Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt
Henning Mankells bewegender Tatsachenbericht über seine unvergessliche Reise nach Uganda und seine Begegnungen mit aidskranken Müttern und Kindern....
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Henning Mankells bewegender Tatsachenbericht über seine unvergessliche Reise nach Uganda und seine Begegnungen mit aidskranken Müttern und Kindern.
Im Mittelpunkt seines Berichts steht das Mädchen Aida, dessen Mutter Aids hat. Das Einkommen als Lehrerin reichte aus, eine 16-köpfige Familie zu ernähren, aber nicht, um die notwendigen Medikamente zu bezahlen. Es gibt so viele Kinder, denen durch den vorzeitigen Tod der Eltern die Verantwortung für ihre Geschwister aufgebürdet wird. Besonders erschütternd: die Erinnerungsbücher der Eltern für ihre Kinder.
»Nichts ist seit den Höhlenzeichnungen der Steinzeitmenschen so bewegend wie diese Bücher sterbender Eltern für ihre Kinder.« Elke Heidenreich
»Es ist zwei Wochen her, daß Aida mir gezeigt hat, wo sie ihre Mangopflanze versteckt hat, ein paar Meilen nördlich von Kampala in Uganda.« - Aidas Mutter wird bald an Aids sterben. Aber Aida pflanzt einen Mangobaum als Symbol des Lebens. Und von ihrer Mutter bekommt sie ein Memory Book ...
Henning Mankell ist nach Uganda gereist, um mit Aidskranken und deren Angehörigen zu sprechen. Entwicklungshelfer unterstützen die Eltern dabei, Memory Books für ihre Kinder zu verfassen: Erinnerungsbücher, kleine Hefte mit eingeklebten Bildern und Texten. Denn was können Kinder über ihre Eltern erzählen, wenn sie bei ihrem Tod noch zu klein waren, um sich an sie zu erinnern? Wie sollen junge Waisen erfahren, wer ihre Eltern waren, wer sie selbst sind, woher sie kommen?
Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt vonHenning Mankell
LESEPROBE
18.
Der Nebel löst sich langsam auf. Ich stehe da und sehe auf das Meer hinaus unddenke an Aida und ihre Mangopflanze.
Als sie sie mir zeigte, war ich ganz sicher, daß dies einerder Momente war, die man nicht vergißt, solange man lebt.
19.
Wie es eigentlich dazu kam, weiß ich nicht. Ebenso wenig weiß ich, wann Aidasich entschloß, mir ihr Vertrauen zu schenken und ihr Geheimnis mit mir zuteilen. Aber ich bekam sie zu sehen, als ich sie und die Familie zum zweitenmalbesuchte.
Als ich sie das erstemal besuchte, war es ein sehr heißerTag. Wir fuhren früh in Kampala los, um zu vermeiden, daß wir auf derAusfallstraße ins vormittägliche Verkehrschaos gerieten. Beatrice, die mirhalf, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die krank waren undErinnerungsbücher schrieben, hatte mit Christine ausgemacht, daß ich bei ihrvorbeikommen sollte. Da wußte ich noch nicht, daß es eine Tochter namens Aidagab. Von Christine wußte ich eigentlich nur zwei Dinge, daß sie Aids hatte unddaß sie bereit war, mit mir darüber zu sprechen.
Als wir an diesem Morgen aus Kampala herausfuhren, empfandich dasselbe Unbehagen, das mich begleitet hatte, als ich nach Uganda kam. Esliegt etwas fast Unanständiges darin, zu erwarten, daß todkranke Menschenbereit sein sollen, einem wildfremden Mann gegenüber über ihr Leiden und ihrSchicksal zu sprechen. Der außerdem aus dem fernen Winkel der Welt – Europa,dem Westen - geflogen kommt, wo die gefürchtete Krankheit fast gebändigt und zueiner chronischen, aber nicht tödlichen Krankheit geworden ist. Die Krankheit,die jetzt wahllos auf dem afrikanischen Kontinent und an anderen Orten in derarmen Welt tötet.
Ich schlief schlecht, da es mich vor der Aufgabe grauste.Die Unruhe war leicht zu verstehen. Es grauste mich, weil ich wußte, daß dasSchicksal von Christine und den anderen mir sehr nahe gehen würde.
Beatrice hatte uns eine gute Wegbeschreibung geliefert. Wirbogen ab, und wie immer in Afrika ist man sogleich mitten drin in einer anderenWelt; in der, die etwas unzutreffend das eigentliche Afrika genannt wird. AberAfrika ist immer „eigentlich“, ob Savanne oder Slum, ob alte verfallenekoloniale Stadtviertel oder ein düsteres, unbestimmbares Grenzland zwischenBusch und Wüste.
Christine besaß zwei Häuser. In dem einen wohnten ihr Vaterund ihre Mutter und einige der Geschwister. Als ich ankam und aus dem Autostieg, sah ich als erstes ihren Vater, der dasaß und ein Gemüse putzte, das ichnoch nie gesehen hatte. Er war unrasiert, aber sehr würdevoll. Später erfuhrich, daß er möglicherweise 80 Jahre alt war, auch wenn niemand es mitBestimmtheit sagen konnte. Er hatte einen scharfen Blick, und rings um ihn herexistierte ein unsichtbares Kraftfeld, das sogleich alle umschloß, die sich ihmnäherten.
Während der ganzen Unterredung, die ich an diesem Tag mitChristine führte, putzte er weiter sein Gemüse. Dann und wann brachte ihm einKind oder vielleicht eine Tante oder seine Frau etwas zu trinken.
Er war wie ein Zeitmesser, der voller Verachtung einegewöhnliche Uhr ablehnte. Die einzige Art, die Bewegung in seinem eigenen Lebenund dem anderer zu messen, war für ihn, Gemüse zu putzen.
Christine war mager und wirkte erschöpft. Ich konnte gleichsehen, daß sie sich angestrengt hatte, um uns zu empfangen. Ihre Kleiderwahl,das Gesicht, das glänzte, das sorgfältig gebürstete Haar. Bei ihr war es wiebei allen anderen Aidskranken, denen ich auf dieser Reise begegnete: dasLetzte, das sie verließ, war die Würde. Es war die letzte Bastion, die bis aufsäußerste verteidigt werden mußte. Danach gab es nur noch den Tod, und der kamoft schnell, wenn die Würde erst einmal verloren gegangen war.
Christine sagte:
- Ich habe eine Tochter.
Wir saßen auf zwei braunen Schemeln im Schatten hinter demoffenen, aber überdachten Raum, in dem das Essen für die Großfamilie zubereitetwurde. Christine sagte etwas in ihrer eigenen Sprache. Aus einer Gruppe vonBananenbäumen trat ihre Tochter hervor. Sie trug einen dunkelblauen Rock,zerschlissen, mit Rissen, sie ging barfuß und hatte eine rote Bluse an. Sie wardünn und groß, und sie war ganz die Tochter ihrer Mutter, denn sie hatte dengleichen Zug um Mund und Nase und Augen. Aida war schüchtern, sie sprach mitleiser Stimme und schlug den Blick nieder. Als ich ihr die Hand gab, zog siedie ihre so schnell wie möglich zurück.
Während meines langen Gesprächs mit Christine blieb Aidaverschwunden. Erst gegen Nachmittag, als wir nach Kampala zurückfahren wolltenund einen Zeitpunkt für meinen nächsten Besuch vereinbart hatten, entdeckte ichsie wieder. Sie hatte sich Christines Mutter und einigen der anderen Mädchenangeschlossen, nicht Christines Töchtern, aber den Töchtern einer ihrerSchwestern. Ein der Schwestern, die bereits an Aids gestorben war. Sie kochtendas Abendessen. Ich sah, wie Aida das Gemüse holte, das Christines Vater denganzen Tag lang geputzt hatte.
Christine sagte:
- Wenn ich fort bin, wird Aida eine große Verantwortung
übernehmen müssen. Um ihretwillen versuche ich zu leben, so lange ich kann.
- Weiß sie davon?
Christine sah mich fragend an.
- Natürlich weiß sie davon.
- Was hast du ihr gesagt?
- Das, was gesagt werden muß. Sie wird die Mutter ihrer
Geschwister sein müssen, wenn ich fort bin, und falls meine Eltern dann noch leben,wird sie ihre neue Tochter sein.
- Wie hat sie reagiert?
- Sie wurde traurig. Was sonst?
© Zsolnay Verlag
Übersetzung: Verena Reichel
- Autor: Henning Mankell
- 2006, 1. Auflage, 144 Seiten, Maße: 12 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Verena Reichel, Katrin Hillgruber
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423134798
- ISBN-13: 9783423134798
- Erscheinungsdatum: 01.08.2006
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