Journeyman / Ullstein eBooks (ePub)
1 Mann, 5 Kontinente und jede Menge Jobs
Wie kommt man einmal um die Welt, mit nur 255 Euro auf dem Konto? Fabian Sixtus Körner schnappt sich seinen Rucksack und macht sich auf ins Ungewisse. Sein Plan: alle Kontinente dieser Erde bereisen - und überall für Kost und Logis arbeiten. Er legt...
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Produktinformationen zu „Journeyman / Ullstein eBooks (ePub)“
Wie kommt man einmal um die Welt, mit nur 255 Euro auf dem Konto? Fabian Sixtus Körner schnappt sich seinen Rucksack und macht sich auf ins Ungewisse. Sein Plan: alle Kontinente dieser Erde bereisen - und überall für Kost und Logis arbeiten. Er legt Tausende von Kilometern in Fliegern, Zügen, Bussen, löchrigen Booten und Rikschas zurück und arbeitet dabei mal als Grafiker, mal als Architekt oder Fotograf. Zwei Jahre und zwei Monate, über 60 Orte, querweltein.
Lese-Probe zu „Journeyman / Ullstein eBooks (ePub)“
Journeyman von Fabian Sixtus Körner Prolog
Im September 2007 flog ich zum ersten Mal alleine nach Übersee. Ich wollte mit einem Rucksack Vietnam bereisen, von Hanoi bis Ho-Chi-Minh-Stadt. Schon am zweiten Tag traf ich während einer Sightseeing-Tour zur Halong Bay auf den US-Amerikaner Jeff. Er überzeugte mich, meinen Plan über Bord zu werfen: »Lass uns die Pfade verlassen, die eine Armada von reisenden ausgetrampelt hat«, lockte er mich.
Ich folgte ihm in den Nordosten von Laos, wohin sich kein anderer Ausländer verirrte - bis auf Jo, eine junge Australierin. Zu dritt saßen wir in Muong Khua fest, einem größeren Ort am Nam Ou, dem »Reisschüsselfluss«. Der Monsun hatte dafür gesorgt, dass die Straßen von Schlammlawinen bedeckt und unbefahrbar geworden waren. Zwei Tage später kauften wir einem alten Fischer ein ausrangiertes Langboot ab, um durch den Dschungel flussabwärts nach Süden zu paddeln.
»Wir nennen es LAMSIL«, lallte Jo am Abend vor unserem Aufbruch. Mit Lao-Lao, dem laotischen Rreisschnaps, tranken wir uns Mut an. Keiner von uns hatte zuvor ein Boot gelenkt. Schlimmstenfalls würden unsere Rucksäcke und das Boot dem Fluss zum Opfer fallen, beschlossen wir. Wir konnten schließlich alle schwimmen. »LAMSIL, das steht für Loosing All My Shit In Laos«, erklärte Jo. Unser Boot hatte einen Namen.
... mehr
Durch das viele Regenwasser war der Nam Ou gefährlich angeschwollen. Gleich die erste Stromschnelle erfasste unser Boot, machte es manövrierunfähig und brachte es fast zum Kentern. »Paddeln, paddeln, paddeln!«, schrie Jo hysterisch, während Jeff leise fluchte und ich panisch mit dem Paddel nach Grund stocherte. Mit dem Schrecken und unserem Gepäck kamen wir da von - wir hatten die erste Aufgabe als Bootsbesitzer gemeistert, wenn auch ohne Bravour.
Vier Tage paddelten wir in sengender Hitze durch reißende Stromschnellen und tropischen Platzregen, durch dichtbewachsenen Dschungel voller brüllender Affen, kreischender Vögel und zirpender Zikaden, summender Moskitos und lautloser Schlangen. Dann waren wir am Ziel - Muong Ngoi, mit seinen zahlreichen Gasthäusern, Hängematten und darin baumelnden Rucksackreisenden. Was uns jedoch in den verschiedenen Dschungeldörfern, in denen wir zwischen Muong Khua und Muong ngoi haltmachten, widerfuhr, hätte ich mir vor meiner Reise nach Südostasien nicht träumen lassen. Wir schluckten braunes Wasser und küssten gelben Sand, spielten Billard auf einem selbstgezimmerten Tropenholztisch, verloren unsere Kleidung an streunende Hunde, trafen auf Kinder in zerschlissenen Hemden, die mit Steinschleudern bewaffnet ihr Dorf verteidigten; wir schliefen bei Bauern- und Fischerfamilien auf staubigen Holzböden, kochten auf Feuerstellen, duschten unter Wasserfällen, lachten und tanzten mit den einheimischen; bei Vollmond tranken wir ein ganzes Dorf unter den Tisch; wir kauften eine Ente bei einer hundertjährigen Frau und schlürften während einer feierlichen Zeremonie zu unseren Ehren das Blut des Tiers; Dr. Lao heilte uns von all unseren Krankheiten; wir kommunizierten mit Händen, Füßen und einem Lächeln; uns wurden frittierte Heuschrecken, lebende Maden und gegrillte Katze gereicht; unsere Gedanken kreisten um Sonnenschutz oder die Frage, wie wir uns auf einem kanuartigen Boot erleichtern konnten, ohne die anderen Insassen anzupinkeln; wir litten an Hunger, Durst und Völlerei, hatten spröde Lippen und aufgeweichte, runzlige Finger; wir wurden argwöhnisch beäugt, neugierig berührt und liebevoll umarmt; der Nam Ou wurde unser Zuhause und der laotische Urwald unser Abenteuerspielplatz; Jeff verliebte sich in Jo und Jo verliebte sich in Jeff; Keilana, die Tochter des Bürgermeisters von Sop Kinh, trug mir die Heirat an. Nichts, was vorher gewesen war, interessierte uns mehr. Wir wollten im Fluss bleiben.
Als der Nam Ou uns zu unserem Ziel trug, waren wir am Ende unserer Kräfte, aber erst am Anfang einer Erkenntnis: Diese vier Tage auf dem Reisschüsselfluss würden unser Leben verändern.
Los(r)eisen
Wiesbaden, Januar 2010
Die nackte Glühbirne an der Zimmerdecke wirft einen gelblichen Schein über die Wand. Kurz vor der Sockelleiste geht der Farbverlauf in sattes Grün über - die Reflexion des Kunstrasens, der in meinem acht-Quadratmeter-Zimmer als Teppich dient. Es ist Januar und der diesjährige Winter ungewöhnlich kalt. Die Straßen der hessischen Landeshauptstadt werden schon seit Wochen von gefrorenem Schnee gesäumt. Untypisch für eine Stadt wie Wiesbaden, in der sich üblicherweise die Wärme staut.
Seit zwei Monaten bewohne ich das Zimmer unter dem Dach in der Klarenthaler Straße. Für gewöhnlich nutzt es die Studenten- WG im fünften Stock als Abstellraum. Um mich herum vergessenes oder aussortiertes Gerümpel. Es gibt Licht, eine Steckdose und eine Heizung. Außerdem habe ich eine Platte auf zwei Holzböcke gelegt. Meine Arbeitsfläche. Nur der Umstand, dass ich kein Badezimmer und keine Küche habe, somit für Dusch- und Toilettengänge oder einen wärmenden Tee den unliebsamen Gang treppab machen muss, schmälert mein Übergangszuhause. Ich hasse die Kälte. Dabei könnte ich mich jetzt in Kopenhagen neben Metteline aufs Sofa kuscheln, wir könnten es uns mit heißem Tee und einer DVD hyggelig machen, wie man die extremform der Gemütlichkeit auf Dänisch nennt. Seit einem Dreivierteljahr sind wir ein Paar, kennengelernt haben wir uns während meiner letzten Reise durch Südostasien und das östliche Indien.
Die Bootsfahrt in Laos geht mir dieser Tage häufig durch den Kopf, denn sie ist der Grund für mein Hiersein. Es wird immer diese Geschichte sein, die ich auf die Frage hin erzähle, was mich nach dem reisen hat süchtig werden lassen. Wie ein Musiker, der sich an das erste Lied erinnert, das er auf seinem Instrument beherrschte. Die erste Freundin, der erste Kuss, das erste Mal Sex. Es ist etwas, was nicht wiederholt werden kann. Der erstmalige Genuss, der einen auf den Geschmack bringt. Jo und Jeff sind immer noch ein Paar. Sie arbeiten gerade auf einer Farm in Neuseeland, um sich ihre nächste Reise zusammenzusparen.
Schon als ich an meiner Diplomarbeit im Fach Innenarchitektur werkelte, kam das Fernweh. Nach meinem Abschluss würde ich wieder losziehen - und diesmal nicht nur für zwei oder drei Monate. Ich wollte länger fortbleiben, umherreisen und das Leben in der weiten Welt erkunden. Aber auch Karriere war ein Begriff, den ich trotz vorhandenem Aussteigergen nicht aus meiner Effizienzdenkweise löschen konnte. Ich steckte in einer Zwickmühle. Einerseits wollte ich meiner kreativen Leidenschaft nachgehen, andererseits aber nicht zu Hause oder im Büro am Schreibtisch sitzen. Es war die Gleichförmigkeit des Alltags, die mir zu schaffen machte. Das Aufstehen am Morgen in der Gewissheit, dass dieser Tag genauso verlaufen würde wie der vorangegangene. Mir fehlten die Überraschungen, die Abenteuer.
Auf der Suche nach einer Möglichkeit, meinen Traumjob und meine Reiselust unter einen Hut zu bringen, stieß ich auf eine mittelalterliche Tradition: die Walz des Handwerksgesellen. Die Burschen in schwarzer Tracht, mit Schlaghosen, Schlapphut und Wanderstock kennt man ja. Im Mittelalter musste ein Handwerker, der seine Ausbildung abgeschlossen hatte, für eine bestimmte Zeit auf Wanderschaft gehen, wenn er den Meistertitel erwerben wollte. Man ging davon aus, dass ein Wandergeselle als ein weiser, weltoffener und an Erfahrungen reicher Mensch von der Walz heimkehren würde, als jemand, der sich zu einer echten Persönlichkeit entwickelt hatte, ein Furchtloser, den die Kulturen der Welt und die Weite des Universums nicht schreckten.
Könnte auch ich dahin kommen? Das wollte ich, unbedingt. Ich recherchierte die Regeln der Walz, übersetzte sie in das Medienzeitalter und passte sie meinem Berufsstand an. Bald standen meine zehn persönlichen regeln der Walz:
1. Design statt Handwerk: Ich nehme Kurzjobs in Architekturbüros, Werbeagenturen, bei Graphikern, Fotografen usw. an, anstatt in Schreinereien oder als Handwerker auf dem Bau zu arbeiten.
2. ALLES wird mir eine Lehre sein - ob Baustellenbetreuung, Kampagnenentwürfe, Regieassistenz oder der Büroklassiker: Kaffee kochen.
3. Erfahrungsreichtum statt Geldsegen: auf der Walz arbeite ich lediglich für Kost und Logis - egal ob Brotkanten oder Dreigängemenü, Matratze, Sofa oder Himmelbett.
4. Alles inklusive: Jedwedes zum arbeiten benötigte Material und Equipment reisen mit, so dass kein zusätzlicher Arbeitsplatz bereitgestellt werden muss. Darunter fallen die üblichen Arbeitsgeräte wie Laptop, Fotokamera etc.
5. Zur Walz gehört ein Tagebuch. Meines heißt: Stories of A Journeyman und ist ein Onlineblog.
6. Von Haus zu Haus: ein Arbeitsverhältnis dauert etwa einen Monat, Verlängerungen sind die Ausnahme.
7. Sperrgebiet: Es ist mir nicht erlaubt, mich meinem Heimatort auf weniger als 300 km zu nähern.
8. Auszeit: Die Reise soll mindestens ein Jahr, aber nicht länger als zwei dauern.
9. Querweltein: Innerhalb dieser Zeit leiste ich mindestens einen Job auf allen bevölkerten Kontinenten der Erde ab; darunter fallen Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika und Australien.
10. Der Weg ist das Ziel: Die Route wird nicht im Vorhinein festgelegt, sie ergibt sich auf der Walz.
Ursprünglich wollte ich im Fernen Osten starten. Doch Japan erwies sich als ungeeigneter Ort für einen Walzanfänger wie mich. Tokio würde kaum einen Einwohner haben, der mir auch nur einen Quadratmeter Platz überlassen könnte. Als einer meiner ehemaligen Professoren von meinem Plan erfuhr, bot er mir an, bei einem Kollegen in der chinesischen Metropole Schanghai anzufragen, ob er einen Arbeitsplatz für mich habe. Noch vor Antritt meiner Reise fand ich den für mich strittigsten Punkt meiner Agenda bestätigt - es erwies sich als sinnvoll, sich nicht von vornherein auf bestimmte Orte festzulegen. Man weiß nie, wer auf einen zukommt; Kontakte sind hilfreich.
Der Plan war geschmiedet, aus dem Feuer geholt und ins kühlende Wasserbad getaucht worden. Er war nun bereit für die Umsetzung. Doch ich war es nicht. Zur Absicherung wollte ich mir ein kleines Guthaben ansparen. 3000 Euro sollten nach meiner Einschätzung reichen. Aber die Auftragslage war schlecht. Immer wieder flatterten mir Rechnungen ins Haus, hinzu kamen die üblichen Fixkosten; ich musste doch weiterhin meine Miete bezahlen. Bekam ich das Honorar für einen Job überwiesen, war die Summe gleich darauf auf dem Weg zu einem anderen Konto. Ein halbes Jahr ging das so. Ich musste handeln, wollte ich meinen Plan nicht aus den Augen und später aus dem Sinn verlieren. Also entschloss ich mich, meine Sachen in Kartons zu verstauen und mir bis zu dem Zeitpunkt meiner Abreise ein günstiges Zimmer zu suchen. War diese Entscheidung voreilig? Und was würde aus Metteline werden? Was würde aus uns als Paar werden? Schon als wir uns kennenlernten, erzählte ich ihr von meinem Plan, meinem großen Traum, und wir standen vor der Frage, ob eine Beziehung unter diesen Umständen überhaupt Sinn ergab. Aber ergibt Liebe überhaupt je einen Sinn?
»Schaffen wir das?«, fragte ich sie.
»Wir schaffen das«, war ihre Antwort.
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
Durch das viele Regenwasser war der Nam Ou gefährlich angeschwollen. Gleich die erste Stromschnelle erfasste unser Boot, machte es manövrierunfähig und brachte es fast zum Kentern. »Paddeln, paddeln, paddeln!«, schrie Jo hysterisch, während Jeff leise fluchte und ich panisch mit dem Paddel nach Grund stocherte. Mit dem Schrecken und unserem Gepäck kamen wir da von - wir hatten die erste Aufgabe als Bootsbesitzer gemeistert, wenn auch ohne Bravour.
Vier Tage paddelten wir in sengender Hitze durch reißende Stromschnellen und tropischen Platzregen, durch dichtbewachsenen Dschungel voller brüllender Affen, kreischender Vögel und zirpender Zikaden, summender Moskitos und lautloser Schlangen. Dann waren wir am Ziel - Muong Ngoi, mit seinen zahlreichen Gasthäusern, Hängematten und darin baumelnden Rucksackreisenden. Was uns jedoch in den verschiedenen Dschungeldörfern, in denen wir zwischen Muong Khua und Muong ngoi haltmachten, widerfuhr, hätte ich mir vor meiner Reise nach Südostasien nicht träumen lassen. Wir schluckten braunes Wasser und küssten gelben Sand, spielten Billard auf einem selbstgezimmerten Tropenholztisch, verloren unsere Kleidung an streunende Hunde, trafen auf Kinder in zerschlissenen Hemden, die mit Steinschleudern bewaffnet ihr Dorf verteidigten; wir schliefen bei Bauern- und Fischerfamilien auf staubigen Holzböden, kochten auf Feuerstellen, duschten unter Wasserfällen, lachten und tanzten mit den einheimischen; bei Vollmond tranken wir ein ganzes Dorf unter den Tisch; wir kauften eine Ente bei einer hundertjährigen Frau und schlürften während einer feierlichen Zeremonie zu unseren Ehren das Blut des Tiers; Dr. Lao heilte uns von all unseren Krankheiten; wir kommunizierten mit Händen, Füßen und einem Lächeln; uns wurden frittierte Heuschrecken, lebende Maden und gegrillte Katze gereicht; unsere Gedanken kreisten um Sonnenschutz oder die Frage, wie wir uns auf einem kanuartigen Boot erleichtern konnten, ohne die anderen Insassen anzupinkeln; wir litten an Hunger, Durst und Völlerei, hatten spröde Lippen und aufgeweichte, runzlige Finger; wir wurden argwöhnisch beäugt, neugierig berührt und liebevoll umarmt; der Nam Ou wurde unser Zuhause und der laotische Urwald unser Abenteuerspielplatz; Jeff verliebte sich in Jo und Jo verliebte sich in Jeff; Keilana, die Tochter des Bürgermeisters von Sop Kinh, trug mir die Heirat an. Nichts, was vorher gewesen war, interessierte uns mehr. Wir wollten im Fluss bleiben.
Als der Nam Ou uns zu unserem Ziel trug, waren wir am Ende unserer Kräfte, aber erst am Anfang einer Erkenntnis: Diese vier Tage auf dem Reisschüsselfluss würden unser Leben verändern.
Los(r)eisen
Wiesbaden, Januar 2010
Die nackte Glühbirne an der Zimmerdecke wirft einen gelblichen Schein über die Wand. Kurz vor der Sockelleiste geht der Farbverlauf in sattes Grün über - die Reflexion des Kunstrasens, der in meinem acht-Quadratmeter-Zimmer als Teppich dient. Es ist Januar und der diesjährige Winter ungewöhnlich kalt. Die Straßen der hessischen Landeshauptstadt werden schon seit Wochen von gefrorenem Schnee gesäumt. Untypisch für eine Stadt wie Wiesbaden, in der sich üblicherweise die Wärme staut.
Seit zwei Monaten bewohne ich das Zimmer unter dem Dach in der Klarenthaler Straße. Für gewöhnlich nutzt es die Studenten- WG im fünften Stock als Abstellraum. Um mich herum vergessenes oder aussortiertes Gerümpel. Es gibt Licht, eine Steckdose und eine Heizung. Außerdem habe ich eine Platte auf zwei Holzböcke gelegt. Meine Arbeitsfläche. Nur der Umstand, dass ich kein Badezimmer und keine Küche habe, somit für Dusch- und Toilettengänge oder einen wärmenden Tee den unliebsamen Gang treppab machen muss, schmälert mein Übergangszuhause. Ich hasse die Kälte. Dabei könnte ich mich jetzt in Kopenhagen neben Metteline aufs Sofa kuscheln, wir könnten es uns mit heißem Tee und einer DVD hyggelig machen, wie man die extremform der Gemütlichkeit auf Dänisch nennt. Seit einem Dreivierteljahr sind wir ein Paar, kennengelernt haben wir uns während meiner letzten Reise durch Südostasien und das östliche Indien.
Die Bootsfahrt in Laos geht mir dieser Tage häufig durch den Kopf, denn sie ist der Grund für mein Hiersein. Es wird immer diese Geschichte sein, die ich auf die Frage hin erzähle, was mich nach dem reisen hat süchtig werden lassen. Wie ein Musiker, der sich an das erste Lied erinnert, das er auf seinem Instrument beherrschte. Die erste Freundin, der erste Kuss, das erste Mal Sex. Es ist etwas, was nicht wiederholt werden kann. Der erstmalige Genuss, der einen auf den Geschmack bringt. Jo und Jeff sind immer noch ein Paar. Sie arbeiten gerade auf einer Farm in Neuseeland, um sich ihre nächste Reise zusammenzusparen.
Schon als ich an meiner Diplomarbeit im Fach Innenarchitektur werkelte, kam das Fernweh. Nach meinem Abschluss würde ich wieder losziehen - und diesmal nicht nur für zwei oder drei Monate. Ich wollte länger fortbleiben, umherreisen und das Leben in der weiten Welt erkunden. Aber auch Karriere war ein Begriff, den ich trotz vorhandenem Aussteigergen nicht aus meiner Effizienzdenkweise löschen konnte. Ich steckte in einer Zwickmühle. Einerseits wollte ich meiner kreativen Leidenschaft nachgehen, andererseits aber nicht zu Hause oder im Büro am Schreibtisch sitzen. Es war die Gleichförmigkeit des Alltags, die mir zu schaffen machte. Das Aufstehen am Morgen in der Gewissheit, dass dieser Tag genauso verlaufen würde wie der vorangegangene. Mir fehlten die Überraschungen, die Abenteuer.
Auf der Suche nach einer Möglichkeit, meinen Traumjob und meine Reiselust unter einen Hut zu bringen, stieß ich auf eine mittelalterliche Tradition: die Walz des Handwerksgesellen. Die Burschen in schwarzer Tracht, mit Schlaghosen, Schlapphut und Wanderstock kennt man ja. Im Mittelalter musste ein Handwerker, der seine Ausbildung abgeschlossen hatte, für eine bestimmte Zeit auf Wanderschaft gehen, wenn er den Meistertitel erwerben wollte. Man ging davon aus, dass ein Wandergeselle als ein weiser, weltoffener und an Erfahrungen reicher Mensch von der Walz heimkehren würde, als jemand, der sich zu einer echten Persönlichkeit entwickelt hatte, ein Furchtloser, den die Kulturen der Welt und die Weite des Universums nicht schreckten.
Könnte auch ich dahin kommen? Das wollte ich, unbedingt. Ich recherchierte die Regeln der Walz, übersetzte sie in das Medienzeitalter und passte sie meinem Berufsstand an. Bald standen meine zehn persönlichen regeln der Walz:
1. Design statt Handwerk: Ich nehme Kurzjobs in Architekturbüros, Werbeagenturen, bei Graphikern, Fotografen usw. an, anstatt in Schreinereien oder als Handwerker auf dem Bau zu arbeiten.
2. ALLES wird mir eine Lehre sein - ob Baustellenbetreuung, Kampagnenentwürfe, Regieassistenz oder der Büroklassiker: Kaffee kochen.
3. Erfahrungsreichtum statt Geldsegen: auf der Walz arbeite ich lediglich für Kost und Logis - egal ob Brotkanten oder Dreigängemenü, Matratze, Sofa oder Himmelbett.
4. Alles inklusive: Jedwedes zum arbeiten benötigte Material und Equipment reisen mit, so dass kein zusätzlicher Arbeitsplatz bereitgestellt werden muss. Darunter fallen die üblichen Arbeitsgeräte wie Laptop, Fotokamera etc.
5. Zur Walz gehört ein Tagebuch. Meines heißt: Stories of A Journeyman und ist ein Onlineblog.
6. Von Haus zu Haus: ein Arbeitsverhältnis dauert etwa einen Monat, Verlängerungen sind die Ausnahme.
7. Sperrgebiet: Es ist mir nicht erlaubt, mich meinem Heimatort auf weniger als 300 km zu nähern.
8. Auszeit: Die Reise soll mindestens ein Jahr, aber nicht länger als zwei dauern.
9. Querweltein: Innerhalb dieser Zeit leiste ich mindestens einen Job auf allen bevölkerten Kontinenten der Erde ab; darunter fallen Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika und Australien.
10. Der Weg ist das Ziel: Die Route wird nicht im Vorhinein festgelegt, sie ergibt sich auf der Walz.
Ursprünglich wollte ich im Fernen Osten starten. Doch Japan erwies sich als ungeeigneter Ort für einen Walzanfänger wie mich. Tokio würde kaum einen Einwohner haben, der mir auch nur einen Quadratmeter Platz überlassen könnte. Als einer meiner ehemaligen Professoren von meinem Plan erfuhr, bot er mir an, bei einem Kollegen in der chinesischen Metropole Schanghai anzufragen, ob er einen Arbeitsplatz für mich habe. Noch vor Antritt meiner Reise fand ich den für mich strittigsten Punkt meiner Agenda bestätigt - es erwies sich als sinnvoll, sich nicht von vornherein auf bestimmte Orte festzulegen. Man weiß nie, wer auf einen zukommt; Kontakte sind hilfreich.
Der Plan war geschmiedet, aus dem Feuer geholt und ins kühlende Wasserbad getaucht worden. Er war nun bereit für die Umsetzung. Doch ich war es nicht. Zur Absicherung wollte ich mir ein kleines Guthaben ansparen. 3000 Euro sollten nach meiner Einschätzung reichen. Aber die Auftragslage war schlecht. Immer wieder flatterten mir Rechnungen ins Haus, hinzu kamen die üblichen Fixkosten; ich musste doch weiterhin meine Miete bezahlen. Bekam ich das Honorar für einen Job überwiesen, war die Summe gleich darauf auf dem Weg zu einem anderen Konto. Ein halbes Jahr ging das so. Ich musste handeln, wollte ich meinen Plan nicht aus den Augen und später aus dem Sinn verlieren. Also entschloss ich mich, meine Sachen in Kartons zu verstauen und mir bis zu dem Zeitpunkt meiner Abreise ein günstiges Zimmer zu suchen. War diese Entscheidung voreilig? Und was würde aus Metteline werden? Was würde aus uns als Paar werden? Schon als wir uns kennenlernten, erzählte ich ihr von meinem Plan, meinem großen Traum, und wir standen vor der Frage, ob eine Beziehung unter diesen Umständen überhaupt Sinn ergab. Aber ergibt Liebe überhaupt je einen Sinn?
»Schaffen wir das?«, fragte ich sie.
»Wir schaffen das«, war ihre Antwort.
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
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Autoren-Porträt von Fabian Sixtus Körner
Fabian Sixtus Körner, geboren 1981, ist Designer, Fotograf, Innenarchitekt und Blogger. Anfang 2010 begann er die Welt zu bereisen und für Kost und Logis zu arbeiten. Innerhalb von zwei Jahren besuchte er alle fünf Kontinente, seit April 2012 lebt und arbeitet er in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Fabian Sixtus Körner
- 2013, 1. Auflage, 288 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843706190
- ISBN-13: 9783843706193
- Erscheinungsdatum: 11.11.2013
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 45 MB
- Ohne Kopierschutz
Pressezitat
"Amüsant, flüssig und interessant schildert der Autor die Stationen seiner Reise.", ReiseTravel, Sabine Erl, 19.11.2013
Family Sharing
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