Verdammt zum Glück
Der Fluch der Moderne. Ein Essay
"Seid glücklich! Gibt es, so liebenswürdig dieser Satz klingt, einen paradoxeren, schrecklicheren Befehl? Wie soll man wissen, ob man glücklich ist? Wer legt die Norm fest? Warum muß man es sein, weshalb wird die Empfehlung zu einem Befehl? Und was soll man...
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Klappentext zu „Verdammt zum Glück “
"Seid glücklich! Gibt es, so liebenswürdig dieser Satz klingt, einen paradoxeren, schrecklicheren Befehl? Wie soll man wissen, ob man glücklich ist? Wer legt die Norm fest? Warum muß man es sein, weshalb wird die Empfehlung zu einem Befehl? Und was soll man denen antworten, die kläglich eingestehen: Ich schaffe es nicht?"Das Glück, unsere uralte Sehnsucht, ist zum Werbeslogan verkommen und das Glücklichsein zum gesellschaftlichen Pflichtprogramm geworden. Ein Leben lang jagt der moderne Mensch ihmnach, wohl wissend, daß seine Nichterfüllung einem persönlichen Scheitern gleichkommt. Wie aber konnte eine so große Idee der Aufklärung sich in ein Dogma, in einen für alle verbindlichen Katechismus verwandeln?
Pascal Bruckner schrieb mit dieser brillanten Beobachtung der Welt, in der wir leben, das Gegenstück zu seinem vielbeachteten Essay "Ich leide, also bin ich".
Lese-Probe zu „Verdammt zum Glück “
1738 schreibt der junge Mirabeau einen Brief an seinen Freund Vauvenargues, in dem er ihm vorwirft, in den Tag hinein zu leben und sich keinen Glücksplan aufzustellen: "Nun, mein Lieber, Sie denken unaufhörlich nach, Sie studieren, nichts übersteigt Ihren geistigen Horizont, und Sie denken keine Sekunde daran, sich einen festen Plan für das auszuarbeiten, was unser einziges Ziel sein muß: das Glück." Und Mirabeau zählt seinem skeptischen Freund die Grundsätze seines Handelns auf: sich von Vorurteilen frei machen, lieber fröhlich sein als launisch, seinen Neigungen folgen und diese zugleich läutern.1 Man mag über diesen jugendlichen Enthusiasmus lachen. Als Kind einer Zeit, die den Menschen neu erfinden und den Pesthauch des Ancien Régime verjagen wollte, sorgt Mirabeau sich um seine Glückseligkeit wie andere vor ihm um ihr Seelenheil.Haben wir uns seitdem so sehr verändert? Stellen wir uns die Mirabeaus von heute vor: junge Männer und Frauen aus allen Schichten, mit allen möglichen Ansichten, die dar auf brennen, ein neues Zeitalter zu eröffnen und einen Schlußstrich unter die Trümmer eines entsetzlichen 20. Jahrhunderts zu ziehen. Sie stürzen sich ins Leben, gierig danach, ihre Rechte auszuüben und vor allem ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, überzeugt, daß jedem von ihnen bestimmt ist, sich zu verwirklichen. Von Kindesbeinen an ist ihnen gesagt worden: Seid glücklich, denn man hat heutzutage keine Kinder mehr, um ihnen Werte oder ein geistiges Erbe zu vermitteln, sondern um die Zahl der Freudestrahlenden auf Erden zu mehren.
Seid glücklich! Gibt es, so liebenswürdig dieser Satz klingt, einen paradoxeren, schrecklicheren Befehl? Er drückt ein Gebot aus, dem man sich um so schwerer entziehen kann, als es kein rechtes Ziel hat. Wie soll man wissen, ob man glücklich ist? Wer legt die Norm fest? Warum muß man es sein, weshalb wird die Empfehlung zu einem Befehl? Und was soll man denen antworten, die kläglich eingestehen: "Ich schaffe es
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nicht"?
Kurz, dieses Privileg wird unseren jungen Leuten schnell zur Last: Wenn sie merken, daß sie für ihre Niederlagen und Erfolge allein verantwortlich sind, stellen sie fest, daß das so herbeigesehnte Glück sie genauso beharrlich flieht, wie sie es verfolgen. Wie alle anderen träumen sie von jener wunderbaren Synthese, die Erfolg im Beruf, in der Liebe, gesellschaftliche Anerkennung und Familienglück miteinander verbindet und quasi zur Belohnung jeden dieser Bereiche mit vollkommener Zufriedenheit abrundet. Als müsse die von der Moderne verheißene Selbstbefreiung vom Glück gekrönt sein wie von einem Diadem, das den gesamten Vorgang adelt. Doch diese Synthese rückt in immer weitere Ferne, je mehr die jungen Menschen an ihr arbeiten. Und sie erleben das Glücksversprechen nicht mehr als frohe Botschaft, sondern als Schuld gegenüber einer gesichtslosen Gottheit, die sie niemals begleichen können. Die tausend angekündigten Wunder treten tröpfchenweise und ungeordnet ein und machen das Streben danach nur noch erbitterter, die Last nur noch schwerer. Man ärgert sich über sich selbst, weil man dem angelegten Maßstab nicht entspricht, von der Norm abweicht. Mirabeau konnte noch träumen und Luftschlösser bauen. Fast drei Jahrhunderte später hat sich das leicht überspannte Ideal eines Aristokraten der Aufklärung in eine Strafe verwandelt. Wir haben heute alle Rechte außer dem einen, unglücklich zu sein.
Es gibt nichts Vageres als die Vorstellung von Glück, diesem alten, prostituierten, mißbrauchten Wort, das so vergiftet ist, daß man es aus der Sprache verbannen möchte. Bis in die Antike reicht die Geschichte seiner widersprüchlichen und wechselnden Bedeutungen: Schon Augustinus zählte zu seiner Zeit nicht weniger als 289 verschiedene Definitionen des Begriffs auf. Das 18. Jahrhundert widmete ihm an die fünfzig Abhandlungen, und wir selbst projizieren immer wieder auf vergangene Epochen oder andere Kulturen eine Vorstellung und eine fixe Idee, die in Wirklichkeit nur auf unsere eigene zutrifft. Es liegt in der Natur des Begriffs, rätselhaft zu sein, ein Quell ständiger Dispute, wie Wasser, das in alle Formen fließen kann und das doch keine Form wirklich faßt. Es gibt ein Glück der Tat wie der Kontemplation, der Seele wie der Sinne, des Reichtums wie der Armut, der Tugend wie des Verbrechens. Die Theorien des Glücks, sagt Diderot, erzählen immer nur die Geschichten ihrer Begründer. Aber uns interessiert hier eine andere Geschichte: die vom Streben nach Glück als einer Leidenschaft, wie sie das Abendland seit der Französischen und der amerikanischen Revolution erfüllt.
Der Plan, glücklich zu sein, stößt auf drei Paradoxa. Er richtet sich auf ein Ziel, das derart verschwommen ist, daß es vor lauter Ungenauigkeit einschüchternd wirkt. Das Glück mündet in Langeweile oder Apathie, sobald es eintritt (wonach das ideale Glück also eines wäre, das sich immer erfüllt und immer wieder erneuert und so der doppelten Falle der Frustration und der Übersättigung entgeht). Und schließlich macht das Glück einen solchen Bogen um das Leiden, daß es ihm wehrlos gegenübersteht, sobald dieses auftaucht.
Im ersten Fall ist es gerade die Abstraktheit des Glücks, die seine Faszination und die mit ihm verbundene Angst erklärt. Nicht nur sind wir mißtrauisch gegenüber Fertigparadiesen, sondern wir sind auch niemals sicher, wirklich glücklich zu sein. Und schon wenn wir daran zweifeln, sind wir es nicht mehr. Deshalb ist das Schwärmen von diesem Zustand auch an zwei Haltungen gebunden, den Konformismus und den Neid - die beiden miteinander einhergehenden Krankheiten unserer demokratischen Kultur: sich einerseits an den Vergnügungen der Mehrheit zu orientieren und andererseits nach den Auserwählten zu schielen, die das Glück zu bevorzugen scheint.
Im zweiten Fall geht der Wille zum Glück in seiner weltlichen Form in Europa mit dem Aufkommen der Banalität einher, dieser neuen irdischen Herrschaft, die mit Beginn der Moderne einsetzt: Es triumphiert das profane Leben, von dem nach dem Rückzug Gottes nur die prosaische Seite übrigbleibt. Die Banalität oder der Sieg der bürgerlichen Ordnung: Mittelmäßigkeit, Geistlosigkeit, Gewöhnlichkeit.
Im dritten schließlich verschiebt ein solches Ziel, das den Schmerz eigentlich beseitigen soll, ihn ungewollt ins Zentrum des Systems. Der Mensch von heute leidet darunter, daß er nicht mehr leiden will, genau wie man krank darüber werden kann, ständig der perfekten Gesundheit nachzujagen. Unsere Zeit erzählt im übrigen eine seltsame Geschichte: die einer ganzen Gesellschaft, die sich dem Hedonismus verschrieben hat und für die alles zur Last und zur Qual wird. Das Unglück ist nicht allein Unglück: es bedeutet, schlimmer noch, das Scheitern des Glücks.
Unter der Verpflichtung zum Glück verstehe ich also die Ideologie der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, die dazu anhält, alles unter dem Aspekt entweder des Vergnügens oder der Unannehmlichkeit zu sehen, verstehe ich die Tatsache, daß eine allgemeine Euphorie dekretiert wird und diejenigen, die das Glück nicht abonniert haben, in die Scham und ins Unglück verstoßen werden. Ein doppeltes Postulat: Man soll einerseits das Beste aus seinem Leben machen und sich andererseits grämen und bestrafen, wenn man das nicht schafft. So wird noch die schönste aller Vorstellungen pervertiert: die jedem gegebene Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sein Leben zu verbessern. Wie aber konnte ein emanzipatorischer Wahlspruch der Aufklärung, das Recht auf Glück, sich in ein Dogma, in einen für alle verbindlichen Katechismus verwandeln? Dieses Abenteuer wollen wir versuchen nachzuzeichnen.
So zahlreich sind die Bedeutungen unseres höchsten Gutes, daß wir es auf einige allgemeingültige Ideale festlegen: Gesundheit, Reichtum, körperliche Fitneß, Komfort, Wohl befinden, so wie Talismane, die das Glück anziehen sollten wie ein Köder die Beute. Die Mittel, um dahin zu gelangen, werden zum Ziel und erweisen sich als unzulänglich, sobald die angestrebte Verzückung sich nicht einstellt. So daß wir uns oft, o schmerzlicher Irrtum, durch genau die Schritte vom Glück entfernen, mit denen wir es erreichen wollten. Daher die häufigen Mißverständnisse, was dieses Thema angeht: daß man das Glück einfordern könne wie etwas, das einem zusteht, es wie ein Schulfach erlernen oder wie ein Haus erbauen müsse; daß man es kauft, daß es sich "auszahlt", daß andere es schließlich aus verläßlicher Quelle besitzen und man sie nur nachzuahmen braucht, um in der gleichen Aura zu baden wie sie.
Entgegen einem Klischee, das seit Aristoteles unaufhörlich wiederholt wird - doch hatte bei ihm der Begriff eine andere Bedeutung -, stimmt es nicht, daß wir alle das Glück suchen, jenen abendländischen, historisch datierten Wert. Es gibt noch andere Werte - Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freundschaft, die den Vorrang vor dem Glück beanspruchen könnten. Und wie kann man wissen, was alle Menschen seit Urzeiten suchen, ohne auf billige Gemeinplätze zu verfallen? Es geht nicht darum, gegen das Glück zu sein, sondern gegen die Verwandlung dieses zerbrechlichen Gefühls in ein kollektives Rauschgift, dessen chemischen, geistigen, psychologischen, informatischen und religiösen Varianten sich ein jeder hingeben soll. Alle, selbst die ausgefeiltesten Wissenschaften und Gedankengebäude müssen ihre Ohnmacht eingestehen, die Glückseligkeit der Völker oder der Individuen zu garantieren. Jedesmal, wenn das Glück uns flüchtig streift, erscheint es uns wie eine Gunst, eine Gnade, nicht wie das Ergebnis einer Berechnung oder die Folge eines besonderen Verhaltens. Die Wohl taten dieser Welt, einen glücklichen Zufall, Freuden und ein wohlmeinendes Schicksal erfährt man vielleicht eher, wenn man den Traum von der vollkommenen Seligkeit aufgegeben hat.
Und so möchte man dem jungen Mirabeau antworten: Ich liebe das Leben zu sehr, um nur glücklich sein zu wollen!
Kurz, dieses Privileg wird unseren jungen Leuten schnell zur Last: Wenn sie merken, daß sie für ihre Niederlagen und Erfolge allein verantwortlich sind, stellen sie fest, daß das so herbeigesehnte Glück sie genauso beharrlich flieht, wie sie es verfolgen. Wie alle anderen träumen sie von jener wunderbaren Synthese, die Erfolg im Beruf, in der Liebe, gesellschaftliche Anerkennung und Familienglück miteinander verbindet und quasi zur Belohnung jeden dieser Bereiche mit vollkommener Zufriedenheit abrundet. Als müsse die von der Moderne verheißene Selbstbefreiung vom Glück gekrönt sein wie von einem Diadem, das den gesamten Vorgang adelt. Doch diese Synthese rückt in immer weitere Ferne, je mehr die jungen Menschen an ihr arbeiten. Und sie erleben das Glücksversprechen nicht mehr als frohe Botschaft, sondern als Schuld gegenüber einer gesichtslosen Gottheit, die sie niemals begleichen können. Die tausend angekündigten Wunder treten tröpfchenweise und ungeordnet ein und machen das Streben danach nur noch erbitterter, die Last nur noch schwerer. Man ärgert sich über sich selbst, weil man dem angelegten Maßstab nicht entspricht, von der Norm abweicht. Mirabeau konnte noch träumen und Luftschlösser bauen. Fast drei Jahrhunderte später hat sich das leicht überspannte Ideal eines Aristokraten der Aufklärung in eine Strafe verwandelt. Wir haben heute alle Rechte außer dem einen, unglücklich zu sein.
Es gibt nichts Vageres als die Vorstellung von Glück, diesem alten, prostituierten, mißbrauchten Wort, das so vergiftet ist, daß man es aus der Sprache verbannen möchte. Bis in die Antike reicht die Geschichte seiner widersprüchlichen und wechselnden Bedeutungen: Schon Augustinus zählte zu seiner Zeit nicht weniger als 289 verschiedene Definitionen des Begriffs auf. Das 18. Jahrhundert widmete ihm an die fünfzig Abhandlungen, und wir selbst projizieren immer wieder auf vergangene Epochen oder andere Kulturen eine Vorstellung und eine fixe Idee, die in Wirklichkeit nur auf unsere eigene zutrifft. Es liegt in der Natur des Begriffs, rätselhaft zu sein, ein Quell ständiger Dispute, wie Wasser, das in alle Formen fließen kann und das doch keine Form wirklich faßt. Es gibt ein Glück der Tat wie der Kontemplation, der Seele wie der Sinne, des Reichtums wie der Armut, der Tugend wie des Verbrechens. Die Theorien des Glücks, sagt Diderot, erzählen immer nur die Geschichten ihrer Begründer. Aber uns interessiert hier eine andere Geschichte: die vom Streben nach Glück als einer Leidenschaft, wie sie das Abendland seit der Französischen und der amerikanischen Revolution erfüllt.
Der Plan, glücklich zu sein, stößt auf drei Paradoxa. Er richtet sich auf ein Ziel, das derart verschwommen ist, daß es vor lauter Ungenauigkeit einschüchternd wirkt. Das Glück mündet in Langeweile oder Apathie, sobald es eintritt (wonach das ideale Glück also eines wäre, das sich immer erfüllt und immer wieder erneuert und so der doppelten Falle der Frustration und der Übersättigung entgeht). Und schließlich macht das Glück einen solchen Bogen um das Leiden, daß es ihm wehrlos gegenübersteht, sobald dieses auftaucht.
Im ersten Fall ist es gerade die Abstraktheit des Glücks, die seine Faszination und die mit ihm verbundene Angst erklärt. Nicht nur sind wir mißtrauisch gegenüber Fertigparadiesen, sondern wir sind auch niemals sicher, wirklich glücklich zu sein. Und schon wenn wir daran zweifeln, sind wir es nicht mehr. Deshalb ist das Schwärmen von diesem Zustand auch an zwei Haltungen gebunden, den Konformismus und den Neid - die beiden miteinander einhergehenden Krankheiten unserer demokratischen Kultur: sich einerseits an den Vergnügungen der Mehrheit zu orientieren und andererseits nach den Auserwählten zu schielen, die das Glück zu bevorzugen scheint.
Im zweiten Fall geht der Wille zum Glück in seiner weltlichen Form in Europa mit dem Aufkommen der Banalität einher, dieser neuen irdischen Herrschaft, die mit Beginn der Moderne einsetzt: Es triumphiert das profane Leben, von dem nach dem Rückzug Gottes nur die prosaische Seite übrigbleibt. Die Banalität oder der Sieg der bürgerlichen Ordnung: Mittelmäßigkeit, Geistlosigkeit, Gewöhnlichkeit.
Im dritten schließlich verschiebt ein solches Ziel, das den Schmerz eigentlich beseitigen soll, ihn ungewollt ins Zentrum des Systems. Der Mensch von heute leidet darunter, daß er nicht mehr leiden will, genau wie man krank darüber werden kann, ständig der perfekten Gesundheit nachzujagen. Unsere Zeit erzählt im übrigen eine seltsame Geschichte: die einer ganzen Gesellschaft, die sich dem Hedonismus verschrieben hat und für die alles zur Last und zur Qual wird. Das Unglück ist nicht allein Unglück: es bedeutet, schlimmer noch, das Scheitern des Glücks.
Unter der Verpflichtung zum Glück verstehe ich also die Ideologie der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, die dazu anhält, alles unter dem Aspekt entweder des Vergnügens oder der Unannehmlichkeit zu sehen, verstehe ich die Tatsache, daß eine allgemeine Euphorie dekretiert wird und diejenigen, die das Glück nicht abonniert haben, in die Scham und ins Unglück verstoßen werden. Ein doppeltes Postulat: Man soll einerseits das Beste aus seinem Leben machen und sich andererseits grämen und bestrafen, wenn man das nicht schafft. So wird noch die schönste aller Vorstellungen pervertiert: die jedem gegebene Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sein Leben zu verbessern. Wie aber konnte ein emanzipatorischer Wahlspruch der Aufklärung, das Recht auf Glück, sich in ein Dogma, in einen für alle verbindlichen Katechismus verwandeln? Dieses Abenteuer wollen wir versuchen nachzuzeichnen.
So zahlreich sind die Bedeutungen unseres höchsten Gutes, daß wir es auf einige allgemeingültige Ideale festlegen: Gesundheit, Reichtum, körperliche Fitneß, Komfort, Wohl befinden, so wie Talismane, die das Glück anziehen sollten wie ein Köder die Beute. Die Mittel, um dahin zu gelangen, werden zum Ziel und erweisen sich als unzulänglich, sobald die angestrebte Verzückung sich nicht einstellt. So daß wir uns oft, o schmerzlicher Irrtum, durch genau die Schritte vom Glück entfernen, mit denen wir es erreichen wollten. Daher die häufigen Mißverständnisse, was dieses Thema angeht: daß man das Glück einfordern könne wie etwas, das einem zusteht, es wie ein Schulfach erlernen oder wie ein Haus erbauen müsse; daß man es kauft, daß es sich "auszahlt", daß andere es schließlich aus verläßlicher Quelle besitzen und man sie nur nachzuahmen braucht, um in der gleichen Aura zu baden wie sie.
Entgegen einem Klischee, das seit Aristoteles unaufhörlich wiederholt wird - doch hatte bei ihm der Begriff eine andere Bedeutung -, stimmt es nicht, daß wir alle das Glück suchen, jenen abendländischen, historisch datierten Wert. Es gibt noch andere Werte - Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freundschaft, die den Vorrang vor dem Glück beanspruchen könnten. Und wie kann man wissen, was alle Menschen seit Urzeiten suchen, ohne auf billige Gemeinplätze zu verfallen? Es geht nicht darum, gegen das Glück zu sein, sondern gegen die Verwandlung dieses zerbrechlichen Gefühls in ein kollektives Rauschgift, dessen chemischen, geistigen, psychologischen, informatischen und religiösen Varianten sich ein jeder hingeben soll. Alle, selbst die ausgefeiltesten Wissenschaften und Gedankengebäude müssen ihre Ohnmacht eingestehen, die Glückseligkeit der Völker oder der Individuen zu garantieren. Jedesmal, wenn das Glück uns flüchtig streift, erscheint es uns wie eine Gunst, eine Gnade, nicht wie das Ergebnis einer Berechnung oder die Folge eines besonderen Verhaltens. Die Wohl taten dieser Welt, einen glücklichen Zufall, Freuden und ein wohlmeinendes Schicksal erfährt man vielleicht eher, wenn man den Traum von der vollkommenen Seligkeit aufgegeben hat.
Und so möchte man dem jungen Mirabeau antworten: Ich liebe das Leben zu sehr, um nur glücklich sein zu wollen!
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Inhaltsverzeichnis zu „Verdammt zum Glück “
InhaltEinleitung:
Die unsichtbare Buße 7
Erster Teil:
Das Paradies ist da, wo ich bin 15
Erstes Kapitel:
Das Leben ein Traum, eine Lüge 17
Ein Christ ist ein Mensch aus der anderen Welt 17
Geliebtes Leid 28
Zweites Kapitel:
Das Goldene Zeitalter - und danach? 37
Eine wundervolle Verheißung 37
Die Ambivalenz des Gartens Eden 41
Die Beharrlichkeit des Schmerzes 45
Drittes Kapitel:
Die Disziplinen der Glückseligkeit 50
Glückseligkeit durch Willenskraft 52
Ein barmherziger Zwang 59
Gesundheit, Sexualität, Angst 62
Abschied von der Sorglosigkeit 66
Der Kreuzesweg der Euphorie 72
Zweiter Teil:
Das Reich des Lauen oder Die Erfindung der Banalität 81
Viertes Kapitel:
Das bittersüße Epos des grauen Alltags 83
Erlösung und Bürde 84
Rasende Trägheit 90
Fünftes Kapitel: Die Extremisten der Routine 99
Die Märtyrer des Faden 99
Der Herrscher über die Leere 102
Die Passion Wetterbericht 108
Die Abenteuer des kranken Körpers 114
Sechstes Kapitel:
Das wahre Leben ist nicht abwesend 123
Die verpaßte Verabredung mit dem Schicksal 123
Das Gift des Neids 128
Die Mystik der Höhepunkte 133
Gartenarbeit oder Radikalität? 137
Die göttliche Unvernunft 141
Dritter Teil:
Die Bourgeoisie oder Die Schande des Wohlstands 149
Siebentes Kapitel:
Diese fette gedeihliche Zucht des Mittelmäßigen,
Normalen, Durchschnittlichen 151
Mönch oder Soldat 151
Krieg - warum nicht? Das wäre doch lustig! 156
Ein bitterer Triumph 161
Achtes Kapitel:
Des einen Glück ist des andern Kitsch 170
Ein bodenloser Abgrund 170
Die Strategien des Usurpators 172
Für einen heilbringenden Kitsch 177
Neuntes Kapitel:
Wenn Geld nicht glücklich macht, dann gebt es doch
zurück! 185
Sind die Reichen das Vorbild des Glücks? 185
Das Ratsame und das Verabscheuungswürdige 192
Virtualität ohne Grenzen 194
Eine neue Moral der Enthaltsamkeit? 197
Vierter
... mehr
Teil:
Ist das Unglück vogelfrei? 205
Zehntes Kapitel: Das Verbrechen zu leiden 207
Die Ausbreitung des Abfalls 208
Zu einer neuen Kultur des Leidens? 216
Leiden verbindet 219
Opfer oder Pioniere 225
Winzige Revolutionen 227
Elftes Kapitel: Die unmögliche Weisheit 232
Kann man den Umgang mit dem Schmerz erlernen? 232
Die großartigen Gemarterten 238
Vorübergehende Waffenstillstände 244
Schluß:
Das Croissant von Madame Verdurin 255
Einschübe
Über die Floskel: "Wie geht's?" 25
Genüsse sind nicht widerlegbar 58
Die ewigen Pechvögel 71
Die Verklärung der Routine 88
Die Utopie des fun 106
Ein köstliches Grausen 119
Die Zwänge des Kalenders 138
Die beiden Formen des Feierns 144
Der schale Geschmack erhörter Gebete 166
Ein Glücksgen? 174
Ein ganzes, gründlich verfehltes Leben 182
Fitzgerald oder Das Heil durch die Reichen 190
Auch Sterne gehen unter 200
Ärzte und Patienten 220
Liebe ist nicht Mitleid 228
Ein Erfolg des Buddhismus im Westen? 249
Ist das Unglück vogelfrei? 205
Zehntes Kapitel: Das Verbrechen zu leiden 207
Die Ausbreitung des Abfalls 208
Zu einer neuen Kultur des Leidens? 216
Leiden verbindet 219
Opfer oder Pioniere 225
Winzige Revolutionen 227
Elftes Kapitel: Die unmögliche Weisheit 232
Kann man den Umgang mit dem Schmerz erlernen? 232
Die großartigen Gemarterten 238
Vorübergehende Waffenstillstände 244
Schluß:
Das Croissant von Madame Verdurin 255
Einschübe
Über die Floskel: "Wie geht's?" 25
Genüsse sind nicht widerlegbar 58
Die ewigen Pechvögel 71
Die Verklärung der Routine 88
Die Utopie des fun 106
Ein köstliches Grausen 119
Die Zwänge des Kalenders 138
Die beiden Formen des Feierns 144
Der schale Geschmack erhörter Gebete 166
Ein Glücksgen? 174
Ein ganzes, gründlich verfehltes Leben 182
Fitzgerald oder Das Heil durch die Reichen 190
Auch Sterne gehen unter 200
Ärzte und Patienten 220
Liebe ist nicht Mitleid 228
Ein Erfolg des Buddhismus im Westen? 249
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Autoren-Porträt von Pascal Bruckner
Pscal Bruckner, geboren 1948, ist Romancier und Essayist. International bekannt wurde er mit seinem von Roman Polanski verfilmten Roman "Bitter Moon". Der Roman "Diebe der Schönheit" stand monatelang auf den französischen Bestsellerlisten und wurde mitdem Prix Renaudor ausgezeichnet, dem bedeutendsten französischen Literaturpreis nach dem Goncourt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Pascal Bruckner
- 2001, 266 Seiten, Maße: 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: AUFBAU-VERLAG
- ISBN-10: 3351025181
- ISBN-13: 9783351025182
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