Der Sommer, in dem ich Vampir wurde
Der unscheinbare sechzehnjährige Finbar Frame ist in Sachen Mädchen ein absoluter Loser. Als er davon Wind bekommt, dass seine Mitschülerinnen total dem Vampirkult verfallen sind, beschließt er kurzerhand, Vampir zu werden - selbstverständlich ohne den...
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Produktinformationen zu „Der Sommer, in dem ich Vampir wurde “
Klappentext zu „Der Sommer, in dem ich Vampir wurde “
Der unscheinbare sechzehnjährige Finbar Frame ist in Sachen Mädchen ein absoluter Loser. Als er davon Wind bekommt, dass seine Mitschülerinnen total dem Vampirkult verfallen sind, beschließt er kurzerhand, Vampir zu werden - selbstverständlich ohne den Blutsauger-Part. Finbars Täuschung funktioniert besser als gedacht. Schon bald scharen sich unzählige Möchtegernfreundinnen um den geheimnisvollen Untoten. Aber als Finbar das Mädchen seiner Träume trifft, erkennt er, dass das Leben als Pseudo-Vampir ganz schön kompliziert ist.
Lese-Probe zu „Der Sommer, in dem ich Vampir wurde “
Der Sommer, in dem ich Vampir wurde von Flynn MeaneyKapitel 1
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»Tu es«, verlangte Jenny und sah mich so fest an, als wolle sie mich an der Mauer hinter mir festnageln. »Mach mich zu einem Vampir.«
Ihr Hals war milchweiß wie eine leere Leinwand oder ein Ringbuchblock am ersten Schultag. An ihrem Schlüsselbein prangten ein paar Sommersprossen wie Zielpunkte. Beiß zu, sagten sie. Genau hier. Eine Vene, zum Bersten gefüllt, trat besonders stark hervor. Die Vena jugularis. Vor zwei Jahren hatte ich gelernt, dass diese Halsvene das wichtigste Blutgefäß des Körpers ist und am meisten Blut enthält. Mein Biologielehrer hatte nicht geahnt, dass dieses Wissen bei mir einmal zur tödlichen Waffe werden könnte. Doch in den letzten Monaten war genau das geschehen.
Ich muss gestehen, die Gelegenheit war perfekt. Jenny war ziemlich klein, einen ganzen Kopf kleiner als ich, und wog kaum fünfzig Kilo. Sie war nicht nur ein leichtes und schwaches Opfer, sie war ein williges noch dazu.
Auch das Szenarium war perfekt, wie in billigen Horrorfilmen oder Mary-Shelley-Romanen. Ich stand mit Jenny in einer dunklen Nebenstraße, inmitten von verstreutem altem Laub, Müll und einer zerfledderten Taube. Abgesehen von dem kurzen Aufflackern eines Lichts drei Stockwerke über uns würde uns nichts und niemand stören. Es gab keine Zeugen.
Allerdings wünschte ich mir sehnlichst, dass jemand vorbeikommen würde. Touristen mit Südstaatenakzent, die sich verlaufen hatten, Taschendiebe, irgendjemand. Ich betete geradezu, dass uns jemand unterbrach. Es kam mir so verrückt vor, dass ich mit der ganzen Sache angefangen hatte. Mit dieser Lüge.
Ich hatte in meinem Leben schon mehrmals einen Punkt erreicht, an dem ich, egal, was ich tat, einfach nicht gewinnen konnte. Dies war wieder so einer. Also hoffte ich auf Inspiration, betete um ein Wunder, fletschte die Zähne, neigte den Kopf und näherte mich ihrem Hals ...
Doch halt, Augenblick mal. Das ist die falsche Reihenfolge. So hört es sich ja an, als sei ich einer von diesen schlimmen Vampiren, diesen Horrorfilm-Vampiren, die stets auf der Suche nach Opfern herumschleichen, sie isolieren, ihnen das Blut aussaugen und sie gegen ihren Willen ebenfalls zu Vampiren machen. In Wirklichkeit hatte ich in dieser Gasse ebenso viel Angst wie Jenny - und war noch viel unsicherer als sie. Ich hoffte wirklich, dass jemand kommen würde - ein Polizist, ein Obdachloser, ein Superheld. Und ich war genau deshalb so unsicher, weil ich noch nie zuvor jemanden zum Vampir gemacht hatte.
Nein, so ganz stimmt auch das wieder nicht. Denn schließlich habe ich mich selbst zu einem Vampir gemacht.
Und im Grunde genommen wurde ich unter ziemlich normalen Umständen zum Vampir. Nicht normal wie im Falle der dunklen Gasse oder der gefletschten Zähne und nicht normal
im Sinne von Fantasybüchern und Horrorfilmen. Meine Hände waren nicht mit blutigen Fesseln gebunden, ich lebte nicht in einem Keller, in dem die Fenster verdunkelt und die Kreuze abgehängt waren. Niemand hockte drohend und mit blutigen Reißzähnen neben meiner entblößten Kehle. Es gab keine zersplitterten Särge, kein transsilvanisches Schloss, keine tollwütigen Fledermäuse. Niemand trug ein Cape. Und ich schon gar nicht.
Ich wurde im dritten Waggon eines Zuges in Westchester County, New York, zum Vampir. Ich war ein katholischer Schuljunge aus dem Mittleren Westen, aufgewachsen mit Brausepulver und überfälligen Leihbüchern. Und für mich war es normal, auf diese Weise zu einem Vampir zu werden, denn ich hatte mir den doppelten Windsorknoten beigebracht, hatte die Verse von Tupac Shakurs »Changes« auf Latein gelernt und die Erfahrung gemacht, dass man mich zusammenschlagen würde, wenn ich einen doppelten Windsorknoten trug oder Tupac Shakurs »Changes« in der Öffentlichkeit auf Latein vortrug. Na gut, Letzteres haben mir wohl eher andere beigebracht. Aber ein Vampir zu werden - das habe ich ganz allein so gewollt.
In Büchern und Filmen haben die Leute selten die Wahl, ob sie ein Vampir werden wollen oder nicht. Normalerweise werden sie gegen einen alten Sarg oder eine Schlossmauer geklemmt und ausgesaugt, während sie sich entsetzt wehren. Es tut weh, ein Vampir zu werden. In meinem Fall war es einfach nur ein notwendiges Übel. Um »freiwillig« zum Vampir zu werden, muss man schon an der Schwelle des Todes stehen oder sein erbärmliches menschliches Ich so satthaben, dass man seine Sterblichkeit für alles Mögliche aufgeben würde, was anders ist. Rückblickend würde ich sagen, dass ich genau diesen Punkt erreicht hatte, diesen Punkt der Verzweiflung und Enttäuschung. Und jetzt versuche ich, mich daran zu erinnern, wie ich dorthin gelangt war.
Vielleicht begann es mit dem Umzug nach New York.
Ich bin in Alexandria, Indiana, aufgewachsen. Na ja, vielleicht sollte ich nicht sagen »aufgewachsen«. Ich habe dort gewohnt, bis ich sechzehn war und hoffentlich noch nicht ausgewachsen. Ich war zwar schon über einen Meter achtzig groß, aber was Gesichtsbehaarung anging, hinkte ich leicht hinterher, also war ich vielleicht noch nicht ganz »reif«. Jedenfalls: Alexandria, Indiana. Der Ruhm der Stadt gründet sich hauptsächlich auf den Anspruch, den größten Farbball der Welt zu besitzen. Was ein Farbball ist? Berechtigte Frage. Im Prinzip ist es ein normaler Baseball mit über 21 500 Schichten Farbe. Man kann ihn seit zwölf Jahren auf den Weihnachtskarten der Familie bewundern - wir posieren jedes Jahr davor.
Mein Dad war Verkaufsleiter einer Elektronikfirma. Er war wie einer dieser CIA -Typen, die jeden Tag aus dem Büro nach Hause kommen und nie darüber sprechen, was sie eigentlich tun. Das Einzige, was er vom Job mit nach Hause brachte, war seine Liebe zu technischen Spielereien. Das nervte meine Mutter tierisch, weil sie einen Horror vor Technik hat und davon ausgeht, dass alles, was man in die Wand einstöpseln kann, krebserregend ist. Und auch wenn mein Dad von nichts eine Ahnung hat, hielt ihn offenbar jemand für clever genug, zum Berater befördert zu werden. So mussten wir nach New York umziehen. Ein Berater ist offensichtlich jemand, der einem bei der Arbeit über die Schulter sieht und sagt, wie man es besser machen kann. Bei meinem Vater konnte ich mir das nicht vorstellen. Bei meiner Mutter allerdings ...
Mein Bruder Luke und ich hatten gerade die zehnte Klasse an einer katholischen Schule absolviert, St. Luke's, ein paar Orte weiter. Luke spielte im Footballteam der Schule in der Offensive und war auch noch Aufbauspieler im Basketballteam. Er hatte in seinem ersten Jahr so gut gespielt, dass ihm die Trainer versprachen, ihn in die Juniorenmannschaft aufzunehmen. Ich dagegen wurde zum Herausgeber des Literaturmagazins befördert. Na gut, das Literaturmagazin der St. Luke's hatte nur eine Auflage von fünf Exemplaren (für mich, meinen Fachlehrer, meine Mutter und zwei anonyme Schüler, denen es zu peinlich war, ihre Namen anzugeben). Immerhin schätzte ich, dass sich der Titel »Herausgeber des Literaturmagazins« in meinen Collegebewerbungen gut machen würde.
Aber ich hatte die St. Luke's ziemlich satt. Trotz meiner einflussreichen Position in Literatur respektierte mich eigentlich niemand. Schon gar nicht dieser Johnny Frackas, der mich ständig ärgerte. Alle nannten ihn »Johnny Freckles« (sowohl wegen seiner eigenen Sommersprossen als auch wegen der seiner Mutter, die angeblich ihren ganzen Körper bedeckten, was zu mancherlei Spekulationen führte), und seinen Ärger darüber ließ er für gewöhnlich am Nächstbesten aus. Dank der geradezu obsessiven Manie der Schule, alles in alphabetischer Reihenfolge zu tun, war das für gewöhnlich ich: Finbar Frame. Während der gesamten neunten Klasse begrüßte mich Johnny Frackas zur ersten Stunde mit einem »Guten Morgen, Fickbar!« und gackerndem Gelächter.
In der zehnten Klasse wurde ich zu Admiral Fickbar befördert.
Eigentlich hätte ihn das zum Loser machen müssen, denn es war wohl eine Anspielung auf Admiral Ackbar aus Die Rückkehr der Jedi-Ritter, aber aus unerfindlichen Gründen brachte es mir gar nichts, als ich ihn darauf hinwies, dass er meine Person dadurch aufwertete und nicht wie gewollt herabsetzte. Mein Zwillingsbruder hätte mich eigentlich davor schützen sollen, immerhin trug er denselben Nachnamen wie ich und hätte ebenfalls kurz vor der ersten Stunde anwesend sein sollen. Aber Luke tauchte nur etwa dreimal im Jahr pünktlich auf, ansonsten sorgten seine Football- und Basketballtrainer dafür, dass er aus allem herausgehalten wurde. Ich musste mich allein verteidigen.
Der Montagmorgen im zweiten Highschool -Jahr war das Schlimmste. Die meisten Jungen fingen an, den Führerschein zu machen, hatten Freundinnen und falsche Ausweise, über die die Ladenbesitzer nicht mehr lachten. Andere Jungen freuten sich auf die Wochenenden, auf House-Partys und darauf, Bier-Pong zu spielen, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen und Mädchen zu küssen (Letzteres hoffentlich nicht gleichzeitig. Obwohl ich da schon Sachen gehört habe ...). Bei mir fand nichts dergleichen statt, nicht einmal das Kotzen.
Es lag nicht daran, dass ich nicht eingeladen wurde. Mein Bruder Luke lud mich sogar überallhin ein. Jeden Freitagnachmittag rannte er über den langen Gang zwischen unseren Zimmern und rief: »Hey, Sean O'Connor hat drei Kisten Bier von seinem Bruder bekommen. Alle Dosen haben Beulen, aber er hat das gegoogelt und gemeint, dass wir wahrscheinlich keine Lebensmittelvergiftung davon kriegen. Komm, trink mit uns!«
Oder: »Maddy Kellers sexy Schwester ist aus Schweden zurück und schmeißt eine Party. Mit Schwedinnen! Die sind nach den Brasilianerinnen die heißesten Mädels überhaupt. Du musst mitkommen Finn. Das wird irre!«
Oder: »Hast du die Werbung für den Horrorfilm gesehen, in der so ein Mädchen vom Disney-Channel ihre Titten zeigt? Unser Team sieht ihn sich an, komm mit!« Pause. »Es kommen auch Kettensägen drin vor, Bruderherz.«
Für meinen Bruder, diesen Ausbund an Energie und Optimismus, waren unglaublich viele Dinge ir-re. Das lag daran, dass ihm jedes Mal Applaus und Bewunderung entgegenschlugen, wenn er einen Raum betrat. Für Luke war jede Party an der Highschool wie ein Auftritt auf dem roten Teppich bei einer Filmpremiere - und er war Vince Chase aus Entourage. Die Leute stritten sich darum, wer mit ihm reden und ihm Fragen stellen durfte. Die Mädchen zupften an seinen Klamotten und baten ihn um Autogramme, während die Jungen ihn mit seltsamen Spitznamen anredeten, die sie sich auf dem Footballfeld in ihren Gatorade-Pausen hatten einfallen lassen. Alle freuten sich, ihn zu sehen.
Ich konnte mir ausmalen, wie Leute wie ... ja, sagen wir, Johnny Frackas, darauf reagieren würden, wenn ich auf einer Party der Schwedenmädchen auftauchen und an ihrer Gockel-parade teilnehmen würde. Oder wie sich Sean O'Connor fühlen würde, wenn irgendein Blödmann ankam und eine seiner kostbaren verbeulten Bierdosen leer trank. Oder wie sie lachen würden, wenn ich versuchte, einen Kegstand zu machen (Luke hatte mich einmal gezwungen, so einen Handstand auf einem Bierfass zu machen, als unsere Eltern nicht da waren, und seitdem war ich überzeugt, dass man dazu rumänischer Kunstturner sein musste). Es lag nicht etwa daran, dass ich keine Schwedinnen oder Horrorfilme gemocht hätte, und auch nicht daran, dass ich Luke nicht gemocht hätte. Ich liebte Luke sogar, aber mit den anderen Idioten vom St. Luke's wollte ich nicht herumhängen.
Luke würde ich natürlich nie erzählen, dass ich Angst davor hatte, seine Freunde könnten gemein zu mir sein. Zum einen hatte mein Bruder keine Probleme mit der Gesellschaft, würde es also gar nicht verstehen. Außerdem nahm er alles wörtlich und würde wahrscheinlich hingehen und sagen: »Seid ja nicht gemein zu meinem Bruder!« Was natürlich genau die gegenteilige Wirkung haben würde.
Also erfand ich für meinen Bruder gelegentlich legitime Ausreden wie: »Ich bin die Kerle aus der Schule leid.« Manchmal wurde es etwas lächerlicher, wenn ich zum Beispiel sagte: »Oh, so ein Bier kann ich echt nicht trinken, ich habe total Schiss vor einer Lebensmittelvergiftung.«
Und im Falle des Films konnte ich sagen: »Ich habe gehört, das Mädchen vom Disney-Channel ist in Wirklichkeit ein Transvestit.«
Oder bei der Party: »Echt schade, dass alle Schwedinnen ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben, bis sie fünfundzwanzig sind. Doch, lies es selbst nach, die Regierung zwingt sie dazu.«
Aber Luke hatte keine Angst vor Lebensmittelvergiftungen, Geschlechtsverwirrungen oder staatlich erzwungener Abstinenz. Also zog er los, und ich saß zu Hause, während sich andere Jungen einen monatelangen Vorsprung an sexuellen Erfahrungen zulegten. Jeden Montag tauchten diese Jungen ziemlich zermürbt in der Schule auf und sahen aus, als hätten sie gerade ein paarmal das Spielfeld umrundet. Und jeden Montag fragte mich Johnny Frackas: »Na, Fickbar, hast du dieses Wochenende einen Arsch abgekriegt?«
Gab ich ihm eine passende Antwort? Setzte ich meinen Kopf und meine Wortgewandtheit ein, um die Mutter aller »Deine Mutter« -Witze zu erfinden? Zog ich irgendeinen Nutzen aus der Tatsache, dass Johnny Frackas ein so leichtes Opfer war? Nein. Niemals. Nicht ein einziges Mal. Ich habe ihm nicht einmal geantwortet. Ich habe einfach nur dagesessen wie ein Idiot, mit den schmalen Idiotenschultern gezuckt oder so getan, als würde mich auf einmal mein Chemiebuch ungeheuer interessieren. Ich habe nie etwas gesagt. Und das bereue ich.
Ich war also ziemlich froh, von der St. Luke's wegzukommen und nach New York zu ziehen. Es war eindeutig ein idealer Zeitpunkt für eine Verwandlung - aber es war nicht New York, das mich zu einem Vampir gemacht hat.
»Tu es«, verlangte Jenny und sah mich so fest an, als wolle sie mich an der Mauer hinter mir festnageln. »Mach mich zu einem Vampir.«
Ihr Hals war milchweiß wie eine leere Leinwand oder ein Ringbuchblock am ersten Schultag. An ihrem Schlüsselbein prangten ein paar Sommersprossen wie Zielpunkte. Beiß zu, sagten sie. Genau hier. Eine Vene, zum Bersten gefüllt, trat besonders stark hervor. Die Vena jugularis. Vor zwei Jahren hatte ich gelernt, dass diese Halsvene das wichtigste Blutgefäß des Körpers ist und am meisten Blut enthält. Mein Biologielehrer hatte nicht geahnt, dass dieses Wissen bei mir einmal zur tödlichen Waffe werden könnte. Doch in den letzten Monaten war genau das geschehen.
Ich muss gestehen, die Gelegenheit war perfekt. Jenny war ziemlich klein, einen ganzen Kopf kleiner als ich, und wog kaum fünfzig Kilo. Sie war nicht nur ein leichtes und schwaches Opfer, sie war ein williges noch dazu.
Auch das Szenarium war perfekt, wie in billigen Horrorfilmen oder Mary-Shelley-Romanen. Ich stand mit Jenny in einer dunklen Nebenstraße, inmitten von verstreutem altem Laub, Müll und einer zerfledderten Taube. Abgesehen von dem kurzen Aufflackern eines Lichts drei Stockwerke über uns würde uns nichts und niemand stören. Es gab keine Zeugen.
Allerdings wünschte ich mir sehnlichst, dass jemand vorbeikommen würde. Touristen mit Südstaatenakzent, die sich verlaufen hatten, Taschendiebe, irgendjemand. Ich betete geradezu, dass uns jemand unterbrach. Es kam mir so verrückt vor, dass ich mit der ganzen Sache angefangen hatte. Mit dieser Lüge.
Ich hatte in meinem Leben schon mehrmals einen Punkt erreicht, an dem ich, egal, was ich tat, einfach nicht gewinnen konnte. Dies war wieder so einer. Also hoffte ich auf Inspiration, betete um ein Wunder, fletschte die Zähne, neigte den Kopf und näherte mich ihrem Hals ...
Doch halt, Augenblick mal. Das ist die falsche Reihenfolge. So hört es sich ja an, als sei ich einer von diesen schlimmen Vampiren, diesen Horrorfilm-Vampiren, die stets auf der Suche nach Opfern herumschleichen, sie isolieren, ihnen das Blut aussaugen und sie gegen ihren Willen ebenfalls zu Vampiren machen. In Wirklichkeit hatte ich in dieser Gasse ebenso viel Angst wie Jenny - und war noch viel unsicherer als sie. Ich hoffte wirklich, dass jemand kommen würde - ein Polizist, ein Obdachloser, ein Superheld. Und ich war genau deshalb so unsicher, weil ich noch nie zuvor jemanden zum Vampir gemacht hatte.
Nein, so ganz stimmt auch das wieder nicht. Denn schließlich habe ich mich selbst zu einem Vampir gemacht.
Und im Grunde genommen wurde ich unter ziemlich normalen Umständen zum Vampir. Nicht normal wie im Falle der dunklen Gasse oder der gefletschten Zähne und nicht normal
im Sinne von Fantasybüchern und Horrorfilmen. Meine Hände waren nicht mit blutigen Fesseln gebunden, ich lebte nicht in einem Keller, in dem die Fenster verdunkelt und die Kreuze abgehängt waren. Niemand hockte drohend und mit blutigen Reißzähnen neben meiner entblößten Kehle. Es gab keine zersplitterten Särge, kein transsilvanisches Schloss, keine tollwütigen Fledermäuse. Niemand trug ein Cape. Und ich schon gar nicht.
Ich wurde im dritten Waggon eines Zuges in Westchester County, New York, zum Vampir. Ich war ein katholischer Schuljunge aus dem Mittleren Westen, aufgewachsen mit Brausepulver und überfälligen Leihbüchern. Und für mich war es normal, auf diese Weise zu einem Vampir zu werden, denn ich hatte mir den doppelten Windsorknoten beigebracht, hatte die Verse von Tupac Shakurs »Changes« auf Latein gelernt und die Erfahrung gemacht, dass man mich zusammenschlagen würde, wenn ich einen doppelten Windsorknoten trug oder Tupac Shakurs »Changes« in der Öffentlichkeit auf Latein vortrug. Na gut, Letzteres haben mir wohl eher andere beigebracht. Aber ein Vampir zu werden - das habe ich ganz allein so gewollt.
In Büchern und Filmen haben die Leute selten die Wahl, ob sie ein Vampir werden wollen oder nicht. Normalerweise werden sie gegen einen alten Sarg oder eine Schlossmauer geklemmt und ausgesaugt, während sie sich entsetzt wehren. Es tut weh, ein Vampir zu werden. In meinem Fall war es einfach nur ein notwendiges Übel. Um »freiwillig« zum Vampir zu werden, muss man schon an der Schwelle des Todes stehen oder sein erbärmliches menschliches Ich so satthaben, dass man seine Sterblichkeit für alles Mögliche aufgeben würde, was anders ist. Rückblickend würde ich sagen, dass ich genau diesen Punkt erreicht hatte, diesen Punkt der Verzweiflung und Enttäuschung. Und jetzt versuche ich, mich daran zu erinnern, wie ich dorthin gelangt war.
Vielleicht begann es mit dem Umzug nach New York.
Ich bin in Alexandria, Indiana, aufgewachsen. Na ja, vielleicht sollte ich nicht sagen »aufgewachsen«. Ich habe dort gewohnt, bis ich sechzehn war und hoffentlich noch nicht ausgewachsen. Ich war zwar schon über einen Meter achtzig groß, aber was Gesichtsbehaarung anging, hinkte ich leicht hinterher, also war ich vielleicht noch nicht ganz »reif«. Jedenfalls: Alexandria, Indiana. Der Ruhm der Stadt gründet sich hauptsächlich auf den Anspruch, den größten Farbball der Welt zu besitzen. Was ein Farbball ist? Berechtigte Frage. Im Prinzip ist es ein normaler Baseball mit über 21 500 Schichten Farbe. Man kann ihn seit zwölf Jahren auf den Weihnachtskarten der Familie bewundern - wir posieren jedes Jahr davor.
Mein Dad war Verkaufsleiter einer Elektronikfirma. Er war wie einer dieser CIA -Typen, die jeden Tag aus dem Büro nach Hause kommen und nie darüber sprechen, was sie eigentlich tun. Das Einzige, was er vom Job mit nach Hause brachte, war seine Liebe zu technischen Spielereien. Das nervte meine Mutter tierisch, weil sie einen Horror vor Technik hat und davon ausgeht, dass alles, was man in die Wand einstöpseln kann, krebserregend ist. Und auch wenn mein Dad von nichts eine Ahnung hat, hielt ihn offenbar jemand für clever genug, zum Berater befördert zu werden. So mussten wir nach New York umziehen. Ein Berater ist offensichtlich jemand, der einem bei der Arbeit über die Schulter sieht und sagt, wie man es besser machen kann. Bei meinem Vater konnte ich mir das nicht vorstellen. Bei meiner Mutter allerdings ...
Mein Bruder Luke und ich hatten gerade die zehnte Klasse an einer katholischen Schule absolviert, St. Luke's, ein paar Orte weiter. Luke spielte im Footballteam der Schule in der Offensive und war auch noch Aufbauspieler im Basketballteam. Er hatte in seinem ersten Jahr so gut gespielt, dass ihm die Trainer versprachen, ihn in die Juniorenmannschaft aufzunehmen. Ich dagegen wurde zum Herausgeber des Literaturmagazins befördert. Na gut, das Literaturmagazin der St. Luke's hatte nur eine Auflage von fünf Exemplaren (für mich, meinen Fachlehrer, meine Mutter und zwei anonyme Schüler, denen es zu peinlich war, ihre Namen anzugeben). Immerhin schätzte ich, dass sich der Titel »Herausgeber des Literaturmagazins« in meinen Collegebewerbungen gut machen würde.
Aber ich hatte die St. Luke's ziemlich satt. Trotz meiner einflussreichen Position in Literatur respektierte mich eigentlich niemand. Schon gar nicht dieser Johnny Frackas, der mich ständig ärgerte. Alle nannten ihn »Johnny Freckles« (sowohl wegen seiner eigenen Sommersprossen als auch wegen der seiner Mutter, die angeblich ihren ganzen Körper bedeckten, was zu mancherlei Spekulationen führte), und seinen Ärger darüber ließ er für gewöhnlich am Nächstbesten aus. Dank der geradezu obsessiven Manie der Schule, alles in alphabetischer Reihenfolge zu tun, war das für gewöhnlich ich: Finbar Frame. Während der gesamten neunten Klasse begrüßte mich Johnny Frackas zur ersten Stunde mit einem »Guten Morgen, Fickbar!« und gackerndem Gelächter.
In der zehnten Klasse wurde ich zu Admiral Fickbar befördert.
Eigentlich hätte ihn das zum Loser machen müssen, denn es war wohl eine Anspielung auf Admiral Ackbar aus Die Rückkehr der Jedi-Ritter, aber aus unerfindlichen Gründen brachte es mir gar nichts, als ich ihn darauf hinwies, dass er meine Person dadurch aufwertete und nicht wie gewollt herabsetzte. Mein Zwillingsbruder hätte mich eigentlich davor schützen sollen, immerhin trug er denselben Nachnamen wie ich und hätte ebenfalls kurz vor der ersten Stunde anwesend sein sollen. Aber Luke tauchte nur etwa dreimal im Jahr pünktlich auf, ansonsten sorgten seine Football- und Basketballtrainer dafür, dass er aus allem herausgehalten wurde. Ich musste mich allein verteidigen.
Der Montagmorgen im zweiten Highschool -Jahr war das Schlimmste. Die meisten Jungen fingen an, den Führerschein zu machen, hatten Freundinnen und falsche Ausweise, über die die Ladenbesitzer nicht mehr lachten. Andere Jungen freuten sich auf die Wochenenden, auf House-Partys und darauf, Bier-Pong zu spielen, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen und Mädchen zu küssen (Letzteres hoffentlich nicht gleichzeitig. Obwohl ich da schon Sachen gehört habe ...). Bei mir fand nichts dergleichen statt, nicht einmal das Kotzen.
Es lag nicht daran, dass ich nicht eingeladen wurde. Mein Bruder Luke lud mich sogar überallhin ein. Jeden Freitagnachmittag rannte er über den langen Gang zwischen unseren Zimmern und rief: »Hey, Sean O'Connor hat drei Kisten Bier von seinem Bruder bekommen. Alle Dosen haben Beulen, aber er hat das gegoogelt und gemeint, dass wir wahrscheinlich keine Lebensmittelvergiftung davon kriegen. Komm, trink mit uns!«
Oder: »Maddy Kellers sexy Schwester ist aus Schweden zurück und schmeißt eine Party. Mit Schwedinnen! Die sind nach den Brasilianerinnen die heißesten Mädels überhaupt. Du musst mitkommen Finn. Das wird irre!«
Oder: »Hast du die Werbung für den Horrorfilm gesehen, in der so ein Mädchen vom Disney-Channel ihre Titten zeigt? Unser Team sieht ihn sich an, komm mit!« Pause. »Es kommen auch Kettensägen drin vor, Bruderherz.«
Für meinen Bruder, diesen Ausbund an Energie und Optimismus, waren unglaublich viele Dinge ir-re. Das lag daran, dass ihm jedes Mal Applaus und Bewunderung entgegenschlugen, wenn er einen Raum betrat. Für Luke war jede Party an der Highschool wie ein Auftritt auf dem roten Teppich bei einer Filmpremiere - und er war Vince Chase aus Entourage. Die Leute stritten sich darum, wer mit ihm reden und ihm Fragen stellen durfte. Die Mädchen zupften an seinen Klamotten und baten ihn um Autogramme, während die Jungen ihn mit seltsamen Spitznamen anredeten, die sie sich auf dem Footballfeld in ihren Gatorade-Pausen hatten einfallen lassen. Alle freuten sich, ihn zu sehen.
Ich konnte mir ausmalen, wie Leute wie ... ja, sagen wir, Johnny Frackas, darauf reagieren würden, wenn ich auf einer Party der Schwedenmädchen auftauchen und an ihrer Gockel-parade teilnehmen würde. Oder wie sich Sean O'Connor fühlen würde, wenn irgendein Blödmann ankam und eine seiner kostbaren verbeulten Bierdosen leer trank. Oder wie sie lachen würden, wenn ich versuchte, einen Kegstand zu machen (Luke hatte mich einmal gezwungen, so einen Handstand auf einem Bierfass zu machen, als unsere Eltern nicht da waren, und seitdem war ich überzeugt, dass man dazu rumänischer Kunstturner sein musste). Es lag nicht etwa daran, dass ich keine Schwedinnen oder Horrorfilme gemocht hätte, und auch nicht daran, dass ich Luke nicht gemocht hätte. Ich liebte Luke sogar, aber mit den anderen Idioten vom St. Luke's wollte ich nicht herumhängen.
Luke würde ich natürlich nie erzählen, dass ich Angst davor hatte, seine Freunde könnten gemein zu mir sein. Zum einen hatte mein Bruder keine Probleme mit der Gesellschaft, würde es also gar nicht verstehen. Außerdem nahm er alles wörtlich und würde wahrscheinlich hingehen und sagen: »Seid ja nicht gemein zu meinem Bruder!« Was natürlich genau die gegenteilige Wirkung haben würde.
Also erfand ich für meinen Bruder gelegentlich legitime Ausreden wie: »Ich bin die Kerle aus der Schule leid.« Manchmal wurde es etwas lächerlicher, wenn ich zum Beispiel sagte: »Oh, so ein Bier kann ich echt nicht trinken, ich habe total Schiss vor einer Lebensmittelvergiftung.«
Und im Falle des Films konnte ich sagen: »Ich habe gehört, das Mädchen vom Disney-Channel ist in Wirklichkeit ein Transvestit.«
Oder bei der Party: »Echt schade, dass alle Schwedinnen ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben, bis sie fünfundzwanzig sind. Doch, lies es selbst nach, die Regierung zwingt sie dazu.«
Aber Luke hatte keine Angst vor Lebensmittelvergiftungen, Geschlechtsverwirrungen oder staatlich erzwungener Abstinenz. Also zog er los, und ich saß zu Hause, während sich andere Jungen einen monatelangen Vorsprung an sexuellen Erfahrungen zulegten. Jeden Montag tauchten diese Jungen ziemlich zermürbt in der Schule auf und sahen aus, als hätten sie gerade ein paarmal das Spielfeld umrundet. Und jeden Montag fragte mich Johnny Frackas: »Na, Fickbar, hast du dieses Wochenende einen Arsch abgekriegt?«
Gab ich ihm eine passende Antwort? Setzte ich meinen Kopf und meine Wortgewandtheit ein, um die Mutter aller »Deine Mutter« -Witze zu erfinden? Zog ich irgendeinen Nutzen aus der Tatsache, dass Johnny Frackas ein so leichtes Opfer war? Nein. Niemals. Nicht ein einziges Mal. Ich habe ihm nicht einmal geantwortet. Ich habe einfach nur dagesessen wie ein Idiot, mit den schmalen Idiotenschultern gezuckt oder so getan, als würde mich auf einmal mein Chemiebuch ungeheuer interessieren. Ich habe nie etwas gesagt. Und das bereue ich.
Ich war also ziemlich froh, von der St. Luke's wegzukommen und nach New York zu ziehen. Es war eindeutig ein idealer Zeitpunkt für eine Verwandlung - aber es war nicht New York, das mich zu einem Vampir gemacht hat.
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Autoren-Porträt von Flynn Meaney
Flynn Meaney wurde zu ihrem Debütroman von der Bemerkung einer Freundin inspiriert, die meinte: Jetzt, wo Vampire so angesagt sind, können wir uns endlich den Selbstbräuner sparen. Erstaunlich, was für einen Einfluss auf einmal dieser ganze Vampirkult auf die schmächtigen, blassen Teenager hat, die während der Baywatch-Jahre lange Durststrecken durchlitten haben! Die Autorin lebt in Mamaroneck, New York. Sie hat ein Studium an der Universität Notre Dame absolviert und ist zurzeit am Hunter College für Kreatives Schreiben und Poesie eingeschrieben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Flynn Meaney
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 256 Seiten, Maße: 12,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Ohlsen, Tanja
- Übersetzer: Tanja Ohlsen
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 3863960548
- ISBN-13: 9783863960544
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