Seltsame Vögel fliegen vorbei
An Weihnachten klettert das kleine Mädchen früh am Morgen auf den Altar der Dorfkirche und hebt das festlich gekleidete Jesuskind aus Marias Armen. Es ist viel schwerer als gedacht und sieht matt und blass aus den blauen Holzaugen. Sie legt es zurück. Keto...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Seltsame Vögel fliegen vorbei “
An Weihnachten klettert das kleine Mädchen früh am Morgen auf den Altar der Dorfkirche und hebt das festlich gekleidete Jesuskind aus Marias Armen. Es ist viel schwerer als gedacht und sieht matt und blass aus den blauen Holzaugen. Sie legt es zurück. Keto von Waberer erzählt von der Kindheit, ihrer Kindheit, lebendig, dicht und virtuos. Auf engem Raum entsteht ein ganzer Kosmos - voll von Geheimnissen und seltsamen Vögeln. Zauber und Entzauberung einer Kinderwelt liegen unmittelbar beisammen, ob nun in der archaischen Idylle auf der Alp oder der ramponierten Stadt im Nachkriegsdeutschland. Es ist die Welt der fünfziger und sechziger Jahre, gesehen durch die Augen eines wachen, lebens- und liebeshungrigen Mädchens, in dessen leidenschaftlichem Herzen Platz ist für den schönen fernen Vater und die kluge melancholische Mutter, aber auch für den nuschelnden Herrn Semmlacher, der die Wühlmäuse im Garten fängt, für Großmutter Rosa Auristella aus Bolivien oder für Ida Leis, die Wäscherin mit den Händen, die zwei gekochten Tieren gleichen. Wenig entgeht diesem Kind, vor allem nichts von dem, was Erwachsene vor ihm verbergen wollen, bis es herausfindet, wie rebellisch es selbst sein kann. In ihrer ganz eigenen Sprache erlaubt uns Keto von Waberer einen Blick in die magische Welt dieser ungewöhnlichen Kindheit, die sie bis heute als Schriftstellerin prägte.
Klappentext zu „Seltsame Vögel fliegen vorbei “
An Weihnachten klettert das kleine Mädchen früh am Morgen auf den Altar der Dorfkirche und hebt das festlich gekleidete Jesuskind aus Marias Armen. Es ist viel schwerer als gedacht und sieht matt und blass aus den blauen Holzaugen. Sie legt es zurück. Keto von Waberer erzählt von der Kindheit, ihrer Kindheit, lebendig, dicht und virtuos. Auf engem Raum entsteht ein ganzer Kosmos- voll von Geheimnissen und seltsamen Vögeln. Zauber und Entzauberung einer Kinderwelt liegen unmittelbar beisammen, ob nun in der archaischen Idylle auf der Alp oder der ramponierten Stadt im Nachkriegsdeutschland. Es ist die Welt der fünfziger undsechziger Jahre, gesehen durch die Augen eines wachen, lebens- und liebeshungrigen Mädchens, in dessen leidenschaftlichem Herzen Platz ist für den schönen fernen Vater und die kluge melancholische Mutter, aber auch für den nuschelnden Herrn Semmlacher, der die Wühlmäuse im Garten fängt, für Großmutter Rosa Auristella aus Bolivien oder für Ida Leis, die Wäscher in mit den Händen ,die zwei gekochten Tieren gleichen. Wenig entgeht diesem Kind, vor allem nichts von dem, was Erwachsene vor ihm verbergen wollen, bis es herausfindet, wie rebellisch es selbst sein kann. In ihrer ganz eigenen Sprache erlaubt uns Keto von Waberer einen Blick in die magische Welt dieser ungewöhnlichen Kindheit, die sie bis heute als Schriftstellerin prägte
An Weihnachten klettert das kleine Mädchen früh am Morgen auf den Altar der Dorfkirche und hebt das festlich gekleidete Jesuskind aus Marias Armen. Es ist viel schwerer als gedacht und sieht matt und blass aus den blauen Holzaugen. Sie legt es zurück. Keto von Waberer erzählt von der Kindheit, ihrer Kindheit, lebendig, dicht und virtuos. Auf engem Raum entsteht ein ganzer Kosmos- voll von Geheimnissen und seltsamen Vögeln. Zauber und Entzauberung einer Kinderwelt liegen unmittelbar beisammen, ob nun in der archaischen Idylle auf der Alp oder der ramponierten Stadt im Nachkriegsdeutschland. Es ist die Welt der fünfziger undsechziger Jahre, gesehen durch die Augen eines wachen, lebens- und liebeshungrigen Mädchens, in dessen leidenschaftlichem Herzen Platz ist für den schönen fernen Vater und die kluge melancholische Mutter, aber auch für den nuschelnden Herrn Semmlacher, der die Wühlmäuse im Garten fängt, für Großmutter Rosa Auristella aus Bolivien oder für Ida Leis, die Wäscher in mit den Händen ,die zwei gekochten Tieren gleichen. Wenig entgeht diesem Kind, vor allem nichts von dem, was Erwachsene vor ihm verbergen wollen, bis es herausfindet, wie rebellisch es selbst sein kann. In ihrer ganz eigenen Sprache erlaubt uns Keto von Waberer einen Blick in die magische Welt dieser ungewöhnlichen Kindheit, die sie bis heute als Schriftstellerin prägte
Lese-Probe zu „Seltsame Vögel fliegen vorbei “
Seltsame Vögel fliegen vorbei von Keto von WabererSELTSAME VÖGEL FLOGEN
Und alles kommt zurück
besonders nachts, als wüßte es etwas
von mir, das ich nicht weiß:
die alte braune Pension
am Eisenbahnviadukt,
das Sägewerk mit seinen dampfgetriebenen Sägerahmen,
die manchmal am hellichten Tag
so sonderbar klagende Laute von sich gaben,
der See mit treibenden und halb versunkenen Stämmen.
Irgendwo hinter dem Horizont
erstreckten sich endlose Sumpfwiesen,
Schilf, das dichter war als jedes andere.
Seltsame Vögel flogen
und hatten für mich noch keine Namen,
aber sie flogen wie künftige Träume
Träume, die vielleicht dreißig Jahre
voraus lagen oder mehr
voraus in dem, was mein unbekanntes
kommendes Leben war,
ja, sie flogen,
schwer und ganz dicht über der Oberfläche.
Aus: Lars Gustafsson, Auszug aus Xanadu,
München 2003, übers. von Verena Reichel
1
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Aus dem Beinhaus neben der Kirche, wo die vielen Totenschädel gestapelt liegen, jeder mit einem fadendünnen roten Kreuz auf der Stirn, wähle ich einen kleinen Schädel aus und nehme ihn mit. Ich lege ihn auf den Grund meiner Kraxe, die ich auf dem Rücken habe, um das halbe Brot nach Hause, hinauf auf den Berg zu tragen. Ich sage mir, dass dieser Schädel sicher gerne mitkommt, weg von diesem großen Haufen. Ich werde ihm einen Blumenkranz machen und ihn an einem schönen Platz aufstellen, wo er ins Tal schauen kann.
Meine Mutter versteht das nicht, sie wird böse. Sie muss wieder hinunter ins Tal mit mir und dem Schädel. Sie spricht kein Wort mit mir. Ich habe etwas sehr Schlimmes getan. Wir klopfen beim Messner, und ich gebe ihm den Schädel und sage, dass es mir leidtut. Meine Mutter steht neben mir und hält mich am Nacken. Er lacht. Er ist ein alter Mann, und ich habe Angst vor ihm, weil er so schwarze Augenringe hat und graue Haare aus seiner Nase wachsen. Alle Schädel gehören ihm. Er bewacht sie. Man darf keinen nehmen. Meine Mutter sagt, ich werde es nicht wieder tun. Und dann steigen wir wieder schweigend den Berg hinauf.
An Weihnachten klettere ich früh am Morgen auf den Altar und hebe das Jesuskind, das ein steifes goldenes
Kleid für die Festtage anhat, aus dem Arm seiner Mutter. Es ist sehr schwer, und ich bin enttäuscht, weil seine blau bemalten Holzaugen mich so matt und blass anschauen. Ich lege es zurück.
Wir halten Rast, auf der Holzbank, vor dem Gehöft des Schonnerbauern. Es ist ein heißer Morgen. Niemand ist zu Hause. Wir sehen den Bauern und seine Knechte herumlaufen, klein wie Ameisen, drunten am Bach. Manchmal blitzen ihre Sensen in der Morgensonne. Meine Mutter winkt trotzdem, aber keiner schaut herauf. Wir trinken Wasser aus dem Brunnen, einem ausgehöhlten Baumstamm, aus dem am Abend prustend die Kühe trinken. Auch sie sehen wir, verstreut im Grün der Wiese, klein wie Spielzeugkühe.
Die braunen Ziegen folgen uns auf dem Weg zum Wald. »Rehbraun«, sagt meine Mutter. Sie riechen scharf, sie blöken und bimmeln um uns herum. Ich will auf Mamas Arm, aber das geht nicht. Ich mag die Ziegen nicht. Sie knabbern an meiner Hose, und die Kleinen boxen übermütig nach meinen Beinen. Meine Mutter streichelt ihre glatten runden Stirnen. Sie haben goldene Augen mit langen schwarzen Pupillen. Meine Schwester sagt, Zauberer hätten solche Augen. Sie sagt das, um mir zu zeigen, wie lächerlich meine Angst ist.
»Vielleicht sind es verwunschene Zauberer«, sagt meine Mutter.
»Es sind Zauberer, die so tun, als wären sie Ziegen«, sagt meine Schwester streng.
Bei den ersten Tannen bleiben die Ziegen zurück und schauen uns einmütig nach.
Im Wald wachsen die Heidelbeeren an den sonnigen Abhängen in dichten Büschen. Es ist kühl hier, zwischen den Bäumen, und der Kuckuck ruft. Der Wald riecht nach Tannennadeln und Harz, und unten aus der Schlucht herauf kommt ein feuchter Duft nach Moos und Pilzen. Meine Mutter hat eine große blaue Milchkanne, in die leeren wir unsere Hände voll Beeren. Wir dürfen beim Pflücken so viele essen, wie wir können. Jede dunkelblaue Beere ist weiß gepudert. Erst wenn man sie berührt, wird sie glänzend blau. Die wilden Erdbeeren erkennen wir schon von weitem an ihrem Duft. Preiselbeeren sind leuchtend rot, aber bitter, und nur meine Mutter isst sie gerne.
Es ist ein weiter Weg nach Hause, und meine Mutter trägt mich Huckepack.
Zu Hause schwimmen die Heidelbeeren oben auf der Milch, und wenn man sie zerdrückt, färben sie die Milch lila.
Wir essen jeden Tag Polenta. Meine Schwester und ich teilen die Pfanne in zwei Hälften und ziehen Gräben, ehe meine Mutter die braune Butter darübergießt. Am besten ist die knusprige Haut, die am Ende auf dem Pfannenboden übrig bleibt.
Meine Mutter macht Brennnesselspinat, und sie macht Sirup aus den jungen Trieben der Tannen, die lange in Zuckerwasser gekocht werden. Sie macht Schmarrn aus den Eiern vom Bauern. Manchmal kriegt sie ein Stück Speck für uns. An der Schwarte, an der immer noch ein bisschen weißes süßes Fett sitzt, kann man angenehm lange nagen, dann kommt am Ende das feine Netzmuster auf der weichen Schwarte zum Vorschein. »Das sind die Hautzellen«, sagt meine Mutter.
Zu Festtagen bringt uns die Bäuerin manchmal Speckknödel oder »Graukas«. Brot holen wir alle paar Tage vom Bäcker im Dorf, aber es ist nicht so gut wie das, das die Bauern in ihrem Backhaus backen. Wenn man dort zu Besuch ist, stellt einem die Bäuerin manchmal ein Näpfchen Rahm hin und einen Kanten Schwarzbrot zum Auftunken.
Meine Mutter backt Torten für die Bauern, zur Taufe, zur Hochzeit, zur Kommunion. Die Bäuerin bringt Mehl, Eier, Butter und Zucker, und wenn wir Glück haben, springt auch ein kleiner Kuchen für uns dabei heraus. Meine Mutter verziert die Torten so, wie die Bäuerin es haben will. Mit Rosen, Herzen, Kränzen und Pferden. Sie färbt die Buttercreme mit Farben aus unserem Farbkasten. Abwechselnd dürfen wir die Schüsseln auslecken. Manchmal sind wir auch zum Fest eingeladen, aber meine Mutter will sich nicht aufdrängen. Wir kommen aus der Stadt, wir gehören nicht dazu.
Sie will auch nicht, dass wir ja sagen, wenn man uns fragt, ob wir Hunger haben.
Ich sitze gerne auf dem Schoß der Bauerntöchter. Ich finde sie alle drei wunderschön, und sie riechen gut. Sie haben blonde Gretelfrisuren und braune Arme und Beine. Sie machen sich über jeden lustig, sie lachen über alles und raufen miteinander und werfen den jungen Knecht den Hang hinunter.
So möchte ich auch werden.
Meine Katze Tuttelsanft, genannt Tutti, erkennt man erst, wenn man genau hinschaut. Auf dem Foto halte ich sie an mich gedrückt wie ein langes struppiges Kissen, dann sieht man ein abgeknicktes Ohr neben meiner Backe.
Ich stehe vor dem Zaun des Gemüsebeets, auf dem zwei Milchkannen kopfüber zum Trocknen stehen. Ich habe an, was ich immer anhabe: kurze schwarze Hosen mit Hosenträgern - sie sind grün und ein rotes K ist auf das Band über die Brust gestickt -, dazu ein weißes Bubenhemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Ich sehe missmutig aus, wie auf allen Fotos, und meine Haare sind ungekämmt und hängen in mein Gesicht. An den Füßen habe ich »Knoschpen« mit dicken Holzsohlen und blanken Nägeln, da wo das Leder festgenagelt ist. Die Kappen abgeschnitten, und meine nackten Zehen schauen raus.
Meine Mutter fotografiert auch die Bauern. Den Vater Hausberger, wie er nach dem Melken auf der Tennentreppe sitzt. Er will das nicht, denn er hat seine zerlumpten Stallsachen an. Die Mutter Hausberger zwischen ihren Hühnern. Die beiden Knechte, die Heu tragen. Sie sehen aus wie die Bäume, die ich zeichne: eine große Heukugel, in der Kopf und Arme verschwinden, über einem dicken Stamm mit Beinen.
Ich mag es nicht, fotografiert zu werden, und lasse es nur zu, wenn Tutti mit aufs Bild kommt, aber auch sie hat bald keine Lust mehr und befreit sich mit einem kleinen Sprung ins Gras.
Den Hausbergerhof kann ich nur durch das Guckloch sehen, das in die Bretterwand des Klos gesägt ist. Er liegt am Hang, wie ein großes Tier, das ins Tal schaut, mit weißem Bauch und hölzernem Leib. Die zwei Kamine stehen in die Luft wie Ohren.
Unser Klo, am Ende des Balkons, ist ein verbotener Ort. Ich könnte in die Grube fallen,
durch das runde Loch. Drunten schaut man in eine stinkende Hölle, mit zottigen braunen Bärten bewachsen. Ich sehe Coco da unten liegen, die Katze meiner Schwester. Mein Vater hat unsere beiden Katzen in Petroleum gebadet, wegen der Flöhe. Tutti sind alle Haare ausgefallen. Sie hat sich vor mir versteckt, als sie nackt war und voller Schorf. Dann kam sie zurück. Ich lag auf der Wiese, und sie kam und steckte ihre Nase in mein Gesicht, mit einem kleinen zärtlichen Ton. Ihr Fell war wieder gewachsen und dichter als vorher. Coco aber liegt in der stinkenden Grube und sieht aus, als schliefe sie. Sie ist tot. Meine Schwester hat geglaubt, auch sie käme zurück.
Beim Hausberger gibt es im Klo zwei kleine Löcher für Kinder, neben den drei großen für Erwachsene. Die sitzen dort nebeneinander und unterhalten sich. Ich benutze diese Kinderlöcher nie. Ich hocke mich lieber hinters Haus, in die Huflattichblätter.
Meine Mutter geht nicht auf unser Klo, wenn die Bauern die Wiese mähen am Hang vor unserem Haus. Sie will nicht, dass man sehen kann, wenn sie aufs Klo geht. Sie nimmt meinen Topf.
Der Mooserhof brennt. Wir sehen ihn glühen, drüben auf der Schattenseite. Er leuchtet im blauen Schnee wie eine gelbe Blume. Es ist schon fast dunkel, und man kann die ersten Sterne sehen und den Sichelmond über dem Galtenberg. Kein anderes Licht, das Dorf liegt im Tal, nur diese wunderschöne gelbe Blume mit den zuckenden Blütenblättern. Ich sehe keinen Rauch.
Meine Mutter zittert und weint. Sie hält uns fest umarmt am Fenster. Dann will sie hinüber zum Hausberger Hof, aber der Schnee ist viel zu tief.
Ich schlafe mit in Lenas Bett. Meine Mutter muss mit meiner Schwester zum Arzt nach Kufstein, und ich darf bei Lena schlafen. Sie hat eine Unterhose mit Spitzen an, die ihr zu klein ist. Die hat meiner Mutter gehört, und Lena hat ihr dafür Speck gegeben und Eier.
Sie zieht die Unterhose erst an, als sie ins Bett steigt.
»Heute Nacht kann sein, dass einer kommt«, sagte sie. »Heute ist die Nacht, wo sie kommen.«
Nachts wachen wir auf, weil einer durchs Fenster kommt. Es ist ein Mann. Ich sehe nur seinen Umriss gegen den Sternenhimmel.
Er legt seinen Hut aufs Fensterbrett. Er flüstert mit Lena. Wir machen Platz im Bett für ihn. Er hängt seine Hose über das Fußende. Er hat keine Schuhe an.
»Schlaf«, sagt Lena zu mir und streichelt mein Gesicht.
Am Morgen erwache ich auf der Bank, eingewickelt in eine kratzige Decke. Lena ist schon wach und kämmt ihr langes Haar vor der Spiegelscherbe, die am Balken neben dem Fenster steckt. Die Unterhose hat sie nicht mehr an.
Ich weiß nicht, wer Wasteis Mutter ist. Er ist einfach da. Er ist so alt wie ich, und sein kleines Bett steht im Zimmer der alten Bäuerin. Er zeigt mir, wie er auf die großen rotgeäderten Blätter neben dem Badehaus pinkelt. Er hat einen kleinen Schnabel wie eine Teekanne.
Mit seinem Strahl kann er die fetten Raupen von den Blättern schwemmen. Ich möchte das auch können. Ich versuche im Stehen zu pinkeln und mache meine Hose nass. Ich forme meinem Bären, Schmatzi, aus Plastilin so ein kleines Würstchen und mache ein Loch in seinen Bauch, um es dort festzustecken. Es fällt immer wieder ab und zerbröckelt schließlich. Meine Mutter stopft das Loch mit gelber Angorawolle.
Meine Schwester hat eine Babypuppe. Sie heißt Margarete und ist so groß wie ein wirkliches Baby. Sie hat einen weichen Körper, Arme und Beine hängen herunter, wenn man sie hochhebt. Sie sind schwer und aus Porzellan wie ihr Kopf. »Sehr zerbrechlich«, sagt meine Mutter, wenn meine Schwester mir kurz erlaubt, Margarete zu halten, und sie bleibt neben mir und hält die Hände bereit, um das Baby aufzufangen, wenn ich es fallen lasse. Ich darf nicht mit Margarete spielen.
An einem Morgen, als meine Schwester schon in die Schule gegangen ist, hebe ich Margarete aus ihrem Körbchen und lasse ihre Augen klappern. Sie hat echte Wimpern, und wenn man sie hinlegt, schließt sie die Augen und sagt »Mama«. Ihre Augen sind groß und braun, aus glänzendem Glas. Ich schaue ihr ganz tief in diese Augen, dann drücke ich sie ein. Sie verschwinden in ihrem Kopf, und als ich sie schüttele, höre ich sie dort drinnen klappern.
Meine Mutter macht Margarete Augen aus bemaltem Papier, aber sie kann sie nicht mehr schließen. »Mama« kann sie noch sagen.
Die Holunderbeeren liegen zum Trocknen auf einem Brett vor der Küche. Meine Mutter trägt das Brett dahin, wo die Sonne scheint. Die Beeren werden schwarz und hart. Sie sagt, wir bekommen nie Obst, und Kinder brauchen Obst. Sie mischt uns die Beeren in den Grießbrei. Uns beiden schmeckt der Brei nicht. Wir müssen ihn trotzdem essen. Wir kotzen die ganze Nacht.
Meine Schwester liegt lange im Bett, viele Wochen. Meine Mutter kann ihre Haare nicht mehr entwirren. Sie schneidet die Haare ab. Meine Schwester weint. Sie sitzt in der Sonne auf dem Hackblock, den Rücken zum Haus gekehrt und weint laut. Sie muss Lebertran nehmen. Sie will ihn nur schlucken, wenn ich ihn auch schlucke. Er ist dickflüssig und gelb. Er schmeckt fürchterlich.
Tante Maisin kommt zu Besuch und bringt eine Salami mit. Sie sagt, sie hat die Wurst eingetauscht gegen eine silberne Haarbürste. Nach jedem Löffel Lebertran kriegen wir eine dünne Scheibe Salami. Tante Maisin will meiner Schwester die Haare besser schneiden, aber meine Schwester will das nicht. Sie heult sofort los, wenn jemand ihren Kopf anfasst.
Die kleinen Leute, die im Wald wohnen, zeigen sich mir nie. Manchmal aber sehe ich sie vorbeihuschen aus dem Augenwinkel, das Zittergras bewegt sich und verrät ihre Flucht. Sie verstecken sich unter silbernen Kieseln im Bach. Ich kann ihre kleinen Füße sehen, ihre Zipfelmützen, sekundenlang in der Strömung. Ich wage nicht, sie zu stören. Ich baue ihnen Wohnungen zwischen den Baumwurzeln mit Moosbetten und Pilztischen. Ich gebe
ihnen schön gefärbte Blätter als Schlafdecken und decke den Tisch mit wilden Erdbeeren und Gänseblümchen. Ich lege einen Weg aus Kieselsteinen, damit sie die Häuschen finden. Ich höre sie in der Ferne klopfen. Das ist kein Specht. Sie arbeiten am Bachufer. Sie suchen nach Gold. Sie haben zahme Libellen als Haustiere und Käfer, die ihre Botschafter sind. Die roten Ameisen sind ihre Freunde. Ich lege Zweige über die Steine, als Brücken, damit sie über den Bach kommen. Man darf ihnen kein Brot geben, aber sie essen den Samen aus den Tannenzapfen.
Wenn ich am nächsten Tag nachschaue, sind die Erdbeeren verschwunden, die Gänseblümchen angeknabbert! In dem Moosbett mit seinem eingerollten welken Blatt hat jemand geschlafen. Auf dem Pilztisch sitzt eine glasig blaue Schnecke. Ist das eine Botschaft für mich?
Unter dem Vogelbeerbusch, neben dem Heustadel am Hang, hocke ich mich hin und hebe ein paar von den Beeren auf. Ich darf sie nicht essen. Sie sind bitter.
Von hier aus sehe ich weit oben unser Haus. Es sieht aus, als wäre es aus der Wiese gewachsen, an die hohen Lärchen gelehnt, die sich über das Dach strecken und leuchten, eine gelbe Wolke, dahinter der schwarze Wald und darüber die blaue glitzernde Flanke des Gratelspitz, auf dem schon Schnee liegt. Unser Haus ist ganz aus Holz und dunkelbraun, wie versengt, es liegt quer zum Hang und schaut zu mir herunter mit seinen kleinen viereckigen Fensteraugen. Wäsche trocknet auf dem Balkon über der Holzbeige. Rauch steigt aus dem Kamin.
Meine Katze kommt mich abholen durchs blasse Gras, und vor dem Haus sehe ich meine Mutter, die mit der Hand über den Augen zu mir herunterwinkt, damit ich mich beeile.
Erst hören wir nur ihre Glocken, von weither. Die Berchteln. Sie kommen näher.
Meine Mutter hat die Tür verschlossen. Sie kommen näher. Sie sind da. Sie werfen sich krachend gegen die Tür. Wir halten den Atem an. Wir warten. Sie haben die Hintertür gefunden. Sie sind im Haus. Wir hören sie im Gang polternd gegen die Wände stoßen, knurren und brüllen. Die großen Kuhglocken dröhnen und scheppern. Wir sitzen beim Abendessen am Tisch. Meine Schwester und ich drängen uns zusammen in die Ecke unter dem Kruzifix. Die Stubentür hält sie nicht auf, klobige, haarige Tiere, die hereinspringen, über den Boden rollen, schnüffeln und schnauben, riesige Körper, ohne Gesicht,
mit Fellköpfen, aus denen Hörner ragen. Sie werfen sich gegen den Tisch, springen auf die Bank, stoßen einander, bellen und heulen. Sie haben meine Mutter gepackt, zerren sie auf den Boden, rollen sie hin und her, schleppen sie zur Tür. Meine Mutter schreit nicht, aber sie lacht auch nicht. Sie schlägt nach ihnen, keucht, hält ihr Kleid fest, sie werden meine Mutter mitnehmen, sie hinausschleppen in den Schnee. Wir schreien. Und da steht der Bischof in der Tür, hebt seine Laterne, im rotgoldenen Gewand, mit hohem Hut, und neben ihm der Engel im weißen Kleid mit lockigen goldenen Haaren, fast bis zum Boden, und da ist der Krampus, ein roter Teufel mit hölzernem Gesicht und Hufen. Er droht mit der Rute. Der Bischof aber gibt den bösen Fellköpfen ein paar Schläge mit dem Bischofsstab, und sie lassen murrend von meiner Mutter ab. Der Engel lacht laut und nimmt aus seinem Korb zwei goldbraune Lebkuchen, auf denen rote Krampusse aus Papier kleben. Er hält sie uns hin. Ich will meinen nicht nehmen.
Meine Eltern glauben, die Gebirgsluft tue meiner Schwester gut. Mein Vater besucht uns selten. Die Reise nach Alpbach ist lang und anstrengend. Aus Brixlegg herauf kann man nur mit dem Pferdefuhrwerk der alten Liese kommen, die mit ihren Haflingern spricht wie mit Menschen, spuckt, flucht und wie ein Mann aussieht. Es gibt keine festen Zeiten für dieses Fuhrwerk.
Mein Vater steigt vom Dorf zu uns herauf, erschöpft und schwitzend, beladen mit einem riesigen Rucksack, Taschen und Bündeln. Wir erwarten ihn voller Sehnsucht.
In unserem Häuschen gibt es nur wenige Bücher, denn jedes Buch muss eine Stunde durch den steilen Bergwald heraufgetragen werden. Eigentlich gibt es nur die Bücher, die meine Mutter für sich mitgebracht hat, als ich noch ein Baby war und eine Kinderschwester hatte. Batta. Ich kenne sie nur von einem Foto, auf dem ich auf ihrem Schoß stehe und sehr dunkel aussehe neben ihrer Blondheit und ihrer weißen Schürze.
Meine Mutter liest Gedichte: Hofmannsthal, Rilke, Heine und Ricarda Huch, Else Lasker-Schüler, Verlaine, Rimbaud, Baudelaire, Dehmel, Ringelnatz und Morgenstern. Sie liest uns die Gedichte vor. Ich kann viele auswendig. Wir lesen den Taugenichts und den Tartarin von Tarascon. Für uns Kinder gibt es eigentlich nur die Märchen der Brüder Grimm, die von Andersen und Hauff und natürlich Pu der Bär, Alice im Wunderland und Die
Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen, zu Weihnachten dann Geschichten von Stijn Streuvels und Felix Timmermanns Das Jesuskind in Flandern.
Meine Mutter liest uns die Odyssee vor, und wir zeichnen die Götter, Helden und Ungeheuer. Scylla ist mein Lieblingsmonster, und ich stelle es mir braun gefleckt vor, wie eine fette Kröte, obwohl meine Mutter es grün haben will, wie einen Drachen. Ich zeichne Scylla,
wie sie sich über das Schiff des Odysseus beugt und zwei Matrosen vom Deck pflückt und zu sich heraufhebt, um sie zu fressen. Ich mag auch Polyphem, den einäugigen Zyklopen, und ich nehme es Odysseus übel, dass er ihn überlistet und blendet. Heimlich graut mir besonders vor dem Hades, der Totenwelt, in der Odysseus seine Mutter besucht und sie mit der Grube voll Blut anlockt, aus der er alle Toten trinken lässt. Auch seine Mutter trinkt das Blut.
Ich zeichne das immer wieder. Die Si renen, die so wunderbar singen und damit Seeleute an ihren Strand locken, um sie aufzufressen, zeichne ich als nackte behaarte Frauen, mit Messern und gezückten Gabeln. Um ihnen etwas von ihrer Macht zu nehmen, gebe ich ihnen lächerliche Namen: Furzi, Wurschti, Rülpsi, und Pipi.
Ich mache kleine Figuren aus Ästchen, Eicheln und Hagebutten und spiele die Geschichten der Odyssee nach. Ich denke mir kleine Theaterstücke aus und diktiere sie meiner Mutter.
Die Tiere, die darin vorkommen, mache ich aus Blumen. Meine Bühne ist die erste Stufe der Treppe. Keiner darf zuschauen.
Meine Schwester geht zur Schule ins Tal. Ich verbringe viele Stunden allein im Lärchenwald, suche nach Zwergen und Kobolden und sammle Tannenzapfen für unseren
Küchenherd. Sie knallen, wenn sie brennen, und glühen wunderbar, ein kleines Inferno im Ofenloch. Ich habe Feuersbrünste gesehen im großen Breughelbuch. Ich schaue am liebsten die Bilder an, auf denen ganze Geschwader von Skeletten mit Waffen und riesigen Bränden die Erde verwüsten, wimmelnde Knochenmänner, mit Schwertern und Schilden bewaffnet, die sich in Scharen um die vor Angst schreienden Menschen klumpen und sie wegzerren. Jedes Mal aufs Neue genieße ich den Schauder, wenn ich die Seite mit den Gerippen aufschlage. Ich zeichne aber am liebsten die Kindergruppen aus den Kinderspielen ab und die seltsamen Szenen aus den Sprichwörtern. »Die beste Grietje, die man fand, war die, die den Teufel aufs Kissen band.« Ich zeichne die Engel aus dem Botticelli-Buch,
den Verkündigungsengel im kirschroten Messgewand, die schön gelockten Sänger und Musikanten, die jungen Männer, die Lilien in den Händen halten und mit so ruhigen Augen auf das goldene Kind blicken. Bei Velasquez zeichne ich immer wieder die Zwerge mit ihren traurigen Gesichtern. Meine Schwester und ich schwärmen für die Infantinnen in ihren ausladenden Reifröcken und den starren gelockten Haarhelmen, in denen Schleifen und Perlen befestigt sind. Wir spielen, dass wir zwei Prinzessinnen sind, und laufen vorsichtig durch die Wiesen, um unsere großen Röcke nicht nass zu machen im Tau. Wir schreiben Gedichte für unsere Mutter, und sie macht kleine Hefte daraus, mit Zeichnungen versehen und mit Nadel und Faden am Rücken zusammengenäht. Meine Schwester dichtet viel besser als ich und ärgert sich, wenn ich sie nachmache. Sie ist in allem besser als ich, aber ...
© Berlin Verlag
Aus dem Beinhaus neben der Kirche, wo die vielen Totenschädel gestapelt liegen, jeder mit einem fadendünnen roten Kreuz auf der Stirn, wähle ich einen kleinen Schädel aus und nehme ihn mit. Ich lege ihn auf den Grund meiner Kraxe, die ich auf dem Rücken habe, um das halbe Brot nach Hause, hinauf auf den Berg zu tragen. Ich sage mir, dass dieser Schädel sicher gerne mitkommt, weg von diesem großen Haufen. Ich werde ihm einen Blumenkranz machen und ihn an einem schönen Platz aufstellen, wo er ins Tal schauen kann.
Meine Mutter versteht das nicht, sie wird böse. Sie muss wieder hinunter ins Tal mit mir und dem Schädel. Sie spricht kein Wort mit mir. Ich habe etwas sehr Schlimmes getan. Wir klopfen beim Messner, und ich gebe ihm den Schädel und sage, dass es mir leidtut. Meine Mutter steht neben mir und hält mich am Nacken. Er lacht. Er ist ein alter Mann, und ich habe Angst vor ihm, weil er so schwarze Augenringe hat und graue Haare aus seiner Nase wachsen. Alle Schädel gehören ihm. Er bewacht sie. Man darf keinen nehmen. Meine Mutter sagt, ich werde es nicht wieder tun. Und dann steigen wir wieder schweigend den Berg hinauf.
An Weihnachten klettere ich früh am Morgen auf den Altar und hebe das Jesuskind, das ein steifes goldenes
Kleid für die Festtage anhat, aus dem Arm seiner Mutter. Es ist sehr schwer, und ich bin enttäuscht, weil seine blau bemalten Holzaugen mich so matt und blass anschauen. Ich lege es zurück.
Wir halten Rast, auf der Holzbank, vor dem Gehöft des Schonnerbauern. Es ist ein heißer Morgen. Niemand ist zu Hause. Wir sehen den Bauern und seine Knechte herumlaufen, klein wie Ameisen, drunten am Bach. Manchmal blitzen ihre Sensen in der Morgensonne. Meine Mutter winkt trotzdem, aber keiner schaut herauf. Wir trinken Wasser aus dem Brunnen, einem ausgehöhlten Baumstamm, aus dem am Abend prustend die Kühe trinken. Auch sie sehen wir, verstreut im Grün der Wiese, klein wie Spielzeugkühe.
Die braunen Ziegen folgen uns auf dem Weg zum Wald. »Rehbraun«, sagt meine Mutter. Sie riechen scharf, sie blöken und bimmeln um uns herum. Ich will auf Mamas Arm, aber das geht nicht. Ich mag die Ziegen nicht. Sie knabbern an meiner Hose, und die Kleinen boxen übermütig nach meinen Beinen. Meine Mutter streichelt ihre glatten runden Stirnen. Sie haben goldene Augen mit langen schwarzen Pupillen. Meine Schwester sagt, Zauberer hätten solche Augen. Sie sagt das, um mir zu zeigen, wie lächerlich meine Angst ist.
»Vielleicht sind es verwunschene Zauberer«, sagt meine Mutter.
»Es sind Zauberer, die so tun, als wären sie Ziegen«, sagt meine Schwester streng.
Bei den ersten Tannen bleiben die Ziegen zurück und schauen uns einmütig nach.
Im Wald wachsen die Heidelbeeren an den sonnigen Abhängen in dichten Büschen. Es ist kühl hier, zwischen den Bäumen, und der Kuckuck ruft. Der Wald riecht nach Tannennadeln und Harz, und unten aus der Schlucht herauf kommt ein feuchter Duft nach Moos und Pilzen. Meine Mutter hat eine große blaue Milchkanne, in die leeren wir unsere Hände voll Beeren. Wir dürfen beim Pflücken so viele essen, wie wir können. Jede dunkelblaue Beere ist weiß gepudert. Erst wenn man sie berührt, wird sie glänzend blau. Die wilden Erdbeeren erkennen wir schon von weitem an ihrem Duft. Preiselbeeren sind leuchtend rot, aber bitter, und nur meine Mutter isst sie gerne.
Es ist ein weiter Weg nach Hause, und meine Mutter trägt mich Huckepack.
Zu Hause schwimmen die Heidelbeeren oben auf der Milch, und wenn man sie zerdrückt, färben sie die Milch lila.
Wir essen jeden Tag Polenta. Meine Schwester und ich teilen die Pfanne in zwei Hälften und ziehen Gräben, ehe meine Mutter die braune Butter darübergießt. Am besten ist die knusprige Haut, die am Ende auf dem Pfannenboden übrig bleibt.
Meine Mutter macht Brennnesselspinat, und sie macht Sirup aus den jungen Trieben der Tannen, die lange in Zuckerwasser gekocht werden. Sie macht Schmarrn aus den Eiern vom Bauern. Manchmal kriegt sie ein Stück Speck für uns. An der Schwarte, an der immer noch ein bisschen weißes süßes Fett sitzt, kann man angenehm lange nagen, dann kommt am Ende das feine Netzmuster auf der weichen Schwarte zum Vorschein. »Das sind die Hautzellen«, sagt meine Mutter.
Zu Festtagen bringt uns die Bäuerin manchmal Speckknödel oder »Graukas«. Brot holen wir alle paar Tage vom Bäcker im Dorf, aber es ist nicht so gut wie das, das die Bauern in ihrem Backhaus backen. Wenn man dort zu Besuch ist, stellt einem die Bäuerin manchmal ein Näpfchen Rahm hin und einen Kanten Schwarzbrot zum Auftunken.
Meine Mutter backt Torten für die Bauern, zur Taufe, zur Hochzeit, zur Kommunion. Die Bäuerin bringt Mehl, Eier, Butter und Zucker, und wenn wir Glück haben, springt auch ein kleiner Kuchen für uns dabei heraus. Meine Mutter verziert die Torten so, wie die Bäuerin es haben will. Mit Rosen, Herzen, Kränzen und Pferden. Sie färbt die Buttercreme mit Farben aus unserem Farbkasten. Abwechselnd dürfen wir die Schüsseln auslecken. Manchmal sind wir auch zum Fest eingeladen, aber meine Mutter will sich nicht aufdrängen. Wir kommen aus der Stadt, wir gehören nicht dazu.
Sie will auch nicht, dass wir ja sagen, wenn man uns fragt, ob wir Hunger haben.
Ich sitze gerne auf dem Schoß der Bauerntöchter. Ich finde sie alle drei wunderschön, und sie riechen gut. Sie haben blonde Gretelfrisuren und braune Arme und Beine. Sie machen sich über jeden lustig, sie lachen über alles und raufen miteinander und werfen den jungen Knecht den Hang hinunter.
So möchte ich auch werden.
Meine Katze Tuttelsanft, genannt Tutti, erkennt man erst, wenn man genau hinschaut. Auf dem Foto halte ich sie an mich gedrückt wie ein langes struppiges Kissen, dann sieht man ein abgeknicktes Ohr neben meiner Backe.
Ich stehe vor dem Zaun des Gemüsebeets, auf dem zwei Milchkannen kopfüber zum Trocknen stehen. Ich habe an, was ich immer anhabe: kurze schwarze Hosen mit Hosenträgern - sie sind grün und ein rotes K ist auf das Band über die Brust gestickt -, dazu ein weißes Bubenhemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Ich sehe missmutig aus, wie auf allen Fotos, und meine Haare sind ungekämmt und hängen in mein Gesicht. An den Füßen habe ich »Knoschpen« mit dicken Holzsohlen und blanken Nägeln, da wo das Leder festgenagelt ist. Die Kappen abgeschnitten, und meine nackten Zehen schauen raus.
Meine Mutter fotografiert auch die Bauern. Den Vater Hausberger, wie er nach dem Melken auf der Tennentreppe sitzt. Er will das nicht, denn er hat seine zerlumpten Stallsachen an. Die Mutter Hausberger zwischen ihren Hühnern. Die beiden Knechte, die Heu tragen. Sie sehen aus wie die Bäume, die ich zeichne: eine große Heukugel, in der Kopf und Arme verschwinden, über einem dicken Stamm mit Beinen.
Ich mag es nicht, fotografiert zu werden, und lasse es nur zu, wenn Tutti mit aufs Bild kommt, aber auch sie hat bald keine Lust mehr und befreit sich mit einem kleinen Sprung ins Gras.
Den Hausbergerhof kann ich nur durch das Guckloch sehen, das in die Bretterwand des Klos gesägt ist. Er liegt am Hang, wie ein großes Tier, das ins Tal schaut, mit weißem Bauch und hölzernem Leib. Die zwei Kamine stehen in die Luft wie Ohren.
Unser Klo, am Ende des Balkons, ist ein verbotener Ort. Ich könnte in die Grube fallen,
durch das runde Loch. Drunten schaut man in eine stinkende Hölle, mit zottigen braunen Bärten bewachsen. Ich sehe Coco da unten liegen, die Katze meiner Schwester. Mein Vater hat unsere beiden Katzen in Petroleum gebadet, wegen der Flöhe. Tutti sind alle Haare ausgefallen. Sie hat sich vor mir versteckt, als sie nackt war und voller Schorf. Dann kam sie zurück. Ich lag auf der Wiese, und sie kam und steckte ihre Nase in mein Gesicht, mit einem kleinen zärtlichen Ton. Ihr Fell war wieder gewachsen und dichter als vorher. Coco aber liegt in der stinkenden Grube und sieht aus, als schliefe sie. Sie ist tot. Meine Schwester hat geglaubt, auch sie käme zurück.
Beim Hausberger gibt es im Klo zwei kleine Löcher für Kinder, neben den drei großen für Erwachsene. Die sitzen dort nebeneinander und unterhalten sich. Ich benutze diese Kinderlöcher nie. Ich hocke mich lieber hinters Haus, in die Huflattichblätter.
Meine Mutter geht nicht auf unser Klo, wenn die Bauern die Wiese mähen am Hang vor unserem Haus. Sie will nicht, dass man sehen kann, wenn sie aufs Klo geht. Sie nimmt meinen Topf.
Der Mooserhof brennt. Wir sehen ihn glühen, drüben auf der Schattenseite. Er leuchtet im blauen Schnee wie eine gelbe Blume. Es ist schon fast dunkel, und man kann die ersten Sterne sehen und den Sichelmond über dem Galtenberg. Kein anderes Licht, das Dorf liegt im Tal, nur diese wunderschöne gelbe Blume mit den zuckenden Blütenblättern. Ich sehe keinen Rauch.
Meine Mutter zittert und weint. Sie hält uns fest umarmt am Fenster. Dann will sie hinüber zum Hausberger Hof, aber der Schnee ist viel zu tief.
Ich schlafe mit in Lenas Bett. Meine Mutter muss mit meiner Schwester zum Arzt nach Kufstein, und ich darf bei Lena schlafen. Sie hat eine Unterhose mit Spitzen an, die ihr zu klein ist. Die hat meiner Mutter gehört, und Lena hat ihr dafür Speck gegeben und Eier.
Sie zieht die Unterhose erst an, als sie ins Bett steigt.
»Heute Nacht kann sein, dass einer kommt«, sagte sie. »Heute ist die Nacht, wo sie kommen.«
Nachts wachen wir auf, weil einer durchs Fenster kommt. Es ist ein Mann. Ich sehe nur seinen Umriss gegen den Sternenhimmel.
Er legt seinen Hut aufs Fensterbrett. Er flüstert mit Lena. Wir machen Platz im Bett für ihn. Er hängt seine Hose über das Fußende. Er hat keine Schuhe an.
»Schlaf«, sagt Lena zu mir und streichelt mein Gesicht.
Am Morgen erwache ich auf der Bank, eingewickelt in eine kratzige Decke. Lena ist schon wach und kämmt ihr langes Haar vor der Spiegelscherbe, die am Balken neben dem Fenster steckt. Die Unterhose hat sie nicht mehr an.
Ich weiß nicht, wer Wasteis Mutter ist. Er ist einfach da. Er ist so alt wie ich, und sein kleines Bett steht im Zimmer der alten Bäuerin. Er zeigt mir, wie er auf die großen rotgeäderten Blätter neben dem Badehaus pinkelt. Er hat einen kleinen Schnabel wie eine Teekanne.
Mit seinem Strahl kann er die fetten Raupen von den Blättern schwemmen. Ich möchte das auch können. Ich versuche im Stehen zu pinkeln und mache meine Hose nass. Ich forme meinem Bären, Schmatzi, aus Plastilin so ein kleines Würstchen und mache ein Loch in seinen Bauch, um es dort festzustecken. Es fällt immer wieder ab und zerbröckelt schließlich. Meine Mutter stopft das Loch mit gelber Angorawolle.
Meine Schwester hat eine Babypuppe. Sie heißt Margarete und ist so groß wie ein wirkliches Baby. Sie hat einen weichen Körper, Arme und Beine hängen herunter, wenn man sie hochhebt. Sie sind schwer und aus Porzellan wie ihr Kopf. »Sehr zerbrechlich«, sagt meine Mutter, wenn meine Schwester mir kurz erlaubt, Margarete zu halten, und sie bleibt neben mir und hält die Hände bereit, um das Baby aufzufangen, wenn ich es fallen lasse. Ich darf nicht mit Margarete spielen.
An einem Morgen, als meine Schwester schon in die Schule gegangen ist, hebe ich Margarete aus ihrem Körbchen und lasse ihre Augen klappern. Sie hat echte Wimpern, und wenn man sie hinlegt, schließt sie die Augen und sagt »Mama«. Ihre Augen sind groß und braun, aus glänzendem Glas. Ich schaue ihr ganz tief in diese Augen, dann drücke ich sie ein. Sie verschwinden in ihrem Kopf, und als ich sie schüttele, höre ich sie dort drinnen klappern.
Meine Mutter macht Margarete Augen aus bemaltem Papier, aber sie kann sie nicht mehr schließen. »Mama« kann sie noch sagen.
Die Holunderbeeren liegen zum Trocknen auf einem Brett vor der Küche. Meine Mutter trägt das Brett dahin, wo die Sonne scheint. Die Beeren werden schwarz und hart. Sie sagt, wir bekommen nie Obst, und Kinder brauchen Obst. Sie mischt uns die Beeren in den Grießbrei. Uns beiden schmeckt der Brei nicht. Wir müssen ihn trotzdem essen. Wir kotzen die ganze Nacht.
Meine Schwester liegt lange im Bett, viele Wochen. Meine Mutter kann ihre Haare nicht mehr entwirren. Sie schneidet die Haare ab. Meine Schwester weint. Sie sitzt in der Sonne auf dem Hackblock, den Rücken zum Haus gekehrt und weint laut. Sie muss Lebertran nehmen. Sie will ihn nur schlucken, wenn ich ihn auch schlucke. Er ist dickflüssig und gelb. Er schmeckt fürchterlich.
Tante Maisin kommt zu Besuch und bringt eine Salami mit. Sie sagt, sie hat die Wurst eingetauscht gegen eine silberne Haarbürste. Nach jedem Löffel Lebertran kriegen wir eine dünne Scheibe Salami. Tante Maisin will meiner Schwester die Haare besser schneiden, aber meine Schwester will das nicht. Sie heult sofort los, wenn jemand ihren Kopf anfasst.
Die kleinen Leute, die im Wald wohnen, zeigen sich mir nie. Manchmal aber sehe ich sie vorbeihuschen aus dem Augenwinkel, das Zittergras bewegt sich und verrät ihre Flucht. Sie verstecken sich unter silbernen Kieseln im Bach. Ich kann ihre kleinen Füße sehen, ihre Zipfelmützen, sekundenlang in der Strömung. Ich wage nicht, sie zu stören. Ich baue ihnen Wohnungen zwischen den Baumwurzeln mit Moosbetten und Pilztischen. Ich gebe
ihnen schön gefärbte Blätter als Schlafdecken und decke den Tisch mit wilden Erdbeeren und Gänseblümchen. Ich lege einen Weg aus Kieselsteinen, damit sie die Häuschen finden. Ich höre sie in der Ferne klopfen. Das ist kein Specht. Sie arbeiten am Bachufer. Sie suchen nach Gold. Sie haben zahme Libellen als Haustiere und Käfer, die ihre Botschafter sind. Die roten Ameisen sind ihre Freunde. Ich lege Zweige über die Steine, als Brücken, damit sie über den Bach kommen. Man darf ihnen kein Brot geben, aber sie essen den Samen aus den Tannenzapfen.
Wenn ich am nächsten Tag nachschaue, sind die Erdbeeren verschwunden, die Gänseblümchen angeknabbert! In dem Moosbett mit seinem eingerollten welken Blatt hat jemand geschlafen. Auf dem Pilztisch sitzt eine glasig blaue Schnecke. Ist das eine Botschaft für mich?
Unter dem Vogelbeerbusch, neben dem Heustadel am Hang, hocke ich mich hin und hebe ein paar von den Beeren auf. Ich darf sie nicht essen. Sie sind bitter.
Von hier aus sehe ich weit oben unser Haus. Es sieht aus, als wäre es aus der Wiese gewachsen, an die hohen Lärchen gelehnt, die sich über das Dach strecken und leuchten, eine gelbe Wolke, dahinter der schwarze Wald und darüber die blaue glitzernde Flanke des Gratelspitz, auf dem schon Schnee liegt. Unser Haus ist ganz aus Holz und dunkelbraun, wie versengt, es liegt quer zum Hang und schaut zu mir herunter mit seinen kleinen viereckigen Fensteraugen. Wäsche trocknet auf dem Balkon über der Holzbeige. Rauch steigt aus dem Kamin.
Meine Katze kommt mich abholen durchs blasse Gras, und vor dem Haus sehe ich meine Mutter, die mit der Hand über den Augen zu mir herunterwinkt, damit ich mich beeile.
Erst hören wir nur ihre Glocken, von weither. Die Berchteln. Sie kommen näher.
Meine Mutter hat die Tür verschlossen. Sie kommen näher. Sie sind da. Sie werfen sich krachend gegen die Tür. Wir halten den Atem an. Wir warten. Sie haben die Hintertür gefunden. Sie sind im Haus. Wir hören sie im Gang polternd gegen die Wände stoßen, knurren und brüllen. Die großen Kuhglocken dröhnen und scheppern. Wir sitzen beim Abendessen am Tisch. Meine Schwester und ich drängen uns zusammen in die Ecke unter dem Kruzifix. Die Stubentür hält sie nicht auf, klobige, haarige Tiere, die hereinspringen, über den Boden rollen, schnüffeln und schnauben, riesige Körper, ohne Gesicht,
mit Fellköpfen, aus denen Hörner ragen. Sie werfen sich gegen den Tisch, springen auf die Bank, stoßen einander, bellen und heulen. Sie haben meine Mutter gepackt, zerren sie auf den Boden, rollen sie hin und her, schleppen sie zur Tür. Meine Mutter schreit nicht, aber sie lacht auch nicht. Sie schlägt nach ihnen, keucht, hält ihr Kleid fest, sie werden meine Mutter mitnehmen, sie hinausschleppen in den Schnee. Wir schreien. Und da steht der Bischof in der Tür, hebt seine Laterne, im rotgoldenen Gewand, mit hohem Hut, und neben ihm der Engel im weißen Kleid mit lockigen goldenen Haaren, fast bis zum Boden, und da ist der Krampus, ein roter Teufel mit hölzernem Gesicht und Hufen. Er droht mit der Rute. Der Bischof aber gibt den bösen Fellköpfen ein paar Schläge mit dem Bischofsstab, und sie lassen murrend von meiner Mutter ab. Der Engel lacht laut und nimmt aus seinem Korb zwei goldbraune Lebkuchen, auf denen rote Krampusse aus Papier kleben. Er hält sie uns hin. Ich will meinen nicht nehmen.
Meine Eltern glauben, die Gebirgsluft tue meiner Schwester gut. Mein Vater besucht uns selten. Die Reise nach Alpbach ist lang und anstrengend. Aus Brixlegg herauf kann man nur mit dem Pferdefuhrwerk der alten Liese kommen, die mit ihren Haflingern spricht wie mit Menschen, spuckt, flucht und wie ein Mann aussieht. Es gibt keine festen Zeiten für dieses Fuhrwerk.
Mein Vater steigt vom Dorf zu uns herauf, erschöpft und schwitzend, beladen mit einem riesigen Rucksack, Taschen und Bündeln. Wir erwarten ihn voller Sehnsucht.
In unserem Häuschen gibt es nur wenige Bücher, denn jedes Buch muss eine Stunde durch den steilen Bergwald heraufgetragen werden. Eigentlich gibt es nur die Bücher, die meine Mutter für sich mitgebracht hat, als ich noch ein Baby war und eine Kinderschwester hatte. Batta. Ich kenne sie nur von einem Foto, auf dem ich auf ihrem Schoß stehe und sehr dunkel aussehe neben ihrer Blondheit und ihrer weißen Schürze.
Meine Mutter liest Gedichte: Hofmannsthal, Rilke, Heine und Ricarda Huch, Else Lasker-Schüler, Verlaine, Rimbaud, Baudelaire, Dehmel, Ringelnatz und Morgenstern. Sie liest uns die Gedichte vor. Ich kann viele auswendig. Wir lesen den Taugenichts und den Tartarin von Tarascon. Für uns Kinder gibt es eigentlich nur die Märchen der Brüder Grimm, die von Andersen und Hauff und natürlich Pu der Bär, Alice im Wunderland und Die
Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen, zu Weihnachten dann Geschichten von Stijn Streuvels und Felix Timmermanns Das Jesuskind in Flandern.
Meine Mutter liest uns die Odyssee vor, und wir zeichnen die Götter, Helden und Ungeheuer. Scylla ist mein Lieblingsmonster, und ich stelle es mir braun gefleckt vor, wie eine fette Kröte, obwohl meine Mutter es grün haben will, wie einen Drachen. Ich zeichne Scylla,
wie sie sich über das Schiff des Odysseus beugt und zwei Matrosen vom Deck pflückt und zu sich heraufhebt, um sie zu fressen. Ich mag auch Polyphem, den einäugigen Zyklopen, und ich nehme es Odysseus übel, dass er ihn überlistet und blendet. Heimlich graut mir besonders vor dem Hades, der Totenwelt, in der Odysseus seine Mutter besucht und sie mit der Grube voll Blut anlockt, aus der er alle Toten trinken lässt. Auch seine Mutter trinkt das Blut.
Ich zeichne das immer wieder. Die Si renen, die so wunderbar singen und damit Seeleute an ihren Strand locken, um sie aufzufressen, zeichne ich als nackte behaarte Frauen, mit Messern und gezückten Gabeln. Um ihnen etwas von ihrer Macht zu nehmen, gebe ich ihnen lächerliche Namen: Furzi, Wurschti, Rülpsi, und Pipi.
Ich mache kleine Figuren aus Ästchen, Eicheln und Hagebutten und spiele die Geschichten der Odyssee nach. Ich denke mir kleine Theaterstücke aus und diktiere sie meiner Mutter.
Die Tiere, die darin vorkommen, mache ich aus Blumen. Meine Bühne ist die erste Stufe der Treppe. Keiner darf zuschauen.
Meine Schwester geht zur Schule ins Tal. Ich verbringe viele Stunden allein im Lärchenwald, suche nach Zwergen und Kobolden und sammle Tannenzapfen für unseren
Küchenherd. Sie knallen, wenn sie brennen, und glühen wunderbar, ein kleines Inferno im Ofenloch. Ich habe Feuersbrünste gesehen im großen Breughelbuch. Ich schaue am liebsten die Bilder an, auf denen ganze Geschwader von Skeletten mit Waffen und riesigen Bränden die Erde verwüsten, wimmelnde Knochenmänner, mit Schwertern und Schilden bewaffnet, die sich in Scharen um die vor Angst schreienden Menschen klumpen und sie wegzerren. Jedes Mal aufs Neue genieße ich den Schauder, wenn ich die Seite mit den Gerippen aufschlage. Ich zeichne aber am liebsten die Kindergruppen aus den Kinderspielen ab und die seltsamen Szenen aus den Sprichwörtern. »Die beste Grietje, die man fand, war die, die den Teufel aufs Kissen band.« Ich zeichne die Engel aus dem Botticelli-Buch,
den Verkündigungsengel im kirschroten Messgewand, die schön gelockten Sänger und Musikanten, die jungen Männer, die Lilien in den Händen halten und mit so ruhigen Augen auf das goldene Kind blicken. Bei Velasquez zeichne ich immer wieder die Zwerge mit ihren traurigen Gesichtern. Meine Schwester und ich schwärmen für die Infantinnen in ihren ausladenden Reifröcken und den starren gelockten Haarhelmen, in denen Schleifen und Perlen befestigt sind. Wir spielen, dass wir zwei Prinzessinnen sind, und laufen vorsichtig durch die Wiesen, um unsere großen Röcke nicht nass zu machen im Tau. Wir schreiben Gedichte für unsere Mutter, und sie macht kleine Hefte daraus, mit Zeichnungen versehen und mit Nadel und Faden am Rücken zusammengenäht. Meine Schwester dichtet viel besser als ich und ärgert sich, wenn ich sie nachmache. Sie ist in allem besser als ich, aber ...
© Berlin Verlag
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Autoren-Porträt von Keto Von Waberer
Keto von Waberer, geboren in Augsburg, verbrachte ihre frühe Kindheit in Alpbach, Tirol, studierte Architektur in München und Mexiko. Seit 1998 hat sie einen Lehrauftrag für Creative Writing an der Hochschule für Film und Fernsehen, München. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2011 erhielt sie den Münchner Literaturpreis. Keto von Waberer lebt heute als freie Schriftstellerin in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Keto Von Waberer
- 2011, 221 Seiten, Maße: 13,1 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827009952
- ISBN-13: 9783827009951
- Erscheinungsdatum: 26.02.2011
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