Schwesterlein, komm stirb mit mir / Stadler & Montario Bd.1
Ein Hauptkommissar, der Resultate braucht - dringend.
Ein Täter, der die zwei in ein höchst perfides Spiel verwickelt - ein Spiel, das mit dem Tod enden...
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Ein Hauptkommissar, der Resultate braucht - dringend.
Ein Täter, der die zwei in ein höchst perfides Spiel verwickelt - ein Spiel, das mit dem Tod enden soll.
Georg Stadler, Kriminalhauptkommissar
Stadler liebt die Frauen - doch seitdem er vor einiger Zeit einmal etwas mit einer Kollegin angefangen hatte und die Sache katastrophal endete, hat er für sich eine eiserne Regel aufgestellt: „Nichts mit Kolleginnen anfangen!" Im Alltag fällt es ihm allerdings ganz schön schwer, sich daran auch zu halten. Gut, seine Bürokollegin Birgit Clarenberg stellt für ihn keine „Gefahr" dar. Sie reizt ihn nicht und er hat sie schon in die Kumpelschublade einsortiert. Doch da gibt es auch noch die sehr aparte Psychologin und Profilerin Elisabeth Montario. Die würde Georg Stadler durchaus gefallen ... Der groß gewachsene und attraktive Kommissar Ende vierzig ist ein lässiger Typ: Er trägt gern Lederjacken, hält sich mit Sport fit, fährt einen Ford Mustang und kommt bestens bei Frauen an. Nach einer kurzen Ehe genießt Stadler seine Freiheit als Single und hat des Öfteren Damenbesuch in seiner großen Wohnung. Ach ja, die Wohnung: In der Küche steht ein Monstrum von einer Espressomaschine - Stadler braut sich damit Espresso aus Bohnen unterschiedlichster Anbaugebiete, und auch der Rest ist Design pur. Viel zu schick für einen Kriminalhauptkommissar - eigentlich ...
Nach Feierabend kommt dem Kommissar ein kühles Alt gerade recht - doch die Sache mit dem Feierabend gestaltet sich sehr oft schwierig für Stadler. Erstens liebt er seinen Job und zweitens ist er ein leidenschaftlicher Ermittler, der auch gerne im Alleingang Sachverhalte klärt, wenn er davon überzeugt ist; natürlich auch, wenn er das gar nicht darf ... Also ist er so gut wie immer im Dienst. Und dass ihm diese Psychologin Dr. Montario nicht mehr aus dem Kopf gehen will: Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen und wie verhält sich das alles zu seinem Vorsatz, nichts mit Kolleginnen anzufangen?
Dr. Elisabeth Montario, Psychologin
Bei ihren Vorlesungen über Serienkiller lauschen die Studenten gebannt - schließlich ist die Psychologin Elisabeth Montario eine Berühmtheit. Sie hat mit ihrer Doktorarbeit über Serienmorde einen Täter entlarvt, von dessen Existenz die Polizei bis dahin noch nicht einmal etwas geahnt hatte: den sogenannten Kanalmörder. Angebote von renommierten Universitäten aus ganz Europa folgten, doch Elisabeth Montario blieb in Düsseldorf und an der dortigen Psychologischen Fakultät. Sie wollte unabhängig bleiben und sich nicht festlegen. Zur klassischen Psychoanalyse à la Freud hat sie übrigens ein sehr gespaltenes Verhältnis. Für Liz wurde die Analyse „erfunden von alten, verklemmten Männern, um Frauen zu therapieren, die sie selbst erst krank gemacht haben, indem sie sie in viel zu enge Kleider und noch engere moralische Korsette stopften". Da ihre Doktorarbeit - überarbeitet und populärwissenschaftlich umgeschrieben - auch als Buch unter dem Titel „Verborgene Muster" erschienen und ein Bestseller geworden ist, ist die Profilerin auch außerhalb der Uni eine kleine Berühmtheit. Leider zieht sie durch ihren „Promistatus" auch immer wieder die Spezies an, über die sie schreibt: Soziopathen. Seltsame Briefe mit Drohungen ist Liz, wie sie von ihren Freunden genannt wird, daher gewohnt. Die schlanke Mittdreißigerin hat lange rote Locken und verwirrt so manchen Mann mit ihren intensiv grünen Augen. Doch sie lebt allein in ihrer Eigentumswohnung mit wunderbarer Aussicht auf den Rhein und tut sich schwer, sich anderen Menschen wirklich anzuvertrauen. Selbst ihre besten Freunde wissen nichts von ihrem dunklen Geheimnis, das sie traumatisiert hat und zu dem machte, was sie jetzt ist: eine Profilerin, spezialisiert auf perverse Killer. Dass Kriminalhauptkommissar Stadler ihr Geheimnis ziemlich schnell und ganz unbeabsichtigt herausfindet, gefällt ihr gar nicht. Aber sie muss damit leben - und sich an diesen Georg Stadler gewöhnen ...
20. März 1996
Ein Toter bei Feuer in Jugendhaftanstalt
«Mädchenwürger» legte Feuer, bevor er Selbstmord beging
Siegburg. Gestern mussten wegen eines Brandes sämtliche Insassen der Justizvollzugsanstalt Siegburg evakuiert werden. Nach Angaben der Polizei gab es ein Todesopfer, drei weitere Personen wurden im Krankenhaus behandelt. Das Feuer, das gegen 17 Uhr im Zellentrakt ausbrach, verbreitete sich ungewöhnlich schnell imgesamten Gebäude und konnte erst nach Stunden gelöscht werden. Ersten Erkenntnissen zufolge handelt es sich um Brandstiftung. Einer der Insassen legte offenbar in seiner Zelle Feuer, bevor er Selbstmord beging. Nach unbestätigten Angaben handelt es sich bei dem Brandstifter um den sogenannten «Mädchenwürger von Duisburg», dessen Fall im November letzten Jahres für Aufsehen sorgte. Der siebzehnjährige Hendrik Vermeeren wurde wegen dreifachen Mordes verurteilt, es galt als erwiesen, dass er drei Mädchen im Alter zwischen zwölf und vierzehn vergewaltigte und anschließend erwürgte. Vermeeren zeigte während der Gerichtsverhandlung keinerlei Reue, dennoch wurde er aufgrund seines Alters lediglich zu einer Jugendstrafe verurteilt. Möglicherweise empfand Vermeeren inzwischen doch Schuldgefühle, denn der junge Mann soll einen Abschiedsbrief an seine Familie geschrieben haben, bevor er sich das Leben nahm. Der Sachschaden, der durch das Feuer entstand, wird auf über zwei Millionen Mark geschätzt. Voraussichtlich wird es Monate dauern, bis die JVA Siegburg wieder bezogen werden kann. Die evakuierten jugendlichen Straftäter wurden derweil auf verschiedene andere Anstalten verteilt, wo sie vorerst bleiben sollen. Wie genau es Vermeeren gelingen konnte, das Feuer zu legen, muss noch untersucht werden.
Sechzehn Jahre später
Dienstag, 8. Oktober, 11:00 Uhr
Die Wohngegend galt als exklusiv, die Häuser waren schick, die Limousinen, die in den Einfahrten parkten, schwarz und teuer. Doch der Tod war hier genauso hässlich wie überall. Vielleicht sogar ein bisschen hässlicher. Georg Stadler parkte den Dienstwagen in zweiter Reihe und ging auf den Eingang von Nummer vierzehn zu. Schon im Treppenhaus schlug ihm der bestialische Gestank entgegen. Es war nicht der typische, süßlich-metallische Geruch nach Blut, sondern etwas anderes, etwas absolut Widerwärtiges. Die Ausdünstungen der Hölle. Stadlerwappnete sich innerlich für den Anblick, der ihn erwartete, bevor er über die Schwelle in die Wohnung trat. Linda Franke von der Kriminaltechnik bemerkte ihn als Erste. «Ich hoffe, dein Magen ist stabil», sagte sie statt einer Begrüßung. Sie war blasser als sonst, ihre Wangen hatten fast die gleiche Farbe wie ihr weißblonder Pferdeschwanz. «Das da drinnen ist echt übel.» «Wenn du das sagst.» Stadler fischte einen der Schutzanzüge aus einem Karton und stieg hinein. «Kannste mir glauben», bestätigte Linda. «Olli hat gekotzt, und eins von den Streifenhörnchen musste sogar vom Notarzt behandelt werden.» «So schlimm?» Linda versuchte zu lächeln, was gründlich misslang. Gewöhnlich flirtete sie schamlos mit ihm, und er hatte schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, ihr Angebot anzunehmen. Aber er hatte seine eiserne Regel, nichts mit Kolleginnen anzufangen, einmal gebrochen, und das Ergebnis war katastrophal gewesen. Auf einen zweiten Versuch verzichtete er lieber. Auch wenn die süße Linda ihm noch so schöne Augenmachte. Außerdem war sie weitaus jünger als die Frauen, die er sonst abschleppte. Er seufzte. «Was haben wir?» Linda, die sein Seufzen offenbar fehldeutete, sah ihn mitfühlend an. «Weibliche Leiche. Vermutlich die Wohnungseigentümerin. Sie liegt im Wohnzimmer. Ziemlich übel zugerichtet. » Sie zuckte mit den Schultern. «Man könnte meinen, Jack the Ripper sei von den Toten auferstanden.» Stadler hob die Augenbrauen. «Jack the Ripper?» «Schau's dir selbst an.» Er schob sich an ihr vorbei durch die Wohnzimmertür. Der Gestank war hier so intensiv, dass es ihm fast den Atem raubte. Er zwang sich, nicht darauf zu achten und den Tatort in sich aufzunehmen. Zuerst sah er nur die gegenüberliegende Wand. Sie war weiß gestrichen, ein weiß lackiertes Klavier stand davor. Beides war mit braunroten Flecken übersät, die sich wie Fontänen über den hellen Untergrund ergossen. Auch die Decke war braunrot gesprenkelt, ebenso das Bücherregal an der angrenzenden Wand. Einer der Kollegen, der auf dem Boden kniete, erhob sich und gab den Blick auf die Leiche frei. Stadler rang nach Luft. «Ach, du Scheiße», murmelte er. Behutsam trat er näher. Die Frau lag auf dem Rücken, die Beine gespreizt. Sie trug einen offenen Morgenmantel und einen einzelnen Hausschuh, sonst nichts. Der Täter hatte ihr die Halsschlagader durchtrennt. Das erklärte das viele Blut an den Wänden. Doch sein Opfer einfach nur verbluten zu lassen, hatte ihm offensichtlich nicht genügt. Unzählige Male hatte er auf die Frau eingestochen. Stichwunden bedeckten den Brustbereich und die Schultern. Ob er auf den Unterleib ebenfalls eingestochen hatte, war nicht zu erkennen, denn hier klaffte eine riesige offene Wunde. Der Mörder hatte den Bauch seines Opfers mit einem einzigen langen Schnitt aufgeschlitzt. Die Organe lagen bloß, eine Darmschlinge wand sich aus dem Bauchraum und bedeckte die Scham der Frau. Linda trat neben Stadler. «Was für ein Scheißkerl tut so etwas? », fragte sie leise. Stadler antwortete nicht. Er kniff die Augen zusammen. Der Anblick der Toten hatte eine Erinnerung in ihm geweckt. Nicht die an Bilder von Jack the Rippers Opfern, die er irgendwann mal bei einer Fortbildung zu Gesicht bekommen hatte. Nein, die Bilder, die er meinte, waren neueren Datums. Und sie sahen denen hier verdammt ähnlich. Doch er konnte sich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang das gewesen war. «Was wissen wir?», fragte er Linda. «Ihr Name ist Leonore Talmeier. Sie war Rechtsanwältin. Verheiratet. Keine Kinder. Ihr Mann ist im Ausland. Wir haben ihn noch nicht erreicht.» Stadler wandte sich ab. Er hatte genug gesehen. Im Flur fragte er weiter, während er aus dem Anzug schlüpfte. «Habt ihr mit den Nachbarn gesprochen? Hat jemand was bemerkt?» Linda zog die Handschuhe aus. «Bisher hat die Befragung nichts ergeben. Die Hausbewohner sind schockiert. Alle mochten Frau Talmeier. Viele meinen, es muss etwas mit ihrem Beruf zu tun haben. Weil sie Kriminelle verteidigt hat.» «Aha.» Stadler lehnte sich gegen die Wand. Der Gestank machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte. Vielleicht wurde er alt. Dünnhäutig. «Ich fahr dann mal ins Präsidium. Ruf mich an, wenn's was Neues gibt.» «Mach ich.» Sie lächelte ihn an. Bestimmt würde sie etwas finden, schon allein, damit sie einen Vorwand hatte, mit ihm zu reden. Stadler nickte ihr zu und verließ die Wohnung. Auf dem Weg zu seinem Wagen machte es plötzlich klick! in seinem Kopf. Jetzt wusste er, weshalb ihm der Anblick der verstümmelten Leiche so bekannt vorgekommen war.
Donnerstag, 17. Oktober, 15:50 Uhr
«Vergessen Sie CSI, vergessen Sie Das Schweigen der Lämmer, vergessen Sie, was Sie im Fernsehen gesehen oder in einem der zahllosen Bücher zu diesem Thema gelesen haben. Vergessen Sie alles, was Sie glauben, über Serienkiller zu wissen. Denn in Wahrheit wissen Sie nichts. Absolut nichts.» Liz Montario lehnte sich gegen das Pult und ließ ihren Blick langsam durch den Seminarraum gleiten. Alle Augen waren auf sie gerichtet, niemand sprach, niemand rührte sich auch nur. «Gut», schloss sie ihren Vortrag. «Das war's für heute. Bis nächste Woche lesen Sie bitte die beiden ersten Texte im Reader und überlegen sich, zu welchem Thema Sie ein Referat halten möchten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.» Als Liz um das Pult herum ging, erwachte der Raum wieder zum Leben. Fingerknöchel trommelten Beifall auf die Tische, Stimmengemurmel setzte ein, Stühle wurden quietschend nach hinten geschoben, ein Handy piepste. Liz stopfte ihre Unterlagen in die Tasche, wandte sich ab und schritt hinaus auf den Korridor. Schnell weg, bevor einer der zahlreichen übereifrigen Studenten sie in ein Fachgespräch verwickelte. Irgendeiner versuchte es immer, egal, wie unnahbar sie sich gab. Und nicht selten steigerte er sich dabei mit einer Leidenschaft in das Thema, die weit über reines Fachinteresse hinausging. Liz packte die Tasche fester und lief auf den Fahrstuhl zu. Wenn man auf Soziopathen spezialisiert war, zog man allerhand merkwürdige Gestalten an. Auch solche, auf die die Täterprofile, die sie mit den Studenten durcharbeitete, erschreckend genau zutrafen. Im zweiten Stock stieg Liz aus. Hier lagen die Büros der Mitarbeiter der Psychologischen Fakultät. Der Gang war dunkel, eine der Türen nur angelehnt, dahinter war leises Gemurmel zu hören, ansonsten herrschte Stille. Es war Donnerstagnachmittag, die meisten Kollegen waren bereits auf dem Heimweg. Liz teilte sich einen Raum mit zwei weiteren Lehrbeauftragten und einer studentischen Hilfskraft. Sie hatte nicht einmal einen eigenen Schreibtisch, doch das störte sie nicht, da sie lediglich einen Tag in der Woche an der Universität verbrachte. Zudem nutzte sie das Büro nur, um ihre Sachen abzustellen, und für die Sprechstunde, die sie am Vormittag abhielt. Wenn sie gewollt hätte, wäre sie längst mit einem eigenen Lehrstuhl an einer renommierten Hochschule vertreten. Schließlich war sie so etwas wie ein Star auf ihrem Gebiet. In ihrer Doktorarbeit über Serienmorde hatte sie einen Täter entlarvt, von dessen Existenz die Polizei bis dahin noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Erst nach der Veröffentlichung ihrer Dissertation war eine Mordkommission ihrer Theorie nachgegangen und hatte eine Serie von Verbrechen aufgeklärt, die inzwischen als sogenannte Kanalmorde bekanntgeworden waren. Obwohl manche Kollegen wegen des Rummels, der um sie gemacht wurde, die Nase rümpften und ihre Methode als unwissenschaftlich verunglimpften, hatten ihr mehrere Universitäten in ganz Europa hochdotierte Stellen angeboten. Doch sie hatte abgelehnt. Sie wollte unabhängig bleiben, sich nicht festlegen, und das Geld brauchte sie auch nicht. Verborgene Muster, eine Version ihrer Doktorarbeit, aus der sie sämtliche Fußnoten und Dutzende Fachbegriffe gestrichen hatte, damit sie den normalen Leser nicht überforderte, war ein Bestseller und verkaufte sich auch ein Jahr nach Erscheinen noch immer unglaublich gut. Sie erhielt ständig Anfragen für Vorträge, Lesungen oder Interviews, die sie jedoch alle ablehnte. Das Letzte, was sie wollte, war ihr Bild in der Zeitung. Eigentlich wollte sie auch nicht unterrichten. Den Lehrauftrag hatte sie nur angenommen, damit ihr Ruf als Wissenschaftlerin nicht völlig den Bach hinunterging. Liz stieß die Bürotür auf und grüßte Ruben, der nur kurz von seinem Bildschirm aufblickte. «Hallo, Frau Doktor Montario. Sie haben zwei Briefe und eine Telefonnachricht. Liegt alles da drüben. »Er deutete auf den Schreibtisch, den Liz und ihre Kollegen im Wechsel nutzten. Ruben Keller war Hilfskraft im Institut, ein großer, schlaksiger Junge mit schwarz gerahmter Brille und Strubbelfrisur. Einer, der immer ein wenig übereifrig wirkte, von dem Liz jedoch annahm, dass ihm alles, was an der Uni geschah, letztlich gleichgültig war. Sein wahres Leben verbrachte er in diversen Foren im Netz, seine Freunde waren über die ganze Welt verteilt, auch wenn er sie nur virtuell kannte. Vielleicht mochte sie ihn gerade deswegen, denn er war einer der wenigen Menschen, der sie genauso desinteressiert wie jeden anderen behandelte und nicht mit dieser Mischung aus Ehrfurcht und Argwohn, die ihr sonst so häufig entgegengebracht wurde. «Danke, Ruben.» Sie trat an den Schreibtisch, griff nach den zwei Umschlägen. An dem oberen klebte ein gelber Haftzettel. Kriminalhauptkommissar Georg Stadler bittet um Rückruf, stand darauf, gefolgt von einer Telefonnummer. «Was will dieser Kommissar?», fragte Liz betont beiläufig. Das Wort Kriminalhauptkommissar flimmerte vor ihren Augen. Die Polizei hatte in den letzten Monaten ihretwegen eine Menge Spott und Schelte über sich ergehen lassen müssen, viele Beamte reagierten allergisch auf ihren Namen. Einige hatten sie sogar am Telefon beschimpft. Doch das war nicht der Grund, weshalb ihr Magen sich zusammenkrampfte.
«Hat er nicht gesagt», antwortete Ruben, ohne sie anzusehen. Liz betrachtete die Umschläge. Der erste war von der Universitätsverwaltung, der zweite ließ ihren Herzschlag kurz aussetzen. Dr. Elisabeth Montario, war mit Schreibmaschine darauf getippt. Schreibmaschine, keine Computerschrift im Schreibmaschinenlook. Vor etwa einer Woche hatte sie genau so einen Umschlag bekommen, und der Inhalt hatte ihr für einen Augenblick den Atem geraubt. Dennoch hatte sie ihn schon fast wieder vergessen. Der Absender schien das geahnt zu haben und deshalb ihr Gedächtnis auffrischen zu wollen. Sie riss den Umschlag auf und entnahm das einzelne Blatt. Die Nachricht war kurz und ebenfalls mit der Schreibmaschine getippt: Finde mich, bevor ich dich finde. Liz ließ die Worte sacken. Fraglos eine Eskalation. Die erste Nachricht hatte schlicht gelautet: Finde mich. «Etwas nicht in Ordnung?» Ruben sah sie neugierig an. «Alles bestens.» Sie schnappte sich ihre Lammfelljacke und verließ das Büro. Auf dem Weg zum Wagen blies ihr der Wind gelbes Herbstlaubvor die Füße, Wolken stoben über den schmutzig grauen Himmel. Sie versuchte, an nichts zu denken, doch der anonyme Briefschreiber ging ihr nicht aus dem Sinn. Er war bei weitem nicht der erste Verrückte, der auf diese Weise Kontakt zu ihr aufnahm. Sie war eine Berühmtheit, eine Art Pop-Profilerin, und es gab eine Menge Spinner, die versuchten, sie zu merkwürdigen Spielchen herauszufordern oder schlicht zu testen, auf was sie so alles hereinfiel. Doch bei diesem Briefschreiber war es anders. Das spürte sie. Diese Worte konnten kein Zufall sein. Auch wenn sie keine Erklärung dafür hatte und nicht die geringste Ahnung, was der Unbekannte von ihr wollte. Sie wusste nur, dass sie ihn ernst nehmen sollte. Und das war mehr als reines Bauchgefühl. Liz sperrte den Wagen auf, setzte sich hinter das Steuer und schloss für einen Augenblick die Augen. Dann zog sie das Handy aus der Tasche und tippte die Nummer des Kommissars ein.
Donnerstag, 17. Oktober, 16:26 Uhr
Georg Stadler steckte sein Handy zurück in die Tasche und trat wieder zu seiner Kollegin Birgit Clarenberg. «Irgendetwas Neues?», fragte sie und sah ihn an. «Nein. War privat.» Er hasste es, sie zu belügen, doch er wollte sie da nicht mit hineinziehen. «Ist die Maschine inzwischen gelandet?» «Vor ein paar Minuten. Hoffentlich dauert es nicht mehr lange. Ich hasse diese Warterei.» Sie standen im Ankunftsbereich des Flughafens und warteten auf Oswald Krämer, den Ehemann des Opfers. Leonore Talmeier war seit zehn Tagen tot, doch erst jetzt kehrte der Archäologe aus Peru zurück, wo er eine Ausgrabung leitete. «Das muss er sein. »Birgit zeigte auf einen hochgewachsenen blonden Mann mit braungebrannter Haut, der eine Umhängetasche über der Schulter trug. «Hat wohl nur Handgepäck.» «Na, dann mal los.» Stadler marschierte auf den Mann zu, Birgit folgte ihm, so schnell sie konnte. Sie trug einen engen Rock, was ihre Schrittlänge beeinträchtigte. Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, heute das Büro verlassen zu müssen. Sie erreichten den Mann, und Stadler sprach ihn an. «Herr Krämer? Oswald Krämer?» «Wer will das wissen?» Der Mann bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick. Er war mindestens einen Meter fünfundneunzig groß, sodass selbst Stadler zu ihm aufblicken musste, was ihm nur selten passierte.
Er zückte seinen Dienstausweis. «Kripo. Georg Stadler. Das ist meine Kollegin Birgit Clarenberg.» Er stopfte den Ausweis zurück in die Tasche und sagte etwas sanfter: «Das mit Ihrer Frau tut mir leid.» Krämer verzog das Gesicht. «Was wollen Sie?» «Wir müssen mit Ihnen reden, Herr Krämer», schaltete Birgit sich ein. «Wir haben einige Fragen.» Als Krämer sich irritiert umblickte, fügte sie rasch hinzu: «Natürlich nicht hier auf dem Flughafen. Vielleicht möchten Sie uns aufs Präsidium begleiten?» «Habe ich eine Wahl?», blaffte er. Birgit wollte offenbar etwas erwidern, doch Stadler kam ihr zuvor. «Kommen Sie. Der Dienstwagen steht direkt da vorn.» Er lotste den Mann zwischen den Menschen hindurch zum Ausgang. Als sie losfuhren, sagte er: «Es war schwer, Sie ausfindig zu machen.» «Das bringt mein Beruf so mit sich. Im Dschungel gibt es kein Handynetz. Nur ein Satellitentelefon. Aber das ist im Basiscamp, und da bin ich nicht immer.» «Sie sind Archäologe?» «Das wissen Sie doch sicherlich schon.» Stadler beobachtete Krämer im Rückspiegel. «Dann suchen wir sozusagen beide nach verborgenen Wahrheiten.» Krämer schnaubte. Es war offensichtlich, dass er keine Gemeinsamkeiten zwischen sich und der Kriminalpolizei sah, doch er erwiderte nichts. Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Krämer machte erst wieder den Mund auf, als sie in einem der Vernehmungszimmer saßen. Birgit hatte Kaffee organisiert. Stadler bediente den Recorder, der die Befragung aufzeichnete. «Wann genau haben Sie vom Tod Ihrer Frau erfahren?», begann Stadler, nachdem er die einführenden Informationen auf das Band gesprochen hatte. Nicht der einfühlsamste Einstieg, doch er hatte nicht den Eindruck, Oswald Krämer Mitgefühl schuldig zu sein. Er schien vom Tod seiner Frau nicht besonders betroffen. «Vor fünf Tagen», antwortete Krämer. «Am vergangenen Samstag. Wir waren gerade damit fertig, ein paar Höhlen zu untersuchen.» «Und da sind Sie erst heute hergekommen?» Krämer nahm einen Schluck Kaffee. «Ich leite eine größere Ausgrabung. Ich kann nicht einfach so verschwinden, ich muss sicherstellen, dass in meiner Abwesenheit alles glattläuft. Und nach der Beerdigung muss ich sofort wieder zurück.» Er sah auf die Uhr, als wäre es eine Frage von Stunden. «Entschuldigen Sie», sagte Stadler, «aber ich habe den Eindruck, dass Ihnen der Tod Ihrer Frau nicht sehr nahe geht.» «Was ich empfinde, geht Sie nichts an.» «Es geht um Mord, da ist leider nichts privat», konterte Stadler. «Bin ich etwa verdächtig? Ich habe jawohl ein Alibi: Ich war am anderen Ende der Welt. Himmel noch mal, ich dachte, das ist Ihr Job! Stellen Sie sich immer so dilettantisch an?» Stadler warf Birgit einen raschen Blick zu. Sie hob die Brauen, dann beugte sie sich vor. «Herr Krämer, vielleicht möchten Sie uns erzählen, wann Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau gesprochen haben?» Er sah sie an, wirkte mit einem Mal etwas versöhnlicher. «Ich weiß nicht. Vor drei Wochen etwa. Wir haben telefoniert.» «Hat sie da irgendetwas gesagt, das uns von Nutzen sein könnte? Hatte sie mit jemandem Streit? Wurde sie bedroht? Ihre Frau war Anwältin, vielleicht gab es Ärger mit einem Klienten oder mit einem Prozessgegner.» Krämer zuckte mit den Schultern. «Nichts, wovon ich wüsste. Aber sie hat mir auch selten von ihren Fällen erzählt. Sie hat sich nicht für meine Mumien interessiert und ich mich nicht für ihre Kleinkriminellen. Wir haben uns gegenseitig so wenig wie möglich mit beruflichen Details behelligt.» Stadler sah, wie Birgit schluckte, ehe sie fortfuhr. «Hätte Ihre Frau einen Fremden in die Wohnung gelassen?» «Keine Ahnung. Vermutlich schon. Wenn er sich als potenzieller Klient ausgegeben hätte zum Beispiel. Sie hatte eine Schwäche für die Kerle, die sie verteidigte.» «Sie waren davon nicht so angetan?», fragte Stadler. «Na, Sie sehen doch, wohin das geführt hat», gab Krämer zurück. Stadler verlor allmählich die Geduld. Es hatte den Anschein, als sei der gewaltsame Tod seiner Frau für Krämer lediglich ein lästiger Zwischenfall, sowie ein verspäteter Flug oder eine Reifenpanne. Entweder war er mit der Situation emotional überfordert, oder er empfand tatsächlich nichts. «Es gibt im Augenblick keinen Hinweis darauf, dass es einer ihrer Klienten war.» «Da kann ich Ihnen auch nicht helfen.» Krämer verschränkte die Arme. Stadler tat, als schaue er etwas in der Akte nach, bevor er die nächste Frage stellte. «Ich nehme an, Sie wussten von der Operation, der sich Ihre Frau vor acht Jahren unterzogen hat?» «Operation? Was meinen Sie?» Krämer wirkte ehrlich ahnungslos. «Sie hatte eine Unterleibsoperation, bevor wir zusammengekommen sind. Kann sein, dass das acht Jahre her ist. Wir sind erst seit fünf Jahren verheiratet.» «Wie haben Sie sich kennengelernt?» Oswald Krämer schlug mit der Hand auf den Tisch. «Jetzt reicht es aber! Was hat das denn mit dem Tod meiner Frau zu tun?» «Das wissen wir nicht», gab Stadler ehrlich zu. «Aber wir müssen uns ein so genaues Bild wie möglich von ihr und ihrem Umfeld machen.» Er zog ein Blatt aus der Akte. «Das hier haben wir in den Unterlagen Ihrer Frau gefunden. Sie haben sich über eine Agentur im Internet kennengelernt, ist das richtig? Eine Firma, die speziell Kunden mit gehobenen Ansprüchen bedient.» «Und? Geht Sie das was an?» «Sie haben eine kultivierte, finanziell unabhängige Frau gesucht, die Sie nicht zu sehr vereinnahmt. Stimmt das?» «Worauf wollen Sie hinaus? Halten Sie mich für einen Heiratsschwindler? Ich bin selbst vermögend. Ich wollte lediglich eine Partnerin, die mich bei gesellschaftlichen Anlässen begleitet, die mit mir ins Theater geht, die da ist, wenn ich von einer mehrmonatigen Reise aus Südamerika zurückkehre. Das ist ja wohl nicht verboten, oder?» «Dann komme ich noch einmal auf meine Frage zurück: Wussten Sie von der Operation?» «Was für eine Operation, verdammt?» Stadler ließ den Archäologen nicht aus den Augen, während er antwortete. «Ihre Frau wurde am 25. März 1971 geboren, als Franz Talmeier.» Oswald Krämer starrte ihn fassungslos an, doch er sagte nichts. Stadler fuhr fort. «Vor acht Jahren unterzog sich Franz Talmeier einer Geschlechtsumwandlung. Seither lebte er offiziell als Leonore Talmeier.» «Blödsinn!», brüllte Krämer. «Das ist totaler Blödsinn, Sie wollen mich verarschen! Was soll der Scheiß?» «Sie wussten also nichts davon?» «Natürlich nicht, weil es nicht stimmt.» Krämers braungebranntes Gesicht war rot angelaufen. «Wer hat Ihnen denn diesen Mist erzählt?» Stadler räusperte sich. «Wir haben die entsprechenden Papiere ebenfalls bei den Unterlagen Ihrer Frau gefunden. Und der Rechtsmediziner hat es bestätigt.» Er sah Krämer scharf an. «Der Mörder muss es ebenfalls gewusst haben.» Krämer kniff die Augen zusammen. «Wie kommen Sie darauf? » Stadler warf Birgit einen Blick zu. Normalerweise verschonten sie Angehörige mit grausigen Details, doch sie nickte kaum merklich. «Sie können es ruhig sagen», beharrte Krämer. «Ich musste mir in den letzten Minuten so viele Ungeheuerlichkeiten anhören, Sie können mich nicht mehr schocken.» Stadler holte Luft. «Der Täter hat Ihrer Frau den Unterleib aufgeschlitzt und darin herumgewühlt, so als hätte er etwas gesucht. Doch anstatt etwas zu entnehmen, tat er etwas hinein: eine winzige nackte Puppe. Sie steckte dort, wo sich bei anderen Frauen die Gebärmutter befindet. Es war fast so, als hätte er aus Leonore Talmeier eine richtige Frau machen wollen.»
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Karen Sander
- 2013, 6. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499242176
- ISBN-13: 9783499242175
- Erscheinungsdatum: 01.08.2013
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