Landesbühne
Hannes und Clemens teilen sich eine Zelle in einem Kleinstadtgefängnis. Als eine Theatertruppe im Gefängnis ein Stück aufführt, kapern die beiden kurzerhand deren Bus und fahren in die Freiheit. Nur zu dumm, dass man sie nun...
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Produktinformationen zu „Landesbühne “
Hannes und Clemens teilen sich eine Zelle in einem Kleinstadtgefängnis. Als eine Theatertruppe im Gefängnis ein Stück aufführt, kapern die beiden kurzerhand deren Bus und fahren in die Freiheit. Nur zu dumm, dass man sie nun tatsächlich für Schauspieler hält. Rasant erzählt.
Klappentext zu „Landesbühne “
»Manchmal kann die Wahrheit nur erfunden werden.« Siegfried LenzRätselhafte Dinge geschehen im Gefängnis Isenbüttel. Während einer Theateraufführung verlassen Häftlinge ungehindert das Gelände. Und kurz darauf feiert ein idyllisches Städtchen talentierte Schauspieler - die gar keine sind. Mit dem Hereinbrechen der Kunst und angetrieben von Gefühl, Leidenschaft und Phantasie entdeckt ein ganzes Gemeinwesen seine Möglichkeiten zu Größerem.
Und niemand scheint Verdacht zu schöpfen. Oder sind alle - der Intendant der Landesbühne, der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister und die Bürger von Grünau - Teil einer grandiosen Inszenierung? Die Ausreißer selbst scheinen keine Ahnung zu haben. Werden Sie zurückkehren in ihre Zellen?
Turbulent geht es zu auf der Bühne des Lebens. Geradezu labyrinthisch ineinander verschlungen sind die Geschichten, die das Leben schreibt, und die der Phantasie im Roman von Siegfried Lenz, denen man so lustvoll folgt.
Lese-Probe zu „Landesbühne “
Landesbühne von Siegfried Lenz Hoher Besuch
»Schau dir das an, Professor«, sagte mein Zellengenosse, »komm her und schau dir das an.« Er stand am vergitterten Fenster, ein kahlköpfiger Mann, der Ohrringe trug, und zeigte hinab auf den Gefängnishof, wo das Tor geöffnet wurde und ein blauer Bus erschien. Über die Länge des Busses hin stand in Blockbuchstaben LANDESBÜHNE, zwei stilisierte Masken versprachen geheimnisvolles, jedenfalls unterhaltsames Spiel. »Ich hab’s gewußt«, sagte mein Zellengenosse, »die Landesbühne kommt wirklich.« Dieser Mann, dem sie das zweite Bett in meiner Zelle zugewiesen hatten und der mit den Worten hereingekommen war: »Ich bin Hannes«, schien alles zu wissen. Als der Bus hielt und zuerst ein schottisch gekleideter Mann ausstieg, sagte er: »Der Intendant der Landesbühne, er heißt Prugel. « Der Intendant ging mit beinahe beschwingtem Schritt auf die hagere Gestalt zu, die den Bus
erwartet hatte, breitete andeutend die Arme aus, beließ es jedoch während der Begrüßung bei einem
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Händeschütteln, das länger als üblich dauerte, Karl Tauber, unser Direktor, wie immer in dunklem Anzug, schien nicht überrascht, daß sein Gast zunächst nur dastand und sich umsah, nachdenklich die vier ungleichen Gebäude musterte, aus denen das Gefängnis Isenbüttel bestand. Mit knappen Gesten erläuterte er offenbar Zweck und Eigenschaft der Gebäude, der Intendant nickte wiederholt, es blieb ihm wohl nichts zu fragen. Einmal fanden sie Grund zu kurzem Gelächter. »Die alten Säcke kennen sich bestimmt«, sagte Hannes. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von hinterhältigem Vergnügen; er imitierte die Sprechweise des Direktors, dies rollende R, das ihm bei etlichen Begegnungen aufgefallen war. Auf ein Zeichen des Intendanten verließen die Schauspieler den Bus, auch einige Frauen waren unter ihnen, die meisten blieben wie angeleimt stehen, nicht anders, als hätte man sie in ein neues Leben gestoßen. Wie der Intendant, so schauten auch sie zunächst nur, schauten, manche stießen sich an, grinsten anzüglich, machten sich blickweis aufmerksam auf das, was sie sahen. Einer der Schauspieler bückte sich, hob einen Kieselstein auf, rieb ihn zwischen den Fingern und steckte ihn in die Tasche – als Andenken vermutlich. Ein junger bärtiger Schauspieler ließ die allgemeine Stimmung erkennen, als er eine ältere Kollegin um die Taille faßte und ihr scherzhaft eine Hand mit gespreizten Fingern vors Gesicht hielt; danach deutete er zu unserem Fenster hinauf und glaubte winken zu müssen. »Sieh dir diesen Schwachkopf an, Professor«, sagte Hannes. Der Intendant rief die Schauspieler zusammen und gab das Wort dem Direktor, der nur kurz sprach, anscheinend nur einen Willkommensgruß äußerte, gleich darauf wandte er sich einem Trupp von Insassen zu, die von der Arbeit im Gefängnisgarten zurückkehrten. Einige trugen Geräte, Spaten
und Harken, auch Gießkannen. Ich täusche mich nicht: beim Anblick der Schauspieler hellten sich
ihre Züge auf, Grüße wurden gewechselt, knappe, verstohlene, mehrdeutige Grüße. Ein offenbar fröhlicher Riese tat so, als liebkoste er beidhändig seine Gießkanne. »Das ist Mumpert«, sagte Hannes, »er war mal Schiedsrichter, er ließ zu oft die gewinnen, die am großzügigsten zu ihm waren.« Mir fiel ein gutaussehender Insasse auf, der Ähnlichkeit mit Valentino hatte, vor dem Direktor präsentierte er übermütig seinen Spaten oder deutete doch einen Präsentiergriff an. »Bolzahn«, sagte Hannes, »mein Freund Bolzahn, es gelang ihm, mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein.«
Ein kleiner Transporter hielt vor dem Tor, hupend verlangte er Einlaß, und nachdem das Tor
sich geöffnet hatte, rollte er auf den Gefängnishof und hielt neben dem Bus, wurde aber vom Direktor
gleich weitergewinkt, zu dem großen, grauweißen Gebäude, in dem unser Speisesaal lag. Zwei Männer, beide im Overall, stiegen aus, der Direktor begrüßte sie mit Handschlag und führte sie ins
Gebäude, kehrte noch einmal zurück und forderte den Intendanten auf, ihm zu folgen. »Da drin
wird es stattfinden«, sagte Hannes, »im Speisesaal, Bänke und Stühle sind schon bereitgestellt.« Welch ein Stück gegeben werden sollte, wußte Hannes zu meinem Erstaunen nicht, auch als die Männer im Overall wieder erschienen und damit begannen, die gestapelte Last des Transporters abzuladen, zuckte er mit den Achseln. Mir war es rätselhaft, wozu die Kartons und Kisten und Holzgestelle dienen sollten, die sie ins Gebäude trugen, leere Kisten anscheinend, leere Kartons. Die Männer verrichteten ihre Arbeit gutgelaunt, sie mimten Erschöpfung, schwankten, spielten Kraftlosigkeit, überraschend warfen sie sich einen Karton zu und führten Stolperschritte vor. Bei den letzten Stücken halfen ihnen auch einige Schauspieler. Für sich selbst bestimmt, murmelte Hannes: »Macht nur, macht nur, bald wird etwas geschehen.« Wir setzten uns an den rohen, mit Kerben bedeckten Tisch. Aus seinem heimlichen Tabakvorrat drehte sich Hannes Zigaretten; das schmale
Päckchen trug er am Schienbein, beklemmt von einem strammsitzenden feldgrauen Socken. Wie
lange, wie grüblerisch er mich ansehen konnte, bevor er sprach; auf einmal schüttelte er den Kopf,
geradeso, als hätte er Schwierigkeiten, zu glauben, was er über mich erfahren hatte. Vielleicht merkte
er, daß sein langer befragender Blick mich verlegen machte; denn plötzlich sagte er: »Die Hälfte, nicht
wahr, du hast jetzt die Hälfte rum, Professor.« Ich bestätigte es: »Zwei Jahre sind rum.« »Sie sind ungerecht «, sagte er, »zu dir und zu den meisten hier sind sie ungerecht in der Strafzumessung. Glaube mir, ein verständnisvoller Richter hätte fast alle freigesprochen, nach Hause geschickt: unschuldig. Auch dich, Professor.« Da ich schwieg, tischte er mir meine Geschichte auf, erinnerte mich an meinen Haftgrund, kenntnisreich, mitfühlend. Ihm war bekannt, daß ich einmal eine Professur hatte – er wußte nur nicht, in welchem Fach –, und er hatte auch erfahren, daß ich etliche meiner Studentinnen durchs Examen gebracht hatte mit höchstem Lob. Leider war nicht unentdeckt geblieben, daß diese hervorragenden Examenskandidatinnen vorher bei mir genächtigt hatten – eine neidische Kommilitonin hatte das öffentlich gemacht. Um mich zu trösten, sagte Hannes: »Sie strafen sich selbst, die Neider, glaub mir, Professor.« Ich schlug ihm vor, mich lieber Clemens zu nennen, mit dem Namen kämen wir uns näher, und Nähe sei uns doch aufgegeben; er sah mich nur ungläubig an
und wollte mir meinen Verzicht auf den Titel nicht abkaufen. Ich mochte Hannes gern, von Anfang an, mit ihm die Zelle zu teilen, empfand ich als Glücksfall; wenn ich mir einen Gefährten hätte wünschen
können, dann einen wie ihn. Einen Menschen von ähnlicher unbezwingbarer Müdigkeit habe ich nie
erlebt, er verlangte zu jeder Zeit nach Schlaf, schon nach dem Frühstück legte er sich hin, er schlief vor und nach der Gartenarbeit, nach dem Rundgang, während ich mein Tagebuch bediente; immer hörte ich seinen von Seufzern begleiteten Atem. Ich hatte den Eindruck, daß Hannes nach Jahren der Schlaflosigkeit viel Schlaf nachholen mußte.
1. Auflage 2009
Copyright © 2009 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburgwww.hoca.de
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Gesetzt aus der Minion und der Frutiger
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-455-04282-5
und Harken, auch Gießkannen. Ich täusche mich nicht: beim Anblick der Schauspieler hellten sich
ihre Züge auf, Grüße wurden gewechselt, knappe, verstohlene, mehrdeutige Grüße. Ein offenbar fröhlicher Riese tat so, als liebkoste er beidhändig seine Gießkanne. »Das ist Mumpert«, sagte Hannes, »er war mal Schiedsrichter, er ließ zu oft die gewinnen, die am großzügigsten zu ihm waren.« Mir fiel ein gutaussehender Insasse auf, der Ähnlichkeit mit Valentino hatte, vor dem Direktor präsentierte er übermütig seinen Spaten oder deutete doch einen Präsentiergriff an. »Bolzahn«, sagte Hannes, »mein Freund Bolzahn, es gelang ihm, mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein.«
Ein kleiner Transporter hielt vor dem Tor, hupend verlangte er Einlaß, und nachdem das Tor
sich geöffnet hatte, rollte er auf den Gefängnishof und hielt neben dem Bus, wurde aber vom Direktor
gleich weitergewinkt, zu dem großen, grauweißen Gebäude, in dem unser Speisesaal lag. Zwei Männer, beide im Overall, stiegen aus, der Direktor begrüßte sie mit Handschlag und führte sie ins
Gebäude, kehrte noch einmal zurück und forderte den Intendanten auf, ihm zu folgen. »Da drin
wird es stattfinden«, sagte Hannes, »im Speisesaal, Bänke und Stühle sind schon bereitgestellt.« Welch ein Stück gegeben werden sollte, wußte Hannes zu meinem Erstaunen nicht, auch als die Männer im Overall wieder erschienen und damit begannen, die gestapelte Last des Transporters abzuladen, zuckte er mit den Achseln. Mir war es rätselhaft, wozu die Kartons und Kisten und Holzgestelle dienen sollten, die sie ins Gebäude trugen, leere Kisten anscheinend, leere Kartons. Die Männer verrichteten ihre Arbeit gutgelaunt, sie mimten Erschöpfung, schwankten, spielten Kraftlosigkeit, überraschend warfen sie sich einen Karton zu und führten Stolperschritte vor. Bei den letzten Stücken halfen ihnen auch einige Schauspieler. Für sich selbst bestimmt, murmelte Hannes: »Macht nur, macht nur, bald wird etwas geschehen.« Wir setzten uns an den rohen, mit Kerben bedeckten Tisch. Aus seinem heimlichen Tabakvorrat drehte sich Hannes Zigaretten; das schmale
Päckchen trug er am Schienbein, beklemmt von einem strammsitzenden feldgrauen Socken. Wie
lange, wie grüblerisch er mich ansehen konnte, bevor er sprach; auf einmal schüttelte er den Kopf,
geradeso, als hätte er Schwierigkeiten, zu glauben, was er über mich erfahren hatte. Vielleicht merkte
er, daß sein langer befragender Blick mich verlegen machte; denn plötzlich sagte er: »Die Hälfte, nicht
wahr, du hast jetzt die Hälfte rum, Professor.« Ich bestätigte es: »Zwei Jahre sind rum.« »Sie sind ungerecht «, sagte er, »zu dir und zu den meisten hier sind sie ungerecht in der Strafzumessung. Glaube mir, ein verständnisvoller Richter hätte fast alle freigesprochen, nach Hause geschickt: unschuldig. Auch dich, Professor.« Da ich schwieg, tischte er mir meine Geschichte auf, erinnerte mich an meinen Haftgrund, kenntnisreich, mitfühlend. Ihm war bekannt, daß ich einmal eine Professur hatte – er wußte nur nicht, in welchem Fach –, und er hatte auch erfahren, daß ich etliche meiner Studentinnen durchs Examen gebracht hatte mit höchstem Lob. Leider war nicht unentdeckt geblieben, daß diese hervorragenden Examenskandidatinnen vorher bei mir genächtigt hatten – eine neidische Kommilitonin hatte das öffentlich gemacht. Um mich zu trösten, sagte Hannes: »Sie strafen sich selbst, die Neider, glaub mir, Professor.« Ich schlug ihm vor, mich lieber Clemens zu nennen, mit dem Namen kämen wir uns näher, und Nähe sei uns doch aufgegeben; er sah mich nur ungläubig an
und wollte mir meinen Verzicht auf den Titel nicht abkaufen. Ich mochte Hannes gern, von Anfang an, mit ihm die Zelle zu teilen, empfand ich als Glücksfall; wenn ich mir einen Gefährten hätte wünschen
können, dann einen wie ihn. Einen Menschen von ähnlicher unbezwingbarer Müdigkeit habe ich nie
erlebt, er verlangte zu jeder Zeit nach Schlaf, schon nach dem Frühstück legte er sich hin, er schlief vor und nach der Gartenarbeit, nach dem Rundgang, während ich mein Tagebuch bediente; immer hörte ich seinen von Seufzern begleiteten Atem. Ich hatte den Eindruck, daß Hannes nach Jahren der Schlaflosigkeit viel Schlaf nachholen mußte.
1. Auflage 2009
Copyright © 2009 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburgwww.hoca.de
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Gesetzt aus der Minion und der Frutiger
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-455-04282-5
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Autoren-Porträt von Siegfried Lenz
Lenz, SiegfriedSiegfried Lenz, 1926 im ostpreußischen Lyck geboren, gestorben am 2014 in Hamburg, zählt zu den bedeutendsten und meistgelesenen Schriftstellern der Nachkriegsliteratur. Seit 1951 veröffentlichte er alle seine Romane, Erzählungen, Essays und Bühnenwerke im Hoffmann und Campe Verlag. Mit den masurischen Geschichten So zärtlich war Suleyken hatte er seinen ersten großen Erfolg, der sich 1968 mit der Deutschstunde zum Welterfolg ausweitete. Mit seiner Novelle Schweigeminute gelang ihm 2008 im hohen Alter abermals ein fulminanter Presse- und Publikumserfolg. Für seine Bücher wurde er mit vielen wichtigen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2009.
Bibliographische Angaben
- Autor: Siegfried Lenz
- 2009, 1, 128 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4026411360041
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