Morgen ist er weg

Marine Ludin wuchs in Südfrankreich auf und studierte Illustration an der Kunsthochschule von Nancy und an der FH Hamburg. Heute lebt und arbeitet sie in Heidelberg.

Scheidungskinder in der Literatur heißen gerne Lena. Bei Peter Härtlings "Lena auf dem Dach" handelt es sich um eine resolute junge Dame, die den Eltern sehr deutlich sagt, was die Zerstörung der Familie für die Kinder bedeutet. In diesem Fall ist Lena eine sensible, vorsichtige, kleine Person. Auch sie ist der Meinung, dass es so nicht weitergeht. Die Eltern streiten nur noch: Das heißt, Mama brüllt und Papa schweigt, und genau das ist unerträglich. Lena nimmt alles wahr, was in den Nächten durch die Zimmerwände an ihr Ohr dringt. Sie überdenkt die Bedeutung jedes einzelnen gefallenen Wortes und sie wägt ab: Wird sie den Vater überhaupt vermissen? Der kleine Bruder ist da viel pragmatischer. Er will mit Papa Fußball spielen! Das könnte man auch organisieren, wenn er wo anders wohnt. Aber für Lena tauchen ganz viele Fragen auf. Und nachdem weder der Papa, noch die Mama sie beantworten können, beschließt sie, diese unergründlichen Erwachsenen so zu akzeptieren, wie sie nun mal sind: anders. Lena löst sich aus der Vorstellung der Einheit von Eltern und Kindern und findet eine ungewöhnliche Ruhe, Sie bespricht alles, was sie bewegt, mit ihren Puppen und Tieren - und bevor der Papa weg geht, wird er zum Tee geladen. Und weil ihm ja das Reden nicht so leicht fällt, zeigt ihm seine Tochter, wie man trotzdem ausdrücken kann, was man denkt und fühlt. So entsteht denn auch eine Nähe zwischen den beiden, die vorher nicht möglich war. Und die Leser begreifen, dass man Menschen schlecht verändern kann. Man kann aber viel von ihnen bekommen, wenn man den richtigen Weg findet, ihnen zu vermitteln, was man von ihnen will und braucht. Um Lena muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen, ganz im Gegenteil! Sie wird niemals einsam sein. Die Leser dieses einfühlsamen, zärtlichen Buches, das mit ebensolchen Illustrationen ausgestattet ist,