Der Clan der Vampire
Roman
An Lena Meydan kommt kein Vampirliebhaber vorbei!
Die nächtlichen Straßen von Sankt Petersburg werden von rivalisierenden Vampirclans beherrscht. Nur ein brüchiger Friede schützt die Welt der Menschen vor den finsteren Kriegern -...
Die nächtlichen Straßen von Sankt Petersburg werden von rivalisierenden Vampirclans beherrscht. Nur ein brüchiger Friede schützt die Welt der Menschen vor den finsteren Kriegern -...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Clan der Vampire “
An Lena Meydan kommt kein Vampirliebhaber vorbei!
Die nächtlichen Straßen von Sankt Petersburg werden von rivalisierenden Vampirclans beherrscht. Nur ein brüchiger Friede schützt die Welt der Menschen vor den finsteren Kriegern - bis einer von ihnen sich in eine junge Frau verliebt und damit nicht nur den Frieden der Clans, sondern auch die Zukunft aller Menschen in Gefahr bringt ... Mit »Der Clan der Vampire« legt Lena Meydan eine sensationelle und atemberaubende Mischung aus Stephenie Meyers »Bis(s)«-Saga und Sergej Lukianenkos »Wächter«-Romanen vor.
Seit Jahrhunderten regieren die mächtigen Clans der Unsterblichen in der Unterwelt von Sankt Petersburg. Darel Ericson ist einer von ihnen, und er besitzt eine besondere Gabe: Er kann in den Gedanken und Gefühlen anderer lesen wie in einem offenen Buch - ein unschätzbarer Vorteil in den nächtlichen Kämpfen und bitteren Auseinandersetzungen unter den Vampirclans. Bis er Loraine begegnet, einer jungen Frau, deren Schönheit und Anmut ihn von der ersten Sekunde an verzaubert. Seine Gefühle bleiben auch den Feinden seines Clans nicht verborgen. Als sie Loraine entführen, schwebt nicht nur Darels Liebe in höchster Gefahr - die finsteren Krieger der Nachterret planen, die Menschheit zu unterjochen und als Blutsklaven zu halten. Darel steht vor einer tödlichen Entscheidung ...
Lena Meydan zählt neben Sergej Lukianenko und Dmitry Glukhovsky zu den renommiertesten Fantasy-Autoren Russlands.
Die nächtlichen Straßen von Sankt Petersburg werden von rivalisierenden Vampirclans beherrscht. Nur ein brüchiger Friede schützt die Welt der Menschen vor den finsteren Kriegern - bis einer von ihnen sich in eine junge Frau verliebt und damit nicht nur den Frieden der Clans, sondern auch die Zukunft aller Menschen in Gefahr bringt ... Mit »Der Clan der Vampire« legt Lena Meydan eine sensationelle und atemberaubende Mischung aus Stephenie Meyers »Bis(s)«-Saga und Sergej Lukianenkos »Wächter«-Romanen vor.
Seit Jahrhunderten regieren die mächtigen Clans der Unsterblichen in der Unterwelt von Sankt Petersburg. Darel Ericson ist einer von ihnen, und er besitzt eine besondere Gabe: Er kann in den Gedanken und Gefühlen anderer lesen wie in einem offenen Buch - ein unschätzbarer Vorteil in den nächtlichen Kämpfen und bitteren Auseinandersetzungen unter den Vampirclans. Bis er Loraine begegnet, einer jungen Frau, deren Schönheit und Anmut ihn von der ersten Sekunde an verzaubert. Seine Gefühle bleiben auch den Feinden seines Clans nicht verborgen. Als sie Loraine entführen, schwebt nicht nur Darels Liebe in höchster Gefahr - die finsteren Krieger der Nachterret planen, die Menschheit zu unterjochen und als Blutsklaven zu halten. Darel steht vor einer tödlichen Entscheidung ...
Lena Meydan zählt neben Sergej Lukianenko und Dmitry Glukhovsky zu den renommiertesten Fantasy-Autoren Russlands.
Lese-Probe zu „Der Clan der Vampire “
Der Clan der Vampire von Lena Meydan Aus dem Russischen von Anja Freckmann
Prolog
12. September 1977
Seit zwei Tagen versank die Stadt im Regen. Die Tropfen raschelten
auf dem rissigen Asphalt, trommelten gedämpft auf
das Dach des blauen Bentley, dessen Fenster an der Fahrerseite
heruntergelassen war. Hinter dem Lenkrad glomm der rötliche
Schein einer Zigarette, und aus dem Radio erklang leise Musik.
Der Wagen parkte in einer Seitengasse und war durch Dunkelheit
und einen dichten Regenschleier vor den Augen neugieriger
Passanten geschützt.
Aber wer hätte zu dieser Stunde auch hier vorbeikommen
sollen? In diesem Stadtviertel, in dem die Straßen schlecht beleuchtet
waren und sich jede Menge Gesindel herumtrieb,
konnte ein Spaziergang nach Sonnenuntergang schnell den
Verlust der Brieftasche, ja des Lebens bedeuten. Obgleich sich
in dieser Nacht nicht einmal die kleinen Gauner um die Arbeit
rissen und lieber ihre Höhlen hüteten.
Unweit des Autos glänzten Müllcontainer in der Dunkelheit.
Einer war umgestoßen worden, und sein Inhalt lag auf dem
Asphalt verstreut. »Prächtiger Anblick«, murmelte der Mann auf
dem Fahrersitz, während er die Asche zu Boden schnippte. »Passt
wunderbar zur Umgebung und zur Weltanschauung dieser
neuen Jugendbewegung. Wie heißen sie gleich? Punks? Eine
Müllhalde ist genau der richtige Ort für diese Abart der menschlichen
Kultur.«
... mehr
Wolfger Wladislaw war der Meinung, dass die Menschen
immer verrückter wurden. Ständig dachten sie sich etwas Neues
aus. Versuchten verzweifelt, sich selbst zu vergessen, wenigstens
für eine kurze Zeit, versuchten Freiheit zu empfinden,
alles, was ihre Existenz störte, loszuwerden: Gesetze, Konventionen,
Politik, Moral, die Ansichten der Menschen in ihrer
Umgebung. Versuchten alles auszublenden und sich über den
Schmutz zu erheben, und falls das nicht gelang, wurden sie
eben selbst zu Abfall. Sie wandten sich gegen alles in der Hoffnung,
den herben Geschmack des Lebens zu empfinden, nur
um früher oder später doch zu sterben. So war es früher gewesen,
so würde es immer sein. Eine unausweichliche Gesetzmäßigkeit.
Der Tod ereilte sie alle. Der Mann lächelte in sich
hinein. Nun ja ... fast alle.
Gelegentlich gab es Ausnahmen.
Auf einem Container hockte eine Katze und wühlte mit den
Pfoten nach Essensresten. Wolfger saß schon fünf Minuten reglos
da und beobachtete das Tier. Es spürte seine Gegenwart. Anfangs
hatte es sich sogar zurückgezogen, aber sein Hunger war
stärker als sein Selbsterhaltungstrieb. Außerdem machte der
Fremde keinen Versuch, die Katze anzugreifen. Daher hatte sie
sich nach einigem Zögern wieder an ihre Mahlzeit gemacht.
Aber sie blieb wachsam, schlang die Bissen herunter und brachte
mit ihrer Haltung deutlich zum Ausdruck, dass sie so bald
wie möglich das Weite suchen würde.
Gedämpft drang eine Polizeisirene durch den Regenschleier
und verhallte nach wenigen Sekunden in der Ferne. In diesem
Stadtteil, der aus krummen Straßen, Hinterhöfen und Sackgas-
sen bestand, ließen sich selten Polizisten blicken. Sie mochten
die Gegend nicht. Zu viel Arbeit. Zu viele Probleme. Damit
wollten sie nichts zu tun haben. Nicht bei der Bezahlung. Es
war viel angenehmer, auf den hell erleuchteten Boulevards der
Hauptstadt zu patrouillieren, als in diesen Sumpf vorzudringen,
aus dem man nur herausfand, indem man jede Menge Berichte
schrieb, die keiner lesen wollte.
23:38 Uhr.
Radio und Regen sangen einstimmig. Joe Dassin erklärte der
Welt mit melancholischer Stimme, was »ohne dich« aus ihm geworden
wäre. Ein schönes Lied.
Die Zigarette war abgebrannt, und Wolfger warf die Kippe in
die Dunkelheit hinaus.
Christoph hatte ihn begleiten wollen. Er war drauf und dran
gewesen. Und »ohne sie« hätte er das auch getan. Aber dann
kam Flora in ihrem grellroten Jaguar herangebraust, rauschte
mit zielstrebigem, von ihrem langen engen Rock nur leicht
gezügelten Schritt in die Empfangshalle der Villa und hüllte
alle Anwesenden mit dem Duft ihres Chanel No5 ein. Und
auf dem Gesicht seines Schülers war der unbeschreibliche Ausdruck
von schlecht kaschierter, dümmlicher Verliebtheit erschienen.
»Sind Sie sicher, dass Sie auf meine Begleitung verzichten
können, Maître?«
»Ich bin sicher. Du kannst gehen. Sie wird nicht lange auf
dich warten.«
»Ich kann das Treffen verschieben.«
»Das kannst du nicht. Sie hat dir schon das Halsband über-
gestreift. Es fehlt nur noch die Leine.«
Christoph lächelte. Ihn schreckte die Aussicht nicht, in die
Rolle des ergebenen Hundes dieser strahlenden Dachanawar-
Schönheit zu schlüpfen. Er war bereit, sein Los mit allen Konsequenzen
zu tragen.
»So geh schon. Sie wartet auf dich.«
Flora stand vor dem Monet und betrachtete das Gemälde mit
gelassener Neugier. Als sie seine Schritte vernahm, drehte sie
sich langsam um und streckte ihm lächelnd ihre Hand zum
Kuss entgegen.
»Meine sehr verehrte Dame. Sie sehen heute Nacht wunderschön
aus. Wie immer übrigens.«
»Guten Abend, unwiderstehlicher Christoph.« Flora lächelte
noch bezaubernder, und ihre Augen von der Farbe hellblauer
Topase leuchteten verschmitzt. »Sind Sie bereit, mich heute
Nacht zu begleiten?«
Es wäre dumm gewesen, abzulehnen und einer solchen Frau
den alten Lehrer und ein langweiliges geschäftliches Treffen
vorzuziehen.
23:45 Uhr.
Noch einmal blickte Wolfger auf die Uhr und erlaubte sich
eine kleine Gefühlsregung. Er runzelte die Stirn. Vor Ärger.
Derjenige, auf den er wartete, verspätete sich. Und diese Tatsache
war mindestens so seltsam wie der Ort, den jener für das
Treffen gewählt hatte. Sein Geschäftspartner war bekannt für
seine Pünktlichkeit.
War etwas passiert? Zu orakeln und die Varianten abzuwägen
hatte wenig Sinn. In diesen Zeiten waren die diplomatischen
Beziehungen alles andere als stabil. Ständig wechselten
die Allianzen. Es war unmöglich, die Ereignisse vorherzusehen.
Jeder suchte nur seinen eigenen Vorteil und eine Gelegenheit,
seinen Rivalen so empfindlich wie möglich zu treffen. Im Gro
ßen und Ganzen war alles beim Alten. Dieser Kleinkrieg dauerte
schon Jahre an. Aber diesmal war offenbar etwas Ernstes
vorgefallen. Wolfgers Unruhe wuchs.
Joe Dassin hatte sein Lied längst beendet, und jetzt erklang
ein primitives, extrem kitschiges Stück aus den Boxen. Der
Maître schaltete das Radio aus und lauschte dem Regen. Seiner
Ansicht nach war dieses Geräusch viel klangvoller und weniger
aufdringlich als moderne Musik. Er verstand sie nur selten
und mochte sie deshalb nicht. Wolfger vernahm die Schritte im
selben Moment wie die Katze. Das Tier hielt im Fressen inne
und stellte die Ohren auf, dann sprang es, entschlossen, kein
Risiko einzugehen, mit einem Satz vom Müllcontainer herunter
und versteckte sich im Kellerfenster eines verwahrlosten
Hauses.
Der Maître strengte seine Augen an, um die Gestalt zu erkennen,
die aus dem Torbogen hervortrat. Aber der Regen störte die
Sicht. Er konnte nur eine undeutliche Silhouette wahrnehmen.
Es war unmöglich zu sagen, wer genau dort am anderen Ende
der kurzen Gasse stand. Nur eines war sicher, es handelte sich
um einen Bruder. Das bedeutete, dass das Treffen trotz allem
stattfinden würde. Ausgezeichnet.
Unwillig verzog Wolfger das Gesicht, als ihm klar wurde,
dass der andere nicht zum Auto kommen würde. Jener winkte
nur und lud Wolfger mit einer Geste ein, ihm zu folgen. Dann
wandte er sich um und verschwand, ohne sich umzusehen, um
die Ecke.
Mit einer solchen Dreistigkeit hatte Wolfger nicht gerechnet.
Ich möchte wissen, wer dieser Grünschnabel ist, dachte er. Irgendein
Anfänger, der die Regeln nicht kennt ... Stand es wirklich
so schlecht, dass der andere sich schon vor seinem eigenen
Schatten fürchtete? Wovor hatte er Angst? Amir? Oder veranstalteten
Mikloschsoldaten mal wieder eine blutige Nacht?
Nachdenklich klopfte der Maître mit den Fingern auf das
Lenkrad. Nun gut. Er würde eine Ausnahme machen und nach
den Regeln des Gastgebers spielen. Er zog den Schlüssel aus
dem Zündschloss, steckte ihn in die Jackentasche, griff nach
dem Mantel auf dem Beifahrersitz und stieg aus dem Wagen.
Zu allem Übel verstärkte sich der Regen in diesem Moment.
Der hochgeschlagene Kragen erwies sich als nutzlos. Mit einem
letzten Blick auf die verwaiste Straße machte sich Wolfger
daran, seinem Verwandten zu folgen. Er kam nicht weit. Die
Männer erschienen aus dem Nichts. Sieben an der Zahl. Kräftige
Kerle mit Waffen in den Händen. Der Maître wartete nicht,
bis sie ihm ihre Wünsche vortrugen. In dem strömenden Regen
würde er keine langatmigen Gespräche führen und erst recht
nicht fremden Forderungen nachkommen.
Für einen kurzen Moment fühlte Wolfger Enttäuschung. Hatten
sie so wenig Achtung vor ihm, dass sie ihm eine solche Farce
bereiteten? Ja, sogar Menschen hinzuzogen? Noch der letzte Idiot
hätte begriffen, dass dies eine Falle war. Was für ein sinnloser
Plan. Stümperhaft. Armselig. Sollte das wirklich eine Initiative
der Nachttöter sein? Ohne Mikloschs Wissen? Denn der hätte
eine solche Dummheit niemals zugelassen. Wenn der zuschlug,
dann traf er auch. Verächtlich verzog der Maître die Lippen und
schnippte mit den Fingern der linken Hand. Die sieben fielen
wie ein Mann. Auf den nassen, von Schlaglöchern übersäten
Asphalt. In die Pfützen. In den herumliegenden Müll.
Er sah nicht zu ihnen hin. Wer an einem plötzlichen Herzstillstand
stirbt, stellt kein Risiko mehr dar. Aber jener, der ihn
in diese Falle gelockt hatte und sich im Durchgang verbarg, der
konnte ihm gefährlich werden. Die Minuten verstrichen, eine
nach der anderen, und Wolfger rührte sich nicht von der Stelle.
Er wartete. Er lauschte in das Rascheln des Regens hinein,
der seine Haare völlig durchnässte, ihm übers Gesicht lief und
in seinen Kragen tropfte. Erst nach einer Viertelstunde gestattete
sich der Meister eine gewisse Entspannung. Offenbar war
seinem Herausforderer klar geworden, dass der Plan gescheitert
war, und Hals über Kopf hatte er das Weite gesucht. Nur zu
gern würde Wolfger wissen, wer es gewesen war.
Er trat auf den nächstliegenden Leichnam zu und stieß mit
der Schuhspitze gegen die Pistole in der Hand des Toten. Was
hatten sie sich bloß dabei gedacht? Die Clans schienen endgültig
durchzudrehen. Merkwürdig ... diese Kerle sahen ganz und
gar nicht nach menschlichen Söldnern aus. Hatten nicht die
Klasse. Alles war viel zu schlampig für die professionellen
Kämpfer, die Miklosch in der Regel anheuerte. Er beugte sich
über den Toten.
Er könnte ihn wiederbeleben und dafür sorgen, dass der
Mann ihm die Wahrheit erzählte.
Ein feiner Strahl nekromantischer Magie drang in den Leichnam
ein. Aufs Äußerste konzentriert, befüllte Wolfger die toten
Zellen des Leichnams mit seiner Kraft. Sorgfältig achtete er
darauf, nicht aus Versehen das Gehirn zu beschädigen, andernfalls
würde er niemals mehr artikulierte Antworten auf seine
Fragen erhalten. Ein blöder Zombie wäre völlig nutzlos.
Während er arbeitete, blieb er doch intuitiv wachsam und
lauschte. Der Regen raschelte, mit einem leisen Röcheln saugten
sich die Lungen des Reanimierten mit Luft voll, dumpf begann
das Herz zu pochen. Alles war ruhig. Keine Gefahr, und
dennoch beunruhigte ihn etwas vage, mahnte zur Vorsicht ...
Dieser letzte Gedanke hatte noch keine Gestalt in seinem
Kopf angenommen, als Wolfger bereits zu handeln begann. Er
warf sich nach vorne links und beschwor gleichzeitig einen
»Nachtschleier«. Aber es war zu spät.
Frost überzog seinen Rücken, und er stürzte auf die Knie. Augenblicklich
drang die Kälte in seine Nervenbahnen ein, erfasste
seine Synapsen und Neuronen. Fesselte seine Muskeln,
lähmte seinen Körper, schnitt seinen Willen ab. Der unbekannte
Feind hatte ihn der Fähigkeit beraubt, seine Magie einzusetzen.
Sie hatten ihn erwischt wie einen dummen, gedankenlosen
Grünschnabel. Sie hatten ihn herausgelockt aus seiner
Deckung, seine Wachsamkeit zerstreut und von hinten zugeschlagen.
Was die einzige Möglichkeit war, ihn zu besiegen.
Von Angesicht zu Angesicht hätte nicht einer der Ältesten eine
Chance gehabt. Und jetzt spürte der Zauberer, dass der von seinem
Widersacher angewendete »Kuss der Medusa« um das
Zehnfache, wenn nicht Zwanzigfache verstärkt wurde. An dieser
lähmenden Beschwörungsformel wirkte nicht ein einzelner
Blutsbruder, sondern mehrere. Und ganz sicher nicht die
schwächsten Vertreter ...
Das Geräusch heranfahrender Autos war zu hören. Türen-
schlagen, Schritte auf dem nassen Boden.
»Packt den Körper ein. Herrn Wolfger Wladislaw erwartet
eine lange Reise. Jemand schafft den Bentley weg, und zwar so,
dass er für immer unauffindbar ist.«
Der Maître empfand vollkommene Verzweiflung. Hauptsächlich
über seine eigene Kurzsichtigkeit. Wer allzu lange lebte,
begann früher oder später an die eigene Unverwundbarkeit
zu glauben, und dann beging er einen Fehler.
Nach wenigen Minuten gab es in der dunklen Straße keine
Spur mehr von dem Vorfall. Die Leichen waren verschwunden,
die Autos abgefahren. Wieder herrschten Dunkelheit und
Regen.
Die hungrige Katze schlich vorsichtig aus ihrem Versteck,
sah sich um, und als sie begriff, dass die Gefahr vorbei war,
steuerte sie wieder den Müllcontainer an.
»Und - gefällt sie dir?«, vernahm ich Christophs Flüstern hinter
mir. Ich brummte nur zustimmend.
Sie stand unter einer Straßenlaterne und hatte die Arme auf
das Brückengeländer gelegt. Der Wind zerrte an ihren blonden
Haaren. Ich folgte dem jungen Mädchen schon seit einigen
Tagen.
»Worauf wartest du dann?« Wieder erklang Chris' allgegenwärtige
Stimme. »Geh doch endlich rüber und bring es hinter
dich.«
»Ich weiß nicht.«
»Unsinn. Nun geh schon. Ich warte auf dich.«
Es war etwas Merkwürdiges an diesem jungen Mädchen.
Etwas Ungewöhnliches, das ich nicht fassen konnte. Ich wusste
nicht, warum sie mich beunruhigte. Es war, als wehte eine
frische Brise von ihr herüber. Der kalte Luftstrom von einem
Gletscher. Und dabei ging es mir nicht mal um ihr reines Blut,
obwohl ich spüren konnte, dass es nicht von Drogen, Nikotin
oder Alkohol verseucht war.
»Gruppe null Rhesus positiv«, hörte ich Chris murmeln.
Als er meinen unwilligen Gesichtsausdruck sah, lächelte er
spöttisch.
»Achte nicht drauf. Ich habe nur laut gedacht.« Er wandte
sich ab und verschwand in der dunklen, zugigen Straße.
Das Mädchen schien von einer Aureole goldenen Sonnenlichts
umgeben zu sein. Sie hob den Kopf, um mit den Augen
den Flug eines weißen Nachtfalters zu verfolgen, und ich konnte
ein Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Das Lächeln erstarb,
als sie mich neben sich bemerkte.
»Hallo. Ich hoffe, ich störe nicht.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und blickte sich etwas
verloren um.
»Darrel«, sagte ich leise und begann gleichzeitig, unaufdringlich
auf das Bewusstsein des Mädchens einzuwirken. Ganz wenig,
nur so viel, dass es unerwartet etwas Zutrauen zu mir verspüren
könnte.
»Lorraine.«
Ihre Stimme hatte ich schon einmal gehört. Klar und sanft
und weich wie diese Herbstnacht. Am vergangenen Sonntag
am Kurski-Bahnhof, als sie genau einen Halbsatz gesagt hatte,
ehe sie in einem gelben Taxi davonfuhr: »Botanitscheski-Straße,
bitte.«
»Gehst du gern nachts spazieren?«
»Ja«, antwortete sie leicht und sorglos. »Ja, ich mag es sehr.«
Unter ihren langen Wimpern hervor warf sie mir einen kurzen
Blick zu.
Sie fing schon an, sich an mich zu gewöhnen. Hatte das erste
Stadium des Erkennens durchlaufen. Jetzt müsste sie sich bereits
so fühlen, als wäre sie in Gesellschaft eines Bekannten. Sie
blickte wieder zu mir.
»Es ist eine schöne Angewohnheit.«
Schon gingen wir nebeneinander die Straße entlang, von
einer Laterne zur nächsten, während unsere Schatten mal kürzer,
mal länger vor uns her glitten. Immer wieder warf sie neugierige
Blicke zu mir herüber, war jedoch zu schüchtern, um
mich unverhohlen zu betrachten. Immerhin fühlte sie sich
nicht bedrängt, sondern ganz selbstverständlich in meiner Gesellschaft.
Und ich war nicht darauf angewiesen, sie direkt
anzublicken. Ich sah sie vor meinem inneren Auge: die Gletscherbrise,
den kalten, steten Luftstrom und das Licht, das leicht
milchige Licht eines sonnigen Herbsttages.
Und ich kannte ihren Wimpernschlag bereits, ihre vor Kälte
geröteten Ohrläppchen, ihre goldenen Locken, die der Wind
ihr ins Gesicht blies. Ich kannte ihre blauen Augen, die das kalte
Straßenlicht, den schwarzen Fluss und in diesem Moment
sogar mein Profil reflektierten.
»Wollen wir reingehen?«
Ich wies auf die hell erleuchteten Fenster einer Nachtbar
und vernahm augenblicklich ein leises Ja als Antwort.
Drinnen war es warm, die Musik spielte gedämpft, Zigarettenrauch
hing in schweren, grauen Schwaden in der Luft.
An einem Tisch sah ich Bert sitzen. Er war nicht allein. Aber ich
kannte seine Freundin nicht, obgleich diese lächelnd die Hand
hob. Bert dagegen nickte kalt und wandte sich ab, was mich
nicht erstaunte.
Lorraine bemerkte den Austausch bedeutungsvoller Blicke,
und ihre Augen flackerten vor kindlicher Neugier. Ich bestellte
einen roten Martini für mich und einen leichten französischen
Weißwein für sie. Sie lächelte über meine Wahl.
»Woher weißt du, dass ich Aligoté mag?«
Ich dachte, dass ihre Haarfarbe der Farbe ihres Weins glich,
aber ich antwortete nicht, sondern hob nur mein Glas.
Als sie ihren Kopf von mir abwandte, um sich umzusehen,
wurde eine zarte Blutader an ihrem Hals sichtbar, die direkt unter
der Haut heftig pochte ... Ich hatte das Gefühl, den Geruch ihres
Blutes zu riechen. Meine Lippen glühten, und ich presste eilig
das kühlende Glas an meinen Mund, um die Hitze zu lindern.
Lorraine blickte jetzt zum Fenster hinaus. Auf der anderen
Straßenseite hing ein gigantisches Plakat mit einer SchwarzWeiß-
Fotografie, das die Aufführung einer Oper im Gothic-Stil
ankündigte. Ich konnte spontanes Bedauern in ihren Gefühlen
spüren. Sie dachte daran, dass sie nicht die geringste Chance
hatte, diese Premiere der Saison zu erleben.
Ich nickte zu dem Plakat hinüber.
»Würdest du gern in die Oper gehen?«
Sie sah mich etwas spöttisch an.
»Die Karten sind längst ausverkauft, ich hab mich erkundigt.
Außerdem sind sie extrem teuer.«
»Wer auf der Gästeliste steht, kommt umsonst rein. Ich habe
einen guten Bekannten, der dafür sorgen kann.«
»Wer ist er? Der Opernintendant?«
»Nein. Er singt die Titelpartie.«
Das Mädchen lächelte ungläubig und sagte herausfordernd:
»Hemran Vance singt die Titelpartie im ›Phantom‹.«
Aber sie hatte mich nicht bei einer Lüge erwischt. Ich kannte
ihn tatsächlich, den berühmten britischen Rocksänger, der in
den letzten Jahren zu einem der größten Idole der heutigen Jugend
avanciert war. Als ich das Lorraine sagte, wurden ihre Augen
vor Erstaunen ganz groß und rund. Sie betrachtete mich
mit grenzenloser Freude und Bewunderung.
»Das ist nicht dein Ernst! Du kennst ihn wirklich? Wie lange
schon?« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.
»Schon ziemlich lange. Wenn du willst, kann ich dich mit
ihm bekanntmachen.«
»Das glaub ich nicht«, rief sie laut aus, um sich gleich darauf
peinlich berührt umzusehen. Bert stierte in sein Glas. Seine
Freundin lächelte den Barmixer an. Keiner kümmerte sich um
uns. Lorraine beruhigte sich und fuhr fort, ihre Begeisterung
zum Ausdruck zu bringen, diesmal um einige Dezibel leiser.
»Ich hätte furchtbar gern ein Autogramm von ihm. Wann könnte
ich ihn treffen?«
»Morgen. Wir sehen uns die Vorstellung an, und danach
stell ich ihn dir vor.« Ich legte Geld auf den Tisch und stand auf.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich den Abend so zügig
beenden würde. Ein Ausdruck der Überraschung huschte über
ihr Gesicht, verschwand aber sogleich wieder.
»Also morgen um Viertel vor neun im Foyer der Oper.«
In dem dichten Blau ihrer Augen blitzten weiche Lichtreflexe
auf. Wie die Strahlen der aufgehenden Sonne. Einige Sekunden
betrachtete ich dieses Wunder ergriffen, ehe ich mich
abwandte und die Bar verließ.
Die Sterne verloschen bereits einer nach dem anderen. Über
den erwachenden Fluss strömte kalte Luft hinweg. Die nächtliche
Dunkelheit glitt am durchsichtigen Himmel langsam
in Richtung Westen, um dem Sonnenaufgang Platz zu machen
...
Natürlich hatte Christoph nicht gewartet. Aber ich schaffte
es noch. Wie immer. Die ersten Strahlen brachen am Horizont
hervor, als ich die Tür hinter mir schloss.
Das Operngebäude war im vorletzten Jahrhundert errichtet
worden. Ein mächtiger Bau aus grauem Stein, der von Säulen,
Copyright © 2011 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld
Herstellung: Helga Schörnig
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-26690-2
www.heyne.de
Wolfger Wladislaw war der Meinung, dass die Menschen
immer verrückter wurden. Ständig dachten sie sich etwas Neues
aus. Versuchten verzweifelt, sich selbst zu vergessen, wenigstens
für eine kurze Zeit, versuchten Freiheit zu empfinden,
alles, was ihre Existenz störte, loszuwerden: Gesetze, Konventionen,
Politik, Moral, die Ansichten der Menschen in ihrer
Umgebung. Versuchten alles auszublenden und sich über den
Schmutz zu erheben, und falls das nicht gelang, wurden sie
eben selbst zu Abfall. Sie wandten sich gegen alles in der Hoffnung,
den herben Geschmack des Lebens zu empfinden, nur
um früher oder später doch zu sterben. So war es früher gewesen,
so würde es immer sein. Eine unausweichliche Gesetzmäßigkeit.
Der Tod ereilte sie alle. Der Mann lächelte in sich
hinein. Nun ja ... fast alle.
Gelegentlich gab es Ausnahmen.
Auf einem Container hockte eine Katze und wühlte mit den
Pfoten nach Essensresten. Wolfger saß schon fünf Minuten reglos
da und beobachtete das Tier. Es spürte seine Gegenwart. Anfangs
hatte es sich sogar zurückgezogen, aber sein Hunger war
stärker als sein Selbsterhaltungstrieb. Außerdem machte der
Fremde keinen Versuch, die Katze anzugreifen. Daher hatte sie
sich nach einigem Zögern wieder an ihre Mahlzeit gemacht.
Aber sie blieb wachsam, schlang die Bissen herunter und brachte
mit ihrer Haltung deutlich zum Ausdruck, dass sie so bald
wie möglich das Weite suchen würde.
Gedämpft drang eine Polizeisirene durch den Regenschleier
und verhallte nach wenigen Sekunden in der Ferne. In diesem
Stadtteil, der aus krummen Straßen, Hinterhöfen und Sackgas-
sen bestand, ließen sich selten Polizisten blicken. Sie mochten
die Gegend nicht. Zu viel Arbeit. Zu viele Probleme. Damit
wollten sie nichts zu tun haben. Nicht bei der Bezahlung. Es
war viel angenehmer, auf den hell erleuchteten Boulevards der
Hauptstadt zu patrouillieren, als in diesen Sumpf vorzudringen,
aus dem man nur herausfand, indem man jede Menge Berichte
schrieb, die keiner lesen wollte.
23:38 Uhr.
Radio und Regen sangen einstimmig. Joe Dassin erklärte der
Welt mit melancholischer Stimme, was »ohne dich« aus ihm geworden
wäre. Ein schönes Lied.
Die Zigarette war abgebrannt, und Wolfger warf die Kippe in
die Dunkelheit hinaus.
Christoph hatte ihn begleiten wollen. Er war drauf und dran
gewesen. Und »ohne sie« hätte er das auch getan. Aber dann
kam Flora in ihrem grellroten Jaguar herangebraust, rauschte
mit zielstrebigem, von ihrem langen engen Rock nur leicht
gezügelten Schritt in die Empfangshalle der Villa und hüllte
alle Anwesenden mit dem Duft ihres Chanel No5 ein. Und
auf dem Gesicht seines Schülers war der unbeschreibliche Ausdruck
von schlecht kaschierter, dümmlicher Verliebtheit erschienen.
»Sind Sie sicher, dass Sie auf meine Begleitung verzichten
können, Maître?«
»Ich bin sicher. Du kannst gehen. Sie wird nicht lange auf
dich warten.«
»Ich kann das Treffen verschieben.«
»Das kannst du nicht. Sie hat dir schon das Halsband über-
gestreift. Es fehlt nur noch die Leine.«
Christoph lächelte. Ihn schreckte die Aussicht nicht, in die
Rolle des ergebenen Hundes dieser strahlenden Dachanawar-
Schönheit zu schlüpfen. Er war bereit, sein Los mit allen Konsequenzen
zu tragen.
»So geh schon. Sie wartet auf dich.«
Flora stand vor dem Monet und betrachtete das Gemälde mit
gelassener Neugier. Als sie seine Schritte vernahm, drehte sie
sich langsam um und streckte ihm lächelnd ihre Hand zum
Kuss entgegen.
»Meine sehr verehrte Dame. Sie sehen heute Nacht wunderschön
aus. Wie immer übrigens.«
»Guten Abend, unwiderstehlicher Christoph.« Flora lächelte
noch bezaubernder, und ihre Augen von der Farbe hellblauer
Topase leuchteten verschmitzt. »Sind Sie bereit, mich heute
Nacht zu begleiten?«
Es wäre dumm gewesen, abzulehnen und einer solchen Frau
den alten Lehrer und ein langweiliges geschäftliches Treffen
vorzuziehen.
23:45 Uhr.
Noch einmal blickte Wolfger auf die Uhr und erlaubte sich
eine kleine Gefühlsregung. Er runzelte die Stirn. Vor Ärger.
Derjenige, auf den er wartete, verspätete sich. Und diese Tatsache
war mindestens so seltsam wie der Ort, den jener für das
Treffen gewählt hatte. Sein Geschäftspartner war bekannt für
seine Pünktlichkeit.
War etwas passiert? Zu orakeln und die Varianten abzuwägen
hatte wenig Sinn. In diesen Zeiten waren die diplomatischen
Beziehungen alles andere als stabil. Ständig wechselten
die Allianzen. Es war unmöglich, die Ereignisse vorherzusehen.
Jeder suchte nur seinen eigenen Vorteil und eine Gelegenheit,
seinen Rivalen so empfindlich wie möglich zu treffen. Im Gro
ßen und Ganzen war alles beim Alten. Dieser Kleinkrieg dauerte
schon Jahre an. Aber diesmal war offenbar etwas Ernstes
vorgefallen. Wolfgers Unruhe wuchs.
Joe Dassin hatte sein Lied längst beendet, und jetzt erklang
ein primitives, extrem kitschiges Stück aus den Boxen. Der
Maître schaltete das Radio aus und lauschte dem Regen. Seiner
Ansicht nach war dieses Geräusch viel klangvoller und weniger
aufdringlich als moderne Musik. Er verstand sie nur selten
und mochte sie deshalb nicht. Wolfger vernahm die Schritte im
selben Moment wie die Katze. Das Tier hielt im Fressen inne
und stellte die Ohren auf, dann sprang es, entschlossen, kein
Risiko einzugehen, mit einem Satz vom Müllcontainer herunter
und versteckte sich im Kellerfenster eines verwahrlosten
Hauses.
Der Maître strengte seine Augen an, um die Gestalt zu erkennen,
die aus dem Torbogen hervortrat. Aber der Regen störte die
Sicht. Er konnte nur eine undeutliche Silhouette wahrnehmen.
Es war unmöglich zu sagen, wer genau dort am anderen Ende
der kurzen Gasse stand. Nur eines war sicher, es handelte sich
um einen Bruder. Das bedeutete, dass das Treffen trotz allem
stattfinden würde. Ausgezeichnet.
Unwillig verzog Wolfger das Gesicht, als ihm klar wurde,
dass der andere nicht zum Auto kommen würde. Jener winkte
nur und lud Wolfger mit einer Geste ein, ihm zu folgen. Dann
wandte er sich um und verschwand, ohne sich umzusehen, um
die Ecke.
Mit einer solchen Dreistigkeit hatte Wolfger nicht gerechnet.
Ich möchte wissen, wer dieser Grünschnabel ist, dachte er. Irgendein
Anfänger, der die Regeln nicht kennt ... Stand es wirklich
so schlecht, dass der andere sich schon vor seinem eigenen
Schatten fürchtete? Wovor hatte er Angst? Amir? Oder veranstalteten
Mikloschsoldaten mal wieder eine blutige Nacht?
Nachdenklich klopfte der Maître mit den Fingern auf das
Lenkrad. Nun gut. Er würde eine Ausnahme machen und nach
den Regeln des Gastgebers spielen. Er zog den Schlüssel aus
dem Zündschloss, steckte ihn in die Jackentasche, griff nach
dem Mantel auf dem Beifahrersitz und stieg aus dem Wagen.
Zu allem Übel verstärkte sich der Regen in diesem Moment.
Der hochgeschlagene Kragen erwies sich als nutzlos. Mit einem
letzten Blick auf die verwaiste Straße machte sich Wolfger
daran, seinem Verwandten zu folgen. Er kam nicht weit. Die
Männer erschienen aus dem Nichts. Sieben an der Zahl. Kräftige
Kerle mit Waffen in den Händen. Der Maître wartete nicht,
bis sie ihm ihre Wünsche vortrugen. In dem strömenden Regen
würde er keine langatmigen Gespräche führen und erst recht
nicht fremden Forderungen nachkommen.
Für einen kurzen Moment fühlte Wolfger Enttäuschung. Hatten
sie so wenig Achtung vor ihm, dass sie ihm eine solche Farce
bereiteten? Ja, sogar Menschen hinzuzogen? Noch der letzte Idiot
hätte begriffen, dass dies eine Falle war. Was für ein sinnloser
Plan. Stümperhaft. Armselig. Sollte das wirklich eine Initiative
der Nachttöter sein? Ohne Mikloschs Wissen? Denn der hätte
eine solche Dummheit niemals zugelassen. Wenn der zuschlug,
dann traf er auch. Verächtlich verzog der Maître die Lippen und
schnippte mit den Fingern der linken Hand. Die sieben fielen
wie ein Mann. Auf den nassen, von Schlaglöchern übersäten
Asphalt. In die Pfützen. In den herumliegenden Müll.
Er sah nicht zu ihnen hin. Wer an einem plötzlichen Herzstillstand
stirbt, stellt kein Risiko mehr dar. Aber jener, der ihn
in diese Falle gelockt hatte und sich im Durchgang verbarg, der
konnte ihm gefährlich werden. Die Minuten verstrichen, eine
nach der anderen, und Wolfger rührte sich nicht von der Stelle.
Er wartete. Er lauschte in das Rascheln des Regens hinein,
der seine Haare völlig durchnässte, ihm übers Gesicht lief und
in seinen Kragen tropfte. Erst nach einer Viertelstunde gestattete
sich der Meister eine gewisse Entspannung. Offenbar war
seinem Herausforderer klar geworden, dass der Plan gescheitert
war, und Hals über Kopf hatte er das Weite gesucht. Nur zu
gern würde Wolfger wissen, wer es gewesen war.
Er trat auf den nächstliegenden Leichnam zu und stieß mit
der Schuhspitze gegen die Pistole in der Hand des Toten. Was
hatten sie sich bloß dabei gedacht? Die Clans schienen endgültig
durchzudrehen. Merkwürdig ... diese Kerle sahen ganz und
gar nicht nach menschlichen Söldnern aus. Hatten nicht die
Klasse. Alles war viel zu schlampig für die professionellen
Kämpfer, die Miklosch in der Regel anheuerte. Er beugte sich
über den Toten.
Er könnte ihn wiederbeleben und dafür sorgen, dass der
Mann ihm die Wahrheit erzählte.
Ein feiner Strahl nekromantischer Magie drang in den Leichnam
ein. Aufs Äußerste konzentriert, befüllte Wolfger die toten
Zellen des Leichnams mit seiner Kraft. Sorgfältig achtete er
darauf, nicht aus Versehen das Gehirn zu beschädigen, andernfalls
würde er niemals mehr artikulierte Antworten auf seine
Fragen erhalten. Ein blöder Zombie wäre völlig nutzlos.
Während er arbeitete, blieb er doch intuitiv wachsam und
lauschte. Der Regen raschelte, mit einem leisen Röcheln saugten
sich die Lungen des Reanimierten mit Luft voll, dumpf begann
das Herz zu pochen. Alles war ruhig. Keine Gefahr, und
dennoch beunruhigte ihn etwas vage, mahnte zur Vorsicht ...
Dieser letzte Gedanke hatte noch keine Gestalt in seinem
Kopf angenommen, als Wolfger bereits zu handeln begann. Er
warf sich nach vorne links und beschwor gleichzeitig einen
»Nachtschleier«. Aber es war zu spät.
Frost überzog seinen Rücken, und er stürzte auf die Knie. Augenblicklich
drang die Kälte in seine Nervenbahnen ein, erfasste
seine Synapsen und Neuronen. Fesselte seine Muskeln,
lähmte seinen Körper, schnitt seinen Willen ab. Der unbekannte
Feind hatte ihn der Fähigkeit beraubt, seine Magie einzusetzen.
Sie hatten ihn erwischt wie einen dummen, gedankenlosen
Grünschnabel. Sie hatten ihn herausgelockt aus seiner
Deckung, seine Wachsamkeit zerstreut und von hinten zugeschlagen.
Was die einzige Möglichkeit war, ihn zu besiegen.
Von Angesicht zu Angesicht hätte nicht einer der Ältesten eine
Chance gehabt. Und jetzt spürte der Zauberer, dass der von seinem
Widersacher angewendete »Kuss der Medusa« um das
Zehnfache, wenn nicht Zwanzigfache verstärkt wurde. An dieser
lähmenden Beschwörungsformel wirkte nicht ein einzelner
Blutsbruder, sondern mehrere. Und ganz sicher nicht die
schwächsten Vertreter ...
Das Geräusch heranfahrender Autos war zu hören. Türen-
schlagen, Schritte auf dem nassen Boden.
»Packt den Körper ein. Herrn Wolfger Wladislaw erwartet
eine lange Reise. Jemand schafft den Bentley weg, und zwar so,
dass er für immer unauffindbar ist.«
Der Maître empfand vollkommene Verzweiflung. Hauptsächlich
über seine eigene Kurzsichtigkeit. Wer allzu lange lebte,
begann früher oder später an die eigene Unverwundbarkeit
zu glauben, und dann beging er einen Fehler.
Nach wenigen Minuten gab es in der dunklen Straße keine
Spur mehr von dem Vorfall. Die Leichen waren verschwunden,
die Autos abgefahren. Wieder herrschten Dunkelheit und
Regen.
Die hungrige Katze schlich vorsichtig aus ihrem Versteck,
sah sich um, und als sie begriff, dass die Gefahr vorbei war,
steuerte sie wieder den Müllcontainer an.
»Und - gefällt sie dir?«, vernahm ich Christophs Flüstern hinter
mir. Ich brummte nur zustimmend.
Sie stand unter einer Straßenlaterne und hatte die Arme auf
das Brückengeländer gelegt. Der Wind zerrte an ihren blonden
Haaren. Ich folgte dem jungen Mädchen schon seit einigen
Tagen.
»Worauf wartest du dann?« Wieder erklang Chris' allgegenwärtige
Stimme. »Geh doch endlich rüber und bring es hinter
dich.«
»Ich weiß nicht.«
»Unsinn. Nun geh schon. Ich warte auf dich.«
Es war etwas Merkwürdiges an diesem jungen Mädchen.
Etwas Ungewöhnliches, das ich nicht fassen konnte. Ich wusste
nicht, warum sie mich beunruhigte. Es war, als wehte eine
frische Brise von ihr herüber. Der kalte Luftstrom von einem
Gletscher. Und dabei ging es mir nicht mal um ihr reines Blut,
obwohl ich spüren konnte, dass es nicht von Drogen, Nikotin
oder Alkohol verseucht war.
»Gruppe null Rhesus positiv«, hörte ich Chris murmeln.
Als er meinen unwilligen Gesichtsausdruck sah, lächelte er
spöttisch.
»Achte nicht drauf. Ich habe nur laut gedacht.« Er wandte
sich ab und verschwand in der dunklen, zugigen Straße.
Das Mädchen schien von einer Aureole goldenen Sonnenlichts
umgeben zu sein. Sie hob den Kopf, um mit den Augen
den Flug eines weißen Nachtfalters zu verfolgen, und ich konnte
ein Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Das Lächeln erstarb,
als sie mich neben sich bemerkte.
»Hallo. Ich hoffe, ich störe nicht.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und blickte sich etwas
verloren um.
»Darrel«, sagte ich leise und begann gleichzeitig, unaufdringlich
auf das Bewusstsein des Mädchens einzuwirken. Ganz wenig,
nur so viel, dass es unerwartet etwas Zutrauen zu mir verspüren
könnte.
»Lorraine.«
Ihre Stimme hatte ich schon einmal gehört. Klar und sanft
und weich wie diese Herbstnacht. Am vergangenen Sonntag
am Kurski-Bahnhof, als sie genau einen Halbsatz gesagt hatte,
ehe sie in einem gelben Taxi davonfuhr: »Botanitscheski-Straße,
bitte.«
»Gehst du gern nachts spazieren?«
»Ja«, antwortete sie leicht und sorglos. »Ja, ich mag es sehr.«
Unter ihren langen Wimpern hervor warf sie mir einen kurzen
Blick zu.
Sie fing schon an, sich an mich zu gewöhnen. Hatte das erste
Stadium des Erkennens durchlaufen. Jetzt müsste sie sich bereits
so fühlen, als wäre sie in Gesellschaft eines Bekannten. Sie
blickte wieder zu mir.
»Es ist eine schöne Angewohnheit.«
Schon gingen wir nebeneinander die Straße entlang, von
einer Laterne zur nächsten, während unsere Schatten mal kürzer,
mal länger vor uns her glitten. Immer wieder warf sie neugierige
Blicke zu mir herüber, war jedoch zu schüchtern, um
mich unverhohlen zu betrachten. Immerhin fühlte sie sich
nicht bedrängt, sondern ganz selbstverständlich in meiner Gesellschaft.
Und ich war nicht darauf angewiesen, sie direkt
anzublicken. Ich sah sie vor meinem inneren Auge: die Gletscherbrise,
den kalten, steten Luftstrom und das Licht, das leicht
milchige Licht eines sonnigen Herbsttages.
Und ich kannte ihren Wimpernschlag bereits, ihre vor Kälte
geröteten Ohrläppchen, ihre goldenen Locken, die der Wind
ihr ins Gesicht blies. Ich kannte ihre blauen Augen, die das kalte
Straßenlicht, den schwarzen Fluss und in diesem Moment
sogar mein Profil reflektierten.
»Wollen wir reingehen?«
Ich wies auf die hell erleuchteten Fenster einer Nachtbar
und vernahm augenblicklich ein leises Ja als Antwort.
Drinnen war es warm, die Musik spielte gedämpft, Zigarettenrauch
hing in schweren, grauen Schwaden in der Luft.
An einem Tisch sah ich Bert sitzen. Er war nicht allein. Aber ich
kannte seine Freundin nicht, obgleich diese lächelnd die Hand
hob. Bert dagegen nickte kalt und wandte sich ab, was mich
nicht erstaunte.
Lorraine bemerkte den Austausch bedeutungsvoller Blicke,
und ihre Augen flackerten vor kindlicher Neugier. Ich bestellte
einen roten Martini für mich und einen leichten französischen
Weißwein für sie. Sie lächelte über meine Wahl.
»Woher weißt du, dass ich Aligoté mag?«
Ich dachte, dass ihre Haarfarbe der Farbe ihres Weins glich,
aber ich antwortete nicht, sondern hob nur mein Glas.
Als sie ihren Kopf von mir abwandte, um sich umzusehen,
wurde eine zarte Blutader an ihrem Hals sichtbar, die direkt unter
der Haut heftig pochte ... Ich hatte das Gefühl, den Geruch ihres
Blutes zu riechen. Meine Lippen glühten, und ich presste eilig
das kühlende Glas an meinen Mund, um die Hitze zu lindern.
Lorraine blickte jetzt zum Fenster hinaus. Auf der anderen
Straßenseite hing ein gigantisches Plakat mit einer SchwarzWeiß-
Fotografie, das die Aufführung einer Oper im Gothic-Stil
ankündigte. Ich konnte spontanes Bedauern in ihren Gefühlen
spüren. Sie dachte daran, dass sie nicht die geringste Chance
hatte, diese Premiere der Saison zu erleben.
Ich nickte zu dem Plakat hinüber.
»Würdest du gern in die Oper gehen?«
Sie sah mich etwas spöttisch an.
»Die Karten sind längst ausverkauft, ich hab mich erkundigt.
Außerdem sind sie extrem teuer.«
»Wer auf der Gästeliste steht, kommt umsonst rein. Ich habe
einen guten Bekannten, der dafür sorgen kann.«
»Wer ist er? Der Opernintendant?«
»Nein. Er singt die Titelpartie.«
Das Mädchen lächelte ungläubig und sagte herausfordernd:
»Hemran Vance singt die Titelpartie im ›Phantom‹.«
Aber sie hatte mich nicht bei einer Lüge erwischt. Ich kannte
ihn tatsächlich, den berühmten britischen Rocksänger, der in
den letzten Jahren zu einem der größten Idole der heutigen Jugend
avanciert war. Als ich das Lorraine sagte, wurden ihre Augen
vor Erstaunen ganz groß und rund. Sie betrachtete mich
mit grenzenloser Freude und Bewunderung.
»Das ist nicht dein Ernst! Du kennst ihn wirklich? Wie lange
schon?« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.
»Schon ziemlich lange. Wenn du willst, kann ich dich mit
ihm bekanntmachen.«
»Das glaub ich nicht«, rief sie laut aus, um sich gleich darauf
peinlich berührt umzusehen. Bert stierte in sein Glas. Seine
Freundin lächelte den Barmixer an. Keiner kümmerte sich um
uns. Lorraine beruhigte sich und fuhr fort, ihre Begeisterung
zum Ausdruck zu bringen, diesmal um einige Dezibel leiser.
»Ich hätte furchtbar gern ein Autogramm von ihm. Wann könnte
ich ihn treffen?«
»Morgen. Wir sehen uns die Vorstellung an, und danach
stell ich ihn dir vor.« Ich legte Geld auf den Tisch und stand auf.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich den Abend so zügig
beenden würde. Ein Ausdruck der Überraschung huschte über
ihr Gesicht, verschwand aber sogleich wieder.
»Also morgen um Viertel vor neun im Foyer der Oper.«
In dem dichten Blau ihrer Augen blitzten weiche Lichtreflexe
auf. Wie die Strahlen der aufgehenden Sonne. Einige Sekunden
betrachtete ich dieses Wunder ergriffen, ehe ich mich
abwandte und die Bar verließ.
Die Sterne verloschen bereits einer nach dem anderen. Über
den erwachenden Fluss strömte kalte Luft hinweg. Die nächtliche
Dunkelheit glitt am durchsichtigen Himmel langsam
in Richtung Westen, um dem Sonnenaufgang Platz zu machen
...
Natürlich hatte Christoph nicht gewartet. Aber ich schaffte
es noch. Wie immer. Die ersten Strahlen brachen am Horizont
hervor, als ich die Tür hinter mir schloss.
Das Operngebäude war im vorletzten Jahrhundert errichtet
worden. Ein mächtiger Bau aus grauem Stein, der von Säulen,
Copyright © 2011 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld
Herstellung: Helga Schörnig
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-26690-2
www.heyne.de
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Autoren-Porträt von Lena Meydan
Lena Meydan ist eine mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin aus Russland. Sie wurde bereits mit dem Silbernen Kaduzej ausgezeichnet, dem höchsten Literaturpreis der russischen Phantastik.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lena Meydan
- 2011, 559 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Anja Freckmann
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453266900
- ISBN-13: 9783453266902
Rezension zu „Der Clan der Vampire “
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