Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4
Sie ist eine Banshee, eine Todesfee. Ihr Schrei kann den Tod besiegen.
Kaylee liebt Nash immer noch, obwohl sie ihm nicht mehr vertraut. Und ausgerechnet jetzt taucht Nashs Exfreundin auf, die ihn um jeden Preis zurückhaben will. Ein Albtraum beginnt im...
Kaylee liebt Nash immer noch, obwohl sie ihm nicht mehr vertraut. Und ausgerechnet jetzt taucht Nashs Exfreundin auf, die ihn um jeden Preis zurückhaben will. Ein Albtraum beginnt im...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4 “
Klappentext zu „Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4 “
Sie ist eine Banshee, eine Todesfee. Ihr Schrei kann den Tod besiegen.Kaylee liebt Nash immer noch, obwohl sie ihm nicht mehr vertraut. Und ausgerechnet jetzt taucht Nashs Exfreundin auf, die ihn um jeden Preis zurückhaben will. Ein Albtraum beginnt im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Sabine ist eine Mara. Sie liest die Ängste der Menschen und verwandelt sie in Albträume, von deren Energien sie zehrt. Plötzlich sterben Lehrer im Schlaf, Chaos bricht in der Highschool aus. Ist das Sabines Werk? Kaylee hat keine Zweifel und will eingreifen. Doch Nash kann nicht glauben, dass seine Ex eine Mörderin sein soll
Lese-Probe zu „Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4 “
Schütze meine Seele von Rachel VincentÜbersetzung von Michaela Grünberg
1. Kapitel
Zu Beginn des zweiten Semesters der Elften hatte ich es bereits mit äußerst brutalen und abtrünnigen Reapern zu tun bekommen, mit einem diabolischen Unterhaltungsmogul und einer Horde Hellions, die scharf auf meine Seele waren. Niemals hätte ich gedacht, dass mir das grauenvollste Monster von allen erst noch begegnen würde: die Exfreundin meines Freundes. Sie sollte sich als mein schlimmster Albtraum entpuppen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
„Ich beiße nicht." Nash schaute über die aufgespießte Erbse auf seiner Gabel hinweg zu mir hoch, und mir wurde bewusst, dass ich ihn anstarrte. Ich war auf der untersten Stufe der Treppe stehen geblieben, überrascht, ihn in der Schule anzutreffen, aber noch mehr darüber, ihn bei der Januarkälte draußen und dazu noch allein beim Mittagessen zu sehen. Draußen auf dem Hof, wohin ich mich verdrückt hatte, da ich dem Getuschel in der Cafeteria entgehen wollte.
Offensichtlich war er aus demselben Grund hier.
Ich blickte über die Schulter durchs Fenster der Cafeteriatür, in der Hoffnung, Emma irgendwo zu entdecken, allerdings schien sie noch nicht da zu sein.
Nash runzelte die Stirn, sowie er mein Zögern bemerkte. Doch ich machte mir keine Gedanken um ihn, sondern um mich. Ich fürchtete, sobald ich ihm zu nahe kam - seinen Armen, in denen ich früher Schutz und Trost gefunden hatte, den haselnussbraunen Augen, die direkt in mein Herz zu sehen schienen -, würde ich schwach werden. Ihm alles verzeihen, selbst wenn ich es nie vergessen könnte. Und das wäre überhaupt keine gute Idee.
... mehr
Ich meine, es würde sich bestimmt gut anfühlen, aber genau das wäre fatal. Die vergangenen zwei Wochen waren die schwersten meines Lebens gewesen. Und das, obwohl ich in den letzten Monaten viele schreckliche Dinge erlebt und überlebt hatte, von deren Existenz die meisten anderen 16-Jährigen nicht einmal etwas ahnten. Doch läppische vierzehn Tage ohne Nash - nämlich die kompletten Winterferien - reichten aus, mich bis an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Wer auch immer sich diesen bescheuerten Spruch ausgedacht hat von wegen „Einmal geliebt und diese Liebe verloren zu haben ist besser, als niemals zu lieben", muss geistesgestört sein. Hätte ich mich gar nicht erst in Nash verliebt, würde mir jetzt nicht so schmerzlich fehlen, was ich so nie kennengelernt hätte.
„Kaylee?" Nash legte seine Gabel mitsamt der Erbse zurück aufs Tablett. „Schon gut. Ich verstehe. Du willst nicht mit mir reden."
Schnell schüttelte ich den Kopf, stellte mein Tablett auf die gegenüberliegende Seite des Tisches und setzte mich zu ihm. „Nein, es ist nur ... ich hatte dich hier nicht erwartet." In der Zwischenzeit hatte ich ihn nicht ein einziges Mal besucht, denn es wäre uns beiden gegenüber unfair gewesen. Wenn man nicht richtig zusammen sein kann, sollte man es besser ganz lassen. Alles andere machte es nur noch schlimmer. Allerdings wusste ich auch ohne ihn gesehen zu haben, dass der Entzug ihn ganz schön mitgenommen hatte, weil mein Vater - ausgerechnet er - sich regelmäßig erkundigt hatte, wie es Nash ging.
Und obwohl er seine Antworten auf meine Nachfragen so knapp wie möglich hielt, konnte ich mir aus dem wenigen, was er erzählte, leicht zusammenreimen, wie grausam ein Entzug von Dämonenatem - den Unwissenden bekannt als Frost oder auch Demon's-H - sein musste.
„Geht es dir ... gut?", erkundigte ich mich, während ich mit meiner Gabel in die viel zu flüssige Spaghettisoße auf dem Tellerrand kleine Kreise malte.
„Besser." Er zuckte mit den Schultern. „An ‚‚gut‘ arbeite ich noch."
„Aber um zur Schule zu kommen, reicht es schon wieder?"
Ein weiteres Achselzucken. „Mom hat mir eine Weile etwas verabreicht, um die Symptome zu lindern. Irgendein komisches Unterwelt-Kraut, frag mich nicht. Doch das Zeug hat mich fast nonstop schlafen lassen. Traumlos", fügte er hinzu, als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte. Die Hellions, deren Atem er inhaliert hatte, waren hin und wieder durch seine Träume mit ihm in Kontakt getreten. Meistens jedoch hatten sie mich dazu benutzt, indem sie von meinem Körper Besitz ergriffen, während ich geschlafen hatte. Ohne Frage hätte ich Nash dabei geholfen, seine Sucht zu besiegen, schließlich war er wegen mir überhaupt erst mit Demon's-H in Berührung gekommen. Nachdem ich allerdings erfahren hatte, dass er diese regelmäßige Fremdsteuerung meines Körpers einfach zugelassen und mir nicht mal gesagt hatte, was da mit mir geschah, war das Maß endgültig voll gewesen. Solange ich mir nicht absolut sicher sein konnte, dass so etwas niemals wieder passierte, konnte ich unserer Beziehung keine zweite Chance geben.
Zumindest wenn es nach meinem Verstand ging. Was der für das Beste hielt und was mein Herz wollte, waren jedoch zwei völlig verschiedene Dinge.
„Ich hab immer noch nicht besonders viel Appetit, aber was ich esse, bleibt jetzt immerhin drin." Nash betrachtete sein volles Tablett. Mir fiel auf, dass er abgenommen hatte. Seine Züge waren ... kantiger geworden. Die Haut unter seinen Augen sah dunkel und verquollen aus, und er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, kunstvoll seine Haare zu zerstrubbeln wie sonst. Während der alte Nash nur so vor Lebenslust und Ausstrahlung gestrotzt hatte, wirkte die neue Version von ihm geradezu glanzlos und lethargisch. Ich erkannte ihn kaum wieder und befürchtete, mit seinem Gefühlsleben ebenso wenig vertraut zu sein. Jedenfalls nicht so, wie ich es mit dem von meinem Nash gewesen war.
„Vielleicht hättest du noch ein paar Tage zu Hause bleiben sollen", stellte ich leise fest, langsam eine Portion Spaghetti mit der Gabel aufrollend.
„Ich wollte dich sehen."
Mein gebrochenes Herz schien noch einmal in tausend Stücke zu zerspringen. Ich schaute auf, und in Nashs Blick spiegelten sich Bedauern und Sehnsucht, das plötzlich mit grünen Schleiern durchsetzte Braun seiner Augen flirrte, als würde ein winziger Tornado die Farben umeinander herum wirbeln lassen. Menschen konnten dieses Phänomen nicht wahrnehmen. Aber Nash und ich - da wir beide Bean Sidhes waren, oder auch Banshees - konnten es, und mit ein wenig Übung hatte ich auch gelernt, bei ihm die jeweiligen darin verborgenen Gefühlsregungen zu erkennen und zu unterscheiden. Sozusagen seine Emotionen durch das Fenster zu seiner Seele zu lesen. Sofern er mich daran teilhaben ließ.
„Nash ..."
„Ohne Hintergedanken, okay?", fiel er mir ins Wort, ehe ich dazu kam, mit der zurückweisenden Ansprache loszulegen, die ich vorsorglich einstudiert und von der ich gleichzeitig gehofft hatte, sie niemals wirklich zu brauchen. „Ich wollte einfach dein Gesicht sehen. Deine Stimme hören."
Übersetzung: Du hast mich nicht ein einziges Mal besucht. Oder wenigstens angerufen.
Ich schloss die Augen und kämpfte mit dieser beklemmenden Unsicherheit, die ich plötzlich in seiner Gegenwart empfand. „Ich hätte gern ..." Lieber als alles andere. „Aber ich kann einfach nicht ..."
„Nur gucken, aber nicht anfassen?", beendete er den Satz für mich, und unsere traurigen Blicke trafen sich. „Glaub mir, ich weiß genau, was du meinst." Er seufzte und rührte in seiner lieblos in eine Dessertschale geklatschten Pfirsichcreme. „Und was jetzt? Sind wir Freunde?"
Klar. Wenn die neue Definition von Freundschaft lautete, dass man den anderen lieben, doch nicht mit ihm zusammen sein konnte. Ihm zwar nicht über den Weg traute, doch ohne zu zögern für ihn sterben würde.
„Ich glaube, es gibt keine Bezeichnung für das, was wir sind, Nash." Wobei mir zumindest eine einfiel, die es ziemlich genau traf: schrottreif.
Nash und ich waren wie zwei Autos nach einem Frontalzusammenstoß. So hoffnungslos ineinander verkeilt, dass ich nicht einmal mehr sagen konnte, welche Teile zu ihm gehörten und welche zu mir. Vermutlich war es unmöglich, uns jemals wieder voneinander zu trennen - nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten -, aber ich hatte ernsthaft Angst, es würde trotzdem zwischen uns nie mehr so werden wie früher.
„Weißt du, ich ... ich brauche ein bisschen Zeit."
Verständnisvoll nickte er, und in seinen Augen leuchtete der erste Hoffnungsschimmer seit einer gefühlten Ewigkeit auf. „Natürlich. Und die haben wir doch auch."
Tatsächlich hatten wir die, und zwar jede Menge davon. Jenseits der Pubertät verlangsamte sich der Alterungsprozess eines Banshee drastisch, was einerseits bedeutete, ich müsste wohl noch mit vierzig überall meinen Ausweis vorzeigen. Andererseits hieß das allerdings auch, dass Nash und ich im Idealfall schätzungsweise vierhundert gemeinsamen Jahren entgegenblickten. Vorausgesetzt, wir schafften es, unsere Probleme zu lösen - und es kam uns dann keine unvorhergesehene Katastrophe dazwischen. Obwohl gerade das mehr als wahrscheinlich war, wenn es so weiterlief wie bisher. Seit Beginn des Schuljahres bis heute war aus meinem Leben eine einzige, endlose Verkettung von Katastrophen geworden, das nur durch das rettende Netz zusammengehalten wurde, das Nashs Nähe für mich bedeutete. Wenigstens bis vor Kurzem. Jetzt klammerte ich mich an den Trümmerhaufen meiner Existenz, versuchte allein, die Bruchstücke festzuhalten, und fragte mich, ob es uns beiden helfen oder endgültig den Rest geben würde, wenn ich mich dazu durchrang, Nash wieder an mich heranzulassen.
„Wie geht es Em eigentlich?", erkundigte Nash sich mit gesenkter Stimme, während er über meine Schulter hinwegblickte, als hätte er etwas oder jemanden entdeckt.
Ich drehte mich um und sah Emma Marshall, meine beste Freundin, den nahezu verlassenen Schulhof betreten und auf uns zukommen. Jeder Mensch mit auch nur einer Gehirnzelle - und ohne triftigen Grund, sich regelrecht zu verstecken - aß drinnen, wo es warm und trocken war. Em trug ein Tablett mit einem Stück Pizza und einer Cola light vor sich her, in der Absicht, mit Nash und mir hier draußen zu essen. Nicht, weil sie der Gruppe an Schülern ausweichen wollte, die ihr Urteil ohnehin schon gefällt hatte, sondern weil es ihr egal war, was man über sie dachte.
„Em ist stark. Sie lässt sich nicht so leicht unterkriegen." Und das sagte ich nicht bloß so dahin. Insgeheim betrachtete ich Emma als meine Heldin, und das in vielerlei Hinsicht, doch ganz besonders wegen ihrer Unabhängigkeit von der Meinung anderer.
Doug Fuller, mit dem Em beinahe einen Monat lang zusammen gewesen war, hatte vor zwei Wochen eine Überdosis Frost abbekommen und es nicht überlebt. Obwohl die Beziehung der beiden eher körperlicher Natur gewesen war, ließ sein Tod sie verständlicherweise nicht kalt. Und dass sie den Ort der eigentlichen Herkunft der Droge, nämlich die Unterwelt, nicht kannte, machte es nicht gerade leichter für sie.
Während sie immer näher kam, flüsterte Nash, noch leiser als vorher: „Warst du auf seiner Beerdigung?"
„Ja." Doug war als Linebacker der Eastlake-Footballmannschaft bekannt wie ein bunter Hund, und zu seiner Beisetzung hatte sich praktisch die komplette Schule eingefunden. Abgesehen von Nash, der aufgrund seines Entzugs an diesem Tag gezwungen war, im Bett zu bleiben, und Scott, dem Dritten im Bunde, der seiner Abhängigkeit knapp mit dem Leben entkommen war, jedoch nicht, ohne einen hohen Preis dafür zu bezahlen. Er hatte eine irreparable Schädigung des Gehirns erlitten, die ihm eine ständige und durch nichts zu unterbrechende mentale Kopplung an den Hellion bescherte, dessen Atem Doug umgebracht und meine Beziehung zu Nash an die Wand gefahren hatte.
„Hey." Emma blieb stehen und ließ ihren Blick von mir zu Nash und wieder zurück zu mir wandern, bevor sie sich neben mich setzte. „Na, wie ist der aktuelle Stand? Versöhnung nach der Entwöhnung? Weil, mal ganz ehrlich, euch bei diesem Drahtseilakt zuzugucken, davon wird mir langsam schwindelig."
Sie grinste uns an, und ich hätte dem Universum um den Hals fallen können dafür, dass ich eine Freundin wie Emma hatte.
„Wie gut kannst du balancieren?", fragte ich und biss in eine der Pommes von seinem Teller.
„Besser, als du denkst", antwortete Nash unsicher lächelnd.
Genervt rollte Em mit den Augen. „Also geht's munter weiter?"
Nash schien genauso gespannt auf meine Antwort wie sie. Langsam atmete ich aus. „Scheint so."
Er reagierte mit einem Seufzen, und Emma runzelte die Stirn, als fände sie, ich würde es jetzt doch ein bisschen übertreiben. Aber sie wusste nichts über die Hintergründe unserer Trennung. Ich konnte ihr ja schlecht erzählen, dass Nash einem Hellion erlaubt hatte, sich meinen Körper auszuborgen, um mit ihm Doktor zu spielen - auch wenn ihm beim ersten Mal nicht bewusst war, was da passierte -, und er es nicht mal für nötig hielt, mir mitzuteilen, dass ein Wesen aus der Unterwelt in mich hineinschlüpfte wie in ein menschliches Kostüm. Allerdings war diese total verrückte Geschichte nicht der einzige Grund, warum ich Emma nichts davon sagen konnte. Sondern, vor allem deshalb nicht, weil der Hellion, der ihren Freund auf dem Gewissen hatte, auch in ihrem Körper gewohnt hatte. Natürlich ohne ihr Wissen - und zu ihrer eigenen Sicherheit wäre es wohl besser, wenn das auch so blieb. Ihre Freundschaft mit mir hatte sie schon mehr als genug in Gefahr gebracht.
„Auch gut. Zieh das Drama nur in die Länge. Gib der Meute noch ein Thema zum Tratschen."
Ein anderes Thema als Doug und Scott.
Wären seit Dougs Tod nicht zwei Wochen ins Land gegangen, in denen sich die Gemüter etwas beruhigen konnten, hätte die Schule wahrscheinlich von lauter Teenagern am Rande des Nervenzusammenbruchs gewimmelt. Nein, danke. Die verstohlenen Blicke und das Getuschel, wenn man den Flur entlangging, genügten mir völlig.
„Und? Hast du die Neue schon gesehen?", fragte Emma in einem zwar durchschaubaren, doch nett gemeinten Versuch, das Gespräch auf ein weniger bedrückendes Thema zu lenken. Sie brach ein Stück Kruste von ihrer Pizzaecke ab und steckte es sich in den Mund.
„Welche Neue?" Als ob mich das interessierte. Andererseits gab mir der neue Gesprächsstoff die Gelegenheit, mich von meinen trüben Gedanken abzulenken - oder es würde wenigstens den Anschein haben, dass sie nicht ausschließlich um Nash und mich kreisen würden beziehungsweise um die Erkenntnis, dass momentan gar kein „Nash und ich" mehr existierte.
„Hab vergessen, wie sie heißt." Emma rupfte ein zweites Stück Pizzakruste ab und tunkte es in einen Plastikbecher mit French Dressing. „Aber sie ist in der Abschlussklasse. Kannst du dir das vorstellen? Kurz vorm Abschluss mal eben noch die Schule zu wechseln?"
„Ja, das klingt ätzend", antwortete ich, den Blick auf mein Tablett gerichtet. Ich tat so, als bemerkte ich nicht, wie Nash mich schweigend aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Würde es von jetzt an immer so sein? Wir hocken uns distanziert gegenüber und starren den anderen heimlich an, wenn der gerade woanders hinschaut? Entweder überhaupt nicht miteinander redend oder bestenfalls über irgendeinen unverfänglichen Kram, der garantiert kein Streitpotenzial hat? Vielleicht hätte ich lieber in der Cafeteria bleiben sollen. Das hier wird nicht funktionieren ...
„Sie ist in meinem Englischkurs. Wirkte ziemlich verloren, das arme Ding. Deshalb hab ich ihr angeboten, dass sie sich zu uns setzen kann, wenn sie will", nuschelte Emma, während sie noch kaute. Ich sah überrascht zu ihr hoch.
Zuallererst mal - Emma und andere Mädchen, das passte nicht zusammen. Abgesehen von mir hatte sie keine Freundinnen, denn die meisten unserer Geschlechtsgenossinnen konnten sie aus demselben Grund nicht leiden, aus dem die Jungs ihr scharenweise nachliefen. Seit der siebten Klasse waren es stets nur wir zwei gewesen. Und zwar genau seit dem ersten Schultag nach den Sommerferien, an dem sich die restlichen Schülerinnen beim Anblick von Emmas sinnlichen Lippen und den plötzlich nur noch knapp in ein C-Körbchen passenden Brüsten neidvoll von ihr abgewendet hatten.
Zweitens ...
„Was sucht denn eine aus der Abschlussklasse in deinem Englischkurs?", wollte Nash wissen, bevor ich es fragen konnte.
Emma zuckte die Achseln, schluckte den Bissen herunter und dippte das nächste Stück Pizza in das Dressing. „Sie muss wohl irgendwie hinterherhängen, und deshalb lässt man sie zwei Kurse gleichzeitig machen. So braucht sie nur das aufzuholen, was sie verpasst hat. Ist auf jeden Fall besser, als eine Ehrenrunde zu drehen, bloß weil einem der Stoff aus einem Kurs fehlt, oder?"
„Kann sein." Nash spießte eine neue Erbse neben die erste auf seiner Gabel, obwohl er vermutlich nicht vorhatte, sie auch tatsächlich zu essen. „Aber parallel Macbeth und Wer die Nachtigall stört lesen zu müssen, stelle ich mir auch nicht wirklich entspannend vor."
„Tja, was soll man dazu sagen. Solange mich dieses Schicksal nicht ereilt ..." Em biss herzhaft ab, dann drehte sie sich plötzlich um. Hinter uns knirschten Schritte auf dem gefrorenen Rasen. „Wenn man vom Teufel spricht. Da ist sie ja", meinte sie und winkte die Neue zu uns heran.
Neugierig reckte ich den Hals in die Richtung, aus der die Schritte kamen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, da ich Nashs Blick bemerkte. Ihm fielen förmlich die Augen aus dem Kopf. Nur galt dieser Blick nicht mir, sondern der neuen Schülerin. „Sabine?", sagte er erstaunt, kaum lauter als ein Flüstern.
Em schlug sich mit der Hand aufs Knie. „Genau! Ich wusste doch, es war was mit S." Sie winkte abermals. „Hey, Sabine, hier sind wir!" Dann wandte sie sich wieder Nash zu. „Warte mal, du kennst sie?"
Anstatt zu antworten, sprang er auf und stolperte dabei fast über die Bank. Nachdem ich verdutzt zugesehen hatte, wie es ihm nur knapp gelang, den Tisch zu umrunden, ohne sein Tablett herunterzustoßen, drehte ich mich schließlich zu dem Auslöser seiner Kopflosigkeit um. Und begriff sofort, warum dieses Mädchen absolut keinen Grund hatte, sich von Emma bedroht zu fühlen.
Sabine verkörperte einen völlig anderen Typ makelloser Schönheit.
Vornehm blasse Haut bildete einen interessanten Kontrast zu glänzendem dunklen Haar, wohingegen Ems durch goldenes, warmes Schimmern punktete. Im Gegensatz zu Emmas weiblichen Rundungen war sie schmal und zart gebaut. Em bewegte sich langsam und geschmeidig, sie stolzierte dagegen regelrecht. Und jetzt gerade blieb sie abrupt stehen, ihr Tablett in den Händen, als hätte sie total vergessen, dass es überhaupt da war, und starrte nicht etwa mich oder ihre neue Freundin Emma an, sondern meinen Freund.
Meinen Irgendwie-noch-Freund. Oder was auch immer.
„Sabine?" Dieses Mal flüsterte Nash wirklich, und dieser vertraute sanfte Unterton in seiner Stimme ließ die Alarmglocken bei mir schrillen.
„Nash Hudson. Ich glaub's ja nicht, du bist es!" Die Neue warf ihr langes dunkles Haar nach hinten, wodurch ihr rechtes Ohr entblößt wurde, an dem zwei nicht zueinander passende, glitzernde Ohrringe baumelten.
Nash ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen, während Sabine ihr Tablett auf dem nächstbesten Tisch abstellte und meinem ... was auch immer ... entgegenlief. Er breitete die Arme aus, und sie warf sich so schwungvoll hinein, dass er die Wucht des Aufpralls mit einer halben Drehung abfangen musste, um nicht umzufallen. Mit ihr zusammen.
In meiner Brust loderte und brannte es, als hätte ich mir ein ganzes Glas Salsa auf Ex reingeschüttet.
„Was machst du denn hier?", fragte Nash und setzte Sabine wieder auf dem Boden ab, während sie im selben Augenblick noch einmal hervorstieß: „Ich glaub's einfach nicht."
Ich auch nicht. Vielmehr war ich mir ziemlich sicher, dass dieses überraschte Getue nur Show war. Jedenfalls sah sie eher begeistert als erstaunt aus. „Ich hab heute Morgen deinen Namen gehört, aber ich hätte nie im Leben gedacht, dass wirklich du es bist."
„Da kannst du mal sehen. Und du? Gehst du etwa jetzt hier auf die Eastlake High?"
„Ja, tue ich. Neue Pflegefamilie. Ich bin letzte Woche bei denen eingetrudelt." Sie lächelte, und ihre dunklen Augen leuchteten. „Wow, ist ja echt Wahnsinn."
„Kann man wohl sagen." Em stand auf und zog mich am Ellbogen zu sich hoch. „Die Frage ist nur, mit welcher Art von Wahnsinn wir es hier zu tun haben", tuschelte sie mir ins Ohr.
Schließlich drehte Nash sich wieder zu uns um, den Arm noch immer locker, und offenbar unbewusst, um Sabines Hüfte geschlungen. „Sabine hat in Forth Worth dieselbe Schule besucht wie ich, bevor ich hierher gezogen bin."
„Du meinst, bevor du abgehauen bist und mich sitzen gelassen hast!" Sie befreite sich aus seiner Umarmung und verpasste ihm mit der Faust einen leichten Stoß in die Schulter.
„Du bist zuerst von der Bildfläche verschwunden, wenn ich dich daran erinnern darf." Nash grinste.
„Aber nicht, weil ich es so wollte!" Ihr finsterer Gesichtsausdruck war mindestens so beängstigend, wie ihr Lächeln umwerfend war.
Wovon zur Hölle redeten sie da?
Ich hatte schon den Mund geöffnet, um ... irgendetwas zu sagen, da begann links von mir die Luft zu flirren und wie aus dem Nichts tauchte eine Gestalt auf. Todd. Ich war angesichts der Ankunft von Nashs alter Freundin - bitte, bitte, lass sie nur eine Freundin sein - noch so perplex, dass mich das plötzliche Erscheinen seines toten Reaper-Bruders nicht einmal wie sonst erschrocken zusammenzucken ließ.
„Hey, Kaylee, du ...", platzte er hektisch heraus, fuhr sich mit der Hand durch die blassblonden Locken, verstummte allerdings beim Anblick der Neuen, die sich nach wie vor angeregt mit Nash unterhielt, während wir anderen dumm danebenstanden wie bestellt und nicht abgeholt. „Oh! Zu spät."
„Zu spät für was?", fragte Emma. Die zwei Quasselstrippen hingegen zeigten auch jetzt noch keine Reaktion, was bedeutete, dass nur ich und Em Todd im Augenblick sehen konnten. Selektive Manifestation gehörte zu den diversen coolen Reaper- Fähigkeiten, über die Todd verfügte, und seit Emma darüber Bescheid wusste, zeigte er sich für gewöhnlich uns beiden und nicht bloß mir allein. Was mir mehr als gelegen kam. Eine Person weniger, die dachte, ich hätte einen an der Waffel und würde Selbstgespräche führen, während ich in Wirklichkeit mit Todd sprach.
„Um euch zu warnen", sagte er verschwörerisch. „Vor Sabine."
„Ist ihr ‚Achtung, bissig‘-Schild abgefallen?", scherzte Em.
Missmutig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „In ihre Klamotten kann's jedenfalls nicht gerutscht sein, sonst würde es sich darunter deutlich abzeichnen." Sabines schwarzes, ärmelloses Top saß so knalleng, dass man quasi ihre Bauchmuskeln zählen konnte.
Em sah mich tadelnd mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Nein, was sind wir heute gehässig."
„Na, guck sie dir doch an", entgegnete ich, gleichzeitig erleichtert und richtig, richtig sauer darüber, dass weder Nash noch Sabine uns auch nur die geringste Beachtung schenkten. Zwischen ihrer supertief geschnittenen, olivgrünen Cargohose und dem Saum ihres Shirts - ein Outfit, das ganz klar die Kleiderordnung der Schule verletzte - blitzte ein Streifen nackter Haut hervor, und mit ihrem großzügig aufgelegten dunklen Lidschatten hatte sie bestimmt schon mehr als ein kleines Kind zu Tode erschreckt. Aber - was besonders niederschmetternd daran war - dieser verwegene Look schmeichelte ihr. Und Nash sah das offensichtlich genauso. Er konnte kaum die Augen von ihr lassen.
„Du hast doch nicht wirklich ein Problem mit ihr", stellte Emma fest, „sondern mit ihr und ihm."
Ich ignorierte ihre Bemerkung und wandte mich an Todd. „Sie hatte in Fort Worth was mit Nash am Laufen, richtig?"
Todd nickte. „Exactamente. Wobei ich ‚was am Laufen haben‘ eine mega Untertreibung nennen würde."
Fantastisch.
„Hey, willst du die Zuschauer auf den billigen Plätzen nicht langsam mal vorstellen?", rief Emma Nash zu, wobei sie sich mit keiner Geste Todds Gegenwart anmerken ließ. Sie lernte schnell.
Nash schaute irritiert auf. „Oh, Entschuldigung." Er führte Sabine zu uns, indem er sie sanft vor sich herschob. „Emma kennst du ja schon, oder?", fragte er, und das neue Mädchen - seine alte Flamme - nickte. „Und das ist meine ..." Verunsicherung flackerte in seinen aufgewühlten Augen auf, und er nahm schnell die Hand von Sabines Hüfte. „Das ist Kaylee Cavanaugh."
Zum ersten Mal schaute sie mich direkt an, und ihr stechender Blick ließ mir den Atem stocken. Mein eigenes Spiegelbild starrte mich aus zwei blauschwarzen Seen an, deren Oberfläche sich zu bewegen schien wie Tinte in einem Glas. Die zu winzigen Punkten zusammengezogenen Pupillen schienen eiskalt durch mich hindurchzublicken, und in diesem Moment schnürte mir die schreckliche Gewissheit, dass Nash - jetzt, wo sie da war - nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, die Kehle zu.
„Kaylee ..." Sabine ließ sich meinen Namen regelrecht auf der Zunge zergehen, als wollte sie mich erst probieren, ehe sie entschied, mich entweder im Ganzen zu verschlingen oder in hohem Bogen wieder auszuspucken. Welches Schicksal sie mir schließlich zugedacht hatte, verriet sie jedoch nicht, sondern sprach ungerührt weiter. „Kaylee Cavanaugh. Du musst die neue Ex sein."
Nur mit Mühe widerstand ich dem instinktiven Drang, einen Schritt zurückzuweichen, und warf Nash stattdessen einen fragenden Blick zu, den er mit einem Achselzucken beantwortete. Er hatte ihr nichts über uns erzählt. Bis gerade eben wusste er ja nicht mal von ihrer Anwesenheit.
„Ich ..." Und das war auch alles, was ich herausbrachte. Irgendwie wollte es mir nicht gelingen, den Gedanken zu Ende zu denken.
Sabine lachte daraufhin, und unter dem dicken, eigentlich warmen Stoff meiner Jacke überzog eine frostig prickelnde Gänsehaut meine Unterarme. „Mach dir keinen Kopf deswegen. Passiert den Besten von uns." Dann drehte sie sich resolut um - was mir wohl zu verstehen geben sollte, dass meine Audienz bei ihr beendet war - und schnappte sich mit einer Hand ihr Tablett, mit der anderen Nashs Arm. „Komm, lass uns was essen. Ich bin am Verhungern."
Nash sah mich an, und im grünbraunen Strudel seiner Augen kam kurz so etwas wie Unschlüssigkeit zum Vorschein, doch dann ging er bereitwillig mit, und die beiden setzten sich an unseren Tisch. Ich schaute zu Todd hinüber, der das Geschehen voller Argwohn beobachtete.
„Wie lange ist es her, dass sie sich getrennt haben?", wollte ich wissen, ohne mir die Mühe zu machen, leise zu sprechen. Für Nash und Sabine existierten wir sowieso nicht mehr.
„Na ja ..." Todd zögerte, was mich skeptisch die Stirn runzeln ließ. Genau wie Emma brillierte er für gewöhnlich durch eine gnadenlose, mitunter an Taktlosigkeit grenzende Offenheit.
„Was?", beharrte ich.
Er seufzte tief. „Also, technisch gesehen hat es nie eine Trennung gegeben."
Copyright © 2011 by Rachel Vincent
Ich meine, es würde sich bestimmt gut anfühlen, aber genau das wäre fatal. Die vergangenen zwei Wochen waren die schwersten meines Lebens gewesen. Und das, obwohl ich in den letzten Monaten viele schreckliche Dinge erlebt und überlebt hatte, von deren Existenz die meisten anderen 16-Jährigen nicht einmal etwas ahnten. Doch läppische vierzehn Tage ohne Nash - nämlich die kompletten Winterferien - reichten aus, mich bis an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Wer auch immer sich diesen bescheuerten Spruch ausgedacht hat von wegen „Einmal geliebt und diese Liebe verloren zu haben ist besser, als niemals zu lieben", muss geistesgestört sein. Hätte ich mich gar nicht erst in Nash verliebt, würde mir jetzt nicht so schmerzlich fehlen, was ich so nie kennengelernt hätte.
„Kaylee?" Nash legte seine Gabel mitsamt der Erbse zurück aufs Tablett. „Schon gut. Ich verstehe. Du willst nicht mit mir reden."
Schnell schüttelte ich den Kopf, stellte mein Tablett auf die gegenüberliegende Seite des Tisches und setzte mich zu ihm. „Nein, es ist nur ... ich hatte dich hier nicht erwartet." In der Zwischenzeit hatte ich ihn nicht ein einziges Mal besucht, denn es wäre uns beiden gegenüber unfair gewesen. Wenn man nicht richtig zusammen sein kann, sollte man es besser ganz lassen. Alles andere machte es nur noch schlimmer. Allerdings wusste ich auch ohne ihn gesehen zu haben, dass der Entzug ihn ganz schön mitgenommen hatte, weil mein Vater - ausgerechnet er - sich regelmäßig erkundigt hatte, wie es Nash ging.
Und obwohl er seine Antworten auf meine Nachfragen so knapp wie möglich hielt, konnte ich mir aus dem wenigen, was er erzählte, leicht zusammenreimen, wie grausam ein Entzug von Dämonenatem - den Unwissenden bekannt als Frost oder auch Demon's-H - sein musste.
„Geht es dir ... gut?", erkundigte ich mich, während ich mit meiner Gabel in die viel zu flüssige Spaghettisoße auf dem Tellerrand kleine Kreise malte.
„Besser." Er zuckte mit den Schultern. „An ‚‚gut‘ arbeite ich noch."
„Aber um zur Schule zu kommen, reicht es schon wieder?"
Ein weiteres Achselzucken. „Mom hat mir eine Weile etwas verabreicht, um die Symptome zu lindern. Irgendein komisches Unterwelt-Kraut, frag mich nicht. Doch das Zeug hat mich fast nonstop schlafen lassen. Traumlos", fügte er hinzu, als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte. Die Hellions, deren Atem er inhaliert hatte, waren hin und wieder durch seine Träume mit ihm in Kontakt getreten. Meistens jedoch hatten sie mich dazu benutzt, indem sie von meinem Körper Besitz ergriffen, während ich geschlafen hatte. Ohne Frage hätte ich Nash dabei geholfen, seine Sucht zu besiegen, schließlich war er wegen mir überhaupt erst mit Demon's-H in Berührung gekommen. Nachdem ich allerdings erfahren hatte, dass er diese regelmäßige Fremdsteuerung meines Körpers einfach zugelassen und mir nicht mal gesagt hatte, was da mit mir geschah, war das Maß endgültig voll gewesen. Solange ich mir nicht absolut sicher sein konnte, dass so etwas niemals wieder passierte, konnte ich unserer Beziehung keine zweite Chance geben.
Zumindest wenn es nach meinem Verstand ging. Was der für das Beste hielt und was mein Herz wollte, waren jedoch zwei völlig verschiedene Dinge.
„Ich hab immer noch nicht besonders viel Appetit, aber was ich esse, bleibt jetzt immerhin drin." Nash betrachtete sein volles Tablett. Mir fiel auf, dass er abgenommen hatte. Seine Züge waren ... kantiger geworden. Die Haut unter seinen Augen sah dunkel und verquollen aus, und er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, kunstvoll seine Haare zu zerstrubbeln wie sonst. Während der alte Nash nur so vor Lebenslust und Ausstrahlung gestrotzt hatte, wirkte die neue Version von ihm geradezu glanzlos und lethargisch. Ich erkannte ihn kaum wieder und befürchtete, mit seinem Gefühlsleben ebenso wenig vertraut zu sein. Jedenfalls nicht so, wie ich es mit dem von meinem Nash gewesen war.
„Vielleicht hättest du noch ein paar Tage zu Hause bleiben sollen", stellte ich leise fest, langsam eine Portion Spaghetti mit der Gabel aufrollend.
„Ich wollte dich sehen."
Mein gebrochenes Herz schien noch einmal in tausend Stücke zu zerspringen. Ich schaute auf, und in Nashs Blick spiegelten sich Bedauern und Sehnsucht, das plötzlich mit grünen Schleiern durchsetzte Braun seiner Augen flirrte, als würde ein winziger Tornado die Farben umeinander herum wirbeln lassen. Menschen konnten dieses Phänomen nicht wahrnehmen. Aber Nash und ich - da wir beide Bean Sidhes waren, oder auch Banshees - konnten es, und mit ein wenig Übung hatte ich auch gelernt, bei ihm die jeweiligen darin verborgenen Gefühlsregungen zu erkennen und zu unterscheiden. Sozusagen seine Emotionen durch das Fenster zu seiner Seele zu lesen. Sofern er mich daran teilhaben ließ.
„Nash ..."
„Ohne Hintergedanken, okay?", fiel er mir ins Wort, ehe ich dazu kam, mit der zurückweisenden Ansprache loszulegen, die ich vorsorglich einstudiert und von der ich gleichzeitig gehofft hatte, sie niemals wirklich zu brauchen. „Ich wollte einfach dein Gesicht sehen. Deine Stimme hören."
Übersetzung: Du hast mich nicht ein einziges Mal besucht. Oder wenigstens angerufen.
Ich schloss die Augen und kämpfte mit dieser beklemmenden Unsicherheit, die ich plötzlich in seiner Gegenwart empfand. „Ich hätte gern ..." Lieber als alles andere. „Aber ich kann einfach nicht ..."
„Nur gucken, aber nicht anfassen?", beendete er den Satz für mich, und unsere traurigen Blicke trafen sich. „Glaub mir, ich weiß genau, was du meinst." Er seufzte und rührte in seiner lieblos in eine Dessertschale geklatschten Pfirsichcreme. „Und was jetzt? Sind wir Freunde?"
Klar. Wenn die neue Definition von Freundschaft lautete, dass man den anderen lieben, doch nicht mit ihm zusammen sein konnte. Ihm zwar nicht über den Weg traute, doch ohne zu zögern für ihn sterben würde.
„Ich glaube, es gibt keine Bezeichnung für das, was wir sind, Nash." Wobei mir zumindest eine einfiel, die es ziemlich genau traf: schrottreif.
Nash und ich waren wie zwei Autos nach einem Frontalzusammenstoß. So hoffnungslos ineinander verkeilt, dass ich nicht einmal mehr sagen konnte, welche Teile zu ihm gehörten und welche zu mir. Vermutlich war es unmöglich, uns jemals wieder voneinander zu trennen - nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten -, aber ich hatte ernsthaft Angst, es würde trotzdem zwischen uns nie mehr so werden wie früher.
„Weißt du, ich ... ich brauche ein bisschen Zeit."
Verständnisvoll nickte er, und in seinen Augen leuchtete der erste Hoffnungsschimmer seit einer gefühlten Ewigkeit auf. „Natürlich. Und die haben wir doch auch."
Tatsächlich hatten wir die, und zwar jede Menge davon. Jenseits der Pubertät verlangsamte sich der Alterungsprozess eines Banshee drastisch, was einerseits bedeutete, ich müsste wohl noch mit vierzig überall meinen Ausweis vorzeigen. Andererseits hieß das allerdings auch, dass Nash und ich im Idealfall schätzungsweise vierhundert gemeinsamen Jahren entgegenblickten. Vorausgesetzt, wir schafften es, unsere Probleme zu lösen - und es kam uns dann keine unvorhergesehene Katastrophe dazwischen. Obwohl gerade das mehr als wahrscheinlich war, wenn es so weiterlief wie bisher. Seit Beginn des Schuljahres bis heute war aus meinem Leben eine einzige, endlose Verkettung von Katastrophen geworden, das nur durch das rettende Netz zusammengehalten wurde, das Nashs Nähe für mich bedeutete. Wenigstens bis vor Kurzem. Jetzt klammerte ich mich an den Trümmerhaufen meiner Existenz, versuchte allein, die Bruchstücke festzuhalten, und fragte mich, ob es uns beiden helfen oder endgültig den Rest geben würde, wenn ich mich dazu durchrang, Nash wieder an mich heranzulassen.
„Wie geht es Em eigentlich?", erkundigte Nash sich mit gesenkter Stimme, während er über meine Schulter hinwegblickte, als hätte er etwas oder jemanden entdeckt.
Ich drehte mich um und sah Emma Marshall, meine beste Freundin, den nahezu verlassenen Schulhof betreten und auf uns zukommen. Jeder Mensch mit auch nur einer Gehirnzelle - und ohne triftigen Grund, sich regelrecht zu verstecken - aß drinnen, wo es warm und trocken war. Em trug ein Tablett mit einem Stück Pizza und einer Cola light vor sich her, in der Absicht, mit Nash und mir hier draußen zu essen. Nicht, weil sie der Gruppe an Schülern ausweichen wollte, die ihr Urteil ohnehin schon gefällt hatte, sondern weil es ihr egal war, was man über sie dachte.
„Em ist stark. Sie lässt sich nicht so leicht unterkriegen." Und das sagte ich nicht bloß so dahin. Insgeheim betrachtete ich Emma als meine Heldin, und das in vielerlei Hinsicht, doch ganz besonders wegen ihrer Unabhängigkeit von der Meinung anderer.
Doug Fuller, mit dem Em beinahe einen Monat lang zusammen gewesen war, hatte vor zwei Wochen eine Überdosis Frost abbekommen und es nicht überlebt. Obwohl die Beziehung der beiden eher körperlicher Natur gewesen war, ließ sein Tod sie verständlicherweise nicht kalt. Und dass sie den Ort der eigentlichen Herkunft der Droge, nämlich die Unterwelt, nicht kannte, machte es nicht gerade leichter für sie.
Während sie immer näher kam, flüsterte Nash, noch leiser als vorher: „Warst du auf seiner Beerdigung?"
„Ja." Doug war als Linebacker der Eastlake-Footballmannschaft bekannt wie ein bunter Hund, und zu seiner Beisetzung hatte sich praktisch die komplette Schule eingefunden. Abgesehen von Nash, der aufgrund seines Entzugs an diesem Tag gezwungen war, im Bett zu bleiben, und Scott, dem Dritten im Bunde, der seiner Abhängigkeit knapp mit dem Leben entkommen war, jedoch nicht, ohne einen hohen Preis dafür zu bezahlen. Er hatte eine irreparable Schädigung des Gehirns erlitten, die ihm eine ständige und durch nichts zu unterbrechende mentale Kopplung an den Hellion bescherte, dessen Atem Doug umgebracht und meine Beziehung zu Nash an die Wand gefahren hatte.
„Hey." Emma blieb stehen und ließ ihren Blick von mir zu Nash und wieder zurück zu mir wandern, bevor sie sich neben mich setzte. „Na, wie ist der aktuelle Stand? Versöhnung nach der Entwöhnung? Weil, mal ganz ehrlich, euch bei diesem Drahtseilakt zuzugucken, davon wird mir langsam schwindelig."
Sie grinste uns an, und ich hätte dem Universum um den Hals fallen können dafür, dass ich eine Freundin wie Emma hatte.
„Wie gut kannst du balancieren?", fragte ich und biss in eine der Pommes von seinem Teller.
„Besser, als du denkst", antwortete Nash unsicher lächelnd.
Genervt rollte Em mit den Augen. „Also geht's munter weiter?"
Nash schien genauso gespannt auf meine Antwort wie sie. Langsam atmete ich aus. „Scheint so."
Er reagierte mit einem Seufzen, und Emma runzelte die Stirn, als fände sie, ich würde es jetzt doch ein bisschen übertreiben. Aber sie wusste nichts über die Hintergründe unserer Trennung. Ich konnte ihr ja schlecht erzählen, dass Nash einem Hellion erlaubt hatte, sich meinen Körper auszuborgen, um mit ihm Doktor zu spielen - auch wenn ihm beim ersten Mal nicht bewusst war, was da passierte -, und er es nicht mal für nötig hielt, mir mitzuteilen, dass ein Wesen aus der Unterwelt in mich hineinschlüpfte wie in ein menschliches Kostüm. Allerdings war diese total verrückte Geschichte nicht der einzige Grund, warum ich Emma nichts davon sagen konnte. Sondern, vor allem deshalb nicht, weil der Hellion, der ihren Freund auf dem Gewissen hatte, auch in ihrem Körper gewohnt hatte. Natürlich ohne ihr Wissen - und zu ihrer eigenen Sicherheit wäre es wohl besser, wenn das auch so blieb. Ihre Freundschaft mit mir hatte sie schon mehr als genug in Gefahr gebracht.
„Auch gut. Zieh das Drama nur in die Länge. Gib der Meute noch ein Thema zum Tratschen."
Ein anderes Thema als Doug und Scott.
Wären seit Dougs Tod nicht zwei Wochen ins Land gegangen, in denen sich die Gemüter etwas beruhigen konnten, hätte die Schule wahrscheinlich von lauter Teenagern am Rande des Nervenzusammenbruchs gewimmelt. Nein, danke. Die verstohlenen Blicke und das Getuschel, wenn man den Flur entlangging, genügten mir völlig.
„Und? Hast du die Neue schon gesehen?", fragte Emma in einem zwar durchschaubaren, doch nett gemeinten Versuch, das Gespräch auf ein weniger bedrückendes Thema zu lenken. Sie brach ein Stück Kruste von ihrer Pizzaecke ab und steckte es sich in den Mund.
„Welche Neue?" Als ob mich das interessierte. Andererseits gab mir der neue Gesprächsstoff die Gelegenheit, mich von meinen trüben Gedanken abzulenken - oder es würde wenigstens den Anschein haben, dass sie nicht ausschließlich um Nash und mich kreisen würden beziehungsweise um die Erkenntnis, dass momentan gar kein „Nash und ich" mehr existierte.
„Hab vergessen, wie sie heißt." Emma rupfte ein zweites Stück Pizzakruste ab und tunkte es in einen Plastikbecher mit French Dressing. „Aber sie ist in der Abschlussklasse. Kannst du dir das vorstellen? Kurz vorm Abschluss mal eben noch die Schule zu wechseln?"
„Ja, das klingt ätzend", antwortete ich, den Blick auf mein Tablett gerichtet. Ich tat so, als bemerkte ich nicht, wie Nash mich schweigend aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Würde es von jetzt an immer so sein? Wir hocken uns distanziert gegenüber und starren den anderen heimlich an, wenn der gerade woanders hinschaut? Entweder überhaupt nicht miteinander redend oder bestenfalls über irgendeinen unverfänglichen Kram, der garantiert kein Streitpotenzial hat? Vielleicht hätte ich lieber in der Cafeteria bleiben sollen. Das hier wird nicht funktionieren ...
„Sie ist in meinem Englischkurs. Wirkte ziemlich verloren, das arme Ding. Deshalb hab ich ihr angeboten, dass sie sich zu uns setzen kann, wenn sie will", nuschelte Emma, während sie noch kaute. Ich sah überrascht zu ihr hoch.
Zuallererst mal - Emma und andere Mädchen, das passte nicht zusammen. Abgesehen von mir hatte sie keine Freundinnen, denn die meisten unserer Geschlechtsgenossinnen konnten sie aus demselben Grund nicht leiden, aus dem die Jungs ihr scharenweise nachliefen. Seit der siebten Klasse waren es stets nur wir zwei gewesen. Und zwar genau seit dem ersten Schultag nach den Sommerferien, an dem sich die restlichen Schülerinnen beim Anblick von Emmas sinnlichen Lippen und den plötzlich nur noch knapp in ein C-Körbchen passenden Brüsten neidvoll von ihr abgewendet hatten.
Zweitens ...
„Was sucht denn eine aus der Abschlussklasse in deinem Englischkurs?", wollte Nash wissen, bevor ich es fragen konnte.
Emma zuckte die Achseln, schluckte den Bissen herunter und dippte das nächste Stück Pizza in das Dressing. „Sie muss wohl irgendwie hinterherhängen, und deshalb lässt man sie zwei Kurse gleichzeitig machen. So braucht sie nur das aufzuholen, was sie verpasst hat. Ist auf jeden Fall besser, als eine Ehrenrunde zu drehen, bloß weil einem der Stoff aus einem Kurs fehlt, oder?"
„Kann sein." Nash spießte eine neue Erbse neben die erste auf seiner Gabel, obwohl er vermutlich nicht vorhatte, sie auch tatsächlich zu essen. „Aber parallel Macbeth und Wer die Nachtigall stört lesen zu müssen, stelle ich mir auch nicht wirklich entspannend vor."
„Tja, was soll man dazu sagen. Solange mich dieses Schicksal nicht ereilt ..." Em biss herzhaft ab, dann drehte sie sich plötzlich um. Hinter uns knirschten Schritte auf dem gefrorenen Rasen. „Wenn man vom Teufel spricht. Da ist sie ja", meinte sie und winkte die Neue zu uns heran.
Neugierig reckte ich den Hals in die Richtung, aus der die Schritte kamen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, da ich Nashs Blick bemerkte. Ihm fielen förmlich die Augen aus dem Kopf. Nur galt dieser Blick nicht mir, sondern der neuen Schülerin. „Sabine?", sagte er erstaunt, kaum lauter als ein Flüstern.
Em schlug sich mit der Hand aufs Knie. „Genau! Ich wusste doch, es war was mit S." Sie winkte abermals. „Hey, Sabine, hier sind wir!" Dann wandte sie sich wieder Nash zu. „Warte mal, du kennst sie?"
Anstatt zu antworten, sprang er auf und stolperte dabei fast über die Bank. Nachdem ich verdutzt zugesehen hatte, wie es ihm nur knapp gelang, den Tisch zu umrunden, ohne sein Tablett herunterzustoßen, drehte ich mich schließlich zu dem Auslöser seiner Kopflosigkeit um. Und begriff sofort, warum dieses Mädchen absolut keinen Grund hatte, sich von Emma bedroht zu fühlen.
Sabine verkörperte einen völlig anderen Typ makelloser Schönheit.
Vornehm blasse Haut bildete einen interessanten Kontrast zu glänzendem dunklen Haar, wohingegen Ems durch goldenes, warmes Schimmern punktete. Im Gegensatz zu Emmas weiblichen Rundungen war sie schmal und zart gebaut. Em bewegte sich langsam und geschmeidig, sie stolzierte dagegen regelrecht. Und jetzt gerade blieb sie abrupt stehen, ihr Tablett in den Händen, als hätte sie total vergessen, dass es überhaupt da war, und starrte nicht etwa mich oder ihre neue Freundin Emma an, sondern meinen Freund.
Meinen Irgendwie-noch-Freund. Oder was auch immer.
„Sabine?" Dieses Mal flüsterte Nash wirklich, und dieser vertraute sanfte Unterton in seiner Stimme ließ die Alarmglocken bei mir schrillen.
„Nash Hudson. Ich glaub's ja nicht, du bist es!" Die Neue warf ihr langes dunkles Haar nach hinten, wodurch ihr rechtes Ohr entblößt wurde, an dem zwei nicht zueinander passende, glitzernde Ohrringe baumelten.
Nash ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen, während Sabine ihr Tablett auf dem nächstbesten Tisch abstellte und meinem ... was auch immer ... entgegenlief. Er breitete die Arme aus, und sie warf sich so schwungvoll hinein, dass er die Wucht des Aufpralls mit einer halben Drehung abfangen musste, um nicht umzufallen. Mit ihr zusammen.
In meiner Brust loderte und brannte es, als hätte ich mir ein ganzes Glas Salsa auf Ex reingeschüttet.
„Was machst du denn hier?", fragte Nash und setzte Sabine wieder auf dem Boden ab, während sie im selben Augenblick noch einmal hervorstieß: „Ich glaub's einfach nicht."
Ich auch nicht. Vielmehr war ich mir ziemlich sicher, dass dieses überraschte Getue nur Show war. Jedenfalls sah sie eher begeistert als erstaunt aus. „Ich hab heute Morgen deinen Namen gehört, aber ich hätte nie im Leben gedacht, dass wirklich du es bist."
„Da kannst du mal sehen. Und du? Gehst du etwa jetzt hier auf die Eastlake High?"
„Ja, tue ich. Neue Pflegefamilie. Ich bin letzte Woche bei denen eingetrudelt." Sie lächelte, und ihre dunklen Augen leuchteten. „Wow, ist ja echt Wahnsinn."
„Kann man wohl sagen." Em stand auf und zog mich am Ellbogen zu sich hoch. „Die Frage ist nur, mit welcher Art von Wahnsinn wir es hier zu tun haben", tuschelte sie mir ins Ohr.
Schließlich drehte Nash sich wieder zu uns um, den Arm noch immer locker, und offenbar unbewusst, um Sabines Hüfte geschlungen. „Sabine hat in Forth Worth dieselbe Schule besucht wie ich, bevor ich hierher gezogen bin."
„Du meinst, bevor du abgehauen bist und mich sitzen gelassen hast!" Sie befreite sich aus seiner Umarmung und verpasste ihm mit der Faust einen leichten Stoß in die Schulter.
„Du bist zuerst von der Bildfläche verschwunden, wenn ich dich daran erinnern darf." Nash grinste.
„Aber nicht, weil ich es so wollte!" Ihr finsterer Gesichtsausdruck war mindestens so beängstigend, wie ihr Lächeln umwerfend war.
Wovon zur Hölle redeten sie da?
Ich hatte schon den Mund geöffnet, um ... irgendetwas zu sagen, da begann links von mir die Luft zu flirren und wie aus dem Nichts tauchte eine Gestalt auf. Todd. Ich war angesichts der Ankunft von Nashs alter Freundin - bitte, bitte, lass sie nur eine Freundin sein - noch so perplex, dass mich das plötzliche Erscheinen seines toten Reaper-Bruders nicht einmal wie sonst erschrocken zusammenzucken ließ.
„Hey, Kaylee, du ...", platzte er hektisch heraus, fuhr sich mit der Hand durch die blassblonden Locken, verstummte allerdings beim Anblick der Neuen, die sich nach wie vor angeregt mit Nash unterhielt, während wir anderen dumm danebenstanden wie bestellt und nicht abgeholt. „Oh! Zu spät."
„Zu spät für was?", fragte Emma. Die zwei Quasselstrippen hingegen zeigten auch jetzt noch keine Reaktion, was bedeutete, dass nur ich und Em Todd im Augenblick sehen konnten. Selektive Manifestation gehörte zu den diversen coolen Reaper- Fähigkeiten, über die Todd verfügte, und seit Emma darüber Bescheid wusste, zeigte er sich für gewöhnlich uns beiden und nicht bloß mir allein. Was mir mehr als gelegen kam. Eine Person weniger, die dachte, ich hätte einen an der Waffel und würde Selbstgespräche führen, während ich in Wirklichkeit mit Todd sprach.
„Um euch zu warnen", sagte er verschwörerisch. „Vor Sabine."
„Ist ihr ‚Achtung, bissig‘-Schild abgefallen?", scherzte Em.
Missmutig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „In ihre Klamotten kann's jedenfalls nicht gerutscht sein, sonst würde es sich darunter deutlich abzeichnen." Sabines schwarzes, ärmelloses Top saß so knalleng, dass man quasi ihre Bauchmuskeln zählen konnte.
Em sah mich tadelnd mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Nein, was sind wir heute gehässig."
„Na, guck sie dir doch an", entgegnete ich, gleichzeitig erleichtert und richtig, richtig sauer darüber, dass weder Nash noch Sabine uns auch nur die geringste Beachtung schenkten. Zwischen ihrer supertief geschnittenen, olivgrünen Cargohose und dem Saum ihres Shirts - ein Outfit, das ganz klar die Kleiderordnung der Schule verletzte - blitzte ein Streifen nackter Haut hervor, und mit ihrem großzügig aufgelegten dunklen Lidschatten hatte sie bestimmt schon mehr als ein kleines Kind zu Tode erschreckt. Aber - was besonders niederschmetternd daran war - dieser verwegene Look schmeichelte ihr. Und Nash sah das offensichtlich genauso. Er konnte kaum die Augen von ihr lassen.
„Du hast doch nicht wirklich ein Problem mit ihr", stellte Emma fest, „sondern mit ihr und ihm."
Ich ignorierte ihre Bemerkung und wandte mich an Todd. „Sie hatte in Fort Worth was mit Nash am Laufen, richtig?"
Todd nickte. „Exactamente. Wobei ich ‚was am Laufen haben‘ eine mega Untertreibung nennen würde."
Fantastisch.
„Hey, willst du die Zuschauer auf den billigen Plätzen nicht langsam mal vorstellen?", rief Emma Nash zu, wobei sie sich mit keiner Geste Todds Gegenwart anmerken ließ. Sie lernte schnell.
Nash schaute irritiert auf. „Oh, Entschuldigung." Er führte Sabine zu uns, indem er sie sanft vor sich herschob. „Emma kennst du ja schon, oder?", fragte er, und das neue Mädchen - seine alte Flamme - nickte. „Und das ist meine ..." Verunsicherung flackerte in seinen aufgewühlten Augen auf, und er nahm schnell die Hand von Sabines Hüfte. „Das ist Kaylee Cavanaugh."
Zum ersten Mal schaute sie mich direkt an, und ihr stechender Blick ließ mir den Atem stocken. Mein eigenes Spiegelbild starrte mich aus zwei blauschwarzen Seen an, deren Oberfläche sich zu bewegen schien wie Tinte in einem Glas. Die zu winzigen Punkten zusammengezogenen Pupillen schienen eiskalt durch mich hindurchzublicken, und in diesem Moment schnürte mir die schreckliche Gewissheit, dass Nash - jetzt, wo sie da war - nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, die Kehle zu.
„Kaylee ..." Sabine ließ sich meinen Namen regelrecht auf der Zunge zergehen, als wollte sie mich erst probieren, ehe sie entschied, mich entweder im Ganzen zu verschlingen oder in hohem Bogen wieder auszuspucken. Welches Schicksal sie mir schließlich zugedacht hatte, verriet sie jedoch nicht, sondern sprach ungerührt weiter. „Kaylee Cavanaugh. Du musst die neue Ex sein."
Nur mit Mühe widerstand ich dem instinktiven Drang, einen Schritt zurückzuweichen, und warf Nash stattdessen einen fragenden Blick zu, den er mit einem Achselzucken beantwortete. Er hatte ihr nichts über uns erzählt. Bis gerade eben wusste er ja nicht mal von ihrer Anwesenheit.
„Ich ..." Und das war auch alles, was ich herausbrachte. Irgendwie wollte es mir nicht gelingen, den Gedanken zu Ende zu denken.
Sabine lachte daraufhin, und unter dem dicken, eigentlich warmen Stoff meiner Jacke überzog eine frostig prickelnde Gänsehaut meine Unterarme. „Mach dir keinen Kopf deswegen. Passiert den Besten von uns." Dann drehte sie sich resolut um - was mir wohl zu verstehen geben sollte, dass meine Audienz bei ihr beendet war - und schnappte sich mit einer Hand ihr Tablett, mit der anderen Nashs Arm. „Komm, lass uns was essen. Ich bin am Verhungern."
Nash sah mich an, und im grünbraunen Strudel seiner Augen kam kurz so etwas wie Unschlüssigkeit zum Vorschein, doch dann ging er bereitwillig mit, und die beiden setzten sich an unseren Tisch. Ich schaute zu Todd hinüber, der das Geschehen voller Argwohn beobachtete.
„Wie lange ist es her, dass sie sich getrennt haben?", wollte ich wissen, ohne mir die Mühe zu machen, leise zu sprechen. Für Nash und Sabine existierten wir sowieso nicht mehr.
„Na ja ..." Todd zögerte, was mich skeptisch die Stirn runzeln ließ. Genau wie Emma brillierte er für gewöhnlich durch eine gnadenlose, mitunter an Taktlosigkeit grenzende Offenheit.
„Was?", beharrte ich.
Er seufzte tief. „Also, technisch gesehen hat es nie eine Trennung gegeben."
Copyright © 2011 by Rachel Vincent
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Autoren-Porträt von Rachel Vincent
New York Times-Bestsellerautorin Rachel Vincent lebt in San Antonio, Texas. Als Älteste von vier Geschwistern ist sie selten um Worte verlegen - was sicher auch dazu geführt hat, dass sie Schriftstellerin geworden ist. Vincent teilt sich ein Büro mit zwei schwarzen Katzen und ihrem Fan der ersten Stunde. Wenn sie nicht gerade schreibt oder vor Tornados flüchtet, liest sie oder geht ins Kino.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rachel Vincent
- 2013, 400 Seiten, Maße: 14,2 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michaela Grünberg
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862787133
- ISBN-13: 9783862787135
- Erscheinungsdatum: 13.03.2013
Rezension zu „Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4 “
"Ein absolutes Muss für jede Buch-Wunschliste" (Tez Say)
Kommentar zu "Schütze meine Seele / Soul Screamers Bd.4"
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