Sandsturm
Als Mängel-Exemplar
nur
Sandsturm von JamesRollins
LESEPROBE
Feuer und Regen
14. November, 01:33
Im British Museum
London, England
In dreißig Minutensollte Harry Masterson tot sein.
Hätte er das gewusst,hätte er seine letzte Zigarette bis zum Filter
geraucht. Stattdessendrückte er die Kippe nach nur drei Zügen
aus und wedelte sichden Rauch vor dem Gesicht weg. Würde
man ihn beim Rauchenvor dem Pausenraum des Wachpersonals
erwischen, würdedieser Mistkerl Fleming, der Leiter des Sicherheitsdienstes
des Museums, ihm dieHölle heiß machen. Harry
stand sowieso schonauf der Abschussliste, weil er letzte Woche
zwei Stunden zu spätgekommen war.
Er fluchte leise undsteckte den Stummel in die Tasche. Bei der
nächsten Pause wollteer die Kippe zu Ende rauchen falls er in
dieser Nacht noch einePause bekam.
Donner hallte durchdas Mauerwerk. Der Wintersturm war
kurz nach Mitternachtlosgebrochen, zuerst mit einem heftigen
Hagelschauer und dannmit einem Platzregen, der London in die
Themse zu spülendrohte. Blitze zuckten quer über den ganzen
Himmel. Nach Angabendes Wetterberichts war es eins der heftigsten
Unwetter des letztenJahrzehnts. In der halben Stadt war
die Stromversorgungzusammengebrochen, ein spektakuläres
Sperrfeuer aus Blitzenhatte das Netz lahm gelegt.
Und zu Harrys Pech wares seine Hälfte der Stadt, die plötzlich
dunkel wurde, darunterauch das British Museum an der Great
Russell Street. Obwohles natürlich Notstromaggregate gab, war
die gesamteSicherheitsmannschaft zusammengerufen worden,
um die Schätze desMuseums zusätzlich zu schützen. Innerhalb
der nächsten halbenStunde würden die Männer eintreffen. Aber
Harry, derNachtschicht hatte, war bereits im Dienst, als die reguläre
Beleuchtung ausfiel.Und obwohl die Videoüberwachung
dank des Notstromnetzesnoch funktionierte, hatte Fleming ihn
und die restlicheMannschaft sofort auf einen Kontrollgang durch
die zweieinhalb Meilenlangen Gänge des Museums geschickt.
Das bedeutete, dasssie sich trennen mussten.
Harry nahm seineStablampe zur Hand und leuchtete den Gang
ab. Er hasste es,nachts Runden drehen zu müssen, denn dann lag
das ganze Museum imDunkeln. Das einzige Licht kam von den
Straßenlaternen vorden Fenstern. Aber wegen des Stromausfalls
brannten auch dieseLampen nicht. Das Museum lag in völliger
Schwärze, und diemakabren Schatten wurden nur unterbrochen
von den dunkelrotenLichttümpeln der Niedervolt-Notbeleuchtung.
Um seine Nerven zuberuhigen, hatte Harry eine Dosis Nikotin
gebraucht, aber jetztkonnte er seine Runde nicht länger aufschieben.
Da er in derHackordnung der Nachtschicht auf der untersten
Stufe stand, hatte manihm den Nordflügel zugewiesen, der am
weitesten von ihremStützpunkt entfernt lag. Aber das hieß nicht,
dass er keineAbkürzung nehmen konnte. Er drehte dem vor ihm
liegenden langen Gang den Rücken zu und ging zu der Tür, die zu
dem großen InnenhofElizabeth II. führte.
Dieser zentrale, knappeinen Hektar große Innenhof wird begrenzt
von den vier Flügelndes Museums. In seinem Zentrum erhebt
sich der große Round Reading Room, der runde Lesesaalmit
seiner Kupferkuppel.Der gesamte Innenhof war von Foster and
Partners mit einemriesigen geodätischen Dach überspannt worden,
wodurch der größtebedeckte Platz Europas entstand.
Mit seinemGeneralschlüssel öffnete Harry die Tür und betrat
den gewölbeartigenPlatz. Wie das Museum selbst war auch der
Hof in Dunkelheitgetaucht. Regen prasselte auf das Glasdach
hoch über seinem Kopf.Trotzdem hallten Harrys Schritte durch
den leeren Raum.Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Das
in tausend dreieckigeScheiben unterteilte Dach wurde für einen
Augenblick blendendhell. Dann versank das Museum wieder in
Dunkelheit und demPrasseln des Regens.
Donner folgte, denHarry tief in der Brust spürte. Das Dach
klirrte. Harry zog denKopf ein, weil er Angst hatte, die ganze
Konstruktion könnteeinstürzen.
Die Stablampe vor sichausgestreckt, überquerte er den Hof in
Richtung desNordflügels. Er umrundete den Lesesaal in der Mitte.
Wieder blitzte es, undeinige Herzschläge lang wurde der Raum
hell. Riesige Statuentauchten wie aus dem Nichts vor ihm auf. Der
Löwe von Knidos erhob sich neben dem riesigen Kopf einer Statue
von den Osterinseln.Dann verlosch der Blitz, und die steinernen
Wächter wurden wiedervon der Dunkelheit verschluckt.
Harry fröstelte undbekam eine Gänsehaut.
Er ging schneller, undbei jedem Schritt fluchte er leise. »Blöde,
elende Scheißdinger «Das beruhigte ihn ein wenig.
Als er die Tür zumNordflügel öffnete, begrüßte ihn die vertraute
Duftmischung aus Moderund Ammoniak. Er war froh, wieder
feste Mauern um sichzu haben, und leuchtete mit seiner Lampe
den Gang entlang. Zwarschien alles in Ordnung zu sein, doch er
war verpflichtet, jedeGalerie des Flügels zu kontrollieren. Er
rechnete schnell nach.Wenn er sich beeilte, hatte er nach dem
Rundgang noch genugZeit für eine schnelle Zigarette. Die Vorfreude
auf die nächsteNikotindröhnung trieb ihn an, und er ging,
den Strahl seinerTaschenlampe vor sich, den Gang weiter.
Der Nordflügelbeherbergte die Jubiläumsausstellung des Museums,
eine ethnographischeSammlung, die einen Überblick über
die menschlichenErrungenschaften aller Jahrhunderte und aller
Kulturen bot. Etwa die ägyptische Galerie mit ihren Mumien und
Sarkophagen. Erbeeilte sich und hakte die verschiedenen Kulturkreise
ab: den keltischen,den byzantinischen, den russischen und
den chinesischen. JedeSaalflucht war mit einem Sicherheitsgitter
verschlossen. Nach demStromausfall waren die Tore automatisch
heruntergelassenworden.
Endlich kam das Endedes Korridors in Sicht.
Die meistenAusstellungen der Galerien waren nur vorübergehend
hier untergebracht, eswaren Leihgaben des Museum of
Mankind - des Museums für dieGeschichte der Menschheit - für
die Jubiläumsfeierlichkeiten.Nur die hinterste Galerie war immer
schon hier gewesen,zumindest soweit Harry sich erinnern konnte.
Sie beherbergte diearabische Abteilung des Museums, eine unschätzbare
Sammlung vonAntiquitäten von der Arabischen Halbinsel.
Die Galerie war voneiner einzigen Familie eingerichtet und
finanziert worden,einer Familie, die durch ihre Ölgeschäfte in dieser
Region reich gewordenwar. Die Mittel, die nötig waren, um
eine solcheDauerausstellung im British Museum zu unterhalten,
überstiegen angeblichfünf Millionen Pfund pro Jahr.
Einersolchen Art von Engagement musste man Respekt zollen.
Oder auch nicht.
Harry, der für eine sosinnlose Geldverschwendung nur Verachtung
übrig hatte, richteteden Strahl seiner Lampe auf die gravierte
Messingtafel über derTür: THE KENSINGTON GALLERY. Auch
bekannt als: »DerDachboden der Schlampe«.
Harry war LadyKensington zwar noch nie begegnet, doch nach
dem Gerede unter denAngestellten war klar, dass auch nur der geringste
Makel in ihrer Galerie- Staub auf einer Vitrine, ein Fleck
auf einer Beschriftung- heftigsten Tadel nach sich zog. Die Galerie
war ihr Steckenpferd,und niemand entging ihrem heiligen
Zorn. Er hatte schoneinige Männer den Job gekostet, darunter
auch einen ehemaligenDirektor.
Deshalb hielt sichHarry vor dem Sicherheitsgitter dieser Galerie
auch ein wenig längerauf. Mit mehr als beiläufiger Gründlichkeit
ließ er den Strahlseiner Lampe durch den Eingangsbereich
wandern. Doch auchhier war alles in Ordnung.
Er ließ die Lampe sinkenund wollte sich eben abwenden, als er
aus dem Augenwinkeleine Bewegung bemerkte.
Er erstarrte undrichtete den Strahl der Lampe auf den Boden.
Tief im Inneren derKensington Gallery, in einem der entfernteren
Säle, wanderte langsamein bläulicher Schein und veränderte
in seiner Bewegung denSchattenwurf der Gegenstände.
Noch eine Taschenlampe Da war jemand in der Galerie
Harrys Herz schlug biszum Hals. Ein Einbrecher. Er lehnte sich
an die angrenzendeWand. Seine Finger tasteten nach seinem
Funkgerät. Durch dieMauern hallte voll tönend und tief ein Donner.
Er drückte auf denSprechknopf. »Ich habe hier im Nordflügel
möglicherweise einenEindringling. Erbitte Anweisungen.«
Er wartete auf dieAntwort seines Schichtleiters. Gene Johnson
war zwar ein Idiot,aber er war auch ein ehemaliger Offizier der
Royal Air Force. Erwusste, was zu tun war.
Signalausfälle wegender atmosphärischen Störungen durch das
Gewitter verstümmeltenseine Antwort. » möglich sind Sie
sicher? warten bis sind die Tore gesichert?«
Harry starrte dieheruntergelassenen Sicherheitsgitter an. Natürlich
hätte er nachprüfensollen, ob man sie aufgebrochen hatte.
Jede Galerie hatte nureine Tür zum Gang. Der einzige andere Zugang
zu den verschlossenenSälen wäre durch eins der hohen Fenster
gewesen, aber auch diewaren gesichert. Und obwohl das Gewitter
dieHauptstromversorgung lahm gelegt hatte, hatten die
Notstromaggregate dasSicherheitsnetz aufrechterhalten. Im Kontrollzentrum
war kein Alarmausgelöst worden.
Harry stellte sichvor, wie Johnson schon jetzt von einer Kamera
zur nächstenschaltete, diesen Flügel absuchte und vor allem die
Kensington Gallery insAuge fasste. Er riskierte einen Blick in die
aus fünf Sälenbestehende Flucht. Der Schein war weiterhin in der
Galerie zu sehen. Erbewegte sich scheinbar ziellos, beliebig, und
wirkte nicht wie dasentschlossene Hin- und Herschwenken eines
Diebes. Harrykontrollierte schnell das Sicherheitstor. Das elektronische
Schloss leuchtetegrün. Es war nicht aufgebrochen worden.
Er spähte wieder zudem Schein. Vielleicht war es nur der
Scheinwerferkegeleines vorbeifahrenden Autos, der durch die
Fenster der Galeriefiel.
Johnsons immer wiederunterbrochene Stimme aus dem Funkgerät
ließ in hochschrecken.»Videoüberwachung zeigt nichts
Kamera fünf istausgefallen Verstärkung ist unterwegs.«Was er
sonst noch sagte, gingin den atmosphärischen Störungen unter.
Harry stand vor demTor. Andere Wachmänner waren unterwegs.
Was, wenn es gar keinEindringling war? Was, wenn es nur
ein Scheinwerferstrahlwar? Schon jetzt bewegte er sich bei Fle-
ming auf dünnem Eis. Aufkeinen Fall wollte er als Trottel dastehen.
Er nahm all seinen Mutzusammen und hob die Stablampe. »He,
Sie da drinnen!«, rief er. Er wollte es eigentlich herrisch klingen
lassen, doch es kamals schrilles Kreischen aus seinem Mund.
Aber dasBewegungsmuster des Lichts änderte sich nicht. Es
schien noch tiefer indie Galerie zu wandern - doch nicht in einem
panischen Rückzug,sondern langsam und nicht sehr zielstrebig.
Kein Dieb konnte soviel Eis in seinen Adern haben.
Harry ging zumelektronischen Schloss und öffnete es mit seinem
Generalschlüssel. Diemagnetischen Verriegelungen lösten
sich. Er zog dasGitter gerade so weit hoch, dass er darunter hindurch
in den ersten Saalkriechen konnte. Dann richtete er sich auf
und hielt dieStablampe wieder vor sich. Seine kurzfristige Panik
war ihm durchaus nichtpeinlich. Er hätte nur gründlicher ermitteln
sollen, bevor er Alarmauslöste.
Aber jetzt war esschon passiert. Er konnte nur hoffen, sein Gesicht
zu wahren, indem erden mysteriösen Vorfall selbst aufklärte.
Nur für alle Fällerief er noch einmal: »Sicherheitsdienst! Stehen
bleiben!«
Doch sein Rufen zeigtekeine Wirkung. Der Schein behielt seinen
stetigen Zickzackkurstiefer in die Galerie hinein bei.
Durch das Gitterschaute er noch einmal in den Korridor. Die
anderen würden inweniger als einer Minute hier sein. »Scheiß
drauf«, murmelte erund lief in die Galerie. Er wollte den Schein
aufspüren und seineUrsache beheben, bevor die anderen eintrafen.
Mit kaum einem Blickfür die Objekte von zeitloser Bedeutung
und unschätzbarem Werteilte er durch die Säle: Glasvitrinen mit
Lehmtafeln desassyrischen Königs Ashurbanipal, ungeschlachte
Sandsteinstatuen ausvorpersischer Zeit, Schwerter und Waffen
aus allenJahrhunderten, phönizische Elfenbeinfiguren, die Könige
und Königinnendarstellten, sogar eine Erstausgabe von Arabische
Nächte unter demUrsprungstitel Der orientalische Moralist.
Harry eilte durch dieSäle und wechselte von einer Dynastie in
die nächste - von denZeiten der Kreuzzüge zur Geburt Christi,
von der BlütezeitAlexanders des Großen zu den Perioden des Königs
Salomon und derKönigin von Saba.
Schließlich erreichteer den hintersten Saal, einen der größten.
Er enthielt Objekte,die eher für Naturforscher von Interesse waren;
seltene Steine undJuwelen, Fossilien, neolithischeWerkzeuge.
Nun sah er auch, wasdie Quelle des Scheins war. Fast in der
Mitte des Kuppelsaalsschwebte träge eine Kugel blauen Lichts
von etwa einem halbenMeter im Durchmesser. Sie schimmerte,
und auf ihrerOberfläche schien eine Flamme prismatischen blauen
Öls zu züngeln.
Vor Harrys Augen drangdie Kugel in eine Glasvitrine ein, als
wäre sie aus Luft.Harry schaute sprachlos zu. Schwefelgestank
stieg ihm in die Nase.Er schien von der Kugel aus tiefblauem Licht
auszugehen.
Dann rollte dasGebilde über eine der rot leuchtenden Sicherheitslampen,
und sie zerplatzte miteinem knisternden Plopp. Das
Geräusch erschreckteHarry, er trat einen Schritt zurück. Dasselbe
musste wohl auch mitKamera fünf im Saal hinter ihm passiert
sein. Er schaute hochzu der Kamera in diesem Saal. Das rote
Lämpchen darüberleuchtete. Sie funktionierte noch.
Als hätte Johnsonseinen Blick zur Kamera bemerkt, meldete er
sich über Funk. Ausirgendeinem Grund gab es keine statischen
Störungen mehr. »Harry,es ist besser, wenn Sie von dort verschwinden!«
Doch er bliebunbeweglich stehen, halb aus Angst, halb aus Faszination.
Außerdem bewegte sichdas Phänomen von ihm weg, auf
eine dunkle Ecke desSaals zu.
Der Schein der Kugelbeleuchtete einen Klumpen Metall innerhalb
eines Glaswürfels. Eswar ein Brocken rotes Eisen, so groß
wie ein Kalb, ein kniendesKalb. Das Informationstäfelchen bezeichnete
das Ding als Kamel.Allerdings bestand höchstens eine
entfernte Ähnlichkeitmit einem solchen Tier, aber Harry verstand,
warum man es sointerpretierte: Das Objekt war in der Wüste gefunden
worden.
Der Schein schwebtejetzt über dem Eisenkamel.
Harry trat vorsichtigeinen Schritt zurück und hob sein Funkgerät.
»O Gott!«
Die schimmernde Kugelfiel durch das Glas und landete auf
dem Kamel. Der Scheinverlosch so schnell, als hätte man eine
Kerze ausgeblasen.
Die plötzlicheDunkelheit machte Harry einen Atemzug lang
blind. Er hob seineStablampe. Das Eisenkamel ruhte noch immer
in seinem Glaswürfel,offensichtlich völlig unbeschädigt. »Der
Schein istverschwunden «
( )
© Blanvalet Verlag
Übersetzung:Klaus Berr
Klaus Berr, geb. 1957 in Schongau, Studium der Germanistik und Anglistik in Mchen, einjriger Aufenthalt in Wales als "Assistant Teacher", ist der ersetzer von u.a. Lawrence Ferlinghetti, Tony Parsons, William Owen Roberts, Will Self.
- Autor: James Rollins
- 2005, 606 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Berr, Klaus
- Übersetzer: Klaus Berr
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442362660
- ISBN-13: 9783442362660
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