Magische Winternächte
1. Tödlicher Champagner / 2. Zwei unter einer Decke / 3. Der weiße Tod / 4. Wer ist der andere, Alissa?. 4 Romane in einem Band
4 Romane in einem Band! ...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Magische Winternächte “
4 Romane in einem Band!
- Tödlicher Champagner: Was für eine Bescherung: Um ihr Erbe anzutreten, muss Pandora mit dem sexy Michael zusammenziehen. Bald knistert es zwischen ihnen. Doch dass sie gemeinsam ein Vermögen erben sollen, ruft skrupellose Neider auf den Plan.
- Zwei unter einer Decke: Verzweifelt kämpft sich Maddie durch den Schneesturm - zum Glück kommt ihr der attraktive Pete zur Hilfe. Magisch fühlt sie sich zu ihren Retter hingezogen, aber Pete scheint ein unverbesserlicher Macho zu sein ...
- Der weiße Tod: Als bei Bethany eingebrochen wird, flüchtet sie sich in die verschneite Hütte des verführerischen Brett Hanson. Sie kommen sich näher - und lieben sich heiß in der kalten Nacht. Plötzlich fallen Schüsse ...
- Wer ist der andere, Alissa? Nie hätte Alissa erwartet, noch einmal so glücklich zu werden: Ihre Beziehung zu dem umwerfenden Dirk scheint perfekt. Aber kurz nachdem er sie unterm Mistelzweig geküsst hat, unterstellt er ihr Unglaubliches!
Klappentext zu „Magische Winternächte “
1. Was für eine Bescherung: Um ihr Erbe anzutreten, muss Pandora mit dem sexy Michael zusammenziehen. Bald knistert es zwischen ihnen. Doch dass sie gemeinsam ein Vermögen erben sollen, ruft skrupellose Neider auf den Plan. 2. Verzweifelt kämpft sich Maddie durch den Schneesturm zum Glück kommt ihr der attraktive Pete zur Hilfe. Magisch fühlt sie sich zu ihren Retter hingezogen, aber Pete scheint ein unverbesserlicher Macho zu sein
3. Als bei Bethany eingebrochen wird, flüchtet sie sich in die verschneite Hütte des verführerischen Brett Hanson. Sie kommen sich näher und lieben sich heiß in der kalten Nacht. Plötzlich fallen Schüsse
4. Nie hätte Alissa erwartet, noch einmal so glücklich zu werden: Ihre Beziehung zu dem umwerfenden Dirk scheint perfekt. Aber kurz nachdem er sie unterm Mistelzweig geküsst hat, unterstellt er ihr Unglaubliches!
Lese-Probe zu „Magische Winternächte “
Magische Winternächte von Millie CriswellÜbersetzung von Ingrid Bulka
1. KAPITEL
Maddy Potter konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es noch schlimmer kommen könnte.
Im zweiten Monat schwanger, vom Vater des Kindes im Stich gelassen, und jetzt war sie auch noch mit ihrem Leihwagen im Graben gelandet. Kein Wunder bei diesem Schneesturm. Das Schlimmste an der Sache war, dass sie hier irgendwo im Niemandsland von Colorado kaum damit rechnen konnte, dass ihr jemand zu Hilfe kam. Mit einem solchen Unwetter hatte sie nie im Leben gerechnet. Man sah wirklich die Hand vor Augen nicht. Dabei hatten sie im Wetterbericht nur ein starkes Schneegestöber angesagt.
„Es ist der reine Wahnsinn, bei diesem Wetter zu fahren, junge Dame", hatte der Autovermieter sie vor nicht einmal zwei Stunden gewarnt. „Suchen Sie sich ein gemütliches Hotelzimmer in der Nähe des Flughafens und vergessen Sie die Fahrt. Das ist das Vernünftigste, was Sie tun können."
Aber wann war ich jemals vernünftig? fragte sie sich selbst. Bestimmt nicht an jenem Abend, als sie David Lassiters hartnäckigem Drängen nachgegeben hatte und mit ihm ins Bett gegangen war. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, weil ein reifer, erfolgreicher Mann sich für sie interessierte. Immerhin hatte sie darauf bestanden, dass er ein Kondom benutzte. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass das verfluchte Ding im entscheidenden Moment reißen könnte. Ihr Pech!
... mehr
Seufzend legte Maddy sich die Hand auf den Bauch. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zum ersten Mal das Leben spürte, das in ihr heranwuchs - Davids Kind. Aber David Lassiter war ihr Chef bei Lassiter, Owen und Cumberland, der drittgrößten Werbeagentur in New York, und nicht ihr Freund, geschweige denn ihr Verlobter. Er hatte von vornherein keinen Hehl daraus gemacht, dass er keinerlei Verwicklungen wünschte. Und eine Ehefrau schon gar nicht.
Aber Maddy wollte auch gar keinen Mann. Sie war sehr gut allein zurechtgekommen. Ein Mann würde alles nur verkomplizieren, würde sie womöglich nach der Heirat als sein Eigentum betrachten - und davor fürchtete sie sich am meisten.
Trotz allem hatte sie so viel Fairness besessen, dass sie Lassiter über die Schwangerschaft informierte. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatte er sein Scheckheft gezückt und ihr einen ansehnlichen Betrag angeboten. Damit konnte sie seiner Ansicht nach problemlos eine Abtreibung vornehmen lassen.
„Gefühlloser Bastard", schimpfte sie vor sich hin, während sie an seinen selbstgefälligen Gesichtsausdruck dachte. Wenn er nicht auch noch die Unverschämtheit besessen hätte, ihr mit der Kündigung zu drohen, falls sie sich seinem Wunsch nicht beugte, hätte sie bestimmt nicht so kopflos gehandelt und wäre zwei Wochen vor Weihnachten einfach abgehauen, um in den Armen ihrer Schwester Trost zu suchen. Mary Beth war der einzige Mensch, auf den sie wirklich zählen konnte. Leider lebte sie in Colorado.
Jetzt steckte Maddy im Schnee fest, und auf der Windschutzscheibe lag der Schnee so dicht, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Sie wusste nur, dass sie in Colorado Springs auf den Highway 24 gefahren war. Da die Auffahrt in Denver's Stapleton wegen der Schneeverwehungen gesperrt war, hatte sie eine Stunde später eine falsche Abfahrt genommen, war in dieser Einöde gelandet und hatte die Gewalt über den Wagen verloren.
Die Autovermieter würden sicher nicht begeistert sein - vorausgesetzt, sie würde sie jemals wieder sehen. Daran hatte sie im Augenblick erhebliche Zweifel.
Maddy griff nach der Handtasche und tastete nach ihrem Handy. Hoffentlich war der Akku noch nicht leer. Wenn sie jetzt ihre Schwester erreichte, wäre sie so gut wie gerettet. Mary Beth würde sofort ihren Mann losschicken. Und Lyle würde wissen, was zu tun war. Davon war sie überzeugt.
Ein Glück, der Akku war noch zu gebrauchen. Hastig wählte sie die Nummer der Randolphs. Es dauerte nur Sekunden, bis es am anderen Ende der Leitung klingelte, und sie erleichtert aufatmete.
Ihre Erleichterung hielt allerdings nur so lange an, bis sich eine unbekannte weibliche Stimme meldete. „Der von Ihnen gewählte Anschluss ist im Augenblick leider nicht erreichbar, bitte unterbrechen Sie die Verbindung und wählen Sie noch einmal."
Maddy befolgte die Anweisung, doch nach einigen weiteren Versuchen gab die Batterie schließlich ihren Geist auf. Verzweifelt warf sie das nutzlose Handy auf den Rücksitz. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrechen. Nein, sie war eher ein Kämpfertyp. Aber allmählich wurde ihr mulmig. Was sollte sie bloß tun? Nun kam auch noch der Hunger hinzu, weil sie nach einem hastig eingenommenen Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Es war kaum auszuhalten. Kurz vor Weihnachten saß sie einsam und verlassen in dieser ungastlichen Gegend - hungrig und verfroren und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Sie wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, auf jeden Fall näherte sich ihr Stimmungsbarometer verdächtig dem Nullpunkt, als vor ihr in einiger Entfernung zwei Scheinwerfer zu erkennen waren.
Durch den dichten Schnee auf der Windschutzscheibe drang das Licht nur gedämpft zu ihr durch, aber bald hörte sie auch das Motorengeräusch eines näherkommenden Wagens.
„Hallo!", hörte sie eine Männerstimme rufen, kurz nachdem das Geräusch verstummt war. „Ist da jemand?"
Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe auf der Fahrerseite. „Ja! Ich bin hier! Bitte helfen Sie mir." Das Herz klopfte ihr vor Aufregung bis zum Hals. Sie versuchte die Tür zu öffnen, aber der Schnee lag so hoch, dass es unmöglich war.
„Warten Sie einen Augenblick. Ich komme von der anderen Seite und versuche die Tür zu öffnen."
Unter lautem Fluchen gelang es ihm einige Minuten später endlich.
Maddy atmete erleichtert auf. „Danke", sagte sie leise und blinzelte, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Erst jetzt nahm sie den Mann, der sie gerettet hatte, richtig wahr. Er war groß, hatte blaue Augen und war über und über mit Schnee bedeckt. Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals mehr über irgendetwas oder irgendjemanden gefreut zu haben.
Pete Taggart half ihr kopfschüttelnd aus dem Wagen. Es war kaum zu glauben, sie trug hohe Pumps, einen dunkelblauen Hosenanzug mit winzigen goldenen Knöpfen, und einen Regenmantel, der wahrscheinlich nicht einmal gefüttert war.
Ein typisches Mädchen aus der Stadt. Er verzog verächtlich den Mund.
„Mit diesen Schuhen schaffen Sie es niemals bis zu meinem Wagen. Legen Sie mir die Arme um den Hals, dann werde ich Sie tragen."
„Das ist nicht nötig", erwiderte sie, und ihre Zähne klapperten vor Kälte. „Ich schaffe das schon."
„Verflucht, natürlich ist es nötig. Sonst hätte ich es wohl kaum gesagt. Seien Sie nicht so stur und tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Sonst erfrieren wir hier beide."
Da ihr der Schnee beinahe bis zu den Knien reichte, streckte sie ihrem Retter ohne weiteren Protest die Arme entgegen. Während er sie mühelos hochhob, bereitete ihm der Weg durch den Schnee doch erhebliche Schwierigkeiten. Stellenweise lag er mehr als einen halben Meter hoch, und es dauerte einige Minuten, bis sie beide endlich in seinem Lieferwagen saßen. „Sie haben Glück gehabt, dass ich heute Nachmittag hier vorbeigekommen bin. Sie hätten erfrieren können. Diese Straße ist eine Privatstraße. Hier fährt kaum jemand entlang. Außerdem sieht Ihr Auto auch nicht gerade so aus, als wäre es bald wieder einsatzfähig."
„Danke", brachte sie trotz der klappernden Zähne endlich mühsam hervor. „Ich hatte nicht die Absicht, privates Gelände zu betreten. Ich wollte nach Leadville zu meiner Schwester und bin wohl vom Weg abgekommen." Sie hielt beide Hände vor die Heizung. Die warme Luft ließ ihre eiskalten Hände kribbeln. Es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche.
Pete Taggart pfiff durch die Zähne. „Leadville ist meilenweit von hier entfernt und liegt außerdem in der entgegengesetzten Richtung. Sie befinden sich hier auf dem Land der Taggarts. Übrigens, ich bin Pete Taggart, und mir gehört diese Rinderranch hier."
„Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin."
„Bei diesem Schnee kann man leicht die Orientierung verlieren. Ein Glück, dass ich noch nach meinem Bullen Henry sehen musste. Sonst hätte ich mich bei diesem Wetter niemals so weit vors Haus gewagt."
Maddy gefiel es, dass er seinen Tieren Namen gab. Vielleicht war er ja doch nicht so hart, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich heiße Madeline Potter. Aber die meisten Menschen nennen mich Maddy."
Sein Blick war starr auf die Straße gerichtet. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, bei so einem Wetter mit dem Wagen loszufahren? Das war ziemlich unvernünftig. Aber Frauen und Vernunft ..."
„Wie bitte?" Maddy hoffte, dass sie sich verhört hatte.
„Sie haben mich schon richtig verstanden. Die meisten Frauen sind unvernünftig, wenn es um praktische Dinge geht. Es kann doch beispielsweise nicht so schwer sein, sich wettergemäß anzuziehen." Wieder bedachte er ihre Schuhe mit einem verächtlichen Blick. „Sie scheinen ganz eindeutig zu diesen Frauen zu gehören."
Maddy kochte vor Wut. Immerhin taute sie auf diese Weise zumindest von innen auf. „Ich arbeite für eine angesehene New Yorker Werbeagentur. Ganz so dumm, wie Sie meinen, kann ich also nicht sein. Außerdem habe ich einen Studienabschluss mit Auszeichnung." Sie hätte ihm am liebsten auch noch erzählt, dass sie zeitweise drei verschiedene Jobs hatte, um ihr Studium überhaupt finanzieren zu können, und dass sie jahrelang auf jedes Vergnügen verzichtet hatte, um Karriere zu machen. Aber Cowboy-Pete würde das wahrscheinlich sowieso nicht begreifen.
„Was Sie nicht sagen. Hat man Ihnen an der Uni auch beigebracht, bei Schneesturm Auto zu fahren und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen?"
„Man hat mir beigebracht, selbstständig zu sein und mich in einer reinen Männerwelt zu behaupten. Und das ist mir bisher mit Erfolg gelungen. Man hat mir aber auch beigebracht, dass es frauenfeindliche Chauvinisten gibt. Solche wie Sie, Mr Taggart."
„Oh, ich habe durchaus nichts gegen Frauen, Miss Potter", erwiderte er zynisch. „Zumindest nicht gegen die Sanften und Hingebungsvollen."
Maddy schluckte. „Mr Taggart, Sie sind ein ... ein ... Ach, ist ja auch egal", unterbrach sie sich selbst mitten im Satz. Sie wollte nicht aussprechen, dass sie ihn für einen ungebildeten Neandertaler hielt, weil sie befürchtete, er würde sie kurzerhand im Schnee aussetzen. Also behielt sie ihre wenig schmeichelhafte Ansicht vorsichtshalber für sich.
Pete grinste, als er bemerkte, dass ihre Wangen vor Wut gerötet waren. „Wahrscheinlich haben Sie recht, Madam. Aber wenn ich nach draußen gehe, weiß ich zumindest, ob es regnet oder schneit. Und bei so einem Wetter bleibt man besser zu Haus. Wenn Sie es an der Uni nicht gelernt haben, dann doch sicher von Ihrem Vater?"
„Ich gebe ja zu, dass es dumm von mir war, bei diesem Wetter zu meiner Schwester fahren zu wollen. Aber es war mir ungeheuer wichtig. Ich konnte doch nicht damit rechnen, dass ich mich verfahre, und dass mein Wagen in den Graben rutscht." Maddy holte tief Luft und zwang sich, ganz ruhig bis zehn zu zählen. „Und was meinen Vater betrifft, Mr Taggart, so hat er seinen preisgekrönten Schweinen weitaus mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht als meiner Schwester und mir. Wir wurden von unserer Mutter allein erzogen."
Maddys Mutter war früh gestorben - nach Ansicht der Ärzte an einem Herzfehler. Doch Maddy hatte eine ganz andere Theorie. Sie war der festen Überzeugung, dass Andrew Potters Gleichgültigkeit, seine Eigenliebe und sein mangelndes Interesse an allem, was um ihn herum geschah, zumindest einer der Gründe war, die schuld an dem frühen Tod der Mutter waren.
Der Schmerz in Maddys Stimme war unüberhörbar. Deshalb wechselte Pete schnell das Thema. Die junge Frau hatte offensichtlich Probleme mit ihrem Vater, und er hatte nicht das geringste Interesse, Näheres darüber zu erfahren.
„Wir sind gleich da. Nach einem heißen Bad und einer warmen Mahlzeit fühlen Sie sich gleich wieder besser."
Ein heißes Bad? War dieser Mann denn völlig verrückt geworden? Sie hatte keineswegs die Absicht, im Haus eines Fremden ihre Kleidung auszuziehen. Es war schon allein deshalb unmöglich, weil ihr Koffer immer noch im Kofferraum des Leihwagens lag. Daran hatte sie vorhin überhaupt nicht mehr gedacht. „Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Mr Taggart, aber wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich nur kurz Ihr Telefon benutzen. Ich werde Sie nicht lange belästigen."
„Das wird wohl nicht möglich sein, Madam", sagte er, und Maddy bekam plötzlich Angst. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, mit wem sie es hier zu tun hatte. Dieser Mann konnte ein Krimineller sein, ein Vergewaltiger oder ein sadistischer Mörder ... Allerdings erinnerte er sie eher an den typischen Marlboro- Mann. Er wirkte unhöflich und arrogant.
„Sämtliche Telefonleitungen sind abgeschnitten, und wir haben keinen Strom mehr. Dieser Zustand kann unter Umständen Wochen anhalten, und bis morgen früh soll es noch einmal so viel Schnee geben. Ich glaube also kaum, dass Sie in nächster Zeit von hier wegkommen."
„Aber ... aber all meine Sachen sind noch im Auto", sagte sie bestürzt. „Und meine Schwester erwartet mich doch." Letzteres entsprach nicht ganz der Wahrheit. Es war in ihrer augenblicklichen Situation eher eine Vorsichtsmaßnahme. Denn sie hatte darauf verzichtet, Mary Beth anzurufen. Für eine Diskussion am Telefon war die Angelegenheit viel zu wichtig und zu persönlich.
„Hätten Sie den Koffer nicht vorhin erwähnen können, als wir noch am Auto waren?", fragte Pete gereizt. „Es wird eine Weile dauern, bis wir den Wagen abschleppen können." Vielleicht Wochen, dachte er bei sich. Willis Helmsleys Abschleppservice ließ nämlich zu wünschen übrig.
Maddy schenkte Pete Taggart wieder ihre Aufmerksamkeit. „Ich habe vorhin nur ans Überleben gedacht, Mr Taggart. Tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe."
„Es ist nicht so, dass ich nichts zum Anziehen habe, Miss Potter. Wir werden schon etwas für Sie finden." Er hatte Bethanys ganze Garderobe in Kisten auf dem Dachboden verstaut, aber die würde er niemals dieser fremden Frau anbieten.
Auch nach vier Jahren waren seine Erinnerungen an Bethany immer noch schmerzhaft. Und der Ärger nagte nach wie vor an ihm. Er empfand ihn wie eine offene Wunde, die nicht heilen wollte. Pete war sich nicht einmal sicher, ob er das überhaupt wollte. Sein Ärger gab ihm immerhin das Gefühl, am Leben zu sein. Und er sorgte dafür, dass er niemals vergaß, wie stur, egoistisch und dumm Frauen sein konnten.
Das vierstöckige Haus, das im viktorianischen Stil erbaut war, wirkte inmitten der unberührten weißen Pracht beinahe farbenfroh. Die Hauswände waren in mattem Gelb gehalten, während die Fensterläden dunkelgrün waren. Rundherum zog sich eine zimtfarbene Zierleiste, die an Pfefferkuchen erinnerte. Ein solches Haus hätte sie bei einem Mann wie Pete Taggart nicht vermutet. Sie konnte ihn sich eher in einer primitiven Holzhütte - oder noch eher in einer Höhle - vorstellen.
„Wie aus einem Märchen", sagte sie hingerissen, als sie die großzügige Veranda betraten, die um das ganze Haus führte. Es musste ein Traum sein, in diesem Haus zu leben. Aber wie die Dinge lagen, würde Maddy sich wohl bis in alle Ewigkeit mit ihrer supermodernen, aber praktischen Wohnung in einem Hochhaus in Manhattan zufriedengeben müssen.
„Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Das Haus ist seit Generationen im Besitz der Taggarts. Meine Urgroßmutter hat es bauen lassen, und sie hat darauf bestanden, dass immer ein Taggart darin wohnen sollte."
„Dann hat sie ja Glück gehabt, dass es in Ihrer Familie genügend männliche Nachfahren gegeben hat.
Pete lachte. Natürlich war ihr auf den ersten Blick aufgefallen, dass er gut aussah. Das dunkle Haar, die strahlend blauen Augen und das markante Gesicht. Aber durch dieses Lachen, das sich auch in seinen Augen widerspiegelte, wirkte er viel entspannter und ausgesprochen anziehend.
„Das war keine Frage des Glücks. So hat man es mir zumindest erzählt. Meine Urgroßmutter Maggie war eine entschlossene Frau. Sie erwartete einfach, dass einer ihrer Söhne ihr einen Enkel schenken würde."
„Schwer zu glauben, dass Sie so frauenfeindlich sind, wo Sie doch eine unglaubliche Persönlichkeit unter Ihren Vorfahren hatten. Ich glaube nicht, dass Ihre Urgroßmutter eine solche Haltung tolerieren würde." Er erwiderte nichts, doch das Lächeln war verschwunden. Offensichtlich war sie zu weit gegangen.
Na großartig! Maddy schlug sich die Hand vor den Mund. Sie würde wohl niemals lernen, ihre Meinung für sich zu behalten. Manchmal war es vielleicht von Vorteil. Andererseits bezahlten ihre Kunden viel Geld dafür, ihre Meinung zu hören. Ihre Werbeideen waren ausgesprochen gefragt.
In kürzester Zeit hatte sie bei Lassiter, Owens und Cumberland Karriere gemacht. Zumindest bis jetzt. Ihre Schwangerschaft setzte all dem ein abruptes Ende. Aber darüber würde sie später in Ruhe nachdenken.
Pete schleppte Maddy wie einen Sack Kartoffeln ins Haus. Mitten im Flur stellte er sie wieder auf ihre eigenen Füße, als sie auch schon von einem bellenden schwanzwedelnden Etwas begrüßt wurden.
Maddy bückte sich lächelnd, um den Hund zu kraulen. Aus Dankbarkeit leckte er ihre Hände.
„Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Das Gästezimmer befindet sich in der ersten Etage gleich links, wenn Sie die Treppe hochkommen. Direkt nebenan liegt das Badezimmer. An der Tür müsste ein Bademantel hängen, falls Sie ein heißes Bad nehmen möchten. Ich muss noch einmal kurz weg, um nach den Tieren zu sehen. Es dauert aber nicht lange." Pete pfiff nach dem Hund. „Komm, Rufus, lass uns gehen." Rufus folgte ihm widerwillig. Er war ihm anzusehen, dass er lieber im Warmen geblieben wäre.
Maddy nickte nur. „Danke", murmelte sie, doch da war Pete schon im Schneegestöber verschwunden. Sie zog die Schuhe aus und bewegte die eiskalten Zehen. Sie spürte kaum die harten Holzdielen, über die sie lief, um ein Zimmer nach dem anderen zu inspizieren. Das große Wohnzimmer im vorderen Teil des Hauses war mit antiken Möbeln ausgestattet. An der hellen Blumentapete hingen Familienfotos der Taggarts. Es sah beinahe aus wie eine Ahnengalerie. Ihr Blick fiel auf ein altes Bild, das zwei gut aussehende Männer zeigte, die einander so ähnlich waren, dass sie Brüder sein mussten.
Nachdem sie Petes Einladung, das Badezimmer zu benutzen, gefolgt war, ging sie wieder nach unten und betrat die Küche. Es war alles da, was sie zum Teekochen benötigte, deshalb nahm sie ihren Gastgeber beim Wort und tat so, als wäre sie zu Hause. Sie setzte einen Kessel mit Wasser auf.
Obwohl ein großer Ofen, der mit Holz gefeuert wurde, eine heimelige Wärme verbreitete, fror Maddy immer noch. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, ließ sie sich auf einem der schweren rustikalen Holzstühle nieder. Der große Tisch sah so aus, als hätte er schon einige Generationen überdauert. Er war mit tiefen Kratzern und Kerben regelrecht übersät.
Darüber hinaus war die Küche mit sämtlichen modernen Geräten ausgestattet, die man sich nur wünschen konnte, und doch hatte sie den Charme des Altherkömmlichen nicht verloren.
Der Kessel pfiff, und nachdem Maddy in einer Kupferdose auf der Anrichte die Teebeutel entdeckt hatte, bereitete sie eine Kanne Tee zu. „Himmlisch", sagte sie beim Anblick der dampfenden Flüssigkeit, trank vorsichtig einen Schluck und spürte sofort, wie die Wärme sich im ganzen Körper ausbreitete.
Die Hintertür schlug zu, und kurze Zeit darauf trat Pete Taggart in die Küche. Rufus folgte ihm auf den Fersen, legte sich ganz selbstverständlich auf einen Teppich dicht am Ofen und schlief ein.
Pete hatte seine Jacke und seine Stiefel ausgezogen, aber auch die Hose war voller Schnee. Unter dem feuchten Stoff zeichneten sich seine muskulösen Oberschenkel deutlich ab. Maddy ertappte sich selbst dabei, dass sie ihn anstarrte, und wandte vorsichtshalber den Blick ab. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich mir eine Kanne Tee gekocht habe", sagte sie hastig, um auf andere Gedanken zu kommen. Petes Gesicht war dunkelrot vor Kälte.
„Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn für mich auch eine Tasse abfällt." Er blies sich in die Hände, um sie zu wärmen.
Maddy schenkte eine weitere Tasse ein und stellte sie vor ihn auf den Tisch. „Ein Glück, dass Sie beim Kochen nicht auf Strom angewiesen sind. Sonst würden wir ganz schön in der Klemme sitzen."
„Das gilt leider nur für den Herd. Die anderen Geräte benötigen Strom. In gewisser Hinsicht sitzen wir also schon in der Klemme. Glücklicherweise gibt es im Haus aber genügend Petroleumlampen. Und das Holz für die Kamine wird auch ausreichen."
„Anscheinend sind Sie an solche Situationen gewöhnt."
Pete zuckte die Achseln. Er versuchte den Blick von ihrem weichen goldbraunen Haar abzuwenden, welches das fein geschnittene Gesicht sanft umrahmte. Auch das lebendige Funkeln in ihren grünen Augen verwirrte ihn. „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich lebe immerhin schon seit sechsunddreißig Jahren so. Trotzdem werde ich morgen nach dem Generator sehen. Wenn er funktioniert, ist vieles einfacher."
„Gibt es hier in der Nähe eine Stadt? Bei dem Schneesturm vorhin war es unmöglich, etwas zu erkennen. Ich muss den Wagen reparieren lassen."
„Die nächste Stadt heißt Sweetheart. Sie liegt etwa zwölf Meilen westlich von hier. Wenn Sie aber Einkaufspassagen oder Kinos suchen, sind Sie dort völlig fehl am Platze. Dann müssten Sie schon nach Colorado Springs oder Canyon City fahren. Und was Ihr Auto angeht ... selbst wenn Willis es aus dem Graben ziehen könnte, so ist noch längst nicht sicher, dass er die nötigen Ersatzteile für die Reparatur parat hat. Er müsste sie in Denver bestellen, und das kann dauern. Außerdem hasst Willis es, bei dieser Kälte zu arbeiten."
Maddy war verzweifelt. „Aber ich brauche mein Auto. Ich muss ..."
„Sie müssen erst einmal abwarten, bis das Wetter besser wird. Es gibt Dinge, die wir einfach nicht ändern können. Damit müssen Sie sich nun einmal abfinden."
„Aber ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen, Mr Taggart. Gibt es denn wenigstens ein Hotel oder ein Gasthaus in der Nähe?"
Pete nickte. „In Sweetheart gibt es beides - Flannery's Motel und das Sweetheart Inn." Maddy atmete erleichtert auf, doch er war noch nicht fertig. „Aber in der Weihnachtszeit sind sie völlig ausgebucht. Sie haben keine Chance, ein Zimmer zu bekommen. Sie werden wohl mit mir vorlieb nehmen müssen - zumindest vorübergehend."
„Aber das ist doch ..."
„Sweetheart ist nicht New York, Miss Potter. Ich denke, das werden Sie schon bald selbst herausfinden."
Maddy lächelte. „Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich kann es mir sehr gut vorstellen, weil ich in einem kleinen Dorf in Iowa aufgewachsen bin." Dass sie das Leben dort gehasst hatte, behielt sie lieber für sich. Sie war von zu Hause weggezogen, sobald sie achtzehn war. Ihr Vater hatte es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Ihre Mutter war schon lange tot, und Mary Beth hatte ihren Highschool- Freund Lyle Randolph geheiratet. Es gab also nichts mehr, was sie dort gehalten hätte, denn Andrew Potters einzige Leidenschaft waren seine Schweine.
Maddys Vater lebte immer noch allein auf der kleinen Farm. Mary Beth hatte noch gelegentlich Kontakt mit ihm, während Maddy seit Jahren kein Wort mehr mit ihm gewechselt hatte. Sie hatten sich nichts zu sagen.
„Wenn man aus Iowa kommt, muss New York der reinste Kulturschock sein", lenkte Pete ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Zuerst schon. Aber ich habe mich schnell eingewöhnt. Diese Großstadt hat einen eigenen Herzschlag. Überall pulsiert das Leben. Es war eine ganz neue Erfahrung. Man fühlt sich niemals allein." Zwar einsam, aber niemals allein.
„Ich war einmal dort, mit meiner ..." Beinahe hätte er Frau gesagt, doch im letzten Moment hielt er inne. Er wollte nicht mit Fremden über Bethany reden. Eigentlich wollte er mit niemandem über sie reden. Wenn Maddy sein vorübergehendes Zögern bemerkt hatte, dann ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. „Mir hat es dort nicht gefallen", fuhr er schließlich fort.
Maddy nahm noch einen Schluck Tee. „Ich schätze, es ist nicht jedermanns Sache. Dort ist es niemals so ruhig wie hier. Wie halten Sie das nur aus? Ich glaube, ohne Autolärm und Polizeialarm kann ich gar nicht mehr schlafen."
Pete sah sie forschend an. Irgendetwas schien ihn zu beunruhigen. Plötzlich schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. „Wenn Sie ausgetrunken haben, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer. Sie haben einen eigenen Kamin, es sollte also warm genug sein."
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache, Mr Taggart. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich aufnehmen."
„Das würde jeder hier tun. Wir schicken niemanden weg, der in einer Notlage ist. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Und bitte sagen Sie Pete zu mir. Schließlich werden wir für unbestimmte Zeit zusammenleben müssen."
Die Vorstellung, mit ihm zusammenleben zu müssen, machte sie nervös, dennoch nickte sie zustimmend und ging hinter ihm die Treppe hinauf. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die Strümpfe auszuziehen und die Füße in heißem Wasser zu baden. „Darf ich fragen, wo Ihr Zimmer ist?"
„Direkt neben Ihrem", entgegnete er mit einem jungenhaften Grinsen. „Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich habe mich ganz gut unter Kontrolle."
Maddy wurde rot bis in die Haarwurzeln. „Das sollte nicht heißen, dass ..."
„Wenn Sie irgendetwas brauchen, rufen Sie mich. Und falls Sie Hunger haben, bedienen Sie sich bitte selbst. Auf der Veranda hinterm Haus ist eine Kühlbox. Darin finden Sie alles, was man für ein Sandwich braucht."
Mit diesen Worten drehte Pete sich um und ging wieder hinunter. Maddy starrte ihm hinterher. Wie sollte sie es mit diesem Mann länger als einen Tag in einem Haus aushalten, wenn es ihm schon gelang, sie mit einem einzigen Satz aus der Fassung zu bringen? So viel hatte sie zumindest verstanden. Es konnte lange dauern, bis sie dieses Haus wieder verlassen konnte.
2. KAPITEL
Bekleidet mit einem grünweißen Fußballtrikot der Highschool und dicken wollenen Socken, die Pete ihr gestern Abend noch gegeben hatte, machte Maddy sich auf den Weg ins Badezimmer. Sie hatte Pete gleich angesehen, dass er sich nur ungern von seinen Sachen trennte.
Das Feuer im Kamin war schon vor Stunden ausgegangen, und die Eisblumen am Fenster kündigten einen weiteren Wintertag voller Schnee und Eis an.
Wie lange würde sie wohl hier bleiben müssen? Nicht, dass sie Pete Taggart nicht ausgesprochen dankbar war. Seine Gastfreundschaft war wirklich einzigartig, aber sie musste unbedingt zu ihrer Schwester. Sie brauchte dringend jemanden, der ihr dabei half, den Scherbenhaufen, den sie selbst aus ihrem Leben gemacht hatte, wieder zusammenzufügen. Hoffentlich konnte Mary Beth ihr helfen.
In Gedanken versunken, öffnete sie die Badezimmertür. Als sie Pete Taggart halb nackt vor dem Waschbecken stehen sah, schrie sie vor Schreck auf. „Was machen Sie denn hier?"
„Au! Verdammt!", fluchte er, den Rasierer in der Hand. Er wandte den Blick vom Spiegel ab und sah Maddy vorwurfsvoll an. „Wofür würden Sie es denn halten?", fragte er und drückte ärgerlich ein Kleenextuch auf den blutenden Schnitt am Kinn. „Vielleicht könnten Sie ja das nächste Mal anklopfen, anstatt hier hereinzuplatzen."
Maddy starrte ihn mit offenem Mund an. Sein muskulöser Oberkörper glich dem eines griechischen Adonis. Sein Brusthaar war noch feucht vom Duschen, und das Handtuch, das er lässig um die Hüften geschlungen hatte, saß so tief, dass sie nicht viel Fantasie brauchte, um sich vorzustellen, was sich darunter verbarg.
„Ich ... ich dachte, das wäre mein Bad", stotterte sie verlegen.
„Dann habe ich mich wahrscheinlich nicht klar genug ausgedrückt. Es ist unser Bad. Beide Schlafzimmer schließen daran an. Sie können es jederzeit benutzen, wenn ich nicht gerade darin bin."
Maddy versuchte sich von seinem Anblick loszureißen, aber es gelang ihr nicht. „Sie hätten mir wirklich sagen können, dass wir uns das Bad teilen müssen. Das ist ja wohl das Mindeste, was man von einem zivilisierten Menschen erwarten kann."
„Ich habe keine Ahnung, wie sich ein zivilisierter Mensch benimmt, Miss Potter. Ich bin nie einer gewesen", gab er zurück und grinste dabei so sexy, dass es Maddy heiß und kalt wurde.
„Sie können einen wirklich zur Raserei bringen", sagte sie, während sie die Arme hob, um das viel zu große Trikot, das ihr über Nacht von der Schulter gerutscht war, zurechtzurücken. Pete sog scharf die Luft ein.
„An Ihrer Stelle würde ich die Arme nicht so hoch recken. Sie könnten auf diese Weise mehr enthüllen, als Sie beabsichtigen", warnte er, obwohl er den Anblick sichtlich genoss. Immerhin hatte er jahrelang keine hübsche Frau mehr in seinem Badezimmer oder Schlafzimmer gehabt.
Außer sich stürzte Maddy aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Doch Petes Lachen hörte sie auch durch die geschlossene Tür. Wutentbrannt betrachtete sie sich in einem Spiegel in ihrem Zimmer und hob versuchsweise die Arme hoch. Das Trikot rutschte so weit nach oben, dass es den Blick auf ihre Oberschenkel freigab. Sie schnappte regelrecht nach Luft.
„Um Himmels willen!" Wieso hatte sie das nicht vorher bemerkt? Was würde Pete Taggart jetzt von ihr denken?
Nur gut, dass Maddy nicht wusste, was Pete Taggart dachte. Pete verfluchte sich selbst, aber die spärlich bekleidete Maddy hatte sein Blut in Wallung gebracht. Diese Frau war attraktiv, eigensinnig und intelligent - auch wenn er es ihr gegenüber niemals zugeben würde. Und diese Eigenschaften waren einfach eine gefährliche Kombination.
Er hatte den Frauen vor vier Jahren abgeschworen, und er brauchte diese Versuchung keineswegs. Dadurch wurde nur alles noch viel komplizierter, als es ohnehin war. Sein selbst gewähltes Zölibat - über das seine jüngeren Brüder nur allzu gern witzelten - machte ihm sowieso seit einiger Zeit zu schaffen. Und eine halb nackte, außergewöhnlich anziehende Frau in seinem Badezimmer erleichterte die Angelegenheit auch nicht gerade. Dabei spielte es nicht die geringste Rolle, ob sie die Absicht gehabt hatte, ihre unübersehbaren Reize zur Schau zu stellen oder nicht. Was er gesehen hatte, gefiel ihm ausgesprochen gut, und er konnte nicht anders, als darauf zu reagieren.
In seinem alten Fußballtrikot und mit ihren zerzausten Haaren wirkte sie sehr erotisch. „Verflucht!" Pete klopfte mit der Handfläche gegen den defekten Generator.
„Warum?", fragte er sich selbst. Warum musste ihm das ausgerechnet jetzt passieren? Genau in dem Moment, wo er allmählich wieder zu sich selbst fand.
Vier Jahre. Vier Jahre war es her, seit er Bethany und ihr gemeinsames ungeborenes Kind verloren hatte - und der Schmerz darüber war noch so frisch, als wäre es gestern gewesen.
„Tut mir leid, Pete", hatte ihn Dr. Reynolds im Krankenhaus empfangen. „Bethany hat den Unfall nicht überlebt."
„Und das Baby?"
Der alte Mann hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn mitleidig angesehen. „Sie sind beide tot. Es tut mir sehr leid, mein Junge."
Wenn er nicht mit Bethany gestritten hätte, wenn er nicht von ihr verlangt hätte, auf den Job bei dem Radiosender zu verzichten, wäre sie sicher nicht so kopflos in das schreckliche Unwetter hinausgestürmt.
Wenn, wenn, wenn. Viel zu viele Wenns - und sie führten zu nichts. Sie brachten ihn nicht weiter. Er hatte seine Frau und sein Kind verloren - für immer.
Pete wusste sehr wohl, dass er zum Teil für ihren schrecklichen Tod mitverantwortlich war. Aber die Hauptschuld lag seiner Ansicht nach bei Bethany. Sie war immer stur gewesen. Nichts in der Welt hätte sie davon abhalten können, nach ihrer Heirat arbeiten zu gehen. Es reichte ihr einfach nicht, nur die Frau eines Farmers zu sein. Leider hatte sie es ihm erst nach der Hochzeit erzählt. Sie wollte alles - Familie und Karriere.
Nach dem peinlichen Zwischenfall im Badezimmer dauerte es einige Zeit, bis Maddy endlich den Mut fand, ihr Zimmer zu verlassen und nach unten zu gehen. Aber sie hatte Hunger. Zögernd betrat sie die Küche. Von Pete war keine Spur zu sehen. Ob er wohl schon gefrühstückt hatte? Da sie es nicht wusste, beschloss sie, ein ausgiebiges Frühstück zuzubereiten.
Eier, Käse und Schinken fand sie in der Kühltasche hinten auf der Veranda. Ebenfalls eine Packung Orangensaft. „Wir sind gerettet, Rufus", sagte sie zu dem Hund, der wieder einmal faul auf dem Teppich lag. Als er seinen Namen hörte, öffnete er schläfrig ein Auge, um gleich darauf weiterzuschnarchen.
In der Thermoskanne war noch heißer Kaffee. Maddy schenkte sich eine Tasse ein, bevor sie mit dem Rührei anfing. Zuerst ließ sie den Schinken in der Pfanne aus und suchte nach den Gewürzen.
Maddy war vielleicht eine Niete im Kartenlesen und Autofahren, aber sie war eine exzellente Köchin. Und das würde sie diesem besserwisserischen und frauenfeindlichen Rancher jetzt beweisen.
„Hm! Das riecht ja wundervoll", sagte Pete, als er eine Viertelstunde später die Küche betrat. Als er bemerkte, dass Maddy sich die alte Küchenschürze seiner Mutter umgebunden hatte, musste er unwillkürlich lächeln. Sie sah darin bei Weitem nicht so sexy aus wie in seinem Fußballtrikot, aber irgendwie wurde ihm bei ihrem Anblick warm ums Herz. Sie trug jetzt wieder den Hosenanzug von gestern, hatte aber auf die Pumps verzichtet und sich stattdessen für die dicken Wollsocken entschieden, die er ihr gestern geliehen hatte.
„Ich habe Frühstück für uns beide gemacht, weil ich nicht wusste, ob Sie schon gegessen haben. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen."
„Nicht das Geringste. Hoffentlich schmeckt es so gut, wie es duftet."
„Ich kann wesentlich besser kochen als Auto fahren, Mr Taggart."
„Pete", erinnerte er sie.
„Nur wenn Sie mich Maddy nennen."
Pete Taggart schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und trank. „Meinetwegen."
„Waren Sie draußen, um die Tiere zu füttern?"
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nach dem Generator gesehen."
Während Maddy immer noch mit den Rühreiern beschäftigt war, setzte Pete sich an den Tisch und füllte die Gläser mit Saft. „Das ist seit langer Zeit mein erstes vernünftiges Frühstück."
„Meins auch", gab Maddy zu. „Ich esse morgens immer nur ein Käsebrötchen - und zwar auf dem Weg zur Arbeit. Zum Kochen habe ich nie Zeit. Außerdem macht es für eine Person keinen Spaß."
Pete wippte mit dem Stuhl. „Dann sind Sie also nicht verheiratet?"
Maddy schüttelte den Kopf. „Nein. Und Sie?"
„Ich war verheiratet", entgegnete er ohne eine weitere Erklärung, und Maddy fragte sich, was wohl aus seiner Frau geworden war.
Sie stellte die Eier auf den Tisch und setzte sich Pete gegenüber an den Tisch. Die Vertraulichkeit der Situation war ihr in jeder Sekunde bewusst. „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Gastfreundschaft, Pete. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn Sie nicht zufällig vorbeigekommen wären."
„Wahrscheinlich wären Sie erfroren." Das Lächeln in seinen Augen milderte die ursprüngliche Bedeutung seiner Worte.
„Ich würde mich gern erkenntlich zeigen. Damit ich Ihnen nicht allzu sehr zur Last falle, könnte ich mich beispielsweise um den Haushalt kümmern und Ihnen mit den Tieren helfen. Außerdem würde ich gern meinen Anteil an Lebensmitteln bezahlen. Ich habe zwar nicht viel Bargeld dabei, aber ich kann Ihnen einen Scheck geben."
„Ich brauche weder Ihr Geld, noch brauche ich Ihre Hilfe bei den Tieren. Danke für das Angebot. Aber wenn Sie das Kochen übernehmen würden, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar. Ich hasse es zu kochen."
„Ich ..." Maddy wurde plötzlich kreidebleich und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Was ist los?" Pete sah sie besorgt an. „Ist Ihnen schlecht?"
Sie nickte, sprang hastig auf und rannte ins Badezimmer. Alles, was sie zum Frühstück zu sich genommen hatte, kam wieder hoch. Sie kniete immer noch vor der Toilette und würgte, als Pete hinter ihr zur Tür hereinkam. Er reichte ihr einen feuchten Waschlappen.
„Haben Sie Grippe?"
Sie wischte sich mit dem Lappen über den Mund und erhob sich vom Fußboden. „Ich wünschte, es wäre so einfach", erwiderte sie, während sie ihn mit Tränen in den Augen anschaute.
„Eine Lebensmittelallergie? Das hat ja heutzutage beinahe jeder Zweite. Meine Mutter war zum Beispiel allergisch gegen Eier."
Maddy wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihn anzulügen. Schließlich würden sie noch einige Zeit hier in diesem Haus zusammenleben. „Ich bin schwanger."
„Schwanger!" Jetzt wich die Farbe aus Petes Gesicht. Er versuchte die aufsteigende Panik zu verbergen, indem er Ärger vorschob. „Sie sind schwanger und fahren bei Schneesturm mit dem Auto? Nicht gerade eine Heldentat, finden Sie nicht?" Er wandte sich ab und ging leise vor sich hin fluchend wieder in die Küche zurück.
Maddy folgte ihm. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht vorgewarnt habe. Aber diese Übelkeit hatte ich heute zum ersten Mal. Bis jetzt ging es mir ausgezeichnet."
Pete umklammerte die Anrichte und starrte aus dem Fenster, ohne auch nur zu bemerken, dass es schon wieder schneite. Erst als er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, drehte er sich zu ihr um und sah ihr ins Gesicht. „Ich dachte, Sie wären nicht verheiratet."
Jetzt kehrte die Farbe in die bleichen Wangen zurück. „Das bin ich auch nicht. Heutzutage ist das nicht mehr Voraussetzung."
„Weiß Ihr Freund davon?"
„David ist nicht mein Freund. Er ist mein Chef. Und er weiß es. Er erwartet, dass ich das Kind abtreiben lasse. Und bevor ich mein ‚kleines Problem‘ gelöst habe, soll ich mich in der Firma nicht mehr sehen lassen."
„Sie müssen entweder sinnlos betrunken oder bis über beide Ohren verliebt gewesen sein, wenn Sie mit so einem Kerl ins Bett gegangen sind."
„Ich war weder das eine noch das andere. Sie haben eine Möglichkeit ausgelassen - dumm. ‚Dumm‘ trifft es wohl eher."
„Sehr weit sind Sie noch nicht", bemerkte er mit einem Blick auf ihren flachen Bauch. Es war noch nichts zu sehen. Pete wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Bald würde dort, wo sie jetzt flach wie ein Brett war, eine leichte Wölbung zu sehen sein, ihre Brüste würden voller werden, die Haut rosig glänzen. Er konnte sich so gut daran erinnern.
„In der achten Woche. Tut mir leid, Pete, dass ich Sie jetzt auch noch damit belaste. Nach allem, was Sie schon für mich getan haben. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Dieses Kind ist ganz allein mein Problem. Und ich werde schon damit fertig werden."
„Deshalb wollten Sie also zur Ihrer Schwester nach Leadville, ja? Um mit ihr über Ihr ‚kleines Problem‘ zu reden."
Maddy seufzte. „Mary Beth ist die einzige Angehörige, die ich habe. Meinen Vater habe ich jahrelang nicht mehr gesehen. Ich ... ich muss mit ihr reden. Nur sie kann mir im Augenblick weiterhelfen - sie weiß ganz sicher, was jetzt zu tun ist." Maddy wollte umarmt und getröstet werden, und sie wusste, dass sie in dieser Hinsicht bei Mary Beth an der richtigen Adresse war. Außerdem gehörte ihre Schwester zu den Menschen, die auch in den verzwicktesten Situationen in der Lage waren, einen kühlen Kopf zu behalten.
„Das hört sich ja ganz so an, als hätten Sie sich bereits gegen eine Abtreibung entschieden."
„Das würde ich nie im Leben übers Herz bringen."
Maddy sah so unglücklich aus, dass Pete ihr den Arm um die Schulter legte und sie zu ihrem Stuhl zurückführte. Er war nicht der Typ, der einen Menschen trat, der sowieso schon am Boden lag. Und Maddy war am Ende, das sah sogar ein Blinder.
„Setzen Sie sich hin. Ich hole Ihnen ein Glas Milch. Die bekommt Ihnen sicher besser als Saft. Ich mache Ihnen auch eine Scheibe Toast fertig."
„Der Toaster funktioniert doch nicht."
„Ich bin ein alter Pfadfinder. Ich kann jederzeit improvisieren." Und das tat er. Er hielt das Toastbrot über das offene Feuer der Gasflamme und drehte es zu allen Seiten, bis es goldbraun war.
„Danke ...", stammelte Maddy. Seine freundliche Besorgtheit war schwerer zu ertragen als seine schroffe Art. Sie kämpfte nur mit Mühe gegen die Tränen an. Aber sie ahnte, dass Pete Taggart nicht der Mann war, der etwas mit weinenden Frauen anzufangen wusste.
Pete stellte Milch und Toast vor sie auf den Tisch und setzte sich neben sie. „Essen Sie. Sie werden sehen, gleicht geht es Ihnen besser."
„Ich glaube, ich sollte besser von hier verschwinden. Ich ..."
„Nein! Ich kann es nicht ertragen, noch einen ..." Der Schmerz in seinen Augen brachte sie zum Schweigen. „Haben Sie schon nach draußen geguckt?", wechselte er abrupt das Thema. „Es schneit immer noch wie verrückt. Sie werden nirgendwohin gehen, Maddy. Einige Zeit werden Sie es noch hier mit mir aushalten müssen. Gewöhnen Sie sich besser an die Idee."
„Mein Koffer, das Auto ..." Sie hatte sich noch nie im Leben so hilflos gefühlt. Aber immerhin war sie nicht allein. Und dafür war sie dankbar.
„Ich werde eines von den Pferden satteln und versuchen, ob ich Ihren Koffer holen kann. Das Auto muss wohl so lange liegen bleiben, bis Willis es abschleppen kann. Machen Sie sich keine Sorgen. Im Augenblick würde nicht einmal ein Schneepflug bis zu der Stelle vordringen können."
„Sie müssen mich nicht aufheitern." Maddy zwang sich zu einem Lächeln.
Er zwickte ihr in die Nasenspitze und erwiderte ihr Lächeln. „Das würde mir im Traum nicht einfallen, Miss Potter."
Das wird ja immer besser, dachte Maddy, nachdem er aus dem Haus war. Jetzt war sie nicht nur schwanger und unverheiratet, sondern ihr war auch noch übel, und sie steckte zu allem Überfluss in dieser verflucht einsamen Gegend. Außerdem war sie zwei Wochen vor Weihnachten gezwungen, diesen arroganten Rancher zu ertragen, der ihr das Leben gerettet hatte. Aber das Verrückteste war, dass sie anfing, ihn zu mögen.
„Ich glaube nicht, dass Ymir ein Wort ist. Kann es sein, dass Sie es gerade erfunden haben, um mich an der Nase herumzuführen?"
Maddy trug eine bequeme Jeans und ihren weichen Kaschmirpullover. Mit einiger Mühe war es Pete inzwischen gelungen, ihr Gepäck aus dem völlig eingeschneiten Wagen zu holen. Sie lag flach auf dem Bauch vor dem warmen Kamin und sah Pete entschlossen in die Augen. Zwischen ihnen befand sich ein riesiges Scrabble- Spielbrett. „Natürlich ist das ein Wort. Es wird zwar nicht allzu oft gebraucht, aber deshalb ist es trotzdem ein richtiges Wort."
Pete schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann ich nicht so einfach hinnehmen", entgegnete er und griff nach dem Wörterbuch, das sie für alle Fälle bereitgelegt hatten."
Maddy lächelte selbstbewusst. „Tun Sie sich keinen Zwang an. Aber wenn ich recht hatte, bekomme ich so viele Extrapunkte, dass Sie keine Chance mehr haben, mich einzuholen."
Pete studierte das Wörterbuch, während sie den Kopf in die Hand stützte und wie gebannt dem Schauspiel der Flammen zusah.
Es war Petes Vorschlag gewesen, Scrabble zu spielen. Und es hatte ihr Spaß gemacht, ihn zu besiegen. Außerdem war es das erste Mal, dass sie im Licht einer Petroleumlampe und am offenen Kaminfeuer gespielt hatte, da der Generator immer noch nicht funktionierte. Aber das verlieh der Sache erst einen ganz besonderen Reiz.
„Sie haben gewonnen", gab er endlich zu. „Ich kann es immer noch nicht glauben, aber hier steht es schwarz auf weiß. Ymir ist in der nordischen Mythologie der Urriese, aus dessen Körper die Welt erschaffen wurde." Mit diesen Worten knallte er das Wörterbuch zu. „Wie wär's dann jetzt mit einem Kartenspiel?", schlug er vor. „Wir könnten zum Beispiel Strip-Poker spielen. Darin bin ich bedeutend besser."
Maddy lachte fröhlich, als er ihr verschmitzt zuzwinkerte. Und das tat ihr gut, denn sie hatte schon lange nicht mehr gelacht. „Vielleicht ein anderes Mal. Ich habe viel zu viel gegessen. Zum Strippen bin ich viel zu träge."
„Ihre Roastbeefsandwiches waren aber auch wirklich unwiderstehlich."
„Nicht zu vergessen die Hühnersuppe. Im Aufwärmen von Fertiggerichten bin ich einfach unschlagbar."
„Und was machen wir jetzt? Es ist noch zu früh, um ins Bett zu gehen." Obwohl er zugeben musste, dass es zweifellos bedeutend anregender sein würde, mit Maddy Potter ins Bett zu gehen, als sich mit Brettspielen zu vergnügen. Anregend schon, aber mit Sicherheit nicht besonders klug.
Maddy blickte zu der alten Standuhr, die in einer Ecke des Zimmers stand und deren gleichmäßiges Ticken so beruhigend auf sie gewirkt hatte. „Acht Uhr", stellte sie fest. „Das ist selbst für mich zu früh." Sie überlegte einen Augenblick. „Haben Sie Marshmallows im Haus? Ich liebe gebratene Marshmallows und dazu heißen Kakao."
„Warten Sie hier." Pete stand sofort auf. Er war froh über ihre Anregung. Eine kleine Ablenkung war im Augenblick genau das Richtige, da es ihm immer schwerer fiel, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die wachsende Erregung, die Maddy durch ihre bloße Anwesenheit in ihm hervorrief. „Ich habe etwas viel Besseres." Ein paar Minuten später kam er zurück. Auf einem alten Holztablett balancierte er Schokolade, eine Tüte Marshmallows und einige Cracker. „Kakao habe ich leider nicht, aber dafür alles, was man für einen Marshmallowspieß braucht."
„Fantastisch!", rief sie und klatschte begeistert in die Hände. „Ich habe seit meiner Kindheit keine mehr gegessen."
Pete schob den Funkenschutz ein wenig zur Seite und reichte Maddy einen langen eisernen Grillspieß. „Meine Mutter hatte eine Schwäche für Marshmallowspieße. Deshalb hat sie meinen Vater beauftragt, passende Spieße herzustellen. Es waren ihre Marshmallowspieße." Bei der Erinnerung an seine Mutter lächelte er traurig. Sie war vor drei Jahren an Brustkrebs gestorben. Erst Bethany, dann seine Mutter. Alle Frauen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten, waren tot.
Schweigend saßen Pete und Maddy Schulter an Schulter vor dem offenen Feuer und drehten andächtig ihre Spieße. „Die schmecken wirklich unglaublich." Maddy stöhnte genüsslich, als sie herzhaft in ihren ersten gegrillten Marshmallow biss.
Mit dem lustigen Pferdeschwanz und dem zufriedenen Lächeln wirkte sie eher wie ein ausgelassener Teenager, als wie eine Frau von neunundzwanzig Jahren, die ein Kind erwartete.
Als ihr ein wenig von der geschmolzenen Schokolade aufs Kinn tropfte, wischte Pete es vorsichtig mit dem Finger ab.
Seine Berührung reichte aus, um Maddys Herz höher schlagen zu lassen. Dieser Mann hatte eine derart erotische Ausstrahlung, dass ihr heiß und kalt wurde. „Sind Sie schon lange Rancher?", fragte sie, nur um auf andere Gedanken zu kommen.
„Mein Leben lang. Ich wollte nie etwas anderes sein. Ich liebe dieses Leben. Es kam mir sehr entgegen, dass meine beiden Brüder sich zu etwas anderem berufen fühlten. John ist Tierarzt, und Mark ist Chefkoch. Ihm gehört das ‚Sweetheart Inn‘,das Gasthaus, von dem ich Ihnen gesagt habe, dass es kein freies Zimmer mehr hat."
„Ein Chefkoch. Ich stelle es mir ziemlich praktisch vor, immer einen Chefkoch in der Nähe zu haben."
„Mein Bruder ist geschieden. Wenn Sie möchten, mache ich Sie mit ihm bekannt."
„Nein, vielen Dank!" Seine Direktheit irritierte sie. „Ich habe erst einmal von Männern die Nase voll. Außerdem glaube ich kaum, dass es einen Mann gibt, der scharf darauf wäre, sich mit einer schwangeren Frau einzulassen."
„Da irren Sie sich aber gewaltig. In dieser Stadt gibt es nicht viele Frauen zur Auswahl. Ich wüsste eigentlich nur unsere Bibliothekarin, Ella Grady. Sie ist noch Junggesellin. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird. Immerhin ist sie schon vierundsechzig."
Maddy lächelte. „Und was ist mit Ihnen? Sind Sie auch geschieden? Ich erinnere mich, dass Sie sagten, Sie wären verheiratet gewesen."
Pete zögerte. Es sah aus, als könnte er sich nicht entschließen, überhaupt zu antworten. „Verwitwet. Seit vier Jahren."
Der Schmerz in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er immer noch trauerte. Unwillkürlich berührte Maddy seine Hand. „Tut mir leid. Ich wollte nicht neugierig sein."
Pete zuckte die Achseln. „Die Zeit heilt alle Wunden. Sagt man das nicht?" Nur schade, dass es nicht die Wahrheit war.
Sie lächelte wehmütig. „Die Zeit heilt keine Wunden. Ich fürchte, sie lässt sie sogar tiefer werden."
„Aber eine Frau, die ein Kind erwartet, sieht doch wundervollen Zeiten entgegen", erinnerte er sie. „Nur noch sieben Monate, und Sie halten einen Sohn oder eine Tochter im Arm."
„Genau diese Vorstellung macht mir Angst. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, Mutter zu sein, ein Kind großzuziehen. Und wie soll ich arbeiten und mich gleichzeitig um mein Kind kümmern? Wie man sich als alleinerziehende Mutter durchschlägt, hat man uns auf dem College leider nicht beigebracht. Mein Leben lang muss ich jetzt die Verantwortung für einen Menschen tragen. Und ich bin nicht sicher, ob ich dazu in der Lage sein werde."
„Sie haben doch Ihre Schwester. Ich bin sicher, dass sie Ihnen helfen wird."
„Mary Beth und Lyle wünschen sich schon seit Jahren verzweifelt ein Kind, und sie wird nicht schwanger. Ich weiß nicht, wie sie unter diesen Umständen auf meine Schwangerschaft reagieren wird. Es wäre schrecklich, wenn unser Verhältnis darunter leiden würde."
„Haben Sie schon einmal daran gedacht, das Kind bei Ihrer Schwester aufwachsen zu lassen? Dann wären mit einem Schlag alle Probleme vom Tisch. Sie könnten arbeiten, und Ihre Schwester hätte endlich das lang ersehnte Kind."
Maddy strich sich über den Bauch. In ihren Augen bemerkte Pete eine Weichheit, die vorher nicht da gewesen war. „Ich habe darüber nachgedacht. Aber es ist mein Kind. Niemand anders soll es bekommen. Auch nicht meine Schwester. Ich weiß genau, dass sie eine perfekte Mutter wäre, und Lyle ist wirklich ein wundervoller Mann. Das Baby könnte es gar nicht besser haben. Aber ..." Sie schüttelte den Kopf. „Es ist mein Baby. Ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen."
„Ich verstehe Sie sogar sehr gut. Bethany war im sechsten Monat, als sie starb. Ich habe nicht nur meine Frau verloren, sondern auch meinen Sohn. Ich weiß, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren. Glauben Sie mir, ich verstehe Sie besser, als Sie sich vorstellen können." Pete stand still auf, nickte ihr zu und verließ das Zimmer.
Copyright © 2001 by Millie Criswell.
Seufzend legte Maddy sich die Hand auf den Bauch. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zum ersten Mal das Leben spürte, das in ihr heranwuchs - Davids Kind. Aber David Lassiter war ihr Chef bei Lassiter, Owen und Cumberland, der drittgrößten Werbeagentur in New York, und nicht ihr Freund, geschweige denn ihr Verlobter. Er hatte von vornherein keinen Hehl daraus gemacht, dass er keinerlei Verwicklungen wünschte. Und eine Ehefrau schon gar nicht.
Aber Maddy wollte auch gar keinen Mann. Sie war sehr gut allein zurechtgekommen. Ein Mann würde alles nur verkomplizieren, würde sie womöglich nach der Heirat als sein Eigentum betrachten - und davor fürchtete sie sich am meisten.
Trotz allem hatte sie so viel Fairness besessen, dass sie Lassiter über die Schwangerschaft informierte. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatte er sein Scheckheft gezückt und ihr einen ansehnlichen Betrag angeboten. Damit konnte sie seiner Ansicht nach problemlos eine Abtreibung vornehmen lassen.
„Gefühlloser Bastard", schimpfte sie vor sich hin, während sie an seinen selbstgefälligen Gesichtsausdruck dachte. Wenn er nicht auch noch die Unverschämtheit besessen hätte, ihr mit der Kündigung zu drohen, falls sie sich seinem Wunsch nicht beugte, hätte sie bestimmt nicht so kopflos gehandelt und wäre zwei Wochen vor Weihnachten einfach abgehauen, um in den Armen ihrer Schwester Trost zu suchen. Mary Beth war der einzige Mensch, auf den sie wirklich zählen konnte. Leider lebte sie in Colorado.
Jetzt steckte Maddy im Schnee fest, und auf der Windschutzscheibe lag der Schnee so dicht, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Sie wusste nur, dass sie in Colorado Springs auf den Highway 24 gefahren war. Da die Auffahrt in Denver's Stapleton wegen der Schneeverwehungen gesperrt war, hatte sie eine Stunde später eine falsche Abfahrt genommen, war in dieser Einöde gelandet und hatte die Gewalt über den Wagen verloren.
Die Autovermieter würden sicher nicht begeistert sein - vorausgesetzt, sie würde sie jemals wieder sehen. Daran hatte sie im Augenblick erhebliche Zweifel.
Maddy griff nach der Handtasche und tastete nach ihrem Handy. Hoffentlich war der Akku noch nicht leer. Wenn sie jetzt ihre Schwester erreichte, wäre sie so gut wie gerettet. Mary Beth würde sofort ihren Mann losschicken. Und Lyle würde wissen, was zu tun war. Davon war sie überzeugt.
Ein Glück, der Akku war noch zu gebrauchen. Hastig wählte sie die Nummer der Randolphs. Es dauerte nur Sekunden, bis es am anderen Ende der Leitung klingelte, und sie erleichtert aufatmete.
Ihre Erleichterung hielt allerdings nur so lange an, bis sich eine unbekannte weibliche Stimme meldete. „Der von Ihnen gewählte Anschluss ist im Augenblick leider nicht erreichbar, bitte unterbrechen Sie die Verbindung und wählen Sie noch einmal."
Maddy befolgte die Anweisung, doch nach einigen weiteren Versuchen gab die Batterie schließlich ihren Geist auf. Verzweifelt warf sie das nutzlose Handy auf den Rücksitz. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrechen. Nein, sie war eher ein Kämpfertyp. Aber allmählich wurde ihr mulmig. Was sollte sie bloß tun? Nun kam auch noch der Hunger hinzu, weil sie nach einem hastig eingenommenen Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Es war kaum auszuhalten. Kurz vor Weihnachten saß sie einsam und verlassen in dieser ungastlichen Gegend - hungrig und verfroren und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Sie wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, auf jeden Fall näherte sich ihr Stimmungsbarometer verdächtig dem Nullpunkt, als vor ihr in einiger Entfernung zwei Scheinwerfer zu erkennen waren.
Durch den dichten Schnee auf der Windschutzscheibe drang das Licht nur gedämpft zu ihr durch, aber bald hörte sie auch das Motorengeräusch eines näherkommenden Wagens.
„Hallo!", hörte sie eine Männerstimme rufen, kurz nachdem das Geräusch verstummt war. „Ist da jemand?"
Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe auf der Fahrerseite. „Ja! Ich bin hier! Bitte helfen Sie mir." Das Herz klopfte ihr vor Aufregung bis zum Hals. Sie versuchte die Tür zu öffnen, aber der Schnee lag so hoch, dass es unmöglich war.
„Warten Sie einen Augenblick. Ich komme von der anderen Seite und versuche die Tür zu öffnen."
Unter lautem Fluchen gelang es ihm einige Minuten später endlich.
Maddy atmete erleichtert auf. „Danke", sagte sie leise und blinzelte, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Erst jetzt nahm sie den Mann, der sie gerettet hatte, richtig wahr. Er war groß, hatte blaue Augen und war über und über mit Schnee bedeckt. Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals mehr über irgendetwas oder irgendjemanden gefreut zu haben.
Pete Taggart half ihr kopfschüttelnd aus dem Wagen. Es war kaum zu glauben, sie trug hohe Pumps, einen dunkelblauen Hosenanzug mit winzigen goldenen Knöpfen, und einen Regenmantel, der wahrscheinlich nicht einmal gefüttert war.
Ein typisches Mädchen aus der Stadt. Er verzog verächtlich den Mund.
„Mit diesen Schuhen schaffen Sie es niemals bis zu meinem Wagen. Legen Sie mir die Arme um den Hals, dann werde ich Sie tragen."
„Das ist nicht nötig", erwiderte sie, und ihre Zähne klapperten vor Kälte. „Ich schaffe das schon."
„Verflucht, natürlich ist es nötig. Sonst hätte ich es wohl kaum gesagt. Seien Sie nicht so stur und tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Sonst erfrieren wir hier beide."
Da ihr der Schnee beinahe bis zu den Knien reichte, streckte sie ihrem Retter ohne weiteren Protest die Arme entgegen. Während er sie mühelos hochhob, bereitete ihm der Weg durch den Schnee doch erhebliche Schwierigkeiten. Stellenweise lag er mehr als einen halben Meter hoch, und es dauerte einige Minuten, bis sie beide endlich in seinem Lieferwagen saßen. „Sie haben Glück gehabt, dass ich heute Nachmittag hier vorbeigekommen bin. Sie hätten erfrieren können. Diese Straße ist eine Privatstraße. Hier fährt kaum jemand entlang. Außerdem sieht Ihr Auto auch nicht gerade so aus, als wäre es bald wieder einsatzfähig."
„Danke", brachte sie trotz der klappernden Zähne endlich mühsam hervor. „Ich hatte nicht die Absicht, privates Gelände zu betreten. Ich wollte nach Leadville zu meiner Schwester und bin wohl vom Weg abgekommen." Sie hielt beide Hände vor die Heizung. Die warme Luft ließ ihre eiskalten Hände kribbeln. Es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche.
Pete Taggart pfiff durch die Zähne. „Leadville ist meilenweit von hier entfernt und liegt außerdem in der entgegengesetzten Richtung. Sie befinden sich hier auf dem Land der Taggarts. Übrigens, ich bin Pete Taggart, und mir gehört diese Rinderranch hier."
„Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin."
„Bei diesem Schnee kann man leicht die Orientierung verlieren. Ein Glück, dass ich noch nach meinem Bullen Henry sehen musste. Sonst hätte ich mich bei diesem Wetter niemals so weit vors Haus gewagt."
Maddy gefiel es, dass er seinen Tieren Namen gab. Vielleicht war er ja doch nicht so hart, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich heiße Madeline Potter. Aber die meisten Menschen nennen mich Maddy."
Sein Blick war starr auf die Straße gerichtet. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, bei so einem Wetter mit dem Wagen loszufahren? Das war ziemlich unvernünftig. Aber Frauen und Vernunft ..."
„Wie bitte?" Maddy hoffte, dass sie sich verhört hatte.
„Sie haben mich schon richtig verstanden. Die meisten Frauen sind unvernünftig, wenn es um praktische Dinge geht. Es kann doch beispielsweise nicht so schwer sein, sich wettergemäß anzuziehen." Wieder bedachte er ihre Schuhe mit einem verächtlichen Blick. „Sie scheinen ganz eindeutig zu diesen Frauen zu gehören."
Maddy kochte vor Wut. Immerhin taute sie auf diese Weise zumindest von innen auf. „Ich arbeite für eine angesehene New Yorker Werbeagentur. Ganz so dumm, wie Sie meinen, kann ich also nicht sein. Außerdem habe ich einen Studienabschluss mit Auszeichnung." Sie hätte ihm am liebsten auch noch erzählt, dass sie zeitweise drei verschiedene Jobs hatte, um ihr Studium überhaupt finanzieren zu können, und dass sie jahrelang auf jedes Vergnügen verzichtet hatte, um Karriere zu machen. Aber Cowboy-Pete würde das wahrscheinlich sowieso nicht begreifen.
„Was Sie nicht sagen. Hat man Ihnen an der Uni auch beigebracht, bei Schneesturm Auto zu fahren und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen?"
„Man hat mir beigebracht, selbstständig zu sein und mich in einer reinen Männerwelt zu behaupten. Und das ist mir bisher mit Erfolg gelungen. Man hat mir aber auch beigebracht, dass es frauenfeindliche Chauvinisten gibt. Solche wie Sie, Mr Taggart."
„Oh, ich habe durchaus nichts gegen Frauen, Miss Potter", erwiderte er zynisch. „Zumindest nicht gegen die Sanften und Hingebungsvollen."
Maddy schluckte. „Mr Taggart, Sie sind ein ... ein ... Ach, ist ja auch egal", unterbrach sie sich selbst mitten im Satz. Sie wollte nicht aussprechen, dass sie ihn für einen ungebildeten Neandertaler hielt, weil sie befürchtete, er würde sie kurzerhand im Schnee aussetzen. Also behielt sie ihre wenig schmeichelhafte Ansicht vorsichtshalber für sich.
Pete grinste, als er bemerkte, dass ihre Wangen vor Wut gerötet waren. „Wahrscheinlich haben Sie recht, Madam. Aber wenn ich nach draußen gehe, weiß ich zumindest, ob es regnet oder schneit. Und bei so einem Wetter bleibt man besser zu Haus. Wenn Sie es an der Uni nicht gelernt haben, dann doch sicher von Ihrem Vater?"
„Ich gebe ja zu, dass es dumm von mir war, bei diesem Wetter zu meiner Schwester fahren zu wollen. Aber es war mir ungeheuer wichtig. Ich konnte doch nicht damit rechnen, dass ich mich verfahre, und dass mein Wagen in den Graben rutscht." Maddy holte tief Luft und zwang sich, ganz ruhig bis zehn zu zählen. „Und was meinen Vater betrifft, Mr Taggart, so hat er seinen preisgekrönten Schweinen weitaus mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht als meiner Schwester und mir. Wir wurden von unserer Mutter allein erzogen."
Maddys Mutter war früh gestorben - nach Ansicht der Ärzte an einem Herzfehler. Doch Maddy hatte eine ganz andere Theorie. Sie war der festen Überzeugung, dass Andrew Potters Gleichgültigkeit, seine Eigenliebe und sein mangelndes Interesse an allem, was um ihn herum geschah, zumindest einer der Gründe war, die schuld an dem frühen Tod der Mutter waren.
Der Schmerz in Maddys Stimme war unüberhörbar. Deshalb wechselte Pete schnell das Thema. Die junge Frau hatte offensichtlich Probleme mit ihrem Vater, und er hatte nicht das geringste Interesse, Näheres darüber zu erfahren.
„Wir sind gleich da. Nach einem heißen Bad und einer warmen Mahlzeit fühlen Sie sich gleich wieder besser."
Ein heißes Bad? War dieser Mann denn völlig verrückt geworden? Sie hatte keineswegs die Absicht, im Haus eines Fremden ihre Kleidung auszuziehen. Es war schon allein deshalb unmöglich, weil ihr Koffer immer noch im Kofferraum des Leihwagens lag. Daran hatte sie vorhin überhaupt nicht mehr gedacht. „Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Mr Taggart, aber wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich nur kurz Ihr Telefon benutzen. Ich werde Sie nicht lange belästigen."
„Das wird wohl nicht möglich sein, Madam", sagte er, und Maddy bekam plötzlich Angst. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, mit wem sie es hier zu tun hatte. Dieser Mann konnte ein Krimineller sein, ein Vergewaltiger oder ein sadistischer Mörder ... Allerdings erinnerte er sie eher an den typischen Marlboro- Mann. Er wirkte unhöflich und arrogant.
„Sämtliche Telefonleitungen sind abgeschnitten, und wir haben keinen Strom mehr. Dieser Zustand kann unter Umständen Wochen anhalten, und bis morgen früh soll es noch einmal so viel Schnee geben. Ich glaube also kaum, dass Sie in nächster Zeit von hier wegkommen."
„Aber ... aber all meine Sachen sind noch im Auto", sagte sie bestürzt. „Und meine Schwester erwartet mich doch." Letzteres entsprach nicht ganz der Wahrheit. Es war in ihrer augenblicklichen Situation eher eine Vorsichtsmaßnahme. Denn sie hatte darauf verzichtet, Mary Beth anzurufen. Für eine Diskussion am Telefon war die Angelegenheit viel zu wichtig und zu persönlich.
„Hätten Sie den Koffer nicht vorhin erwähnen können, als wir noch am Auto waren?", fragte Pete gereizt. „Es wird eine Weile dauern, bis wir den Wagen abschleppen können." Vielleicht Wochen, dachte er bei sich. Willis Helmsleys Abschleppservice ließ nämlich zu wünschen übrig.
Maddy schenkte Pete Taggart wieder ihre Aufmerksamkeit. „Ich habe vorhin nur ans Überleben gedacht, Mr Taggart. Tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe."
„Es ist nicht so, dass ich nichts zum Anziehen habe, Miss Potter. Wir werden schon etwas für Sie finden." Er hatte Bethanys ganze Garderobe in Kisten auf dem Dachboden verstaut, aber die würde er niemals dieser fremden Frau anbieten.
Auch nach vier Jahren waren seine Erinnerungen an Bethany immer noch schmerzhaft. Und der Ärger nagte nach wie vor an ihm. Er empfand ihn wie eine offene Wunde, die nicht heilen wollte. Pete war sich nicht einmal sicher, ob er das überhaupt wollte. Sein Ärger gab ihm immerhin das Gefühl, am Leben zu sein. Und er sorgte dafür, dass er niemals vergaß, wie stur, egoistisch und dumm Frauen sein konnten.
Das vierstöckige Haus, das im viktorianischen Stil erbaut war, wirkte inmitten der unberührten weißen Pracht beinahe farbenfroh. Die Hauswände waren in mattem Gelb gehalten, während die Fensterläden dunkelgrün waren. Rundherum zog sich eine zimtfarbene Zierleiste, die an Pfefferkuchen erinnerte. Ein solches Haus hätte sie bei einem Mann wie Pete Taggart nicht vermutet. Sie konnte ihn sich eher in einer primitiven Holzhütte - oder noch eher in einer Höhle - vorstellen.
„Wie aus einem Märchen", sagte sie hingerissen, als sie die großzügige Veranda betraten, die um das ganze Haus führte. Es musste ein Traum sein, in diesem Haus zu leben. Aber wie die Dinge lagen, würde Maddy sich wohl bis in alle Ewigkeit mit ihrer supermodernen, aber praktischen Wohnung in einem Hochhaus in Manhattan zufriedengeben müssen.
„Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Das Haus ist seit Generationen im Besitz der Taggarts. Meine Urgroßmutter hat es bauen lassen, und sie hat darauf bestanden, dass immer ein Taggart darin wohnen sollte."
„Dann hat sie ja Glück gehabt, dass es in Ihrer Familie genügend männliche Nachfahren gegeben hat.
Pete lachte. Natürlich war ihr auf den ersten Blick aufgefallen, dass er gut aussah. Das dunkle Haar, die strahlend blauen Augen und das markante Gesicht. Aber durch dieses Lachen, das sich auch in seinen Augen widerspiegelte, wirkte er viel entspannter und ausgesprochen anziehend.
„Das war keine Frage des Glücks. So hat man es mir zumindest erzählt. Meine Urgroßmutter Maggie war eine entschlossene Frau. Sie erwartete einfach, dass einer ihrer Söhne ihr einen Enkel schenken würde."
„Schwer zu glauben, dass Sie so frauenfeindlich sind, wo Sie doch eine unglaubliche Persönlichkeit unter Ihren Vorfahren hatten. Ich glaube nicht, dass Ihre Urgroßmutter eine solche Haltung tolerieren würde." Er erwiderte nichts, doch das Lächeln war verschwunden. Offensichtlich war sie zu weit gegangen.
Na großartig! Maddy schlug sich die Hand vor den Mund. Sie würde wohl niemals lernen, ihre Meinung für sich zu behalten. Manchmal war es vielleicht von Vorteil. Andererseits bezahlten ihre Kunden viel Geld dafür, ihre Meinung zu hören. Ihre Werbeideen waren ausgesprochen gefragt.
In kürzester Zeit hatte sie bei Lassiter, Owens und Cumberland Karriere gemacht. Zumindest bis jetzt. Ihre Schwangerschaft setzte all dem ein abruptes Ende. Aber darüber würde sie später in Ruhe nachdenken.
Pete schleppte Maddy wie einen Sack Kartoffeln ins Haus. Mitten im Flur stellte er sie wieder auf ihre eigenen Füße, als sie auch schon von einem bellenden schwanzwedelnden Etwas begrüßt wurden.
Maddy bückte sich lächelnd, um den Hund zu kraulen. Aus Dankbarkeit leckte er ihre Hände.
„Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Das Gästezimmer befindet sich in der ersten Etage gleich links, wenn Sie die Treppe hochkommen. Direkt nebenan liegt das Badezimmer. An der Tür müsste ein Bademantel hängen, falls Sie ein heißes Bad nehmen möchten. Ich muss noch einmal kurz weg, um nach den Tieren zu sehen. Es dauert aber nicht lange." Pete pfiff nach dem Hund. „Komm, Rufus, lass uns gehen." Rufus folgte ihm widerwillig. Er war ihm anzusehen, dass er lieber im Warmen geblieben wäre.
Maddy nickte nur. „Danke", murmelte sie, doch da war Pete schon im Schneegestöber verschwunden. Sie zog die Schuhe aus und bewegte die eiskalten Zehen. Sie spürte kaum die harten Holzdielen, über die sie lief, um ein Zimmer nach dem anderen zu inspizieren. Das große Wohnzimmer im vorderen Teil des Hauses war mit antiken Möbeln ausgestattet. An der hellen Blumentapete hingen Familienfotos der Taggarts. Es sah beinahe aus wie eine Ahnengalerie. Ihr Blick fiel auf ein altes Bild, das zwei gut aussehende Männer zeigte, die einander so ähnlich waren, dass sie Brüder sein mussten.
Nachdem sie Petes Einladung, das Badezimmer zu benutzen, gefolgt war, ging sie wieder nach unten und betrat die Küche. Es war alles da, was sie zum Teekochen benötigte, deshalb nahm sie ihren Gastgeber beim Wort und tat so, als wäre sie zu Hause. Sie setzte einen Kessel mit Wasser auf.
Obwohl ein großer Ofen, der mit Holz gefeuert wurde, eine heimelige Wärme verbreitete, fror Maddy immer noch. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, ließ sie sich auf einem der schweren rustikalen Holzstühle nieder. Der große Tisch sah so aus, als hätte er schon einige Generationen überdauert. Er war mit tiefen Kratzern und Kerben regelrecht übersät.
Darüber hinaus war die Küche mit sämtlichen modernen Geräten ausgestattet, die man sich nur wünschen konnte, und doch hatte sie den Charme des Altherkömmlichen nicht verloren.
Der Kessel pfiff, und nachdem Maddy in einer Kupferdose auf der Anrichte die Teebeutel entdeckt hatte, bereitete sie eine Kanne Tee zu. „Himmlisch", sagte sie beim Anblick der dampfenden Flüssigkeit, trank vorsichtig einen Schluck und spürte sofort, wie die Wärme sich im ganzen Körper ausbreitete.
Die Hintertür schlug zu, und kurze Zeit darauf trat Pete Taggart in die Küche. Rufus folgte ihm auf den Fersen, legte sich ganz selbstverständlich auf einen Teppich dicht am Ofen und schlief ein.
Pete hatte seine Jacke und seine Stiefel ausgezogen, aber auch die Hose war voller Schnee. Unter dem feuchten Stoff zeichneten sich seine muskulösen Oberschenkel deutlich ab. Maddy ertappte sich selbst dabei, dass sie ihn anstarrte, und wandte vorsichtshalber den Blick ab. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich mir eine Kanne Tee gekocht habe", sagte sie hastig, um auf andere Gedanken zu kommen. Petes Gesicht war dunkelrot vor Kälte.
„Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn für mich auch eine Tasse abfällt." Er blies sich in die Hände, um sie zu wärmen.
Maddy schenkte eine weitere Tasse ein und stellte sie vor ihn auf den Tisch. „Ein Glück, dass Sie beim Kochen nicht auf Strom angewiesen sind. Sonst würden wir ganz schön in der Klemme sitzen."
„Das gilt leider nur für den Herd. Die anderen Geräte benötigen Strom. In gewisser Hinsicht sitzen wir also schon in der Klemme. Glücklicherweise gibt es im Haus aber genügend Petroleumlampen. Und das Holz für die Kamine wird auch ausreichen."
„Anscheinend sind Sie an solche Situationen gewöhnt."
Pete zuckte die Achseln. Er versuchte den Blick von ihrem weichen goldbraunen Haar abzuwenden, welches das fein geschnittene Gesicht sanft umrahmte. Auch das lebendige Funkeln in ihren grünen Augen verwirrte ihn. „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich lebe immerhin schon seit sechsunddreißig Jahren so. Trotzdem werde ich morgen nach dem Generator sehen. Wenn er funktioniert, ist vieles einfacher."
„Gibt es hier in der Nähe eine Stadt? Bei dem Schneesturm vorhin war es unmöglich, etwas zu erkennen. Ich muss den Wagen reparieren lassen."
„Die nächste Stadt heißt Sweetheart. Sie liegt etwa zwölf Meilen westlich von hier. Wenn Sie aber Einkaufspassagen oder Kinos suchen, sind Sie dort völlig fehl am Platze. Dann müssten Sie schon nach Colorado Springs oder Canyon City fahren. Und was Ihr Auto angeht ... selbst wenn Willis es aus dem Graben ziehen könnte, so ist noch längst nicht sicher, dass er die nötigen Ersatzteile für die Reparatur parat hat. Er müsste sie in Denver bestellen, und das kann dauern. Außerdem hasst Willis es, bei dieser Kälte zu arbeiten."
Maddy war verzweifelt. „Aber ich brauche mein Auto. Ich muss ..."
„Sie müssen erst einmal abwarten, bis das Wetter besser wird. Es gibt Dinge, die wir einfach nicht ändern können. Damit müssen Sie sich nun einmal abfinden."
„Aber ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen, Mr Taggart. Gibt es denn wenigstens ein Hotel oder ein Gasthaus in der Nähe?"
Pete nickte. „In Sweetheart gibt es beides - Flannery's Motel und das Sweetheart Inn." Maddy atmete erleichtert auf, doch er war noch nicht fertig. „Aber in der Weihnachtszeit sind sie völlig ausgebucht. Sie haben keine Chance, ein Zimmer zu bekommen. Sie werden wohl mit mir vorlieb nehmen müssen - zumindest vorübergehend."
„Aber das ist doch ..."
„Sweetheart ist nicht New York, Miss Potter. Ich denke, das werden Sie schon bald selbst herausfinden."
Maddy lächelte. „Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich kann es mir sehr gut vorstellen, weil ich in einem kleinen Dorf in Iowa aufgewachsen bin." Dass sie das Leben dort gehasst hatte, behielt sie lieber für sich. Sie war von zu Hause weggezogen, sobald sie achtzehn war. Ihr Vater hatte es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Ihre Mutter war schon lange tot, und Mary Beth hatte ihren Highschool- Freund Lyle Randolph geheiratet. Es gab also nichts mehr, was sie dort gehalten hätte, denn Andrew Potters einzige Leidenschaft waren seine Schweine.
Maddys Vater lebte immer noch allein auf der kleinen Farm. Mary Beth hatte noch gelegentlich Kontakt mit ihm, während Maddy seit Jahren kein Wort mehr mit ihm gewechselt hatte. Sie hatten sich nichts zu sagen.
„Wenn man aus Iowa kommt, muss New York der reinste Kulturschock sein", lenkte Pete ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Zuerst schon. Aber ich habe mich schnell eingewöhnt. Diese Großstadt hat einen eigenen Herzschlag. Überall pulsiert das Leben. Es war eine ganz neue Erfahrung. Man fühlt sich niemals allein." Zwar einsam, aber niemals allein.
„Ich war einmal dort, mit meiner ..." Beinahe hätte er Frau gesagt, doch im letzten Moment hielt er inne. Er wollte nicht mit Fremden über Bethany reden. Eigentlich wollte er mit niemandem über sie reden. Wenn Maddy sein vorübergehendes Zögern bemerkt hatte, dann ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. „Mir hat es dort nicht gefallen", fuhr er schließlich fort.
Maddy nahm noch einen Schluck Tee. „Ich schätze, es ist nicht jedermanns Sache. Dort ist es niemals so ruhig wie hier. Wie halten Sie das nur aus? Ich glaube, ohne Autolärm und Polizeialarm kann ich gar nicht mehr schlafen."
Pete sah sie forschend an. Irgendetwas schien ihn zu beunruhigen. Plötzlich schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. „Wenn Sie ausgetrunken haben, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer. Sie haben einen eigenen Kamin, es sollte also warm genug sein."
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache, Mr Taggart. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich aufnehmen."
„Das würde jeder hier tun. Wir schicken niemanden weg, der in einer Notlage ist. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Und bitte sagen Sie Pete zu mir. Schließlich werden wir für unbestimmte Zeit zusammenleben müssen."
Die Vorstellung, mit ihm zusammenleben zu müssen, machte sie nervös, dennoch nickte sie zustimmend und ging hinter ihm die Treppe hinauf. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die Strümpfe auszuziehen und die Füße in heißem Wasser zu baden. „Darf ich fragen, wo Ihr Zimmer ist?"
„Direkt neben Ihrem", entgegnete er mit einem jungenhaften Grinsen. „Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich habe mich ganz gut unter Kontrolle."
Maddy wurde rot bis in die Haarwurzeln. „Das sollte nicht heißen, dass ..."
„Wenn Sie irgendetwas brauchen, rufen Sie mich. Und falls Sie Hunger haben, bedienen Sie sich bitte selbst. Auf der Veranda hinterm Haus ist eine Kühlbox. Darin finden Sie alles, was man für ein Sandwich braucht."
Mit diesen Worten drehte Pete sich um und ging wieder hinunter. Maddy starrte ihm hinterher. Wie sollte sie es mit diesem Mann länger als einen Tag in einem Haus aushalten, wenn es ihm schon gelang, sie mit einem einzigen Satz aus der Fassung zu bringen? So viel hatte sie zumindest verstanden. Es konnte lange dauern, bis sie dieses Haus wieder verlassen konnte.
2. KAPITEL
Bekleidet mit einem grünweißen Fußballtrikot der Highschool und dicken wollenen Socken, die Pete ihr gestern Abend noch gegeben hatte, machte Maddy sich auf den Weg ins Badezimmer. Sie hatte Pete gleich angesehen, dass er sich nur ungern von seinen Sachen trennte.
Das Feuer im Kamin war schon vor Stunden ausgegangen, und die Eisblumen am Fenster kündigten einen weiteren Wintertag voller Schnee und Eis an.
Wie lange würde sie wohl hier bleiben müssen? Nicht, dass sie Pete Taggart nicht ausgesprochen dankbar war. Seine Gastfreundschaft war wirklich einzigartig, aber sie musste unbedingt zu ihrer Schwester. Sie brauchte dringend jemanden, der ihr dabei half, den Scherbenhaufen, den sie selbst aus ihrem Leben gemacht hatte, wieder zusammenzufügen. Hoffentlich konnte Mary Beth ihr helfen.
In Gedanken versunken, öffnete sie die Badezimmertür. Als sie Pete Taggart halb nackt vor dem Waschbecken stehen sah, schrie sie vor Schreck auf. „Was machen Sie denn hier?"
„Au! Verdammt!", fluchte er, den Rasierer in der Hand. Er wandte den Blick vom Spiegel ab und sah Maddy vorwurfsvoll an. „Wofür würden Sie es denn halten?", fragte er und drückte ärgerlich ein Kleenextuch auf den blutenden Schnitt am Kinn. „Vielleicht könnten Sie ja das nächste Mal anklopfen, anstatt hier hereinzuplatzen."
Maddy starrte ihn mit offenem Mund an. Sein muskulöser Oberkörper glich dem eines griechischen Adonis. Sein Brusthaar war noch feucht vom Duschen, und das Handtuch, das er lässig um die Hüften geschlungen hatte, saß so tief, dass sie nicht viel Fantasie brauchte, um sich vorzustellen, was sich darunter verbarg.
„Ich ... ich dachte, das wäre mein Bad", stotterte sie verlegen.
„Dann habe ich mich wahrscheinlich nicht klar genug ausgedrückt. Es ist unser Bad. Beide Schlafzimmer schließen daran an. Sie können es jederzeit benutzen, wenn ich nicht gerade darin bin."
Maddy versuchte sich von seinem Anblick loszureißen, aber es gelang ihr nicht. „Sie hätten mir wirklich sagen können, dass wir uns das Bad teilen müssen. Das ist ja wohl das Mindeste, was man von einem zivilisierten Menschen erwarten kann."
„Ich habe keine Ahnung, wie sich ein zivilisierter Mensch benimmt, Miss Potter. Ich bin nie einer gewesen", gab er zurück und grinste dabei so sexy, dass es Maddy heiß und kalt wurde.
„Sie können einen wirklich zur Raserei bringen", sagte sie, während sie die Arme hob, um das viel zu große Trikot, das ihr über Nacht von der Schulter gerutscht war, zurechtzurücken. Pete sog scharf die Luft ein.
„An Ihrer Stelle würde ich die Arme nicht so hoch recken. Sie könnten auf diese Weise mehr enthüllen, als Sie beabsichtigen", warnte er, obwohl er den Anblick sichtlich genoss. Immerhin hatte er jahrelang keine hübsche Frau mehr in seinem Badezimmer oder Schlafzimmer gehabt.
Außer sich stürzte Maddy aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Doch Petes Lachen hörte sie auch durch die geschlossene Tür. Wutentbrannt betrachtete sie sich in einem Spiegel in ihrem Zimmer und hob versuchsweise die Arme hoch. Das Trikot rutschte so weit nach oben, dass es den Blick auf ihre Oberschenkel freigab. Sie schnappte regelrecht nach Luft.
„Um Himmels willen!" Wieso hatte sie das nicht vorher bemerkt? Was würde Pete Taggart jetzt von ihr denken?
Nur gut, dass Maddy nicht wusste, was Pete Taggart dachte. Pete verfluchte sich selbst, aber die spärlich bekleidete Maddy hatte sein Blut in Wallung gebracht. Diese Frau war attraktiv, eigensinnig und intelligent - auch wenn er es ihr gegenüber niemals zugeben würde. Und diese Eigenschaften waren einfach eine gefährliche Kombination.
Er hatte den Frauen vor vier Jahren abgeschworen, und er brauchte diese Versuchung keineswegs. Dadurch wurde nur alles noch viel komplizierter, als es ohnehin war. Sein selbst gewähltes Zölibat - über das seine jüngeren Brüder nur allzu gern witzelten - machte ihm sowieso seit einiger Zeit zu schaffen. Und eine halb nackte, außergewöhnlich anziehende Frau in seinem Badezimmer erleichterte die Angelegenheit auch nicht gerade. Dabei spielte es nicht die geringste Rolle, ob sie die Absicht gehabt hatte, ihre unübersehbaren Reize zur Schau zu stellen oder nicht. Was er gesehen hatte, gefiel ihm ausgesprochen gut, und er konnte nicht anders, als darauf zu reagieren.
In seinem alten Fußballtrikot und mit ihren zerzausten Haaren wirkte sie sehr erotisch. „Verflucht!" Pete klopfte mit der Handfläche gegen den defekten Generator.
„Warum?", fragte er sich selbst. Warum musste ihm das ausgerechnet jetzt passieren? Genau in dem Moment, wo er allmählich wieder zu sich selbst fand.
Vier Jahre. Vier Jahre war es her, seit er Bethany und ihr gemeinsames ungeborenes Kind verloren hatte - und der Schmerz darüber war noch so frisch, als wäre es gestern gewesen.
„Tut mir leid, Pete", hatte ihn Dr. Reynolds im Krankenhaus empfangen. „Bethany hat den Unfall nicht überlebt."
„Und das Baby?"
Der alte Mann hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn mitleidig angesehen. „Sie sind beide tot. Es tut mir sehr leid, mein Junge."
Wenn er nicht mit Bethany gestritten hätte, wenn er nicht von ihr verlangt hätte, auf den Job bei dem Radiosender zu verzichten, wäre sie sicher nicht so kopflos in das schreckliche Unwetter hinausgestürmt.
Wenn, wenn, wenn. Viel zu viele Wenns - und sie führten zu nichts. Sie brachten ihn nicht weiter. Er hatte seine Frau und sein Kind verloren - für immer.
Pete wusste sehr wohl, dass er zum Teil für ihren schrecklichen Tod mitverantwortlich war. Aber die Hauptschuld lag seiner Ansicht nach bei Bethany. Sie war immer stur gewesen. Nichts in der Welt hätte sie davon abhalten können, nach ihrer Heirat arbeiten zu gehen. Es reichte ihr einfach nicht, nur die Frau eines Farmers zu sein. Leider hatte sie es ihm erst nach der Hochzeit erzählt. Sie wollte alles - Familie und Karriere.
Nach dem peinlichen Zwischenfall im Badezimmer dauerte es einige Zeit, bis Maddy endlich den Mut fand, ihr Zimmer zu verlassen und nach unten zu gehen. Aber sie hatte Hunger. Zögernd betrat sie die Küche. Von Pete war keine Spur zu sehen. Ob er wohl schon gefrühstückt hatte? Da sie es nicht wusste, beschloss sie, ein ausgiebiges Frühstück zuzubereiten.
Eier, Käse und Schinken fand sie in der Kühltasche hinten auf der Veranda. Ebenfalls eine Packung Orangensaft. „Wir sind gerettet, Rufus", sagte sie zu dem Hund, der wieder einmal faul auf dem Teppich lag. Als er seinen Namen hörte, öffnete er schläfrig ein Auge, um gleich darauf weiterzuschnarchen.
In der Thermoskanne war noch heißer Kaffee. Maddy schenkte sich eine Tasse ein, bevor sie mit dem Rührei anfing. Zuerst ließ sie den Schinken in der Pfanne aus und suchte nach den Gewürzen.
Maddy war vielleicht eine Niete im Kartenlesen und Autofahren, aber sie war eine exzellente Köchin. Und das würde sie diesem besserwisserischen und frauenfeindlichen Rancher jetzt beweisen.
„Hm! Das riecht ja wundervoll", sagte Pete, als er eine Viertelstunde später die Küche betrat. Als er bemerkte, dass Maddy sich die alte Küchenschürze seiner Mutter umgebunden hatte, musste er unwillkürlich lächeln. Sie sah darin bei Weitem nicht so sexy aus wie in seinem Fußballtrikot, aber irgendwie wurde ihm bei ihrem Anblick warm ums Herz. Sie trug jetzt wieder den Hosenanzug von gestern, hatte aber auf die Pumps verzichtet und sich stattdessen für die dicken Wollsocken entschieden, die er ihr gestern geliehen hatte.
„Ich habe Frühstück für uns beide gemacht, weil ich nicht wusste, ob Sie schon gegessen haben. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen."
„Nicht das Geringste. Hoffentlich schmeckt es so gut, wie es duftet."
„Ich kann wesentlich besser kochen als Auto fahren, Mr Taggart."
„Pete", erinnerte er sie.
„Nur wenn Sie mich Maddy nennen."
Pete Taggart schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und trank. „Meinetwegen."
„Waren Sie draußen, um die Tiere zu füttern?"
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nach dem Generator gesehen."
Während Maddy immer noch mit den Rühreiern beschäftigt war, setzte Pete sich an den Tisch und füllte die Gläser mit Saft. „Das ist seit langer Zeit mein erstes vernünftiges Frühstück."
„Meins auch", gab Maddy zu. „Ich esse morgens immer nur ein Käsebrötchen - und zwar auf dem Weg zur Arbeit. Zum Kochen habe ich nie Zeit. Außerdem macht es für eine Person keinen Spaß."
Pete wippte mit dem Stuhl. „Dann sind Sie also nicht verheiratet?"
Maddy schüttelte den Kopf. „Nein. Und Sie?"
„Ich war verheiratet", entgegnete er ohne eine weitere Erklärung, und Maddy fragte sich, was wohl aus seiner Frau geworden war.
Sie stellte die Eier auf den Tisch und setzte sich Pete gegenüber an den Tisch. Die Vertraulichkeit der Situation war ihr in jeder Sekunde bewusst. „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Gastfreundschaft, Pete. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn Sie nicht zufällig vorbeigekommen wären."
„Wahrscheinlich wären Sie erfroren." Das Lächeln in seinen Augen milderte die ursprüngliche Bedeutung seiner Worte.
„Ich würde mich gern erkenntlich zeigen. Damit ich Ihnen nicht allzu sehr zur Last falle, könnte ich mich beispielsweise um den Haushalt kümmern und Ihnen mit den Tieren helfen. Außerdem würde ich gern meinen Anteil an Lebensmitteln bezahlen. Ich habe zwar nicht viel Bargeld dabei, aber ich kann Ihnen einen Scheck geben."
„Ich brauche weder Ihr Geld, noch brauche ich Ihre Hilfe bei den Tieren. Danke für das Angebot. Aber wenn Sie das Kochen übernehmen würden, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar. Ich hasse es zu kochen."
„Ich ..." Maddy wurde plötzlich kreidebleich und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Was ist los?" Pete sah sie besorgt an. „Ist Ihnen schlecht?"
Sie nickte, sprang hastig auf und rannte ins Badezimmer. Alles, was sie zum Frühstück zu sich genommen hatte, kam wieder hoch. Sie kniete immer noch vor der Toilette und würgte, als Pete hinter ihr zur Tür hereinkam. Er reichte ihr einen feuchten Waschlappen.
„Haben Sie Grippe?"
Sie wischte sich mit dem Lappen über den Mund und erhob sich vom Fußboden. „Ich wünschte, es wäre so einfach", erwiderte sie, während sie ihn mit Tränen in den Augen anschaute.
„Eine Lebensmittelallergie? Das hat ja heutzutage beinahe jeder Zweite. Meine Mutter war zum Beispiel allergisch gegen Eier."
Maddy wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihn anzulügen. Schließlich würden sie noch einige Zeit hier in diesem Haus zusammenleben. „Ich bin schwanger."
„Schwanger!" Jetzt wich die Farbe aus Petes Gesicht. Er versuchte die aufsteigende Panik zu verbergen, indem er Ärger vorschob. „Sie sind schwanger und fahren bei Schneesturm mit dem Auto? Nicht gerade eine Heldentat, finden Sie nicht?" Er wandte sich ab und ging leise vor sich hin fluchend wieder in die Küche zurück.
Maddy folgte ihm. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht vorgewarnt habe. Aber diese Übelkeit hatte ich heute zum ersten Mal. Bis jetzt ging es mir ausgezeichnet."
Pete umklammerte die Anrichte und starrte aus dem Fenster, ohne auch nur zu bemerken, dass es schon wieder schneite. Erst als er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, drehte er sich zu ihr um und sah ihr ins Gesicht. „Ich dachte, Sie wären nicht verheiratet."
Jetzt kehrte die Farbe in die bleichen Wangen zurück. „Das bin ich auch nicht. Heutzutage ist das nicht mehr Voraussetzung."
„Weiß Ihr Freund davon?"
„David ist nicht mein Freund. Er ist mein Chef. Und er weiß es. Er erwartet, dass ich das Kind abtreiben lasse. Und bevor ich mein ‚kleines Problem‘ gelöst habe, soll ich mich in der Firma nicht mehr sehen lassen."
„Sie müssen entweder sinnlos betrunken oder bis über beide Ohren verliebt gewesen sein, wenn Sie mit so einem Kerl ins Bett gegangen sind."
„Ich war weder das eine noch das andere. Sie haben eine Möglichkeit ausgelassen - dumm. ‚Dumm‘ trifft es wohl eher."
„Sehr weit sind Sie noch nicht", bemerkte er mit einem Blick auf ihren flachen Bauch. Es war noch nichts zu sehen. Pete wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Bald würde dort, wo sie jetzt flach wie ein Brett war, eine leichte Wölbung zu sehen sein, ihre Brüste würden voller werden, die Haut rosig glänzen. Er konnte sich so gut daran erinnern.
„In der achten Woche. Tut mir leid, Pete, dass ich Sie jetzt auch noch damit belaste. Nach allem, was Sie schon für mich getan haben. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Dieses Kind ist ganz allein mein Problem. Und ich werde schon damit fertig werden."
„Deshalb wollten Sie also zur Ihrer Schwester nach Leadville, ja? Um mit ihr über Ihr ‚kleines Problem‘ zu reden."
Maddy seufzte. „Mary Beth ist die einzige Angehörige, die ich habe. Meinen Vater habe ich jahrelang nicht mehr gesehen. Ich ... ich muss mit ihr reden. Nur sie kann mir im Augenblick weiterhelfen - sie weiß ganz sicher, was jetzt zu tun ist." Maddy wollte umarmt und getröstet werden, und sie wusste, dass sie in dieser Hinsicht bei Mary Beth an der richtigen Adresse war. Außerdem gehörte ihre Schwester zu den Menschen, die auch in den verzwicktesten Situationen in der Lage waren, einen kühlen Kopf zu behalten.
„Das hört sich ja ganz so an, als hätten Sie sich bereits gegen eine Abtreibung entschieden."
„Das würde ich nie im Leben übers Herz bringen."
Maddy sah so unglücklich aus, dass Pete ihr den Arm um die Schulter legte und sie zu ihrem Stuhl zurückführte. Er war nicht der Typ, der einen Menschen trat, der sowieso schon am Boden lag. Und Maddy war am Ende, das sah sogar ein Blinder.
„Setzen Sie sich hin. Ich hole Ihnen ein Glas Milch. Die bekommt Ihnen sicher besser als Saft. Ich mache Ihnen auch eine Scheibe Toast fertig."
„Der Toaster funktioniert doch nicht."
„Ich bin ein alter Pfadfinder. Ich kann jederzeit improvisieren." Und das tat er. Er hielt das Toastbrot über das offene Feuer der Gasflamme und drehte es zu allen Seiten, bis es goldbraun war.
„Danke ...", stammelte Maddy. Seine freundliche Besorgtheit war schwerer zu ertragen als seine schroffe Art. Sie kämpfte nur mit Mühe gegen die Tränen an. Aber sie ahnte, dass Pete Taggart nicht der Mann war, der etwas mit weinenden Frauen anzufangen wusste.
Pete stellte Milch und Toast vor sie auf den Tisch und setzte sich neben sie. „Essen Sie. Sie werden sehen, gleicht geht es Ihnen besser."
„Ich glaube, ich sollte besser von hier verschwinden. Ich ..."
„Nein! Ich kann es nicht ertragen, noch einen ..." Der Schmerz in seinen Augen brachte sie zum Schweigen. „Haben Sie schon nach draußen geguckt?", wechselte er abrupt das Thema. „Es schneit immer noch wie verrückt. Sie werden nirgendwohin gehen, Maddy. Einige Zeit werden Sie es noch hier mit mir aushalten müssen. Gewöhnen Sie sich besser an die Idee."
„Mein Koffer, das Auto ..." Sie hatte sich noch nie im Leben so hilflos gefühlt. Aber immerhin war sie nicht allein. Und dafür war sie dankbar.
„Ich werde eines von den Pferden satteln und versuchen, ob ich Ihren Koffer holen kann. Das Auto muss wohl so lange liegen bleiben, bis Willis es abschleppen kann. Machen Sie sich keine Sorgen. Im Augenblick würde nicht einmal ein Schneepflug bis zu der Stelle vordringen können."
„Sie müssen mich nicht aufheitern." Maddy zwang sich zu einem Lächeln.
Er zwickte ihr in die Nasenspitze und erwiderte ihr Lächeln. „Das würde mir im Traum nicht einfallen, Miss Potter."
Das wird ja immer besser, dachte Maddy, nachdem er aus dem Haus war. Jetzt war sie nicht nur schwanger und unverheiratet, sondern ihr war auch noch übel, und sie steckte zu allem Überfluss in dieser verflucht einsamen Gegend. Außerdem war sie zwei Wochen vor Weihnachten gezwungen, diesen arroganten Rancher zu ertragen, der ihr das Leben gerettet hatte. Aber das Verrückteste war, dass sie anfing, ihn zu mögen.
„Ich glaube nicht, dass Ymir ein Wort ist. Kann es sein, dass Sie es gerade erfunden haben, um mich an der Nase herumzuführen?"
Maddy trug eine bequeme Jeans und ihren weichen Kaschmirpullover. Mit einiger Mühe war es Pete inzwischen gelungen, ihr Gepäck aus dem völlig eingeschneiten Wagen zu holen. Sie lag flach auf dem Bauch vor dem warmen Kamin und sah Pete entschlossen in die Augen. Zwischen ihnen befand sich ein riesiges Scrabble- Spielbrett. „Natürlich ist das ein Wort. Es wird zwar nicht allzu oft gebraucht, aber deshalb ist es trotzdem ein richtiges Wort."
Pete schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann ich nicht so einfach hinnehmen", entgegnete er und griff nach dem Wörterbuch, das sie für alle Fälle bereitgelegt hatten."
Maddy lächelte selbstbewusst. „Tun Sie sich keinen Zwang an. Aber wenn ich recht hatte, bekomme ich so viele Extrapunkte, dass Sie keine Chance mehr haben, mich einzuholen."
Pete studierte das Wörterbuch, während sie den Kopf in die Hand stützte und wie gebannt dem Schauspiel der Flammen zusah.
Es war Petes Vorschlag gewesen, Scrabble zu spielen. Und es hatte ihr Spaß gemacht, ihn zu besiegen. Außerdem war es das erste Mal, dass sie im Licht einer Petroleumlampe und am offenen Kaminfeuer gespielt hatte, da der Generator immer noch nicht funktionierte. Aber das verlieh der Sache erst einen ganz besonderen Reiz.
„Sie haben gewonnen", gab er endlich zu. „Ich kann es immer noch nicht glauben, aber hier steht es schwarz auf weiß. Ymir ist in der nordischen Mythologie der Urriese, aus dessen Körper die Welt erschaffen wurde." Mit diesen Worten knallte er das Wörterbuch zu. „Wie wär's dann jetzt mit einem Kartenspiel?", schlug er vor. „Wir könnten zum Beispiel Strip-Poker spielen. Darin bin ich bedeutend besser."
Maddy lachte fröhlich, als er ihr verschmitzt zuzwinkerte. Und das tat ihr gut, denn sie hatte schon lange nicht mehr gelacht. „Vielleicht ein anderes Mal. Ich habe viel zu viel gegessen. Zum Strippen bin ich viel zu träge."
„Ihre Roastbeefsandwiches waren aber auch wirklich unwiderstehlich."
„Nicht zu vergessen die Hühnersuppe. Im Aufwärmen von Fertiggerichten bin ich einfach unschlagbar."
„Und was machen wir jetzt? Es ist noch zu früh, um ins Bett zu gehen." Obwohl er zugeben musste, dass es zweifellos bedeutend anregender sein würde, mit Maddy Potter ins Bett zu gehen, als sich mit Brettspielen zu vergnügen. Anregend schon, aber mit Sicherheit nicht besonders klug.
Maddy blickte zu der alten Standuhr, die in einer Ecke des Zimmers stand und deren gleichmäßiges Ticken so beruhigend auf sie gewirkt hatte. „Acht Uhr", stellte sie fest. „Das ist selbst für mich zu früh." Sie überlegte einen Augenblick. „Haben Sie Marshmallows im Haus? Ich liebe gebratene Marshmallows und dazu heißen Kakao."
„Warten Sie hier." Pete stand sofort auf. Er war froh über ihre Anregung. Eine kleine Ablenkung war im Augenblick genau das Richtige, da es ihm immer schwerer fiel, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die wachsende Erregung, die Maddy durch ihre bloße Anwesenheit in ihm hervorrief. „Ich habe etwas viel Besseres." Ein paar Minuten später kam er zurück. Auf einem alten Holztablett balancierte er Schokolade, eine Tüte Marshmallows und einige Cracker. „Kakao habe ich leider nicht, aber dafür alles, was man für einen Marshmallowspieß braucht."
„Fantastisch!", rief sie und klatschte begeistert in die Hände. „Ich habe seit meiner Kindheit keine mehr gegessen."
Pete schob den Funkenschutz ein wenig zur Seite und reichte Maddy einen langen eisernen Grillspieß. „Meine Mutter hatte eine Schwäche für Marshmallowspieße. Deshalb hat sie meinen Vater beauftragt, passende Spieße herzustellen. Es waren ihre Marshmallowspieße." Bei der Erinnerung an seine Mutter lächelte er traurig. Sie war vor drei Jahren an Brustkrebs gestorben. Erst Bethany, dann seine Mutter. Alle Frauen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten, waren tot.
Schweigend saßen Pete und Maddy Schulter an Schulter vor dem offenen Feuer und drehten andächtig ihre Spieße. „Die schmecken wirklich unglaublich." Maddy stöhnte genüsslich, als sie herzhaft in ihren ersten gegrillten Marshmallow biss.
Mit dem lustigen Pferdeschwanz und dem zufriedenen Lächeln wirkte sie eher wie ein ausgelassener Teenager, als wie eine Frau von neunundzwanzig Jahren, die ein Kind erwartete.
Als ihr ein wenig von der geschmolzenen Schokolade aufs Kinn tropfte, wischte Pete es vorsichtig mit dem Finger ab.
Seine Berührung reichte aus, um Maddys Herz höher schlagen zu lassen. Dieser Mann hatte eine derart erotische Ausstrahlung, dass ihr heiß und kalt wurde. „Sind Sie schon lange Rancher?", fragte sie, nur um auf andere Gedanken zu kommen.
„Mein Leben lang. Ich wollte nie etwas anderes sein. Ich liebe dieses Leben. Es kam mir sehr entgegen, dass meine beiden Brüder sich zu etwas anderem berufen fühlten. John ist Tierarzt, und Mark ist Chefkoch. Ihm gehört das ‚Sweetheart Inn‘,das Gasthaus, von dem ich Ihnen gesagt habe, dass es kein freies Zimmer mehr hat."
„Ein Chefkoch. Ich stelle es mir ziemlich praktisch vor, immer einen Chefkoch in der Nähe zu haben."
„Mein Bruder ist geschieden. Wenn Sie möchten, mache ich Sie mit ihm bekannt."
„Nein, vielen Dank!" Seine Direktheit irritierte sie. „Ich habe erst einmal von Männern die Nase voll. Außerdem glaube ich kaum, dass es einen Mann gibt, der scharf darauf wäre, sich mit einer schwangeren Frau einzulassen."
„Da irren Sie sich aber gewaltig. In dieser Stadt gibt es nicht viele Frauen zur Auswahl. Ich wüsste eigentlich nur unsere Bibliothekarin, Ella Grady. Sie ist noch Junggesellin. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird. Immerhin ist sie schon vierundsechzig."
Maddy lächelte. „Und was ist mit Ihnen? Sind Sie auch geschieden? Ich erinnere mich, dass Sie sagten, Sie wären verheiratet gewesen."
Pete zögerte. Es sah aus, als könnte er sich nicht entschließen, überhaupt zu antworten. „Verwitwet. Seit vier Jahren."
Der Schmerz in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er immer noch trauerte. Unwillkürlich berührte Maddy seine Hand. „Tut mir leid. Ich wollte nicht neugierig sein."
Pete zuckte die Achseln. „Die Zeit heilt alle Wunden. Sagt man das nicht?" Nur schade, dass es nicht die Wahrheit war.
Sie lächelte wehmütig. „Die Zeit heilt keine Wunden. Ich fürchte, sie lässt sie sogar tiefer werden."
„Aber eine Frau, die ein Kind erwartet, sieht doch wundervollen Zeiten entgegen", erinnerte er sie. „Nur noch sieben Monate, und Sie halten einen Sohn oder eine Tochter im Arm."
„Genau diese Vorstellung macht mir Angst. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, Mutter zu sein, ein Kind großzuziehen. Und wie soll ich arbeiten und mich gleichzeitig um mein Kind kümmern? Wie man sich als alleinerziehende Mutter durchschlägt, hat man uns auf dem College leider nicht beigebracht. Mein Leben lang muss ich jetzt die Verantwortung für einen Menschen tragen. Und ich bin nicht sicher, ob ich dazu in der Lage sein werde."
„Sie haben doch Ihre Schwester. Ich bin sicher, dass sie Ihnen helfen wird."
„Mary Beth und Lyle wünschen sich schon seit Jahren verzweifelt ein Kind, und sie wird nicht schwanger. Ich weiß nicht, wie sie unter diesen Umständen auf meine Schwangerschaft reagieren wird. Es wäre schrecklich, wenn unser Verhältnis darunter leiden würde."
„Haben Sie schon einmal daran gedacht, das Kind bei Ihrer Schwester aufwachsen zu lassen? Dann wären mit einem Schlag alle Probleme vom Tisch. Sie könnten arbeiten, und Ihre Schwester hätte endlich das lang ersehnte Kind."
Maddy strich sich über den Bauch. In ihren Augen bemerkte Pete eine Weichheit, die vorher nicht da gewesen war. „Ich habe darüber nachgedacht. Aber es ist mein Kind. Niemand anders soll es bekommen. Auch nicht meine Schwester. Ich weiß genau, dass sie eine perfekte Mutter wäre, und Lyle ist wirklich ein wundervoller Mann. Das Baby könnte es gar nicht besser haben. Aber ..." Sie schüttelte den Kopf. „Es ist mein Baby. Ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen."
„Ich verstehe Sie sogar sehr gut. Bethany war im sechsten Monat, als sie starb. Ich habe nicht nur meine Frau verloren, sondern auch meinen Sohn. Ich weiß, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren. Glauben Sie mir, ich verstehe Sie besser, als Sie sich vorstellen können." Pete stand still auf, nickte ihr zu und verließ das Zimmer.
Copyright © 2001 by Millie Criswell.
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Autoren-Porträt von Nora Roberts, Millie Criswell, Lisa Jackson, Ginna Gray
Zu ihrem größten Bedauern musste Millie Criswell im zarten Alter von 10 Jahren feststellen, dass sie absolut kein Talent zur Tänzerin hatte. Also schrieb sie - bisher 18 - historische Liebesromane und gewann zahllose hoch dotierte Preise. Dieses ist ihre erste romantische Komödie und ein riesiger Erfolg in den USA. Millie Criswell lebt mit ihrem Mann seit 31 Jahren in Virginia. Ihre beiden Söhne - Rechtsanwälte - sind erwachsen und haben sie mit einem neurotischen Terrier ihrem Schicksal überlassen.Lisa Jackson zählt zu den amerikanischen Top-Autorinnen, deren Romane regelmäßig die Bestsellerlisten der "New York Times", der "USA Today" und der "Publishers Weekly" erobern. Ihre Hochspannungsthriller wurden in 25 Länder verkauft. Auch in Deutschland hat sie erfolgreich den Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft. Lisa Jackson lebt in Oregon.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Nora Roberts , Millie Criswell , Lisa Jackson , Ginna Gray
- 2013, 1., Aufl., 636 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Mitarbeit: Roberts, Nora; Criswell, Millie; Jackson, Lisa; Übersetzung: Schmidt, Christiane; Bulka, Ingrid; Andreadou, Irene
- Übersetzer: Christiane Schmidt, Ingrid Bulka, Irene Andreadou, Cecilia Scheller
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862788490
- ISBN-13: 9783862788491
- Erscheinungsdatum: 01.12.2013
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