Ich liebe Gott (und eine Frau)
Ein Ex-Pfarrer erzählt
Persönlich und offen erzählt der frühere Pfarrer Anton Aschenbrenner von seinem besonderen Lebensweg. Und er setzt sich kritisch mit dem Zölibat auseinander. Seiner Berufung folgt er auch nach dem Austritt aus der Kirche: Als freier Theologe begleitet...
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Produktinformationen zu „Ich liebe Gott (und eine Frau) “
Persönlich und offen erzählt der frühere Pfarrer Anton Aschenbrenner von seinem besonderen Lebensweg. Und er setzt sich kritisch mit dem Zölibat auseinander. Seiner Berufung folgt er auch nach dem Austritt aus der Kirche: Als freier Theologe begleitet Aschenbrenner Menschen bei wichtigen Übergängen oder in schwierigen Lebensphasen.
Klappentext zu „Ich liebe Gott (und eine Frau) “
Vom katholischen Priester zum Ehemann und VaterAnton Aschenbrenner erzählt sehr persönlich und offen von seinem besonderen Lebensweg. Und er setzt sich kritisch mit dem Zölibat auseinander. Seiner Berufung folgt er auch nach dem Austritt aus der Kirche: Als freier Theologe begleitet er Menschen bei wichtigen Übergängen oder in schwierigen Lebensphasen. Auch von diesem Aufbruch in ein neues, spannendes Leben als Vater, als Ehemann und als freier Seelsorger berichtet er.
Lese-Probe zu „Ich liebe Gott (und eine Frau) “
Ich liebe Gott (und eine Frau) Ein Ex-Pfarrer erzählt von Anton Aschenbrenner ... mehr
Warum ich dieses Buch schreibe
»Pfarrer wird Vater und arbeitslos!« - so vermarkteten dieMedien meine »Story«. Darauf reagierte die Diözese extrem sauer. Ich würde meine Sünde verherrlichen, warf sie mir vor. Dabei bin ich nie selbst aktiv auf Journalisten zugegangen. Sie hatten einfach Interesse an meinem »Fall«. Verherrlichen wollte ich meinen Zölibatsbruch nie, auch wenn ich mich dessen nie schämte. Das Ganze war ja ein längerer Prozess. Die Duldung durch die Kirche, die heimliche Freude der Pfarrei, das stille Beispiel ähnlicher Fälle haben mich innerlich ermutigt, meine Liebesbeziehung immer tiefer werden zu lassen. Ich leugne nicht, dass es meine Entscheidung war so zu leben, aber ich habe klar meine Konsequenzen gezogen, habe auch bald die katholische Kirche verlassen, um meinen eigenen, neuen Weg zu gehen. Eingegangen auf Medienanfragen bin ich zunächst aus Nichtwissen. Wer etwas gefragt wird, gibt Antworten, dachte ich naiv. Je mehr ich erkannte, wie feindlich die Kirche mit mir umgeht, desto mehr wurde ich darin bestärkt, mich frei zu äußern und zu reflektieren, welche verschiedenen Facetten der Kirche ich erfahren habe. Wichtig war mir immer, dass ich zwischen Kirche als Großkonzern, Pfarrei als Familie vor Ort und Glaube als persönliche Orientierung grundsätzlich trennte. Mein Credo war und ist: Ich will nichts verbergen. Und das entsprach nun gar nicht dem Stil, wie die Kirche mit Konkretem umgeht, seien es Finanzen, Personalfragen oder Zukunftsplanungen. Was meine Geschichte so bekannt machte, war nicht ich, der bei den Medien um Berichterstattung gebuhlt hätte. Ganz im Gegenteil, oft habe ich auch abgelehnt, weil es immer dasselbe war. Meine persönliche Botschaft, mein »mission- statement«, kam meist nur am Rande vor. Dass ich die Welt menschlicher, ökologischer, gerechter gestalten wollte, verschwand meist hinter der Überschrift: »Pfarrer heiratet und wird gefeuert.« Ein Mann sagt Ja zum Kind, auch wenn es ihn den Beruf kostet. Ein Mann sagt Ja zur Partnerin, gerade dann, wenn ihre Schwangerschaft seine Karriere knickt. Ein Mann sagt Ja zum Glauben, auch wenn er Widerstand erfährt und der Bischof ihm kündigt. Müsste nicht ein Bischof stolz sein, weil eine Gemeinde so zu ihrem Pfarrer steht? Ist nicht der Wert der Ehrlichkeit, der durch so einen Schritt öffentlich gemacht wird, wichtiger als die Prinzipientreue, die das Menschliche hintanstellt? Die Gemeinde honorierte, dass da ein Mensch Geld, Ruf und Zukunft weniger schätzt als Treue zu einem Menschen; dass er einstehen will für das, was passiert ist, und aufrichtig Geradlinigkeit zu leben versucht. Darf dann nicht auch die Geschichte erzählt werden, dass ein Bischof dem, der so die Konsequenzen zog und ging, im Nachhinein das Leben schwer macht, indem er ihm eine gute Stelle verdirbt? Mir geht es nicht darum, in eine allgemeine Kirchenschelte einzustimmen, über diesen großen Arbeitgeber zu lästern und sein positives Wirken zu diskreditieren. Ich berichte von meinem Lebensweg, der eine Kehrtwende beinhaltet. Ich möchte der Versuchung widerstehen, aus meinem Leben eine Heiligengeschichte zu machen. Denn gerade das hat mich an meinem Studium der Kirchengeschichte meist gestört: dass dort der Versuch unternommen wurde, alles als immer richtig und beste Wahlmöglichkeit der Kirchenleitung zu beschreiben. Fehler - so schien mir das Lehrkonzept damals zu zeigen - haben im Verlauf der Ereignisse immer nur die anderen gemacht, die eine Heilige Kirche agierte im jeweiligen Zeitrahmen immer optimal. Das habe ich selbst nicht getan. Ich kenne meine Schwächen. Auch, wo ich keine öffentliche Beichte ablege, weiß ich um meine Ungereimtheiten. Allein, dass ich so lange den Weg einer teils verschwiegenen Beziehung gegangen bin, ist etwas, das ich heute bereue. Gegen manches Gemeindemitglied habe ich sehr polemisch geschossen, bisweilen auch meine Macht als Pfarrer ausgeübt, weil ich glaubte, so der Botschaft Jesu mehr zu ihrem Recht zu verhelfen. Ich bin ein Mensch, den manchmal gehörig der Zorn packt, und kann darin auch den Bischof verstehen. Allerdings machte ich vor Ort die Erfahrung, dass man darüber später reden kann oder bei einem Bier sagt: »Schwamm drüber, wir packen wieder gemeinsam an.« Das lernt man ja in der Familie. Es kann sich manchmal aus einer Lappalie ein Streit entwickeln, aber dann spricht man sich anschließend aus. Auch als Vater kann ich um Vergebung bitten, was meine Autorität nicht schmälert. Nur wer sich selbst gegenüber ehrlich bleibt, kann wachsen und das möchte ich. Und das möchte ich auch zu gern für die Kirche, der ich doch sehr, sehr viel verdanke. Meine Bereitschaft, in den Medien das zu erzählen, was sich im Zusammenhangmeines Zölibatsbruches zugetragen hat, greift ein latentes Interesse der Bevölkerung an Vorgängen innerhalb der Kirche auf. Das könnte auch von der Kirche positiv gesehen werden, denn nichts wäre für sie schlimmer, als wenn sie den Leuten gar nichts mehr bedeuten würde. Dem, den man interessiert verfolgt oder auch manchmal kritisiert, dem traut man etwas zu, an den hat man Erwartungen, der steht für etwas Wichtiges und wird gehört. Eine Kirche, die niemand mehr wahr- oder gar ernst nimmt, die niemanden mehr aufregt, wäre zum Aussterben verurteilt. Schade ist nur, dass sie Stoff zum Aufregen genug liefert, und das auf eine Weise, die ihre Botschaft konterkariert. Ihr sollte es um die Kinder, die Familien, den Zusammenhalt der Gemeinden, um Ehrlichkeit gehen, was sie ja auch behauptet, aber leider dann real zu wenig erfahren lässt. Viele Aussagen der Kirche, viel gutes Engagement von Gläubigen, viele Kraft gebende Inhalte der Glaubenslehre werden deshalb nicht ernst genommen, weil die Kirchenführung ihre eigenen Lehren in der Praxis oft nicht umsetzt. Einem gnadenlos auf ein unsinniges Recht pochenden Bischof nimmt man die Rede von der Liebe und der vergebenden Gnade Gottes einfach nicht mehr ab. Und somit wird vieles nur noch als leere Phrase empfunden. Gerade deshalb wird meine Geschichte so brisant: weil hier deutlich wird, dass einer um der Glaubwürdigkeit willen Konsequenzen gezogen hat. Hier hat einer anders gehandelt, als man es sonst von der Kirche gewohnt ist. Gewohnt ist man von ihr das, was der Bischof bei mir getan hat: dass Härte demonstriert, Gespräche verweigert und Macht ausgespielt werden. Das Signal, das er damit setzte, ist kontraproduktiv. Nicht nur in mir hat dieses Verhalten lange Zeit Zorn geschürt, auch viele Gläubige haben ihre Enttäuschungen in Verweigerung umgesetzt und ihr Engagement für eine lebendige Gemeinde auf andere Gebiete umgelenkt. Und noch mehr: Wer den Mut zur Wahrheit so bestraft, bewirkt nur, dass der nächste Priester lieber im Verborgenen seine Probleme löst. Eine so offensive kirchliche Politik der Einschüchterung löst im Kreis der Mitarbeiter alles andere als frohes, ehrliches und auch mal innovatives Anpacken aus, sondern führt zu Erstarrung und Dienst nach Vorschrift. Und wie lautet die Moral aus der Geschichte? Eine »Moral aus der Geschichte« gibt es nicht, denn ich bin überzeugt, dass meine Geschichte weitergeht. Und sie hat mir gezeigt, was alles in mir steckt. Wäre sie nicht passiert, hätte ich so vieles nicht ausprobiert, so vieles nicht erlebt und erfahren. Und auch für die Kirche ist sie wirksam, weil sie dort ein Thema aktuell und lebendig hält, das zu ihrem Kern gehört: Wie kann Leben gelingen, wie kann ich mir selbst treu bleiben, wie über mich hinauswachsen, wie kann Partnerschaft ein Ort der Gotteserfahrung werden, wie kann Gnade nicht nur ein Wort sein in einer oft gnadenlosen Welt, sondern eine reale Erfahrung? Darum bin ich dem Bischof für diese Geschichte auch sehr dankbar. Nebenbei hat er mir durch sein Pochen auf die »ökumenische « Abmachung viel Zeit für mein Kind geschenkt. Denn hätte der Bischof mir als Konvertiten die Stelle als evangelischer Religionslehrer am Passauer Gymnasium gelassen, wäre ich heute um viele schöne Stunden mit meiner Tochter Dorothea ärmer. Was mich meine Geschichte gelehrt hat, ist die unendliche Kraft des Glaubens, der Berge versetzen kann. Vielleicht versetze ich nicht den Steinhaufen Zölibat, aber viele Hürden in meinem Weg konnte ich nehmen im festen Glauben daran, dass ich in mir eine Kraft vorfinde, die mir hilft, Dinge anders anzuschauen. Scheitern nicht als Untergang, sondern als Übergang zu erfahren, habe ich an dieser Geschichte für mich so eindrucksvoll erleben dürfen, dass ich aus dieser Erfahrung gespeist heute Lebensprobleme ganz anders angehe. Und ich möchte damit auch vielen anderen Menschen Mut machen: Du schaffst es! In dir ist eine Kraft, die dir hilft, Berge nicht als mühselige Schikane zu sehen, sondern als Herausforderung, um einen neuen Ausblick zu haben. Ich möchte ein Mutmacher sein, der auf die Kraft in der Tiefe vertraut, die ich gern mit dem alten Wort »Gott« anreden möchte, aber nicht muss. Diesen Mut aus der innersten Kraft der Liebe, die viele, aber nicht unbedingt alle Gott nennen, will ich denen vermitteln, die das Geschenk eines Kindes feiern, die ihre Liebe zum Fest für sich und andere machen, aber auch für die, die sich von einem geliebten Menschen verabschieden und auf ein Leben zurückschauen, das ihr eigenes Leben wesentlich berührte. Meine Zeremonien um Geburt, Liebe und Tod ebenso wie meine Dienste als Berater speisen sich aus der Gnade, die ich bei meiner eigenen Lebenswende erfahren durfte. Gott sei Dank, dass alles so kam, wie es kam. Und darum sollen Sie, lieber Leser, das auch erfahren. Kindheit Wir waren drei Kinder und genossen alle eine intensive Mutterliebe. Dabei - so meine Erinnerung - pendelte meine Mama geradezu ständig zwischen Krankenhäusern und unserem Eisenbahnerhäuschen ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Meine Mutter hatte tausend Krankheiten - TBC, Nierenleiden, viele Entzündungen wegen falsch behandelter Zähne ... Deshalb wurde meine Schwester in einer Lungenklinik in Bad Mergentheim geboren, 200 Kilometer von zu Hause entfernt. Wegen ihres Nierenleidens war unsere Mutter oft in einer speziellen Nierenklinik in Schwandorf, was uns Kindern damals ohne Auto auch schon ewig weit weg erschien. Wie unsere Mutter all das schaffte, weiß ich nicht, zumal sie in ihren gesunden Phasen auch noch als Verkäuferin arbeitete. Rollentypisch erledigte sie sämtliche familiären Geschäfte, während unser Vater als Bahnbeamter und engagierter lokaler Vereinsaktivist eher selten zu Hause war. Die Fürsorge meiner Mutter wurde belohnt: Aus meinem kleineren Bruder, meiner größeren Schwester und auch aus mir, dem Sandwichkind, wurde was - jeder konnte studieren und einen entsprechenden Beruf ergreifen. Zu meiner religiösen Haltung haben sicher meine beiden Großmütter ihren Teil beigetragen. Andererseits war es natürlich damals in der Oberpfalz üblich, dass wir alle ganz selbstverständlich zur Kirche gingen. Mutterliebe ist für Kinder wichtig, lebensnotwendig wie Wasser. Aber wie bei allem ist die Dosis entscheidend. Man kann im Wasser auch ertrinken und Kinder können dies ebenso an zu viel Mutterliebe. Ertrunken bin ich nicht, ich bin dankbar für den starken Strom, in dessen Flut es mir aber lange nicht gelang, mich freizuschwimmen. Eugen Drewermanns ›Psychogramm eines Ideals‹, wie der Untertitel seines Werkes ›Kleriker‹ heißt, schärfte mir damals als frisch geweihtem Kaplan den Blick auf die unbewussten Wurzeln meiner großen Versprechen: Wer der Mutter Kirche Gehorsam schwört, der tendiert zu einer überinnigen Mutterbindung seit Kindertagen. Wer sich dem Heiligen Vater unterwirft, der möge seine elterliche Vaterbeziehung reflektieren. Wer der Jungfrau Maria so zentrale Verehrung zollt, der tut gut daran, seine sexuelle Energie nicht unter dem schweren Brokat klerikalen Ornates zu unterdrücken. Das mag sehr deftig klingen, doch scheint es unbestritten, dass unser Tun durch Kindheitserlebnisse geprägt ist. Mein Wunsch, Priester zu werden, reicht jedenfalls weit zurück in meine Kindheit. Lebendig sehe ich das Bild eines Familienausflugs am Sonntag auf einen der Bayerwaldberge vor meinem inneren Auge. Bei der Einkehr vor der Heimfahrt im Wallfahrtsgasthaus nahe Cham tritt ein Redemptoristenpater an den Tisch und fragt uns Kinder nach unseren Berufswünschen. Ich war damals vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, es war noch, bevor ich in die Schule kam. Da sah ich schon begeistert zu diesen wichtigen und geachteten Männern auf. Frank und frei verkündete ich, dass ich Pfarrer werden möchte. Als Kind bewunderte ich unseren Pfarrer. Er war nett und gewiss ein Vorbild für mich. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und die Aufbruchsstimmung hat ihn beflügelt. Unsere Pfarrkirche war riesig und modern und man traf auf dem langen Heimweg all die Schulkameraden und Kumpels der umliegenden Dörfer. Damals gingen fast alle hin. Neben der Wallfahrtskirche stand sogar ein Wirtshaus, das später Treffpunkt wurde, dahinter war ein Steinbruch zum Klettern und das Mesnerhaus war wie ein Gruppenraum für uns Jugendliche. Es war viel los rund um die Kirche. Als ich war, kam ein anderer Pfarrer, streng, unnahbar, mit einer absolut starren Haltung und langweiligen Predigten, vollgestopft mit Pflichten und Verboten. Die lebensfroheren Kapläne standen unter seiner Überwachung und der seiner noch muffigeren Mutter. Jetzt erst recht, dachte ich mir, muss ich Pfarrer werden, damit die Miesepeter und Rückwärtsgewandten nicht die Oberhand gewinnen. Ich habe mich getäuscht; sie waren in der Überzahl und an der Macht. In der Jugendarbeit auf Landkreisebene konnte man sich darüber hinwegtäuschen. Da traf man nur Priester mit guten Ideen, flott drauf und trotzdem sehr nachdenklich und meditativ. Hier sammelte ich meine prägendsten Kirchenerfahrungen: Meditationswochenenden, Hüttenwanderungen, Arbeitskreis »Schöpfung bewahren«, Jugendgottesdienstteam... und vor allem gab es nach der Schule einen Anlaufpunkt, wo man diskutierte, las, Tee trank, Ideen spann und ernst genommen wurde. Als Fahrschüler war ich von meinem Heimatort immer mehr abgekoppelt. Dort war ich als Sonderling bekannt. Wegen meines starken religiösen Interesses durfte ich schon zur Heiligen Kommunion, als ich noch in der ersten Klasse war. Und in der vierten Klasse wusste dann jeder: Der Anton strebert, weil er Pfarrer werden will und dazu ans Gymnasium muss. Nur zwei der damals 66 Grundschüler haben den Übertritt gewagt. Um dem neuen »Bußprediger« zu entkommen, bin ich mit Freunden einige Kilometer zu einem anderen Pfarrer geradelt, der sehr gescheit und doch total umgänglich war. Sport war jetzt insofern wichtig, um für den großen Einsatz einmal stark genug zu sein. Ich sog in mich auf, was es über die Welt zu wissen gab, las viele Zeitungen und schaute Politreportagen im Fernsehen. Ich las den damals kritischen Ratzinger, aber auch emotionale Heiligenromanzen wie Luise Rinsers Buch ›Bruder Feuer‹. So einer wollte ich werden. Ein neuer Franziskus. Der hatte auch alles aufgegeben, um für die Armen da zu sein. Hat dem Vater seinen Erbteil hingeworfen, weil er spürte, nicht er besitzt die Dinge, sondern sie ihn. Ich war davon überzeugt, dass Gott die Welt allen gegeben hat, damit alle passabel leben können. Er wollte nicht, dass man die Welt und die Menschen ausbeutet und meint, wenn man mehr besitzt, ist man glücklich. Franz war glücklich, ohne alles. Ich war eher unglücklich, weil ich, wenn auch nicht zu viel, so doch sehr viel besaß, mehr als all die Verlierer, auf deren Kosten unser Wohlstand entstanden war. Hier packte mich das Schuldgefühl. »Weh euch, die ihr jetzt reich seid, ihr werdet im Jenseits jammern!«: So hörte ich in mir die Drohbotschaft der Bibel. Und warum nennt man sie dann Frohbotschaft? Ich musste mehr über sie wissen, ich musste studieren. Es gab so viele Sätze, die mein Hirn beschwerten: »Außerhalb der Kirche kein Heil!« Und was ist mit den armen Hindus und Buddhisten und all den anderen? Wirft Gott sie in die Folterkammer der Hölle? In mir brodelte es und ich konnte auf all die Fragen keine Antworten finden. Die schwierigste war die nach dem Wort Gott. Die Naturwissenschaften hatten mich schon immer interessiert. Aber wo bleibt da für Gott ein Platz? Die Sternwarte unseres Gymnasiums sichtete kein Raumschiff für ihn. Aber es gab hitzige Diskussionen. Einer meiner Fahrschülerkollegen war Darwinist. Was er sagte, schien plausibel. Ein anderer war Freudianer. Der äußerte auch nachvollziehbare Gedanken vom Gott als Vater, der die fehlenden Väter ersetzt. Einer war Marxist. Man müsse den Himmel erden. Religion als Opium des Volkes (oder noch schlimmer: für das Volk) müsse man entziehen. Religionsfreiheit ganz neu verstanden: Der Mensch muss von der Religion befreit werden, damit der Mensch wahrhaft Mensch werden kann. Wir waren ein munteres Völkchen, das am Bahnhof Schafkopf spielte und auf dem Schulweg philosophierte. Der Vater eines Schulfreundes war Staatssekretär; mit ihm fuhren wir zu Politveranstaltungen. Aber ich merkte schnell, wer hier die Welt verbessern will, der ist fehl am Platz. Hier kommt man in erster Linie durch Mitläufertum voran. Das war gegen all mein Ansinnen. Also doch Pfarrer, denn wenn man die Welt verbessern kann, dann nur über den Weg des Menschen, der anders handelt. Ja, ein Pfarrer im Schuldienst, der kann seine Schäfchen gegen die Wölfe mobilisieren - so wie unser Pfarrer an der Schule. Das Zukunftsbild wurde immer klarer und kam immer näher. Der andere Prägeort war das örtliche Kloster der Redemptoristen, ein Orden, der dem kämpferisch-klugen Orden der Jesuiten sehr ähnlich ist. Hier war es aber gerade nicht kämpferisch und gescheit. Hier war es ruhig und gedankenfrei. Hier kam ich in Berührung mit der Meditation oder besser der Kontemplation, einer Art christlicher Zen-Praxis. War bislang mein Bestreben, die Welt zu verbessern, um meine Schuld vor Gott wenigstens ein bisschen abzutragen, traf ich hier auf einen Ort, an dem es erstaunlicherweise nicht darum ging, dem Wort Gott logisch nahe zu kommen. Und es ging auch nicht darum etwas anzupacken, sondern darum, einfach nur still zu sitzen, weder zu denken noch zu handeln, einfach nur da zu sein, sich wortlos dem Geheimnis auszusetzen, das uns umgibt. Dieses Nichtstun hätte mich beinahe zerrissen. Meine Grundüberzeugung war: Nur wer alles tut, um die Welt zu retten, oder sich zumindest gezielt darauf vorbereitet, kann selbst gerettet werden. Trotzdem wirkten dieser Pater und die Meditation auf mich wie ein Heilkraut, das man widerwillig schluckt, aber das schließlich doch Wunder wirkt. Es gab innere Erlebnisse, die mich motivierten, auch dann weiter in der Stille zu verweilen, wenn der Kopf mich mit Zweifel bestürmte oder die Beine schwer wurden. Es waren wunderbare Kurse, teils sogar über Silvester, teils an schönsten Sommertagen, an denen ich die Stille allem anderen vorzog - und auch heute noch vorziehe. Meine Eltern nahmen wahr, wie sich mein Leben veränderte, zumal meine Mutter. Sie stammte aus Niederbayern und ihr Vater war noch mit den Zigeunern umhergezogen, um Waren feilzubieten. Sie dachte freier und nicht so obrigkeitshörig, wozu die anderen Menschen unserer Umgebung meiner Einschätzung nach tendierten. Sie akzeptierte, dass ich kein Fleisch mehr aß und meine Aufmerksamkeit neben der Schule nicht den Mädchen, sondern der Politik und der Religion galt. Sie warnte vor zu viel Kirche und riet mir zu einer soliden Ausbildung, nach der ich mich immer noch in die »Krallen« der Kleriker begeben konnte. Aber ich wollte Pfarrer werden, dachte bei Wanderungen stundenlang über die Welt nach und über das, was darin zu tun wäre. Immer wieder tauchte dieses Schuldgefühl auf: Ich als Kind der Wohlstandswelt bin mitverantwortlich für das Elend derer, die unsere Rohstoffe bereitstellen, bin Ursache für die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur. Das war für mich die große schwere Sünde, nicht das, was die Kirche dazu hochstilisierte, die Sexualität. Sicher gibt es auch auf diesem Gebiet Schlimmstes, aber das war mir damals kaum bewusst. Mein Vater, zwar gewerkschaftlich aktiv, kümmerte sich um Fragen der Wohlstandsverteilung und des Umweltschutzes weniger. Er verdiente als Eisenbahner Geld und als vielfacher Vereinsaktivist öffentliche Achtung. Reden konnte ich über solche Themen fast nur mit meiner Mutter, über deren gesundheitlichen Zustand ich ständig in größter Sorge war. Neben dem Haushalt für uns drei Kinder ging sie ja auch arbeiten als Verkäuferin. Sie war immer extrem fleißig. Ich vermute, dass ich von ihr dieses nimmermüde Arbeitsethos und vom Vater die Lust am öffentlichen Auftreten geerbt habe und von beiden eine distanziert-kritische, aber große Nähe zur Kirche und ihrer Botschaft. Vaters Reiselust beschränkt sich bei mir auf ein immenses dienstliches Muss. Ich lernte, dass man zum Glück nicht viel braucht. Dieser Satz ist doppeldeutig. Welch ein Glück, ich brauche nicht viel, und anders genauso, ich bin mit ganz wenig glücklich. Ja, dachte ich mir, Gott hat uns die Welt geschenkt für ein Leben in Fülle, wie Jesus im Johannesevangelium sagt. Wir dürfen aus Freude und froh leben, aber sollen merken, dass man für erfüllende Freude nicht viel braucht. Meine Lebensfreude erfuhr gerade dadurch einen Knick. Ich empfand zu viel Mitleid mit all der zerstörten Natur, den gequälten Tieren und geschundenen Menschen. Darf ich mich um all das wissend trotzdem über andere Dinge in meinem Leben freuen? Heute sage ich ja, weil ich weiß, dass auch Traurigkeit und schlechte Laune an all dem nichts ändern. Damals schmerzte das Mitleid oft mehr als diese heutige Erkenntnis. Sich am Leben freuen, dennoch nicht blind sein für das, was geändert gehört, und das tun, was einem dabei möglich ist, lautet meine Lernerfahrung aus dieser Kinder- und Jugendzeit. Religion und Kirche können dabei eine nützliche Hilfe sein, aber das »geistliche Schwert« (eine mittelalterliche Bezeichnung in Abgrenzung zur weltlichen Macht des Kaisers, dem weltlichen Schwert) ist wie alle Messer zweischneidig. Schuldgefühle, Höllenängste, Zwangsvorstellungen, Machtspiele sind unter diesem geistlichen Schirm noch gravierender. Ich ging angeschlagen, aber voller Tatendrang weiter, denn mir war klar, dass ich über dieses System, diese Theorie, diesen Beruf mehr wissen wollte.
Copyright © 2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,München
Warum ich dieses Buch schreibe
»Pfarrer wird Vater und arbeitslos!« - so vermarkteten dieMedien meine »Story«. Darauf reagierte die Diözese extrem sauer. Ich würde meine Sünde verherrlichen, warf sie mir vor. Dabei bin ich nie selbst aktiv auf Journalisten zugegangen. Sie hatten einfach Interesse an meinem »Fall«. Verherrlichen wollte ich meinen Zölibatsbruch nie, auch wenn ich mich dessen nie schämte. Das Ganze war ja ein längerer Prozess. Die Duldung durch die Kirche, die heimliche Freude der Pfarrei, das stille Beispiel ähnlicher Fälle haben mich innerlich ermutigt, meine Liebesbeziehung immer tiefer werden zu lassen. Ich leugne nicht, dass es meine Entscheidung war so zu leben, aber ich habe klar meine Konsequenzen gezogen, habe auch bald die katholische Kirche verlassen, um meinen eigenen, neuen Weg zu gehen. Eingegangen auf Medienanfragen bin ich zunächst aus Nichtwissen. Wer etwas gefragt wird, gibt Antworten, dachte ich naiv. Je mehr ich erkannte, wie feindlich die Kirche mit mir umgeht, desto mehr wurde ich darin bestärkt, mich frei zu äußern und zu reflektieren, welche verschiedenen Facetten der Kirche ich erfahren habe. Wichtig war mir immer, dass ich zwischen Kirche als Großkonzern, Pfarrei als Familie vor Ort und Glaube als persönliche Orientierung grundsätzlich trennte. Mein Credo war und ist: Ich will nichts verbergen. Und das entsprach nun gar nicht dem Stil, wie die Kirche mit Konkretem umgeht, seien es Finanzen, Personalfragen oder Zukunftsplanungen. Was meine Geschichte so bekannt machte, war nicht ich, der bei den Medien um Berichterstattung gebuhlt hätte. Ganz im Gegenteil, oft habe ich auch abgelehnt, weil es immer dasselbe war. Meine persönliche Botschaft, mein »mission- statement«, kam meist nur am Rande vor. Dass ich die Welt menschlicher, ökologischer, gerechter gestalten wollte, verschwand meist hinter der Überschrift: »Pfarrer heiratet und wird gefeuert.« Ein Mann sagt Ja zum Kind, auch wenn es ihn den Beruf kostet. Ein Mann sagt Ja zur Partnerin, gerade dann, wenn ihre Schwangerschaft seine Karriere knickt. Ein Mann sagt Ja zum Glauben, auch wenn er Widerstand erfährt und der Bischof ihm kündigt. Müsste nicht ein Bischof stolz sein, weil eine Gemeinde so zu ihrem Pfarrer steht? Ist nicht der Wert der Ehrlichkeit, der durch so einen Schritt öffentlich gemacht wird, wichtiger als die Prinzipientreue, die das Menschliche hintanstellt? Die Gemeinde honorierte, dass da ein Mensch Geld, Ruf und Zukunft weniger schätzt als Treue zu einem Menschen; dass er einstehen will für das, was passiert ist, und aufrichtig Geradlinigkeit zu leben versucht. Darf dann nicht auch die Geschichte erzählt werden, dass ein Bischof dem, der so die Konsequenzen zog und ging, im Nachhinein das Leben schwer macht, indem er ihm eine gute Stelle verdirbt? Mir geht es nicht darum, in eine allgemeine Kirchenschelte einzustimmen, über diesen großen Arbeitgeber zu lästern und sein positives Wirken zu diskreditieren. Ich berichte von meinem Lebensweg, der eine Kehrtwende beinhaltet. Ich möchte der Versuchung widerstehen, aus meinem Leben eine Heiligengeschichte zu machen. Denn gerade das hat mich an meinem Studium der Kirchengeschichte meist gestört: dass dort der Versuch unternommen wurde, alles als immer richtig und beste Wahlmöglichkeit der Kirchenleitung zu beschreiben. Fehler - so schien mir das Lehrkonzept damals zu zeigen - haben im Verlauf der Ereignisse immer nur die anderen gemacht, die eine Heilige Kirche agierte im jeweiligen Zeitrahmen immer optimal. Das habe ich selbst nicht getan. Ich kenne meine Schwächen. Auch, wo ich keine öffentliche Beichte ablege, weiß ich um meine Ungereimtheiten. Allein, dass ich so lange den Weg einer teils verschwiegenen Beziehung gegangen bin, ist etwas, das ich heute bereue. Gegen manches Gemeindemitglied habe ich sehr polemisch geschossen, bisweilen auch meine Macht als Pfarrer ausgeübt, weil ich glaubte, so der Botschaft Jesu mehr zu ihrem Recht zu verhelfen. Ich bin ein Mensch, den manchmal gehörig der Zorn packt, und kann darin auch den Bischof verstehen. Allerdings machte ich vor Ort die Erfahrung, dass man darüber später reden kann oder bei einem Bier sagt: »Schwamm drüber, wir packen wieder gemeinsam an.« Das lernt man ja in der Familie. Es kann sich manchmal aus einer Lappalie ein Streit entwickeln, aber dann spricht man sich anschließend aus. Auch als Vater kann ich um Vergebung bitten, was meine Autorität nicht schmälert. Nur wer sich selbst gegenüber ehrlich bleibt, kann wachsen und das möchte ich. Und das möchte ich auch zu gern für die Kirche, der ich doch sehr, sehr viel verdanke. Meine Bereitschaft, in den Medien das zu erzählen, was sich im Zusammenhangmeines Zölibatsbruches zugetragen hat, greift ein latentes Interesse der Bevölkerung an Vorgängen innerhalb der Kirche auf. Das könnte auch von der Kirche positiv gesehen werden, denn nichts wäre für sie schlimmer, als wenn sie den Leuten gar nichts mehr bedeuten würde. Dem, den man interessiert verfolgt oder auch manchmal kritisiert, dem traut man etwas zu, an den hat man Erwartungen, der steht für etwas Wichtiges und wird gehört. Eine Kirche, die niemand mehr wahr- oder gar ernst nimmt, die niemanden mehr aufregt, wäre zum Aussterben verurteilt. Schade ist nur, dass sie Stoff zum Aufregen genug liefert, und das auf eine Weise, die ihre Botschaft konterkariert. Ihr sollte es um die Kinder, die Familien, den Zusammenhalt der Gemeinden, um Ehrlichkeit gehen, was sie ja auch behauptet, aber leider dann real zu wenig erfahren lässt. Viele Aussagen der Kirche, viel gutes Engagement von Gläubigen, viele Kraft gebende Inhalte der Glaubenslehre werden deshalb nicht ernst genommen, weil die Kirchenführung ihre eigenen Lehren in der Praxis oft nicht umsetzt. Einem gnadenlos auf ein unsinniges Recht pochenden Bischof nimmt man die Rede von der Liebe und der vergebenden Gnade Gottes einfach nicht mehr ab. Und somit wird vieles nur noch als leere Phrase empfunden. Gerade deshalb wird meine Geschichte so brisant: weil hier deutlich wird, dass einer um der Glaubwürdigkeit willen Konsequenzen gezogen hat. Hier hat einer anders gehandelt, als man es sonst von der Kirche gewohnt ist. Gewohnt ist man von ihr das, was der Bischof bei mir getan hat: dass Härte demonstriert, Gespräche verweigert und Macht ausgespielt werden. Das Signal, das er damit setzte, ist kontraproduktiv. Nicht nur in mir hat dieses Verhalten lange Zeit Zorn geschürt, auch viele Gläubige haben ihre Enttäuschungen in Verweigerung umgesetzt und ihr Engagement für eine lebendige Gemeinde auf andere Gebiete umgelenkt. Und noch mehr: Wer den Mut zur Wahrheit so bestraft, bewirkt nur, dass der nächste Priester lieber im Verborgenen seine Probleme löst. Eine so offensive kirchliche Politik der Einschüchterung löst im Kreis der Mitarbeiter alles andere als frohes, ehrliches und auch mal innovatives Anpacken aus, sondern führt zu Erstarrung und Dienst nach Vorschrift. Und wie lautet die Moral aus der Geschichte? Eine »Moral aus der Geschichte« gibt es nicht, denn ich bin überzeugt, dass meine Geschichte weitergeht. Und sie hat mir gezeigt, was alles in mir steckt. Wäre sie nicht passiert, hätte ich so vieles nicht ausprobiert, so vieles nicht erlebt und erfahren. Und auch für die Kirche ist sie wirksam, weil sie dort ein Thema aktuell und lebendig hält, das zu ihrem Kern gehört: Wie kann Leben gelingen, wie kann ich mir selbst treu bleiben, wie über mich hinauswachsen, wie kann Partnerschaft ein Ort der Gotteserfahrung werden, wie kann Gnade nicht nur ein Wort sein in einer oft gnadenlosen Welt, sondern eine reale Erfahrung? Darum bin ich dem Bischof für diese Geschichte auch sehr dankbar. Nebenbei hat er mir durch sein Pochen auf die »ökumenische « Abmachung viel Zeit für mein Kind geschenkt. Denn hätte der Bischof mir als Konvertiten die Stelle als evangelischer Religionslehrer am Passauer Gymnasium gelassen, wäre ich heute um viele schöne Stunden mit meiner Tochter Dorothea ärmer. Was mich meine Geschichte gelehrt hat, ist die unendliche Kraft des Glaubens, der Berge versetzen kann. Vielleicht versetze ich nicht den Steinhaufen Zölibat, aber viele Hürden in meinem Weg konnte ich nehmen im festen Glauben daran, dass ich in mir eine Kraft vorfinde, die mir hilft, Dinge anders anzuschauen. Scheitern nicht als Untergang, sondern als Übergang zu erfahren, habe ich an dieser Geschichte für mich so eindrucksvoll erleben dürfen, dass ich aus dieser Erfahrung gespeist heute Lebensprobleme ganz anders angehe. Und ich möchte damit auch vielen anderen Menschen Mut machen: Du schaffst es! In dir ist eine Kraft, die dir hilft, Berge nicht als mühselige Schikane zu sehen, sondern als Herausforderung, um einen neuen Ausblick zu haben. Ich möchte ein Mutmacher sein, der auf die Kraft in der Tiefe vertraut, die ich gern mit dem alten Wort »Gott« anreden möchte, aber nicht muss. Diesen Mut aus der innersten Kraft der Liebe, die viele, aber nicht unbedingt alle Gott nennen, will ich denen vermitteln, die das Geschenk eines Kindes feiern, die ihre Liebe zum Fest für sich und andere machen, aber auch für die, die sich von einem geliebten Menschen verabschieden und auf ein Leben zurückschauen, das ihr eigenes Leben wesentlich berührte. Meine Zeremonien um Geburt, Liebe und Tod ebenso wie meine Dienste als Berater speisen sich aus der Gnade, die ich bei meiner eigenen Lebenswende erfahren durfte. Gott sei Dank, dass alles so kam, wie es kam. Und darum sollen Sie, lieber Leser, das auch erfahren. Kindheit Wir waren drei Kinder und genossen alle eine intensive Mutterliebe. Dabei - so meine Erinnerung - pendelte meine Mama geradezu ständig zwischen Krankenhäusern und unserem Eisenbahnerhäuschen ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Meine Mutter hatte tausend Krankheiten - TBC, Nierenleiden, viele Entzündungen wegen falsch behandelter Zähne ... Deshalb wurde meine Schwester in einer Lungenklinik in Bad Mergentheim geboren, 200 Kilometer von zu Hause entfernt. Wegen ihres Nierenleidens war unsere Mutter oft in einer speziellen Nierenklinik in Schwandorf, was uns Kindern damals ohne Auto auch schon ewig weit weg erschien. Wie unsere Mutter all das schaffte, weiß ich nicht, zumal sie in ihren gesunden Phasen auch noch als Verkäuferin arbeitete. Rollentypisch erledigte sie sämtliche familiären Geschäfte, während unser Vater als Bahnbeamter und engagierter lokaler Vereinsaktivist eher selten zu Hause war. Die Fürsorge meiner Mutter wurde belohnt: Aus meinem kleineren Bruder, meiner größeren Schwester und auch aus mir, dem Sandwichkind, wurde was - jeder konnte studieren und einen entsprechenden Beruf ergreifen. Zu meiner religiösen Haltung haben sicher meine beiden Großmütter ihren Teil beigetragen. Andererseits war es natürlich damals in der Oberpfalz üblich, dass wir alle ganz selbstverständlich zur Kirche gingen. Mutterliebe ist für Kinder wichtig, lebensnotwendig wie Wasser. Aber wie bei allem ist die Dosis entscheidend. Man kann im Wasser auch ertrinken und Kinder können dies ebenso an zu viel Mutterliebe. Ertrunken bin ich nicht, ich bin dankbar für den starken Strom, in dessen Flut es mir aber lange nicht gelang, mich freizuschwimmen. Eugen Drewermanns ›Psychogramm eines Ideals‹, wie der Untertitel seines Werkes ›Kleriker‹ heißt, schärfte mir damals als frisch geweihtem Kaplan den Blick auf die unbewussten Wurzeln meiner großen Versprechen: Wer der Mutter Kirche Gehorsam schwört, der tendiert zu einer überinnigen Mutterbindung seit Kindertagen. Wer sich dem Heiligen Vater unterwirft, der möge seine elterliche Vaterbeziehung reflektieren. Wer der Jungfrau Maria so zentrale Verehrung zollt, der tut gut daran, seine sexuelle Energie nicht unter dem schweren Brokat klerikalen Ornates zu unterdrücken. Das mag sehr deftig klingen, doch scheint es unbestritten, dass unser Tun durch Kindheitserlebnisse geprägt ist. Mein Wunsch, Priester zu werden, reicht jedenfalls weit zurück in meine Kindheit. Lebendig sehe ich das Bild eines Familienausflugs am Sonntag auf einen der Bayerwaldberge vor meinem inneren Auge. Bei der Einkehr vor der Heimfahrt im Wallfahrtsgasthaus nahe Cham tritt ein Redemptoristenpater an den Tisch und fragt uns Kinder nach unseren Berufswünschen. Ich war damals vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, es war noch, bevor ich in die Schule kam. Da sah ich schon begeistert zu diesen wichtigen und geachteten Männern auf. Frank und frei verkündete ich, dass ich Pfarrer werden möchte. Als Kind bewunderte ich unseren Pfarrer. Er war nett und gewiss ein Vorbild für mich. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und die Aufbruchsstimmung hat ihn beflügelt. Unsere Pfarrkirche war riesig und modern und man traf auf dem langen Heimweg all die Schulkameraden und Kumpels der umliegenden Dörfer. Damals gingen fast alle hin. Neben der Wallfahrtskirche stand sogar ein Wirtshaus, das später Treffpunkt wurde, dahinter war ein Steinbruch zum Klettern und das Mesnerhaus war wie ein Gruppenraum für uns Jugendliche. Es war viel los rund um die Kirche. Als ich war, kam ein anderer Pfarrer, streng, unnahbar, mit einer absolut starren Haltung und langweiligen Predigten, vollgestopft mit Pflichten und Verboten. Die lebensfroheren Kapläne standen unter seiner Überwachung und der seiner noch muffigeren Mutter. Jetzt erst recht, dachte ich mir, muss ich Pfarrer werden, damit die Miesepeter und Rückwärtsgewandten nicht die Oberhand gewinnen. Ich habe mich getäuscht; sie waren in der Überzahl und an der Macht. In der Jugendarbeit auf Landkreisebene konnte man sich darüber hinwegtäuschen. Da traf man nur Priester mit guten Ideen, flott drauf und trotzdem sehr nachdenklich und meditativ. Hier sammelte ich meine prägendsten Kirchenerfahrungen: Meditationswochenenden, Hüttenwanderungen, Arbeitskreis »Schöpfung bewahren«, Jugendgottesdienstteam... und vor allem gab es nach der Schule einen Anlaufpunkt, wo man diskutierte, las, Tee trank, Ideen spann und ernst genommen wurde. Als Fahrschüler war ich von meinem Heimatort immer mehr abgekoppelt. Dort war ich als Sonderling bekannt. Wegen meines starken religiösen Interesses durfte ich schon zur Heiligen Kommunion, als ich noch in der ersten Klasse war. Und in der vierten Klasse wusste dann jeder: Der Anton strebert, weil er Pfarrer werden will und dazu ans Gymnasium muss. Nur zwei der damals 66 Grundschüler haben den Übertritt gewagt. Um dem neuen »Bußprediger« zu entkommen, bin ich mit Freunden einige Kilometer zu einem anderen Pfarrer geradelt, der sehr gescheit und doch total umgänglich war. Sport war jetzt insofern wichtig, um für den großen Einsatz einmal stark genug zu sein. Ich sog in mich auf, was es über die Welt zu wissen gab, las viele Zeitungen und schaute Politreportagen im Fernsehen. Ich las den damals kritischen Ratzinger, aber auch emotionale Heiligenromanzen wie Luise Rinsers Buch ›Bruder Feuer‹. So einer wollte ich werden. Ein neuer Franziskus. Der hatte auch alles aufgegeben, um für die Armen da zu sein. Hat dem Vater seinen Erbteil hingeworfen, weil er spürte, nicht er besitzt die Dinge, sondern sie ihn. Ich war davon überzeugt, dass Gott die Welt allen gegeben hat, damit alle passabel leben können. Er wollte nicht, dass man die Welt und die Menschen ausbeutet und meint, wenn man mehr besitzt, ist man glücklich. Franz war glücklich, ohne alles. Ich war eher unglücklich, weil ich, wenn auch nicht zu viel, so doch sehr viel besaß, mehr als all die Verlierer, auf deren Kosten unser Wohlstand entstanden war. Hier packte mich das Schuldgefühl. »Weh euch, die ihr jetzt reich seid, ihr werdet im Jenseits jammern!«: So hörte ich in mir die Drohbotschaft der Bibel. Und warum nennt man sie dann Frohbotschaft? Ich musste mehr über sie wissen, ich musste studieren. Es gab so viele Sätze, die mein Hirn beschwerten: »Außerhalb der Kirche kein Heil!« Und was ist mit den armen Hindus und Buddhisten und all den anderen? Wirft Gott sie in die Folterkammer der Hölle? In mir brodelte es und ich konnte auf all die Fragen keine Antworten finden. Die schwierigste war die nach dem Wort Gott. Die Naturwissenschaften hatten mich schon immer interessiert. Aber wo bleibt da für Gott ein Platz? Die Sternwarte unseres Gymnasiums sichtete kein Raumschiff für ihn. Aber es gab hitzige Diskussionen. Einer meiner Fahrschülerkollegen war Darwinist. Was er sagte, schien plausibel. Ein anderer war Freudianer. Der äußerte auch nachvollziehbare Gedanken vom Gott als Vater, der die fehlenden Väter ersetzt. Einer war Marxist. Man müsse den Himmel erden. Religion als Opium des Volkes (oder noch schlimmer: für das Volk) müsse man entziehen. Religionsfreiheit ganz neu verstanden: Der Mensch muss von der Religion befreit werden, damit der Mensch wahrhaft Mensch werden kann. Wir waren ein munteres Völkchen, das am Bahnhof Schafkopf spielte und auf dem Schulweg philosophierte. Der Vater eines Schulfreundes war Staatssekretär; mit ihm fuhren wir zu Politveranstaltungen. Aber ich merkte schnell, wer hier die Welt verbessern will, der ist fehl am Platz. Hier kommt man in erster Linie durch Mitläufertum voran. Das war gegen all mein Ansinnen. Also doch Pfarrer, denn wenn man die Welt verbessern kann, dann nur über den Weg des Menschen, der anders handelt. Ja, ein Pfarrer im Schuldienst, der kann seine Schäfchen gegen die Wölfe mobilisieren - so wie unser Pfarrer an der Schule. Das Zukunftsbild wurde immer klarer und kam immer näher. Der andere Prägeort war das örtliche Kloster der Redemptoristen, ein Orden, der dem kämpferisch-klugen Orden der Jesuiten sehr ähnlich ist. Hier war es aber gerade nicht kämpferisch und gescheit. Hier war es ruhig und gedankenfrei. Hier kam ich in Berührung mit der Meditation oder besser der Kontemplation, einer Art christlicher Zen-Praxis. War bislang mein Bestreben, die Welt zu verbessern, um meine Schuld vor Gott wenigstens ein bisschen abzutragen, traf ich hier auf einen Ort, an dem es erstaunlicherweise nicht darum ging, dem Wort Gott logisch nahe zu kommen. Und es ging auch nicht darum etwas anzupacken, sondern darum, einfach nur still zu sitzen, weder zu denken noch zu handeln, einfach nur da zu sein, sich wortlos dem Geheimnis auszusetzen, das uns umgibt. Dieses Nichtstun hätte mich beinahe zerrissen. Meine Grundüberzeugung war: Nur wer alles tut, um die Welt zu retten, oder sich zumindest gezielt darauf vorbereitet, kann selbst gerettet werden. Trotzdem wirkten dieser Pater und die Meditation auf mich wie ein Heilkraut, das man widerwillig schluckt, aber das schließlich doch Wunder wirkt. Es gab innere Erlebnisse, die mich motivierten, auch dann weiter in der Stille zu verweilen, wenn der Kopf mich mit Zweifel bestürmte oder die Beine schwer wurden. Es waren wunderbare Kurse, teils sogar über Silvester, teils an schönsten Sommertagen, an denen ich die Stille allem anderen vorzog - und auch heute noch vorziehe. Meine Eltern nahmen wahr, wie sich mein Leben veränderte, zumal meine Mutter. Sie stammte aus Niederbayern und ihr Vater war noch mit den Zigeunern umhergezogen, um Waren feilzubieten. Sie dachte freier und nicht so obrigkeitshörig, wozu die anderen Menschen unserer Umgebung meiner Einschätzung nach tendierten. Sie akzeptierte, dass ich kein Fleisch mehr aß und meine Aufmerksamkeit neben der Schule nicht den Mädchen, sondern der Politik und der Religion galt. Sie warnte vor zu viel Kirche und riet mir zu einer soliden Ausbildung, nach der ich mich immer noch in die »Krallen« der Kleriker begeben konnte. Aber ich wollte Pfarrer werden, dachte bei Wanderungen stundenlang über die Welt nach und über das, was darin zu tun wäre. Immer wieder tauchte dieses Schuldgefühl auf: Ich als Kind der Wohlstandswelt bin mitverantwortlich für das Elend derer, die unsere Rohstoffe bereitstellen, bin Ursache für die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur. Das war für mich die große schwere Sünde, nicht das, was die Kirche dazu hochstilisierte, die Sexualität. Sicher gibt es auch auf diesem Gebiet Schlimmstes, aber das war mir damals kaum bewusst. Mein Vater, zwar gewerkschaftlich aktiv, kümmerte sich um Fragen der Wohlstandsverteilung und des Umweltschutzes weniger. Er verdiente als Eisenbahner Geld und als vielfacher Vereinsaktivist öffentliche Achtung. Reden konnte ich über solche Themen fast nur mit meiner Mutter, über deren gesundheitlichen Zustand ich ständig in größter Sorge war. Neben dem Haushalt für uns drei Kinder ging sie ja auch arbeiten als Verkäuferin. Sie war immer extrem fleißig. Ich vermute, dass ich von ihr dieses nimmermüde Arbeitsethos und vom Vater die Lust am öffentlichen Auftreten geerbt habe und von beiden eine distanziert-kritische, aber große Nähe zur Kirche und ihrer Botschaft. Vaters Reiselust beschränkt sich bei mir auf ein immenses dienstliches Muss. Ich lernte, dass man zum Glück nicht viel braucht. Dieser Satz ist doppeldeutig. Welch ein Glück, ich brauche nicht viel, und anders genauso, ich bin mit ganz wenig glücklich. Ja, dachte ich mir, Gott hat uns die Welt geschenkt für ein Leben in Fülle, wie Jesus im Johannesevangelium sagt. Wir dürfen aus Freude und froh leben, aber sollen merken, dass man für erfüllende Freude nicht viel braucht. Meine Lebensfreude erfuhr gerade dadurch einen Knick. Ich empfand zu viel Mitleid mit all der zerstörten Natur, den gequälten Tieren und geschundenen Menschen. Darf ich mich um all das wissend trotzdem über andere Dinge in meinem Leben freuen? Heute sage ich ja, weil ich weiß, dass auch Traurigkeit und schlechte Laune an all dem nichts ändern. Damals schmerzte das Mitleid oft mehr als diese heutige Erkenntnis. Sich am Leben freuen, dennoch nicht blind sein für das, was geändert gehört, und das tun, was einem dabei möglich ist, lautet meine Lernerfahrung aus dieser Kinder- und Jugendzeit. Religion und Kirche können dabei eine nützliche Hilfe sein, aber das »geistliche Schwert« (eine mittelalterliche Bezeichnung in Abgrenzung zur weltlichen Macht des Kaisers, dem weltlichen Schwert) ist wie alle Messer zweischneidig. Schuldgefühle, Höllenängste, Zwangsvorstellungen, Machtspiele sind unter diesem geistlichen Schirm noch gravierender. Ich ging angeschlagen, aber voller Tatendrang weiter, denn mir war klar, dass ich über dieses System, diese Theorie, diesen Beruf mehr wissen wollte.
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Autoren-Porträt von Anton Aschenbrenner
<p>Anton Aschenbrenner, geb. 1962 in der Oberpfalz, studierte Theologie und Philosophie. 1988 wurde er zum Priester geweiht. Er war als Gymnasiallehrer und Jugendseelsorger tätig. 1991 übernahm er seine erste Pfarrei in Niederbayern. 2003 wurde er von der katholischen Kirche suspendiert, seine erste Tochter kam zur Welt. Seit 2004 arbeitet er als freier Theologe. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Waldkirchen. </p>
Bibliographische Angaben
- Autor: Anton Aschenbrenner
- 2014, 192 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423260335
- ISBN-13: 9783423260336
- Erscheinungsdatum: 01.05.2014
Rezension zu „Ich liebe Gott (und eine Frau) “
"Ein ehrliches, gewagtes Buch."Mario Schwegmann, Stadtblatt Osnabrück 01.08.2014
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