Was dem Herzen gefällt
Ilse Gräfin von Bredow führt uns in ihren schönsten Geschichten zum Thema Liebe Menschen mit ihren Stärken und Schwächen vor.
Was dem Herzen gefällt von Ilse Gräfin von Bredow
LESEPROBE
16
DerBushwalker
Normalerweiseist Omi ja dem totalen Rentnerstress verfallen und flitzt mit ihrem Auto durchdie Lande. Von überallher bekommen wir eine Karte: Florenz, Paris, Madrid.
»EureGroßmutter kuckt wirklich unter jeden Stein.« Mutti betrachtet sich gerührt dieAnsichtskarten. »Soll sie nur ihr Leben genießen. Schwer genug hat sies jagehabt. Gott sei Dank bekommt sie eine ganz anständige Rente. Die Jahre alsLeiterin eines Gästehauses haben sich ausgezahlt.«
TanteHertha schüttelte über die Reiselust ihrer Schwester nur den Kopf. Omi wäreschon als Kind so flatterhaft gewesen. Wenigstens im Alter sollte man sich demDienst am Nächsten widmen. Aber dafür hat Omi eben keine Meinung. Wir könnennur staunen, was sie auf ihren Reisen für Strapazen aushält. Aber wenn wir mitihr durch die Stadt nageln, jammert sie jedesmal: »Kinder, nicht so schnell. MeineKnie, mein Herz!« Doch wenn Mutti mal wegfährt, ist Omi gleich zur Stelle, umauf uns aufzupassen.
DieserAufgabe sehen wir jedesmal mit gemischten Gefühlen entgegen. »Warum muss diearme Omi bei uns einhüten?«, fragt Andrea scheinheilig. »Wir werden auch ganzgut allein fertig. Vielleicht will sie ja gerade wieder nach Australien fahrenoder so.« Dort ist sie nämlich auch schon gewesen und, wie Papi behauptet, »einrichtiger Bushwalker geworden«.
Mutti siehtAndrea an. »Sagtest du, allein fertig? Ich möchte nicht nochmal eine angetauteTiefkühltruhe vorfinden und eine Waschmaschine mit Reißzwecken im Flusensieb.«
Omi istsoweit ganz in Ordnung. Die ersten Tage mit ihr sind zwar echt nervig, weil sievom Aufräumungsfimmel besessen ist. Sogar die Schubladen in der Küche werdenentkrümelt. Sie fegt ächzend Unterwäsche und leere Keksschachteln unter unserenBetten hervor und meckert, dass wir Milch und Obstsäfte in der Packung auf denTisch stellen, anstatt sie in Kännchen umzugießen. Und am Sonntagmorgen sollenwir schon um elf am Frühstückstisch sitzen! Aber nach ein paar Tagen lässt siedie Zügel wieder schleifen und seufzt nur ein bisschen über die viele Wäsche.
Aber dasssie aus Papi wieder den großen Häuptling macht, den wir von vorne bis hintenbedienen sollen, das passt uns nicht. »Bringt mal, tut mal, holt mal was füreuern Vater.« So hetzt sie uns durch die Gegend. »Was möchtest du denn gernessen, Karl Albrecht? Welches Hemd soll ich dir rauslegen? Was für deineDienstreise einpacken?«
Mutti sagt,sie braucht danach mindestens vier Wochen, um Papi wieder zu emanzipieren.Trotzdem sind ihr ab und an ein paar Tage ohne uns diese Arbeit wert. Papigenießt natürlich sein Pascha-Dasein. Deshalb darf Omi auch wie vomSchmetterling gebissen reden. Was er sich bei uns sofort verbittet. »Nun machtmal Feuerpause. Ich hab einen schweren Tag hinter mir.«
Omi erzähltgern von früher. Es beginnt meist damit, dass sie irgend etwas in unseremHaushalt vermisst. »Wo ist eigentlich der Plattenkoffer mit den Holzrädern geblieben,in dem ich damals eure Mutter über die Straßen gezogen habe?«
Doch wirhaben an diesem Koffer, in dem Mutti jetzt Werkzeug verstaut, ebensowenigInteresse wie an dem ausgebeulten Kochtopf, der irgendwo im Keller steht undfrüher ein Stahlhelm gewesen sein soll.
Andrea hörtviel lieber, wie reich unsere Urgroßeltern mal gewesen sind, um damit vor ihrenFreundinnen anzugeben. Und wieviel Personal sie hatten. Omi zählt auf: »EineMademoiselle, eine Nanna, einen Hauslehrer, eine Beschließerin, und von denenhatte jeder wieder ein eigenes Mädchen zur Bedienung! Außerdem eine Köchin,drei weitere Stubenmädchen, einen Diener, einen Dienerjungen und dasKüchenmädchen, das sogenannte fünfte Rad am Wagen.«
»Wenn ich dasin meiner Klasse erzähle, glaubt mir kein Aas«, seufzt Andrea. »Das ist ja wiebei der Königin von England.«
Omi lacht.»Aber dann, aber dann kam die Inflation, und aus wars mit der Herrlichkeit.Das ganze Vermögen nicht mehr wert als ein Schlips. Von da an gabs nur nochErbsensuppe und Sirup. «
»Warum bistdu eigentlich nicht mitgekommen «, fragt Andrea, »als wir mit Onkel Kurt durchSchlesien gefahren sind?«
»Ich willmir nicht mehr an meiner Seele rütteln lassen. Ich hab alles hier drin.« Siedeutet auf ihr Herz. »Jeden Raum, jedes Zimmer, den Park, den Hof, diebröckelige Treppe zum Weinkeller, das Hechtloch im See. Bevor wir weg mussten,habe ich mich vor das abgebrannte Schloss gesetzt und alles in Gedankenabgemalt. Hinterher war der Schmerz weg. Erledigt. Vorbei. «
Andrea haterzählt, der Park wäre wie ein Urwald gewesen. Sie hat sich mit einer jungenPolin angefreundet, der sie nun Pakete schickt, die aber Mutti bezahlen muss.Andrea konnte es nicht fassen, dass man noch so leben kann, mit einem Klo aufdem Hof und einer Pumpe in der Küche. Geradezu abartig. Die Polen warenwahnsinnig gastlich. Nur Onkel Kurt hat sich aufgeregt über die Mumien. War jaauch echt irre. Irgendwelche Jugendlichen hatten die Gruft unserer Vorfahren ineine Discothek umgewandelt und die Särge als Sitzplätze benutzt. Die Gebeinehatten sie auf den Vorhof geworfen. Onkel Kurt ist sofort zu dem Geistlichen imDorf gegangen und hat sich schrecklich darüber erregt. Sie sind dann nocheinmal beerdigt worden, auf dem Friedhof.
»Sie warenvöllig mumifiziert«, sagt Andrea, »und sahen richtig beleidigt aus.«
Papi siehtsie missbilligend an. »Ich muss doch sehr bitten!«
Omilächelt. »Wir Menschen sind nun mal Barbaren. Wenn man ein bisschen an derOberfläche kratzt, kommt bei jedem von uns das Mulschige heraus.« Sie kriegtihren grüblerischen Blick. »Habe ich nun meine Tabletten genommen oder nicht,Kinder?«
»Du hast«,sagt Papi. »Ich verstehe nicht, dass du die wie Zucker schluckst. Du wirst dichnoch damit umbringen.«
Omi ist aufMedizin ganz versessen. Ein gewisser Nachholbedarf, erklärt uns Mutti. In ihrerJugend war man einfach nicht krank. Da musste man jeden Schmerz aushalten.
DieMedikamente nehmen in Omis Koffer den meisten Platz ein. Tabletten gegenKopfschmerzen, gegen Schlaflosigkeit, gegen Rheuma, für die Verdauung, für dieErhaltung von Zähnen und Knochen. Sie schwört auf jedes neue Mittel, das aufden Markt kommt, und sie geht wie ein Messias durch die Siedlung, um unsereNachbarn von seiner fabelhaften Wirkung zu überzeugen.
»Du hättestArzneimittelvertreterin werden sollen«, sagt Papi. »Glaubst du wirklich, dassdiese Medikamente dich vor Krankheiten schützen? «
»Ich mussdoch versuchen, mich so lange gesund zu erhalten, bis meine Enkelkinder michpflegen können«, sagt Omi.
Andreakuckt verdutzt. »Aber wäre ein schönes Seniorenheim für dich nicht vielangenehmer? «
Omiblinzelt Papi zu. »Nein, nein, die Liebe eines Enkelkindes lässt sich durchnichts ersetzen. Das wird ein Leben werden! Ihr müsst mir natürlich immer meinLieblingsgericht kochen. Hefeklöße mit Pflaumensoße, zum Beispiel. Und mirvorlesen, weil ich nicht mehr so gut sehen kann. Generationsvertrag nennt mandas ja wohl.«
»Sehrrichtig«, sagt Papi und streckt die Beine von sich. »Früher, im Mittelalter,gabs sowieso keine Kinder. Da gabs nur kleine Erwachsene. «
Als Muttizurückkommt, ist Omi voller Verständnis, dass Papi leider, leider nicht mit unszum Bahnhof kommen kann, um sie abzuholen, weil er so viel zu arbeiten hat.Dafür fährt sie mit uns. »Karl Albrecht ist völlig überarbeitet«, erklärt sieMutti. »Er ist wieder mit einem Riesenaktenpaket nach Hause gekommen.« Als wirdas Haus betreten, liegen die Akten auf dem Flurtischchen, und Papi sitzt mitFerdinand vor dem Fernseher, wo sie sich ein Fußballspiel ansehen. Papi springtso hastig auf, dass Ferdinand auf den Boden rollt, und ist etwas verlegen. »Daseid ihr ja schon. Ich hab mir nur die letzten fünf Minuten vom Endspielangesehen.«
Muttibegrüßt ihn kühl. »Ich denke, du wirst inzwischen das Abendbrot gemacht haben.«
Diesmal istOmi sehr verändert. So vergisst sie total, Andreas Lieblingsbluse zu bügeln,obwohl die es ihr mindestens dreimal gesagt hat, und Andrea muss es tatsächlichselbst tun. Als Ferdinand sich vergebens mit seinen Schuhbändeln abmüht, siehtsie ihm geistesabwesend zu. Als er rumjault, weil er sein geliebtes Skelettnicht finden kann, sagt sie nur: »Es wird schon wieder auftauchen.« Und als ersie eine blöde Omi schimpft, meint sie lächelnd: »Da könnte direkt was dransein, Junge.«
DieGeschichten, die sie uns erzählt, handeln alle von Australien. Dass es da nocheinen richtigen Urwald gibt und Sümpfe. Papi fällt nichts an ihr auf. »Waswollt ihr eigentlich? Sie ist wie immer. War dieser Schmorbraten heute Mittagnicht herrlich?« Er fasst sich genüsslich an den Bauch. »Wenn ich da an dieewige Pizza eurer Mutter denke!«
An einemNachmittag liege ich auf meinem Bett, den Walkman über den Ohren, und höre denSänger, zu dessen Konzert mich damals Mutti an Andreas Stelle geschickt hat undwo die Zuhörer Wunderkerzen abbrennen durften. Ich esse Schokolade und lesedabei den Roman »Die sündige Liebe der Katharina«, den mir ein Mädchen ausmeiner Klasse geliehen hat. Plötzlich kommt Omi schick aufgemacht herein. »Wowillsten hin?«, frage ich.
Aber da istOmi wie Mutti. Sie beantwortet längst nicht jede Frage. »Ich fahr mal eben indie Stadt«, sagt sie nur leichthin. »Vielleicht machst du das Abendbrot,ausnahmsweise.«
»Ungern«,sage ich. Aber da ist sie auch schon aus der Tür.
Fast jedenTag ist Omi jetzt weg, und wir rätseln, was sie wohl treibt.
»Jede Frauhat ihr süßes Geheimnis«, sagt Papi und telefoniert lange mit Mutti darüber.Als Mutti von der Reise wieder zurück ist, bleibt Omi noch eine Weile bei uns.Sie reden viel miteinander, wenn wir raus sind. Erst kurz vor Omis Abfahrtkriegen wir spitz, was eigentlich los ist.()
© ScherzVerlag
- Autor: Ilse Gräfin Von Bredow
- 2007, 1. Auflage., 256 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502110417
- ISBN-13: 9783502110415
- Erscheinungsdatum: 27.04.2007
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