Zwischen Verrat und Verlangen. Und das Herz schweigt
2 Romane in einem Band. Deutsche Erstausgabe
- Zwischen Verrat und Verlangen: Hatte Cassie Colton damals wirklich mit einer Lüge in eine Ehefalle locken wollen? Inzwischen zweifelt er daran.
- Und das Herz schweigt: Plötzlich steht Maras...
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Produktinformationen zu „Zwischen Verrat und Verlangen. Und das Herz schweigt “
- Zwischen Verrat und Verlangen: Hatte Cassie Colton damals wirklich mit einer Lüge in eine Ehefalle locken wollen? Inzwischen zweifelt er daran.
- Und das Herz schweigt: Plötzlich steht Maras große Liebe Shane wieder vor ihr. Der Mann, der vor vier Jahren bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen sein soll.
Klappentext zu „Zwischen Verrat und Verlangen. Und das Herz schweigt “
1. Hatte Cassie ihn damals wirklich mit einer Lüge in die Ehefalle locken wollen? Inzwischen zweifelt Colton daran. Aber ohne jeden Zweifel liebt er Cassie immer noch. Diesmal gibt es beinahe ein Happy End bis eines Nachts Coltons wertvollster Zuchthengst verschwindet. Wer hat Black Magic gestohlen? Die Spur führt zu dem hoch verschuldeten Rancher, dessen Land an Coltons grenzt: zu Cassies Vater!2. Mara fällt fast in Ohnmacht, als Shane Kennedy ihr Büro betritt. Ihre einzige große Liebe. Der warmherzige Mann, der vor vier Jahren bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen sein soll, steht plötzlich äußerst lebendig vor ihr. Nach wie vor umwerfend attraktiv gibt er sich jetzt kühl und unnahbar. Warum hat er sich nie gemeldet? Was ist vor vier Jahren in Belfast wirklich geschehen?
Lese-Probe zu „Zwischen Verrat und Verlangen. Und das Herz schweigt “
Zwischen Verrat und Verlangen von Lisa JacksonÜbersetzung von Sonja Sajlo-Lucich
1. KAPITEL
„Zur Hölle, verdammt!" Laut fluchend trat Colton McLean gegen den Strohballen und schlug die Stalltür mit solcher Wucht zu, dass die Holzwände bebten. Die Pferde schnaubten erschreckt. „Wo ist Black Magic?" Auf dem Absatz wirbelte er zu Curtis Kramer herum, dem Vorarbeiter der Ranch.
„Weg."
„Da sehe ich selbst."
Curtis rieb sich über die grauen Bartstoppeln am Kinn. „Hab schon auf allen Koppeln nachgeschaut. Auf der Südweide auch."
„Was ist mit den anderen Ställen? Hat ihn jemand vielleicht falsch untergestellt?"
Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte der Ältere den Kopf. „Auch nicht. Len hat sämtliche Schuppen und Boxen überprüft. Black Magic ist nirgends zu finden."
„Er kann doch nicht einfach spurlos verschwinden!" Colton marschierte zum Stall hinaus, ohne auf das rastlose Scharren der Hengste zu achten. Black Magic war der wertvollste Besitz der McLean-Ranch - und das Pferd schien sich in Luft aufgelöst zu haben. „Ich wusste es", murmelte er vor sich hin. „Ich hätte niemals zustimmen sollen, hierzubleiben." Er war Denver, seinem älteren Bruder, und Tessa, seiner Schwägerin, im Moment nicht besonders wohlgesonnen. Die beiden waren vor drei Wochen aus Montana abgefahren, um „noch ein paar letzte Dinge zu regeln". Denver war nämlich dabei, die Baufirma von L. A. ins nahe gelegene Städtchen Three Falls zu verlegen. Eigentlich kümmerte Coltons Bruder sich auch um die Ranch - er selbst wollte mit all dem nichts zu tun haben.
... mehr
Die Nacht war genauso düster wie Coltons Laune. Dicke Regentropfen prasselten unablässig aus dem weiten Himmel über Montana, überfluteten das Gras und verwandelten den Boden in Schlamm.
Curtis musste rennen, um mit Coltons ausholenden Schritten mithalten zu können. „Also, wenn du mich fragst", schnaufte er, „dann steckt Ivan Aldridge dahinter."
Der Name des Erzfeindes ließ Colton herumschwingen. „Aldridge? Was hat der denn damit zu tun?"
„Ich verwette mein letztes Hemd, er hat Black Magic gestohlen."
„Blödsinn!"
Curtis reckte das Kinn. „Genau wie er den Hengst im letzten Frühjahr gestohlen hat, unter Garantie!"
„Im letzten Frühjahr? Wovon, zum Teufel, redest du da?"
„Hat dir niemand davon erzählt?"
Colton riss der Geduldsfaden. Ihm war kalt, er war bis auf die Haut durchnässt, und das Letzte, wozu er Lust hatte, war, weiter im strömenden Regen zu stehen und über Ivan Aldridge zu sprechen. „Letztes Jahr hatte keiner einen Schimmer, wo ich war", erinnerte er den Alten.
„Nun, während du dich in Nordirland hast zusammenschießen lassen, ist Black Magic fast zwei Wochen wie vom Erdboden verschluckt gewesen."
Colton wollte nicht an Nordirland denken. Vor sechs Monaten hatte sich dort jemand - er wusste nicht einmal, wer - von den Schnappschüssen, die Colton mit seiner Kamera in einem Pub gemacht hatte, so angegriffen gefühlt, dass er eine Waffe hervorgeholt und auf ihn geschossen hatte. Colton konnte von Glück sagen, dass er überlebt hat. „Der Hengst ist letztes Frühjahr ausgerissen?"
„Ich glaube, jemand hat ihm dabei geholfen. Natürlich ist es nicht zu beweisen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Ivan Aldridge sich den Hengst geholt hat, damit dieser seine Stuten deckt. Und dann hat er ihn wieder laufen lassen, bevor ihm jemand auf die Schliche kommen konnte."
„Das ist ja verrückt."
„Sicher, das haben letztes Jahr alle zu mir gesagt. Und als der Hengst wieder auftauchte, ist jeder an seine Arbeit zurückgegangen und hat bequemerweise alles vergessen. Keiner hat weiter nachgeforscht. Die Versicherung war heilfroh, genau wie wir anderen auch."
„Und wie ist Ivan Aldrigde jetzt darin verwickelt?"
„Der alte Ivan hat versprochen, sich zu revanchieren."
Colton runzelte die Stirn. Er wusste besser als jeder andere, wie tief Ivan Aldridges Hass saß. „Unsinn, das Pferd wurde nicht gestohlen. Und was diese alte Fehde betrifft ... Zerren wir sie nicht wieder ans Tageslicht, okay?" Es ärgerte ihn, dass allein der Name Ivan Aldridge die Erinnerungen an Cassie wachrief. Erinnerungen, die er sich geschworen hatte, ein für allemal zu begraben.
„Wenn du meinst." Curtis kramte nach seinen Zigaretten. „Schließlich muss ich nicht den Kopf dafür hinhalten. Doch wenn Denver herausfindet, dass der wertvollste Zuchthengst in ganz Montana vermisst wird, bricht die Hölle los."
„Vermutlich hätte er mir nie die Leitung überlassen sollen."
„Vermutlich hättest du nicht annehmen sollen."
„Erinnere mich bloß nicht daran!", stieß Colton aus. Er brauchte dringend einen Drink. Einen heißen Drink. Irish Coffee.
Die Hand schützend vor das Streichholz haltend, zündete Curtis sich eine Zigarette an. „Du bist der Boss." Er zupfte sich einen Tabakkrümel von der Lippe. „Aber ich an deiner Stelle würde mich von meinen Gefühlen für Ivans Tochter nicht irritieren lassen."
Drohend machte Colton einen Schritt auf den Alten zu. „Ich habe keine Gefühle für Cassie Aldrigde."
Curtis zuckte nur die Achseln. „Vor acht Jahren ..."
„Acht Jahre sind eine lange Zeit", fiel Colton ihm ins Wort.
„Schon gut, schon gut! Vergiss Cassie."
„Habe ich längst." Eine Lüge.
„Also - was tun wir jetzt wegen Black Magic?"
„Wir finden ihn!" Colton rieb sich den Nacken. Die Haut war nass. „Wir teilen uns auf und suchen jede Weide ab. Len und Daniel übernehmen die westlichen Koppeln, du gehst nach Süden, und ich sehe im Norden nach."
„Einverstanden. Überprüf das Grenzgebiet zum Aldridge-Land auf jeden Fall gründlich!"
„Werde ich", erwiderte Colton nickend, kletterte in seinen Jeep und lenkte den Wagen Richtung Norden. Er würde sich jeden Meter Zaun und jeden Quadratmeter des nördlichen Gebiets anschauen, wenn auch nur, um zu beweisen, dass Curtis falsch lag. Er und Curtis hatten ein, vorsichtig ausgedrückt, gespanntes Verhältnis zueinander. Jahrelang war Colton überzeugt gewesen, dass Curtis für das Feuer verantwortlich war, in dem seine Eltern umgekommen waren. Letztendlich hatte sich herausgestellt, dass er sich irrte.
In den letzten Monaten jedenfalls hatte er herausgefunden, wie viel Curtis vom Ranching verstand. Der alte Mann hatte dem Alkohol abgeschworen und war ebenso zuverlässig wie grundehrlich - und Denvers Schwiegervater.
Da Denver allerdings im Moment in Kalifornien war, mussten sie zusammenarbeiten, zumindest noch für ein paar Wochen. Aber sobald die Wunde an seiner Schulter, die er sich bei dem Auftrag in Nordirland zugezogen hatte, wieder verheilt war, würde er seine Sachen packen. Colton konnte nicht schnell genug aus Three Falls, Montana, abhauen. Sobald der Doktor grünes Licht gab, würde ihn in dem Land mit dem weiten blauen Himmel niemand mehr zu Gesicht bekommen.
Zwei Stunden später hatte Colton noch immer keine Spur von dem Pferd entdeckt. In seiner Schulter pochte es schmerzhaft, und er hatte Muskelkrämpfe von der Kälte. Wütend über Black Magic im Besonderen und die Welt im Allgemeinen, starrte er durch die Windschutzscheibe, an der die Regentropfen in breiten Rinnsalen herabliefen.
„Das hat man davon, wenn man sich von seinem Bruder überreden lässt, noch eine Weile zu bleiben", murmelte er missmutig vor sich hin. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Die eigenen grauen Augen blitzten ihn an, bevor er sich wieder auf den durchweichten Feldweg vor sich konzentrierte. „Verdammter Gaul!"
Er riss das Lenkrad herum und fuhr den Zaun ab. Vielleicht hatte er Glück und fand Black Magic. Vielleicht aber auch nicht. Der chronische Schmerz in seiner Schulter rief ihm ins Gedächtnis, dass seine Glückssträhne vor sechs Monaten geendet hatte.
Die Scheibenwischer arbeiteten unermüdlich gegen den Regen an. Colton nahm den Fuß vom Gas und ließ den Blick prüfend über den durchhängenden Zaun gleiten. Bei dem kleinen Eichenwäldchen im äußersten nordöstlichen Winkel des McLean-Landes hielt er an. Auf der anderen Seite schlängelte sich ein Fluss, der Sage, durch Aldridge-Land.
Colton war kurz davor gewesen, aufzugeben, doch jetzt galt seine ganze Aufmerksamkeit dem klaffenden Loch zwischen den beiden Pfosten.
Finster dreinschauend zog er die Handbremse an, ließ den Motor laufen und stieg aus. Mit den Stiefeln versank er bis zu den Knöcheln im Matsch. Trotzdem ließ er den Zaun keine Sekunde aus den Augen - oder von dem was davon noch übrig war.
Ja, der Zaun war zerschnitten, alle vier Spanndrähte waren fein säuberlich durchtrennt worden. Der rostige Draht hing durch, bot genügend Platz für ein Pferd, sogar für eine ganze Herde, um auf das Land zwischen Zaun und Fluss zu wechseln.
Colton fasste nach einem der Enden; ein Büschel dunkler Haare hing daran, wahrscheinlich von Black Magics Schweif. Colton fluchte. Wind und Regen schlugen ihm ins bärtige Gesicht. „Der verfluchte Mistk..."
Donner grollte über den Hügeln.
Mit seiner Taschenlampe leuchtete Colton den Boden ab. Hufspuren und Stiefelabdrücke waren deutlich in der aufgeweichten Erde zu erkennen. Ein Zigarettenstummel war achtlos auf die Steine am Flussufer geschleudert worden. Tiefe Reifenspuren folgten dem gewundenen Flusslauf. Angeschwollen vom Frühlingsregen rauschte der Sage wie ein silbernes Band durch das Weideland, so wild und laut, dass das nächste Donnergrollen kaum zu hören war.
Düster starrte Colton auf die gurgelnden Wassermassen. Der Sage war so etwas wie eine natürliche Grenze zwischen der McLean-Ranch und dem Aldridge-Land, tief und breit wie die Fehde, die seit fast einer Generation zwischen den beiden Familien schwelte.
Also hatte Curtis doch recht gehabt. Black Magic war nicht ausgerissen, er war gestohlen worden! Schon wieder. Und diesmal direkt unter seiner Nase. Gott weiß wohin gebracht mit einem Transporter, der auf Aldrigde-Land gewartet hatte.
Er hatte alle Beweise, die er brauchte. Mit energischen Schritten marschierte er zu seinem Jeep zurück. Den Regen, der ihm am Nacken hinunter in den Kragen lief, ignorierte er ebenso wie den stechenden Schmerz in seiner Schulter, als er die Wagentür kraftvoll öffnete und einstieg.
Das Getriebe protestierte, als er mit Wucht den Gang einlegte. Wütend schaute er durch die Windschutzscheibe auf ein Wäldchen aus Eichen und Fichten. Dahinter lag das Aldrigde-Haus. Das Haus, in dem Cassie lebte.
Coltons Finger umschlossen den Schaltknüppel fester, da Cassies Bild vor seinem inneren Auge auftauchte. Unwirsch verdrängte er die Vision. Acht Jahre war es her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, und wenn es nach ihm ginge, würde es dabei bleiben. Nie wieder würde er in ihr strahlendes Gesicht schauen, ihr nie wieder über ihr schimmerndes schwarzes Haar streichen.
Er trat das Gaspedal durch und lenkte den Jeep Richtung Aldridge-Ranch. Hoffentlich war Ivan zu Hause. Wenn er die Wahrheit aus ihm herausholen wollte, bot der heutige Abend eine ebenso gute Gelegenheit wie jeder andere auch.
Cassie stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Durch das Badezimmerfenster konnte sie Erasmus hören, den alten Collie ihres Vaters. Er bellte und knurrte laut genug, um Tote aufzuwecken.
„Ich komme ja schon!", rief sie. „Immer langsam mit den jungen Pferden!" Sie murmelte etwas über Erasmus beklagenswerten Mangel an Intelligenz in sich hinein, riss ihren Lieblingsbademantel vom Haken an der Tür und schlüpfte hinein.
Sie war zum Umfallen müde. Zwölf lange Stunden war sie auf der Lassiter-Ranch gewesen und hatte versucht, das Milchfieber bei George Lassiters Färsen einzudämmen. Zwei Tiere hatten es geschafft, drei waren verendet. Veterinärmedizin ist definitiv nichts für zarte Gemüter, dachte sie und zurrte den Gürtel fest um ihre Taille.
Über den ausgetretenen roten Läufer eilte sie die Treppe hinunter. Draußen überschlug Erasmus sich regelrecht. Bellend und knurrend lief der alte Hund über die Veranda hin und her und kratzte immer wieder an der Tür.
„Was ist denn mit dir los?" Kaum dass Cassie die Tür aufzog, raste der Hund mit aufgestelltem Nackenfell an ihr vorbei, schlitterte um die Ecke und verschwand in der Küche. „Was, zum Teufel ...?"
„Aus!", befahl eine raue männliche Stimme. Es kam aus dem Innern des Hauses.
Cassie erstarrte.
Erasmus verstummte.
„Elender Kläffer", brummte der Mann.
Cassies Herz hämmerte hart gegen ihre Rippen. Wer war in der Küche? Ihre Kehle war staubtrocken, als sie sich leise über den abgewetzten Teppich ins Wohnzimmer und an den Waffenschrank ihres Vaters schlich. Beim Klicken des Schlosses zuckte sie zusammen. Schnell nahm sie ihre alte 22er heraus. Die Flinte war zwar nicht geladen, aber das wusste der Eindringling, wer immer es war, ja nicht.
Kannte Erasmus den Mann etwa? überlegte sie angespannt. Es beunruhigte sie, dass der Hund dem Kommando sofort gehorcht hatte. Sie hob das Gewehr an, klammerte die Finger fest um Lauf und Griff. Barfuß tappte sie leise zur Küche. Die Waffe im Anschlag, trat sie ins Licht.
„Was geht hier vor?", setzte sie an und erstarrte mitten in der Bewegung. Fast wäre ihr die Flinte aus den Händen gerutscht.
Colton McLean! Hier in ihrer Küche! Ausgerechnet der eine Mensch, den sie mit Inbrunst verabscheute. In voller Lebensgröße, den nassen Stetson tief in die Stirn gezogen, saß er rittlings auf einem der alten Stühle aus Ahornholz und kraulte Erasmus die Ohren, und der charakterlose Hund winselte vor Vergnügen.
Sein eiskalter Blick traf auf ihren. „Cassie", erwiderte er träge. „Ist lange her."
2. KAPITEL
Cassie stockte der Atem. „Was tust du denn hier?"
„Warten." Colton schob sich den Stetson in den Nacken und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
„Worauf?"
„Auf deinen Vater."
„Der ist nicht hier."
Er zuckte nur mit den Schultern, kniff die Augen noch weiter zusammen und wirkte damit noch grimmiger. Sein Gesicht war markanter, als sie es in Erinnerung hatte. Er hatte sich einen Vollbart wachsen lassen; seine Züge waren mit den Jahren ausgeprägter, männlicher geworden. Die durchweichte Jeansjacke spannte über seinen breiten Schultern. Jetzt blickte er auf das Gewehr. Der Lauf blitzte bläulich im Licht der einzelnen Glühbirne, die von der Decke herunterhing.
„Was hast du jetzt vor, Cassie? Willst du mich erschießen?"
„Habe ich noch nicht entschieden." Immerhin senkte sie den Lauf.
„Man hat mich schon öfter als Zielscheibe benutzt."
Sie dachte an die Gerüchte über die Schießerei in Nordirland. Angeblich konnte man von Glück reden, dass er dabei nicht umgekommen war. „Wie bist du reingekommen?"
„Die Tür war nicht abgeschlossen."
„Und deshalb schlenderst du also einfach ins Haus und machst es dir gemütlich?"
„Glaub mir, Cassie, gemütlich habe ich es nicht."
„Du hattest kein Recht ..."
„Vermutlich nicht." Sein Blick glitt von Kopf bis Fuß über sie, bis er auf ihrem Gesicht innehielt. Plötzlich kam Cassie sich nackt vor.
Mehrere Sekunden vergingen, bevor sie ihre Stimme wiederfand. Sie hatte feuchte Hände. Colton McLean war wirklich der letzte Mensch, den sie in ihrer Küche zu finden erwartet hatte. Seit sechs Monaten war er wieder in Montana, hatte aber sehr zurückgezogen gelebt. Wollte man dem Klatsch, der in der Stadt kursierte, glauben, so sah man ihn nicht oft. Cassie selbst war ihm bisher kein einziges Mal begegnet. „Du hältst scheinbar nicht viel von Anklopfen, oder?"
Er sah zur Tür und dem offen stehenden Fliegengitter. „Und du hältst offensichtlich nichts davon, abzuschließen."
„Dad hat seinen Schlüssel verloren und ... Ist auch egal."
„Ich habe geklopft. Zweimal sogar."
„Ich war unter der ..."
„Ich kann sehen, wo du warst. Außerdem habe ich das Wasser rauschen hören."
Jäh wurde sie sich ihres Aufzugs bewusst. Ihr Haar war noch nass, ihre Haut erhitzt und ihr nackter Körper nur von einem alten Bademantel bedeckt. Sie umfasste die Flinte fester. Angst hatte sie vor Colton McLean nicht, nicht wirklich, doch ihn hier vor sich zu sehen, brachte zu viele Erinnerungen zurück - gefährliche Erinnerungen. An eine Affäre, die sie lieber vergessen wollte.
„Du wusstest, dass ich oben unter der Dusche stand? Und bist trotzdem reingekommen?"
„Ich hab das Wasser rauschen gehört, mehr nicht."
„Du hast wirklich Nerven!"
Seufzend rieb er sich das Kinn. „Wann kommt Ivan zurück?"
„Weiß ich nicht. Aber du kannst hier nicht auf ihn warten."
„Wieso nicht?"
„Dreimal darfst du raten." Ihr Temperament flammte auf.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung", behauptete er.
„Dann denk nach!" Die Überraschung, die sie überwältigt hatte, als sie Colton tropfnass in ihrer Küche vorfand, offensichtlich gewappnet für eine Schlacht, machte Platz für Ärger. Acht Jahre war es her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte! Acht Jahre, seit er zur Tür genau dieses Hauses hinausmarschiert war! Und jetzt wagte er es, sich auf einem ihrer Küchenstühle niederzulassen, als wäre er hier zu Hause?
„Warum gibst du mir nicht einen Tipp?", fragte er lässig.
„Weil ich dich hier nicht haben will, deshalb! Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, ich will nur noch mit einem guten Buch ins Bett."
„Lass dich von mir nicht aufhalten", meinte er ungerührt.
„Ich bin nicht in Stimmung für Spielchen, Colton."
„Ich auch nicht."
„Ich richte Dad aus, dass du hier warst. Er wird dich anrufen."
„Oh ja, sicher wird er das!"
Sie hob eine Augenbraue. „Hat dir noch niemand gesagt, dass man Frauen, die ein Gewehr in der Hand halten, nicht provozieren sollte?"
Er lachte, ein trockener Laut, der schon fast vergessene Bilder an einen warmen Sommer und eine junge Liebe wiederauferstehen ließ. „Ich weiß noch, wie gut du mit einer Waffe umgehen kannst, Cassie. Du triffst nicht einmal die Scheunenwand direkt vor dir."
„Ich bin erheblich besser geworden."
Er zog eine Augenbraue in die Höhe, seine Augen blitzten. „Tatsächlich?" Seine Stimme war leise, nahezu verführerisch.
„Raus, Colton!"
„Du weißt ja nicht einmal, weshalb ich gekommen bin."
„Interessiert mich auch nicht."
„Nein? Selbst dann nicht, wenn ich dir sage, dass Black Magic verschwunden ist?"
„Black Magic?"
„Hast du von ihm gehört?"
„Sicher habe ich von ihm gehört - genau wie der Rest des ganzen Landes." Natürlich erinnerte sie sich an den pechschwarzen Hengst mit der gezackten weißen Blesse. „Letztes Jahr habe ich ihn einmal behandelt."
„Ach ja, richtig, du bist ja jetzt Tierärztin." Er verzog spöttisch die Lippen.
„Und du bist ein berühmter Fotoreporter, richtig?", konterte sie verärgert. Es gab nicht den geringsten Grund für ihn, sich über ihre Karriere lustig zu machen. Er hatte sie schließlich mit einem Scherbenhaufen zurückgelassen. Und sie hatte sich zusammengenommen und wieder aufgerappelt. Allein. „Was treibst du überhaupt hier?"
„Oh, ich schlage einfach Zeit tot." Unentwegt hielt er den Blick auf sie gerichtet.
Sie stellte die Flinte gegen die Wand und lächelte leicht.
Genauestens verfolgte Colton jede ihrer Bewegungen. „Ich wollte Ivan nur ein paar Fragen stellen."
„Über Black Magic?"
„Ja."
Cassie runzelte die Stirn. „Du glaubst, Dad könnte wissen, wo dein Pferd ist?"
„Denvers Pferd", korrigierte er.
„Ach ja. Du hast ja nichts fürs Ranching übrig, stimmt's?"
„Stimmt, noch nie gehabt."
„Denver anfangs auch nicht. Er jedoch hat sich geändert", erwiderte sie scharf. Doch auch die kleinste Hoffnung, Colton könnte mit den Jahren vielleicht nachgiebiger geworden sein, erlosch, als sie bemerkte, wie sein Gesicht erstarrte.
„In dieser Beziehung werde ich mich nie ändern." Aus stahlgrauen Augen musterte er sie, dann wanderte sein Blick wieder unstet umher. Er musterte die Wände, die dringend einen frischen Anstrich vertragen könnten, die abgenutzten Möbel, den ausgetretenen Fußboden und die rußigen Töpfe, die von den Trägerbalken hingen. Ihn umgab eine rastlose Aura, eine Schroffheit, an die sie sich nicht erinnerte.
„Wieso bist du gekommen und nicht dein Bruder?", fragte sie schließlich.
„Denver und seine Frau sind in Los Angeles."
Richtig. Jetzt fiel ihr wieder ein, was sie während ihrer Arbeit als Tierärztin auf den umliegenden Ranches aufgeschnappt hatte. Denver und Tessa würden noch für ein paar Wochen weg sein. „Und jetzt sitzt du auf der Ranch fest." Sie konnte es sich nicht verkneifen, ein wenig zu sticheln. „Wobei du es prompt geschafft hast, den wertvollsten Hengst weit und breit zu verlieren."
„Ich habe ihn nicht verloren. Er wurde gestohlen."
Mit einem Mal wurde ihr klar, wieso er in ihrer Küche saß. Als sie ihre Stimme wiederfand, kamen die Worte dennoch nur wie ein Flüstern über ihre Lippen. „Du willst doch nicht etwa andeuten, Dad hätte etwas mit Black Magics Verschwinden zu tun? Denn sollte das der Fall sein, kannst du deinen niederträchtigen Hintern gleich wieder hinausschwingen!"
Er rührte sich nicht.
Cassie ging auf ihn zu. „Dad würde niemals ..."
„Er hat so was angedroht."
Sie verzog abfällig die Lippen. „Das war vor langer Zeit, Colton."
„Fehden haben die Unart, lange zu schwelen. Und dann flammen sie auf, wenn man am wenigsten damit rechnet."
„Nicht diese!" Sie stach mit dem Zeigefinger in seine Brust. Seine Muskeln waren steinhart. „Sieh zu, dass du hier rauskommst! Steig in was auch immer du da draußen geparkt hast und sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor ich dich erwürge!"
„Starke Worte, Cass", frotzelte er.
„Starke Anschuldigungen, Colt!"
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Du hast dich verändert."
„Gott sei Dank!"
Sein Blick glitt zu ihrem Dekolleté. „In manchen Dingen jedoch bist du noch immer dieselbe ..."
„Geh, Colton!"
„Erst, wenn ich mit Ivan gesprochen habe." Er blieb aufreibend ruhig.
„Gut möglich, dass er heute nicht mehr zurückkommt."
„Vielleicht hab ich ja Glück."
„Du kannst nicht hierbleiben!"
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Eine Welle von altbekannten Gefühlen durchflutete Cassie. Sie hasste ihn, hasste allein seinen Anblick. Zumindest hatte sie sich das die letzten acht Jahre eingeredet. „Dad will dich hier nicht sehen. Hast du das etwa vergessen?"
„Wie könnte ich?" Er kniff die Augen zusammen.
„Dann verschwinde endlich, und zwar schnell, oder ich rufe beim Sheriff an!"
„Mach nur." Mit einem herausfordernden Grinsen deutete er zum Telefon. „Ich kenne Deputy Mark Gowan. Vermutlich hast du auch schon von ihm gehört."
Hatte sie. Mark war einer der besten Mitarbeiter, den der Sheriff hatte.
„Ruf ihn nur an! Wenn Gowan hier ist, werde ich ihm die Sache mit Black Magic schildern - und ihn wissen lassen, dass der Zaun zwischen deinem und meinem Land durchgeschnitten worden ist. Und dann werde ich jede einzelne Drohung wiederholen, die Ivan gegen die McLeans ausgestoßen hat."
Cassie wurde blass.
„Und sollte das noch nicht reichen, gehe ich damit an die Presse. Ich habe die besten Verbindungen. Du weißt schon - so was ergibt sich nun mal aus dem Job."
„Mistkerl!"
Colton zuckte leicht zusammen.
„Das würdest du nicht tun!", zischte sie. „Du würdest dich nur lächerlich machen."
„Und dein Vater würde als Krimineller dastehen", knurrte er.
Er bluffte nur, das wusste sie! Er konnte es sich nicht leisten, noch einen Skandal heraufzubeschwören, in den der Name McLean verwickelt war. Nicht nach dem letzten Mal, als John McLean Cassies Mutter verführt hatte! Sie griff nach dem Telefon, doch Colton fing ihr Handgelenk ab. Der Hörer glitt ihr aus den Fingern.
„Es wäre wesentlich unkomplizierter, wenn du mir erlauben würdest, mich ein wenig umzusehen."
Er hielt sie fest, seine Berührung brannte auf ihrer Haut. „Dad hat in seinem ganzen Leben noch nichts gestohlen!"
„Dann beweise es."
Vernichtend starrte sie ihn an. Wozu sollte sie erklären? Seine Miene besagte deutlich, dass er das Urteil über ihren Vater längst gefällt hatte. Genau wie er sie damals vor Jahren verurteilt hatte. „Lass mich los, Colton!"
Tat er nicht.
Also versuchte sie es auf andere Art. „Das ist doch schon einmal passiert, oder? Letztes Jahr. Milly Samms, Denvers Haushälterin, hat mir davon erzählt. Der Hengst war verschwunden, und dann ist er wieder aufgetaucht. Hier wiederholt sich wahrscheinlich der gleiche Fehler."
„Das ist kein Fehler, Cassie. Irgendjemand hat sich Black Magic geholt, und ich will wissen, wer." Sein Griff wurde fester, seine warmen Fingerspitzen auf ihrer Haut stellten unmögliche Dinge mit ihrem Puls an. Vergeblich versuchte sie, ihre Hand zurückzuziehen, doch er gab sie nicht frei. „Komm schon, Cassie! Das ist deine Chance, mir zu beweisen, wie sehr ich mich irre."
„Einer eurer Stallburschen hat nicht aufgepasst", funkelte sie ihn an.
Er ließ ihre Hand los. „Dann hast du sicherlich nichts dagegen, wenn ich einen Blick in eure Ställe und Scheunen werfe."
„Bist du verrückt? Ich lasse dich doch nicht mitten in der Nacht hier herumschnüffeln und alle Tiere aufschrecken!"
„Sobald ich mich überzeugen konnte, gehe ich wieder."
Sie war hin- und hergerissen. Natürlich wollte sie, dass er endlich verschwand, und die Möglichkeit, ihm zu zeigen, wie falsch er lag, war verlockend. Andererseits ... „Also gut. Aber das wird nicht die ganze Nacht dauern. Wir kontrollieren die Ställe, und das war's."
Er nickte.
„Ich brauche ein paar Minuten, um mich anzuziehen."
„Erspar dir die unnötige Mühe. Ich kenne mich hier aus ..."
„Kommt nicht infrage!", fiel sie ihm ins Wort. „Du kannst nicht mit lächerlichen Anschuldigungen hereinschneien und dann damit anfangen, die Ranch auseinanderzunehmen! Dein Hengst ist wahrscheinlich einfach ausgerissen. Ich lasse nicht zu, dass du hier alles auf den Kopf stellst! Wenn du wirklich vermutest, dass Black Magic gestohlen wurde, solltest du besser zum Sheriff gehen - und wenn du das nicht willst, dann gib mir fünf Minuten, damit ich mich anziehen kann."
Ein einnehmendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wenn du unbedingt willst ..."
Wutentbrannt stapfte sie aus dem Zimmer und nahm zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf. Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, während sie sich erst das Haar zusammenband und dann eine Jeans aus dem Schrank zerrte. Sie glaubte keine Sekunde lang, dass Black Magic gestohlen worden war. Und der zerschnittene Zaun ... das war purer Zufall. Vermutlich hatte jemand tagsüber daran gearbeitet, um das rostige Ding zu reparieren. Sobald sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, würde sich die Sache aufklären, und dann würde Colton McLean in Sack und Asche wieder abziehen müssen!
Diese Aussicht zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie zog einen naturfarbenen Pullover über den Kopf und eilte zurück in die Küche.
Colton lehnte am Türrahmen, einen Fuß auf den Stuhl gestützt. Voller Ungeduld starrte er hinaus in den strömenden Regen. Er war reifer geworden in den vergangenen acht Jahren. Das Leben als Fotojournalist, der Aufnahmen in Kriegsgebieten machte und Unruhen in fremden Ländern mit seinen Bildern einfing, hatte jede Spur von Jungenhaftigkeit aus seinen Zügen vertrieben. An den Schläfen entdeckte sie die ersten grauen Strähnen in seinem kaffeebraunen Haar, und um seine Augenwinkel hatten sich feine Linien eingegraben.
„Von hier aus wirst du sicher nichts erkennen", sagte Cassie.
Er drehte sich zu ihr um, und für einen Moment sah sie wieder den attraktiven, charmanten und herzlichen Colton McLean vor sich, der er damals gewesen war. Sie erinnerte sich an das einnehmende Grinsen, das sich so oft auf seinem gebräunten Gesicht ausgebreitet hatte, an sein aufbrausendes Temperament, an seine düstere, gefährliche Seite. Aber vor allem erinnerte sie sich daran, wie liebenswürdig er gewesen war ... Bevor sie Colton kennenlernte, hatte Cassie natürlich auch für andere Jungs geschwärmt - ihn aber hatte sie geliebt, mit der ganzen Macht ihres jungen naiven Herzens, seit ihrem vierzehnten Lebensjahr. Doch das war lange her.
„Gehen wir", brummte er.
Wortlos schob sie sich an ihm vorbei. Sie riss ihre Jacke vom Hacken, nahm die Taschenlampe aus dem Schrank und schlüpfte in ihre Stiefel.
Draußen schlug ihr der Wind ins Gesicht. Regentropfen liefen ihr in den Kragen und rannen den Rücken hinunter. Das Licht der Taschenlampe auf den Boden gerichtet, musste sie fast rennen, um mit Coltons ausholenden Schritten mithalten zu können.
„Reg bloß die Pferde nicht auf!", warnte sie ihn.
„Würde mir im Traum nicht einfallen."
„Gut." Sie legte die Hand auf die Türklinke. „Einige der Stuten fohlen bald. Ich will nicht, dass sie gestört werden."
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Deine Stuten interessieren mich nicht. Ich will nur Black Magic finden."
„Dann mach dich auf eine Enttäuschung gefasst."
„Wäre ja nicht das erste Mal", sagte er und sah ihr in die Augen. Für einen Augenblick zögerte sie, verloren in seinem Blick. Ihre Kehle zog sich zusammen, plötzlich kratzte es dort.
Sie schüttelte sich leicht, nahm sich zusammen und trat in den Stall. Der vertraute Geruch von geöltem Leder, warmen Tieren und Stroh hing in der Luft. Cassie drehte den Lichtschalter.
Spinnweben hingen von den Balken herunter, die Fensterscheiben waren blind vor Staub. Die Pferde schnaubten und tänzelten auf dem Stroh, das in den Boxen ausgestreut lag. Sie streckten ihre großen dunklen Köpfe neugierig über die Türen, einige Tiere wieherten, als sie Cassie erkannten.
„Ist schon in Ordnung", murmelte sie beruhigend und streichelte die samtweichen Nüstern, die sich ihr entgegenreckten.
Colton ließ den Blick prüfend über die Boxen gleiten, nahm jedes Detail in sich auf. Die Stuten mit den gewölbten Leibern, die nervös tänzelnden Hengste. Ein Grauer mit wildem Blick stieg drohend auf die Hinterbeine und schüttelte zornig die Mähne, als Coltons unbekannter Geruch an seine Nüstern wehte. „Netter Kerl", bemerkte Colton trocken.
„Genau wie du", gab Cassie zurück.
Coltons Stiefelabsätze klackten laut auf dem Betonboden. „Black Magic ist nicht hier", murmelte er. Seine Miene war verschlossen.
Zu gern hätte Cassie triumphierend gegrinst. „Zufrieden?"
„Noch nicht."
„Komm schon, Colton!" Ihre Augen blitzten. „Gib's zu! Du warst auf dem Holzweg."
„Hier gibt es doch noch andere Ställe."
„Ja, für die Rinder."
„Gehen wir nachsehen."
„Nein!" Sie riss die Stalltür auf und schaltete das Licht aus. „Ich habe bei dieser ... dieser blöden Idee nur mitgemacht, um dir zu zeigen, wie sehr du dich über Dad irrst. Aber ich bin nicht bereit, dich die ganze Ranch auf den Kopf stellen zu lassen, nur um zu beweisen, dass ich recht habe!"
Mit einer schnellen Bewegung packte er sie am Oberarm. „Ich würde ja gerne glauben, dass dein alter Herr der ehrliche Mann ist, für den du ihn hältst." Seine Augen glitzerten in der Dunkelheit. „Aber ich muss sicher sein. Deine Familie ist ja bekannt dafür, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt."
Ihr war, als würde ihr Herz brechen. Sie hatte doch so hart daran gearbeitet, dass er sie nie wieder verletzen konnte! Aber offensichtlich hatte sie sich nur etwas vorgemacht. Der alte Schmerz war wieder da. „Ich habe dich nie angelogen, Colton", flüsterte sie.
„Ach ja?"
Als sie trotzig das Kinn anhob, begegnete ihr Blick dem kalten Zynismus in seinen Augen. „Glaub doch, was du willst! Aber ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dich nie belogen habe."
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Für einen Sekundenbruchteil flackerte so etwas wie Zweifel in seinem Blick auf. Seine Züge wurden weicher, als er jetzt auf Cassie hinunterblickte. Sie spürte, dass er einen inneren Kampf mit sich ausfocht. „Vielleicht hast du die Wahrheit ja nur verdreht."
„Oder vielleicht hast du das getan", sagte sie leise. Sein Atem, so warm und vertraut, strich über ihr Gesicht. Er stand ihr so nah, dass sich ihre Kehle unwillkürlich zusammenzog.
Wenn sie doch nur vergessen könnte, wie sehr sie ihn geliebt, wie viel er ihr bedeutet hatte ...
Und dann, genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die Zweifel aus seinem Blick. Den Kopf zur Seite geneigt, taxierte er sie aus schmalen Augen. „Du hast mich schon einmal zum Narren gehalten, Cassie." Die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, ließ er ihren Arm abrupt los. „Sei versichert, das passiert mir nicht noch einmal."
„Du arroganter Widerling!" Mit einem leisen Aufschrei trat sie von ihm zurück. „Du hast wirklich Nerven." Und da sie wusste, dass sie eine aussichtslose Schlacht schlug, führte sie ihn quer über den Hof zur anderen Scheune. Regen und Schlamm waren ihr inzwischen längst egal, als sie in den Stall marschierte und Licht einschaltete. Ein paar von den Hereford-Rindern mit den weißen Gesichtern steckten die Köpfe durch die Metallgitter, hofften darauf, dass Extrafutter für sie in dem Trog landen würde.
Colton folgte Cassie. Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu, während sie ihm den Stall mit einer ausholenden Geste präsentierte. „Bitte, sieh dich nur in Ruhe um", lud sie ihn spitz ein.
„Werde ich." Er ging das gesamte Gebäude ab, von einem Ende zum anderen, und fand absolut nichts. Nicht die geringste Spur von Black Magic. Fluchend marschierte er durch Futtercontainer und gestapelte Heuballen zurück zu dem staubigen Tor, an dem Cassie lässig lehnte. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Lippen waren zu einem verächtlichen Lächeln verzogen.
„Und? Hast du deinen Hengst gefunden?" Sie studierte ihre Fingernägel.
„Nein."
„Bist du sicher?", hakte sie herausfordernd nach.
„Ganz sicher."
Sie legte den Kopf in den Nacken, sah zum Heuboden hinauf. „Vielleicht solltest du da oben noch mal nachsehen", schlug sie zuckersüß vor. Ganz offensichtlich genoss sie die Situation. „Dad könnte deinen wertvollen Hengst ja mit dem Flaschenzug da hinaufverfrachtet haben."
Unerwarteterweise grinste er. Er ließ den Blick über den Heuboden gleiten, eine drei Meter hohe Plattform, auf der sich die Heuballen bis unters Dach stapelten. In dem kleinen runden Fenster im Giebel spiegelte sich der Strahl von Cassies Taschenlampe. „Na schön, du hast deinen Standpunkt unmissverständlich klargemacht, Miss Aldrigde."
„Wurde auch Zeit." Sie schob die Stalltür auf und leuchtete auf Coltons verbeulten Jeep. „Wenn du dann fertig damit bist, grundlose Anschuldigungen gegen meine Familie vorzubringen und alles hier auf den Kopf zu stellen, gehe ich jetzt ins Haus zurück. Es war nämlich ein langer Tag für mich."
„Es ist noch nicht vorbei."
„Oh doch, das ist es", widersprach sie prompt. „Zumindest für mich." Ihre Augen blitzten. „Das nächste Mal solltest du deine Fakten genau sortieren, bevor du unschuldigen Menschen Verbrechen vorwirfst, die sie nicht begangen haben!"
„Das sagt die Richtige! Ausgerechnet du bestehst auf der Wahrheit, Cass?"
Seine Worte trafen sie tief. „Wie ich schon sagte, Colton - ich habe dich nie angelogen. Du warst einfach nur nicht Manns genug, um mir zu vertrauen."
„Dir vertrauen?"
„Genau, mir vertrauen. Du hast dir ja nicht einmal meine Erklärung angehört."
„Welche Erklärung? Dass du mich mit einem Baby, das nie existiert hat, zur Ehe zwingen wolltest?"
„Nein!"
„Lass gut sein, Cassie!" Er bedachte sie mit einem düsteren Blick.
„Verschwinde von meinem Land, McLean!" Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in Richtung Haus.
Colton sah ihr nach, wie sie über den Hof stürmte. Das schwarze Haar wehte hinter ihr her, als sie die Stufen zum Anbau hinaufeilte und die Tür mit Wucht hinter sich zuschlug. In ihm brodelte es. Er ging zu seinem Jeep und kletterte hinein. Was war das nur an Cassie? Sie war eine Lügnerin, die ihn als Siebzehnjährige mit einem Trick in die Ehe hatte locken wollen. Und trotzdem ... Sie hatte etwas Faszinierendes an sich, mit ihrem verführerischen Lächeln und den großen grün-braunen Augen.
Viel zu heftig legte er den Gang ein und trat das Gaspedal durch. Er hatte genügend Frauen gekannt, vor und nach der kurzen Affäre mit Cassie, aber keine war ihm je so unter die Haut gegangen wie sie.
„Nie wieder", murmelte er vor sich hin. Der Motor heulte auf, und er schaltete in den zweiten Gang. „Definitiv nie wieder."
Copyright © 1989 by Susan Crose.
Die Nacht war genauso düster wie Coltons Laune. Dicke Regentropfen prasselten unablässig aus dem weiten Himmel über Montana, überfluteten das Gras und verwandelten den Boden in Schlamm.
Curtis musste rennen, um mit Coltons ausholenden Schritten mithalten zu können. „Also, wenn du mich fragst", schnaufte er, „dann steckt Ivan Aldridge dahinter."
Der Name des Erzfeindes ließ Colton herumschwingen. „Aldridge? Was hat der denn damit zu tun?"
„Ich verwette mein letztes Hemd, er hat Black Magic gestohlen."
„Blödsinn!"
Curtis reckte das Kinn. „Genau wie er den Hengst im letzten Frühjahr gestohlen hat, unter Garantie!"
„Im letzten Frühjahr? Wovon, zum Teufel, redest du da?"
„Hat dir niemand davon erzählt?"
Colton riss der Geduldsfaden. Ihm war kalt, er war bis auf die Haut durchnässt, und das Letzte, wozu er Lust hatte, war, weiter im strömenden Regen zu stehen und über Ivan Aldridge zu sprechen. „Letztes Jahr hatte keiner einen Schimmer, wo ich war", erinnerte er den Alten.
„Nun, während du dich in Nordirland hast zusammenschießen lassen, ist Black Magic fast zwei Wochen wie vom Erdboden verschluckt gewesen."
Colton wollte nicht an Nordirland denken. Vor sechs Monaten hatte sich dort jemand - er wusste nicht einmal, wer - von den Schnappschüssen, die Colton mit seiner Kamera in einem Pub gemacht hatte, so angegriffen gefühlt, dass er eine Waffe hervorgeholt und auf ihn geschossen hatte. Colton konnte von Glück sagen, dass er überlebt hat. „Der Hengst ist letztes Frühjahr ausgerissen?"
„Ich glaube, jemand hat ihm dabei geholfen. Natürlich ist es nicht zu beweisen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Ivan Aldridge sich den Hengst geholt hat, damit dieser seine Stuten deckt. Und dann hat er ihn wieder laufen lassen, bevor ihm jemand auf die Schliche kommen konnte."
„Das ist ja verrückt."
„Sicher, das haben letztes Jahr alle zu mir gesagt. Und als der Hengst wieder auftauchte, ist jeder an seine Arbeit zurückgegangen und hat bequemerweise alles vergessen. Keiner hat weiter nachgeforscht. Die Versicherung war heilfroh, genau wie wir anderen auch."
„Und wie ist Ivan Aldrigde jetzt darin verwickelt?"
„Der alte Ivan hat versprochen, sich zu revanchieren."
Colton runzelte die Stirn. Er wusste besser als jeder andere, wie tief Ivan Aldridges Hass saß. „Unsinn, das Pferd wurde nicht gestohlen. Und was diese alte Fehde betrifft ... Zerren wir sie nicht wieder ans Tageslicht, okay?" Es ärgerte ihn, dass allein der Name Ivan Aldridge die Erinnerungen an Cassie wachrief. Erinnerungen, die er sich geschworen hatte, ein für allemal zu begraben.
„Wenn du meinst." Curtis kramte nach seinen Zigaretten. „Schließlich muss ich nicht den Kopf dafür hinhalten. Doch wenn Denver herausfindet, dass der wertvollste Zuchthengst in ganz Montana vermisst wird, bricht die Hölle los."
„Vermutlich hätte er mir nie die Leitung überlassen sollen."
„Vermutlich hättest du nicht annehmen sollen."
„Erinnere mich bloß nicht daran!", stieß Colton aus. Er brauchte dringend einen Drink. Einen heißen Drink. Irish Coffee.
Die Hand schützend vor das Streichholz haltend, zündete Curtis sich eine Zigarette an. „Du bist der Boss." Er zupfte sich einen Tabakkrümel von der Lippe. „Aber ich an deiner Stelle würde mich von meinen Gefühlen für Ivans Tochter nicht irritieren lassen."
Drohend machte Colton einen Schritt auf den Alten zu. „Ich habe keine Gefühle für Cassie Aldrigde."
Curtis zuckte nur die Achseln. „Vor acht Jahren ..."
„Acht Jahre sind eine lange Zeit", fiel Colton ihm ins Wort.
„Schon gut, schon gut! Vergiss Cassie."
„Habe ich längst." Eine Lüge.
„Also - was tun wir jetzt wegen Black Magic?"
„Wir finden ihn!" Colton rieb sich den Nacken. Die Haut war nass. „Wir teilen uns auf und suchen jede Weide ab. Len und Daniel übernehmen die westlichen Koppeln, du gehst nach Süden, und ich sehe im Norden nach."
„Einverstanden. Überprüf das Grenzgebiet zum Aldridge-Land auf jeden Fall gründlich!"
„Werde ich", erwiderte Colton nickend, kletterte in seinen Jeep und lenkte den Wagen Richtung Norden. Er würde sich jeden Meter Zaun und jeden Quadratmeter des nördlichen Gebiets anschauen, wenn auch nur, um zu beweisen, dass Curtis falsch lag. Er und Curtis hatten ein, vorsichtig ausgedrückt, gespanntes Verhältnis zueinander. Jahrelang war Colton überzeugt gewesen, dass Curtis für das Feuer verantwortlich war, in dem seine Eltern umgekommen waren. Letztendlich hatte sich herausgestellt, dass er sich irrte.
In den letzten Monaten jedenfalls hatte er herausgefunden, wie viel Curtis vom Ranching verstand. Der alte Mann hatte dem Alkohol abgeschworen und war ebenso zuverlässig wie grundehrlich - und Denvers Schwiegervater.
Da Denver allerdings im Moment in Kalifornien war, mussten sie zusammenarbeiten, zumindest noch für ein paar Wochen. Aber sobald die Wunde an seiner Schulter, die er sich bei dem Auftrag in Nordirland zugezogen hatte, wieder verheilt war, würde er seine Sachen packen. Colton konnte nicht schnell genug aus Three Falls, Montana, abhauen. Sobald der Doktor grünes Licht gab, würde ihn in dem Land mit dem weiten blauen Himmel niemand mehr zu Gesicht bekommen.
Zwei Stunden später hatte Colton noch immer keine Spur von dem Pferd entdeckt. In seiner Schulter pochte es schmerzhaft, und er hatte Muskelkrämpfe von der Kälte. Wütend über Black Magic im Besonderen und die Welt im Allgemeinen, starrte er durch die Windschutzscheibe, an der die Regentropfen in breiten Rinnsalen herabliefen.
„Das hat man davon, wenn man sich von seinem Bruder überreden lässt, noch eine Weile zu bleiben", murmelte er missmutig vor sich hin. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Die eigenen grauen Augen blitzten ihn an, bevor er sich wieder auf den durchweichten Feldweg vor sich konzentrierte. „Verdammter Gaul!"
Er riss das Lenkrad herum und fuhr den Zaun ab. Vielleicht hatte er Glück und fand Black Magic. Vielleicht aber auch nicht. Der chronische Schmerz in seiner Schulter rief ihm ins Gedächtnis, dass seine Glückssträhne vor sechs Monaten geendet hatte.
Die Scheibenwischer arbeiteten unermüdlich gegen den Regen an. Colton nahm den Fuß vom Gas und ließ den Blick prüfend über den durchhängenden Zaun gleiten. Bei dem kleinen Eichenwäldchen im äußersten nordöstlichen Winkel des McLean-Landes hielt er an. Auf der anderen Seite schlängelte sich ein Fluss, der Sage, durch Aldridge-Land.
Colton war kurz davor gewesen, aufzugeben, doch jetzt galt seine ganze Aufmerksamkeit dem klaffenden Loch zwischen den beiden Pfosten.
Finster dreinschauend zog er die Handbremse an, ließ den Motor laufen und stieg aus. Mit den Stiefeln versank er bis zu den Knöcheln im Matsch. Trotzdem ließ er den Zaun keine Sekunde aus den Augen - oder von dem was davon noch übrig war.
Ja, der Zaun war zerschnitten, alle vier Spanndrähte waren fein säuberlich durchtrennt worden. Der rostige Draht hing durch, bot genügend Platz für ein Pferd, sogar für eine ganze Herde, um auf das Land zwischen Zaun und Fluss zu wechseln.
Colton fasste nach einem der Enden; ein Büschel dunkler Haare hing daran, wahrscheinlich von Black Magics Schweif. Colton fluchte. Wind und Regen schlugen ihm ins bärtige Gesicht. „Der verfluchte Mistk..."
Donner grollte über den Hügeln.
Mit seiner Taschenlampe leuchtete Colton den Boden ab. Hufspuren und Stiefelabdrücke waren deutlich in der aufgeweichten Erde zu erkennen. Ein Zigarettenstummel war achtlos auf die Steine am Flussufer geschleudert worden. Tiefe Reifenspuren folgten dem gewundenen Flusslauf. Angeschwollen vom Frühlingsregen rauschte der Sage wie ein silbernes Band durch das Weideland, so wild und laut, dass das nächste Donnergrollen kaum zu hören war.
Düster starrte Colton auf die gurgelnden Wassermassen. Der Sage war so etwas wie eine natürliche Grenze zwischen der McLean-Ranch und dem Aldridge-Land, tief und breit wie die Fehde, die seit fast einer Generation zwischen den beiden Familien schwelte.
Also hatte Curtis doch recht gehabt. Black Magic war nicht ausgerissen, er war gestohlen worden! Schon wieder. Und diesmal direkt unter seiner Nase. Gott weiß wohin gebracht mit einem Transporter, der auf Aldrigde-Land gewartet hatte.
Er hatte alle Beweise, die er brauchte. Mit energischen Schritten marschierte er zu seinem Jeep zurück. Den Regen, der ihm am Nacken hinunter in den Kragen lief, ignorierte er ebenso wie den stechenden Schmerz in seiner Schulter, als er die Wagentür kraftvoll öffnete und einstieg.
Das Getriebe protestierte, als er mit Wucht den Gang einlegte. Wütend schaute er durch die Windschutzscheibe auf ein Wäldchen aus Eichen und Fichten. Dahinter lag das Aldrigde-Haus. Das Haus, in dem Cassie lebte.
Coltons Finger umschlossen den Schaltknüppel fester, da Cassies Bild vor seinem inneren Auge auftauchte. Unwirsch verdrängte er die Vision. Acht Jahre war es her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, und wenn es nach ihm ginge, würde es dabei bleiben. Nie wieder würde er in ihr strahlendes Gesicht schauen, ihr nie wieder über ihr schimmerndes schwarzes Haar streichen.
Er trat das Gaspedal durch und lenkte den Jeep Richtung Aldridge-Ranch. Hoffentlich war Ivan zu Hause. Wenn er die Wahrheit aus ihm herausholen wollte, bot der heutige Abend eine ebenso gute Gelegenheit wie jeder andere auch.
Cassie stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Durch das Badezimmerfenster konnte sie Erasmus hören, den alten Collie ihres Vaters. Er bellte und knurrte laut genug, um Tote aufzuwecken.
„Ich komme ja schon!", rief sie. „Immer langsam mit den jungen Pferden!" Sie murmelte etwas über Erasmus beklagenswerten Mangel an Intelligenz in sich hinein, riss ihren Lieblingsbademantel vom Haken an der Tür und schlüpfte hinein.
Sie war zum Umfallen müde. Zwölf lange Stunden war sie auf der Lassiter-Ranch gewesen und hatte versucht, das Milchfieber bei George Lassiters Färsen einzudämmen. Zwei Tiere hatten es geschafft, drei waren verendet. Veterinärmedizin ist definitiv nichts für zarte Gemüter, dachte sie und zurrte den Gürtel fest um ihre Taille.
Über den ausgetretenen roten Läufer eilte sie die Treppe hinunter. Draußen überschlug Erasmus sich regelrecht. Bellend und knurrend lief der alte Hund über die Veranda hin und her und kratzte immer wieder an der Tür.
„Was ist denn mit dir los?" Kaum dass Cassie die Tür aufzog, raste der Hund mit aufgestelltem Nackenfell an ihr vorbei, schlitterte um die Ecke und verschwand in der Küche. „Was, zum Teufel ...?"
„Aus!", befahl eine raue männliche Stimme. Es kam aus dem Innern des Hauses.
Cassie erstarrte.
Erasmus verstummte.
„Elender Kläffer", brummte der Mann.
Cassies Herz hämmerte hart gegen ihre Rippen. Wer war in der Küche? Ihre Kehle war staubtrocken, als sie sich leise über den abgewetzten Teppich ins Wohnzimmer und an den Waffenschrank ihres Vaters schlich. Beim Klicken des Schlosses zuckte sie zusammen. Schnell nahm sie ihre alte 22er heraus. Die Flinte war zwar nicht geladen, aber das wusste der Eindringling, wer immer es war, ja nicht.
Kannte Erasmus den Mann etwa? überlegte sie angespannt. Es beunruhigte sie, dass der Hund dem Kommando sofort gehorcht hatte. Sie hob das Gewehr an, klammerte die Finger fest um Lauf und Griff. Barfuß tappte sie leise zur Küche. Die Waffe im Anschlag, trat sie ins Licht.
„Was geht hier vor?", setzte sie an und erstarrte mitten in der Bewegung. Fast wäre ihr die Flinte aus den Händen gerutscht.
Colton McLean! Hier in ihrer Küche! Ausgerechnet der eine Mensch, den sie mit Inbrunst verabscheute. In voller Lebensgröße, den nassen Stetson tief in die Stirn gezogen, saß er rittlings auf einem der alten Stühle aus Ahornholz und kraulte Erasmus die Ohren, und der charakterlose Hund winselte vor Vergnügen.
Sein eiskalter Blick traf auf ihren. „Cassie", erwiderte er träge. „Ist lange her."
2. KAPITEL
Cassie stockte der Atem. „Was tust du denn hier?"
„Warten." Colton schob sich den Stetson in den Nacken und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
„Worauf?"
„Auf deinen Vater."
„Der ist nicht hier."
Er zuckte nur mit den Schultern, kniff die Augen noch weiter zusammen und wirkte damit noch grimmiger. Sein Gesicht war markanter, als sie es in Erinnerung hatte. Er hatte sich einen Vollbart wachsen lassen; seine Züge waren mit den Jahren ausgeprägter, männlicher geworden. Die durchweichte Jeansjacke spannte über seinen breiten Schultern. Jetzt blickte er auf das Gewehr. Der Lauf blitzte bläulich im Licht der einzelnen Glühbirne, die von der Decke herunterhing.
„Was hast du jetzt vor, Cassie? Willst du mich erschießen?"
„Habe ich noch nicht entschieden." Immerhin senkte sie den Lauf.
„Man hat mich schon öfter als Zielscheibe benutzt."
Sie dachte an die Gerüchte über die Schießerei in Nordirland. Angeblich konnte man von Glück reden, dass er dabei nicht umgekommen war. „Wie bist du reingekommen?"
„Die Tür war nicht abgeschlossen."
„Und deshalb schlenderst du also einfach ins Haus und machst es dir gemütlich?"
„Glaub mir, Cassie, gemütlich habe ich es nicht."
„Du hattest kein Recht ..."
„Vermutlich nicht." Sein Blick glitt von Kopf bis Fuß über sie, bis er auf ihrem Gesicht innehielt. Plötzlich kam Cassie sich nackt vor.
Mehrere Sekunden vergingen, bevor sie ihre Stimme wiederfand. Sie hatte feuchte Hände. Colton McLean war wirklich der letzte Mensch, den sie in ihrer Küche zu finden erwartet hatte. Seit sechs Monaten war er wieder in Montana, hatte aber sehr zurückgezogen gelebt. Wollte man dem Klatsch, der in der Stadt kursierte, glauben, so sah man ihn nicht oft. Cassie selbst war ihm bisher kein einziges Mal begegnet. „Du hältst scheinbar nicht viel von Anklopfen, oder?"
Er sah zur Tür und dem offen stehenden Fliegengitter. „Und du hältst offensichtlich nichts davon, abzuschließen."
„Dad hat seinen Schlüssel verloren und ... Ist auch egal."
„Ich habe geklopft. Zweimal sogar."
„Ich war unter der ..."
„Ich kann sehen, wo du warst. Außerdem habe ich das Wasser rauschen hören."
Jäh wurde sie sich ihres Aufzugs bewusst. Ihr Haar war noch nass, ihre Haut erhitzt und ihr nackter Körper nur von einem alten Bademantel bedeckt. Sie umfasste die Flinte fester. Angst hatte sie vor Colton McLean nicht, nicht wirklich, doch ihn hier vor sich zu sehen, brachte zu viele Erinnerungen zurück - gefährliche Erinnerungen. An eine Affäre, die sie lieber vergessen wollte.
„Du wusstest, dass ich oben unter der Dusche stand? Und bist trotzdem reingekommen?"
„Ich hab das Wasser rauschen gehört, mehr nicht."
„Du hast wirklich Nerven!"
Seufzend rieb er sich das Kinn. „Wann kommt Ivan zurück?"
„Weiß ich nicht. Aber du kannst hier nicht auf ihn warten."
„Wieso nicht?"
„Dreimal darfst du raten." Ihr Temperament flammte auf.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung", behauptete er.
„Dann denk nach!" Die Überraschung, die sie überwältigt hatte, als sie Colton tropfnass in ihrer Küche vorfand, offensichtlich gewappnet für eine Schlacht, machte Platz für Ärger. Acht Jahre war es her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte! Acht Jahre, seit er zur Tür genau dieses Hauses hinausmarschiert war! Und jetzt wagte er es, sich auf einem ihrer Küchenstühle niederzulassen, als wäre er hier zu Hause?
„Warum gibst du mir nicht einen Tipp?", fragte er lässig.
„Weil ich dich hier nicht haben will, deshalb! Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, ich will nur noch mit einem guten Buch ins Bett."
„Lass dich von mir nicht aufhalten", meinte er ungerührt.
„Ich bin nicht in Stimmung für Spielchen, Colton."
„Ich auch nicht."
„Ich richte Dad aus, dass du hier warst. Er wird dich anrufen."
„Oh ja, sicher wird er das!"
Sie hob eine Augenbraue. „Hat dir noch niemand gesagt, dass man Frauen, die ein Gewehr in der Hand halten, nicht provozieren sollte?"
Er lachte, ein trockener Laut, der schon fast vergessene Bilder an einen warmen Sommer und eine junge Liebe wiederauferstehen ließ. „Ich weiß noch, wie gut du mit einer Waffe umgehen kannst, Cassie. Du triffst nicht einmal die Scheunenwand direkt vor dir."
„Ich bin erheblich besser geworden."
Er zog eine Augenbraue in die Höhe, seine Augen blitzten. „Tatsächlich?" Seine Stimme war leise, nahezu verführerisch.
„Raus, Colton!"
„Du weißt ja nicht einmal, weshalb ich gekommen bin."
„Interessiert mich auch nicht."
„Nein? Selbst dann nicht, wenn ich dir sage, dass Black Magic verschwunden ist?"
„Black Magic?"
„Hast du von ihm gehört?"
„Sicher habe ich von ihm gehört - genau wie der Rest des ganzen Landes." Natürlich erinnerte sie sich an den pechschwarzen Hengst mit der gezackten weißen Blesse. „Letztes Jahr habe ich ihn einmal behandelt."
„Ach ja, richtig, du bist ja jetzt Tierärztin." Er verzog spöttisch die Lippen.
„Und du bist ein berühmter Fotoreporter, richtig?", konterte sie verärgert. Es gab nicht den geringsten Grund für ihn, sich über ihre Karriere lustig zu machen. Er hatte sie schließlich mit einem Scherbenhaufen zurückgelassen. Und sie hatte sich zusammengenommen und wieder aufgerappelt. Allein. „Was treibst du überhaupt hier?"
„Oh, ich schlage einfach Zeit tot." Unentwegt hielt er den Blick auf sie gerichtet.
Sie stellte die Flinte gegen die Wand und lächelte leicht.
Genauestens verfolgte Colton jede ihrer Bewegungen. „Ich wollte Ivan nur ein paar Fragen stellen."
„Über Black Magic?"
„Ja."
Cassie runzelte die Stirn. „Du glaubst, Dad könnte wissen, wo dein Pferd ist?"
„Denvers Pferd", korrigierte er.
„Ach ja. Du hast ja nichts fürs Ranching übrig, stimmt's?"
„Stimmt, noch nie gehabt."
„Denver anfangs auch nicht. Er jedoch hat sich geändert", erwiderte sie scharf. Doch auch die kleinste Hoffnung, Colton könnte mit den Jahren vielleicht nachgiebiger geworden sein, erlosch, als sie bemerkte, wie sein Gesicht erstarrte.
„In dieser Beziehung werde ich mich nie ändern." Aus stahlgrauen Augen musterte er sie, dann wanderte sein Blick wieder unstet umher. Er musterte die Wände, die dringend einen frischen Anstrich vertragen könnten, die abgenutzten Möbel, den ausgetretenen Fußboden und die rußigen Töpfe, die von den Trägerbalken hingen. Ihn umgab eine rastlose Aura, eine Schroffheit, an die sie sich nicht erinnerte.
„Wieso bist du gekommen und nicht dein Bruder?", fragte sie schließlich.
„Denver und seine Frau sind in Los Angeles."
Richtig. Jetzt fiel ihr wieder ein, was sie während ihrer Arbeit als Tierärztin auf den umliegenden Ranches aufgeschnappt hatte. Denver und Tessa würden noch für ein paar Wochen weg sein. „Und jetzt sitzt du auf der Ranch fest." Sie konnte es sich nicht verkneifen, ein wenig zu sticheln. „Wobei du es prompt geschafft hast, den wertvollsten Hengst weit und breit zu verlieren."
„Ich habe ihn nicht verloren. Er wurde gestohlen."
Mit einem Mal wurde ihr klar, wieso er in ihrer Küche saß. Als sie ihre Stimme wiederfand, kamen die Worte dennoch nur wie ein Flüstern über ihre Lippen. „Du willst doch nicht etwa andeuten, Dad hätte etwas mit Black Magics Verschwinden zu tun? Denn sollte das der Fall sein, kannst du deinen niederträchtigen Hintern gleich wieder hinausschwingen!"
Er rührte sich nicht.
Cassie ging auf ihn zu. „Dad würde niemals ..."
„Er hat so was angedroht."
Sie verzog abfällig die Lippen. „Das war vor langer Zeit, Colton."
„Fehden haben die Unart, lange zu schwelen. Und dann flammen sie auf, wenn man am wenigsten damit rechnet."
„Nicht diese!" Sie stach mit dem Zeigefinger in seine Brust. Seine Muskeln waren steinhart. „Sieh zu, dass du hier rauskommst! Steig in was auch immer du da draußen geparkt hast und sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor ich dich erwürge!"
„Starke Worte, Cass", frotzelte er.
„Starke Anschuldigungen, Colt!"
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Du hast dich verändert."
„Gott sei Dank!"
Sein Blick glitt zu ihrem Dekolleté. „In manchen Dingen jedoch bist du noch immer dieselbe ..."
„Geh, Colton!"
„Erst, wenn ich mit Ivan gesprochen habe." Er blieb aufreibend ruhig.
„Gut möglich, dass er heute nicht mehr zurückkommt."
„Vielleicht hab ich ja Glück."
„Du kannst nicht hierbleiben!"
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Eine Welle von altbekannten Gefühlen durchflutete Cassie. Sie hasste ihn, hasste allein seinen Anblick. Zumindest hatte sie sich das die letzten acht Jahre eingeredet. „Dad will dich hier nicht sehen. Hast du das etwa vergessen?"
„Wie könnte ich?" Er kniff die Augen zusammen.
„Dann verschwinde endlich, und zwar schnell, oder ich rufe beim Sheriff an!"
„Mach nur." Mit einem herausfordernden Grinsen deutete er zum Telefon. „Ich kenne Deputy Mark Gowan. Vermutlich hast du auch schon von ihm gehört."
Hatte sie. Mark war einer der besten Mitarbeiter, den der Sheriff hatte.
„Ruf ihn nur an! Wenn Gowan hier ist, werde ich ihm die Sache mit Black Magic schildern - und ihn wissen lassen, dass der Zaun zwischen deinem und meinem Land durchgeschnitten worden ist. Und dann werde ich jede einzelne Drohung wiederholen, die Ivan gegen die McLeans ausgestoßen hat."
Cassie wurde blass.
„Und sollte das noch nicht reichen, gehe ich damit an die Presse. Ich habe die besten Verbindungen. Du weißt schon - so was ergibt sich nun mal aus dem Job."
„Mistkerl!"
Colton zuckte leicht zusammen.
„Das würdest du nicht tun!", zischte sie. „Du würdest dich nur lächerlich machen."
„Und dein Vater würde als Krimineller dastehen", knurrte er.
Er bluffte nur, das wusste sie! Er konnte es sich nicht leisten, noch einen Skandal heraufzubeschwören, in den der Name McLean verwickelt war. Nicht nach dem letzten Mal, als John McLean Cassies Mutter verführt hatte! Sie griff nach dem Telefon, doch Colton fing ihr Handgelenk ab. Der Hörer glitt ihr aus den Fingern.
„Es wäre wesentlich unkomplizierter, wenn du mir erlauben würdest, mich ein wenig umzusehen."
Er hielt sie fest, seine Berührung brannte auf ihrer Haut. „Dad hat in seinem ganzen Leben noch nichts gestohlen!"
„Dann beweise es."
Vernichtend starrte sie ihn an. Wozu sollte sie erklären? Seine Miene besagte deutlich, dass er das Urteil über ihren Vater längst gefällt hatte. Genau wie er sie damals vor Jahren verurteilt hatte. „Lass mich los, Colton!"
Tat er nicht.
Also versuchte sie es auf andere Art. „Das ist doch schon einmal passiert, oder? Letztes Jahr. Milly Samms, Denvers Haushälterin, hat mir davon erzählt. Der Hengst war verschwunden, und dann ist er wieder aufgetaucht. Hier wiederholt sich wahrscheinlich der gleiche Fehler."
„Das ist kein Fehler, Cassie. Irgendjemand hat sich Black Magic geholt, und ich will wissen, wer." Sein Griff wurde fester, seine warmen Fingerspitzen auf ihrer Haut stellten unmögliche Dinge mit ihrem Puls an. Vergeblich versuchte sie, ihre Hand zurückzuziehen, doch er gab sie nicht frei. „Komm schon, Cassie! Das ist deine Chance, mir zu beweisen, wie sehr ich mich irre."
„Einer eurer Stallburschen hat nicht aufgepasst", funkelte sie ihn an.
Er ließ ihre Hand los. „Dann hast du sicherlich nichts dagegen, wenn ich einen Blick in eure Ställe und Scheunen werfe."
„Bist du verrückt? Ich lasse dich doch nicht mitten in der Nacht hier herumschnüffeln und alle Tiere aufschrecken!"
„Sobald ich mich überzeugen konnte, gehe ich wieder."
Sie war hin- und hergerissen. Natürlich wollte sie, dass er endlich verschwand, und die Möglichkeit, ihm zu zeigen, wie falsch er lag, war verlockend. Andererseits ... „Also gut. Aber das wird nicht die ganze Nacht dauern. Wir kontrollieren die Ställe, und das war's."
Er nickte.
„Ich brauche ein paar Minuten, um mich anzuziehen."
„Erspar dir die unnötige Mühe. Ich kenne mich hier aus ..."
„Kommt nicht infrage!", fiel sie ihm ins Wort. „Du kannst nicht mit lächerlichen Anschuldigungen hereinschneien und dann damit anfangen, die Ranch auseinanderzunehmen! Dein Hengst ist wahrscheinlich einfach ausgerissen. Ich lasse nicht zu, dass du hier alles auf den Kopf stellst! Wenn du wirklich vermutest, dass Black Magic gestohlen wurde, solltest du besser zum Sheriff gehen - und wenn du das nicht willst, dann gib mir fünf Minuten, damit ich mich anziehen kann."
Ein einnehmendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wenn du unbedingt willst ..."
Wutentbrannt stapfte sie aus dem Zimmer und nahm zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf. Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, während sie sich erst das Haar zusammenband und dann eine Jeans aus dem Schrank zerrte. Sie glaubte keine Sekunde lang, dass Black Magic gestohlen worden war. Und der zerschnittene Zaun ... das war purer Zufall. Vermutlich hatte jemand tagsüber daran gearbeitet, um das rostige Ding zu reparieren. Sobald sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, würde sich die Sache aufklären, und dann würde Colton McLean in Sack und Asche wieder abziehen müssen!
Diese Aussicht zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie zog einen naturfarbenen Pullover über den Kopf und eilte zurück in die Küche.
Colton lehnte am Türrahmen, einen Fuß auf den Stuhl gestützt. Voller Ungeduld starrte er hinaus in den strömenden Regen. Er war reifer geworden in den vergangenen acht Jahren. Das Leben als Fotojournalist, der Aufnahmen in Kriegsgebieten machte und Unruhen in fremden Ländern mit seinen Bildern einfing, hatte jede Spur von Jungenhaftigkeit aus seinen Zügen vertrieben. An den Schläfen entdeckte sie die ersten grauen Strähnen in seinem kaffeebraunen Haar, und um seine Augenwinkel hatten sich feine Linien eingegraben.
„Von hier aus wirst du sicher nichts erkennen", sagte Cassie.
Er drehte sich zu ihr um, und für einen Moment sah sie wieder den attraktiven, charmanten und herzlichen Colton McLean vor sich, der er damals gewesen war. Sie erinnerte sich an das einnehmende Grinsen, das sich so oft auf seinem gebräunten Gesicht ausgebreitet hatte, an sein aufbrausendes Temperament, an seine düstere, gefährliche Seite. Aber vor allem erinnerte sie sich daran, wie liebenswürdig er gewesen war ... Bevor sie Colton kennenlernte, hatte Cassie natürlich auch für andere Jungs geschwärmt - ihn aber hatte sie geliebt, mit der ganzen Macht ihres jungen naiven Herzens, seit ihrem vierzehnten Lebensjahr. Doch das war lange her.
„Gehen wir", brummte er.
Wortlos schob sie sich an ihm vorbei. Sie riss ihre Jacke vom Hacken, nahm die Taschenlampe aus dem Schrank und schlüpfte in ihre Stiefel.
Draußen schlug ihr der Wind ins Gesicht. Regentropfen liefen ihr in den Kragen und rannen den Rücken hinunter. Das Licht der Taschenlampe auf den Boden gerichtet, musste sie fast rennen, um mit Coltons ausholenden Schritten mithalten zu können.
„Reg bloß die Pferde nicht auf!", warnte sie ihn.
„Würde mir im Traum nicht einfallen."
„Gut." Sie legte die Hand auf die Türklinke. „Einige der Stuten fohlen bald. Ich will nicht, dass sie gestört werden."
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Deine Stuten interessieren mich nicht. Ich will nur Black Magic finden."
„Dann mach dich auf eine Enttäuschung gefasst."
„Wäre ja nicht das erste Mal", sagte er und sah ihr in die Augen. Für einen Augenblick zögerte sie, verloren in seinem Blick. Ihre Kehle zog sich zusammen, plötzlich kratzte es dort.
Sie schüttelte sich leicht, nahm sich zusammen und trat in den Stall. Der vertraute Geruch von geöltem Leder, warmen Tieren und Stroh hing in der Luft. Cassie drehte den Lichtschalter.
Spinnweben hingen von den Balken herunter, die Fensterscheiben waren blind vor Staub. Die Pferde schnaubten und tänzelten auf dem Stroh, das in den Boxen ausgestreut lag. Sie streckten ihre großen dunklen Köpfe neugierig über die Türen, einige Tiere wieherten, als sie Cassie erkannten.
„Ist schon in Ordnung", murmelte sie beruhigend und streichelte die samtweichen Nüstern, die sich ihr entgegenreckten.
Colton ließ den Blick prüfend über die Boxen gleiten, nahm jedes Detail in sich auf. Die Stuten mit den gewölbten Leibern, die nervös tänzelnden Hengste. Ein Grauer mit wildem Blick stieg drohend auf die Hinterbeine und schüttelte zornig die Mähne, als Coltons unbekannter Geruch an seine Nüstern wehte. „Netter Kerl", bemerkte Colton trocken.
„Genau wie du", gab Cassie zurück.
Coltons Stiefelabsätze klackten laut auf dem Betonboden. „Black Magic ist nicht hier", murmelte er. Seine Miene war verschlossen.
Zu gern hätte Cassie triumphierend gegrinst. „Zufrieden?"
„Noch nicht."
„Komm schon, Colton!" Ihre Augen blitzten. „Gib's zu! Du warst auf dem Holzweg."
„Hier gibt es doch noch andere Ställe."
„Ja, für die Rinder."
„Gehen wir nachsehen."
„Nein!" Sie riss die Stalltür auf und schaltete das Licht aus. „Ich habe bei dieser ... dieser blöden Idee nur mitgemacht, um dir zu zeigen, wie sehr du dich über Dad irrst. Aber ich bin nicht bereit, dich die ganze Ranch auf den Kopf stellen zu lassen, nur um zu beweisen, dass ich recht habe!"
Mit einer schnellen Bewegung packte er sie am Oberarm. „Ich würde ja gerne glauben, dass dein alter Herr der ehrliche Mann ist, für den du ihn hältst." Seine Augen glitzerten in der Dunkelheit. „Aber ich muss sicher sein. Deine Familie ist ja bekannt dafür, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt."
Ihr war, als würde ihr Herz brechen. Sie hatte doch so hart daran gearbeitet, dass er sie nie wieder verletzen konnte! Aber offensichtlich hatte sie sich nur etwas vorgemacht. Der alte Schmerz war wieder da. „Ich habe dich nie angelogen, Colton", flüsterte sie.
„Ach ja?"
Als sie trotzig das Kinn anhob, begegnete ihr Blick dem kalten Zynismus in seinen Augen. „Glaub doch, was du willst! Aber ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dich nie belogen habe."
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Für einen Sekundenbruchteil flackerte so etwas wie Zweifel in seinem Blick auf. Seine Züge wurden weicher, als er jetzt auf Cassie hinunterblickte. Sie spürte, dass er einen inneren Kampf mit sich ausfocht. „Vielleicht hast du die Wahrheit ja nur verdreht."
„Oder vielleicht hast du das getan", sagte sie leise. Sein Atem, so warm und vertraut, strich über ihr Gesicht. Er stand ihr so nah, dass sich ihre Kehle unwillkürlich zusammenzog.
Wenn sie doch nur vergessen könnte, wie sehr sie ihn geliebt, wie viel er ihr bedeutet hatte ...
Und dann, genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die Zweifel aus seinem Blick. Den Kopf zur Seite geneigt, taxierte er sie aus schmalen Augen. „Du hast mich schon einmal zum Narren gehalten, Cassie." Die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, ließ er ihren Arm abrupt los. „Sei versichert, das passiert mir nicht noch einmal."
„Du arroganter Widerling!" Mit einem leisen Aufschrei trat sie von ihm zurück. „Du hast wirklich Nerven." Und da sie wusste, dass sie eine aussichtslose Schlacht schlug, führte sie ihn quer über den Hof zur anderen Scheune. Regen und Schlamm waren ihr inzwischen längst egal, als sie in den Stall marschierte und Licht einschaltete. Ein paar von den Hereford-Rindern mit den weißen Gesichtern steckten die Köpfe durch die Metallgitter, hofften darauf, dass Extrafutter für sie in dem Trog landen würde.
Colton folgte Cassie. Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu, während sie ihm den Stall mit einer ausholenden Geste präsentierte. „Bitte, sieh dich nur in Ruhe um", lud sie ihn spitz ein.
„Werde ich." Er ging das gesamte Gebäude ab, von einem Ende zum anderen, und fand absolut nichts. Nicht die geringste Spur von Black Magic. Fluchend marschierte er durch Futtercontainer und gestapelte Heuballen zurück zu dem staubigen Tor, an dem Cassie lässig lehnte. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Lippen waren zu einem verächtlichen Lächeln verzogen.
„Und? Hast du deinen Hengst gefunden?" Sie studierte ihre Fingernägel.
„Nein."
„Bist du sicher?", hakte sie herausfordernd nach.
„Ganz sicher."
Sie legte den Kopf in den Nacken, sah zum Heuboden hinauf. „Vielleicht solltest du da oben noch mal nachsehen", schlug sie zuckersüß vor. Ganz offensichtlich genoss sie die Situation. „Dad könnte deinen wertvollen Hengst ja mit dem Flaschenzug da hinaufverfrachtet haben."
Unerwarteterweise grinste er. Er ließ den Blick über den Heuboden gleiten, eine drei Meter hohe Plattform, auf der sich die Heuballen bis unters Dach stapelten. In dem kleinen runden Fenster im Giebel spiegelte sich der Strahl von Cassies Taschenlampe. „Na schön, du hast deinen Standpunkt unmissverständlich klargemacht, Miss Aldrigde."
„Wurde auch Zeit." Sie schob die Stalltür auf und leuchtete auf Coltons verbeulten Jeep. „Wenn du dann fertig damit bist, grundlose Anschuldigungen gegen meine Familie vorzubringen und alles hier auf den Kopf zu stellen, gehe ich jetzt ins Haus zurück. Es war nämlich ein langer Tag für mich."
„Es ist noch nicht vorbei."
„Oh doch, das ist es", widersprach sie prompt. „Zumindest für mich." Ihre Augen blitzten. „Das nächste Mal solltest du deine Fakten genau sortieren, bevor du unschuldigen Menschen Verbrechen vorwirfst, die sie nicht begangen haben!"
„Das sagt die Richtige! Ausgerechnet du bestehst auf der Wahrheit, Cass?"
Seine Worte trafen sie tief. „Wie ich schon sagte, Colton - ich habe dich nie angelogen. Du warst einfach nur nicht Manns genug, um mir zu vertrauen."
„Dir vertrauen?"
„Genau, mir vertrauen. Du hast dir ja nicht einmal meine Erklärung angehört."
„Welche Erklärung? Dass du mich mit einem Baby, das nie existiert hat, zur Ehe zwingen wolltest?"
„Nein!"
„Lass gut sein, Cassie!" Er bedachte sie mit einem düsteren Blick.
„Verschwinde von meinem Land, McLean!" Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in Richtung Haus.
Colton sah ihr nach, wie sie über den Hof stürmte. Das schwarze Haar wehte hinter ihr her, als sie die Stufen zum Anbau hinaufeilte und die Tür mit Wucht hinter sich zuschlug. In ihm brodelte es. Er ging zu seinem Jeep und kletterte hinein. Was war das nur an Cassie? Sie war eine Lügnerin, die ihn als Siebzehnjährige mit einem Trick in die Ehe hatte locken wollen. Und trotzdem ... Sie hatte etwas Faszinierendes an sich, mit ihrem verführerischen Lächeln und den großen grün-braunen Augen.
Viel zu heftig legte er den Gang ein und trat das Gaspedal durch. Er hatte genügend Frauen gekannt, vor und nach der kurzen Affäre mit Cassie, aber keine war ihm je so unter die Haut gegangen wie sie.
„Nie wieder", murmelte er vor sich hin. Der Motor heulte auf, und er schaltete in den zweiten Gang. „Definitiv nie wieder."
Copyright © 1989 by Susan Crose.
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Autoren-Porträt von Lisa Jackson
Lisa Jackson zählt zu den amerikanischen Top-Autorinnen, deren Romane regelmäßig die Bestsellerlisten der „ New York Times", der „ USA Today„ und der „ Publishers Weekly" erobern. Ihre Hochspannungsthriller wurden in fünfundzwanzig Länder verkauft. Auch in Deutschland hat sie den Sprung unter die Top 20 der „ Spiegel"-Bestsellerliste geschafft. Lisa Jackson lebt in Oregon.Bibliographische Angaben
- Autor: Lisa Jackson
- 2014, 1. Aufl., 524 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sonja Sajlo-Lucich, Barbara Alberter
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862788644
- ISBN-13: 9783862788644
- Erscheinungsdatum: 13.01.2014
Rezension zu „Zwischen Verrat und Verlangen. Und das Herz schweigt “
"Lisa Jackson raubt mir den Atem" New York Times-Bestsellerautorin Linda Lael Miller "Jackson schickt ihre Leser auf eine faszinierende Reise durch ihre fesselnden und höchst unterhaltsamen Geschichten." Publishers Weekly
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