Pubertät
Der schwierige Übergang
Die Pubertät ist eine Zeit voller Nöte und Verheißungen: Beim Abschied von der Kindheit liegen die Extreme oft dicht beieinander. ''Einfache Lösungen'' auf dem Weg zu einer erfüllten Existenz gibt es nicht. Aber Verständnis...
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Produktinformationen zu „Pubertät “
Die Pubertät ist eine Zeit voller Nöte und Verheißungen: Beim Abschied von der Kindheit liegen die Extreme oft dicht beieinander. ''Einfache Lösungen'' auf dem Weg zu einer erfüllten Existenz gibt es nicht. Aber Verständnis für diese Lebensphase hilft, damit die Pubertät nicht zu einem Dauerdrama für alle Beteiligten wird.
Lese-Probe zu „Pubertät “
Pubertät von Barbara SichtermannLESEPROBE
Kapitel 2
Scham, Sinn und Sinnlichkeit
Die »dunkle« Natur
»Sie fühlte sich, als wäre ihr Körper durch irgendein Versehen oder Unglück ihrer Obhut entglitten. Besonders lange hatte ich ihn nicht, dachte sie.« Die zwölfjährige Mamie in Susanne Moores Roman » The Whiteness of Bones« hat gerade die unsittliche Berührung eines alten Gärtners überstanden. Der Mann hat keinen Zwang angewandt. Er hat einfach nur seine knotige, runzelige Hand in ihre Shorts geschoben und auf ihre Schamlippen gelegt. Ein gewaltloser Erlkönig. Sie hat sich sofort von
ihm befreit. Sie läuft zu ihrem Vater. Der alte Gärtner wird entlassen. Für Mamie ist jetzt nichts mehr, wie es war. Andere Mädchen kommen ohne einen solchen Schock davon. Aber auch sie erleben Blicke, Bemerkungen, Beleidigungen, Berührungen, die alles für sie verändern. Auch für Jungs gibt es
diese Erfahrung des Sich-selbst-fremd-Werdens, sei es durch Erscheinungen am Körper und im Körper, sei es durch die Rohheit anderer, die Anspielungen machen, Taktgrenzen überschreiten, Gemeinheiten loslassen. Der Körper ist dann nicht mehr »in der Obhut« der (mehr oder weniger) intakten kindlichen Persönlichkeit, er ist »entglitten«, ausgesetzt, bloßgestellt. Wahrscheinlich kann keine Umwelt je sensibel genug sein, um ein pubertierendes Kind nicht irgendwann einmal zu verletzen. Denn die Empfindlichkeit der Zwölfjährigen ist, wenn es um ihre Person geht, extrem. Doch selbst wenn niemand einem Jugendlichen je weh tut, wird dieser Anlässe finden, sich mit sich selbst zu quälen. Auch wenn es keinerlei äußeren Ärger gibt, ist da ja jener innere Unruheherd: die Natur. Sie legt einfach los, produziert Hormone, Mitesser,
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Schweißgeruch, Schamhaare, prickelnde Brustwarzen, sprießendes Barthaar, Blutstropfen zwischen den Schamlippen, eine umkippende Stimme, einen Adamsapfel. Und selbst, wenn die Jugendlichen irgendwann stolz auf ihre Figur sind, reagieren sie, während alles anfängt, fast immer bestürzt. Einschneidende Veränderungen machen jedem Angst, selbst wenn sie erwünscht sind. Die Natur ist als Instanz nicht mehr rundum vertrauenswürdig. Im Grunde war sie es nie. Seit es Menschen gibt, haben sie versucht, sich den wortlosen Naturprozessen zu widersetzen, sie zu korrigieren und sie zu überlisten. Gleichzeitig beobachten sie mit sich steigernder Faszination, was die Natur so bewerkstelligt, um sich ihren Formenreichtum und ihre Vorgehensweisen abzugucken und sie nachzustellen - jede künstliche Machination hat ihr Urbild in der Natur. Heute, wo die Menschheit an der Schwelle zu jenem Labor steht, in dem der künstliche Mensch erzeugt wird, ist die Natur in ihrer Würde so beschädigt wie wohl kaum zuvor. Warum soll man eine Instanz hoch schätzen, die ihr kompliziertestes Werk, den Menschen, abkupfern, nachmachen, in der Retorte reproduzieren lässt? Was bringt die Natur denn noch allein zustande? Überall muss sie geschützt werden; sie kann sich ja selbst nicht mehr wehren. Sie lässt ihre Arten verkommen und das empfindliche meteorologische Gleichgewicht, das wir Klima nennen, entgleisen ... Der hochmütige, von seinem eigenen Erfindergeist hingerissene Mensch verliert den Respekt vor der Natur. Sie ist für ihn nur noch Material in einem Herrschaftsbereich, den er nicht mehr mit ihr zu teilen bereit ist. Aber dann gibt es Lebenssituationen, in denen die Natur plötzlich wieder die Befehlsgewalt innehat. Und der Mensch verlegen dasteht und einräumen muss, dass er sich keineswegs völlig von ihr emanzipiert hat. Dass ihm das wahrscheinlich nie gelingen wird. Der Tod ist so eine Situation. Und die Geburt. Auch die Sexualität. Mithin die Pubertät. Wenn die Natur mit Beginn der Pubertät auf ihre Existenz aufmerksam macht, kann sich das Kind in dieser Phase seines Lebens umso besser zurechtfinden und sich umso leichter in ihr bewegen, je mehr Vertrauen in die Natur als Fundament seines Lebens es mitbringt. Tiere leiden wahrscheinlich nicht unter der Veränderung ihrer Körper, wenn die Geschlechtsreife einsetzt. Wir wissen es nicht genau, aber durch das enge Zusammenleben mit Haustieren haben wir genug Beobachtungsmaterial gesammelt - hat man je von Pubertätskrisen bei Hunden oder Rindern gehört? Wo die Natur auf keine Widerstände trifft, erzeugt ihr Walten auch keine Identitätskrisen - wenngleich durchaus körperliche Schmerzen.
Die Empfindlichkeiten, Ängste und Komplexe von Menschen in der Pubertät sind einerseits Folge künstlicher, kulturell her vorgebrachter Lebensbedingungen, andererseits ein Zeichen für
deren Macht. Je mehr Natur unsere Lebensumstände zulassen und einbeziehen, desto unproblematischer kann sich wahrscheinlich die menschliche Pubertät vollziehen.
Was soll das heißen: Natur zulassen und einbeziehen? Zurück in die Wälder? Abschied von den Städten? Von der Zivilisation? Vom geistigen Leben? Vom Komfort? Natürlich nicht. Im Kontext unseres Themas ist etwas ganz anderes einschlägig. Gemeint ist die innere Natur: die körperliche genauso wie die gefühlsmäßige. Diese Natur ist schon deshalb noch ziemlich »wild« geblieben, weil sie relativ unerforscht ist. Man weiß zwar, wie die Organe funktionieren und wie das Genom strukturiert ist, aber nicht, wie Gefühle, körperlich oder geistig induzierte, entstehen. Die Hirnforschung ist dran an diesem aufregenden Forschungsprogramm, aber die Zwischenergebnisse sind dürftig. Es wird noch dauern, bis wir etwas Reelles in der Hand haben. Einstweilen müssen wir uns damit abfinden, dass die Natur unserer Gefühle und der gesamte Komplex Sex zum dunklen Kontinent auf der Landkarte des Humanum gehören.
Die Tugend der Passivität
»Macht« die Natur das Ihre - sei es während einer Entbindung, einer Sterbestunde, einer Pubertät -, ist es besser, wenn die betroffenen Individuen nichts machen, es sei denn, irgendetwas läuft offenkundig schief. Aber bei einem normalen Verlauf überlässt sich der kluge Erdling den natürlichen Rhythmen - und erfährt sich selbst sodann als ausgeliefert, als passiv. Gerade an bestimmten Wendepunkten des Lebens, aber auch bei weniger singulären und nicht so dramatischen Ereignissen wie etwa dem Schlaf, der Verdauung, der Atmung, der Schwangerschaft und der Geschlechtsreife in der Pubertät tun wir gut daran, wenn wir uns den Naturprozessen überantworten und uns Passivität zutrauen. Optimierungsversuche können nach hinten losgehen. Unwillkürliche Verläufe wie zum Beispiel die Atmung werden durch das Bewusstmachen gestört; man soll Selbstbeobachtung mit dem Ziel einer Verbesserung der automatischen Körperfunktionen nur dann anstreben, wenn man außergewöhnliche Leistungen erbringen muss oder krank ist. Mit einem Wort: Die Fähigkeit, passiv sein zu können, loszulassen, ist wichtig für jeden Menschen. Aber finden Sie dafür mal Unterstützung in unserer Kultur! Passivität hat einen ähnlich schlechten Ruf wie Unreife. Sie wird gedankenlos mit Trägheit gleichgesetzt, weshalb ein leerlaufender Aktivismus die vorherrschende Bewegungsform unserer Kultur ist; wer was macht, egal was, wer dazwischenfunkt, gegenhält, mitmischt, unterbricht, ist immer besser angesehen, als wer gar nichts tut. Dabei sind Kommenlassen, Abwarten, Mit-sich-machen-Lassen und Empfangenkönnen in manchen Situationen das einzig Richtige. Die Jagd nach dem Glück, deren sinnliche und gefühlsmäßige Seite während der Pubertät vorweggenommen oder ausprobiert wird, verläuft ein Leben lang erfolglos, wenn Passivität nicht als Wert begriffen wird.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH
© 2007 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
Die Empfindlichkeiten, Ängste und Komplexe von Menschen in der Pubertät sind einerseits Folge künstlicher, kulturell her vorgebrachter Lebensbedingungen, andererseits ein Zeichen für
deren Macht. Je mehr Natur unsere Lebensumstände zulassen und einbeziehen, desto unproblematischer kann sich wahrscheinlich die menschliche Pubertät vollziehen.
Was soll das heißen: Natur zulassen und einbeziehen? Zurück in die Wälder? Abschied von den Städten? Von der Zivilisation? Vom geistigen Leben? Vom Komfort? Natürlich nicht. Im Kontext unseres Themas ist etwas ganz anderes einschlägig. Gemeint ist die innere Natur: die körperliche genauso wie die gefühlsmäßige. Diese Natur ist schon deshalb noch ziemlich »wild« geblieben, weil sie relativ unerforscht ist. Man weiß zwar, wie die Organe funktionieren und wie das Genom strukturiert ist, aber nicht, wie Gefühle, körperlich oder geistig induzierte, entstehen. Die Hirnforschung ist dran an diesem aufregenden Forschungsprogramm, aber die Zwischenergebnisse sind dürftig. Es wird noch dauern, bis wir etwas Reelles in der Hand haben. Einstweilen müssen wir uns damit abfinden, dass die Natur unserer Gefühle und der gesamte Komplex Sex zum dunklen Kontinent auf der Landkarte des Humanum gehören.
Die Tugend der Passivität
»Macht« die Natur das Ihre - sei es während einer Entbindung, einer Sterbestunde, einer Pubertät -, ist es besser, wenn die betroffenen Individuen nichts machen, es sei denn, irgendetwas läuft offenkundig schief. Aber bei einem normalen Verlauf überlässt sich der kluge Erdling den natürlichen Rhythmen - und erfährt sich selbst sodann als ausgeliefert, als passiv. Gerade an bestimmten Wendepunkten des Lebens, aber auch bei weniger singulären und nicht so dramatischen Ereignissen wie etwa dem Schlaf, der Verdauung, der Atmung, der Schwangerschaft und der Geschlechtsreife in der Pubertät tun wir gut daran, wenn wir uns den Naturprozessen überantworten und uns Passivität zutrauen. Optimierungsversuche können nach hinten losgehen. Unwillkürliche Verläufe wie zum Beispiel die Atmung werden durch das Bewusstmachen gestört; man soll Selbstbeobachtung mit dem Ziel einer Verbesserung der automatischen Körperfunktionen nur dann anstreben, wenn man außergewöhnliche Leistungen erbringen muss oder krank ist. Mit einem Wort: Die Fähigkeit, passiv sein zu können, loszulassen, ist wichtig für jeden Menschen. Aber finden Sie dafür mal Unterstützung in unserer Kultur! Passivität hat einen ähnlich schlechten Ruf wie Unreife. Sie wird gedankenlos mit Trägheit gleichgesetzt, weshalb ein leerlaufender Aktivismus die vorherrschende Bewegungsform unserer Kultur ist; wer was macht, egal was, wer dazwischenfunkt, gegenhält, mitmischt, unterbricht, ist immer besser angesehen, als wer gar nichts tut. Dabei sind Kommenlassen, Abwarten, Mit-sich-machen-Lassen und Empfangenkönnen in manchen Situationen das einzig Richtige. Die Jagd nach dem Glück, deren sinnliche und gefühlsmäßige Seite während der Pubertät vorweggenommen oder ausprobiert wird, verläuft ein Leben lang erfolglos, wenn Passivität nicht als Wert begriffen wird.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH
© 2007 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
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Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Sichtermann
- 271 Seiten, Maße: 12,4 x 18,6 cm, Kartoniert (TB)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 382895250X
- ISBN-13: 9783828952508
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