Das Gewicht des Himmels

Tracy Guzeman: Als ich im Mittleren Westen lebte, grenzte unser Grundstück an einen großen Wald an. Dort gab es Wachteln, Reb- und Moorhühner, Kardinäle, Spechte und alle möglichen anderen Vogelarten. Diese Vielfalt faszinierte mich sehr. Jetzt habe ich das Glück, einen Garten mit einer Kamelienhecke zu haben. Von meinem Schreibtisch aus kann ich die unterschiedlichsten Vögel sehen: Finken, Spechtmeisen, Zaunkönige, Meisen und Mückenfänger. Um sie anzulocken, habe ich ihnen vor dem Fenster eine Futterstelle gebaut (allerdings bemerken sie mich entweder nicht oder sie interessieren sich nicht für mich). Sie etwa dabei zu beobachten, wie sie umeinander werben und dabei kleine Geschenke austauschen - eine perfekte Beere oder ein Blütenblatt, verzaubert mich jedes Mal aufs Neue.

Welche Rolle spielt die Familie in Ihrem Roman?
Tracy Guzeman: Mir ging es um die Frage, was passiert, wenn Mitglieder einer entzweiten Familie versuchen, wieder aufeinander zuzugehen. Welche Konsequenzen hat dieser Schritt?
Die Figuren in »Das Gewicht des Himmels« kommen aus dysfunktionalen Familien. Trotzdem wissen sie alle, welch wichtige Bedeutung Familie hat - Rückhalt, Loyalität, Unterstützung, das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Dieses Gefühl suchen sie woanders, bei Freunden, aber auch bei Fremden, indem sie für sich neue »Familien« erschaffen.

Dachten Sie an ein bestimmtes Bild, als Sie Thomas Baybers Malerei beschrieben?
Tracy Guzeman: Die Idee mit dem Bild, auf dem die beiden Schwestern und Alice gemeinsam zu sehen sind, kam mir durch ein Familienporträt, das meine Ur-Ur-Urgroßmutter als junge Frau und Mutter neben ihren zwei Töchtern zeigt. Dieses Gemälde hat mich schon fasziniert, seit ich ganz klein war. Immer wenn ich mir das Bild ansah, habe ich mir überlegt, wie das Leben der drei wohl verlief.

Neben Ihrem Roman haben Sie bereits einige Kurzgeschichten veröffentlicht. Wie kommen Sie auf Ihre Geschichten?
Tracy Guzeman: Die Geschichten fügen sich meistens nach und nach zu einem Ganzen. Eine Figur kann aus der Erinnerung an einen Traum entstehen; eine zufällig mitgehörte Bemerkung kann sich in eine Stimme verwandeln, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht; ein Handlungselement kann sich aus einem Zeitungsartikel weiterentwickeln, den ich gelesen habe. Aber bei allem gibt es immer einen Kern von etwas, das mich nicht mehr loslässt; irgendetwas, das mich fragen lässt: »Was wäre, wenn ...?«

Alice, eine der Hauptfiguren in »Das Gewicht des Himmels«, leidet unter rheumatoider Arthritis. Wie beeinflusst die Krankheit Ihre Figur?
Tracy Guzeman: Alice ist eine Figur, die mich von Anfang an herausgefordert hat. Die Tatsache, dass sie schon als junges Mädchen an rheumatoider Arthritis erkrankt, macht sie auf den ersten Blick zugänglicher, aber ich wollte auf keinen Fall, dass sie auf ihre Krankheit reduziert wird. Wie alle Menschen, die an einer chronischen Krankheit leiden, hat Alice ihre Träume und Wünsche, Fehler, Schwächen und Sorgen. Leider werden Menschen, die an chronischem Schmerz leiden, oft nicht richtig ernst genommen. Auch wenn Alice ihre körperliche Einschränkung akzeptieren muss, war es mir wichtig, dass sie zu einer selbstbewussten Persönlichkeit mit vielen Facetten entwickelt.