wie mir. Dann ist das auch in Ordnung.« Lügen.
»Oh, Mel«, flüstert er mir seufzend ins Ohr und zieht mein Gesicht zu sich heran. Seine Lippen stehen ebenfalls in Flammen, die noch höher züngeln als vorhin und alles verbrennen. Ich weiß nicht, was ich tue, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich spüre seine Hände in meinen Haaren und mein Herz ist kurz davor zu zerspringen. Ich kann nicht atmen. Ich will nicht atmen.
Aber dann wandern seine Lippen zurück zu meinem Ohr und als ich meine Lippen wieder auf seine zu drücken versuche, hält er mein Gesicht fest.
»Es war ein Wunder - mehr als ein Wunder -, dass ich dich gefunden habe, Melanie. Wenn man mir genau jetzt die Wahl lassen würde, ob ich die Welt zurückgewinnen oder dich behalten will ... ich könnte dich nicht aufgeben. Nicht mal, um fünf Milliarden Leben zu retten.«
»Das wäre nicht richtig.«
»Absolut nicht richtig, aber die reine Wahrheit.«
»Jared«, stoße ich hervor und suche erneut nach seinen Lippen. Er weicht zurück und sieht aus, als wollte er etwas sagen. Was gibt es jetzt noch zu sagen?
»Aber ...«
»Aber?« Was hat ein Aber hier zu suchen? Was könnte nach all diesem Feuer noch kommen, das mit einem Aber beginnt?
»Du bist erst siebzehn, Melanie. Und ich sechsundzwanzig.«
»Was spielt das für eine Rolle?«
Er antwortet nicht. Seine Hände streicheln langsam meine Arme und überziehen sie mit Feuer.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein.« Ich befreie mich aus seinem Griff, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Das Ende der Welt ist da und du scherst dich noch um Konventionen?«
Er schluckt schwer, bevor er weiterspricht. »Die meisten Konventionen haben einen bestimmten Grund, Mel. Ich käme mir schlecht vor, als würde ich die Situation ausnutzen. Du bist einfach noch sehr jung.«
»Niemand ist mehr jung. Jeder, der bis jetzt überlebt hat, ist uralt.«
Ein Lächeln zieht einen seiner Mundwinkel nach oben. »Vielleicht hast du Recht. Aber es gibt keinen Grund zur Eile.«
»Worauf sollen wir denn warten?«, will ich von ihm wissen.
Er zögert eine ganze Weile, überlegt.
»Na ja, zum einen müssen wir über ein paar ganz ... praktische Dinge nachdenken.«
Ich frage mich, ob er nur versucht, auszuweichen. Zeit zu gewinnen. Ich hebe eine Augenbraue und merke, wie ich langsam ungeduldig werde. Ich kann nicht glauben, dass unser Gespräch eine solche Wendung genommen hat. Wenn es wirklich stimmt, dass er mich auch liebt, ergibt das alles hier überhaupt keinen Sinn.
»Schau mal«, erklärt er zögernd. Es sieht fast so aus, als würde er rot unter dem goldenen Braun seiner Haut. »Als ich die Hütte hier mit Vorräten ausgestattet habe, habe ich nicht gerade mit ... Gästen gerechnet. Was ich sagen will, ist ...« Der Rest des Satzes sprudelt geradezu aus ihm hervor. »Verhütung war nun wirklich das Letzte, woran ich gedacht habe.«
Ich verstehe. »Oh.«
Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht und einen kurzen Augenblick lang sehe ich zum ersten Mal Zorn darin aufblitzen. Das lässt ihn auf eine Art gefährlich aussehen, die ich von ihm nicht erwartet hätte. »Und in diese Welt hier möchte ich ganz bestimmt kein Kind setzen.«
Die Worte sickern in mich ein und ich schaudere bei dem Gedanken an einen winzigen, unschuldigen Säugling, der seine Augen an diesem Ort öffnen muss. Es ist schlimm genug, Jamies Augen zu sehen, zu wissen, was das Leben ihm bringen wird, sogar unter den besten Umständen.
Jared ist plötzlich wieder Jared. Die Lachfältchen um seine Augen kehren zurück. »Außerdem haben wir noch unendlich viel Zeit, um ... um darüber nachzudenken.« Ich habe den Verdacht, dass er schon wieder versucht, mich hinzuhalten. »Ist dir klar, wie wenig Zeit wir bisher zusammen verbracht haben? Es ist erst vier Wochen her, dass wir uns getroffen haben.«
Das haut mich um. »Unmöglich.«
»Neunundzwanzig Tage. Ich habe mitgezählt.«
Ich denke zurück. Es kann nicht sein, dass es erst neunundzwanzig Tage her ist, seit Jared unser Leben verändert hat. Es kommt mir so vor, als wären Jamie und ich schon genauso lange mit Jared zusammen, wie wir vorher alleine gewesen sind. Zwei oder drei Jahre vielleicht.
»Wir haben viel Zeit«, sagt Jared wieder.
Ein plötzlicher Anflug von Panik, wie eine ungute Vorahnung, macht es mir einen Moment lang unmöglich, etwas zu sagen. Er beobachtet die abrupte Veränderung in meinem Gesicht besorgt.
»Das weißt du doch gar nicht.« Die Verzweiflung, die seit der Begegnung mit ihm etwas nachgelassen hat, trifft mich wie ein Peitschenhieb. »Du kannst nicht wissen, wie viel Zeit uns noch bleibt. Du weißt nicht, ob wir sie am besten in Monaten, Tagen oder Stunden zählen sollten.«
Er lacht ein warmes Lachen und drückt seine Lippen auf die Falte, in der meine Augenbrauen zusammenstoßen. »Mach dir keine Sorgen, Mel. So ist das nicht mit Wundern. Ich werde dich nie verlieren. Ich werde dich nie fortlassen.«
Sie holte mich zurück in die Gegenwart - zum dünnen Band des Highways, der sich in der erbarmungslosen Mittagssonne durch die Ödnis Arizonas wand -, ohne dass ich darum gebeten hatte. Ich starrte in die Leere vor mir und spürte die Leere in meinem Innern.
In meinem Kopf war ihr schwaches Seufzen zu vernehmen:
Du weißt nie, wie viel Zeit dir noch bleibt.
Die Tränen, die ich vergoss, waren von uns beiden.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben: 2008, 2011 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg
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Autoren-Porträt von Stephenie Meyer
Stephenie Meyer wurde 1973 geboren und lebt mit ihrem Mann und drei Söhnen in Arizona, USA. Mit der berühmten Twilight-Serie wurde sie zur international gefeierten Bestsellerautorin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephenie Meyer
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2013, 912 Seiten, Maße: 12 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Diestelmeier, Katharina
- Übersetzer: Katharina Diestelmeier
- Verlag: Carlsen
- ISBN-10: 3551312494
- ISBN-13: 9783551312495
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