Die unsterbliche Braut
Deutsche Erstausgabe
Unsterblichkeit hat sie erlangt, doch um ihre Liebe in der Unterwelt zu leben, muss sie lernen, zu kämpfen.
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Taschenbuch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die unsterbliche Braut “
Unsterblichkeit hat sie erlangt, doch um ihre Liebe in der Unterwelt zu leben, muss sie lernen, zu kämpfen.
Klappentext zu „Die unsterbliche Braut “
Die Götter haben ihren Prinzen entführt. Nur wenn es Kate gelingt, Henrys Vergangenheit und Zukunft zu vereinen, kann sie ihn retten und sich selbst.Endlich hat Kate die Unsterblichkeit erlangt und steht kurz davor, zur Königin der Unterwelt gekrönt zu werden. Aber sie fühlt sich isoliert wie nie zuvor. Denn je größer ihre Liebe zu Henry wird, dem Herrscher dieser Welt, desto distanzierter gibt er sich. Da wird Henry mitten in der feierlichen Krönungszeremonie vom König der Titanen entführt. Nur Kate kann ihn aus den tiefsten Höhlen des Tartarus befreien. Doch um ihren Weg durch das Labyrinth zu finden, braucht sie die Hilfe ihrer größten Feindin: Persephone, Henrys erste Frau!
Deutsche Erstveröffentlichung
Lese-Probe zu „Die unsterbliche Braut “
Die unsterbliche Braut von Aimée CarterAus dem Englischen von Freya Gehrke
Prolog
Calliope stapfte über die sonnenbeschienene Wiese und ignorierte das Geplapper des Rotschopfes, der hinter ihr hertänzelte. Ingrid war die erste Sterbliche, die versucht hatte, die Prüfungen zu bestehen, um Henrys Frau zu werden. Und hätte er mehr als fünf Minuten am Tag mit ihr verbracht, hätte er vielleicht verstanden, warum Calliope sie umgebracht hatte.
"Mach dich auf was Tolles gefasst", sagte Ingrid, während sie ein Kaninchen aus dem hohen Gras hob und es sich an die Brust drückte. "Um zwölf Uhr mittags fängt alles an zu blühen."
"So wie gestern?", erwiderte Calliope. "Und vorgestern? Und am Tag davor?"
Ingrid strahlte. "Ist das nicht wunderschön? Hast du die Schmetterlinge gesehen?"
"Ja, ich hab die Schmetterlinge gesehen", gab Calliope zurück. "Und die Rehe. Und jedes sonstige Detail deines sinnfreien Lebens nach dem Tod."
Ein Schatten schien sich auf Ingrids Gesicht zu legen. "Tut mir leid, wenn du's dämlich findest, aber es ist mein Leben nach dem Tod, und mir gefällt's."
Es kostete sie große Mühe, aber Calliope verkniff es sich, die Augen zu verdrehen. Ingrid wütend zu machen würde alles nur verschlimmern. Und so wie es gerade lief, würde es noch ewig dauern, bis Calliope hier rauskam. "Du hast recht", lenkte sie betont freundlich ein. "Es ist bloß so, dass ich nie Zeit in diesem Reich verbringe, deshalb ist das alles etwas ungewohnt für mich."
... mehr
Ingrid entspannte sich und streichelte das Kaninchen. "Ist ja klar, dass du hier keine Zeit verbringst", erklärte sie kichernd, sodass Calliope unwillkürlich mit den Zähnen knirschte. "Du bist eine Göttin. Du kannst nicht sterben. Anders als ich", fügte sie hinzu. "Aber es war nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte."
Hätte diese Idiotin auch nur einen Funken Verstand besessen, hätte sie gewusst, dass Calliope nicht irgendeine Göttin war. Sie war eins der ursprünglichen sechs Ratsmitglieder, bevor diese Kinder bekommen hatten und der Rat gewachsen war. Bevor ihr Ehemann beschlossen hatte, dass Treue unter seiner Würde war. Bevor sie die Unsterblichkeit wie Bonbons verteilt hatten. Sie war eine Tochter der Titanen, nicht einfach bloß eine Göttin. Sie war eine Königin.
Und egal, was der Rat und diese Schlampe Kate entschieden hatten: Sie hatte es nicht verdient, hier sein zu müssen.
"Gut", antwortete Calliope. "Den Tod zu fürchten ist dumm."
"Henry sorgt dafür, dass es mir gut geht. Ab und zu kommt er vorbei und verbringt einen Nachmittag mit mir", erzählte Ingrid. Und mit einem provozierenden Grinsen fügte sie hinzu: "Du hast mir nie erzählt, wer gewonnen hat."
Calliope öffnete den Mund, um zu erklären, dass es kein Wettbewerb war, doch das war nicht die Wahrheit. Alles daran war ein Wettbewerb gewesen, und sie hatte viel härter um den Preis gekämpft als alle anderen. Meisterhaft hatte sie ihre Konkurrentinnen ausgelöscht. Selbst Kate wäre gestorben, hätten Henry und Diana nicht eingegriffen.
Calliope hätte die Siegerin sein sollen, und Ingrids Grinsen war wie Salz in dem blutigen Loch, wo einmal ihr Herz gesessen hatte. Zuerst hatte sie ihren Ehemann verloren. Und als sie gedacht hatte, sie hätte jemanden gefunden, der ihre Misere verstand und ihr die Liebe geben konnte, nach der sie sich so sehnte, hatte dieser Jemand - Henry - ihr nicht einmal eine Chance gegeben. Und deshalb hatte sie alles verloren. Ihre Freiheit, ihre Würde, jeden Funken Respekt, den sie sich über die Jahrtausende erkämpft hatte. Doch ihr größter Verlust war Henry gewesen.
Seit Anbeginn der Menschheit waren sie zusammen gewesen, zwei der ursprünglichen sechs. Über Äonen hatte sie ihn beobachtet, umhüllt von Geheimnissen und einer Einsamkeit, die niemand durchbrechen konnte - zumindest bis Persephone auf der Bildfläche erschienen war. Und nach dem, was sie ihm angetan hatte ...
Wenn irgendjemand es verdient hatte, bestraft zu werden, dann Persephone. Alles, was Calliope je gewollt hatte, war, dass Henry glücklich war. Und eines Tages würde er begreifen, dass er das nur sein konnte, wenn sie endlich vereint waren. Egal, wie lange es dauern würde, sie würde ihn dazu bringen, das zu erkennen. Und dann würde Kate dafür bezahlen, dass sie ihnen kostbare gemeinsame Zeit gestohlen hatte.
"Calliope?", hakte Ingrid nach, und Calliope versuchte, diese trüben Gedanken abzuschütteln. Die Worte verflüchtigten sich aus ihrem Kopf, doch ihr Zorn und die Bitterkeit blieben.
"Kate", erwiderte Calliope und spie den Namen aus wie Gift. "Ihr Name ist Kate. Sie ist Dianas Tochter."
Ingrids Augen wurden groß. "Und Persephones Schwester?"
Calliope nickte, während sich hinter Ingrid ein seltsamer Nebel in der Ferne bildete. Er schien nach ihr zu rufen, sie zu sich zu locken, doch sie widerstand der Versuchung, sich von Ingrid abzuwenden und ihm zu folgen. Solange sie ihre Strafe hier verbüßte, indem sie Zeit mit jedem der Mädchen verbrachte, das sie umgebracht hatte, konnte sie nicht gehen, ohne dass Henry es sofort erfuhr. Wenn sie sich den Befehlen des Rats bewusst widersetzte, würde sie endgültig verbannt werden, und jemand anders würde ihren Platz im Rat einnehmen.
Sie wusste genau, wer dieser Jemand sein würde, und schwor sich, dass Kate niemals auch nur in die Nähe ihres Throns geraten würde, solange sie selbst noch eine Göttin war.
Nachdenklich betrachtete Calliope den Nebel. "Bist du schon mal dahinten gewesen?"
"Wo?", fragte Ingrid. "Bei den Bäumen? Ein paarmal, aber ich mag die Wiese lieber. Wusstest du, dass die Blütenblätter wie Zuckerwatte schmecken? Probier doch mal."
"Ich esse keine Süßigkeiten", gab Calliope zurück, immer noch fasziniert von dem Nebel. So etwas hatte sie in ihrer Zeit in der Unterwelt nie zuvor gesehen, und irgendetwas musste es zu bedeuten haben. Vielleicht war das Henrys Art, ihr mitzuteilen, dass sie zum nächsten Mädchen weiterziehen konnte. Vielleicht hatte er endlich kapiert, wie anstrengend Ingrid war.
"Wie kann man denn keine Süßigkeiten essen?" Ingrid schien zwischen Unglauben und Fassungslosigkeit zu schwanken. "Jeder isst Süßigkeiten."
"Ich bin nicht jeder", erwiderte Calliope knapp. "Warte hier."
"Damit du abhauen kannst? Wohl kaum", widersprach Ingrid. "Ich muss dir vergeben, bevor du gehen darfst, schon vergessen?"
Calliope knirschte mit den Zähnen. Natürlich hatte sie es nicht vergessen, aber ganz ehrlich - Ingrid würde ihr niemals verzeihen. Selbst wenn sie es tat, wagte Calliope zu bezweifeln, dass jedes Mädchen, das sie getötet hatte, dasselbe tun würde. Doch so lautete Kates Urteil, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit in der Unterwelt festsaß. Das war länger, als Calliope zu warten bereit war. "Wenn du nicht willst, dass ich deine Füße am Boden festwachsen lasse, bleibst du hier."
"So was kannst du?"
Calliope machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Stattdessen marschierte sie auf diesen faszinierenden Nebel zu, weg von Ingrid, die wenigstens so viel Grips besaß, ihr nicht zu folgen. Je weiter sie sich von Ingrid entfernte, desto mehr verblasste die Wiese, bis Calliope von Felsen umgeben war - das wahre Erscheinungsbild der Unterwelt, wenn keine tote Seele in der Nähe war, um es zu beeinflussen.
Von Nahem betrachtet war der Nebel gar kein richtiger Nebel, wie Calliope erkannte. Vielmehr schien die Luft zu schimmern - Tausende zarte Lichtfinger, die nach ihr zu greifen schienen. Calliope streckte die Hand danach aus, und in der Sekunde, als ihre Finger das seltsame Glühen berührten, wusste sie, warum es sie so magisch angezogen hatte. Endlich, nach Jahrzehnten des Wartens, war er erwacht.
Calliope lächelte, und eine Woge der Macht durchströmte sie. Eine Macht, die so alt war, dass es keinen Namen dafür gab. Ingrid verblasste zu nichts als einer undeutlichen Erinnerung, als Calliope vortrat und der Zorn, den sie schon so lange in sich nährte, sich endlich zu voller Kraft entfaltete.
"Hallo, Vater."
1. Kapitel
Rückkehr nach Eden
Als ich noch in der Schule war, haben meine Lehrer die Klasse jeden Herbst einen dieser furchtbaren Aufsätze schreiben lassen: "Was ich letzten Sommer gemacht habe". Das volle Programm, mit Vortrag, Fotos und lustigen Anekdoten - alles, um einen Raum voll gelangweilter Schüler dazu zu bringen, etwas Interesse zu zeigen.
Jedes Jahr saß ich da und hörte zu, wenn meine Klassenkameraden an der New Yorker Grundschule von ihren Ferien in den Hamptons oder in Florida oder in Europa berichteten - mit ihren reichen Eltern oder Au-pair-Mädchen oder, als wir älter wurden, ihren Freunden und Freundinnen. Als wir schließlich in der Highschool waren, hatte ich bis zum Erbrechen immer dieselben glamourösen Geschichten gehört: Eskapaden in Paris mit Supermodels, nächtelange Partys auf den Bahamas mit Rockstars und so weiter. In ihrem Wunsch, Aufmerksamkeit zu erregen, überschlugen sich meine Mitschüler förmlich mit der Schilderung immer wilderer Abenteuer.
Meine Geschichte war jedes Jahr dieselbe. Meine Mutter war Floristin, und weil der Großteil ihres Einkommens für die Schule draufging, fuhren wir nie aus New York City weg. An ihren freien Tagen gingen wir in den Central Park und sogen das Sonnenlicht in uns auf. Als sie dann krank wurde, verbrachte ich meine Sommer bei ihr im Krankenhaus. Hielt ihr das Haar aus dem Gesicht, wenn sie sich wegen der Chemotherapie übergeben musste, oder zappte auf der Suche nach irgendetwas Interessantem durch die Fernsehkanäle.
Es waren nicht die Hamptons. Es war nicht Florida. Es war nicht Europa. Aber es waren meine Sommer.
Jener Sommer nach meinen ersten sechs Monaten mit Henry jedoch ließ jeden Sommer, den meine Klassenkameraden je verlebt hatten, blass aussehen.
"Ich kann immer noch nicht glauben, dass du vorher noch nie mit Delfinen geschwommen bist", sagte James, während ich eine löchrige Schotterstraße entlangfuhr, die nicht besonders oft benutzt zu werden schien. Wir waren zurück auf der oberen Halbinsel von Michigan und umgeben von Bäumen, die höher waren als die meisten Gebäude. Je näher wir Eden Manor kamen, desto breiter wurde mein Grinsen.
"Ist ja nicht so, als hätten wir davon im Hudson besonders viele gehabt", gab ich zurück und trat etwas fester aufs Gas. Dieser Ort lag so weit ab von der Zivilisation, dass es kein Tempolimit gab, aber als ich das letzte Mal hier entlanggefahren war, war meine Mutter zu krank gewesen, als dass ich das hätte ausnutzen können. Doch jetzt, nachdem der Rat mir die Unsterblichkeit gewährt hatte, war das Einzige, was in Gefahr war, mein klappriges altes Auto. Bisher gefielen mir die Vorteile. "Der Vulkanausbruch hat mich mehr beeindruckt."
"Keine Ahnung, woher das auf einmal kam", gestand James ein. "Dieser Vulkan war schon länger nicht mehr aktiv, als manche von uns auf der Welt sind. Darauf sollte ich Henry vielleicht ansprechen, wenn wir zurück sind."
"Was sollte Henry denn mit einem Vulkan zu tun haben?", fragte ich, während mein Herz einen Sprung machte. Mittlerweile waren wir so nah, dass ich ihn fast spüren konnte, und ich trommelte nervös mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad.
"Es gibt Vulkane in Henrys Reich. Wenn ein so alter Vulkan so heftig ausbricht, dann ist irgendwas im Gang." James biss ein Stück Trockenfleisch ab und hielt mir den Rest hin. Ich rümpfte nur die Nase. "Selbst schuld. Du weißt, dass du ihm jede Einzelheit über alles erzählen musst, was wir unternommen haben, oder?"
Verwirrt warf ich ihm einen Seitenblick zu. "Ich hatte auch nichts anderes vor. Wieso? Was ist daran verkehrt?"
James zuckte mit den Schultern. "Nichts. Ich hatte bloß den Eindruck, er wäre nicht so begeistert von dem Gedanken, dass du sechs Monate mit einem gut aussehenden blonden Fremden in Griechenland verbringst, das ist alles."
Ich musste so sehr lachen, dass ich fast von der Straße abkam. "Und wer war dieser gut aussehende blonde Fremde? Ich kann mich an niemanden in der Art erinnern."
"Genau das solltest du Henry sagen, dann sind wir beide auf der sicheren Seite", gab James fröhlich zurück.
Es war natürlich ein Witz. James war mein bester Freund, und wir hatten den Sommer damit verbracht, gemeinsam alte Ruinen, weit verzweigte Städte und atemberaubende Inseln zu erforschen - an einem der schönsten Orte der Erde. Vielleicht auch einer der romantischsten, aber James war James, und ich war mit Henry verheiratet.
Verheiratet. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt. Meinen Ehering mit dem schwarzen Diamanten hatte ich an einer Kette um den Hals getragen - aus lauter Angst, ihn zu verlieren. Jetzt, da wir kaum noch eine Meile von Eden entfernt waren, wurde es Zeit, ihn mir wieder auf den Ringfinger zu stecken. Ich hatte mich durch die sieben Prüfungen gekämpft, die der Rat der Götter mir auferlegt hatte, um herauszufinden, ob ich der Unsterblichkeit würdig war. Ob ich würdig war, Königin der Unterwelt zu werden. Und weil ich es geschafft hatte - gerade so -, waren Henry und ich jetzt Mann und Frau.
Allerdings fühlte es sich nicht so an, wenn ich an die Stille dachte, die in den letzten sechs Monaten zwischen uns geherrscht hatte. James gegenüber hatte ich es nicht eingestanden, aber den ganzen Sommer über hatte ich mich immer wieder umgeblickt - in der Hoffnung, Henry in der Menge zu erblicken, auch wenn er eigentlich gar nicht da sein sollte. Doch egal, wie aufmerksam ich nach ihm gesucht hatte, ich hatte keine Spur von ihm entdeckt. Zugegeben, ein halbes Jahr war quasi nur ein Wimpernschlag für jemanden, der schon vor der Geburt der Menschheit existiert hatte. Aber ein kleiner Hinweis, dass er mich vermisste, war ja wohl nicht zu viel verlangt.
Auch während meines Winters mit ihm hatte ich um jeden kleinen Fortschritt kämpfen müssen. Jeder Blick, jede Berührung, jeder Kuss - was, wenn wir nach sechs Monaten wieder ganz von vorn anfangen mussten? Er hatte tausend Jahre damit verbracht, um seine erste Frau Persephone zu trauern, und mich kannte er erst seit einem einzigen. Unsere Hochzeit war nicht das perfekte Ende einer wundervollen Liebesgeschichte gewesen. Sie hatte den Beginn der Ewigkeit bedeutet, und nichts an unserem neuen gemeinsamen Leben würde einfach sein. Für keinen von uns. Vor allem wenn man bedachte, dass ich mich nicht nur in die Ehe würde einfinden müssen, sondern gleichzeitig auch noch lernen musste, Königin der Unterwelt zu sein.
MIRA Taschenbuch Band 65066 © 2012 by Aimée Carter
Ingrid entspannte sich und streichelte das Kaninchen. "Ist ja klar, dass du hier keine Zeit verbringst", erklärte sie kichernd, sodass Calliope unwillkürlich mit den Zähnen knirschte. "Du bist eine Göttin. Du kannst nicht sterben. Anders als ich", fügte sie hinzu. "Aber es war nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte."
Hätte diese Idiotin auch nur einen Funken Verstand besessen, hätte sie gewusst, dass Calliope nicht irgendeine Göttin war. Sie war eins der ursprünglichen sechs Ratsmitglieder, bevor diese Kinder bekommen hatten und der Rat gewachsen war. Bevor ihr Ehemann beschlossen hatte, dass Treue unter seiner Würde war. Bevor sie die Unsterblichkeit wie Bonbons verteilt hatten. Sie war eine Tochter der Titanen, nicht einfach bloß eine Göttin. Sie war eine Königin.
Und egal, was der Rat und diese Schlampe Kate entschieden hatten: Sie hatte es nicht verdient, hier sein zu müssen.
"Gut", antwortete Calliope. "Den Tod zu fürchten ist dumm."
"Henry sorgt dafür, dass es mir gut geht. Ab und zu kommt er vorbei und verbringt einen Nachmittag mit mir", erzählte Ingrid. Und mit einem provozierenden Grinsen fügte sie hinzu: "Du hast mir nie erzählt, wer gewonnen hat."
Calliope öffnete den Mund, um zu erklären, dass es kein Wettbewerb war, doch das war nicht die Wahrheit. Alles daran war ein Wettbewerb gewesen, und sie hatte viel härter um den Preis gekämpft als alle anderen. Meisterhaft hatte sie ihre Konkurrentinnen ausgelöscht. Selbst Kate wäre gestorben, hätten Henry und Diana nicht eingegriffen.
Calliope hätte die Siegerin sein sollen, und Ingrids Grinsen war wie Salz in dem blutigen Loch, wo einmal ihr Herz gesessen hatte. Zuerst hatte sie ihren Ehemann verloren. Und als sie gedacht hatte, sie hätte jemanden gefunden, der ihre Misere verstand und ihr die Liebe geben konnte, nach der sie sich so sehnte, hatte dieser Jemand - Henry - ihr nicht einmal eine Chance gegeben. Und deshalb hatte sie alles verloren. Ihre Freiheit, ihre Würde, jeden Funken Respekt, den sie sich über die Jahrtausende erkämpft hatte. Doch ihr größter Verlust war Henry gewesen.
Seit Anbeginn der Menschheit waren sie zusammen gewesen, zwei der ursprünglichen sechs. Über Äonen hatte sie ihn beobachtet, umhüllt von Geheimnissen und einer Einsamkeit, die niemand durchbrechen konnte - zumindest bis Persephone auf der Bildfläche erschienen war. Und nach dem, was sie ihm angetan hatte ...
Wenn irgendjemand es verdient hatte, bestraft zu werden, dann Persephone. Alles, was Calliope je gewollt hatte, war, dass Henry glücklich war. Und eines Tages würde er begreifen, dass er das nur sein konnte, wenn sie endlich vereint waren. Egal, wie lange es dauern würde, sie würde ihn dazu bringen, das zu erkennen. Und dann würde Kate dafür bezahlen, dass sie ihnen kostbare gemeinsame Zeit gestohlen hatte.
"Calliope?", hakte Ingrid nach, und Calliope versuchte, diese trüben Gedanken abzuschütteln. Die Worte verflüchtigten sich aus ihrem Kopf, doch ihr Zorn und die Bitterkeit blieben.
"Kate", erwiderte Calliope und spie den Namen aus wie Gift. "Ihr Name ist Kate. Sie ist Dianas Tochter."
Ingrids Augen wurden groß. "Und Persephones Schwester?"
Calliope nickte, während sich hinter Ingrid ein seltsamer Nebel in der Ferne bildete. Er schien nach ihr zu rufen, sie zu sich zu locken, doch sie widerstand der Versuchung, sich von Ingrid abzuwenden und ihm zu folgen. Solange sie ihre Strafe hier verbüßte, indem sie Zeit mit jedem der Mädchen verbrachte, das sie umgebracht hatte, konnte sie nicht gehen, ohne dass Henry es sofort erfuhr. Wenn sie sich den Befehlen des Rats bewusst widersetzte, würde sie endgültig verbannt werden, und jemand anders würde ihren Platz im Rat einnehmen.
Sie wusste genau, wer dieser Jemand sein würde, und schwor sich, dass Kate niemals auch nur in die Nähe ihres Throns geraten würde, solange sie selbst noch eine Göttin war.
Nachdenklich betrachtete Calliope den Nebel. "Bist du schon mal dahinten gewesen?"
"Wo?", fragte Ingrid. "Bei den Bäumen? Ein paarmal, aber ich mag die Wiese lieber. Wusstest du, dass die Blütenblätter wie Zuckerwatte schmecken? Probier doch mal."
"Ich esse keine Süßigkeiten", gab Calliope zurück, immer noch fasziniert von dem Nebel. So etwas hatte sie in ihrer Zeit in der Unterwelt nie zuvor gesehen, und irgendetwas musste es zu bedeuten haben. Vielleicht war das Henrys Art, ihr mitzuteilen, dass sie zum nächsten Mädchen weiterziehen konnte. Vielleicht hatte er endlich kapiert, wie anstrengend Ingrid war.
"Wie kann man denn keine Süßigkeiten essen?" Ingrid schien zwischen Unglauben und Fassungslosigkeit zu schwanken. "Jeder isst Süßigkeiten."
"Ich bin nicht jeder", erwiderte Calliope knapp. "Warte hier."
"Damit du abhauen kannst? Wohl kaum", widersprach Ingrid. "Ich muss dir vergeben, bevor du gehen darfst, schon vergessen?"
Calliope knirschte mit den Zähnen. Natürlich hatte sie es nicht vergessen, aber ganz ehrlich - Ingrid würde ihr niemals verzeihen. Selbst wenn sie es tat, wagte Calliope zu bezweifeln, dass jedes Mädchen, das sie getötet hatte, dasselbe tun würde. Doch so lautete Kates Urteil, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit in der Unterwelt festsaß. Das war länger, als Calliope zu warten bereit war. "Wenn du nicht willst, dass ich deine Füße am Boden festwachsen lasse, bleibst du hier."
"So was kannst du?"
Calliope machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Stattdessen marschierte sie auf diesen faszinierenden Nebel zu, weg von Ingrid, die wenigstens so viel Grips besaß, ihr nicht zu folgen. Je weiter sie sich von Ingrid entfernte, desto mehr verblasste die Wiese, bis Calliope von Felsen umgeben war - das wahre Erscheinungsbild der Unterwelt, wenn keine tote Seele in der Nähe war, um es zu beeinflussen.
Von Nahem betrachtet war der Nebel gar kein richtiger Nebel, wie Calliope erkannte. Vielmehr schien die Luft zu schimmern - Tausende zarte Lichtfinger, die nach ihr zu greifen schienen. Calliope streckte die Hand danach aus, und in der Sekunde, als ihre Finger das seltsame Glühen berührten, wusste sie, warum es sie so magisch angezogen hatte. Endlich, nach Jahrzehnten des Wartens, war er erwacht.
Calliope lächelte, und eine Woge der Macht durchströmte sie. Eine Macht, die so alt war, dass es keinen Namen dafür gab. Ingrid verblasste zu nichts als einer undeutlichen Erinnerung, als Calliope vortrat und der Zorn, den sie schon so lange in sich nährte, sich endlich zu voller Kraft entfaltete.
"Hallo, Vater."
1. Kapitel
Rückkehr nach Eden
Als ich noch in der Schule war, haben meine Lehrer die Klasse jeden Herbst einen dieser furchtbaren Aufsätze schreiben lassen: "Was ich letzten Sommer gemacht habe". Das volle Programm, mit Vortrag, Fotos und lustigen Anekdoten - alles, um einen Raum voll gelangweilter Schüler dazu zu bringen, etwas Interesse zu zeigen.
Jedes Jahr saß ich da und hörte zu, wenn meine Klassenkameraden an der New Yorker Grundschule von ihren Ferien in den Hamptons oder in Florida oder in Europa berichteten - mit ihren reichen Eltern oder Au-pair-Mädchen oder, als wir älter wurden, ihren Freunden und Freundinnen. Als wir schließlich in der Highschool waren, hatte ich bis zum Erbrechen immer dieselben glamourösen Geschichten gehört: Eskapaden in Paris mit Supermodels, nächtelange Partys auf den Bahamas mit Rockstars und so weiter. In ihrem Wunsch, Aufmerksamkeit zu erregen, überschlugen sich meine Mitschüler förmlich mit der Schilderung immer wilderer Abenteuer.
Meine Geschichte war jedes Jahr dieselbe. Meine Mutter war Floristin, und weil der Großteil ihres Einkommens für die Schule draufging, fuhren wir nie aus New York City weg. An ihren freien Tagen gingen wir in den Central Park und sogen das Sonnenlicht in uns auf. Als sie dann krank wurde, verbrachte ich meine Sommer bei ihr im Krankenhaus. Hielt ihr das Haar aus dem Gesicht, wenn sie sich wegen der Chemotherapie übergeben musste, oder zappte auf der Suche nach irgendetwas Interessantem durch die Fernsehkanäle.
Es waren nicht die Hamptons. Es war nicht Florida. Es war nicht Europa. Aber es waren meine Sommer.
Jener Sommer nach meinen ersten sechs Monaten mit Henry jedoch ließ jeden Sommer, den meine Klassenkameraden je verlebt hatten, blass aussehen.
"Ich kann immer noch nicht glauben, dass du vorher noch nie mit Delfinen geschwommen bist", sagte James, während ich eine löchrige Schotterstraße entlangfuhr, die nicht besonders oft benutzt zu werden schien. Wir waren zurück auf der oberen Halbinsel von Michigan und umgeben von Bäumen, die höher waren als die meisten Gebäude. Je näher wir Eden Manor kamen, desto breiter wurde mein Grinsen.
"Ist ja nicht so, als hätten wir davon im Hudson besonders viele gehabt", gab ich zurück und trat etwas fester aufs Gas. Dieser Ort lag so weit ab von der Zivilisation, dass es kein Tempolimit gab, aber als ich das letzte Mal hier entlanggefahren war, war meine Mutter zu krank gewesen, als dass ich das hätte ausnutzen können. Doch jetzt, nachdem der Rat mir die Unsterblichkeit gewährt hatte, war das Einzige, was in Gefahr war, mein klappriges altes Auto. Bisher gefielen mir die Vorteile. "Der Vulkanausbruch hat mich mehr beeindruckt."
"Keine Ahnung, woher das auf einmal kam", gestand James ein. "Dieser Vulkan war schon länger nicht mehr aktiv, als manche von uns auf der Welt sind. Darauf sollte ich Henry vielleicht ansprechen, wenn wir zurück sind."
"Was sollte Henry denn mit einem Vulkan zu tun haben?", fragte ich, während mein Herz einen Sprung machte. Mittlerweile waren wir so nah, dass ich ihn fast spüren konnte, und ich trommelte nervös mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad.
"Es gibt Vulkane in Henrys Reich. Wenn ein so alter Vulkan so heftig ausbricht, dann ist irgendwas im Gang." James biss ein Stück Trockenfleisch ab und hielt mir den Rest hin. Ich rümpfte nur die Nase. "Selbst schuld. Du weißt, dass du ihm jede Einzelheit über alles erzählen musst, was wir unternommen haben, oder?"
Verwirrt warf ich ihm einen Seitenblick zu. "Ich hatte auch nichts anderes vor. Wieso? Was ist daran verkehrt?"
James zuckte mit den Schultern. "Nichts. Ich hatte bloß den Eindruck, er wäre nicht so begeistert von dem Gedanken, dass du sechs Monate mit einem gut aussehenden blonden Fremden in Griechenland verbringst, das ist alles."
Ich musste so sehr lachen, dass ich fast von der Straße abkam. "Und wer war dieser gut aussehende blonde Fremde? Ich kann mich an niemanden in der Art erinnern."
"Genau das solltest du Henry sagen, dann sind wir beide auf der sicheren Seite", gab James fröhlich zurück.
Es war natürlich ein Witz. James war mein bester Freund, und wir hatten den Sommer damit verbracht, gemeinsam alte Ruinen, weit verzweigte Städte und atemberaubende Inseln zu erforschen - an einem der schönsten Orte der Erde. Vielleicht auch einer der romantischsten, aber James war James, und ich war mit Henry verheiratet.
Verheiratet. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt. Meinen Ehering mit dem schwarzen Diamanten hatte ich an einer Kette um den Hals getragen - aus lauter Angst, ihn zu verlieren. Jetzt, da wir kaum noch eine Meile von Eden entfernt waren, wurde es Zeit, ihn mir wieder auf den Ringfinger zu stecken. Ich hatte mich durch die sieben Prüfungen gekämpft, die der Rat der Götter mir auferlegt hatte, um herauszufinden, ob ich der Unsterblichkeit würdig war. Ob ich würdig war, Königin der Unterwelt zu werden. Und weil ich es geschafft hatte - gerade so -, waren Henry und ich jetzt Mann und Frau.
Allerdings fühlte es sich nicht so an, wenn ich an die Stille dachte, die in den letzten sechs Monaten zwischen uns geherrscht hatte. James gegenüber hatte ich es nicht eingestanden, aber den ganzen Sommer über hatte ich mich immer wieder umgeblickt - in der Hoffnung, Henry in der Menge zu erblicken, auch wenn er eigentlich gar nicht da sein sollte. Doch egal, wie aufmerksam ich nach ihm gesucht hatte, ich hatte keine Spur von ihm entdeckt. Zugegeben, ein halbes Jahr war quasi nur ein Wimpernschlag für jemanden, der schon vor der Geburt der Menschheit existiert hatte. Aber ein kleiner Hinweis, dass er mich vermisste, war ja wohl nicht zu viel verlangt.
Auch während meines Winters mit ihm hatte ich um jeden kleinen Fortschritt kämpfen müssen. Jeder Blick, jede Berührung, jeder Kuss - was, wenn wir nach sechs Monaten wieder ganz von vorn anfangen mussten? Er hatte tausend Jahre damit verbracht, um seine erste Frau Persephone zu trauern, und mich kannte er erst seit einem einzigen. Unsere Hochzeit war nicht das perfekte Ende einer wundervollen Liebesgeschichte gewesen. Sie hatte den Beginn der Ewigkeit bedeutet, und nichts an unserem neuen gemeinsamen Leben würde einfach sein. Für keinen von uns. Vor allem wenn man bedachte, dass ich mich nicht nur in die Ehe würde einfinden müssen, sondern gleichzeitig auch noch lernen musste, Königin der Unterwelt zu sein.
MIRA Taschenbuch Band 65066 © 2012 by Aimée Carter
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Autoren-Porträt von Aimée Carter
Aimée Carter wurde 1986 in Michigan geboren, wo sie heute noch lebt. Bereits mit elf Jahren hat sie angefangen, Romane zu schreiben. Sie geht gern ins Kino, spielt mit ihren Hunden und liebt es, jeden Morgen das Kreuzworträtsel in der Zeitung zu lösen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Aimée Carter
- 2012, 1. Aufl., 304 Seiten, Maße: 13,9 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Freya Gehrke
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862784797
- ISBN-13: 9783862784790
- Erscheinungsdatum: 15.10.2012
Rezension zu „Die unsterbliche Braut “
Gefährlich sexy - ein Muss für Romantic-Thriller-Fans!"RT Bookclub"So mitreißend, dass ich das Buch nicht zur Seite legen konnte. Eine großartige Geschichte für Teenage-Girls." - Melissa Anelli, New York Times-Bestsellerautorin von "Das Phänomen Harry Potter" über "Das göttliche Mädchen""Ein frischer Blick auf die griechische Mythologie! Das verleiht dieser Geschichte ein strahlendes Funkeln." - Cassandra Clare, New York Times-Bestellerautorin über "Das göttliche Mädchen"
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