Lichtgeboren / Darkborn Trilogie Bd.2
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die Gesellschaft der Lichtgeborenen in der Stadt Minhorne wird in großen Aufruhr gestürzt, als Prinz Isidore durch ein Attentat ums Leben kommt. Alle Spuren deuten darauf hin, dass bei dem Mord Magie im Spiel war. Isidores Nachfolger Fejelis verdächtigt die...
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Produktinformationen zu „Lichtgeboren / Darkborn Trilogie Bd.2 “
Klappentext zu „Lichtgeboren / Darkborn Trilogie Bd.2 “
Die Gesellschaft der Lichtgeborenen in der Stadt Minhorne wird in großen Aufruhr gestürzt, als Prinz Isidore durch ein Attentat ums Leben kommt. Alle Spuren deuten darauf hin, dass bei dem Mord Magie im Spiel war. Isidores Nachfolger Fejelis verdächtigt die Lichtgeborene Floria, den Prinzen getötet zu haben. Um ihr Leben zu retten, sucht Floria Zuflucht bei den Nachtgeborenen der Stadt. Da wird auch auf Fejelis ein Anschlag verübt, und ein dunkler Verdacht wird zur Gewissheit: Die Bewohner von Minhorne sehen sich einer neuen, tödlichen Bedrohung gegenüber ...
Lese-Probe zu „Lichtgeboren / Darkborn Trilogie Bd.2 “
Lichtgeboren von Alison SinclairFloria
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Floria erwachte, unausgeruht und mit zusammengekniffenen Augen, geblendet von der Deckenbeleuchtung. Da ihr übliches Schlafgewand - ein schenkellanges Spitzenleibchen aus nachtgeborener Herstellung, welches Balthasar ihr vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte - zu Hause war, hatte sie nackt geschlafen. Aufgewühlte Betttücher fesselten ihre Füße; das Laken fühlte sich feucht an. Schützend legte sie einen Arm übers Gesicht, ignorierte das Prickeln der beschatteten Haut und nach Möglichkeit auch den Geschmack im Mund. Der Gedanke mochte einer treu ergebenen Dienerin des Prinzen unwürdig sein, doch sie konnte einfach nicht umhin zu hoffen, dass Isidore für seine gestrige Völlerei auch, zumindest ein klein bisschen, hatte leiden müssen.
Im Großen und Ganzen waren die Feierlichkeiten ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Nun ja, es hatte diverse Duelle gegeben, drei davon mit Schusswaffen - eine erbärmliche Angewohnheit, die von den Nachtgeborenen übernommen worden war - und insgesamt zwei Toten. Viele Bündnisse und Intrigen, von denen einige gewiss noch Ärger bereiten würden, und zahl-
reiche Tändeleien, aus denen vermutlich ein paar ungelegene Zöglinge hervorgehen würden. Bezüglich der Ehelichkeit eines Kindes reagierten die Lichtgeborenen nicht so empfindlich wie die Nachtgeborenen, da ihnen bei Vaterschaftsfragen die Magie stets zu einer raschen Klärung verhalf, und derartige Allianzen der Prächtigkeiten untereinander gehorchten eher politischen Notwendigkeiten. Aber selbst die Prächtigsten waren anfällig für Eifersüchteleien. Heute jedoch zerstreuten sich die Gäste langsam wieder in alle Winde und nahmen auch die ungehobeltsten Südländer und unversöhnlichsten Nordländer mit, so dass Floria ihren Dienst beenden konnte.
Zumindest hatte sie bis zur Frühstückszeit noch keine Aufgabe zu erledigen. Ansonsten mussten die Geschäfte des Prinzentums natürlich weitergehen, ob der Sohn nun mündig wurde oder nicht. Für gewöhnlich wachte der Prinz sehr früh auf, arbeitete bis zum Frühstück, um dann ganz privat mit einer oder mehreren seiner engsten Vertrauten zu frühstücken. Heute war seine flatterhafte Tochter Liliyen an der Reihe. Floria winkelte ihren Arm an, damit sie einen Blick auf ihre Uhr werfen konnte: es war so früh, wie sie - in Anbetracht ihres Zustandes - befürchtet hatte, aber bedauerlicherweise nicht so früh, wie sie sich - ebenfalls in Anbetracht ihres Zustandes - erhofft hatte. Sie strampelte die Laken beiseite, rollte aus dem Bett und begann mit ihren morgendlichen Dehnungsübungen.
Als sie einen großen Ausfallschritt zur Seite machte, stieß sie mit dem nackten Fuß an einen ihrer Schuhe. Sie hob ihn auf und warf ihn zielsicher unter den Herrendiener, auf dem ihre Hofuniform hing, als ihr plötzlich der Gedanke kam, dass sie die Uniform dort nicht abgelegt hatte.
Sie hatte sie dort nicht abgelegt, und keiner der Palastdiener hätte diesen Raum je ohne ihr Wissen betreten können. Was also nur einen Schluss zuließ. Systematisch begann sie den Raum zu
durchsuchen. Falls sich einer ihrer Kameraden einen Streich mit ihr erlaubte, würde sie dafür mit Sicherheit Hinweise finden. Und es musste sich wohl um eine Art Spielchen handeln, denn wäre jemand mit üblen Absichten in ihr Zimmer eingedrungen, wäre sie wohl nicht mehr aufgewacht.
Doch Floria fand rein gar nichts, weder eine spöttische Notiz noch eine versteckte Überraschung. Vielleicht, dachte sie, war genau das der Plan - sie zu beunruhigen. Und früher oder später würde jemand Wert darauf legen, sie das wissen zu lassen.
Leicht gereizt beeilte sie sich, ihre Übungen abzuschließen, und nahm dann ein heißes Bad. Eine Nacht im Palast verbringen zu müssen, hatte auch seine guten Seiten, wie beispielsweise die luxuriösen sanitären Einrichtungen. Die riesige Badewanne und das gewaltige Waschbecken waren aus milchweißem Porzellan, angeschlagen und von altersbedingten Haarrissen überzogen. Ursprünglich waren sie verzaubert worden, um durch das breite Fenster Tageslicht aufzunehmen, doch im Zuge späterer Einsparungen war dieser aufwendige Zauber durch die mittlerweile üblichen magischen Lampen in verspiegelten Halterungen ersetzt worden. Gewohnheitsgemäß registrierte sie deren gesunde Farbe und Leuchtkraft. Eine Lampe, deren Sonnenlichtspeicher zur Neige ging, durchlief alle Farben des Sonnenuntergangs, bevor sie endgültig erlosch.
Es war zu früh, um die Fensterläden zu öffnen, die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Floria wandte den Blick von den Deckenlampen ab und sah in den Spiegel. Distanziert betrachtete sie sich: eine schlanke Frau, etwas größer als der Durchschnitt, sehnig, geschmeidig und mit Muskeln, die am rechten Arm und rechten Bein etwas stärker ausgebildet waren. Die feinen Fältchen um Mund und Augen waren nur aus der Nähe zu erkennen, und die Konturen von Brust und Po waren zwar im Laufe der Zeit ein wenig weicher geworden, jedoch nur
sichtbar für jemanden, der früher ganz genau hingesehen hatte. Schulterlanges Haar, das kaum nachgedunkelt war und noch immer im Weißgold der Jugend strahlte - ein Lichtgeborener mit dieser Haarfarbe konnte sich glücklich schätzen. So sollte sie es jedenfalls sehen; schließlich hatte das Haar ihrer Mutter vor so vielen Jahren die Aufmerksamkeit ihres Vaters erregt. Diverse alte Narben zeichneten ihren Körper, weiß auf heller Haut, sowie das tätowierte Mandala in verblassten Gelb- und Braun tönen, das sich nahezu über ihren ganzen Oberbauch ausbreitete.
Sanft rieb Floria über das Mandala. Sie war nicht bei Bewusstsein gewesen, als ihr die Tätowierung in die Haut geritzt wurde, als die gegen Gift immunisierende Magie auf sie überging. Es war das Werk ihres Vaters gewesen; er hatte gewusst, dass sie anderenfalls nicht zugestimmt hätte, sein Erbe anzunehmen, das ihm bis dahin das Leben bewahrt und seine Stellung gesichert hatte. Innerhalb der Familie Weiße Hand konnte es immer nur eine Person geben, die so von Magie geschützt wurde.
Während der noch verbliebenen vier Jahre seines Lebens hatte sie seine Speisen und Getränke ebenfalls vorgekostet. Eines Tages ließ er jedoch jede Vorsicht fallen und starb. Obzwar sie wusste, dass ein anderer für das Gift auf dem Tisch verantwortlich gewesen war und ihr Vater ein Übriges getan hatte, da ihm sein Leben nichts mehr bedeutete, nachdem die Schwäche des Alters ganz von ihm Besitz ergriffen hatte, nahm sie dennoch Rache für seinen Tod. Bei ihr waren die Spuren des Alters bisher minimal, und jedes Anzeichen für Schwäche fehlte vollkommen. Für Frauen, dachte Floria, ging es jedoch ziemlich ungerecht zu: Ihr Vater war bei ihrer Zeugung zehn Jahre älter gewesen, als sie jetzt war, und wenn sie den magischen Schutz noch an ein eigenes Kind weitergeben wollte, dann musste sie sich mit der Empfängnis beeilen. Die Alternative wäre, es an einen Cousin oder eine Cousine weiterzugeben. Sie hatte allerdings an jedem ihrer jungen Anverwandten irgendetwas auszusetzen. Sie entschied, dass sie darüber auch später noch nachdenken konnte - wenn auch nicht zum ersten Mal. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihre Schuhe, die offenbar auf Wanderschaft gewesen waren und nun quer übereinander dalagen, und zog sich dabei Unterwäsche, Hose, Bluse und Uniformrock an. Die Vorder- und Rückseite von Bluse und Gehrock waren lichtdurchlässig, die schmalen Einsätze an den Seiten durchsichtig. Bei den Ärmeln und der Hose wechselten sich Streifen von durchsichtigem Weiß mit lichtdurchlässigem Silber ab, um das Auge des Feindes zu verwirren. Lichtgeborene konnten allzu dunkle Schatten nicht ertragen. Schwarzes Segeltuch galt sogar als Mordinstrument, wobei ein potenzielles Opfer schon ausgesprochen nachlässig, drogenumnebelt oder sturzbetrunken sein musste, um mit einem Tuch überwältigt zu werden. Während sie ihren Uniformrock seitlich zuknöpfte, drängte sich eine unangenehme Erinnerung in ihr Bewusstsein: Irgendwann des Nachts hatte sie eben diese Knöpfe schon einmal geschlossen, und zwar inmitten eines seltsam nüchternen Traums, in dem sie über die hell erleuchteten Flure zu den Gemächern des Prinzen gelaufen war und dabei irgendetwas in der Hand gehalten hatte. Unwillkürlich musste sie an das kleine Kästchen aus Holz und Elfenbein denken, das sie vor langer Zeit von Balthasar zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, mit einem Stück Sandelholzseife darin. Sie hatte Bal nie erzählt, wie heftig ihr magischer Schutz auf das Parfum reagierte oder wie wenig das mit feinen Schnitzereien verzierte Holz und Elfenbein farblich zueinander passte -, es war geradezu eine Beleidigung ihrer bei Hofe verwöhnten Augen gewesen. Allein aus Gründen der Freundschaft hielt sie das Kästchen dennoch in Ehren. Warum sie allerdings davon geträumt haben sollte, es ihrem Prinzen zu bringen, wusste sie nicht. Es sei denn, das hatte etwas mit Isidores Bemerkung zu tun, ihrer aller Zukunft läge in den Händen von Leuten wie den Nachtgeborenen. Vorwurfsvoll schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Bei allen Missständen, die sie nach einer langen Schicht und überwürzten Banketten beschäftigten, warum sollte sie sich ausgerechnet über diesen Traum so große Sorgen machen? Sie wusste es nicht. Und wieso erachtete sie ihn eigentlich als Albtraum?
Floria kämmte sich das Haar, drehte es am Hinterkopf zu einer Schnecke und gab dieser mit einem weißen Netz den nötigen Halt. Ihre Netzschuhe mit den dicken, leisen Sohlen waren vorn geschlossen. An der rechten Hand trug sie einen Handschuh, die Innenfläche aus weichem Wildleder und der Handrücken wiederum aus einem Netzgewebe. Das Schwert machte sie an der linken Hüfte fest, die Pistole an der rechten. Ihr Urgroßvater hatte seinerzeit mit dem Gedanken gespielt, einen zweiten magischen Schutz anzuschaffen, der Kugeln und andere Geschosse ablenkte. Es war ihm jedoch nie gelungen, die Familie davon zu überzeugen, ihn beim Erwerb dieses Schutzes zu unterstützen, da sich das Familienvermögen noch nicht einmal vom ersten Kauf erholt hatte. Der Prinz trug solch einen Schutz, mit dem einst für seinen Vater ein Talisman belegt worden war. Der Preis dafür war eine Provinz gewesen - eine der letzten Ländereien des Prinzentums außerhalb der Stadt.
Ihr Vater hatte ihr immer wieder gesagt, Politik ginge einen Leibgardisten nichts an. Nachdem die Verarmung des Prinzentums jedoch auf direktem Wege in die Koalition mit den Südländern geführt hatte, waren ihm die Argumente ausgegangen. Als sie ihre Tür öffnete, hörte sie die Schreie - entfernt zwar, aber aus Richtung der prinzlichen Gemächer. Mit einer Hand fest am Schwert jagte Floria über die Galerien, vorbei an Grüppchen von Dienern, die darauf warteten, die Fensterläden zu öffnen, sobald sie sich des Sonnenaufgangs sicher sein konnten. Bis sie um die letzte Ecke bog, hatten sich die Schreie in ein Wimmern verwandelt, was noch entsetzlicher war als das Kreischen.
Prinzgemahlin Helenja und einer ihrer Wachmänner standen vor der Tür des Prinzen. Zu ihren Füßen lag ihre Tochter Liliyen. Sie war in sich zusammengesunken und zur Seite gefallen, ihr Kopf lag kraftlos auf dem ausgestreckten Arm, ihre nackte Hand berührte die Schwelle. An den flachen Bewegungen ihres Brustkorbs erkannte Floria, dass sie atmete, doch das bedeutete lediglich, dass sie nicht - noch nicht - tot war. Der Leibwächter starrte wie versteinert in das Zimmer, sein Gesicht eine Fratze des Grauens, Liliyen nahm er überhaupt nicht wahr - das Wimmern kam aus ihrer Kehle. Helenja drehte den Kopf zu Floria. Ihr totenbleiches Gesicht glänzte feucht, ihre Augen so weit aufgerissen, dass sie fast aus den Höhlen traten, ihr breiter Kiefer heruntergeklappt. Lautlos machte sie den Mund immer wieder zu und auf wie ein Fisch, den man in ein Boot gezogen hatte und an der Luft ersticken ließ.
Langsam wandte Floria sich der Tür zu. Sie stand sperrangelweit offen. Das Licht vom Korridor ergoss sich über den Boden und erreichte gerade noch die ersten Möbelstücke eines Raumes, in dem ansonsten totale Finsternis herrschte.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Floria erwachte, unausgeruht und mit zusammengekniffenen Augen, geblendet von der Deckenbeleuchtung. Da ihr übliches Schlafgewand - ein schenkellanges Spitzenleibchen aus nachtgeborener Herstellung, welches Balthasar ihr vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte - zu Hause war, hatte sie nackt geschlafen. Aufgewühlte Betttücher fesselten ihre Füße; das Laken fühlte sich feucht an. Schützend legte sie einen Arm übers Gesicht, ignorierte das Prickeln der beschatteten Haut und nach Möglichkeit auch den Geschmack im Mund. Der Gedanke mochte einer treu ergebenen Dienerin des Prinzen unwürdig sein, doch sie konnte einfach nicht umhin zu hoffen, dass Isidore für seine gestrige Völlerei auch, zumindest ein klein bisschen, hatte leiden müssen.
Im Großen und Ganzen waren die Feierlichkeiten ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Nun ja, es hatte diverse Duelle gegeben, drei davon mit Schusswaffen - eine erbärmliche Angewohnheit, die von den Nachtgeborenen übernommen worden war - und insgesamt zwei Toten. Viele Bündnisse und Intrigen, von denen einige gewiss noch Ärger bereiten würden, und zahl-
reiche Tändeleien, aus denen vermutlich ein paar ungelegene Zöglinge hervorgehen würden. Bezüglich der Ehelichkeit eines Kindes reagierten die Lichtgeborenen nicht so empfindlich wie die Nachtgeborenen, da ihnen bei Vaterschaftsfragen die Magie stets zu einer raschen Klärung verhalf, und derartige Allianzen der Prächtigkeiten untereinander gehorchten eher politischen Notwendigkeiten. Aber selbst die Prächtigsten waren anfällig für Eifersüchteleien. Heute jedoch zerstreuten sich die Gäste langsam wieder in alle Winde und nahmen auch die ungehobeltsten Südländer und unversöhnlichsten Nordländer mit, so dass Floria ihren Dienst beenden konnte.
Zumindest hatte sie bis zur Frühstückszeit noch keine Aufgabe zu erledigen. Ansonsten mussten die Geschäfte des Prinzentums natürlich weitergehen, ob der Sohn nun mündig wurde oder nicht. Für gewöhnlich wachte der Prinz sehr früh auf, arbeitete bis zum Frühstück, um dann ganz privat mit einer oder mehreren seiner engsten Vertrauten zu frühstücken. Heute war seine flatterhafte Tochter Liliyen an der Reihe. Floria winkelte ihren Arm an, damit sie einen Blick auf ihre Uhr werfen konnte: es war so früh, wie sie - in Anbetracht ihres Zustandes - befürchtet hatte, aber bedauerlicherweise nicht so früh, wie sie sich - ebenfalls in Anbetracht ihres Zustandes - erhofft hatte. Sie strampelte die Laken beiseite, rollte aus dem Bett und begann mit ihren morgendlichen Dehnungsübungen.
Als sie einen großen Ausfallschritt zur Seite machte, stieß sie mit dem nackten Fuß an einen ihrer Schuhe. Sie hob ihn auf und warf ihn zielsicher unter den Herrendiener, auf dem ihre Hofuniform hing, als ihr plötzlich der Gedanke kam, dass sie die Uniform dort nicht abgelegt hatte.
Sie hatte sie dort nicht abgelegt, und keiner der Palastdiener hätte diesen Raum je ohne ihr Wissen betreten können. Was also nur einen Schluss zuließ. Systematisch begann sie den Raum zu
durchsuchen. Falls sich einer ihrer Kameraden einen Streich mit ihr erlaubte, würde sie dafür mit Sicherheit Hinweise finden. Und es musste sich wohl um eine Art Spielchen handeln, denn wäre jemand mit üblen Absichten in ihr Zimmer eingedrungen, wäre sie wohl nicht mehr aufgewacht.
Doch Floria fand rein gar nichts, weder eine spöttische Notiz noch eine versteckte Überraschung. Vielleicht, dachte sie, war genau das der Plan - sie zu beunruhigen. Und früher oder später würde jemand Wert darauf legen, sie das wissen zu lassen.
Leicht gereizt beeilte sie sich, ihre Übungen abzuschließen, und nahm dann ein heißes Bad. Eine Nacht im Palast verbringen zu müssen, hatte auch seine guten Seiten, wie beispielsweise die luxuriösen sanitären Einrichtungen. Die riesige Badewanne und das gewaltige Waschbecken waren aus milchweißem Porzellan, angeschlagen und von altersbedingten Haarrissen überzogen. Ursprünglich waren sie verzaubert worden, um durch das breite Fenster Tageslicht aufzunehmen, doch im Zuge späterer Einsparungen war dieser aufwendige Zauber durch die mittlerweile üblichen magischen Lampen in verspiegelten Halterungen ersetzt worden. Gewohnheitsgemäß registrierte sie deren gesunde Farbe und Leuchtkraft. Eine Lampe, deren Sonnenlichtspeicher zur Neige ging, durchlief alle Farben des Sonnenuntergangs, bevor sie endgültig erlosch.
Es war zu früh, um die Fensterläden zu öffnen, die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Floria wandte den Blick von den Deckenlampen ab und sah in den Spiegel. Distanziert betrachtete sie sich: eine schlanke Frau, etwas größer als der Durchschnitt, sehnig, geschmeidig und mit Muskeln, die am rechten Arm und rechten Bein etwas stärker ausgebildet waren. Die feinen Fältchen um Mund und Augen waren nur aus der Nähe zu erkennen, und die Konturen von Brust und Po waren zwar im Laufe der Zeit ein wenig weicher geworden, jedoch nur
sichtbar für jemanden, der früher ganz genau hingesehen hatte. Schulterlanges Haar, das kaum nachgedunkelt war und noch immer im Weißgold der Jugend strahlte - ein Lichtgeborener mit dieser Haarfarbe konnte sich glücklich schätzen. So sollte sie es jedenfalls sehen; schließlich hatte das Haar ihrer Mutter vor so vielen Jahren die Aufmerksamkeit ihres Vaters erregt. Diverse alte Narben zeichneten ihren Körper, weiß auf heller Haut, sowie das tätowierte Mandala in verblassten Gelb- und Braun tönen, das sich nahezu über ihren ganzen Oberbauch ausbreitete.
Sanft rieb Floria über das Mandala. Sie war nicht bei Bewusstsein gewesen, als ihr die Tätowierung in die Haut geritzt wurde, als die gegen Gift immunisierende Magie auf sie überging. Es war das Werk ihres Vaters gewesen; er hatte gewusst, dass sie anderenfalls nicht zugestimmt hätte, sein Erbe anzunehmen, das ihm bis dahin das Leben bewahrt und seine Stellung gesichert hatte. Innerhalb der Familie Weiße Hand konnte es immer nur eine Person geben, die so von Magie geschützt wurde.
Während der noch verbliebenen vier Jahre seines Lebens hatte sie seine Speisen und Getränke ebenfalls vorgekostet. Eines Tages ließ er jedoch jede Vorsicht fallen und starb. Obzwar sie wusste, dass ein anderer für das Gift auf dem Tisch verantwortlich gewesen war und ihr Vater ein Übriges getan hatte, da ihm sein Leben nichts mehr bedeutete, nachdem die Schwäche des Alters ganz von ihm Besitz ergriffen hatte, nahm sie dennoch Rache für seinen Tod. Bei ihr waren die Spuren des Alters bisher minimal, und jedes Anzeichen für Schwäche fehlte vollkommen. Für Frauen, dachte Floria, ging es jedoch ziemlich ungerecht zu: Ihr Vater war bei ihrer Zeugung zehn Jahre älter gewesen, als sie jetzt war, und wenn sie den magischen Schutz noch an ein eigenes Kind weitergeben wollte, dann musste sie sich mit der Empfängnis beeilen. Die Alternative wäre, es an einen Cousin oder eine Cousine weiterzugeben. Sie hatte allerdings an jedem ihrer jungen Anverwandten irgendetwas auszusetzen. Sie entschied, dass sie darüber auch später noch nachdenken konnte - wenn auch nicht zum ersten Mal. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihre Schuhe, die offenbar auf Wanderschaft gewesen waren und nun quer übereinander dalagen, und zog sich dabei Unterwäsche, Hose, Bluse und Uniformrock an. Die Vorder- und Rückseite von Bluse und Gehrock waren lichtdurchlässig, die schmalen Einsätze an den Seiten durchsichtig. Bei den Ärmeln und der Hose wechselten sich Streifen von durchsichtigem Weiß mit lichtdurchlässigem Silber ab, um das Auge des Feindes zu verwirren. Lichtgeborene konnten allzu dunkle Schatten nicht ertragen. Schwarzes Segeltuch galt sogar als Mordinstrument, wobei ein potenzielles Opfer schon ausgesprochen nachlässig, drogenumnebelt oder sturzbetrunken sein musste, um mit einem Tuch überwältigt zu werden. Während sie ihren Uniformrock seitlich zuknöpfte, drängte sich eine unangenehme Erinnerung in ihr Bewusstsein: Irgendwann des Nachts hatte sie eben diese Knöpfe schon einmal geschlossen, und zwar inmitten eines seltsam nüchternen Traums, in dem sie über die hell erleuchteten Flure zu den Gemächern des Prinzen gelaufen war und dabei irgendetwas in der Hand gehalten hatte. Unwillkürlich musste sie an das kleine Kästchen aus Holz und Elfenbein denken, das sie vor langer Zeit von Balthasar zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, mit einem Stück Sandelholzseife darin. Sie hatte Bal nie erzählt, wie heftig ihr magischer Schutz auf das Parfum reagierte oder wie wenig das mit feinen Schnitzereien verzierte Holz und Elfenbein farblich zueinander passte -, es war geradezu eine Beleidigung ihrer bei Hofe verwöhnten Augen gewesen. Allein aus Gründen der Freundschaft hielt sie das Kästchen dennoch in Ehren. Warum sie allerdings davon geträumt haben sollte, es ihrem Prinzen zu bringen, wusste sie nicht. Es sei denn, das hatte etwas mit Isidores Bemerkung zu tun, ihrer aller Zukunft läge in den Händen von Leuten wie den Nachtgeborenen. Vorwurfsvoll schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Bei allen Missständen, die sie nach einer langen Schicht und überwürzten Banketten beschäftigten, warum sollte sie sich ausgerechnet über diesen Traum so große Sorgen machen? Sie wusste es nicht. Und wieso erachtete sie ihn eigentlich als Albtraum?
Floria kämmte sich das Haar, drehte es am Hinterkopf zu einer Schnecke und gab dieser mit einem weißen Netz den nötigen Halt. Ihre Netzschuhe mit den dicken, leisen Sohlen waren vorn geschlossen. An der rechten Hand trug sie einen Handschuh, die Innenfläche aus weichem Wildleder und der Handrücken wiederum aus einem Netzgewebe. Das Schwert machte sie an der linken Hüfte fest, die Pistole an der rechten. Ihr Urgroßvater hatte seinerzeit mit dem Gedanken gespielt, einen zweiten magischen Schutz anzuschaffen, der Kugeln und andere Geschosse ablenkte. Es war ihm jedoch nie gelungen, die Familie davon zu überzeugen, ihn beim Erwerb dieses Schutzes zu unterstützen, da sich das Familienvermögen noch nicht einmal vom ersten Kauf erholt hatte. Der Prinz trug solch einen Schutz, mit dem einst für seinen Vater ein Talisman belegt worden war. Der Preis dafür war eine Provinz gewesen - eine der letzten Ländereien des Prinzentums außerhalb der Stadt.
Ihr Vater hatte ihr immer wieder gesagt, Politik ginge einen Leibgardisten nichts an. Nachdem die Verarmung des Prinzentums jedoch auf direktem Wege in die Koalition mit den Südländern geführt hatte, waren ihm die Argumente ausgegangen. Als sie ihre Tür öffnete, hörte sie die Schreie - entfernt zwar, aber aus Richtung der prinzlichen Gemächer. Mit einer Hand fest am Schwert jagte Floria über die Galerien, vorbei an Grüppchen von Dienern, die darauf warteten, die Fensterläden zu öffnen, sobald sie sich des Sonnenaufgangs sicher sein konnten. Bis sie um die letzte Ecke bog, hatten sich die Schreie in ein Wimmern verwandelt, was noch entsetzlicher war als das Kreischen.
Prinzgemahlin Helenja und einer ihrer Wachmänner standen vor der Tür des Prinzen. Zu ihren Füßen lag ihre Tochter Liliyen. Sie war in sich zusammengesunken und zur Seite gefallen, ihr Kopf lag kraftlos auf dem ausgestreckten Arm, ihre nackte Hand berührte die Schwelle. An den flachen Bewegungen ihres Brustkorbs erkannte Floria, dass sie atmete, doch das bedeutete lediglich, dass sie nicht - noch nicht - tot war. Der Leibwächter starrte wie versteinert in das Zimmer, sein Gesicht eine Fratze des Grauens, Liliyen nahm er überhaupt nicht wahr - das Wimmern kam aus ihrer Kehle. Helenja drehte den Kopf zu Floria. Ihr totenbleiches Gesicht glänzte feucht, ihre Augen so weit aufgerissen, dass sie fast aus den Höhlen traten, ihr breiter Kiefer heruntergeklappt. Lautlos machte sie den Mund immer wieder zu und auf wie ein Fisch, den man in ein Boot gezogen hatte und an der Luft ersticken ließ.
Langsam wandte Floria sich der Tür zu. Sie stand sperrangelweit offen. Das Licht vom Korridor ergoss sich über den Boden und erreichte gerade noch die ersten Möbelstücke eines Raumes, in dem ansonsten totale Finsternis herrschte.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Alison Sinclair
Alison Sinclair ist in Edinburgh aufgewachsen und hat in Kanada, den USA und Großbritannien gelebt. Sie besitzt drei Universitätsabschlüsse und arbeitet gegenwärtig an der Universität McGill in Montreal. Ihr erster Roman wurde 1995 veröffentlicht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alison Sinclair
- Altersempfehlung: 16 - 17 Jahre
- 2011, 445 Seiten, Maße: 12,6 x 17,9 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Michaela Link
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802583361
- ISBN-13: 9783802583360
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