Attila - Die Geißel Gottes
449 nach Chr.: Das Römische Imperium steht kurz vor dem Zusammenbruch, als der Hunnenkönig Attila ins Weltreich einbricht. Der junge Gelehrte Jonas gehört zu einer diplomatischen Gruppe, die den Angriff verhindern soll. Bei der Mission...
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Produktinformationen zu „Attila - Die Geißel Gottes “
449 nach Chr.: Das Römische Imperium steht kurz vor dem Zusammenbruch, als der Hunnenkönig Attila ins Weltreich einbricht. Der junge Gelehrte Jonas gehört zu einer diplomatischen Gruppe, die den Angriff verhindern soll. Bei der Mission gerät er jedoch in Gefangenschaft. Dort verliebt er sich in die Sklavin Ilana.
Wird es ihm gelingen, das römische Heer zu warnen und Ilana zu befreien?
Lese-Probe zu „Attila - Die Geißel Gottes “
Attila – die Geißel Gottes von William Dietrich Vorwort Im Jahr 376 nach der Geburt des Erlösers war die Welt noch eins. Das römische Imperium bestand fort wie schon seit tausend Jahren, erstreckte sich von den kühlen Mooren Britanniens bis zu den glutheißen Wüsten Arabiens, vom Ursprung des Euphrat bis zu den Gestaden des Atlantiks in Nordafrika. Kelten und Germanen, Perser und Skythen waren unzählige Male gegen die römischen Grenzen angestürmt. Doch mit Blut und Eisen, mit List und Gold hatte man alle Angreifer zurückgeworfen. So war es immer gewesen, und im Jahr 376 schien es, als würde es auch immer so sein.
Wie sehr ich mir wünschte, ich hätte derart ruhige und sichere Zeiten erleben dürfen!
Doch ich, Jonas Alabanda - Geschichtsschreiber, Diplomat und Soldat wider Willen -, kann von der ehrwürdigen Stabilität des alten Reiches nur träumen wie die Besatzung eines Segelschiffes von fernen, nebelverhangenen Küsten. Das Schicksal bescherte mir ein Dasein in schwereren Tagen und Begegnungen mit den Mächtigen, was mich umso heftiger am Leben hängen ließ. Dieses Buch erzählt meine Geschichte und die Geschichte derer, die ich das Glück oder Unglück hatte, ein Stück zu begleiten. Doch die Ursprünge der Geschichte sind älter. In jenem Jahr 376, mehr als ein halbes Jahrhundert vor meiner Geburt, gab es die ersten Vorboten des Sturms, der alles für immer verändern sollte.
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In diesem Jahr, so schreiben die Chronisten, hörte man zum ersten Mal von den Hunnen.
Es mag von Bedeutung sein, dass ich aus dem Osten stamme, die griechische Sprache beherrsche, in Philosophie bewandert und an die sengende Sonne gewöhnt bin. Meine Heimat ist Konstantinopel, die Stadt, die Konstantin der Große am Bosporus gründete, um die Verwaltung des Imperiums zu vereinfachen, indem er ihm eine zweite Hauptstadt gab. Hier, wo Europa und Asien aufeinandertreffen, wo Schwarzes Meer und Mittelmeer sich vereinen, erhob Nova Roma sich am selben strategischen Ort wie das alte Byzanz. Die Teilung des Reiches bescherte Rom zwei Herrscher, zwei Senate und zwei Kulturen: den lateinischen Westen und den griechisch geprägten Osten. Doch Roms Truppen marschierten noch immer vereint für beide Hälften, und die Gesetze des Imperiums wurden aufeinander abgestimmt und vereinheitlicht. Das Mittelmeer blieb ein römisches Gewässer; römische Architektur, römische Münzen, Foren, Befestigungsanlagen und Kirchen fand man zwischen Nil und Themse überall. Der christliche Glaube überstrahlte alle anderen Religionen und die lateinische alle anderen Sprachen. Nie zuvor hatte die Welt eine so lange Zeit relativen Friedens, der Einheit und Stabilität gekannt.
Und es würde auch nie wieder so sein.
Die Donau ist Europas mächtigster Fluss. Sie entspringt am Fuß der Alpen und fließt beinahe achtzehnhundert Meilen nach Osten, bevor sie sich ins Schwarze Meer ergießt. Im Jahr 376 bildete sie über lange Strecken die Nordgrenze des Reiches. In jenem Sommer hörten die römischen Garnisonen in den Lagern entlang des Flusses Berichte von Kriegen, Erhebungen und Wanderbewegungen unter den barbarischen Völkern. Ein Schrecken, wie ihn die Welt noch nicht gesehen habe, hieß es, treibe ganze Völker zur Flucht, was unweigerlich zu Konflikten mit deren westlichen Nachbarn führte. Die Geflohenen berichteten von einem hässlichen, dunklen, übel riechenden Volk, das Tierfelle trug, bis sie von den Körpern faulten, einem Volk, dem Hunger und Durst nichts anhaben konnten, einem Volk, welches das Blut seiner Pferde trank und rohes Fleisch aß, das zuvor unter den Sätteln mürbe gemacht worden war. Diese neuen Invasoren kamen still wie der Wind, töteten mit starken Bogen aus nie da gewesener Entfernung, massakrierten mit Schwertern jeden, der sich ihnen danach noch entgegenstellte, und galoppierten davon, bevor sich ein Gegenangriff formieren konnte. Feste Bauwerke verachteten sie, sie brannten auf ihrem Weg alles nieder und lebten jahrein, jahraus unter freiem Himmel. Ihre Städte bestanden aus Filzzelten, ihre Straßen aus wegloser Steppe. Von Sklaven gefolgt, rollten ihre einfachen, mit Beute beladenen Karren über das Grasland, und ihre Sprache klang hart und kehlig.
Sie nannten sich Hunnen.
Die Schilderungen seien sicherlich übertrieben, beruhigten unsere Posten einander gegenseitig. Vermutlich handelte es sich um eine Vermischung von Gerüchten und Tatsachen. Rom blickte auf eine lange Erfahrung mit barbarischen Stämmen zurück, und man wusste, dass diese Krieger zwar mutig waren, jedoch wenig Ahnung von Taktik und fast gar keine von Strategie hatten. So schrecklich sie als Feinde sein mochten, so wertvoll erwiesen sie sich als Verbündete. Waren nicht die furchtbaren Germanen im Laufe der Jahrhunderte im Westen zu einem Bollwerk des römischen Heeres geworden? Hatte man nicht selbst die wilden Kelten zivilisiert? In Rom und Konstantinopel berichteten Kuriere, dass sich in den Gegenden jenseits der Donau etwas Seltsames zusammen braue. Doch welche Gefahr davon ausging, war noch nicht abzuschätzen.
Dann verwandelten sich die Gerüchte in eine Flüchtlingsflut.
Eine Viertelmillion Menschen aus dem germanischen Volk der Goten sammelte sich am Nordufer der Donau und suchte Schutz vor den marodierenden Hunnen. Weil eine solche Wanderungsbewegung nur durch einen Krieg aufzuhalten gewesen wäre, erlaubten meine Vorfahren den Goten widerwillig den Übertritt ans Südufer. Vielleicht konnte man die Neuankömmlinge wie so viele Stämme vor ihnen erfolgreich ansiedeln und zu »Verbündeten« des Imperiums machen - wie die unzähmbaren, aber berechnenden Franken. Vielleicht konnte man dem mysteriösen Volk aus der Steppe gemeinsam trotzen.
Diese Hoffnung war trügerisch und aus reinem Eigennutz geboren. Die Goten waren stolz und unbesiegt. Wir zivilisierten Völker erschienen ihnen verweichlicht, wankend und schwach. Römer und Goten gerieten bald in Streit. Man verkaufte den Flüchtlingen Hundefleisch - sie revanchierten sich mit Viehdiebstählen. Erst wurden sie zu Plünderern, dann buchstäblich zu Besatzern. So zog der oströmische Kaiser Valens am 9. August Anno Domini 378 vor der Stadt Hadrianopolis, kaum hundertfünfzig Meilen von Konstantinopel entfernt, gegen die Goten in den Kampf. Bei etwa gleicher Truppenstärke hielten wir Römer den Sieg für gewiss. Doch unsere Reitereinheiten flohen, die Fußtruppen waren kopflos vor Angst. Die gotischen Reiter drängten unsere Legionäre so eng zusammen, dass sie die Arme und Schilde kaum zum Kampf heben konnten. Valens und sein Heer wurden im bittersten militärischen Desaster des Römischen Reiches vernichtet, seit Hannibal vor beinahe sechs Jahrhunderten die Römer bei Cannae geschlagen hatte.
Ein unheilvolles Exempel war statuiert: Das römische Heer konnte von Barbaren besiegt werden. Mehr noch, die Römer konnten von Barbaren besiegt werden, welche sich ihrerseits auf der Flucht vor weitaus schrecklicheren Barbaren befanden.
Und bald sollte es noch schlimmer kommen.
Die Goten begannen einen Plünderungszug durch das Imperium, dem jahrzehntelang kein Einhalt geboten werden konnte. In der Zwischenzeit suchten die Hunnen das Donautal heim und überfielen im fernen Osten Armenien, Kappadokien und Syrien. Viele barbarische Volksgruppen verloren ihre Heimat, und etliche dieser wandernden Stämme drängten sich am Rhein. Als die Eisschollen auf dem Fluss sich am letzten Tag des Jahres 406 zu einer festen Decke schlossen, schwärmten Vandalen, Alanen, Sueben und Burgunden hinüber und fielen in Gallien ein. Die Barbaren zogen weiter nach Süden, mordeten, brandschatzten, plünderten und schändeten in einer blutigen Orgie, von der die ebenso schrecklichen wie spannenden Geschichten handeln, mit denen meine Generation aufwuchs. Es wurde von einer römischen Frau berichtet, die ihre vier Kinder - eins nach dem anderen - kochte und aufaß. Den Oberen erklärte sie, sie habe bei jedem dieser Opfer gehofft, damit die anderen retten zu können. Ihre Nachbarn steinigten sie zu Tode.
Die Eindringlinge überquerten auf ihrem Weg nach Hispania die Pyrenäen und auf dem Weg nach Afrika Gibraltar. Der heilige Augustinus starb während der Belagerung seiner Heimatstadt Hippo in Nordafrika. Britannien war abgeschnitten, für das Imperium verloren. Die Goten - noch immer auf der Suche nach einer neuen Heimat - fielen in Italien ein und schockierten im Jahr 410 die ganze Welt, indem sie sogar Rom selbst angriffen. Obwohl sie sich nach nur drei Tage andauernden Plünderungen zurückzogen, war damit der Mythos der Unversehrbarkeit der heiligen Stadt gebrochen.
Die Barbaren begannen große Gebiete des westlichen Imperiums zu besiedeln - und zu regieren. Unfähig, die Eindringlinge zu besiegen, versuchten die zunehmend verzweifelten Imperatoren des Westens, sie zu kaufen, ihnen bestimmte, klar umgrenzte Territorien zuzuweisen und die barbarischen Völker gegeneinander auszuspielen. Der kaiserliche Hof, der nicht einmal mehr für seine eigene Sicherheit garantieren konnte, zog erst nach Mailand um, dann nach Ravenna, das ein römischer Flottenstützpunkt an der Adria war. Zwischenzeitlich besetzten die Westgoten den Südwesten Galliens und Hispania, die Burgunden das östliche Gallien, die Alanen das Tal der Loire und die Vandalen Nordafrika. Christliche Häresien wetteiferten miteinander, als die barbarischen Religionen mit dem Bekenntnis zum Messias verschmolzen. Sie verwuchsen zu einem Dickicht aus Irr- und
Aberglauben. Straßen zerfielen, Verbrechen nahmen zu, Steuerzahlungen blieben aus, und viele der klügsten Köpfe zogen sich in die Klöster zurück ...
Und dennoch ging das Leben unter dem losen Bündnis von römischen und barbarischen Herrschern weiter. Konstantinopel und der Osten florierten nach wie vor. In Ravenna wurden neue Kirchen und Paläste gebaut. Die römischen Garnisonen standen noch immer unter Waffen, ihnen blieb keine andere Wahl. Wie konnte es kein Rom mehr geben? Der allmähliche Niedergang der Zivilisation schien ebenso unvorstellbar wie unaufhaltsam.
Und noch immer wuchs die Macht der Hunnen.
Was im vierten Jahrhundert noch ein mysteriöses Gerücht gewesen sein mochte, war im fünften zur schrecklichen Gewissheit geworden. Als die Hunnen nach Europa ritten und einen Landstrich besetzten, der Hunuguri oder Onogur genannt werden sollte, zwangen sie die besiegten barbarischen Stämme in ein neues, unheilvolles Imperium. Die Hunnen hatten wenig handwerkliches Geschick und für die Errungenschaften der Technik nur Verachtung übrig. Deshalb waren sie zur Selbsterhaltung auf die Versklavung anderer Völker, die Beute aus Überfällen, die Erpressung von Tribut und auf Söldnerlohn angewiesen. Das ächzende und im Niedergang begriffene Rom brauchte die Hunnen gelegentlich, um andere Stämme innerhalb des Reiches im Zaum zu halten, und versuchte, sich auf diese Weise Zeit zu erkaufen. Die Hunnen verwendeten den Söldnerlohn, um weitere Verbündete zu gewinnen und ihre Macht zu vergrößern. In den Jahren 443 und 447 unternahmen sie in der Osthälfte des Imperiums vernichtende Raubzüge, sie tilgten auf dem Balkan mehr als hundert Städte von der Landkarte. Obwohl eine gewaltige neue dreifache Mauer Konstantinopel weiterhin vor Angriffen schützte, befanden wir Byzantiner es für notwendig, die Hunnen für die Einhaltung eines ebenso demütigenden wie instabilen Waffenstillstandes zu bezahlen. '
Als ich Mitte des fünften Jahrhunderts ins Erwachsenenalter eintrat, erstreckte das Reich der Hunnen sich von der Elbe in Germanien bis zum Kaspischen Meer und von der Donau nordwärts bis ins Baltikum. Sein Herrscher, dessen Hauptquartier in Hunuguri lag, war zum mächtigsten Monarchen Europas geworden. Mit einem einzigen Wort konnte er hunderttausend der furchteinflößendsten Krieger, welche die Welt je gesehen hatte, um sich scharen. Und aus den von ihm unterworfenen Stämmen standen ihm noch einmal hunderttausend zur Verfügung. Sein Wort war Gesetz, er hatte nie eine Niederlage erlitten, und seine Frauen und Söhne zitterten in seiner Gegenwart.
Sein Name war Attila.
Was nun folgt, ist seine wahre Geschichte, aber auch die meine, erzählt aus der Sicht so mancher, die ich gut kannte, und - wo ich darin eine Rolle spielte - aus meiner eigenen. Dies schicke ich voraus, damit meine Kinder verstehen, weshalb ich das alles in so merkwürdigen Zeiten niederschreibe, auf einer so kleinen Insel, so weit entfernt von dem Ort, an dem ich geboren wurde, und in Gesellschaft einer so außergewöhnlichen Gemahlin.
Deutsche Erstausgabe 2009
Weltbild Buchverlag – Originalausgaben-
Copyright © 2005 by William Dietrich
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung: »Usch Pilz«
Es mag von Bedeutung sein, dass ich aus dem Osten stamme, die griechische Sprache beherrsche, in Philosophie bewandert und an die sengende Sonne gewöhnt bin. Meine Heimat ist Konstantinopel, die Stadt, die Konstantin der Große am Bosporus gründete, um die Verwaltung des Imperiums zu vereinfachen, indem er ihm eine zweite Hauptstadt gab. Hier, wo Europa und Asien aufeinandertreffen, wo Schwarzes Meer und Mittelmeer sich vereinen, erhob Nova Roma sich am selben strategischen Ort wie das alte Byzanz. Die Teilung des Reiches bescherte Rom zwei Herrscher, zwei Senate und zwei Kulturen: den lateinischen Westen und den griechisch geprägten Osten. Doch Roms Truppen marschierten noch immer vereint für beide Hälften, und die Gesetze des Imperiums wurden aufeinander abgestimmt und vereinheitlicht. Das Mittelmeer blieb ein römisches Gewässer; römische Architektur, römische Münzen, Foren, Befestigungsanlagen und Kirchen fand man zwischen Nil und Themse überall. Der christliche Glaube überstrahlte alle anderen Religionen und die lateinische alle anderen Sprachen. Nie zuvor hatte die Welt eine so lange Zeit relativen Friedens, der Einheit und Stabilität gekannt.
Und es würde auch nie wieder so sein.
Die Donau ist Europas mächtigster Fluss. Sie entspringt am Fuß der Alpen und fließt beinahe achtzehnhundert Meilen nach Osten, bevor sie sich ins Schwarze Meer ergießt. Im Jahr 376 bildete sie über lange Strecken die Nordgrenze des Reiches. In jenem Sommer hörten die römischen Garnisonen in den Lagern entlang des Flusses Berichte von Kriegen, Erhebungen und Wanderbewegungen unter den barbarischen Völkern. Ein Schrecken, wie ihn die Welt noch nicht gesehen habe, hieß es, treibe ganze Völker zur Flucht, was unweigerlich zu Konflikten mit deren westlichen Nachbarn führte. Die Geflohenen berichteten von einem hässlichen, dunklen, übel riechenden Volk, das Tierfelle trug, bis sie von den Körpern faulten, einem Volk, dem Hunger und Durst nichts anhaben konnten, einem Volk, welches das Blut seiner Pferde trank und rohes Fleisch aß, das zuvor unter den Sätteln mürbe gemacht worden war. Diese neuen Invasoren kamen still wie der Wind, töteten mit starken Bogen aus nie da gewesener Entfernung, massakrierten mit Schwertern jeden, der sich ihnen danach noch entgegenstellte, und galoppierten davon, bevor sich ein Gegenangriff formieren konnte. Feste Bauwerke verachteten sie, sie brannten auf ihrem Weg alles nieder und lebten jahrein, jahraus unter freiem Himmel. Ihre Städte bestanden aus Filzzelten, ihre Straßen aus wegloser Steppe. Von Sklaven gefolgt, rollten ihre einfachen, mit Beute beladenen Karren über das Grasland, und ihre Sprache klang hart und kehlig.
Sie nannten sich Hunnen.
Die Schilderungen seien sicherlich übertrieben, beruhigten unsere Posten einander gegenseitig. Vermutlich handelte es sich um eine Vermischung von Gerüchten und Tatsachen. Rom blickte auf eine lange Erfahrung mit barbarischen Stämmen zurück, und man wusste, dass diese Krieger zwar mutig waren, jedoch wenig Ahnung von Taktik und fast gar keine von Strategie hatten. So schrecklich sie als Feinde sein mochten, so wertvoll erwiesen sie sich als Verbündete. Waren nicht die furchtbaren Germanen im Laufe der Jahrhunderte im Westen zu einem Bollwerk des römischen Heeres geworden? Hatte man nicht selbst die wilden Kelten zivilisiert? In Rom und Konstantinopel berichteten Kuriere, dass sich in den Gegenden jenseits der Donau etwas Seltsames zusammen braue. Doch welche Gefahr davon ausging, war noch nicht abzuschätzen.
Dann verwandelten sich die Gerüchte in eine Flüchtlingsflut.
Eine Viertelmillion Menschen aus dem germanischen Volk der Goten sammelte sich am Nordufer der Donau und suchte Schutz vor den marodierenden Hunnen. Weil eine solche Wanderungsbewegung nur durch einen Krieg aufzuhalten gewesen wäre, erlaubten meine Vorfahren den Goten widerwillig den Übertritt ans Südufer. Vielleicht konnte man die Neuankömmlinge wie so viele Stämme vor ihnen erfolgreich ansiedeln und zu »Verbündeten« des Imperiums machen - wie die unzähmbaren, aber berechnenden Franken. Vielleicht konnte man dem mysteriösen Volk aus der Steppe gemeinsam trotzen.
Diese Hoffnung war trügerisch und aus reinem Eigennutz geboren. Die Goten waren stolz und unbesiegt. Wir zivilisierten Völker erschienen ihnen verweichlicht, wankend und schwach. Römer und Goten gerieten bald in Streit. Man verkaufte den Flüchtlingen Hundefleisch - sie revanchierten sich mit Viehdiebstählen. Erst wurden sie zu Plünderern, dann buchstäblich zu Besatzern. So zog der oströmische Kaiser Valens am 9. August Anno Domini 378 vor der Stadt Hadrianopolis, kaum hundertfünfzig Meilen von Konstantinopel entfernt, gegen die Goten in den Kampf. Bei etwa gleicher Truppenstärke hielten wir Römer den Sieg für gewiss. Doch unsere Reitereinheiten flohen, die Fußtruppen waren kopflos vor Angst. Die gotischen Reiter drängten unsere Legionäre so eng zusammen, dass sie die Arme und Schilde kaum zum Kampf heben konnten. Valens und sein Heer wurden im bittersten militärischen Desaster des Römischen Reiches vernichtet, seit Hannibal vor beinahe sechs Jahrhunderten die Römer bei Cannae geschlagen hatte.
Ein unheilvolles Exempel war statuiert: Das römische Heer konnte von Barbaren besiegt werden. Mehr noch, die Römer konnten von Barbaren besiegt werden, welche sich ihrerseits auf der Flucht vor weitaus schrecklicheren Barbaren befanden.
Und bald sollte es noch schlimmer kommen.
Die Goten begannen einen Plünderungszug durch das Imperium, dem jahrzehntelang kein Einhalt geboten werden konnte. In der Zwischenzeit suchten die Hunnen das Donautal heim und überfielen im fernen Osten Armenien, Kappadokien und Syrien. Viele barbarische Volksgruppen verloren ihre Heimat, und etliche dieser wandernden Stämme drängten sich am Rhein. Als die Eisschollen auf dem Fluss sich am letzten Tag des Jahres 406 zu einer festen Decke schlossen, schwärmten Vandalen, Alanen, Sueben und Burgunden hinüber und fielen in Gallien ein. Die Barbaren zogen weiter nach Süden, mordeten, brandschatzten, plünderten und schändeten in einer blutigen Orgie, von der die ebenso schrecklichen wie spannenden Geschichten handeln, mit denen meine Generation aufwuchs. Es wurde von einer römischen Frau berichtet, die ihre vier Kinder - eins nach dem anderen - kochte und aufaß. Den Oberen erklärte sie, sie habe bei jedem dieser Opfer gehofft, damit die anderen retten zu können. Ihre Nachbarn steinigten sie zu Tode.
Die Eindringlinge überquerten auf ihrem Weg nach Hispania die Pyrenäen und auf dem Weg nach Afrika Gibraltar. Der heilige Augustinus starb während der Belagerung seiner Heimatstadt Hippo in Nordafrika. Britannien war abgeschnitten, für das Imperium verloren. Die Goten - noch immer auf der Suche nach einer neuen Heimat - fielen in Italien ein und schockierten im Jahr 410 die ganze Welt, indem sie sogar Rom selbst angriffen. Obwohl sie sich nach nur drei Tage andauernden Plünderungen zurückzogen, war damit der Mythos der Unversehrbarkeit der heiligen Stadt gebrochen.
Die Barbaren begannen große Gebiete des westlichen Imperiums zu besiedeln - und zu regieren. Unfähig, die Eindringlinge zu besiegen, versuchten die zunehmend verzweifelten Imperatoren des Westens, sie zu kaufen, ihnen bestimmte, klar umgrenzte Territorien zuzuweisen und die barbarischen Völker gegeneinander auszuspielen. Der kaiserliche Hof, der nicht einmal mehr für seine eigene Sicherheit garantieren konnte, zog erst nach Mailand um, dann nach Ravenna, das ein römischer Flottenstützpunkt an der Adria war. Zwischenzeitlich besetzten die Westgoten den Südwesten Galliens und Hispania, die Burgunden das östliche Gallien, die Alanen das Tal der Loire und die Vandalen Nordafrika. Christliche Häresien wetteiferten miteinander, als die barbarischen Religionen mit dem Bekenntnis zum Messias verschmolzen. Sie verwuchsen zu einem Dickicht aus Irr- und
Aberglauben. Straßen zerfielen, Verbrechen nahmen zu, Steuerzahlungen blieben aus, und viele der klügsten Köpfe zogen sich in die Klöster zurück ...
Und dennoch ging das Leben unter dem losen Bündnis von römischen und barbarischen Herrschern weiter. Konstantinopel und der Osten florierten nach wie vor. In Ravenna wurden neue Kirchen und Paläste gebaut. Die römischen Garnisonen standen noch immer unter Waffen, ihnen blieb keine andere Wahl. Wie konnte es kein Rom mehr geben? Der allmähliche Niedergang der Zivilisation schien ebenso unvorstellbar wie unaufhaltsam.
Und noch immer wuchs die Macht der Hunnen.
Was im vierten Jahrhundert noch ein mysteriöses Gerücht gewesen sein mochte, war im fünften zur schrecklichen Gewissheit geworden. Als die Hunnen nach Europa ritten und einen Landstrich besetzten, der Hunuguri oder Onogur genannt werden sollte, zwangen sie die besiegten barbarischen Stämme in ein neues, unheilvolles Imperium. Die Hunnen hatten wenig handwerkliches Geschick und für die Errungenschaften der Technik nur Verachtung übrig. Deshalb waren sie zur Selbsterhaltung auf die Versklavung anderer Völker, die Beute aus Überfällen, die Erpressung von Tribut und auf Söldnerlohn angewiesen. Das ächzende und im Niedergang begriffene Rom brauchte die Hunnen gelegentlich, um andere Stämme innerhalb des Reiches im Zaum zu halten, und versuchte, sich auf diese Weise Zeit zu erkaufen. Die Hunnen verwendeten den Söldnerlohn, um weitere Verbündete zu gewinnen und ihre Macht zu vergrößern. In den Jahren 443 und 447 unternahmen sie in der Osthälfte des Imperiums vernichtende Raubzüge, sie tilgten auf dem Balkan mehr als hundert Städte von der Landkarte. Obwohl eine gewaltige neue dreifache Mauer Konstantinopel weiterhin vor Angriffen schützte, befanden wir Byzantiner es für notwendig, die Hunnen für die Einhaltung eines ebenso demütigenden wie instabilen Waffenstillstandes zu bezahlen. '
Als ich Mitte des fünften Jahrhunderts ins Erwachsenenalter eintrat, erstreckte das Reich der Hunnen sich von der Elbe in Germanien bis zum Kaspischen Meer und von der Donau nordwärts bis ins Baltikum. Sein Herrscher, dessen Hauptquartier in Hunuguri lag, war zum mächtigsten Monarchen Europas geworden. Mit einem einzigen Wort konnte er hunderttausend der furchteinflößendsten Krieger, welche die Welt je gesehen hatte, um sich scharen. Und aus den von ihm unterworfenen Stämmen standen ihm noch einmal hunderttausend zur Verfügung. Sein Wort war Gesetz, er hatte nie eine Niederlage erlitten, und seine Frauen und Söhne zitterten in seiner Gegenwart.
Sein Name war Attila.
Was nun folgt, ist seine wahre Geschichte, aber auch die meine, erzählt aus der Sicht so mancher, die ich gut kannte, und - wo ich darin eine Rolle spielte - aus meiner eigenen. Dies schicke ich voraus, damit meine Kinder verstehen, weshalb ich das alles in so merkwürdigen Zeiten niederschreibe, auf einer so kleinen Insel, so weit entfernt von dem Ort, an dem ich geboren wurde, und in Gesellschaft einer so außergewöhnlichen Gemahlin.
Deutsche Erstausgabe 2009
Weltbild Buchverlag – Originalausgaben-
Copyright © 2005 by William Dietrich
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung: »Usch Pilz«
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Bibliographische Angaben
- Autor: William Dietrich
- 2009, 1, 464 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868001735
- ISBN-13: 9783868001730
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