Ein Opfer der Umstände
Der Roman wurde mit dem ''Preis für den besten niederländischen Kriminalroman'' ausgezeichnet.
Ein Opfer der Umstände von René Appel
LESEPROBE
»Hast du dichschon ein bisschen eingewöhnt?«, fragte Felix. Richard nickte. »Ja, geht so.«Seine Stimme klang träge und schleppend. Wahrscheinlich lag das an denMedikamenten.
»Nette Leute?«
Richard zuckte mitden Schultern und zog ein zerknülltes Päckchen Tabak aus der Hosentasche.Konzentriert begann er, sich eine Zigarette zu drehen. Felix schaute sich um.Sie saßen im Gemeinschaftsraum. Es gab eine Tischtennisplatte, einen normalenBillardtisch und ein Poolbillard. Auf einem Lesetisch lagen Zeitungen und
Zeitschriften.Drei junge Männer spielten Billard. Zwei Frauen saßen am Lesetisch undrauchten. Richard war letzte Woche hier eingewiesen worden. In einem klarenMoment hatte er der Einweisung selbst zugestimmt. In den letzten Monaten hatteFelix fast jeden Tag bei ihm vorbeigeschaut, und es war sonnenklar gewesen,dass der Ausdruck »es geht bergab« Richards Entwicklung treffend beschrieb.Schon lange tat er nichts mehr für sein Studium. Letzte Woche hatte er alleSteckdosen in seinem Zimmer in einer Studentenwohngemeinschaft
demontiert. »Ichweiß, dass sie Strahlen da durchschicken«, hatte er gesagt. »Damit versuchendie, mich zu beeinflussen, weil ich sie nicht in mein Zimmer lasse. Ich weiß,was die vorhaben, und deshalb soll ich eliminiert werden. Aber jetzt sind siemachtlos, jetzt kann nichts mehr da durchkommen.« Er hatte gegrinst undgekichert. Es war das reinste Wunder, dass er nicht an einem elektrischenSchlag gestorben war.
»Wer sind denn die ?«, hatte Felix gefragt.
»Das darf ichnicht verraten. Das ist ein Geheimnis. Wenn ich es anderen erzähle, bin ichmeines Lebens nicht mehr sicher.«
Auch sonstherrschte im Zimmer ein Riesenchaos: leere Flaschen, Essensreste, alteZeitungen, herumliegende Kleidungsstücke. Felix hatte den Eindruck, dass Richardschon seit Monaten keine saubere Kleidung mehr angezogen und sich auch nichtmehr gewaschen hatte. Schon in einigen Metern Entfernung meinte er, Richardssäuerlichen, fauligen Körpergeruch zu riechen, als sei er ein wandelnderMülleimer. Na ja, wandelnd Richard konnte stundenlang auf einem Stuhl sitzenund untätig aus dem Fenster starren.
»Möchtest du nocheine Tasse Kaffee?«, fragte Felix.
»Okay.«
»Vielleicht einStück Kuchen dazu?«
»Nein, danke.«
Richard warklapperdürr. In den letzten Wochen, bevor er eingewiesen worden war, hatte eroffensichtlich kaum mehr etwas gegessen. Felix hatte ihm ein paar Mal Brötchenmitgebracht oder ein Gericht vom Chinesen, aber Richard hatte alles stehenlassen. »Die können da Sachen reintun. Das machen die öfter. Man schmeckt esnicht, aber trotzdem ist es drin.«
Felix holte zweiBecher Kaffee aus dem Automaten. Ein Mann in einem knallroten Hemd stellte sichneben ihn. »Das ist ein guter Automat«, sagte der Mann. »Aber es gibt auch sehrböse Automaten. Bei mir auf der Arbeit stand so einer. Manchen Leuten hat erKaffee gegeben, manchen nicht. Wenn dein Gesicht ihm nicht passt, dann kriegstdu keinen Kaffee. Manchmal musste ich andere Leute bitten, für mich Kaffee zuholen. Dann hat es geklappt. Man muss sich eben ab und zu einen kleinen Trickausdenken.«
»Ich glaube, soein Automat ist ganz schön lästig«, sagte Felix.
»Nicht nur lästig,auch ungerecht. Ich habe deswegen an den Direktor und an die Gewerkschaftgeschrieben, aber «
Felix stand mitzwei glühend heißen Bechern Kaffee in der Hand da. »Ich geh dann mal wieder zumeinem Bruder.«
Felix setzte sichzu Richard. »Hier, dein Kaffee. Kennst du den Mann da?« Er wies mit einerBewegung in die Richtung des Mannes mit dem roten Hemd, der jetzt ein Gesprächmit dem Kaffeeautomaten zu führen schien.
»Das ist Arthur.Der glaubt, dass der Kaffeeautomat lebendig ist.« Richard lachte abfällig.
Schweigend trankensie ihren Kaffee. Bisher war Felix jeden Tag zu Besuch gekommen, aber er wusstenicht, ob er diesen Rhythmus in Zukunft beibehalten konnte. Er hatte die Schulejetzt schon gehörig vernachlässigt. Wen gab es sonst noch?
Felix hatte mitanderen Studenten aus Richards Wohngemeinschaft gesprochen, aber die hattenausweichend reagiert. Nein, viel Kontakt hätten sie nicht zu ihm, auch früherschon nicht. Er sei sehr verschlossen und nehme nie an den gemeinsamenMahlzeiten teil. »Ein bisschen spinnert, ein komischer Typ tschuldigung, istnicht bös gemeint oder so. Eingewiesen? Tja, ist vielleicht das Beste für ihn.«Besuch von einem seiner Mitbewohner war also nicht zu erwarten. Im Chaos vonRichards Sachen hatte Felix einen Kalender gefunden,
aber die Seitenmit den Namen und Adressen waren herausgerissen.
© Droemer/KnaurVerlag
Übersetzung:Stefanie Schäfer
- Autor: Rene Appel
- 2004, 346 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426626837
- ISBN-13: 9783426626832
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