Deutschland misshandelt seine Kinder
Mehr als 200 000 Kinder werden pro Jahr Opfer von Gewalt durch Erwachsene. Schuldig macht sich auch jeder, der wegsieht. Die renommierten Rechtsmediziner zeigen das ganze Ausmaß dieses Skandals auf.
Zwei renommierte Rechtsmediziner ziehen eine zutiefst
schockierende Bilanz: 200.000 Kindesmisshandlungen pro Jahr - inmitten unserer Gesellschaft!
Das Ausmaß der alltäglichen Gewalt gegen Kinder ist erschütternd....
schockierende Bilanz: 200.000 Kindesmisshandlungen pro Jahr - inmitten unserer Gesellschaft!
Das Ausmaß der alltäglichen Gewalt gegen Kinder ist erschütternd....
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Deutschland misshandelt seine Kinder “
Zwei renommierte Rechtsmediziner ziehen eine zutiefst
schockierende Bilanz: 200.000 Kindesmisshandlungen pro Jahr - inmitten unserer Gesellschaft!
Das Ausmaß der alltäglichen Gewalt gegen Kinder ist erschütternd. Wenngleich die offiziellen Polizeistatistiken "nur" 4.000 Fälle von schwerer Kindesmisshandlung pro Jahr in Deutschland verzeichnen, gehen Experten von einer wahren Zahl jenseits der 200.000 aus! Die Rechtsmediziner Michael Tsokos und Saskia Guddat dokumentieren in ihrem Buch das unvorstellbare Ausmaß des täglich angerichteten Leides. Und sie decken gravierende Missstände auf: Der Kinder- und Jugendschutz versagt auf der ganzen Linie. Sozialarbeiter schreiten oft nicht ein und gefährden so das Leben der Kinder. Ärzte können mangels Kenntnis die Spuren von Misshandlungen oft nicht als solche erkennen. Richter sprechen in Zweifelsfällen häufig angeklagte Eltern vorschnell frei. Zahlreiche Beispiele europäischer Nachbarländer zeigen, wie man Gesundheit und Rechte der Kinder auch in Deutschland besser schützen könnte.
schockierende Bilanz: 200.000 Kindesmisshandlungen pro Jahr - inmitten unserer Gesellschaft!
Das Ausmaß der alltäglichen Gewalt gegen Kinder ist erschütternd. Wenngleich die offiziellen Polizeistatistiken "nur" 4.000 Fälle von schwerer Kindesmisshandlung pro Jahr in Deutschland verzeichnen, gehen Experten von einer wahren Zahl jenseits der 200.000 aus! Die Rechtsmediziner Michael Tsokos und Saskia Guddat dokumentieren in ihrem Buch das unvorstellbare Ausmaß des täglich angerichteten Leides. Und sie decken gravierende Missstände auf: Der Kinder- und Jugendschutz versagt auf der ganzen Linie. Sozialarbeiter schreiten oft nicht ein und gefährden so das Leben der Kinder. Ärzte können mangels Kenntnis die Spuren von Misshandlungen oft nicht als solche erkennen. Richter sprechen in Zweifelsfällen häufig angeklagte Eltern vorschnell frei. Zahlreiche Beispiele europäischer Nachbarländer zeigen, wie man Gesundheit und Rechte der Kinder auch in Deutschland besser schützen könnte.
Klappentext zu „Deutschland misshandelt seine Kinder “
Jeden Tag werden in Deutschland mehr als 500 Kinder von Erwachsenen aus ihrem familiären Umfeld misshandelt. Fast jeden Tag wird ein Kind durch körperliche Gewalt getötet. Und erschreckend hoch ist die Zahl der Opfer, die später selbst zu Tätern werden.Michael Tsokos und Saskia Guddat schildern aus ihrer rechtsmedizinischen Praxis die dramatischen Gewalterfahrungen von Kindern in ihren Familien. Und sie unterbreiten Vorschläge, wie das deutsche Kinder- und Jugendschutzsystem verbessert werden kann, um das gesetzlich verankerte Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung zu sichern. Vor allem aber fordern sie beherztes Einschreiten gegen Kindesmisshandler - und gegen all jene, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
Jeden Tag werden in Deutschland mehr als 500 Kinder von Erwachsenen aus ihrem familiären Umfeld misshandelt. Fast jeden Tag wird ein Kind durch körperliche Gewalt getötet. Und erschreckend hoch ist die Zahl der Opfer, die später selbst zu Tätern werden.
Michael Tsokos und Saskia Guddat schildern aus ihrer rechtsmedizinischen Praxis die dramatischen Gewalterfahrungen von Kindern in ihren Familien. Und sie unterbreiten Vorschläge, wie das deutsche Kinder- und Jugendschutzsystem verbessert werden kann, um das gesetzlich verankerte Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung zu sichern. Vor allem aber fordern sie beherztes Einschreiten gegen Kindesmisshandler - und gegen all jene, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
Michael Tsokos und Saskia Guddat schildern aus ihrer rechtsmedizinischen Praxis die dramatischen Gewalterfahrungen von Kindern in ihren Familien. Und sie unterbreiten Vorschläge, wie das deutsche Kinder- und Jugendschutzsystem verbessert werden kann, um das gesetzlich verankerte Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung zu sichern. Vor allem aber fordern sie beherztes Einschreiten gegen Kindesmisshandler - und gegen all jene, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
Lese-Probe zu „Deutschland misshandelt seine Kinder “
Deutschland misshandelt seine Kinder von Michael Tsokos und Saskia GuddatEinleitung
Auf das Thema »Kindesmisshandlung« angesprochen, reagieren erstaunlich viele Menschen mit reflexartiger Abwehr. Oft durch Bagatellisierung nach dem Muster: »Ein Klaps hat noch keinem geschadet«, oder auch durch glatte Verleugnung: »So etwas macht doch heutzutage in Deutschland niemand mehr!«
Doch dieser »Niemand« lebt hunderttausendfach mitten unter uns. Und mit dem redensartlichen »Klaps« hat Kindesmisshandlung so viel zu tun wie eine Schreckschusspistole mit einer Kalaschnikow. Natürlich kann es bei Raufspielen zwischen Eltern und Kindern auch einmal etwas ruppiger zugehen. Aber wir reden hier nicht von liebevollem Knuffen, sondern von Handlungen, die Kindern Schmerzen bereiten, sie demütigen und ängstigen. Von Handlungen, die zu Blutergüssen, Knochenbrüchen und Schlimmerem führen.
Verantwortungsbewusste Eltern erschrecken ihre Kinder nicht einmal mit Platzpatronen. Der Kindesmisshandler aber gibt nicht bloß Warnschüsse ab, sondern schießt scharf. Seine Attacken verursachen schmerzhafte, teilweise lebensgefährliche Verletzungen, psychisch wie physisch. Und er greift immer wieder an, täglich, wöchentlich, meist über viele Jahre hinweg. Mit Faustschlägen und Fußtritten, mit maßlosen Beschimpfungen und Herabsetzungen. Er sperrt seine Opfer in Kellerlöcher oder Zimmer, deren Fenster mit schwarzer Folie verklebt sind. Er lässt sie hungern, dursten, frieren. Er zerstört ihre Körper und Seelen.
Das alltägliche Verbrechen
... mehr
Laut offizieller Polizeistatistik sterben in Deutschland jede Woche drei Kinder an den Folgen ihrer Misshandlung. Jede Woche werden rund siebzig Kinder so massiv malträtiert, dass sie ärztlich behandelt werden müssen. Das sind 3600 krankenhausreif geprügelte, in die lebenslange Behinderung geschüttelte, mit glühenden Zigaretten verbrannte oder auf andere Weise schwerstgeschädigte Kinder Jahr für Jahr. Und das sind 160 Kinder, die alljährlich bei uns getötet werden - nicht durch Unfälle oder kindlichen Übermut, sondern durch erwachsene Täter - in aller Regel Vater oder Mutter oder der aktuelle Lebenspartner eines Elternteils.
Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Nur ein Bruchteil der Misshandlungen von Schutzbefohlenen wird angezeigt, noch weitaus weniger dieser alltäglichen Gewaltdelikte gelangen jemals vor Gericht. Auf einen Misshandlungsfall, der in der Polizeistatistik auftaucht, kommen - je nach Schätzung - fünf bis fünfzig (Handbuch gerichtliche Medizin) oder sogar vierhundert und mehr Fälle (Deutscher Kinderschutzbund, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen), die von Kinderärzten oder Kliniken als Unfälle ohne Fremdverschulden falsch verbucht oder die außerhalb der familiären vier Wände gar nicht erst ruchbar werden. Und auf ein totes Kind, das offiziell aufgrund von Misshandlung gestorben ist, kommt mindestens ein weiteres kindliches Opfer (Kindesmisshandlung, S. 4), bei dem die tatsächliche Todesursache nicht ermittelt worden ist. Denn anders als in den USA oder in Großbritannien gibt es bei uns keine generelle Leichenschaupflicht bei kindlichen Todesfällen (siehe Kapitel 6).
Multipliziert man die offiziellen Fallzahlen zurückhaltend »nur« mit dem Faktor 2 beziehungsweise mit dem Faktor 60, dann bedeutet das 320 durch Misshandlung getötete und mehr als 200 000 misshandelte Kinder pro Jahr. Stellen Sie sich das bitte einmal bildlich vor: An jedem einzelnen Tag eines Jahres werden in Deutschland rund fünfhundertfünfzig Kinder von Erwachsenen aus ihrem familiären Umfeld massiv misshandelt - das ist eine ganze Schule mit rund 27 Schulklassen. Und jedes Jahr werden 16 Schulklassen - 320 Kinder - durch körperliche Gewalt getötet. Nicht in Kriegs- oder Bürgerkriegsregionen, aus denen wir täglich via TV und Internet blutige Bilder geliefert bekommen. Sondern in Ihrer Stadt oder Gemeinde, in Ihrer Straße, vielleicht sogar in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
Jährlich mehr als 200 000 misshandelte Kinder - das bedeutet auch, dass ebenso viele erwachsene Täter Jahr für Jahr diese Verbrechen begehen. Streng genommen laufen also Hunderttausende Gewaltverbrecher in unserem Land frei herum - Männer und Frauen, die Kindern die Knochen gebrochen, sie verprügelt, verbrannt, verbrüht oder schwerst geschüttelt haben. Und die diese Verbrechen an hilflosen Opfern in vielen Fällen regelmäßig wiederholen, Woche für Woche oder sogar Tag für Tag. Immer und immer wieder. Ein großer Teil der misshandelten Kinder, die wir als Rechtsmediziner untersuchen, hat ein oft langjähriges Martyrium hinter sich. Davon künden die verheilten Knochenbrüche, die Narben und die unheilbaren seelischen Wunden.
Auf die typischen Verhaltensweisen chronisch misshandelter Kinder gehen wir in Kapitel 1 ausführlich ein. Bleiben wir hier noch einen Moment bei den Tätern.
Kindesmisshandler sind Serientäter
Selbst bei zurückhaltender Schätzung kommt man auf eine siebenstellige Anzahl von Gewalttätern, die hierzulande ein ihnen anvertrautes Kind schon mindestens einmal misshandelt oder sogar getötet haben oder die solche Gewaltverbrechen immer wieder begehen. Diese Täter sind in aller Regel eben nicht der zwielichtige Fremde - der sprichwörtliche »schwarze Mann«, der nachts durchs Fenster ins schützende Heim einsteigt. Diese Millionen von Tätern sind vielmehr fast immer die Väter und Mütter (einschließlich Stief-, Zeit- und Patchwork-Elternteilen) der misshandelten oder getöteten Kinder.
Sie glauben nicht an Serientäter? Wir Rechtsmediziner schon. Wir wissen nur zu genau, dass Serientäter keine Erfindung der Unterhaltungsindustrie sind. Schließlich haben wir es Woche für Woche mit ihren minderjährigen Opfern zu tun. Nur werden diese Serientäter leider viel zu selten angezeigt, vor Gericht gestellt oder gar verurteilt. Meist bleiben sie unbehelligt, und wenn doch einmal ein Verdacht auf sie fällt, schlagen sich ausgerechnet die offiziellen Wächter und Hüter des Kindeswohls - ob Jugendamt oder Familienhelfer (siehe Kapitel 3), Richter (siehe Kapitel 4) oder Kinderärzte (siehe Kapitel 5) - oftmals auf ihre Seite. Frei nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Eine Mutter, die ihr eigenes Kind mit siedend heißem Wasser absichtlich verbrüht? Ein Vater, der seinen kleinen Sohn mit glühenden Zigaretten malträtiert? So etwas kann es vermeintlich nur in schlechten Kriminalromanen geben. Aber die Realität ist vielfach sogar brutaler als der grausamste Psychothriller. Und das kostspieligste Kinderschutzsystem muss allzu oft wirkungslos bleiben, wenn dessen Akteure nicht willens oder imstande sind, sich der erschreckenden Wahrheit zu stellen:
Gewalt gegen Kinder ist (nicht nur) hierzulande keineswegs die seltene Ausnahme. Kindesmisshandlung findet von Passau bis Flensburg und von Aachen bis Frankfurt/ Oder tagtäglich hundertfach statt. Bei Arm und Reich, in Villen- und Brennpunktvierteln, in bildungsfernen und Akademikerfamilien. Und die Täter sind fast immer die Eltern.
Was ist eigentlich Kindesmisshandlung?
Als Kindesmisshandlung im weiteren Sinn werden alle Erscheinungsformen von Gewalt gegen Kinder bezeichnet:
• physische Misshandlung
• Vernachlässigung
• psychische Misshandlung
• sexueller Missbrauch
Als Rechtsmediziner haben wir es vor allem mit den beiden erstgenannten Formen zu tun. Die Übergänge sind allerdings teilweise fließend. C. Henry Kempe, ein Pionier der modernen Kindesmisshandlungsforschung (siehe Kapitel 2), definierte 1972 die physische Misshandlung als »nicht zufällige körperliche Verletzung eines Kindes infolge von Handlungen von Eltern oder Erziehungsberechtigten «.
Bei der gegen Kinder ausgeübten physischen Gewalt lassen sich wiederum sechs Formen unterscheiden:
• Stumpfe und schürfende Gewalt durch Schlagen, Treten, Kratzen usw.
• Scharfe und spitze Gewalt durch Messer, Scheren o.Ä.
• Halbscharfe Gewalt durch Bisse (siehe Kapitel 7)
• Strangulation (Würgen und Drosseln)
• Thermische Verletzungen durch Verbrühen und Verbrennen (siehe Kapitel 5)
• Tödliches oder schwerstschädigendes massives Schütteln von Säuglingen (Schütteltrauma - siehe Kapitel 4)
Die häufigsten Misshandlungsformen sind Schläge mit der flachen Hand oder der Faust, Schläge mit Gegenständen (z.B. Gürtel) und grobes Anpacken und Kneifen. Noch einmal: Wir reden nicht von dem berühmten »Klaps« - hier geht es um massive Gewalteinwirkung, die Hämatome, Platzwunden oder sogar Hirnverletzungen verursacht.
Säuglinge und Kleinkinder bis zum vierten Lebensjahr sind am stärksten gefährdet, an den Folgen von Kindesmisshandlung zu sterben. Das ergibt sich bereits aus der offiziellen Kriminalstatistik - aber, wie gesagt, laut aktuellen Studien werden fünfzig bis sechzig Prozent der tödlich misshandelten Kinder in diesen Statistiken gar nicht erfasst.
Null Toleranz gegenüber Misshandlern
Dies ist ein Debattenbuch aus rechtsmedizinischer Sicht: Im Mittelpunkt unserer Fallberichte, Überlegungen und Forderungen stehen die unterschiedlichsten Formen körperlicher Kindesmisshandlung mit oder ohne Todesfolge. Um die reine psychische Kindesmisshandlung (»seelische Grausamkeit«) durch Verachtung, Demütigung oder Liebesentzug geht es in diesem Buch nur am Rande: Sie ist das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiater. Minderjährige, die von uns begutachtet werden - Lebende und Tote -, weisen manifeste physische Verletzungen auf. Indes schlägt körperliche Misshandlung stets auch seelische Wunden - und die heilen oftmals noch schwerer als Platzwunden und Knochenbrüche.
Die Kindstötung ist gleichfalls nicht Gegenstand dieses Buches: Weit überwiegend sind es hier die Mütter, die ihren neugeborenen Kindern das Leben nehmen. Bei diesen Fällen haben wir es mit ganz anderen Motiven und Voraussetzungen als bei der Kindesmisshandlung zu tun.
Das gilt mehr noch für den Kindesmissbrauch. Sexueller Missbrauch geht gewiss oftmals mit körperlicher Misshandlung einher (mit seelischer sowieso), gleichwohl handelt es sich um ein ganz eigenes Feld. Täterprofile, Motive und Täter-Opfer-Beziehungen sind bei Kindesmissbrauchsdelikten fast immer gänzlich andere als bei Kindesmisshandlung. Folgerichtig ist das Berliner Landeskriminalamt (LKA 125), mit dem wir bei der Aufklärung von Kindesmisshandlungsdelikten eng zusammenarbeiten, auf »Gewaltdelikte an Schutzbefohlenen und Kindern ohne sexuellen Hintergrund« spezialisiert. Bei Kindesmissbrauchsdelikten ermittelt in Berlin ein eigenes LKA. Diese Fallgruppe ist gleichfalls nicht Gegenstand unseres Buches.
Wir möchten die deutsche Öffentlichkeit über unerträgliche Missstände aufklären und eine längst überfällige Debatte anstoßen. Wir berichten von Konstruktionsfehlern des deutschen Kinder- und Jugendschutzsystems und von ihren oftmals tragischen Folgen für die vermeintlichen Schützlinge, die von den »Wächtern des Kindeswohls« tausendfach im Stich gelassen werden. Personen- und Ortsnamen sowie etliche Nebenumstände der geschilderten Fälle wurden verfremdet, um die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu wahren. Im Übrigen haben sich die hier dargestellten Fälle tatsächlich so zugetragen, wie von uns dargestellt. In allen diesen Fällen - mit zwei entsprechend hervorgehobenen Ausnahmen - waren wir als rechtsmedizinische Sachverständige beziehungsweise Gutachter involviert.
Mit dieser Streitschrift möchten wir jedoch nicht nur Missstände aufzeigen und eine öffentliche Diskussion anstoßen. Wir machen auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes (siehe Kapitel 11). Am Schluss des Buches finden Sie überdies eine Reihe von Empfehlungen, wie wir alle dazu beitragen können, dass Kinder in unserer Gesellschaft aufwachsen können, ohne tagtäglich um ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben fürchten zu müssen (siehe Kapitel 12).
»Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung«, heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). »Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.« (§ 1631, Abs. 2 BGB) Wer dagegen verstößt, indem er Kindern schwere, oftmals bleibende Schäden zufügt, ist ein Verbrecher und gehört - sofern er schuldfähig ist - dafür bestraft. Vor allem aber, und das ist das Wichtigste, dürfen Misshandler keine Gelegenheit mehr erhalten, Kindern weiterhin Schäden zuzufügen!
Wir fordern nicht »mehr Staat«, »strengere Gesetze« oder »Denunziantentum«, doch nach unserer Überzeugung werden immer dort rote Linien überschritten, wo Kinder zu Schaden kommen. Das Selbstbestimmungsrecht der Eltern - oder gar ihr Recht auf Selbstverwirklichung - darf niemals auf Kosten der Kinder gehen. Überall dort, wo ein Kind zu Schaden kommt, trifft einen Erwachsenen die Schuld. Jedes misshandelte oder gar durch Misshandlung getötete Kind ist eines zu viel. Wir fordern »zero tolerance« gegenüber Kindesmisshandlern - und gegenüber all denen, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, durch Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
1
Generation Kevin - aus Opfern werden Täter
Schon aus den Vornamen mancher Kinder lässt sich die Risikolage ableiten: Kinder mit Namen wie Collin Joe, Jayden oder Tyler Reese wachsen meist in sozial benachteiligten Umgebungen auf - und sind entsprechend gefährdet, als Säuglinge Schütteltraumata zu erleiden, als Kleinkinder zu Tode geprügelt, mit glühenden Zigaretten gefoltert oder vom Balkon geworfen zu werden. Ihre Väter oder die Freunde der Mütter sind häufig ihrerseits als Kinder misshandelt worden - die »Generation Kevin «, die mittlerweile selbst im zeugungsfähigen Alter ist. So ziehen wir uns gerade die nächste gewalttätige Problemgeneration heran.
Erfahrene Rechtsmediziner sehen oft deutliche Anzeichen dafür, dass ein Kind misshandelt worden ist - auch wenn es auf den ersten Blick keine körperlichen Verletzungen aufweist. Ein Baby oder Kleinkind, dem man sich nachts als Fremder nähert, schreit instinktiv aus voller Kehle. Sein Geschwister aber, das schon Misshandlungen erlitten hat, sieht den Fremden mit einem Ausdruck versteinerter Wachsamkeit an. So wie der zweijährige Noah, den wir in einer Berliner Klinik rechtsmedizinisch untersucht haben.
Tierisch gedemütigt
An einem Sommertag wird Noah in eine Klinik im Nordosten Berlins eingeliefert. Seine Mutter, Jessica Michalczik, hat ihn selbst zur Notaufnahme gebracht. Die junge Frau gibt an, dass sie »nur ein paar Einkäufe gemacht« habe. Als sie in ihre Wohnung zurückgekehrt sei, habe Noah im Wohnzimmer auf dem Boden gelegen und gewimmert.
Sein linker Arm war seltsam verdreht. Als Jessica Michalczik den Jungen hochheben wollte, schrie er wie am Spieß. »Irgendwas ist mit ihm passiert, während ich nicht da war«, sagt die erst 18-jährige junge Frau zu Dr. Julia Hambach, der diensthabenden Ärztin in der Notaufnahme.
Dr. Hambach stellt fest, dass Noah zwei gebrochene Rippen und einen komplizierten Bruch am linken Arm hat. Außerdem Blutergüsse im Gesicht und auf den Armen.
»War Noah denn allein in der Wohnung, als Sie unterwegs waren?«, fragt die Ärztin.
Jessica Michalczik presst die Lippen aufeinander. »Kevin war da - mein Freund«, antwortet sie schließlich. »Bestimmt ist Noah irgendwo runtergefallen, als Kevin gerade nicht im Zimmer war.«
Dr. Hambach hört der jungen Mutter an, dass sie ihren eigenen Worten nicht glaubt. Sie veranlasst, dass der Junge auf der kinderchirurgischen Station versorgt wird. Dann verständigt sie das Jugendamt. Seine zahlreichen Verletzungen kann sich Noah keinesfalls bei einem Sturz von der Wohnzimmercouch zugezogen haben. Allem Anschein nach wurde der kleine Junge schwer misshandelt.
Meik Simmering, der zuständige Sachbearbeiter in einem Jugendamt im Berliner Osten, bekommt den Fall kurz vor Feierabend auf den Tisch. Vor ihm stapeln sich bereits gut 120 Fallakten - das ganz normale Alltagspensum von Jugendamtsmitarbeitern in Berliner Problembezirken.
Kein Wunder, dass Simmerings ältere Kollegen mindestens drei Tage pro Monat wegen Krankheit fehlen. Ab Mitte vierzig sind die meisten total ausgebrannt. Von den Jüngeren hat jeder Zweite einen Versetzungsantrag laufen - zu einer anderen Behörde oder in ein anderes Bundesland. Hauptsache, raus aus dieser Mühle tagtäglicher Überforderung, in der man irgendwann nur noch durch Abstumpfung überleben kann.
Auch Meik Simmering beginnt der ständige Kampf mit Aktenbergen, laschen Gesetzen und knappen Kassen zu zermürben. Doch mit seinen 27 Jahren hat er sich noch einiges an Idealismus bewahrt. Schließlich hat er sich nach dem Abitur für die Sozialpädagogik entschieden, weil er Kindern und Jugendlichen in Bedrängnis helfen wollte. Damit es ihnen nicht so erging wie ihm selbst als kleinem Jungen: Jahrelang war er von seinem Stiefvater verdroschen worden, und weit und breit war niemand gewesen, um ihn zu beschützen. Als angehender Sozialarbeiter hatte sich Meik Simmering geschworen, dass es den Kindern in seinem Zuständigkeitsbereich besser gehen sollte.
Doch nun ist es wieder passiert. Noah, zwei Jahre alt, in seinem eigenen Zuhause krankenhausreif geprügelt. Wo auch sonst, sagt sich Simmering: Der sprichwörtliche »schwarze Mann«, vor dem sich die Kinder in Acht nehmen sollen, ist fast immer ihr eigener Vater oder der Lebenspartner ihrer Mutter.
Meik Simmering füllt die erforderlichen Formulare aus und erstattet bei der Polizei Meldung wegen »Verdachts auf Körperverletzung zum Nachteil von Noah Michalczik «, wohnhaft im Berliner Osten.
Am nächsten Tag erhalten wir einen Anruf vom Landeskriminalamt. Das LKA 125, zuständig für Gewaltdelikte an Kindern und Schutzbefohlenen, hat die Ermittlungen an sich gezogen. Der zuständige Sachbearbeiter beauftragt unser Institut, Noah rechtsmedizinisch zu untersuchen.
In unserem Gutachten sollen wir vor allem die Fragen beantworten, welche Verletzungen der Junge aufweist, ob sie durch ein Unfallgeschehen entstanden sein können und, wenn nicht, wodurch sie tatsächlich hervorgerufen wurden. Ferner geht es darum, wie alt die Verletzungen sind: Die Mutter hatte in der Klinik angegeben, dass ihr bis dahin noch nie Verletzungen an Noah aufgefallen seien.
Noch am selben Tag machen wir uns auf den Weg zu der Großklinik im Berliner Nordosten. Das LKA entsendet gleichzeitig zwei Polizeibeamte und einen Polizeifotografen, der die äußerlich sichtbaren Verletzungen am Körper des Jungen fotografisch dokumentieren soll.
Als wir den Untersuchungsraum in der Klinik betreten, sitzt Noah schon auf dem Behandlungstisch und sieht uns mit starrer Wachsamkeit entgegen. Diese Haltung »gefrorener Aufmerksamkeit« (frozen watchfulness) ist typisch für akut oder chronisch misshandelte Kinder. Selbst bei der Untersuchung durch eine fremde Person halten sie vollkommen still, und auch wenn eine Berührung oder Bewegung ihnen Schmerzen verursacht, zucken sie höchstens kurz zusammen.
Mit großen, traurigen Augen sieht Noah zu, wie er von einer Kinderkrankenschwester entkleidet wird und wir ihn untersuchen. Sein Körper ist mit Schwellungen und Blutergüssen übersät. Als wir behutsam seinen gebrochenen Arm berühren, schießen ihm die Tränen aus den Augen. Aber er gibt weiterhin keinen Ton von sich.
Bei dem Knochenbruch in Noahs linkem Oberarm handelt es sich um einen Spiralbruch. Der Oberarmspiralbruch ist eigentlich eine typische Wintersportverletzung. Sie entsteht, wenn die Skier am Berg blockieren und der Fahrer sich beim Sturz um seine Bretter quasi herumwickelt. Aber Noah war nicht beim Skilaufen im Berliner Hochsommer.
Wenn die Betreuer keine glaubwürdige Erklärung vorbringen können, ist der Spiralbruch immer ein klarer Hinweis auf Kindesmisshandlung. Und selbst wenn Jessica Michalczik und Kevin Büttner, ihr 19-jähriger Lebensgefährte, eine solche Erklärung liefern könnten - die zahlreichen Hämatome am Körper des Jungen lassen sich durch kein Unfallgeschehen erklären.
Verräterisch sind unter anderem die rundlichen Unterblutungen, die wir am linken Arm des Jungen feststellen. In der Rechtsmedizin bezeichnen wir solche Verletzungen als »Griffspuren«. Sie zeigen deutlich, wo die Hand eines Erwachsenen zugepackt hat, um den kindlichen Arm zu brechen. Darüber hinaus finden wir ältere Hämatome, die dem Jungen während der letzten Wochen zugefügt wurden.
In unserem Gutachten stellen wir dementsprechend fest, dass Noah nicht nur einmal, sondern über einen längeren Zeitraum immer wieder schwer misshandelt wurde. Weder die Hämatome noch gar der Oberarmspiralbruch lassen sich durch ein Unfallgeschehen erklären, wie von der Mutter behauptet.
Aufgrund unseres Gutachtens bringen die Beamten des LKA 125 Jessica Michalczik und ihren Lebensgefährten Kevin Büttner ins Landeskriminalamt. Dort werden sie in getrennten Räumen vernommen.
© 2014 Droemer Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Laut offizieller Polizeistatistik sterben in Deutschland jede Woche drei Kinder an den Folgen ihrer Misshandlung. Jede Woche werden rund siebzig Kinder so massiv malträtiert, dass sie ärztlich behandelt werden müssen. Das sind 3600 krankenhausreif geprügelte, in die lebenslange Behinderung geschüttelte, mit glühenden Zigaretten verbrannte oder auf andere Weise schwerstgeschädigte Kinder Jahr für Jahr. Und das sind 160 Kinder, die alljährlich bei uns getötet werden - nicht durch Unfälle oder kindlichen Übermut, sondern durch erwachsene Täter - in aller Regel Vater oder Mutter oder der aktuelle Lebenspartner eines Elternteils.
Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Nur ein Bruchteil der Misshandlungen von Schutzbefohlenen wird angezeigt, noch weitaus weniger dieser alltäglichen Gewaltdelikte gelangen jemals vor Gericht. Auf einen Misshandlungsfall, der in der Polizeistatistik auftaucht, kommen - je nach Schätzung - fünf bis fünfzig (Handbuch gerichtliche Medizin) oder sogar vierhundert und mehr Fälle (Deutscher Kinderschutzbund, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen), die von Kinderärzten oder Kliniken als Unfälle ohne Fremdverschulden falsch verbucht oder die außerhalb der familiären vier Wände gar nicht erst ruchbar werden. Und auf ein totes Kind, das offiziell aufgrund von Misshandlung gestorben ist, kommt mindestens ein weiteres kindliches Opfer (Kindesmisshandlung, S. 4), bei dem die tatsächliche Todesursache nicht ermittelt worden ist. Denn anders als in den USA oder in Großbritannien gibt es bei uns keine generelle Leichenschaupflicht bei kindlichen Todesfällen (siehe Kapitel 6).
Multipliziert man die offiziellen Fallzahlen zurückhaltend »nur« mit dem Faktor 2 beziehungsweise mit dem Faktor 60, dann bedeutet das 320 durch Misshandlung getötete und mehr als 200 000 misshandelte Kinder pro Jahr. Stellen Sie sich das bitte einmal bildlich vor: An jedem einzelnen Tag eines Jahres werden in Deutschland rund fünfhundertfünfzig Kinder von Erwachsenen aus ihrem familiären Umfeld massiv misshandelt - das ist eine ganze Schule mit rund 27 Schulklassen. Und jedes Jahr werden 16 Schulklassen - 320 Kinder - durch körperliche Gewalt getötet. Nicht in Kriegs- oder Bürgerkriegsregionen, aus denen wir täglich via TV und Internet blutige Bilder geliefert bekommen. Sondern in Ihrer Stadt oder Gemeinde, in Ihrer Straße, vielleicht sogar in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
Jährlich mehr als 200 000 misshandelte Kinder - das bedeutet auch, dass ebenso viele erwachsene Täter Jahr für Jahr diese Verbrechen begehen. Streng genommen laufen also Hunderttausende Gewaltverbrecher in unserem Land frei herum - Männer und Frauen, die Kindern die Knochen gebrochen, sie verprügelt, verbrannt, verbrüht oder schwerst geschüttelt haben. Und die diese Verbrechen an hilflosen Opfern in vielen Fällen regelmäßig wiederholen, Woche für Woche oder sogar Tag für Tag. Immer und immer wieder. Ein großer Teil der misshandelten Kinder, die wir als Rechtsmediziner untersuchen, hat ein oft langjähriges Martyrium hinter sich. Davon künden die verheilten Knochenbrüche, die Narben und die unheilbaren seelischen Wunden.
Auf die typischen Verhaltensweisen chronisch misshandelter Kinder gehen wir in Kapitel 1 ausführlich ein. Bleiben wir hier noch einen Moment bei den Tätern.
Kindesmisshandler sind Serientäter
Selbst bei zurückhaltender Schätzung kommt man auf eine siebenstellige Anzahl von Gewalttätern, die hierzulande ein ihnen anvertrautes Kind schon mindestens einmal misshandelt oder sogar getötet haben oder die solche Gewaltverbrechen immer wieder begehen. Diese Täter sind in aller Regel eben nicht der zwielichtige Fremde - der sprichwörtliche »schwarze Mann«, der nachts durchs Fenster ins schützende Heim einsteigt. Diese Millionen von Tätern sind vielmehr fast immer die Väter und Mütter (einschließlich Stief-, Zeit- und Patchwork-Elternteilen) der misshandelten oder getöteten Kinder.
Sie glauben nicht an Serientäter? Wir Rechtsmediziner schon. Wir wissen nur zu genau, dass Serientäter keine Erfindung der Unterhaltungsindustrie sind. Schließlich haben wir es Woche für Woche mit ihren minderjährigen Opfern zu tun. Nur werden diese Serientäter leider viel zu selten angezeigt, vor Gericht gestellt oder gar verurteilt. Meist bleiben sie unbehelligt, und wenn doch einmal ein Verdacht auf sie fällt, schlagen sich ausgerechnet die offiziellen Wächter und Hüter des Kindeswohls - ob Jugendamt oder Familienhelfer (siehe Kapitel 3), Richter (siehe Kapitel 4) oder Kinderärzte (siehe Kapitel 5) - oftmals auf ihre Seite. Frei nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Eine Mutter, die ihr eigenes Kind mit siedend heißem Wasser absichtlich verbrüht? Ein Vater, der seinen kleinen Sohn mit glühenden Zigaretten malträtiert? So etwas kann es vermeintlich nur in schlechten Kriminalromanen geben. Aber die Realität ist vielfach sogar brutaler als der grausamste Psychothriller. Und das kostspieligste Kinderschutzsystem muss allzu oft wirkungslos bleiben, wenn dessen Akteure nicht willens oder imstande sind, sich der erschreckenden Wahrheit zu stellen:
Gewalt gegen Kinder ist (nicht nur) hierzulande keineswegs die seltene Ausnahme. Kindesmisshandlung findet von Passau bis Flensburg und von Aachen bis Frankfurt/ Oder tagtäglich hundertfach statt. Bei Arm und Reich, in Villen- und Brennpunktvierteln, in bildungsfernen und Akademikerfamilien. Und die Täter sind fast immer die Eltern.
Was ist eigentlich Kindesmisshandlung?
Als Kindesmisshandlung im weiteren Sinn werden alle Erscheinungsformen von Gewalt gegen Kinder bezeichnet:
• physische Misshandlung
• Vernachlässigung
• psychische Misshandlung
• sexueller Missbrauch
Als Rechtsmediziner haben wir es vor allem mit den beiden erstgenannten Formen zu tun. Die Übergänge sind allerdings teilweise fließend. C. Henry Kempe, ein Pionier der modernen Kindesmisshandlungsforschung (siehe Kapitel 2), definierte 1972 die physische Misshandlung als »nicht zufällige körperliche Verletzung eines Kindes infolge von Handlungen von Eltern oder Erziehungsberechtigten «.
Bei der gegen Kinder ausgeübten physischen Gewalt lassen sich wiederum sechs Formen unterscheiden:
• Stumpfe und schürfende Gewalt durch Schlagen, Treten, Kratzen usw.
• Scharfe und spitze Gewalt durch Messer, Scheren o.Ä.
• Halbscharfe Gewalt durch Bisse (siehe Kapitel 7)
• Strangulation (Würgen und Drosseln)
• Thermische Verletzungen durch Verbrühen und Verbrennen (siehe Kapitel 5)
• Tödliches oder schwerstschädigendes massives Schütteln von Säuglingen (Schütteltrauma - siehe Kapitel 4)
Die häufigsten Misshandlungsformen sind Schläge mit der flachen Hand oder der Faust, Schläge mit Gegenständen (z.B. Gürtel) und grobes Anpacken und Kneifen. Noch einmal: Wir reden nicht von dem berühmten »Klaps« - hier geht es um massive Gewalteinwirkung, die Hämatome, Platzwunden oder sogar Hirnverletzungen verursacht.
Säuglinge und Kleinkinder bis zum vierten Lebensjahr sind am stärksten gefährdet, an den Folgen von Kindesmisshandlung zu sterben. Das ergibt sich bereits aus der offiziellen Kriminalstatistik - aber, wie gesagt, laut aktuellen Studien werden fünfzig bis sechzig Prozent der tödlich misshandelten Kinder in diesen Statistiken gar nicht erfasst.
Null Toleranz gegenüber Misshandlern
Dies ist ein Debattenbuch aus rechtsmedizinischer Sicht: Im Mittelpunkt unserer Fallberichte, Überlegungen und Forderungen stehen die unterschiedlichsten Formen körperlicher Kindesmisshandlung mit oder ohne Todesfolge. Um die reine psychische Kindesmisshandlung (»seelische Grausamkeit«) durch Verachtung, Demütigung oder Liebesentzug geht es in diesem Buch nur am Rande: Sie ist das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiater. Minderjährige, die von uns begutachtet werden - Lebende und Tote -, weisen manifeste physische Verletzungen auf. Indes schlägt körperliche Misshandlung stets auch seelische Wunden - und die heilen oftmals noch schwerer als Platzwunden und Knochenbrüche.
Die Kindstötung ist gleichfalls nicht Gegenstand dieses Buches: Weit überwiegend sind es hier die Mütter, die ihren neugeborenen Kindern das Leben nehmen. Bei diesen Fällen haben wir es mit ganz anderen Motiven und Voraussetzungen als bei der Kindesmisshandlung zu tun.
Das gilt mehr noch für den Kindesmissbrauch. Sexueller Missbrauch geht gewiss oftmals mit körperlicher Misshandlung einher (mit seelischer sowieso), gleichwohl handelt es sich um ein ganz eigenes Feld. Täterprofile, Motive und Täter-Opfer-Beziehungen sind bei Kindesmissbrauchsdelikten fast immer gänzlich andere als bei Kindesmisshandlung. Folgerichtig ist das Berliner Landeskriminalamt (LKA 125), mit dem wir bei der Aufklärung von Kindesmisshandlungsdelikten eng zusammenarbeiten, auf »Gewaltdelikte an Schutzbefohlenen und Kindern ohne sexuellen Hintergrund« spezialisiert. Bei Kindesmissbrauchsdelikten ermittelt in Berlin ein eigenes LKA. Diese Fallgruppe ist gleichfalls nicht Gegenstand unseres Buches.
Wir möchten die deutsche Öffentlichkeit über unerträgliche Missstände aufklären und eine längst überfällige Debatte anstoßen. Wir berichten von Konstruktionsfehlern des deutschen Kinder- und Jugendschutzsystems und von ihren oftmals tragischen Folgen für die vermeintlichen Schützlinge, die von den »Wächtern des Kindeswohls« tausendfach im Stich gelassen werden. Personen- und Ortsnamen sowie etliche Nebenumstände der geschilderten Fälle wurden verfremdet, um die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu wahren. Im Übrigen haben sich die hier dargestellten Fälle tatsächlich so zugetragen, wie von uns dargestellt. In allen diesen Fällen - mit zwei entsprechend hervorgehobenen Ausnahmen - waren wir als rechtsmedizinische Sachverständige beziehungsweise Gutachter involviert.
Mit dieser Streitschrift möchten wir jedoch nicht nur Missstände aufzeigen und eine öffentliche Diskussion anstoßen. Wir machen auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes (siehe Kapitel 11). Am Schluss des Buches finden Sie überdies eine Reihe von Empfehlungen, wie wir alle dazu beitragen können, dass Kinder in unserer Gesellschaft aufwachsen können, ohne tagtäglich um ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben fürchten zu müssen (siehe Kapitel 12).
»Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung«, heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). »Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.« (§ 1631, Abs. 2 BGB) Wer dagegen verstößt, indem er Kindern schwere, oftmals bleibende Schäden zufügt, ist ein Verbrecher und gehört - sofern er schuldfähig ist - dafür bestraft. Vor allem aber, und das ist das Wichtigste, dürfen Misshandler keine Gelegenheit mehr erhalten, Kindern weiterhin Schäden zuzufügen!
Wir fordern nicht »mehr Staat«, »strengere Gesetze« oder »Denunziantentum«, doch nach unserer Überzeugung werden immer dort rote Linien überschritten, wo Kinder zu Schaden kommen. Das Selbstbestimmungsrecht der Eltern - oder gar ihr Recht auf Selbstverwirklichung - darf niemals auf Kosten der Kinder gehen. Überall dort, wo ein Kind zu Schaden kommt, trifft einen Erwachsenen die Schuld. Jedes misshandelte oder gar durch Misshandlung getötete Kind ist eines zu viel. Wir fordern »zero tolerance« gegenüber Kindesmisshandlern - und gegenüber all denen, die die alltägliche Misshandlung von Kindern durch Wegschauen, durch Verharmlosen und Tabuisieren begünstigen.
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Generation Kevin - aus Opfern werden Täter
Schon aus den Vornamen mancher Kinder lässt sich die Risikolage ableiten: Kinder mit Namen wie Collin Joe, Jayden oder Tyler Reese wachsen meist in sozial benachteiligten Umgebungen auf - und sind entsprechend gefährdet, als Säuglinge Schütteltraumata zu erleiden, als Kleinkinder zu Tode geprügelt, mit glühenden Zigaretten gefoltert oder vom Balkon geworfen zu werden. Ihre Väter oder die Freunde der Mütter sind häufig ihrerseits als Kinder misshandelt worden - die »Generation Kevin «, die mittlerweile selbst im zeugungsfähigen Alter ist. So ziehen wir uns gerade die nächste gewalttätige Problemgeneration heran.
Erfahrene Rechtsmediziner sehen oft deutliche Anzeichen dafür, dass ein Kind misshandelt worden ist - auch wenn es auf den ersten Blick keine körperlichen Verletzungen aufweist. Ein Baby oder Kleinkind, dem man sich nachts als Fremder nähert, schreit instinktiv aus voller Kehle. Sein Geschwister aber, das schon Misshandlungen erlitten hat, sieht den Fremden mit einem Ausdruck versteinerter Wachsamkeit an. So wie der zweijährige Noah, den wir in einer Berliner Klinik rechtsmedizinisch untersucht haben.
Tierisch gedemütigt
An einem Sommertag wird Noah in eine Klinik im Nordosten Berlins eingeliefert. Seine Mutter, Jessica Michalczik, hat ihn selbst zur Notaufnahme gebracht. Die junge Frau gibt an, dass sie »nur ein paar Einkäufe gemacht« habe. Als sie in ihre Wohnung zurückgekehrt sei, habe Noah im Wohnzimmer auf dem Boden gelegen und gewimmert.
Sein linker Arm war seltsam verdreht. Als Jessica Michalczik den Jungen hochheben wollte, schrie er wie am Spieß. »Irgendwas ist mit ihm passiert, während ich nicht da war«, sagt die erst 18-jährige junge Frau zu Dr. Julia Hambach, der diensthabenden Ärztin in der Notaufnahme.
Dr. Hambach stellt fest, dass Noah zwei gebrochene Rippen und einen komplizierten Bruch am linken Arm hat. Außerdem Blutergüsse im Gesicht und auf den Armen.
»War Noah denn allein in der Wohnung, als Sie unterwegs waren?«, fragt die Ärztin.
Jessica Michalczik presst die Lippen aufeinander. »Kevin war da - mein Freund«, antwortet sie schließlich. »Bestimmt ist Noah irgendwo runtergefallen, als Kevin gerade nicht im Zimmer war.«
Dr. Hambach hört der jungen Mutter an, dass sie ihren eigenen Worten nicht glaubt. Sie veranlasst, dass der Junge auf der kinderchirurgischen Station versorgt wird. Dann verständigt sie das Jugendamt. Seine zahlreichen Verletzungen kann sich Noah keinesfalls bei einem Sturz von der Wohnzimmercouch zugezogen haben. Allem Anschein nach wurde der kleine Junge schwer misshandelt.
Meik Simmering, der zuständige Sachbearbeiter in einem Jugendamt im Berliner Osten, bekommt den Fall kurz vor Feierabend auf den Tisch. Vor ihm stapeln sich bereits gut 120 Fallakten - das ganz normale Alltagspensum von Jugendamtsmitarbeitern in Berliner Problembezirken.
Kein Wunder, dass Simmerings ältere Kollegen mindestens drei Tage pro Monat wegen Krankheit fehlen. Ab Mitte vierzig sind die meisten total ausgebrannt. Von den Jüngeren hat jeder Zweite einen Versetzungsantrag laufen - zu einer anderen Behörde oder in ein anderes Bundesland. Hauptsache, raus aus dieser Mühle tagtäglicher Überforderung, in der man irgendwann nur noch durch Abstumpfung überleben kann.
Auch Meik Simmering beginnt der ständige Kampf mit Aktenbergen, laschen Gesetzen und knappen Kassen zu zermürben. Doch mit seinen 27 Jahren hat er sich noch einiges an Idealismus bewahrt. Schließlich hat er sich nach dem Abitur für die Sozialpädagogik entschieden, weil er Kindern und Jugendlichen in Bedrängnis helfen wollte. Damit es ihnen nicht so erging wie ihm selbst als kleinem Jungen: Jahrelang war er von seinem Stiefvater verdroschen worden, und weit und breit war niemand gewesen, um ihn zu beschützen. Als angehender Sozialarbeiter hatte sich Meik Simmering geschworen, dass es den Kindern in seinem Zuständigkeitsbereich besser gehen sollte.
Doch nun ist es wieder passiert. Noah, zwei Jahre alt, in seinem eigenen Zuhause krankenhausreif geprügelt. Wo auch sonst, sagt sich Simmering: Der sprichwörtliche »schwarze Mann«, vor dem sich die Kinder in Acht nehmen sollen, ist fast immer ihr eigener Vater oder der Lebenspartner ihrer Mutter.
Meik Simmering füllt die erforderlichen Formulare aus und erstattet bei der Polizei Meldung wegen »Verdachts auf Körperverletzung zum Nachteil von Noah Michalczik «, wohnhaft im Berliner Osten.
Am nächsten Tag erhalten wir einen Anruf vom Landeskriminalamt. Das LKA 125, zuständig für Gewaltdelikte an Kindern und Schutzbefohlenen, hat die Ermittlungen an sich gezogen. Der zuständige Sachbearbeiter beauftragt unser Institut, Noah rechtsmedizinisch zu untersuchen.
In unserem Gutachten sollen wir vor allem die Fragen beantworten, welche Verletzungen der Junge aufweist, ob sie durch ein Unfallgeschehen entstanden sein können und, wenn nicht, wodurch sie tatsächlich hervorgerufen wurden. Ferner geht es darum, wie alt die Verletzungen sind: Die Mutter hatte in der Klinik angegeben, dass ihr bis dahin noch nie Verletzungen an Noah aufgefallen seien.
Noch am selben Tag machen wir uns auf den Weg zu der Großklinik im Berliner Nordosten. Das LKA entsendet gleichzeitig zwei Polizeibeamte und einen Polizeifotografen, der die äußerlich sichtbaren Verletzungen am Körper des Jungen fotografisch dokumentieren soll.
Als wir den Untersuchungsraum in der Klinik betreten, sitzt Noah schon auf dem Behandlungstisch und sieht uns mit starrer Wachsamkeit entgegen. Diese Haltung »gefrorener Aufmerksamkeit« (frozen watchfulness) ist typisch für akut oder chronisch misshandelte Kinder. Selbst bei der Untersuchung durch eine fremde Person halten sie vollkommen still, und auch wenn eine Berührung oder Bewegung ihnen Schmerzen verursacht, zucken sie höchstens kurz zusammen.
Mit großen, traurigen Augen sieht Noah zu, wie er von einer Kinderkrankenschwester entkleidet wird und wir ihn untersuchen. Sein Körper ist mit Schwellungen und Blutergüssen übersät. Als wir behutsam seinen gebrochenen Arm berühren, schießen ihm die Tränen aus den Augen. Aber er gibt weiterhin keinen Ton von sich.
Bei dem Knochenbruch in Noahs linkem Oberarm handelt es sich um einen Spiralbruch. Der Oberarmspiralbruch ist eigentlich eine typische Wintersportverletzung. Sie entsteht, wenn die Skier am Berg blockieren und der Fahrer sich beim Sturz um seine Bretter quasi herumwickelt. Aber Noah war nicht beim Skilaufen im Berliner Hochsommer.
Wenn die Betreuer keine glaubwürdige Erklärung vorbringen können, ist der Spiralbruch immer ein klarer Hinweis auf Kindesmisshandlung. Und selbst wenn Jessica Michalczik und Kevin Büttner, ihr 19-jähriger Lebensgefährte, eine solche Erklärung liefern könnten - die zahlreichen Hämatome am Körper des Jungen lassen sich durch kein Unfallgeschehen erklären.
Verräterisch sind unter anderem die rundlichen Unterblutungen, die wir am linken Arm des Jungen feststellen. In der Rechtsmedizin bezeichnen wir solche Verletzungen als »Griffspuren«. Sie zeigen deutlich, wo die Hand eines Erwachsenen zugepackt hat, um den kindlichen Arm zu brechen. Darüber hinaus finden wir ältere Hämatome, die dem Jungen während der letzten Wochen zugefügt wurden.
In unserem Gutachten stellen wir dementsprechend fest, dass Noah nicht nur einmal, sondern über einen längeren Zeitraum immer wieder schwer misshandelt wurde. Weder die Hämatome noch gar der Oberarmspiralbruch lassen sich durch ein Unfallgeschehen erklären, wie von der Mutter behauptet.
Aufgrund unseres Gutachtens bringen die Beamten des LKA 125 Jessica Michalczik und ihren Lebensgefährten Kevin Büttner ins Landeskriminalamt. Dort werden sie in getrennten Räumen vernommen.
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Autoren-Porträt von Michael Tsokos, Saskia Guddat
Saskia Guddat, 1980 geboren, ist Fachärztin am Institut für Rechtsmedizin der Charité. Sie ist Mitglied mehrerer Berliner Kinderschutzgruppen und berät die Berliner Kinderkliniken, den Berliner Kinder- und Jugendgesundheitsdienst sowie die Ermittlungsbehörden, Gerichte und Jugendämter.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Michael Tsokos , Saskia Guddat
- 2014, 256 Seiten, Maße: 13,3 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 342627616X
- ISBN-13: 9783426276167
- Erscheinungsdatum: 29.01.2014
Rezension zu „Deutschland misshandelt seine Kinder “
"Den beiden Gerichtsmedizinern der Charité geht es in ihrem aktuellen Buch "Deutschland misshandelt seine Kinder" um konkrete, machbare Reformen." Der Tagesspiegel, 17.02.2014
Pressezitat
"Den beiden Gerichtsmedizinern der Charité geht es in ihrem aktuellen Buch "Deutschland misshandelt seine Kinder" um konkrete, machbare Reformen." Der Tagesspiegel, 17.02.2014
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