Später, Baby
Sie kann nicht kochen. Sie interessiert sich nicht wirklich für Geld und greift, wenn es sein muss, zu schlechten Notlügen. Nach einer Blitzkarriere als Modekolumnistin sitzt Betty auf der Straße. Sie sollte ihr Leben überdenken. Ihrer Tochter Cosima ein...
Sie kann nicht kochen. Sie interessiert sich nicht wirklich für Geld und greift, wenn es sein muss, zu schlechten Notlügen. Nach einer Blitzkarriere als Modekolumnistin sitzt Betty auf der Straße. Sie sollte ihr Leben überdenken. Ihrer Tochter Cosima ein Zuhause bieten. Artus zum Teufel jagen. Aber doch nicht sofort.
"So klug kann Glamour sein! Ein wunderbarer Roman!"
Welt am Sonntag
"Ein flotter, weltläufiger Roman voller zerknirschtem Witz!" Frankfurter Neue Presse
"So klug kann Glamour sein! Ein wunderbarer Roman!" Welt am Sonntag
Später, Baby von Kristin Rübesamen
LESEPROBE
ObwohlBetty sich alle Mühe gab, einen makellosen Auftritt hinzulegen, machte sieeinen Fehler. Dass sie genau in dem Augenblick Hasi von Feuerbach auf dem Klo überraschte,als diese sich unter lautem Stöhnen in die Kloschüssel erbrach, war eineTodsünde. »Geht es Ihnen gut?«, fragte sie irritiert und schaute auf einkleines Plastikschild, das von dem engen Cashmerejäckchen herunterbaumelte. Aufdem Schild stand gut lesbar »Lavare a mano« und Betty hätte wetten können, dassdie Feuerbach, die kein Italienisch konnte, das Schild für einen lustigenEinfall hielt. Erst der hasserfüllte Blick der Feuerbach, die sich hastig zweiPfefferminz aus einem kleinen Silberdöschen in den Mund warf, bevor sie die Türhinter sich zuschlug, brachte ihr schlagartig die Gerüchte in Erinnerung. Hämischzugeflüsterte Geschichten über die Gewohnheit der Feuerbach, nach jedem Bissenmit hektischem Schritt auf der Damentoilette zu verschwinden. Gerüchte, diezusammen mit ihrer Kleidergröße 34 keinen Zweifel daran ließen, dass dieChefredakteurin von Queen, Deutschlands bedeutendstem Modemagazin, dereigenen zügig verwelkenden Schönheit zuliebe regelmäßig kotzte. Der Abend hattegleich komisch angefangen. »Nach was riechst du denn?«, fragte eine derBeautyredakteurinnen Betty statt einer Begrüßung. »Maiglöckchen «, antworteteBetty freundlich. »Ne, ich glaube, das ist dein Zimtkaugummi«, und weg war sie.Da stand sie mit ihrer Packung Trident Cinnamon Flavour in der Tasche. Umringtvon Menschen, die sich an ihr vorbeidrängelten, um sich gegenseitig um den Halszu fallen. Seit sie viel in Amerika unterwegs und nur noch selten in München inder Redaktion war, musste Betty zusammen mit dem Jetlag auch noch die Missgunstder Kolleginnen ertragen, die ihr Büro nur verließen, um sich mittags einenSalat zu teilen. Sie sehnte sich nach New York zurück, wo sie gerade nochletztes Wochenende mit ihrer Freundin Sally so heftig in einer Salsabar im EastVillage getanzt hatte, dass Sallys Kleid genau über dem Hintern aufgeplatzt warund sie beide vor Lachen fast in die Hose gemacht hatten. Sie kämpfte sichdurch zur Bar, nahm ein Glas Bowle und wurde von einem schwulenSchlussredakteur angesprochen, der ihr seinen Freund vorstellte: »Das ist meinGatte.« Er blinzelte erwartungsvoll. Von ihr wurde offensichtlich erwartet,nachzufragen, und mit Sicherheit wäre dann die lange, immer wieder begeisterterzählte Geschichte über ihre Schwulenhochzeit und die unerbittlich geführtenSiegeszüge gegen den deutschen Beamtenstand gefolgt. Aber sie fragte nicht, undder Schlussredakteur guckte enttäuscht. Er und sein Gatte boten dasselbe Bildwie jedes andere verheiratete Paar: desolat beziehungsweise gemütlich. Jenachdem, wie man es sah. Das Rauchen hatten sie längst aufgegeben. Sie standen damit rosig geschrubbten Gesichtern, nur ihre Ellenbogen berührten sich - sogarein leichter Bauch zeichnete sich schon ab unter dem auffallend feinen Stoffihrer Hemden. Schon lange mussten sie niemanden mehr von ihrer Seriösitätüberzeugen. Ahnten sie, dass sie langweilig waren? Betty sehnte sich nachWalter Sedlmayr und ein paar ordentlichen Lederschwulen. Sie drängte sich wegvon der Bar, vorbei an einer Frau, die ihr drohend hinterherrief: »Aber heutemüssen wir uns wirklich mal unterhalten.« Vorbei an Männern in Anzügen, die,während sie Zahlen austauschten, wie auf einem Kindergeburtstag mit Strohhalmenaus ihren Bowlengläsern tranken und über den Gläserrand hinweg den Frauen aufden Hintern starrten. Vorbei an den Sekretärinnen, die sich wie immer am bestenamüsierten. Bis sie Artus in die Arme lief. Artus, der sie vor vielen Jahreneingestellt hatte als Volontärin, der sie mit einem spöttischen, aber nicht unfreundlichenLächeln angeschaut hatte, während sie ihm mit zunehmender Verwirrung ihreTheorien über Kommunikation und Mode vorgetragen hatte, ihrer eigenen Stimmezuhörte, während ihr Kopf in rasender Geschwindigkeit leer wurde und sich mitheißer Luft anfüllte. Dass etwas tatsächlich Theorie wurde, sobald man es nurso nannte, hatte sie von einem schmächtigen Engländer gelernt. Sie unterhieltensich nach einer Party in einer alten Fabrik, nicht ganz freiwillig auf einerTreppe sitzend, bis ihre Freundin und sein Freund sich voneinanderverabschiedet hatten. Sie taten beide so, als sei es von großer Bedeutung,gerade jetzt, während es hinter den alten Fabrikgebäuden schon anfing, hell zuwerden, über Faschismus (what else), Mode und Ästhetik, letztendlich also über ästhetischenFaschismus zu reden, während in ihrem Rücken beunruhigende Stille herrschte,unterbrochen höchstens durch ein Kichern, ein paar unterdrückte Worte. Jedes Mal,wenn sie sich umdrehten und ihre Freunde noch tiefer ineinander verschlungensahen, wurde es schwieriger, mit einem amüsierten Schulterzucken zurück zuihrer Diskussion zu finden. Er schrieb für irgendeine Zeitschrift, sie machtegerade ihr Abitur und ahnte, dass sie sich in ihrem Leben eindeutig für diePraxis statt für die Theorie entscheiden würde. Allerdings verstand sie auchnur die Hälfte von dem, was er sagte. Trotzdem gab sie ordentlich an, damals inder Leopoldstraße in Schwabing, bis Artus sie fragte, ob sie nicht doch lieberstudieren wolle. Artus, groß und schlank, die dunklen Haare gerade sodurcheinander gefallen, dass Betty jedes Mal den Drang verspürte, sie ihm ausder Stirn zu streichen, sah aus, wie sich verheiratete Frauen einen Bankräubererträumen. Geboren in Bulgarien, aufgewachsen in London, hatte er etwasHalbseidenes an sich, das sich nur Abgänger wirklich guter Schulen leistenkönnen. Er trug scharf geschnittene, dunkle Anzügen, als käme er gerade aus demSpielkasino. Nur einmal hatte sie ihn in Jeans und Unterhemd gesehen. Damals,als Wasser in den Keller des Verlagsgebäudes gelaufen war und sie alle mitEimern versucht hatten, das Archiv zu retten. Da zeigten sich seineüberraschend gespannten Trizeps, seine Hosen rutschten ihm leicht von derHüfte, und von Bettys Bauch aus begannen sich warme Wellen auszubreiten. MancheDinge sind einfach, und auch, wenn Betty sich für diesen Levi s-Moment einbisschen schämte, musste sie immer wieder hinschauen, wie Artus schwitzend und pfeifendden Dreck aus dem Fenster schaufelte. Irgendwann stieß er sie an und zeigtegrinsend auf die Artdirektorin, die gerade ihren dicken Busen in den BH zurückstopfte, bevor sie sich wiedertief über eine Pfütze beugte. Dass er kurz danach mit dem Double-D-Cup, wie sievon ihnen genannt wurde, eine Affäre anfing, hatte Betty erst später erfahren,obwohl er weder aus dieser noch aus den vielen anderen Bürogeschichten eingroßes Geheimnis machte.
(...)
© Diana Verlag
- Autor: Kristin Rübesamen
- 2006, 286 Seiten, Maße: 12 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351177
- ISBN-13: 9783453351172
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