Der 20. Juli 1944
Gesichter des Widerstands
Gesichter des Widerstands. Der 20. Juli, der Tag des versuchten Attentats auf Hitler, hat viele Gesichter. Es gab nicht einen Widerstand, sondern zahlreiche Widerstände. Sie verliefen niemals geradlinig, sondern sind durch viele Brüche gekennzeichnet....
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Produktinformationen zu „Der 20. Juli 1944 “
Gesichter des Widerstands. Der 20. Juli, der Tag des versuchten Attentats auf Hitler, hat viele Gesichter. Es gab nicht einen Widerstand, sondern zahlreiche Widerstände. Sie verliefen niemals geradlinig, sondern sind durch viele Brüche gekennzeichnet. Beschreiben lässt sich der Weg in den Widerstand exemplarisch. Peter Steinbach, der Leiter der Berliner Gedenkstätte, zeigt in einer Reihe von Porträts das Verbindende wie Trennende des deutschen Widerstands gegen Hitler: - Graf Stauffenberg - Wilhelm Leuschner - Carlo von Mierendorff - Die Weiße Rose - Helmuth James Graf von Moltke - u.a.
Klappentext zu „Der 20. Juli 1944 “
Die Gesichter des 20. Juli2004 jährt sich die Wiederkehr des 20. Juli zum sechzigsten Mal. Peter Steinbach folgt den Lebensläufen von Graf Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow, des Gewerkschaftlers Wilhelm Leuschner, von Carlo Mierendorff und Adam von Trott zu Solz. Er stellt den Lesern Dietrich Bonhoeffer vor, der in Berlin predigte, den Pfarrer Harald Poelchau, der den in Plötzensee inhaftierten Widerständlern Kassiber und Lebensmittel in die Zellen brachte. Er zeigt die Entstehung des Kreisauer Kreises und ihres konservativen Gedankenguts und schildert, wie Menschen sich zum Widerstand entschlossen, die ursprünglich die politischen Ziele Hitlers geteilt hatten.
Es gab nicht einen Widerstand, sondern zahlreiche Widerstände. Sie waren die Konsequenz einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Staates. Sie verliefen niemals geradlinig, sondern sind durch viele Brüche und neue Anfänge gekennzeichnet. Beschreiben lässt sich derWeg in den Widerstand exemplarisch: als Geschichte von Menschen, die ihre Empörung über das Unrecht nicht verloren, die für Mitmenschlichkeit und die Ideale eines anderen Staates einstanden. Der Nachwelt hat sich ein Datum eingeprägt: der 20. Juli, der Tag des versuchten Attentats auf Hitler.
Lese-Probe zu „Der 20. Juli 1944 “
VorwortVor mehr als zwanzig Jahren wurde ich vom damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker eingeladen, gemeinsam mit dem Theologen Eberhard Bethge die Gedenkstätte Deutscher Widerstand neu zu konzipieren. Damals ahnte ich nicht, dass sich mir im Zuge dieser Arbeit ein Thema erschließen sollte, das mich seitdem begleitet. In der Tat erfüllt sich, was Ralph Giordano einmal sinngemäß gesagt hat: Durch die Beschäftigung mit der Geschichte des Widerstands gerät man in einen Kreis, den man nicht verlassen kann.
Gemeinsam mit Johannes Tuchel, heute Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, und Professor Hans Peter Hoch, dem Gestalter der Gedenkstätte und ihrer zahlreichen Ausstellungen, unterstützt von einem Beirat, konnte die neu konzipierte Ausstellung im Sommer 1989 eröffnet werden. Manche Kontroversen um die Bewertung des Widerstands waren vorausgegangen. Diese hatten sich an der Absicht entzündet, eine bereits in den fünfziger Jahren begründete und in den sechziger Jahren erweiterte Gedenkstätte so auszubauen, dass die Breite, Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Widerstands in seiner zeitlichen Entwicklung und graduellen Steigerung sichtbar werden konnte.
Die "Gedenkstätte 20. Juli 1944", die im Westen von Berlin lag, sollte sich als gesamtdeutsche Erinnerungsstätte begreifen und zur "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" entwickeln. Um diesem Ziel gerecht zu werden, orientierten wir uns konsequent an einem "integralen Widerstandsverständnis". Es kam uns darauf an, das Selbstverständnis der Regimegegner ernst zu nehmen, nach ihren Zielen und Motivationen zu fragen und so höchst unterschiedliche Erfahrungen, Motive und Ziele des gesamten Widerstands miteinander zu verbinden.
Die Ausstellungs-Dokumentation sollte Bewertungen vermeiden, weil dies wichtige Bereiche definitorisch ausgeschlossen hätte. Als Widerstand sollte jede Aktivität gelten, die sich gegen die Herrschaft Hitlers gerichtet hatte und die Übernahme eines Risikos
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für Leib und Leben, aber auch für die Angehörigen bedeutet hatte. Fragen der Neuordnung nach der Beseitigung der Diktatur sollten zunächst in den Hintergrund treten, weil es vordringlich um den Sturz des Regimes ging. Die Regimegegner wussten, dass nach der Befreiung der politische Kampf um die Gestaltung neuer Strukturen einsetzen würde. Bis dahin galt: "Hitler muss weg!".
Fünf Jahre nach Eröffnung der neuen Ausstellung brachen noch einmal heftige Konflikte um die Wertung von Widerstand auf, die wie eine Wiederholung längst vergangener Kontroversen anmuteten. Übersehen wurde bei den erneuten Diskussionen, dass sich das integrale Widerstandsverständnis nicht zuletzt im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands bewährt hatte, der unterschiedliche Geschichtsbilder zusammenführte und einander gegenüberstellte. Zehn Jahre später sind die Wogen der Erregung geglättet. Heute sind die Erinnerungen der Mitleidenden in den Hintergrund getreten; Zeitzeugen stammen, wie jede Fernsehdokumentation zeigt, überwiegend aus nachgewachsenen Generationen, die zunehmend Angelesenes und Gehörtes als unmittelbares Erlebnis auszugeben bestrebt sind und nur durch die Höflichkeit der Interviewer kritiklos bleiben.
Viel entscheidender für die Würdigung des Widerstands sind neue Widerstandserfahrungen. Sie speisen sich nicht aus Protesterklärungen politischer Bewegungen, wie im Kampf gegen die Ostverträge, gegen Abtreibungsregelungen oder im Konflikt um die Nachrüstungsbeschlüsse, sondern verweisen auf Widerstandserfahrungen der Opposition im SED-Staat.
Als die Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnet wurde, hatten sich bereits Proteste oppositioneller DDR-Bürger gegen die SED-Führung zum Widerstand gegen die zweite Diktatur gesteigert. Die manipulierten Kommunalwahlen vom Mai 1989 lagen nicht einmal drei Monate zurück. Was sich in der DDR ereignete, war überraschend und wurde kaum angemessen verstanden. Hierzu trug bei, dass die Öffentlichkeit gelähmt war durch die Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, die im Frühsommer 1989 stattgefunden und sich nur im politischen Unterbewusstsein mit der polnischen Oppositionsbewegung der SolidarnoscŽ verbunden hatten. Im Sommer 1989 war deutlich geworden, dass die Dokumentation des Widerstands der nationalsozialistischen Zeit sich nicht in sich selbst erschöpfen konnte, vielmehr beispielhaft stehen würde für Selbstbehauptung und Widerständigkeit in den Diktaturen des 20. und wohl auch noch des 21. Jahrhunderts.
Keine vier Monate nach Ausstellungseröffnung tanzten in Berlin Menschen auf der Mauer. In die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, unmittelbar dem Berliner Kulturforum benachbart, strömten Besucher aus Ost-Berlin und der DDR. Die Menschen gaben uns das Gefühl, dass eine gesamtdeutsche Erinnerungsstätte an den Widerstand entstanden war.
In den folgenden Monaten besuchten mehrere tausend Angehörige der Nationalen Volksarmee auf Befehl des ehemaligen Ministers für Abrüstung und Verteidigung Rainer Eppelmann die Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße. Die Bewährung der Gedenkstätte im Prozess der Vereinigung ließ vorangegangene Streite um die Bewertung des Widerstands vergessen.
Wer sich mit dem Widerstand beschäftigt, sieht sich nicht nur mit Ereignissen konfrontiert, sondern vor allem mit Motiven, die Haltungen rechtfertigen können. Er konfrontiert sich mit Menschen, Verhaltensweisen und Gedanken, die den Zeithistoriker weit über das Forschungsinteresse hinaus in den Bann ziehen. Denn er spürt, dass es bei der Auseinandersetzung mit Widerstand gegen diktatorische Systeme um mehr geht als um Geschichte: Es geht um Weltsicht, um Welt- und Politikverständnis, um Orientierung in der Gegenwart.
Dieses Gefühl verstärkt sich, je mehr man versucht, die gemeinsamen Bezugspunkte sehr unterschiedlicher, geradezu gegensätzlicher Regimegegner zu erfassen. Bald schälen sich Gemeinsamkeiten heraus, die sich auf die Erfahrung der Verfolgung, den Respekt vor der Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer Zielvorstellungen, die Orientierung am Recht als der grundlegenden Gestaltung politischen und menschlichen Zusammenlebens gründen. Recht wurde beschworen von denen, die die Erfahrung der Rechtlosigkeit machten. Es wurde aber auch begründet von Menschen, die über die notwendige Neuordnung zur Überwindung von Willkür und Unfreiheit nachdachten.
Ein Teil der Regimegegner untermauerte seine Kritik an der nationalsozialistischen Politik; andere formulierten einen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Staatsverständnis. Auf einige dieser zielgerichtet Nachdenkenden soll im Folgenden der Blick gelenkt werden. Sie beschäftigen mich seit vielen Jahren, weil sie Recht und Ordnung als grundlegenden Gestaltungsauftrag begriffen haben. Sie wissen, wie unverzichtbar es ist, individuelle Verantwortung zu übernehmen und sich nicht kritiklos der Staatsgewalt zu unterwerfen.
Meine Auseinandersetzungen mit Widerstandskämpfern haben seit dem Jahre 1984 immer wieder um folgende vier Fragen gekreist: Wie wird die Wirklichkeit der Diktatur, die Verfolgung und Diffamierung des Mitmenschen, der als Gegenmensch gezeichnet wird, wahrgenommen? Wie reagiert der Einzelne auf die Erfahrung kollektiver Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung des anderen? Welche Bedeutung kommt Traditionen, Milieus, Überzeugungen und Glaubensgewissheit zu, um sich den Sogströmungen der Anpassung und Unterwerfung zu entziehen? Welche Rolle spielt die Frage nach der Bedeutung des Rechts im Widerstand?
Im Gefühl für "Rechtlichkeit und Redlichkeit" bündelten sich die Kraft und die Bereitschaft zur Verweigerung, zur Distanzierung und zur Auflehnung. Dabei ging es nicht nur um den Maßstab des Rechts, der in der Kritik bestehenden und beobachteten Unrechts beschworen wurde, sondern auch um das Recht als entscheidenden Faktor für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen verfassungsstaatlicher Neuordnung und jener Initiierung des Umsturzes durch Militärs, die sich dem Recht unterwerfen, also nicht nach einer Militärherrschaft streben. Dies macht die Modernität und die Zukunftsorientiertheit des Widerstands gegen den Nationalsozialismus aus.
Im Folgenden wird die Darstellung von Annäherungen an Ziele und an Menschen versucht, deren Gedanken im Widerstand um das Recht und seine Neubegründung kreisen. Dieses Ziel prägte auch den Umsturzversuch, dessen Schwierigkeit es war, sich auf Menschen verlassen zu müssen, denen Ziel und Zweck des Umsturzversuches vielfach nicht mitgeteilt werden konnten. Der Umsturz sollte politische Spielräume eröffnen und zivilisierend auf das Militär wirken. Insoweit handelte sich nicht um einen militärischen Umsturzversuch, sondern um einen Staatsstreich, der Grundlagen für die Schaffung einer neuen rechtsstaatlich orientierten Verfassungsordnung schaffen sollte.
Die Verschwörer setzten, wie im ersten Kapitel gezeigt wird, zwar im Zuge der Operation Walküre auf die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Befehlen, die nach der erhofften Beseitigung Hitlers ausgegeben worden wären. Aber sie zielten auf ein System, das Willkür aufheben sollte. Dies kann nur auf rechtlicher Grundlage geschehen. Im vorletzten Kapitel wird deshalb der Rechtsbezug des Staatsstreiches betont. Diese beiden grundsätzlich angelegten Arbeiten umrahmen biografische Studien, die das Denken einzelner Regimegegner in das Spannungsfeld der Überlieferungsgeschichte rücken.
Auf diese Weise soll deutlich gemacht werden, in welchem Maße unser Urteil von Maßstäben abhängt, die Nachlebende in ihrer Gegenwart entwickeln. Neben Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, die man als Kopf und Herz des Kreisauer Kreises bezeichnet hat, treten Carlo Mierendorff und Wilhelm Leuschner, die aus der demokratischen Arbeiterbewegung hervorgehen, und Hans von Dohnanyi und die Weiße Rose, die ein starker Rechtsbezug antreibt.
Das Eingangskapitel arbeitet heraus, in welchem Maße sich die militärischen Verschwörer dem Primat des Politischen unterstellten und so versuchten, politische Spielräume zu schaffen, die ihnen auch Verantwortung für die Entwicklung der "deutschen Dinge" eröffnet hätten. Den Preis des Scheiterns macht das letzte Kapitel deutlich. Hier wird auch sichtbar, welcher Aderlass den Regimegegnern abverlangt wurde. Die Nationalsozialisten wollten mit der Vernichtung des Widerstands auch eine Gegen-Elite ausschalten, die mit Sicherheit die Entwicklung nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auf einschneidende Weise hätte positiv beeinflussen können.
Vielleicht tragen die biografischen Annäherungsversuche dazu bei, die immer wieder gestellte Frage nach der Verstrickung einzelner Regimegegner in Politik und Praxis des nationalsozialistischen Herrschaftssystems aufzunehmen. In einem diktatorischen System gibt es keine Schuldlosen. Entscheidend bei der Beurteilung von Widerstandskämpfern ist, dass trotz Verstrickung und Schuld eine Bereitschaft zur Verantwortung erwächst, die auf die Überwindung des Unrechtssystems zielt, auch um den Preis des eigenen Lebens.
Ich bedanke mich bei Johannes Tuchel für eine langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, bei Ferdinand Schwenkner nicht nur für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts, sondern auch für die kräftige Ermutigung, nicht nachzulassen, bei Thomas Sparr vom Siedler Verlag für die nicht erlahmende und zuweilen großmütige Geduld bei der Realisierung dieses Versuchs, nicht von der Ereignisgeschichte, sondern von Deutungen auszugehen. Alle Fehler und Missverständnisse habe ich zu verantworten. Wenn aber verständlich würde, dass die Geschichte des Widerstands eine Herausforderung für die Nachlebenden bleibt und wert ist, immer neu durchdacht zu werden, dann hätte ich mein Ziel erreicht. Denn letztlich geht es beim Widerstand um die Prüfung von Grenzen und Zwecken eines Staates, der sich zur Verpflichtung bekennt, eine menschenwürdige Ordnung zu schaffen und zu sichern.
Ich widme dieses Buch Anneliese Knoop-Graf. Sie ist mehr als eine Zeitzeugin und wurde mir und meiner Familie zur guten Freundin. Sie hat den Auftrag und die letzte Bitte ihres Bruders Willi Graf angenommen, das Denken und Wollen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in das Bewusstsein der Nachlebenden zu rücken.
Willi Graf stand im Zentrum der Münchener Widerstandsgruppe Weiße Rose und rückt uns nahe durch die Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen durch Anneliese, seine "kleine Schwester". Er bat sie vor seiner Hinrichtung um eines: "Weitertragen". Sie hat diesen Auftrag angenommen und zugleich ein Beispiel gültiger historischer Vergegenwärtigung gegeben.
"Nach Hitler kommen wir"
Primat der Politik - zivilisiertes Militär
Zu den Gescheiterten des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 gehörte der gesamte Widerstand. Ein gelungener Umsturz hätte die Zahl der Opfer des Krieges mehr als halbiert, die Auslöschung der ungarischen Juden verhindert, Todesmärsche der Gefangenen unmöglich gemacht, viele Städte vor ihrer Zerstörung im Bombenhagel bewahrt und die Kriegsgefangenschaft der "Endkampfgefangenen" verhindert. Hitlers Beseitigung wäre nicht nur eine wichtige Zäsur des Zweiten Weltkriegs, sondern auch eine Chance für die europäische Geschichte gewesen.
Umso überraschender ist, dass sich die Deutschen viele Jahre sehr schwer taten, die Leistung des Widerstands anzuerkennen, die Energie der Verschwörer zu würdigen und die Vorbereitung der Operation Walküre als eine militärische Leistung zu bewundern, die nicht am Unvermögen der Beteiligten, sondern an der abwartenden und schließlich ablehnenden Haltung höchster Militärs scheitern sollte. Immer wieder wurde von den Nachlebenden die angeblich aussichtslose Vorbereitung des Anschlags kritisiert.
Manche standen Jahrzehnte im Bann ihrer damaligen Gefühle, die nicht zuletzt von der nationalsozialistischen Führung vergiftet worden waren. Es hätten Militärs im letzten Moment geputscht, um ihre Haut zu retten, war zu hören. Rechtsextremisten lasteten dem Widerstand den Zusammenbruch des Mittelabschnitts der Ostfront an, behaupteten, Regimegegner hätten systematisch durch Verrat die Front geschwächt, und erklärten ihre angebliche Eidtreue und ihre Bereitschaft, bis zum letzten Tag des Krieges zur Hakenkreuzfahne zu stehen, zur Tugend.
Doch hatte es sich keineswegs allein um einen Militärputsch gehandelt. Vielmehr ging es um den Versuch, rassenideologische Verhärtungen abzubrechen, militärische Flexibilität zu erleichtern und der Politik neue Handlungsspielräume zu schaffen. Militärische Widerstandsgruppen und "zivile" Widerstandskreise waren eng aufeinander bezogen. Dabei kam es dem Militär nicht darauf an, im Falle eines Gelingens des Anschlags eigene Macht zu sichern.
Das aus dem Umsturz hervorgehende Kabinett war zu keinem Zeitpunkt durch eine Übermacht der Offiziere charakterisiert, sondern verkörperte eine denkbar große Koalition - von Wilhelm Leuschner und Julius Leber auf der einen bis zu Carl Friedrich Goerdeler und Ulrich von Hassell auf der anderen Seite. In der Zusammensetzung der Regierung, die mit der Operation Walküre politische Verantwortung übernehmen sollte, wird eine Zivilität sichtbar, die den 20. Juli 1944 zu einem Wendepunkt in der Geschichte des Verhältnisses von bewaffneter Macht und politischer Führung gemacht hätte.
Fünf Jahre nach Eröffnung der neuen Ausstellung brachen noch einmal heftige Konflikte um die Wertung von Widerstand auf, die wie eine Wiederholung längst vergangener Kontroversen anmuteten. Übersehen wurde bei den erneuten Diskussionen, dass sich das integrale Widerstandsverständnis nicht zuletzt im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands bewährt hatte, der unterschiedliche Geschichtsbilder zusammenführte und einander gegenüberstellte. Zehn Jahre später sind die Wogen der Erregung geglättet. Heute sind die Erinnerungen der Mitleidenden in den Hintergrund getreten; Zeitzeugen stammen, wie jede Fernsehdokumentation zeigt, überwiegend aus nachgewachsenen Generationen, die zunehmend Angelesenes und Gehörtes als unmittelbares Erlebnis auszugeben bestrebt sind und nur durch die Höflichkeit der Interviewer kritiklos bleiben.
Viel entscheidender für die Würdigung des Widerstands sind neue Widerstandserfahrungen. Sie speisen sich nicht aus Protesterklärungen politischer Bewegungen, wie im Kampf gegen die Ostverträge, gegen Abtreibungsregelungen oder im Konflikt um die Nachrüstungsbeschlüsse, sondern verweisen auf Widerstandserfahrungen der Opposition im SED-Staat.
Als die Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnet wurde, hatten sich bereits Proteste oppositioneller DDR-Bürger gegen die SED-Führung zum Widerstand gegen die zweite Diktatur gesteigert. Die manipulierten Kommunalwahlen vom Mai 1989 lagen nicht einmal drei Monate zurück. Was sich in der DDR ereignete, war überraschend und wurde kaum angemessen verstanden. Hierzu trug bei, dass die Öffentlichkeit gelähmt war durch die Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, die im Frühsommer 1989 stattgefunden und sich nur im politischen Unterbewusstsein mit der polnischen Oppositionsbewegung der SolidarnoscŽ verbunden hatten. Im Sommer 1989 war deutlich geworden, dass die Dokumentation des Widerstands der nationalsozialistischen Zeit sich nicht in sich selbst erschöpfen konnte, vielmehr beispielhaft stehen würde für Selbstbehauptung und Widerständigkeit in den Diktaturen des 20. und wohl auch noch des 21. Jahrhunderts.
Keine vier Monate nach Ausstellungseröffnung tanzten in Berlin Menschen auf der Mauer. In die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, unmittelbar dem Berliner Kulturforum benachbart, strömten Besucher aus Ost-Berlin und der DDR. Die Menschen gaben uns das Gefühl, dass eine gesamtdeutsche Erinnerungsstätte an den Widerstand entstanden war.
In den folgenden Monaten besuchten mehrere tausend Angehörige der Nationalen Volksarmee auf Befehl des ehemaligen Ministers für Abrüstung und Verteidigung Rainer Eppelmann die Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße. Die Bewährung der Gedenkstätte im Prozess der Vereinigung ließ vorangegangene Streite um die Bewertung des Widerstands vergessen.
Wer sich mit dem Widerstand beschäftigt, sieht sich nicht nur mit Ereignissen konfrontiert, sondern vor allem mit Motiven, die Haltungen rechtfertigen können. Er konfrontiert sich mit Menschen, Verhaltensweisen und Gedanken, die den Zeithistoriker weit über das Forschungsinteresse hinaus in den Bann ziehen. Denn er spürt, dass es bei der Auseinandersetzung mit Widerstand gegen diktatorische Systeme um mehr geht als um Geschichte: Es geht um Weltsicht, um Welt- und Politikverständnis, um Orientierung in der Gegenwart.
Dieses Gefühl verstärkt sich, je mehr man versucht, die gemeinsamen Bezugspunkte sehr unterschiedlicher, geradezu gegensätzlicher Regimegegner zu erfassen. Bald schälen sich Gemeinsamkeiten heraus, die sich auf die Erfahrung der Verfolgung, den Respekt vor der Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer Zielvorstellungen, die Orientierung am Recht als der grundlegenden Gestaltung politischen und menschlichen Zusammenlebens gründen. Recht wurde beschworen von denen, die die Erfahrung der Rechtlosigkeit machten. Es wurde aber auch begründet von Menschen, die über die notwendige Neuordnung zur Überwindung von Willkür und Unfreiheit nachdachten.
Ein Teil der Regimegegner untermauerte seine Kritik an der nationalsozialistischen Politik; andere formulierten einen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Staatsverständnis. Auf einige dieser zielgerichtet Nachdenkenden soll im Folgenden der Blick gelenkt werden. Sie beschäftigen mich seit vielen Jahren, weil sie Recht und Ordnung als grundlegenden Gestaltungsauftrag begriffen haben. Sie wissen, wie unverzichtbar es ist, individuelle Verantwortung zu übernehmen und sich nicht kritiklos der Staatsgewalt zu unterwerfen.
Meine Auseinandersetzungen mit Widerstandskämpfern haben seit dem Jahre 1984 immer wieder um folgende vier Fragen gekreist: Wie wird die Wirklichkeit der Diktatur, die Verfolgung und Diffamierung des Mitmenschen, der als Gegenmensch gezeichnet wird, wahrgenommen? Wie reagiert der Einzelne auf die Erfahrung kollektiver Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung des anderen? Welche Bedeutung kommt Traditionen, Milieus, Überzeugungen und Glaubensgewissheit zu, um sich den Sogströmungen der Anpassung und Unterwerfung zu entziehen? Welche Rolle spielt die Frage nach der Bedeutung des Rechts im Widerstand?
Im Gefühl für "Rechtlichkeit und Redlichkeit" bündelten sich die Kraft und die Bereitschaft zur Verweigerung, zur Distanzierung und zur Auflehnung. Dabei ging es nicht nur um den Maßstab des Rechts, der in der Kritik bestehenden und beobachteten Unrechts beschworen wurde, sondern auch um das Recht als entscheidenden Faktor für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen verfassungsstaatlicher Neuordnung und jener Initiierung des Umsturzes durch Militärs, die sich dem Recht unterwerfen, also nicht nach einer Militärherrschaft streben. Dies macht die Modernität und die Zukunftsorientiertheit des Widerstands gegen den Nationalsozialismus aus.
Im Folgenden wird die Darstellung von Annäherungen an Ziele und an Menschen versucht, deren Gedanken im Widerstand um das Recht und seine Neubegründung kreisen. Dieses Ziel prägte auch den Umsturzversuch, dessen Schwierigkeit es war, sich auf Menschen verlassen zu müssen, denen Ziel und Zweck des Umsturzversuches vielfach nicht mitgeteilt werden konnten. Der Umsturz sollte politische Spielräume eröffnen und zivilisierend auf das Militär wirken. Insoweit handelte sich nicht um einen militärischen Umsturzversuch, sondern um einen Staatsstreich, der Grundlagen für die Schaffung einer neuen rechtsstaatlich orientierten Verfassungsordnung schaffen sollte.
Die Verschwörer setzten, wie im ersten Kapitel gezeigt wird, zwar im Zuge der Operation Walküre auf die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Befehlen, die nach der erhofften Beseitigung Hitlers ausgegeben worden wären. Aber sie zielten auf ein System, das Willkür aufheben sollte. Dies kann nur auf rechtlicher Grundlage geschehen. Im vorletzten Kapitel wird deshalb der Rechtsbezug des Staatsstreiches betont. Diese beiden grundsätzlich angelegten Arbeiten umrahmen biografische Studien, die das Denken einzelner Regimegegner in das Spannungsfeld der Überlieferungsgeschichte rücken.
Auf diese Weise soll deutlich gemacht werden, in welchem Maße unser Urteil von Maßstäben abhängt, die Nachlebende in ihrer Gegenwart entwickeln. Neben Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, die man als Kopf und Herz des Kreisauer Kreises bezeichnet hat, treten Carlo Mierendorff und Wilhelm Leuschner, die aus der demokratischen Arbeiterbewegung hervorgehen, und Hans von Dohnanyi und die Weiße Rose, die ein starker Rechtsbezug antreibt.
Das Eingangskapitel arbeitet heraus, in welchem Maße sich die militärischen Verschwörer dem Primat des Politischen unterstellten und so versuchten, politische Spielräume zu schaffen, die ihnen auch Verantwortung für die Entwicklung der "deutschen Dinge" eröffnet hätten. Den Preis des Scheiterns macht das letzte Kapitel deutlich. Hier wird auch sichtbar, welcher Aderlass den Regimegegnern abverlangt wurde. Die Nationalsozialisten wollten mit der Vernichtung des Widerstands auch eine Gegen-Elite ausschalten, die mit Sicherheit die Entwicklung nach der Befreiung vom Nationalsozialismus auf einschneidende Weise hätte positiv beeinflussen können.
Vielleicht tragen die biografischen Annäherungsversuche dazu bei, die immer wieder gestellte Frage nach der Verstrickung einzelner Regimegegner in Politik und Praxis des nationalsozialistischen Herrschaftssystems aufzunehmen. In einem diktatorischen System gibt es keine Schuldlosen. Entscheidend bei der Beurteilung von Widerstandskämpfern ist, dass trotz Verstrickung und Schuld eine Bereitschaft zur Verantwortung erwächst, die auf die Überwindung des Unrechtssystems zielt, auch um den Preis des eigenen Lebens.
Ich bedanke mich bei Johannes Tuchel für eine langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, bei Ferdinand Schwenkner nicht nur für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts, sondern auch für die kräftige Ermutigung, nicht nachzulassen, bei Thomas Sparr vom Siedler Verlag für die nicht erlahmende und zuweilen großmütige Geduld bei der Realisierung dieses Versuchs, nicht von der Ereignisgeschichte, sondern von Deutungen auszugehen. Alle Fehler und Missverständnisse habe ich zu verantworten. Wenn aber verständlich würde, dass die Geschichte des Widerstands eine Herausforderung für die Nachlebenden bleibt und wert ist, immer neu durchdacht zu werden, dann hätte ich mein Ziel erreicht. Denn letztlich geht es beim Widerstand um die Prüfung von Grenzen und Zwecken eines Staates, der sich zur Verpflichtung bekennt, eine menschenwürdige Ordnung zu schaffen und zu sichern.
Ich widme dieses Buch Anneliese Knoop-Graf. Sie ist mehr als eine Zeitzeugin und wurde mir und meiner Familie zur guten Freundin. Sie hat den Auftrag und die letzte Bitte ihres Bruders Willi Graf angenommen, das Denken und Wollen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in das Bewusstsein der Nachlebenden zu rücken.
Willi Graf stand im Zentrum der Münchener Widerstandsgruppe Weiße Rose und rückt uns nahe durch die Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen durch Anneliese, seine "kleine Schwester". Er bat sie vor seiner Hinrichtung um eines: "Weitertragen". Sie hat diesen Auftrag angenommen und zugleich ein Beispiel gültiger historischer Vergegenwärtigung gegeben.
"Nach Hitler kommen wir"
Primat der Politik - zivilisiertes Militär
Zu den Gescheiterten des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 gehörte der gesamte Widerstand. Ein gelungener Umsturz hätte die Zahl der Opfer des Krieges mehr als halbiert, die Auslöschung der ungarischen Juden verhindert, Todesmärsche der Gefangenen unmöglich gemacht, viele Städte vor ihrer Zerstörung im Bombenhagel bewahrt und die Kriegsgefangenschaft der "Endkampfgefangenen" verhindert. Hitlers Beseitigung wäre nicht nur eine wichtige Zäsur des Zweiten Weltkriegs, sondern auch eine Chance für die europäische Geschichte gewesen.
Umso überraschender ist, dass sich die Deutschen viele Jahre sehr schwer taten, die Leistung des Widerstands anzuerkennen, die Energie der Verschwörer zu würdigen und die Vorbereitung der Operation Walküre als eine militärische Leistung zu bewundern, die nicht am Unvermögen der Beteiligten, sondern an der abwartenden und schließlich ablehnenden Haltung höchster Militärs scheitern sollte. Immer wieder wurde von den Nachlebenden die angeblich aussichtslose Vorbereitung des Anschlags kritisiert.
Manche standen Jahrzehnte im Bann ihrer damaligen Gefühle, die nicht zuletzt von der nationalsozialistischen Führung vergiftet worden waren. Es hätten Militärs im letzten Moment geputscht, um ihre Haut zu retten, war zu hören. Rechtsextremisten lasteten dem Widerstand den Zusammenbruch des Mittelabschnitts der Ostfront an, behaupteten, Regimegegner hätten systematisch durch Verrat die Front geschwächt, und erklärten ihre angebliche Eidtreue und ihre Bereitschaft, bis zum letzten Tag des Krieges zur Hakenkreuzfahne zu stehen, zur Tugend.
Doch hatte es sich keineswegs allein um einen Militärputsch gehandelt. Vielmehr ging es um den Versuch, rassenideologische Verhärtungen abzubrechen, militärische Flexibilität zu erleichtern und der Politik neue Handlungsspielräume zu schaffen. Militärische Widerstandsgruppen und "zivile" Widerstandskreise waren eng aufeinander bezogen. Dabei kam es dem Militär nicht darauf an, im Falle eines Gelingens des Anschlags eigene Macht zu sichern.
Das aus dem Umsturz hervorgehende Kabinett war zu keinem Zeitpunkt durch eine Übermacht der Offiziere charakterisiert, sondern verkörperte eine denkbar große Koalition - von Wilhelm Leuschner und Julius Leber auf der einen bis zu Carl Friedrich Goerdeler und Ulrich von Hassell auf der anderen Seite. In der Zusammensetzung der Regierung, die mit der Operation Walküre politische Verantwortung übernehmen sollte, wird eine Zivilität sichtbar, die den 20. Juli 1944 zu einem Wendepunkt in der Geschichte des Verhältnisses von bewaffneter Macht und politischer Führung gemacht hätte.
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Autoren-Porträt von Peter Steinbach
Peter Steinbach, geb. 1948 in Lage/Lippe, leitet die zentrale Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Steinbach
- 2004, 352 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,9 x 22 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Siedler
- ISBN-10: 3886801551
- ISBN-13: 9783886801558
Rezension zu „Der 20. Juli 1944 “
"In den letzten Jahren ist deutlich geworden, welche zentrale Rolle persönliche Beziehungen, gemeinsames religiöses und sittliches Herkommen beim Aufbau der Verschwörung gespielt haben." (Winfried Heinemann in der FAZ)
Kommentar zu "Der 20. Juli 1944"
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