Lieblingsstücke
Warum kann man nicht einfach zufrieden sein? Frau Schnidt versteht ja selbst nicht, was mit ihr los ist. Sie weiß nur eins: Sie muss etwas ändern. Denn nur Kochen und die Kinder herumkutschieren das kann es nicht sein. Also will sie etwas Großes machen. Nur was?
Warum kann man nicht einfach zufrieden sein? Frau Schnidt versteht ja selbst nicht, was mit ihr los ist. Sie weiß nur eins: Sie muss etwas ändern. Denn nur Kochen und die Kinder herumkutschieren das kann es nicht sein. Also will sie etwas Großes machen. Nur was?
Jetzt bin ich dran! , sagt sich Andrea und ist sich sicher, dass sie etwas richtig Großes machen will nur was?
Lieblingsstücke von Susanne Fröhlich
LESEPROBE
1
»Jesus ist hier bei uns in Eschborn«, ruft die Stimme ekstatisch.
Jesus ist in Eschborn. Das wäre, wenn es tatsächlich stimmt, ein ziemlicher Knaller. Ich meine, ich möchte Jesus nicht zu nahe treten, aber warum um alles in der Welt sollte er nach Eschborn kommen? Ein Mann wie Jesus hat doch wirklich andere Möglichkeiten. Wozu ist er schließlich Jesus? Was nützt einem so eine Funktion, Beruf wäre wohl die unpassende Bezeichnung, wenn man dann doch in Eschborn rumhängen muss? Und noch dazu bei diesem Schmuddelwetter. Da wäre es doch bestimmt auf den Malediven oder den Seychellen netter. Wärmer allemal. Die Strände, die Palmen, das türkisfarbene Wasser, nette Cocktails, all das sollte Jesus ja wohl bekannt sein. Und ansonsten, falls ihm das Rumliegen am Strand nicht so gefällt, viele Männer langweilen sich da ja schnell mal, und Jesus ist ja nun eindeutig ein Mann, gibt es auch noch Städte wie New York, Rom, Venedig oder Paris. Internationale Metropolen. Und wenn es denn unbedingt Deutschland sein muss, würde ich an Jesus’ Stelle doch lieber mal nach Berlin. Für Jesus würde sich der Wowereit sicherlich einen Abend frei
»Jesus ist in Eschborn und sagt uns hallo«, wiederholt die Stimme noch aufgeregter die gewagte These, und weil das so dermaßen bekloppt ist und alle trotzdem so irrsinnig bewegt sind, nutze ich diesen Moment, nehme meine Tasche und meine Decke und verlasse so unauffällig wie möglich den zugigen kleinen Raum über der örtlichen Mehrzweckhalle. Vielleicht hat Jesus ja Lust mitzukommen. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass er an dieser Veranstaltung hier Spaß hat. Ich jedenfalls nicht. Überhaupt nicht, und deshalb muss ich hier weg.
Annabelle kommt mir hinterher.
»Wo willst du denn hin?«, fragt sie entsetzt, »das Seminar geht doch noch den ganzen Tag!«
»Ich bitte dich«, sage ich, »was soll denn nach Jesus noch kommen?«, und hoffe, dass sie den Scherz kapiert.
Tut sie aber nicht.
»Hast du ihn auch gesehen?«, will sie ernsthaft wissen, und ich weiß wirklich nicht, wie diese Frau meine Freundin sein kann.
So viel habe selbst ich verstanden. Beim Channeling spricht man durch andere. Also Jesus durch unsere Seminarleiterin Asmara. Deshalb kann man ihn auch definitiv nicht sehen, höchstens hören. Annabelle, meine Freundin, ist, unter uns gesagt, nicht das hellste Licht, aber dafür eine absolut hartnäckige Person. Immerhin hat sie mich zu diesem bescheuerten Seminar überredet. »Channeling mit Asmara« nennt sich diese dubiose Veranstaltung, zu der man nur eine warme Decke, etwas zu essen und die Teilnahmegebühr von zweihundertneunzig Euro mitbringen muss. Natürlich auch eine gewisse Empfangsbereitschaft. Um die geht es Asmara, der Channeling-Fachkraft, die nun ebenfalls vor die Halle tritt, wohl weniger.
»Hey Moment mal«, keift sie mich an, »was ist denn mit dir los? Wo willst du denn hin? Du hast deine Teilnahmegebühr noch gar nicht bezahlt!«
Wie profan. Da hat sie gerade Jesus in sich selbst entdeckt, und anstatt mit ihm ein wenig zu plaudern - da gäbe es doch sicherlich Interessantes zu erfahren und, unter uns, auch jede Menge offene Fragen -, rennt sie mir hinterher und grämt sich um ihre zweihundertneunzig Euro. Als ob Jesus nicht wesentlich mehr wert ist. Wenn sie clever wäre, hätte sie die Zeitung angerufen. Die Taunuszeitung. Für Jesus wäre vielleicht sogar jemand von der Bildzeitung erschienen.
»Jetzt ist mir Jesus wegen dir entwischt!«, klagt sie mich nun auch noch an und macht ein bekümmertes Gesicht. »Jesus braucht absolute Aufmerksamkeit!«
Was soll man dagegen bloß sagen? Dass alle Männer absolute Aufmerksamkeit brauchen? Dass ich dachte, dass Jesus da drüber stehen würde und nicht so kleinlich wäre? Bevor ich anfange, mich zu rechtfertigen, gebe ich auf, stammle was von: »Ich war so überwältigt, musste nur mal eben an die frische Luft«, und fühle mich wie ein flüchtender Häftling, der kurz vor der ersehnten Freiheit von seinen Gefängniswärtern wieder aufgegriffen und hinter die Mauern zurückgeführt wird.
Wie ein Rind zur Schlachtbank lasse ich mich zurück in die Halle eskortieren. Mich empfängt allgemeines Schweigen. Es gibt freundliches Schweigen und böses Schweigen. Das hier ist eindeutig kein freundliches Schweigen. So viel ist sofort klar. Alle sind offensichtlich total sauer auf mich. Eine kleine Frau mit wirrem Haar, die ein ganz klein wenig schielt, unterbricht die Stille.
»Du, Andrea, das war richtig mies von dir. Nur weil du noch nicht bereit bist zum Empfang. Jetzt hast du Jesus vertrieben.« Zur Unterstützung ihrer Worte rollen ihre Augen noch mehr als sonst. Wie bei einem Flipper- Automaten. Sieht schlimm aus, hat aber durchaus etwas Faszinierendes. Ich kann meinen Blick kaum von ihren Augen lösen. Schon weil man krampfhaft versucht, nicht so auffällig hinzuschauen, glotzt man oft umso mehr. Zustimmendes Gemurmel in der Halle und wie immer, wenn einer den Mut hatte, etwas zu sagen, kommt der Rest auch gleich begeistert aus der Deckung. »Genau« und »Du tust mir irgendwie so was von leid« sind noch die harmlosen Kommentare.
Ich werde also von nun an die Frau sein, die Jesus vertrieben hat. Die Frau, die Jesus zum Schweigen gebracht hat. Ich bin der Judas der Gruppe.
»Soll ich gehen?«, biete ich reumütig an und hoffe inständig auf ein Ja. Scheiß auf die zweihundertneunzig Euro. Alle schauen auf unsere Channeling-Meisterin Asmara und sind gespannt auf ihre Entscheidung.
»Nein«, sagt sie mit großmütigem Unterton. »Gerade du, Andrea, brauchst dieses Seminar. Vielleicht solltest du sogar überlegen, noch ein Weiteres zu belegen. Dein Empfang ist total blockiert. Da wartet wahnsinnig viel Arbeit auf dich.«
Was für eine wunderbare Mitteilung. Mein Empfang ist blockiert, und es wartet Arbeit auf mich. Deswegen bin ich nun wirklich nicht hier. Arbeit habe ich zu Hause ausreichend. Christoph, mein Mann, wird sich kaputtlachen. Verhaltensauffällig geworden im Channeling-Seminar. Betragen mangelhaft. Na bravo. Das muss man erst mal schaffen. Vor allem war diese kleine persönliche Ansprache nur der Anfang. Den gesamten Nachmittag über bekomme ich immer wieder Hinweise, wie ich meinen Geist auf Empfang schalten kann. Wir machen diverse Übungen und versuchen, mit unseren spirituellen Führern zu kommunizieren. Es wird irre viel geatmet, und wir wälzen uns auf dem leicht staubigen Boden durch den muffigen Raum. Außerdem fassen wir uns ständig an den Händen, und die meisten Übungen werden bei geschlossenen Augen absolviert. Generell liegt mir Kommunikation sehr, hier habe ich arge Probleme. Aus mir will überhaupt niemand sprechen. Wahrscheinlich liegt es an meinen Vorbehalten. Oder meinem mangelnden Ego. Insgeheim frage ich mich selbst, warum jemand ausgerechnet mich als Medium wählen sollte.
Ist das hier nicht alles grauenvoller Humbug? Oder bin tatsächlich ich es, die einfach noch nicht reif genug dafür ist? Der die Empfangsebene abgeht? Egal, wie absurd einem etwas erscheint, ein Restzweifel bleibt doch immer. Besonders in dieser Situation. Wenn alle so überzeugt sind, nur man selbst nicht, besteht ja nun durchaus die Möglichkeit, dass man diejenige ist, die sich irrt. So borniert, dass ich mich für unfehlbar halte, bin ich nun auch nicht. Liegt es an meiner mangelnden Sensibilität? Tauche ich nicht tief genug in mein Selbst ein? Ist da einfach nichts in mir drin? Nur eine gigantische Leere, ein großes Nichts? Fehlen mir bestimmte Bewusstseinsebenen, und wenn ja, wo kriege ich sie her?
Während ich noch still vor mich hin grübele, schreit Annabelle auf. Ihre Oma hat ihr etwas mitgeteilt. Alle sind ganz aufgeregt, schließlich ist Annabelles Oma vor gut zehn Jahren gestorben.
»Es war ganz deutlich«, freut sie sich.
»Und?«, frage ich, »was hat sie dir gesagt?«
»Ich soll weniger Kohlenhydrate essen!«, teilt sie mir mit erheblichem Pathos in der Stimme mit.
»Du sollst weniger Kohlenhydrate essen?« Das ist ja wohl der größte Käse, den ich je gehört habe. Als hätten sich die Frauen damals schon mit Kohlenhydraten beschäftigt. Das zum einen. Zum anderen meldet man sich doch nicht aus dem Jenseits, um über Kohlenhydrate zu sprechen. Da gibt es doch wirklich Bedeutsameres. Annabelle sieht an meinem Gesicht, dass ich gewisse Zweifel habe.
»Glaubst du mir etwa nicht?«, zischt sie mich an, und wieder mal habe ich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Saales.
»Na ja«, versuche ich meine Zweifel ein wenig abzumildern, »sagen wir mal so, ich finde das irgendwie komisch. Oder besser gesagt, seltsam.«
Jetzt wird Annabelle, die vorhin bei der Jesusnummer noch recht freundlich geblieben ist, zickig.
»Komisch, wieso komisch? Meine Oma sorgt sich um mich. Weil sie natürlich weiß, dass ich zu viel Weißbrot esse und ich deswegen auch oft zur Aggressivität neige. Da kümmert sich mal jemand um mich, und sofort machst du alles schlecht. Das finde ich echt blöd von dir. Du weißt ja sowieso immer alles besser.«
Jetzt habe ich nicht nur Jesus vergrätzt, sondern auch noch Annabelle. Und ihre Oma gleich mit. Eine tolle Bilanz. Und das Seminar ist noch nicht mal zu Ende. Mal schauen, wen ich noch alles vor den Kopf stoßen kann. Asmara versucht meinen Fehler auszubügeln. Sie lobt Annabelle und ist angeblich irre stolz auf ihr Talent. Die Kohlenhydratnachricht ist für sie absolut eindeutig.
»Du sollst dich mehr um deinen Körper kümmern, Annabelle, das ist das, was deine liebe Oma dir aus dem Jenseits mitteilen will. Die Kohlenhydrate sind ein Synonym.«
Annabelle nickt ehrfürchtig, obwohl sie hundertprozentig nicht weiß, was Synonym heißt. Dass Oma eventuell auch nur sagen wollte: »Gott, Annabelle Kind, was bist du fett geworden in den letzten zehn Jahren!«, und dafür eine höfliche Metapher gesucht hat, scheint Annabelle nicht in den Sinn zu kommen.
© Krüger Verlag
- Autor: Susanne Fröhlich
- 2008, 1, 280 Seiten, Maße: 13 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4026411361390
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