Cormoran Strike Band 1: Der Ruf des Kuckucks
Das hochgelobte Krimidebüt, das J.K. Rowling unter dem Pseudonym Robert Galbraith geschrieben hat, wird auch Sie begeistern!
Als das berühmte Model Lula Landry von ihrem schneebedeckten Balkon im Londoner Stadtteil Mayfair in...
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Das hochgelobte Krimidebüt, das J.K. Rowling unter dem Pseudonym Robert Galbraith geschrieben hat, wird auch Sie begeistern!
Als das berühmte Model Lula Landry von ihrem schneebedeckten Balkon im Londoner Stadtteil Mayfair in den Tod stürzt, steht für die ermittelnden Beamten schnell fest, dass es Selbstmord war. Der Fall scheint abgeschlossen. Doch Lulas Bruder hat Zweifel - ein Privatdetektiv soll für ihn die Wahrheit ans Licht bringen.
Cormoran Strike hat in Afghanistan körperliche und seelische Wunden davongetragen, mangels Aufträgen ist er außerdem finanziell am Ende. Der spektakuläre neue Fall ist seine Rettung, doch der Privatdetektiv ahnt nicht, was die Ermittlungen ihm abverlangen werden. Während Strike immer weiter eindringt in die Welt der Reichen und Schönen, fördert er Erschreckendes zutage und gerät selbst in große Gefahr.
Ein fesselnder, einzigartiger Kriminalroman, der die Atmosphäre Londons eindrucksvoll einfängt … "Der Ruf des Kuckucks" ist das hochgelobte Krimidebüt von J.K. Rowling, geschrieben unter dem Pseudonym Robert Galbraith, in dem sie mit Cormoran Strike einen ungewöhnlichen Ermittler präsentiert.
International begeisterte Stimmen zum Buch:
"Ein hoch unterhaltsamer Roman. Cormoran Strike ist ein bemerkenswerter Protagonist, der Star hoffentlich vieler weiterer Bände, auf die die Leser gespannt warten werden".
NEW YORK TIMES
"Jedes Mal, wenn ich das Buch zur Seite legte, freute ich mich bereits darauf weiterzulesen. Ich bin absolut begeistert von diesem Roman. Robert Galbraith ist ein großartiges neues Talent."
PETER JAMES
"Der Ruf des Kuckucks ist ein scharfzüngiger Gegenwartsroman, gespickt mit traditionellen Erzählelementen. Wunderbar erfrischend und unterhaltsam."
THE TELEGRAPH
"Dieses Krimidebüt zeigt, dass man nicht über Magie schreiben muss, um ein magisches Buch zu erschaffen."
SUNDAY TIMES
"Ein Meisterwerk!"
DIE WELT Online
Als das berühmte Model Lula Landry von ihrem schneebedeckten Balkon im Londoner Stadtteil Mayfair in den Tod stürzt, steht für die ermittelnden Beamten schnell fest, dass es Selbstmord war. Der Fall scheint abgeschlossen. Doch Lulas Bruder hat Zweifel - ein Privatdetektiv soll für ihn die Wahrheit ans Licht bringen.
Cormoran Strike hat in Afghanistan körperliche und seelische Wunden davongetragen, mangels Aufträgen ist er außerdem finanziell am Ende. Der spektakuläre neue Fall ist seine Rettung, doch der Privatdetektiv ahnt nicht, was die Ermittlungen ihm abverlangen werden. Während Strike immer weiter eindringt in die Welt der Reichen und Schönen, fördert er Erschreckendes zutage und gerät selbst in große Gefahr ...
Ein fesselnder, einzigartiger Kriminalroman, der die Atmosphäre Londons eindrucksvoll einfängt - von der gedämpften Ruhe in den Straßen Mayfairs zu den versteckten Pubs des East Ends und dem lebhaften Treiben Sohos. "Der Ruf des Kuckucks" ist das hochgelobte Krimidebüt von J.K. Rowling, geschrieben unter dem Pseudonym Robert Galbraith, in dem sie mit Cormoran Strike einen ungewöhnlichen Ermittler präsentiert.
Prolog
Die Menge, die sich auf der Straße versammelt hatte, brummte wie ein Fliegenschwarm. Vor den Absperrungen patrouillierten Polizisten, dahinter standen scharenweise Fotografen, die Kameras mit den langen Objektiven im Anschlag. Ihr Atem stieg wie eine Dampfwolke über ihnen auf. Beständig fiel Schnee auf Hüte, Mützen und Schultern. Behandschuhte Finger wischten über Kameralinsen. Hin und wieder ertönte ein Klicken, wenn sich einer der Umstehenden die Wartezeit damit vertrieb, Fotos von dem weißen Zelt mitten auf der Straße, dem Eingang zu dem hohen Backsteingebäude dahinter oder dem Balkon im obersten Stock zu machen - jenem Balkon, von dem der Körper gefallen war.
Hinter den dicht gedrängten Paparazzi standen weiße Übertragungswagen mit gewaltigen Satellitenschüsseln auf den Dächern. Tontechniker mit Kopfhörern lungerten zwischen den einheimischen und ausländischen Journalisten herum. In den Aufnahmepausen stampften die Reporter auf und ab und wärmten sich die Hände an heißen Kaffee- bechern aus einem nur wenige Straßen entfernten, hoffnungslos überfüllten Café. Um die Zeit totzuschlagen, filmten die Wollmützen tragenden Kameramänner die Rücken der Foto grafen, den Balkon und das Zelt, das den Leichnam verbarg. Dann wieder hielten sie nach einer Position Ausschau, von der aus sie eine Totale von dem Chaos ergattern konnten, das in der beschaulichen, verschneiten Straße in Mayfair mit ihren glänzenden schwarzen Haustüren und den weißen, von sorgfältig gestutzten Büschen flankierten Säuleneingängen ausgebrochen war. Vor dem Eingang zu Nummer 18 war Absperrband angebracht. Im Flur dahinter konnte man mehrere Polizisten erkennen, darunter auch die Beamten von der Spurensicherung in ihren weißen Schutzanzügen.
Die Fernsehsender hatten die Nachricht bereits vor mehreren Stunden gebracht. Zu beiden Enden der Straße hatte sich daraufhin ein interessiertes Publikum versammelt, das von weiteren Polizisten in Schach gehalten wurde. Einige waren eigens zum Gaffen gekommen, andere auf dem Weg zur Arbeit stehen geblieben. Viele hielten ihre Handys in die Höhe, um vor dem Weitergehen noch ein Foto zu machen. Ein junger Mann, der ganz offensichtlich nicht wusste, um welchen Balkon es sich handelte, fotografierte einfach alle nacheinander, obwohl der mittlere mit drei sorgfältig zu akkuraten Kugeln gestutzten Büschen so vollgestellt war, dass ein Mensch nur mit Mühe darauf Platz gefunden hätte.
Eine Gruppe junger Mädchen hatte Blumen mitgebracht. Sie wurden dabei gefilmt, wie sie sie den Polizisten überreichten. Diese wussten nicht so recht, wohin damit, und legten sie behutsam in einen Einsatzwagen - im Bewusstsein, dass die Kameralinsen jede ihrer Bewegungen beobachteten.
Die von den Nachrichtensendern ausgesandten Reporter hielten den stetigen Fluss der Kommentare und Spekulationen um die wenigen bekannten, aber umso sensationelleren Fakten aufrecht.
»...heute um zwei Uhr morgens aus ihrer Penthouse- Wohnung. Die Polizei wurde vom Sicherheitsdienst des Anwesens alarmiert ...«
»...keine Anstalten gemacht, den Leichnam abzutransportieren, was Anlass zu der Vermutung gibt ...«
»...noch unbekannt, ob sie zum fraglichen Zeitpunkt allein ...«
»...haben das Gebäude betreten, um eine gründliche Durchsuchung ...«
Kaltes Licht durchflutete das Innere des Zeltes. Zwei Männer kauerten neben dem Körper und warteten darauf, ihn endlich in einen Leichensack legen zu können. Um den Kopf der Toten war ein wenig Blut in den Schnee geflossen. Ihr Gesicht war zerschmettert und geschwollen. Ein Auge ähnelte nur noch einer Falte in der Haut, das andere war lediglich als mattweißer Spalt zwischen den aufgedunsenen Lidern sichtbar. Ihr Paillettentop glitzerte im Licht und erweckte dadurch beinahe den Anschein, als würde sie noch atmen oder die Muskeln anspannen, um sich im nächsten Moment aufzurichten. Die Schneeflocken klopften wie sanfte Fingerspitzen auf die Zeltleinwand über ihr.
»Wo bleibt der gottverdammte Rettungswagen?«
Detective Inspector Roy Carvers Zorn wuchs zusehends.
Das Gesicht des dicken Mannes hatte die Farbe von Corned Beef, und für gewöhnlich befanden sich auf seinen Hemden in Achselnähe große Schweißflecken. Sein von Natur aus äußerst kurzer Geduldsfaden war schon vor geraumer Zeit gerissen. Er war schon fast so lange hier wie der Leichnam. Vor Kälte spürte er seine Füße nicht mehr, und ihm war schwindlig vor Hunger.
»Rettungswagen kommt in zwei Minuten«, teilte Detective Sergeant Eric Wardle beim Betreten des Zeltes dem Handy an seinem Ohr mit und beantwortete damit unbeabsichtigt die Frage seines Vorgesetzten. »Habe gerade einen Parkplatz organisiert.«
Carver grunzte. Seine Gereiztheit wurde noch geschürt durch die Vermutung, dass sein Kollege die Anwesenheit der vielen Fotografen aufregend fand. Seiner Meinung nach hatte der jungenhaft gut aussehende Wardle, auf dessen dichten braunen Locken nun eine dünne Schneeschicht lag, bei den wenigen Malen, als sie das Zelt verlassen hatten, auffällig lange herumgetrödelt.
»Zumindest sind wir die los, sobald die Leiche weg ist«, sagte Wardle mit einem Blick zurück auf die Fotografen.
»Nicht, wenn wir weiterhin so tun, als wäre das hier ein beschissener Tatort.«
Wardle überhörte den unausgesprochenen Vorwurf geflissentlich. Und Carver geriet nur noch mehr in Rage.
»Das dumme Ding ist gesprungen. Da war niemand bei ihr. Ihre sogenannte Zeugin war zugekokst bis zum ...«
»Sie kommen«, sagte Wardle. Zu Carvers Missfallen schlüpfte er wieder aus dem Zelt, um im Scheinwerferlicht die Ankunft des Rettungswagens abzuwarten.
Die Story verdrängte Politik, Kriege und Naturkatastrophen von den Titelseiten. Kein Artikel, kein Bericht verzichtete auf ein Bild des makellosen Gesichts und des geschmeidigen, wohlgeformten Körpers der toten Frau. Innerhalb von Stunden hatten sich die wenigen bekannten Fakten wie ein Virus über ein Millionenpublikum verbreitet; der öffentlich ausgetragene Streit mit ihrem ebenso bekannten Lebensgefährten, der einsame Nachhauseweg, das angebliche Geschrei in der Wohnung und schließlich der tödliche Sturz ...
Der Lebensgefährte floh in eine Entzugsklinik; die Polizei verweigerte jeden Kommentar. Fieberhaft wurde nach all jenen Personen gesucht, die sie an dem besagten Abend zu Gesicht bekommen hatten. Das Thema füllte Tausende von Zeitungsspalten und stundenlange Sondersendungen. Die Frau, die Stein und Bein schwor, kurz vor dem Aufschlag des Körpers einen weiteren Streit gehört zu haben, gelangte zu kurzzeitigem Ruhm und wurde auf kleineren Bildern neben den Fotos der toten Schönheit gezeigt. Dann stellte sich - gefolgt von einem fast hörbaren enttäuschten Aufstöhnen der Öffentlichkeit - heraus, dass die Zeugin gelogen hatte, woraufhin diese sich in eine Entzugsklinik zurückzog, während der prominente Hauptverdächtige wieder auf der Bildfläche erschien. Wie in einem Wetterhäuschen, wo die Sonnenfrau und der Regenmann niemals gleichzeitig zu sehen sind.
Also doch Selbstmord. Nach kurzem sprachlosem Innehalten bekam die Story noch einmal etwas Rückenwind. Jetzt hieß es, die Tote sei unausgeglichen und labil gewesen; dem Status als Superstar, den ihre Wildheit und Schönheit ihr eingebracht hatten, nicht gewachsen; dass die sittenlosen Super reichen, mit denen sie sich umgeben hatte, sie verdorben hätten; dass die Dekadenz ihres neuen Lebens ihre ohnehin schon fragile Persönlichkeit völlig aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Ihr Ende wurde zu einer Moralgeschichte, die vor Schadenfreude triefte. Und die Vergleiche mit Ikarus waren so zahlreich, dass Private Eye dazu einen Extrabeitrag brachte.
Dann endlich flaute die Sensationsgier ab, und die Journalisten konnten nur noch berichten, dass schon viel zu viel berichtet worden war.
Drei Monate später
Teil eins
Obwohl Robin Ellacotts fünfundzwanzigjähriges Leben nicht frei von aufregenden und dramatischen Ereignissen gewesen war, so hatte sie doch nie zuvor das Bett in der festen Gewissheit verlassen, dass sie den anbrechenden Tag für den Rest ihres Lebens im Gedächtnis behalten würde.
Gestern um kurz nach Mitternacht hatte ihr langjähriger Lebensgefährte Matthew ihr unter der Eros-Statue mitten auf dem Piccadilly Circus einen Heiratsantrag gemacht. In dem Taumel der Erleichterung, der auf ihr Ja hin folgte, gestand er ihr, dass er sie eigentlich schon während des gemeinsamen Abendessens in dem Thai-Restaurant hatte fragen wollen; ein Vorhaben, das jedoch von dem schweigenden Pärchen am Nebentisch, das jedem Wort ihrer Unterhaltung lauschte, durchkreuzt wurde. Deshalb schlug er trotz Robins Protesten - schließlich mussten sie beide am nächsten Tag früh zur Arbeit - einen Spaziergang durch die dämmrigen Straßen vor. Da kam ihm die rettende Idee, und er führte die verwirrte Robin bis zu den Stufen vor der Statue. Er schlug (ganz Matthew-untypisch) alle Diskretion in den frostigen Wind, kniete nieder und machte ihr den Antrag. Vor drei auf den Stufen zusammengekauerten Pennern, die sich anscheinend eine Flasche Brennspiritus teilten.
Aus Robins Sicht war es, in der gesamten Geschichte der Heiratsanträge, der perfekteste Antrag aller Zeiten. Matthew hatte sogar einen Ring in der Tasche gehabt - jenen Ring mit dem Saphir und den beiden Diamanten, den sie jetzt trug und der ihr wie angegossen passte. Auf dem Weg in die Innenstadt starrte sie ständig auf die Hand, die in ihrem Schoß ruhte. Jetzt hatten Matthew und sie eine Geschichte auf Lager, die sie ihren Kindern erzählen konnten: wie sein Plan (und sie war begeistert, dass er es geplant hatte) schiefgegangen war und er improvisieren musste. Sie war begeistert von den Pennern, dem Mond und natürlich von dem nervös und verlegen vor ihr knienden Matthew gewesen; begeistert von der Eros-Statue, dem guten alten schmuddeligen Piccadilly Circus und dem schwarzen Taxi, das sie zurück nach Clapham gebracht hatte. Sie war kurz davor, sich sogar für London selbst begeistern zu können, obwohl sie in dem Monat, seit sie hier wohnte, mit der Stadt noch nicht warm geworden war. Selbst die blassen, aggressiven Pendler, die sich um sie herum im U-Bahn-Wagen drängten, erstrahlten im Glanz des Rings. Als sie an der Haltestelle Tottenham Court Road in das Licht des kühlen Märztages trat, streichelte sie die Unterseite des Platinbands mit dem Daumen. Bei der Vorstellung, dass sie sich in der Mittagspause ein paar Hochzeitsmagazine kaufen würde, platzte sie fast vor Glück.
Während sie sich einen Weg durch die Baustelle an der Oxford Street bahnte und dabei immer wieder auf einen Zettel in ihrer rechten Hand sah, folgten ihr die Blicke der Männer. Man konnte Robin mit Fug und Recht als hübsche Frau bezeichnen. Sie war groß und kurvig, das rotblonde Haar wippte, während sie flott voranschritt, und die kalte Luft verlieh ihren blassen Wangen etwas Farbe.
Heute war der erste Tag eines einwöchigen Aushilfsjobs als Sekretärin. Seit sie zu Matthew nach London gezogen war, hatte sie sich mit solchen Tätigkeiten durchgeschlagen - aber nicht mehr lange. Sie hatte bereits ein paar, wie sie es nannte, »richtige« Vorstellungsgespräche vereinbart.
Die größte Herausforderung dieser langweiligen Gelegenheitsjobs war in der Regel, den betreffenden Arbeitsplatz überhaupt zu finden. Nach der Kleinstadt in Yorkshire, aus der sie hergezogen war, wirkte London auf sie riesig, kompliziert und undurchdringlich. Matthew hatte ihr eingeschärft, nicht mit einem Stadtplan vor der Nase herumzulaufen, damit sie nicht wie eine Touristin und somit wie leichte Beute aussah. Deshalb verließ sie sich, mit wechselndem Erfolg, auf die kruden, von Hand gezeichneten Karten, die jemand bei der Zeitarbeitsagentur für sie anfertigte. Obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass sie damit eher als waschechte Londonerin durchging.
Die Metallzäune und die blauen Plastikcontainer rund um die Baustelle erschwerten ihr die Orientierung zusätzlich, da sie die Sicht auf rund die Hälfte der auf der Karte markierten Wegpunkte versperrten. Sie überquerte den aufgerissenen Asphalt vor einem gigantischen Bürokomplex, der auf ihrer Karte mit »Centre Point« beschriftet war und mit seinem strengen Gittergeflecht aus gleichförmigen rechteckigen Fenstern an eine riesige Betonwaffel erinnerte. Danach hielt sie sich grob in Richtung Denmark Street.
Ihr Ziel erreichte sie mehr oder weniger zufällig, als sie einer schmalen Seitengasse namens Denmark Place folgte, die in eine kurze Straße mit farbenfrohen Ladenfronten und Schaufenstern voll mit Gitarren, Keyboards und allen möglichen musikalischen Modeerscheinungen mündete. Rot-weiße Bauzäune umgaben ein weiteres gähnendes Loch in der Straße. Bauarbeiter in grellen Sicherheitswesten begrüßten sie mitfrühmorgendlichen Pfiffen, die Robin geflissentlich überhörte. Sie sah auf die Uhr. Da sie in ihren Zeitplan stets die Möglichkeit einrechnete, sich zu verlaufen, war sie eine Viertelstunde zu früh dran. Die unscheinbare schwarze Eingangstür zu dem Büro, in dem sie arbeiten würde, befand sich gleich neben dem 12 Bar Café; der Name des Büroinhabers stand auf einem zerfledderten Zettel, der mit Klebestreifen neben dem Klingelknopf für die zweite Etage befestigt war. An einem anderen Tag und ohne den funkelnagelneuen Ring am Finger hätte sie so etwas abgeschreckt; heute jedoch waren das schmutzige Papier und der abblätternde Lack der Eingangstür genau wie die Penner in der vergangenen Nacht nur pittoreske Details der Kulisse, vor der sich ihre große Liebesgeschichte abspielte. Sie sah noch einmal auf die Uhr (wobei der Saphir glitzerte und ihr Herz einen Satz machte; ihr ganzes Leben lang würde sie dieses Glitzern betrachten können) und entschied sich in einem Anfall von Euphorie, früher als vereinbart zu erscheinen und Begeisterung für einen Job zu zeigen, der sie nicht im Geringsten interessierte.
Sie wollte eben auf die Klingel drücken, als die schwarze Tür von innen aufgerissen wurde und eine Frau auf die Straße stürmte. Einen seltsam gedehnten Augenblick lang starrten die beiden Frauen einander direkt in die Augen und bereiteten sich auf einen Zusammenprall vor. Robins Sinne waren an diesem magischen Morgen ungewöhnlich scharf; sie sah das bleiche Antlitz ihres Gegenübers nur einen Sekundenbruchteil, bevor es ihnen gerade noch rechtzeitig gelang, einander auszuweichen. Dann war die dunkelhaarige Frau auch schon die Straße hinuntergeeilt und um die Ecke verschwunden. Trotzdem hatte sich Robin das Gesicht derart ins Gedächtnis geprägt, dass sie es ohne Probleme hätte nachzeichnen können - was nicht nur an seiner außergewöhnlichen Schönheit lag, sondern auch an seinem Ausdruck: wütend und zugleich seltsam euphorisch.
Robin ergriff die Tür, bevor sie zufallen konnte, und betrat das schäbige Treppenhaus. Eine altertümliche Wendeltreppe wand sich um einen ebenso altmodischen, von einem Gitterkäfig umgebenen und funktionsuntüchtigen Aufzug. Vorsichtig, um mit ihren hohen Absätzen nicht in den schmiedeeisernen Trittflächen stecken zu bleiben, stieg sie hinauf. Im ersten Stock kam sie an einer Tür vorbei, an der ein laminiertes und gerahmtes Schild mit der Aufschrift Crowdy Graphics hing. Erst als sie die Glastür im nächsten Geschoss erreichte, wurde Robin klar, in welcher Branche sie diese Woche aushelfen sollte - bei der Zeitarbeitsagentur hatte ihr niemand darüber Auskunft geben können. In die Glasscheibe war der Name eingraviert, den sie schon neben der Türklingel gelesen hatte: C. B. Strike. Und darunter: Privatdetektiv.
Robin blieb mit offenem Mund stehen, gefangen in einem Moment der Verblüffung, die selbst diejenigen, die sie gut kannten, nicht hätten nachvollziehen können. Sie hatte nie auch nur einer Menschenseele (nicht einmal Matthew) von diesem immer schon gehegten, geheimen, kindischen Wunschtraum erzählt. Und das ausgerechnet heute! Es kam ihr vor wie ein Wink des Schicksals (was sie zwangsläufig mit der Magie des heutigen Tages, mit Matthew und dem Ring in Verbindung brachte, obwohl zwischen diesen Dingen bei näherer Betrachtung überhaupt keine Verbindung bestand).
Langsam, um den Moment auszukosten, trat sie auf die Glastür zu. Sie streckte die linke Hand nach der Klinke aus (der Saphir wirkte dunkel im trüben Licht), doch noch bevor sie sie ergreifen konnte, flog die Tür auf.
Diesmal konnte sie nicht ausweichen. Hundert Kilogramm ungepflegter Mann krachten in sie hinein. Robin wurde von den Beinen gerissen und nach hinten geschleudert. Die Handtasche entglitt ihren Fingern, und mit rudernden Armen stürzte sie rücklings dem tödlichen Nichts des Treppenhauses entgegen.
Strike spürte den Zusammenprall, hörte den gellenden Schrei und reagierte intuitiv, indem er einen seiner langen Arme vorschnellen ließ und eine Handvoll Stoff und Fleisch packte; ein zweiter Schmerzensschrei ertönte, dann schaffte er es mit Müh und Not, die Frau wieder auf festen Boden zu ziehen. Ihr Kreischen hallte noch immer von den Wänden wider, und ihm wurde bewusst, dass auch er selbst »Herr im Himmel!« gebrüllt hatte.
Die Frau kauerte wimmernd und vor Schmerzen gekrümmt vor der Bürotür. Aus ihrer schiefen Körperhaltung und der Tatsache, dass sie eine Hand tief unter das Mantelrevers geschoben hatte, schloss Strike, dass er bei ihrer Rettung wohl ihre linke Brust gepackt hatte. Ein dichter, welliger Vorhang aus blondem Haar verbarg den Großteil ihres Gesichts, doch aus dem unverdeckten Auge konnte Strike Schmerzens tränen fließen sehen.
»Scheiße - tut mir leid!« Seine laute Stimme schallte durch das Treppenhaus. »Ich hab Sie nicht gesehen ... Ich konnte ja nicht ahnen, dass da jemand ...«
»Was ist denn da oben los?«, rief der verschrobene, eigenbrötlerische Grafikdesigner aus dem Büro im ersten Stock, und eine Sekunde später war auch über ihnen eine gedämpfte Beschwerde zu hören. Offensichtlich fühlte sich der Wirt der Kneipe im Erdgeschoss, der in der Mansardenwohnung über Strikes Büro lebte, ebenfalls gestört oder war womöglich von dem Krach geweckt worden.
»Kommen Sie rein ...«
Strike drückte die Tür mit den Fingerspitzen auf, damit er die davor kauernde Frau nicht aus Versehen berührte, und komplimentierte sie in sein Büro.
»Alles in Ordnung?«, rief der Grafikdesigner in quengelndem Tonfall herauf. Strike warf die Bürotür hinter sich zu.
»Geht schon wieder«, log Robin mit zitternder Stimme. Sie stand vornübergebeugt mit dem Rücken zu ihm da und hielt noch immer die Hand auf die Brust gepresst. Nach ein, zwei Sekunden richtete sie sich auf und drehte sich um. Ihr Gesicht war puterrot, die Augen noch feucht.
Ihr Angreifer wider Willen war gewaltig; durch seine Größe und beträchtliche Körperbehaarung, gepaart mit einem deutlichen Bauchansatz, erinnerte seine Erscheinung an einen Grizzly. Er hatte ein angeschwollenes blaues Auge; unter der Augenbraue befand sich ein Schnitt. Geronnenes Blut füllte die weiß umrandeten Kratzspuren auf seiner linken Wange und auf der rechten Seite seines dicken Halses, soweit dieser unter dem offen stehenden, verknitterten Hemdkragen sichtbar war.
»Sind Sie M-Mr. Strike?«
»Ja.«
»I-Ich bin die Aushilfe.«
»Die was?«
»Die Aushilfe. Von Temporary Solutions Personallösungen. «
Selbst die Nennung der Zeitarbeitsagentur konnte den ungläubigen Ausdruck nicht von seinem zerschundenen Gesicht vertreiben. Sie starrten einander fassungslos und beinahe feindselig an.
Genau wie für Robin stellten die letzten zwölf Stunden auch für Cormoran Strike einen Wendepunkt im Leben dar.
Diese Nacht würde er so schnell nicht vergessen. Und jetzt, so schien es, hatte ihm das Schicksal auch noch eine Botin in einem hübschen beigefarbenen Trenchcoat geschickt, um ihm unter die Nase zu reiben, dass sein Leben auf eine Katastrophe zusteuerte. Er konnte sich keine Aushilfe leisten. Als er Robins Vorgängerin entlassen hatte, war er davon ausgegangen, dass dies auch den Vertrag mit der Zeitarbeitsagentur beenden würde.
»Wie lange sollen Sie denn hier arbeiten?«
»Ei-eine Woche erst mal«, sagte Robin, die noch nie mit so wenig Begeisterung an einem neuen Arbeitsplatz willkommen geheißen worden war.
Strike überschlug es kurz im Kopf: Eine Woche zu den exorbitanten Preisen der Zeitarbeitsagentur würde seinem Dispokredit einen irreparablen Schaden zufügen. Wahrscheinlich würde diese Ausgabe sogar den Tropfen darstellen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte - worauf sein Kreditgeber nur wartete.
»Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Er verließ den Raum durch die Glastür, wandte sich nach rechts und betrat die winzige, nasskalte Toilette. Er schob den Riegel vor und starrte in den gesprungenen, verdreckten Spiegel über dem Waschbecken.
Es war kein schöner Anblick. Strike hatte die hohe, gewölbte Stirn, die breite Nase und die dichten Brauen eines jungen Beethoven, der regelmäßig in den Boxring stieg - ein Eindruck, der durch das angeschwollene blaue Auge noch bekräftigt wurde. Sein dickes Haar - mit Locken wie Matratzenfedern - war der Grund, warum man ihm in seiner Jugend unter anderem den Spitznamen »Muschikopf« verpasst hatte. Er wirkte älter als seine fünfunddreißig Jahre.
Strike steckte den Stöpsel in den Abfluss, ließ kaltes Wasser in das ramponierte, schmutzige Waschbecken laufen, holte tief Luft und tauchte den pochenden Kopf komplett unter. Dass dabei Wasser über seine Schuhe schwappte, nahm er angesichts wohltuender zehn Sekunden eisiger, blinder Stille gern in Kauf.
Unzusammenhängende Bilder der vergangenen Nacht jagten durch sein Gehirn: wie er drei Schubladen mit seinen Habseligkeiten in eine Sporttasche leerte, während Charlotte ihn anschrie; wie ein Aschenbecher ihn an der Augenbraue traf, als er sich an der Tür noch einmal umdrehte; wie er zu Fuß durch die dunkle Stadt zu seinem Büro lief, wo er auf dem Schreibtischstuhl ein, zwei Stunden Schlaf fand; und die abschließende, grässliche Szene, als Charlotte ihn in den frühen Morgenstunden hier aufspürte, um ihm wie beim Stierkampf auch noch die letzten Banderillas ins Genick zu stoßen; sein Entschluss, sie ziehen zu lassen, nachdem sie sein Gesicht zerkratzt hatte und aus der Tür gerannt war; und der Augenblick geistiger Umnachtung, als er ihr doch hinterherstürzte; die Verfolgungsjagd, die ebenso schnell endete, wie sie begonnen hatte - dank der unabsichtlichen Intervention jener unachtsamen und völlig überflüssigen Frau, die er erst hatte retten und dann beruhigen müssen.
Prustend und grunzend tauchte er wieder auf. Sein Gesicht und seine Kopfhaut prickelten angenehm betäubt. Er trocknete sich mit dem brettharten Handtuch ab, das hinter der Tür hing, und starrte erneut auf sein grimmiges Spiegelbild. Die vom Blut gesäuberten Kratzer wirkten nun so harmlos wie die Abdrücke eines Kopfkissens. Charlotte saß jetzt bestimmt schon in der U-Bahn. Einer der irrwitzigen Gedanken, die ihn dazu bewogen hatten, ihr nachzulaufen, war die Angst, sie könnte sich auf die Gleise werfen. In ihren Mittzwanzigern war sie einmal nach einem besonders heftigen Streit auf ein Dach geklettert, wo sie betrunken herumgetaumelt war und gedroht hatte zu springen. Vielleicht sollte er sich glücklich schätzen, dass die Personallösung dieser Hetzjagd ein Ende gesetzt hatte. Nach der Szene am frühen Morgen gab es kein Zurück mehr. Diesmal war es endgültig aus.
Er lockerte den Hemdkragen, der nass an seinem Hals klebte, dann zog er den Riegel zurück, verließ die Toilette und trat wieder durch die Glastür.
Von der Straße dröhnte ein Presslufthammer zu ihnen herauf. Robin stand mit dem Rücken zur Tür vor dem Schreibtisch. Als er eintrat, zog sie die Hand aus dem Trenchcoat. Er vermutete, dass sie wieder ihre schmerzende Brust betastet hatte.
»Ist ... Geht es Ihnen gut?«, fragte Strike und vermied sorgsam, den verletzten Körperteil in Augenschein zu nehmen.
»Ja, alles in Ordnung. Hören Sie, wenn Sie mich nicht brauchen können, dann gehe ich wieder«, sagte Robin würdevoll.
»Nein, nein, nicht doch«, verkündete eine Stimme aus Strikes Mund, der er selbst nur mit Verachtung zuhören konnte. »Eine Woche, das geht schon. Äh ... Die Post ist hier ...« Er klaubte sie von der Fußmatte und legte sie als Friedensangebot vor Robin auf den leeren Schreibtisch. »Ja, die müssten Sie durchsehen, außerdem ans Telefon gehen, vielleicht ein bisschen aufräumen ... Das Passwort für den Computer ist Hatherill23, ich schreibe es Ihnen auf ...« Was er unter ihrem misstrauischen, zweifelnden Blick auch tat. »Bitte schön. Ich bin dort drinnen.«
Er betrat sein Büro, schloss vorsichtig die Zwischentür hinter sich, stand dann eine Weile da und starrte die Sporttasche unter dem leeren Schreibtisch an. Sie beinhaltete sein gesamtes Hab und Gut, denn er bezweifelte, dass er die restlichen neun Zehntel seiner Besitztümer, die er bei Charlotte gelassen hatte, je wiedersehen würde. Wahrscheinlich würde sie die Sachen noch vor dem Mittagessen verbrannt, auf die Straße geworfen, zerschnitten, zertrampelt, mit Bleichmittel übergossen haben. Der Presslufthammer auf der Straße unter ihm dröhnte unablässig weiter.
Die Aussichtslosigkeit, seinen riesigen Schuldenberg je zurückzuzahlen, die entsetzlichen Konsequenzen, die der bevorstehende Bankrott seiner Firma haben würde, und die drohenden, noch unbekannten, aber gewiss grässlichen Folgen seiner Trennung von Charlotte ließen ein Kaleidoskop des Schreckens vor seinem erschöpften inneren Auge aufscheinen.
Ohne bemerkt zu haben, dass er sich überhaupt bewegt hatte, fand er sich auf dem Stuhl wieder, auf dem er die letzten Stunden der vergangenen Nacht verbracht hatte. Durch die dünne Wand hörte er gedämpfte Geräusche aus dem Vorzimmer. Die Personallösung fuhr bestimmt gerade den Computer hoch und würde bald herausfinden, dass er in den vergangenen drei Wochen keine einzige geschäftliche E-Mail erhalten hatte, und unausweichlich würde sie in der Post auf zahlreiche letzte Mahnungen stoßen. Erschöpft, geschunden und hungrig ließ Strike den Kopf auf den Schreibtisch sinken und bedeckte Augen und Ohren mit den Armen, um nicht mit anhören zu müssen, wie nebenan eine ihm völlig Fremde seine beschämende Situation bloßlegte.
Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Strike, der kurz vor dem Einschlafen gewesen war, schreckte auf dem Stuhl hoch.
»Entschuldigung?«
Sein Unterbewusstsein hatte sich wieder mit Charlotte beschäftigt, und er war überrascht, die fremde Frau eintreten zu sehen. Sie hatte den Trenchcoat abgelegt. Darunter war ein fast verführerisch eng anliegender cremeweißer Pullover zum Vorschein gekommen. Strike konzentrierte sich auf ihren Haaransatz.
»Ja?«
»Ein Klient für Sie. Soll ich ihn hereinbitten?«
»Ein was?«
»Ein Klient, Mr. Strike.«
Er sah sie mehrere Sekunden lang verständnislos an und versuchte, die Information zu verarbeiten.
»Ja, in Ordnung, Sandra ... Nein, geben Sie mir bitte noch ein paar Minuten, dann führen Sie ihn herein.«
Sie zog sich ohne Kommentar zurück.
Strike verschwendete keine Zeit darauf, sich zu fragen, weshalb er sie Sandra genannt hatte, sondern sprang auf und machte sich daran, ein bisschen weniger wie ein Mann auszusehen und zu riechen, der in seinen Klamotten geschlafen hatte. Er wühlte eine Zahnpastatube aus der Sporttasche unter dem Schreibtisch hervor und drückte sich gut sieben Zentimeter Zahncreme in den Mund. Dann bemerkte er, dass seine Krawatte vom Waschbecken nass war und sein Hemd blutbefleckt. Er riss sich beides vom Leib, dass die Knöpfe nur so von der Wand und vom Aktenschrank abprallten, zerrte ein sauberes, wenn auch stark verknittertes Hemd aus der Tasche, zog es über und knöpfte es ungeschickt mit seinen dicken Fingern zu. Anschließend versteckte er die Sporttasche hinter dem leeren Aktenschrank und setzte sich, wischte sich den Schlaf aus den Augen und fragte sich, ob dieser angebliche Klient tatsächlich ein solcher und noch dazu bereit war, Geld für detektivische Dienstleistungen auszugeben. Während seines achtzehnmonatigen Abstiegs in den finanziellen Ruin hatte Strike lernen müssen, dass beides keineswegs selbstverständlich war. Noch immer hatten zwei seiner Klienten ihre Rechnungen nicht vollständig bezahlt. Ein dritter hatte sich sogar geweigert, überhaupt einen Penny zu berappen, da ihm Strikes Ermittlungsergebnisse nicht behagt hatten. Aufgrund seiner wachsenden Schuldenlast und der Tat sache, dass eine Mietanpassung für das Innenstadtbüro drohte, das er einst so freudig bezogen hatte, konnte sich Strike auf keinen Fall einen Anwalt leisten. Daher waren seit Kurzem unsanftere, gröbere Methoden des Geldeintreibens bevorzugter Gegenstand seiner Tagträume. Nur zu gern hätte er mit angesehen, wie der selbstgefälligste seiner Schuldner zitternd vor Angst im Schatten eines Baseballschlägers kauerte.
Wieder öffnete sich die Tür. Schnell zog Strike den Zeigefinger aus der Nase, setzte sich kerzengerade hin und versuchte, so aufgeweckt und geistesgegenwärtig wie möglich zu wirken.
»Mr. Strike? Mr. Bristow für Sie.«
Der potenzielle Klient trat hinter ihr in das Büro. Der erste Eindruck sprach für ihn - obwohl der Fremde mit seiner zu kurz geratenen Oberlippe, die die großen Schneidezähne nicht ganz verdeckte, etwas eindeutig Hasenhaftes an sich hatte. Sein Teint war teigig, und der Dicke seiner Brillengläser nach zu urteilen war er stark kurzsichtig. Sein dunkelgrauer Anzug hingegen war elegant geschnitten und wirkte ebenso teuer wie der schimmernde eisblaue Schlips, die Armbanduhr und die Schuhe.
Beim Anblick des blütenweißen Hemds wurde sich Strike der tausend Falten in seiner eigenen Kleidung gleich doppelt bewusst. Er stand auf, um sich Bristow in seiner vollen Größe von eins zweiundneunzig zu präsentieren, hielt ihm die am Rücken stark behaarte Hand hin und versuchte, den Kleidungsvorteil seines Besuchers mit der Aura eines Mannes wettzumachen, der zu beschäftigt war, als dass er sich um seine Wäsche kümmern könnte.
»Cormoran Strike. Sehr erfreut.«
»John Bristow.«
Sie gaben sich die Hand. Bristows Stimme war angenehm, kultiviert und ein wenig unsicher. Sein Blick verharrte auf Strikes Veilchen.
»Kann ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?«, fragte Robin.
Bristow bat um einen schwarzen Kaffee, Strike antwortete gar nicht; er hatte soeben eine junge Frau mit buschigen Augen brauen in einem altbackenen Tweedkostüm entdeckt, die auf dem abgewetzten Sofa neben der Zwischentür im Vorzimmer saß. Dass gleich zwei mutmaßliche Klienten zur selben Zeit erschienen, war denkbar unwahrscheinlich. Ob sie ihm etwa noch eine weitere Aushilfe geschickt hatten?
»Und für Sie, Mr. Strike?«
»Was? Oh - schwarz, zwei Stück Zucker bitte. Danke, Sandra«, sagte er gedankenverloren. Ihr Mund zuckte leicht, bevor sie die Tür wieder hinter sich schloss. Erst da fiel ihm ein, dass er weder Kaffee noch Zucker im Haus hatte. Von Tassen ganz zu schweigen.
Auf Strikes Aufforderung ließ Bristow sich nieder, um sich dann mit einer Miene in dem schäbigen Büro umzusehen, die Strike zu seinem Bedauern nur als Enttäuschung deuten konnte. Der potenzielle Klient wirkte nervös - auf eine schuldbewusste Art, die Strike intuitiv mit argwöhnischen Ehemännern in Verbindung brachte; und doch strahlte er eine gewisse Autorität aus, die nicht zuletzt seinem offensichtlich teuren Anzug geschuldet war. Strike fragte sich, wie Bristow auf ihn gekommen war. Durch Mundpropaganda an Auftraggeber zu gelangen gestaltete sich schwierig, wenn die einzige Klientin (wie sie oft genug schluchzend am Telefon bekannte) keine Freunde hatte.
»Mr. Bristow, was kann ich für Sie tun?«, fragte er und setzte sich ebenfalls.
»Es ... äh ... Nun, vielleicht könnten wir zuerst ... Ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet.«
»Wirklich?«
»Sie erinnern sich sicher nicht mehr an mich. Es ist viele Jahre her ... Aber ich glaube, Sie waren ein Freund meines Bruders Charlie. Charlie Bristow? Er starb ... Er verunglückte, als er neun war.«
»Verdammt noch mal«, sagte Strike. »Charlie ... Ja, ich erinnere mich.«
Tatsächlich erinnerte er sich sehr gut. Charlie Bristow war einer von vielen Freunden gewesen, die er während seiner schwierigen, turbulenten Kindheit gehabt hatte. Charlie war ein wilder, waghalsiger Junge mit einer geradezu magnetischen Ausstrahlung gewesen, außerdem Anführer der coolsten Gang der Londoner Schule, an die Strike kurz zuvor gewechselt war. Charlie hatte einen Blick auf den hünenhaften Neuzugang mit dem starken Cornwall-Akzent geworfen und ihn sofort zu seinem besten Freund und Adjutanten ernannt.
Zwei aufregende Monate der Busenfreundschaft und des groben Unfugs folgten. Strike war von der wohlgeordneten Routine, die in anderen - vernünftigeren, konventionelleren - Familien herrschte, immer fasziniert gewesen, genau wie von der Vorstellung, jahrelang ein und dasselbe Kinderzimmer zu bewohnen. Daher hatte er auch Charlies geräumiges, luxuriöses Haus noch in lebhafter Erinnerung: den großen, sonnenbeschienenen Rasen, das Baumhaus, die Zitronenlimonade, die Charlies Mutter ihnen servierte.
Und dann brach am ersten Schultag nach den Osterferien beispielloser Schrecken über ihn herein, als ihnen die Klassenlehrerin mitteilte, dass Charlie nicht mehr zurückkommen werde, dass er tot sei, im Urlaub in Wales in einem Steinbruch mit dem Fahrrad in den Abgrund gefahren. Da die Lehrerin eine gemeine alte Hexe war, konnte sie nicht widerstehen, der Klasse zu predigen, dass Charlie, wie sie wohl wüssten, des Öfteren nicht auf die Erwachsenen gehört habe, die ihm ausdrücklich verboten hätten, in der Nähe des Steinbruchs Fahrrad zu fahren, dass er es aber trotzdem getan habe, möglicherweise aus Angeberei. Hier war sie gezwungen, sich etwas zurückzunehmen, da zwei Mädchen in der ersten Reihe anfingen zu schluchzen.
Von diesem Tag an hatte Strike stets das Gesicht eines lachenden blonden Jungen vor Augen, sobald er einen Steinbruch sah oder sich nur vorstellte. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn ein jeder seiner damaligen Mitschüler die gleiche Angst vor dem großen schwarzen Abgrund, dem tiefen Fall und dem unbarmherzigen Stein zurückbehalten hätte.
»Ja, ich erinnere mich an Charlie.«
Bristows Adamsapfel hüpfte ganz leicht.
»Wissen Sie, mir ist Ihr Name im Gedächtnis geblieben. Ich sehe Charlie noch ganz deutlich vor mir, wie er im Urlaub, in den letzten Tagen vor seinem Tod, von Ihnen sprach: ›mein Kumpel Strike‹, ›Cormoran Strike‹. Ungewöhnlicher Vorname. Woher kommt ›Cormoran‹ eigentlich? Hab ich noch nie zuvor gehört. Hat das irgendetwas mit dem Vogel zu tun?«
Bristow war beileibe nicht Strikes erster Klient, der versuchte, ein Gespräch über das Anliegen, das ihn hierhergeführt hatte, so lange wie möglich hinauszuzögern, indem er über das Wetter, die City-Maut oder seine Heißgetränkvorlieben plauderte.
»Nein. Angeblich mit einer Legende aus Cornwall«, erklärte Strike.
»Ach, wirklich? Aha. Wissen Sie, ich war auf der Suche nach Unterstützung in einer bestimmten Angelegenheit, und da bin ich im Telefonbuch auf Ihren Namen gestoßen.« Bristows Knie federte auf und ab. »Sie können sich sicher vorstellen, wie mir ... Nun ja, es kam mir vor wie ... wie ein Zeichen. Ein Zeichen von Charlie. Dass ich das Richtige tue.«
Er schluckte, und sein Adamsapfel hüpfte wieder.
»Okay«, sagte Strike vorsichtig. Er hoffte, dass Bristow ihn nicht mit einem Medium verwechselte.
»Es geht um meine Schwester«, fuhr Bristow fort.
»Verstehe. Steckt sie in Schwierigkeiten?«
»Sie ist tot.«
Strike hätte fast ausgerufen: »Was, die auch?«, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. »Das tut mir leid«, sagte er höflich.
Bristow quittierte die Beileidsbezeugung mit einem knappen Nicken.
»Ich ... Es fällt mir nicht leicht. Zuallererst sollten Sie wissen, dass meine Schwester Lula Landry ist ... war.«
Strikes Hoffnung, die sich ob der unerwarteten Aussicht auf einen neuen Klienten ein wenig aufgerichtet hatte, neigte sich, kippte vornüber und schlug ihm mit dem Gewicht eines Granitgrabsteins auf den Magen. Der Mann vor ihm litt offenbar unter Wahnvorstellungen, war womöglich sogar völlig durchgeknallt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser käsige, hasenhafte Mann den Genpool mit Lula Landrys bronze- häutiger, gazellenhafter, strahlender Schönheit teilte, war so gering wie die, zwei identische Schneeflocken zu finden.
»Meine Eltern haben sie adoptiert«, sagte Bristow verlegen, als hätte Strike seine Gedanken laut ausgesprochen. »Wir alle wurden adoptiert.«
»Aha«, sagte Strike. Er hatte ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis; wenn er sich das große, kühle, gepflegte Anwesen und den sonnendurchfluteten, weitläufigen Garten vor Augen führte, tauchte auch eine blonde Mutter in seinen Erinnerungen auf, die über den Picknickkorb wachte; die einschüchternde, dröhnende Stimme des Vaters aus der Ferne; ein mürrischer älterer Bruder, der vom Obstkuchen naschte; natürlich Charlie selbst, der seine Mutter mit seinen Albernheiten zum Lachen brachte; aber kein kleines Mädchen.
»Sie konnten sie gar nicht kennenlernen«, fuhr Bristow fort, als hätte er erneut Strikes Gedanken gelesen. »Meine Eltern haben sie erst nach Charlies Tod adoptiert. Sie ist im Alter von vier Jahren zu uns gekommen. Davor war sie längere Zeit im Heim. Damals war ich fast fünfzehn. Ich weiß noch, wie ich in der Eingangstür stand und zusah, wie mein Vater sie die Auffahrt herauftrug. Sie hatte eine kleine rote Strickmütze auf dem Kopf. Die hat meine Mutter bis zum heutigen Tag aufbewahrt.«
Völlig unerwartet brach John Bristow in Tränen aus. Er schluchzte hinter vorgehaltenen Händen und ließ die zitternden Schultern hängen. Tränen und Rotz quollen zwischen seinen Fingern hervor. Jedes Mal, wenn er sich wieder unter Kontrolle zu haben schien, wurde er von neuen Schluchzern geschüttelt.
»Tut mir leid ...Verzeihung ... oh Gott ...«
Keuchend und hicksend tupfte er sich die Augen hinter den Brillengläsern mit einem Papiertaschentuch ab und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen.
Die Bürotür öffnete sich, und Robin schlüpfte mit einem Tablett herein. Bristow wandte sich mit bebenden Schultern von ihr ab. Durch die offen stehende Tür erhaschte Strike einen weiteren Blick auf die Frau im Kostüm; sie funkelte ihn über eine Ausgabe des Daily Express hinweg böse an.
Robin stellte zwei Tassen, ein Milchkännchen, ein Zuckerdöschen und einen Teller mit Schokoladenkeksen vor ihnen auf den Tisch - Strike hatte keinen dieser Gegenstände je zuvor gesehen -, lächelte routiniert und wollte schon wieder gehen, als Strike sie aufhielt.
»Einen Moment, Sandra. Könnten Sie ...«
Er nahm ein Blatt Papier vom Schreibtisch und legte es auf sein Knie. Während Bristow leise Schluckgeräusche von sich gab, schrieb Strike so schnell und leserlich, wie es ihm unter diesen Umständen möglich war:
Bitte googeln Sie Lula Landry, finden Sie heraus, ob sie adoptiert wurde und, wenn ja, von wem. Sprechen Sie nicht mit der Frau im Vorzimmer darüber! (Wer ist das überhaupt?) Schreiben Sie die Antworten auf einen Zettel und bringen Sie ihn mir, ohne laut darüber zu reden.
Er reichte Robin das Blatt Papier. Sie nahm es wortlos entgegen und verließ den Raum.
»Tut mir leid ... Tut mir wirklich leid«, keuchte Bristow, nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte. »Es ist ... Normalerweise bin ich nicht ... Ich war wieder bei der Arbeit, in einem Mandantengespräch ...« Er atmete ein paarmal tief durch. Die geröteten Augen verliehen ihm Ähnlichkeit mit einem Albinokaninchen. Sein rechtes Knie federte immer noch auf und ab. »Es war eine schwere Zeit«, flüsterte er und holte tief Luft. »Erst Lula ... und meine Mutter liegt im Sterben ...«
Beim Anblick der Schokokekse lief Strike das Wasser im Mund zusammen. Er war so hungrig, als hätte er seit Tagen nichts gegessen. Allerdings hätte es wohl den falschen Eindruck erweckt, wenn er sich vor dem zitternden, schniefenden, sich die Augen wischenden Bristow über das Gebäckhergemacht hätte. Der Presslufthammer knatterte noch immer wie ein Maschinengewehr von unten herauf.
»Lulas Tod hat ihr das Herz gebrochen. Seitdem hat sie sich völlig aufgegeben. Angeblich hatte sich der Krebs zurückgebildet, doch jetzt ist er wieder da, und die Ärzte können nichts mehr für sie tun. Kein Wunder, immerhin handelt es sich um das zweite Kind, das sie verliert. Nach der Sache mit Charlie hatte sie einen Zusammenbruch. Mein Vater dachte, eine weitere Adoption könnte ihr darüber hinweghelfen. Sie hatten sich immer ein Mädchen gewünscht. Natürlich mussten sie gewisse Hürden überwinden, bis sie erneut als Adoptiveltern anerkannt wurden. Andererseits war Lula aufgrund ihrer Hautfarbe nur schwer vermittelbar; daher «, schloss er mit einem erstickten Schluchzen, »wurde sie ihnen schließlich doch zugeteilt.
Sie war schon immer sehr sch-schön. Sie wurde auf der Oxford Street entdeckt, als sie mit meiner Mutter shoppen war. Sie kam sofort bei Athena unter Vertrag, das ist eine der renommiertesten Agenturen überhaupt. Mit s-siebzehn modelte sie bereits Vollzeit. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie gut zehn Millionen schwer. Ich weiß nicht, wieso ich Ihnen das alles überhaupt erzähle. Sie wissen das ja sicher. In Bezug auf Lula hält sich jeder für einen Experten.«
Ungeschickt griff er nach seiner Tasse. Seine Hände zitterten so stark, dass der Kaffee über den Rand der Tasse auf die scharfe Bügelfalte seiner Anzughose schwappte.
»Was genau kann ich für Sie tun?«, fragte Strike.
Umständlich stellte Bristow die Tasse auf den Tisch zurück, dann rang er die Hände.
»Angeblich hat meine Schwester Selbstmord begangen. Aber das kann ich nicht glauben.«
Strike erinnerte sich an die Fernsehbilder: der schwarze Leichensack auf einer Bahre, die im Blitzlichtgewitter in einen Rettungswagen geladen wurde; die Fotografen, die sich um das Fahrzeug drängten, als es sich in Bewegung setzte; die schwarzen Fensterscheiben, die das weiße Blitzlicht der hochgehaltenen Kameras zurückwarfen. Er wusste mehr über den Tod von Lula Landry, als er je hatte wissen wollen, und so gut wie jedem anderen auch nur halbwegs aufmerksamen Einwohner Großbritanniens ging es wohl ähnlich. Man war so lange mit der Story bombardiert worden, bis man gegen seinen Willen Interesse gezeigt hatte. Und ehe man sich versah, war man dermaßen gut informiert und derart von der wertenden Berichterstattung eingenommen, dass einen jedes Gericht wegen Befangenheit als Geschworenen abgelehnt hätte.
»Es gab eine polizeiliche Untersuchung, oder nicht?«
»Ja, aber der leitende Detective war von vornherein der Ansicht, dass es Selbstmord war - und das nur, weil sie Lithium verschrieben bekommen hatte. Er hat so vieles über sehen -
© der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Blanvalet Verlag, München
- Autor: Robert Galbraith
- 2013, 640 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bergner, Wulf; Göhler, Christoph; Kurz, Kristof
- Übersetzer: Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764505109
- ISBN-13: 9783764505103
- Erscheinungsdatum: 30.11.2013
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