Kommissar Dupin Band 1: Bretonische Verhältnisse
Ein Fall für Kommissar Dupin
Ein Mord in der sommerlich-heißen Bretagne: Der 91-jährige Hotelbesitzer Pennec wurde brutal erstochen. Wer ermordet einen Greis? Kommissar Dupin tappt im Dunkeln, zumal sich die Bretonen als nicht gerade redsam erweisen. Dann wird eine zweite Leiche gefunden.
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Produktinformationen zu „Kommissar Dupin Band 1: Bretonische Verhältnisse “
Ein Mord in der sommerlich-heißen Bretagne: Der 91-jährige Hotelbesitzer Pennec wurde brutal erstochen. Wer ermordet einen Greis? Kommissar Dupin tappt im Dunkeln, zumal sich die Bretonen als nicht gerade redsam erweisen. Dann wird eine zweite Leiche gefunden.
Klappentext zu „Kommissar Dupin Band 1: Bretonische Verhältnisse “
Hochsaison in der Bretagne: Im malerischen Künstlerdorf Pont Aven wird an einem heißen Julimorgen der hochbetagte Besitzer des berühmtesten Hotels am Platz brutal erstochen aufgefunden. Kommissar Dupin, eingefleischter Pariser und zwangsversetzt ans Ende der Welt, übernimmt den Fall und stößt in der bretonischen Sommeridylle auf ungeahnte Abgründe ...
Lese-Probe zu „Kommissar Dupin Band 1: Bretonische Verhältnisse “
Bretonische Verhältnisse von Jean-Luc BannalecDer erste Tag
Es war ein fabelhafter Sommertag, dieser 7. Juli. Einer dieser großen atlantischen Tage, die Kommissar Dupin für gewöhnlich ganz glücklich machten. Das Blau schien überall zu sein, die Luft war, für bretonische Verhältnisse, sehr warm, schon so frühmorgens, und dabei ganz luzid; die Dinge besaßen eine klare, scharfe Gegenwart. Gestern Abend noch hatte es nach Weltuntergang ausgesehen, schwere, tief hängende, drohend schwarze Wolkenungetüme waren den Himmel entlanggerast und hatten es in heftigen Böen wieder und wieder sintflutartig regnen lassen.
... mehr
Concarneau, die prächtige »Blaue Stadt«, wie sie ob der leuchtend blauen Fischernetze, die im letzten Jahrhundert die Quais gesäumt hatten, noch heute hieß, strahlte. Kommissar Georges Dupin saß im Amiral, ganz am Ende der Bar, wie immer die Zeitung vor sich ausgebreitet. Die runde Uhr über dem schönen alten Gebäude der Markthalle, wo man täglich fangfrisch kaufen konnte, was den hiesigen Fischern in den sehr frühen Morgenstunden ins Netz gegangen war, zeigte 7 Uhr 30. Das traditionsreiche Café und Restaurant, das früher auch ein Hotel gewesen war, lag direkt am Quai, gegenüber der berühmten Altstadt. Die von mächtigen Mauern und Wehrtürmen geschützte Ville Close war auf einer kleinen, lang gestreckten Insel gebaut worden, die wie gemalt in dem großen Hafenbecken lag, in das der Träge Moros mündete. Seit Dupin vor zwei Jahren und sieben Monaten infolge »bestimmter Querelen« - so hatte es in den internen Papieren geheißen - aus Paris in die entlegenste Provinz »versetzt« worden war (und sein ganzes Leben zuvor in der glamourösen Hauptstadt verbracht hatte), trank er jeden Morgen seinen petit café im Amiral; ein ebenso strenges wie lustvolles Ritual.
Charme besaßen die Räume des Amiral keinen mehr, seitdem man sie vor ein paar Jahren mit großem Aufwand von Grund auf renoviert oder, wie Paul Girard, der leutselige Besitzer, stolz formulierte, »vollständig modernisiert« hatte. Wenig erinnerte noch an die großen Zeiten Ende des 19. Jahrhunderts, als weltberühmte Künstler oder später dann Maigret hier logierten. Gauguin hatte sich direkt vor dem Restaurant eine derbe Prügelei geliefert, rüde Seeleute hatten seine blutjunge javanesische Freundin beleidigt. Nur selten verirrten sich Touristen ins Amiral, sie bevorzugten die »idyllischeren« Cafés weiter unten am großen Platz. So war man hier weitgehend unter sich.
»Noch einen Café. und ein Croissant.«
Am Blick und an der knappen Geste des Kommissars erkannte Girard, was sein Gast wollte, der eher gemurmelt hatte als zu sprechen. Es war Dupins dritter Café.
»Siebenunddreißig Millionen - haben Sie gesehen, Monsieur le commissaire, siebenunddreißig Millionen sind jetzt drin.« Girard stand schon an der Espressomaschine, die Dupin jedes Mal aufs neue beeindruckte, eine von denen, die noch richtige Geräusche machten.
Der Besitzer des Amiral war vielleicht sechzig, hatte einen beeindruckend länglichen Kopf, der vor allem von einem geprägt war: einem riesigen Schnurrbart, der schon lange so strahlend grau geworden war wie die verbliebenen wenigen Haare auf seinem Kopf. Seine Augen waren immer überall, er sah alles. Dupin mochte ihn gut leiden, auch wenn sie nie viel sprachen. Vielleicht deswegen. Girard hatte den Kommissar vom ersten Tag an akzeptiert - was viel hieß hier, generell, aber vor allem, weil Pariser den Bretonen die einzig wirklichen Ausländer waren.
»Verdammt.«
Dupin fiel ein, dass er unbedingt noch tippen wollte. Der gigantische Lotto-Jackpot, der die ganze Nation in Atem hielt, war auch letzte Woche nicht geknackt worden. Dupin hatte mutig zwölf Reihen getippt und es fertiggebracht, in zwei - unterschiedlichen - Kästen jeweils eine Richtige zu haben.
»Heute ist schon Freitag, Monsieur le commissaire.«
»Ich weiß. Ich weiß.« Er würde gleich zum Tabac-Presse nebenan gehen.
»Letzte Woche sind Freitagmorgen überall die Scheine ausgegangen. «
»Ich weiß.«
Dupin hatte - wie die ganzen letzten Wochen - miserabel geschlafen, er versuchte sich auf die Zeitung zu konzentrieren. Im Juni hatte das nördliche Finistère traurige 62 Prozent der Sonnenstunden abbekommen, die ein durchschnittlicher Juni normalerweise bot - 145. Das südliche Finistère hatte es auf 70 Prozent gebracht, das angrenzende Morbihan, lediglich ein paar Kilometer entfernt, auf immerhin 82 Prozent. Der Artikel war der Aufmacher des Ouest-France. Erstaunliche Statistiken über das Wetter waren eine Spezialität der Zeitung - eigentlich aller bretonischen Zeitungen und überhaupt aller Bretonen. »Seit Jahrzehnten«, das war die dramatische Quintessenz, »hat uns kein Juni mit so niederschmetternd wenig Sonnenstunden und Wärme zurückgelassen.« Wieder einmal. Und der Artikel endete wie er enden musste: »So ist es: In der Bretagne ist das Wetter schön - fünf Mal am Tag«; eine Art patriotisches Mantra. Nur die Bretonen selbst durften indes über das bretonische Wetter schimpfen oder lachen; wenn es andere taten, wurde es als sehr unhöflich empfunden. Das verhielt sich, wie Dupin in den nun fast drei Jahren hier gelernt hatte, mit allem »Bretonischen « so.
Der penetrante Ton seines Mobiltelefons schreckte den Kommissar auf. Er hasste das, jedes Mal. es war Kadegs Nummer. Einer seiner beiden Inspektoren. Dupins Laune verdüsterte sich. er ließ es klingeln. er würde ihn in einer halben Stunde im Kommissariat sehen. Dupin fand Kadeg kleingeistig, unerträglich emsig, devot, dabei von einem hässlichen Ehrgeiz getrieben. Kadeg war Mitte dreißig, eher untersetzt, hatte ein rundes Babygesicht, ein wenig abstehende Ohren, eine Halbglatze, die ihm außerdem nicht stand - und fand sich unwiderstehlich. er war Dupin gleich am Anfang zugeteilt worden, und der Kommissar hatte einiges unternommen, um ihn loszuwerden. er war dabei ziemlich weit gegangen, ohne Erfolg.
Das Handy klingelte ein zweites Mal. Immer machte er sich wichtig. ein drittes Mal. Dupin merkte, dass er doch etwas unruhig wurde.
»Ja?«
»Monsieur le commissaire? Sind Sie es?«
»Wen erwarten Sie an meinem Telefon?«, blaffte Dupin.
»Präfekt Locmariaquer hat angerufen, gerade eben. Sie müssen ihn vertreten. Heute Abend, das Freundschafts-Komitee aus Staten Stoud in Kanada.«
Der süßliche Tonfall Kadegs war widerlich.
»Wie Sie wissen, ist Präfekt Locmariaquer ehrenvorsitzender unseres Komitees. Heute Abend wird die offizielle Delegation, die sich für eine Woche in Frankreich aufhält, Ehrengast auf der Bretonnade in Trégunc Plage sein. Der Präfekt hat nun unvorhergesehener Weise in Brest zu tun und bittet Sie, an seiner Stelle die Delegation und ihren ersten Vorsitzenden, Docteur de la croix, zu begrüßen. Trégunc ist ja unser Terrain.«
»Was?«
Dupin hatte keine Ahnung, wovon Kadeg sprach.
»Staten Stoud ist die Partnerstadt von concarneau, in der Nähe von Montreal, der Präfekt hat entfernte Verwandte dort, die ...«
»Es ist Viertel vor acht, Kadeg. Ich frühstücke.«
»Es ist dem Präfekten sehr wichtig, er hat ausschließlich deswegen angerufen. Und er hat mich gebeten, Sie unverzüglich zu informieren.«
»Zu informieren?«
Dupin legte auf. Er hatte keine Lust, sich auch nur einen Augenblick mit dieser Sache zu beschäftigen. Gott sei Dank war er zu müde, um sich wirklich aufzuregen. Dupin konnte Locmariaquer nicht ausstehen. Und außerdem hatte er bis heute keine rechte Idee davon, wie er diesen Namen auszusprechen hatte, was ihm zugegebenermaßen bei nicht wenigen Bretonen so ging und ihn, der in seinem Beruf nun einmal viel mit Menschen zu tun hatte, nicht selten in peinliche Situationen brachte.
Dupin wendete sich wieder der Zeitung zu. Der Ouest-France und der Télégramme, das waren die beiden großen Lokalzeitungen, die sich auf zuweilen kurios liebevoll-stolze Weise der Bretagne widmeten; nach einer Seite sehr summarischer internationaler und nationaler Nachrichten, die zügig das Weltgeschehen abhandelten, folgten dreißig Seiten regionaler und lokaler, meist sehr lokaler Meldungen. Kommissar Dupin liebte beide Blätter. nach seiner »Versetzung« hatte er, zunächst widerwillig, dann mit wachsendem Interesse seine Studien der bretonischen Seele begonnen. Neben den Begegnungen mit den Menschen waren es genau diese kleinen, scheinbar unbedeutenden Geschichten, durch die er am meisten erfahren hatte. Geschichten über das Leben am »ende der Welt«, dem »finis terrae« - wie die Römer den äußersten Teil der weit in den tosenden Atlantik hineingestreckten, wild zerklüfteten Halbinsel genannt hatten und wie das Département bis heute hieß.
Das Telefon klingelte wieder. Wieder Kadeg. Dupin merkte, wie trotz aller Müdigkeit Wut in ihm aufstieg.
»Ich werde heute Abend nicht können, ich habe zu tun, dienstliche Verpflichtungen, richten Sie das Loccarm - richten Sie das dem Präfekten aus.«
»Ein Mord. es gab einen Mord.«
Kadegs Stimme war dünn und ohne Intonation.
»Was?«
»In Pont Aven, Monsieur le commissaire. Pierre-Louis Pennec, der Besitzer des Hotel Central, wurde vor wenigen Minuten tot in seinem Restaurant aufgefunden. Man hat die Wache in Pont Aven angerufen.«
»Ist das ein Witz, Kadeg?«
»Die beiden Kollegen aus Pont Aven müssten schon da sein.«
»In Pont Aven? Pierre-Louis Pennec?«
»Wie meinen Sie, Monsieur le commissaire?«
»Was wissen Sie noch?«
»Nur das, was ich Ihnen gerade gesagt habe.«
»Und es ist sicher ein Mord?«
»Es sieht wohl so aus.«
»Warum?«
Dupin hatte sich über diese Frage fast schon geärgert, bevor sie ihm über die Lippen gekommen war.
»Ich kann Ihnen nur sagen, was der Anrufer, der Koch des Hotels, dem diensthabenden Polizisten gesagt hat, und der wiederum ...«
»Ist schon gut. aber was haben wir mit der Sache zu tun? Pont Aven fällt in den Zuständigkeitsbereich Quimperlés - das ist Dercaps angelegenheit.«
»Kommissar Dercap ist seit Montag im Urlaub. Bei ernsteren Vorkommnissen sind wir zuständig. Deswegen hat die Wache in Pont Aven ...«
»Ja, ja ... Ich mache mich auf. Sie auch. Und rufen Sie Riwal an, ich will, dass er umgehend kommt.«
»Riwal ist schon unterwegs.«
»Gut. - Das darf nicht wahr sein. So ein Scheiß.«
»Monsieur le commissaire?«
Dupin legte auf.
»Ich muss los«, rief er in Girards Richtung, der neugierig guckte. Dupin legte ein paar Münzen auf den Tresen und verließ das Amiral. Sein Wagen stand auf dem großen Parkplatz am Quai, nur ein paar Schritte entfernt.
»Absurd«, dachte Dupin, als er im Wagen saß, »das ist vollkommen absurd.« Ein Mord in Pont Aven. Im Hochsommer, kurz vor der Saison, die den Ort zu einem großen Freilichtmuseum werden ließ, wie man in concarneau spottete. Pont Aven war die reine Idylle. Der letzte Mord in dem pittoresken - für Dupins Geschmack viel zu pittoresken - Dorf, das Ende des 19. Jahrhunderts durch seine Künstlerkolonie, vor allem natürlich durch Paul Gauguin, ihr prominentestes Mitglied, weltweit berühmt geworden war und sich nun in jedem Reiseführer Frankreichs und jeder Geschichte der modernen Kunst wiederfand, musste Ewigkeiten zurückliegen. und dazu: der hochbetagte Pierre- Louis Pennec - ein legendärer Hotelier, eine Institution - ganz so wie es sein Vater und vor allem natürlich seine Großmutter gewesen waren, die berühmte Gründerin des Central, Marie- Jeanne Pennec.
Dupin fingerte an den aberwitzig winzigen Tasten seines Autotelefons herum, er hasste das.
»Wo sind Sie, Nolwenn?«
»Auf dem Weg ins Kommissariat. Kadeg hat gerade angerufen. Ich bin im Bilde. Sie wollen sicher Docteur Lafond.«
»So schnell es geht.«
Seit einem Jahr gab es einen zweiten Gerichtsmediziner in Quimper, den Dupin nicht ertragen konnte, ewen Savoir, ein linkischer junger Schnösel. Mit beeindruckender technischer und technologischer Ausrüstung, aber dumm. Und furchtbar umständlich. Zwar konnte Dupin nicht gerade behaupten, dass er den alten brummigen Docteur Lafond mochte; auch er und Lafond gerieten sich zuweilen in die Haare, wenn es Dupin nicht schnell genug ging, und dann schimpfte Lafond wie ein Rohrspatz, doch er leistete einfach großartige Arbeit.
»Savoir macht mich vollkommen wahnsinnig.«
»Ich kümmere mich um alles.«
Dupin liebte diesen Satz aus Nolwenns Mund. Sie war schon die Sekretärin seines Vorgängers und Vorvorgängers gewesen. Sie war großartig. Patent. Unendlich patent.
»Gut. Ich bin am letzten Kreisel von concarneau. In zehn Minuten bin ich da.«
© der Originalausgabe 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Concarneau, die prächtige »Blaue Stadt«, wie sie ob der leuchtend blauen Fischernetze, die im letzten Jahrhundert die Quais gesäumt hatten, noch heute hieß, strahlte. Kommissar Georges Dupin saß im Amiral, ganz am Ende der Bar, wie immer die Zeitung vor sich ausgebreitet. Die runde Uhr über dem schönen alten Gebäude der Markthalle, wo man täglich fangfrisch kaufen konnte, was den hiesigen Fischern in den sehr frühen Morgenstunden ins Netz gegangen war, zeigte 7 Uhr 30. Das traditionsreiche Café und Restaurant, das früher auch ein Hotel gewesen war, lag direkt am Quai, gegenüber der berühmten Altstadt. Die von mächtigen Mauern und Wehrtürmen geschützte Ville Close war auf einer kleinen, lang gestreckten Insel gebaut worden, die wie gemalt in dem großen Hafenbecken lag, in das der Träge Moros mündete. Seit Dupin vor zwei Jahren und sieben Monaten infolge »bestimmter Querelen« - so hatte es in den internen Papieren geheißen - aus Paris in die entlegenste Provinz »versetzt« worden war (und sein ganzes Leben zuvor in der glamourösen Hauptstadt verbracht hatte), trank er jeden Morgen seinen petit café im Amiral; ein ebenso strenges wie lustvolles Ritual.
Charme besaßen die Räume des Amiral keinen mehr, seitdem man sie vor ein paar Jahren mit großem Aufwand von Grund auf renoviert oder, wie Paul Girard, der leutselige Besitzer, stolz formulierte, »vollständig modernisiert« hatte. Wenig erinnerte noch an die großen Zeiten Ende des 19. Jahrhunderts, als weltberühmte Künstler oder später dann Maigret hier logierten. Gauguin hatte sich direkt vor dem Restaurant eine derbe Prügelei geliefert, rüde Seeleute hatten seine blutjunge javanesische Freundin beleidigt. Nur selten verirrten sich Touristen ins Amiral, sie bevorzugten die »idyllischeren« Cafés weiter unten am großen Platz. So war man hier weitgehend unter sich.
»Noch einen Café. und ein Croissant.«
Am Blick und an der knappen Geste des Kommissars erkannte Girard, was sein Gast wollte, der eher gemurmelt hatte als zu sprechen. Es war Dupins dritter Café.
»Siebenunddreißig Millionen - haben Sie gesehen, Monsieur le commissaire, siebenunddreißig Millionen sind jetzt drin.« Girard stand schon an der Espressomaschine, die Dupin jedes Mal aufs neue beeindruckte, eine von denen, die noch richtige Geräusche machten.
Der Besitzer des Amiral war vielleicht sechzig, hatte einen beeindruckend länglichen Kopf, der vor allem von einem geprägt war: einem riesigen Schnurrbart, der schon lange so strahlend grau geworden war wie die verbliebenen wenigen Haare auf seinem Kopf. Seine Augen waren immer überall, er sah alles. Dupin mochte ihn gut leiden, auch wenn sie nie viel sprachen. Vielleicht deswegen. Girard hatte den Kommissar vom ersten Tag an akzeptiert - was viel hieß hier, generell, aber vor allem, weil Pariser den Bretonen die einzig wirklichen Ausländer waren.
»Verdammt.«
Dupin fiel ein, dass er unbedingt noch tippen wollte. Der gigantische Lotto-Jackpot, der die ganze Nation in Atem hielt, war auch letzte Woche nicht geknackt worden. Dupin hatte mutig zwölf Reihen getippt und es fertiggebracht, in zwei - unterschiedlichen - Kästen jeweils eine Richtige zu haben.
»Heute ist schon Freitag, Monsieur le commissaire.«
»Ich weiß. Ich weiß.« Er würde gleich zum Tabac-Presse nebenan gehen.
»Letzte Woche sind Freitagmorgen überall die Scheine ausgegangen. «
»Ich weiß.«
Dupin hatte - wie die ganzen letzten Wochen - miserabel geschlafen, er versuchte sich auf die Zeitung zu konzentrieren. Im Juni hatte das nördliche Finistère traurige 62 Prozent der Sonnenstunden abbekommen, die ein durchschnittlicher Juni normalerweise bot - 145. Das südliche Finistère hatte es auf 70 Prozent gebracht, das angrenzende Morbihan, lediglich ein paar Kilometer entfernt, auf immerhin 82 Prozent. Der Artikel war der Aufmacher des Ouest-France. Erstaunliche Statistiken über das Wetter waren eine Spezialität der Zeitung - eigentlich aller bretonischen Zeitungen und überhaupt aller Bretonen. »Seit Jahrzehnten«, das war die dramatische Quintessenz, »hat uns kein Juni mit so niederschmetternd wenig Sonnenstunden und Wärme zurückgelassen.« Wieder einmal. Und der Artikel endete wie er enden musste: »So ist es: In der Bretagne ist das Wetter schön - fünf Mal am Tag«; eine Art patriotisches Mantra. Nur die Bretonen selbst durften indes über das bretonische Wetter schimpfen oder lachen; wenn es andere taten, wurde es als sehr unhöflich empfunden. Das verhielt sich, wie Dupin in den nun fast drei Jahren hier gelernt hatte, mit allem »Bretonischen « so.
Der penetrante Ton seines Mobiltelefons schreckte den Kommissar auf. Er hasste das, jedes Mal. es war Kadegs Nummer. Einer seiner beiden Inspektoren. Dupins Laune verdüsterte sich. er ließ es klingeln. er würde ihn in einer halben Stunde im Kommissariat sehen. Dupin fand Kadeg kleingeistig, unerträglich emsig, devot, dabei von einem hässlichen Ehrgeiz getrieben. Kadeg war Mitte dreißig, eher untersetzt, hatte ein rundes Babygesicht, ein wenig abstehende Ohren, eine Halbglatze, die ihm außerdem nicht stand - und fand sich unwiderstehlich. er war Dupin gleich am Anfang zugeteilt worden, und der Kommissar hatte einiges unternommen, um ihn loszuwerden. er war dabei ziemlich weit gegangen, ohne Erfolg.
Das Handy klingelte ein zweites Mal. Immer machte er sich wichtig. ein drittes Mal. Dupin merkte, dass er doch etwas unruhig wurde.
»Ja?«
»Monsieur le commissaire? Sind Sie es?«
»Wen erwarten Sie an meinem Telefon?«, blaffte Dupin.
»Präfekt Locmariaquer hat angerufen, gerade eben. Sie müssen ihn vertreten. Heute Abend, das Freundschafts-Komitee aus Staten Stoud in Kanada.«
Der süßliche Tonfall Kadegs war widerlich.
»Wie Sie wissen, ist Präfekt Locmariaquer ehrenvorsitzender unseres Komitees. Heute Abend wird die offizielle Delegation, die sich für eine Woche in Frankreich aufhält, Ehrengast auf der Bretonnade in Trégunc Plage sein. Der Präfekt hat nun unvorhergesehener Weise in Brest zu tun und bittet Sie, an seiner Stelle die Delegation und ihren ersten Vorsitzenden, Docteur de la croix, zu begrüßen. Trégunc ist ja unser Terrain.«
»Was?«
Dupin hatte keine Ahnung, wovon Kadeg sprach.
»Staten Stoud ist die Partnerstadt von concarneau, in der Nähe von Montreal, der Präfekt hat entfernte Verwandte dort, die ...«
»Es ist Viertel vor acht, Kadeg. Ich frühstücke.«
»Es ist dem Präfekten sehr wichtig, er hat ausschließlich deswegen angerufen. Und er hat mich gebeten, Sie unverzüglich zu informieren.«
»Zu informieren?«
Dupin legte auf. Er hatte keine Lust, sich auch nur einen Augenblick mit dieser Sache zu beschäftigen. Gott sei Dank war er zu müde, um sich wirklich aufzuregen. Dupin konnte Locmariaquer nicht ausstehen. Und außerdem hatte er bis heute keine rechte Idee davon, wie er diesen Namen auszusprechen hatte, was ihm zugegebenermaßen bei nicht wenigen Bretonen so ging und ihn, der in seinem Beruf nun einmal viel mit Menschen zu tun hatte, nicht selten in peinliche Situationen brachte.
Dupin wendete sich wieder der Zeitung zu. Der Ouest-France und der Télégramme, das waren die beiden großen Lokalzeitungen, die sich auf zuweilen kurios liebevoll-stolze Weise der Bretagne widmeten; nach einer Seite sehr summarischer internationaler und nationaler Nachrichten, die zügig das Weltgeschehen abhandelten, folgten dreißig Seiten regionaler und lokaler, meist sehr lokaler Meldungen. Kommissar Dupin liebte beide Blätter. nach seiner »Versetzung« hatte er, zunächst widerwillig, dann mit wachsendem Interesse seine Studien der bretonischen Seele begonnen. Neben den Begegnungen mit den Menschen waren es genau diese kleinen, scheinbar unbedeutenden Geschichten, durch die er am meisten erfahren hatte. Geschichten über das Leben am »ende der Welt«, dem »finis terrae« - wie die Römer den äußersten Teil der weit in den tosenden Atlantik hineingestreckten, wild zerklüfteten Halbinsel genannt hatten und wie das Département bis heute hieß.
Das Telefon klingelte wieder. Wieder Kadeg. Dupin merkte, wie trotz aller Müdigkeit Wut in ihm aufstieg.
»Ich werde heute Abend nicht können, ich habe zu tun, dienstliche Verpflichtungen, richten Sie das Loccarm - richten Sie das dem Präfekten aus.«
»Ein Mord. es gab einen Mord.«
Kadegs Stimme war dünn und ohne Intonation.
»Was?«
»In Pont Aven, Monsieur le commissaire. Pierre-Louis Pennec, der Besitzer des Hotel Central, wurde vor wenigen Minuten tot in seinem Restaurant aufgefunden. Man hat die Wache in Pont Aven angerufen.«
»Ist das ein Witz, Kadeg?«
»Die beiden Kollegen aus Pont Aven müssten schon da sein.«
»In Pont Aven? Pierre-Louis Pennec?«
»Wie meinen Sie, Monsieur le commissaire?«
»Was wissen Sie noch?«
»Nur das, was ich Ihnen gerade gesagt habe.«
»Und es ist sicher ein Mord?«
»Es sieht wohl so aus.«
»Warum?«
Dupin hatte sich über diese Frage fast schon geärgert, bevor sie ihm über die Lippen gekommen war.
»Ich kann Ihnen nur sagen, was der Anrufer, der Koch des Hotels, dem diensthabenden Polizisten gesagt hat, und der wiederum ...«
»Ist schon gut. aber was haben wir mit der Sache zu tun? Pont Aven fällt in den Zuständigkeitsbereich Quimperlés - das ist Dercaps angelegenheit.«
»Kommissar Dercap ist seit Montag im Urlaub. Bei ernsteren Vorkommnissen sind wir zuständig. Deswegen hat die Wache in Pont Aven ...«
»Ja, ja ... Ich mache mich auf. Sie auch. Und rufen Sie Riwal an, ich will, dass er umgehend kommt.«
»Riwal ist schon unterwegs.«
»Gut. - Das darf nicht wahr sein. So ein Scheiß.«
»Monsieur le commissaire?«
Dupin legte auf.
»Ich muss los«, rief er in Girards Richtung, der neugierig guckte. Dupin legte ein paar Münzen auf den Tresen und verließ das Amiral. Sein Wagen stand auf dem großen Parkplatz am Quai, nur ein paar Schritte entfernt.
»Absurd«, dachte Dupin, als er im Wagen saß, »das ist vollkommen absurd.« Ein Mord in Pont Aven. Im Hochsommer, kurz vor der Saison, die den Ort zu einem großen Freilichtmuseum werden ließ, wie man in concarneau spottete. Pont Aven war die reine Idylle. Der letzte Mord in dem pittoresken - für Dupins Geschmack viel zu pittoresken - Dorf, das Ende des 19. Jahrhunderts durch seine Künstlerkolonie, vor allem natürlich durch Paul Gauguin, ihr prominentestes Mitglied, weltweit berühmt geworden war und sich nun in jedem Reiseführer Frankreichs und jeder Geschichte der modernen Kunst wiederfand, musste Ewigkeiten zurückliegen. und dazu: der hochbetagte Pierre- Louis Pennec - ein legendärer Hotelier, eine Institution - ganz so wie es sein Vater und vor allem natürlich seine Großmutter gewesen waren, die berühmte Gründerin des Central, Marie- Jeanne Pennec.
Dupin fingerte an den aberwitzig winzigen Tasten seines Autotelefons herum, er hasste das.
»Wo sind Sie, Nolwenn?«
»Auf dem Weg ins Kommissariat. Kadeg hat gerade angerufen. Ich bin im Bilde. Sie wollen sicher Docteur Lafond.«
»So schnell es geht.«
Seit einem Jahr gab es einen zweiten Gerichtsmediziner in Quimper, den Dupin nicht ertragen konnte, ewen Savoir, ein linkischer junger Schnösel. Mit beeindruckender technischer und technologischer Ausrüstung, aber dumm. Und furchtbar umständlich. Zwar konnte Dupin nicht gerade behaupten, dass er den alten brummigen Docteur Lafond mochte; auch er und Lafond gerieten sich zuweilen in die Haare, wenn es Dupin nicht schnell genug ging, und dann schimpfte Lafond wie ein Rohrspatz, doch er leistete einfach großartige Arbeit.
»Savoir macht mich vollkommen wahnsinnig.«
»Ich kümmere mich um alles.«
Dupin liebte diesen Satz aus Nolwenns Mund. Sie war schon die Sekretärin seines Vorgängers und Vorvorgängers gewesen. Sie war großartig. Patent. Unendlich patent.
»Gut. Ich bin am letzten Kreisel von concarneau. In zehn Minuten bin ich da.«
© der Originalausgabe 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
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Autoren-Porträt von Jean-Luc Bannalec
Jean-Luc Bannalec ist ein Pseudonym. Der Autor ist in Deutschland und im südlichen Finistére zu Hause. Im März 2012 erschien "Bretonische Verhältnisse", der erste Fall für Kommissar Dupin. Der Roman wird in mehreren europäischen Sprachen übersetzt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jean-Luc Bannalec
- 2013, 1, 320 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442479274
- ISBN-13: 9783442479276
- Erscheinungsdatum: 19.08.2013
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