Ich bin kein Berliner
Er ist zwar kein Berliner, aber er kennt Berlin wie seine Hosentasche. Und fast jeder kennt ihn. Wladimir Kaminer, Kult-Autor des Bestsellers "Russendisko", hat die Geschichte Berlins auf seine charmant-witzige Art festgehalten. Und er führt Besucher mit...
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Er ist zwar kein Berliner, aber er kennt Berlin wie seine Hosentasche. Und fast jeder kennt ihn. Wladimir Kaminer, Kult-Autor des Bestsellers "Russendisko", hat die Geschichte Berlins auf seine charmant-witzige Art festgehalten. Und er führt Besucher mit seinem Buch zu originellen Restaurants, Geschäften u.v.m.
Es gibt derzeit wohl kaum einen bekannteren Berliner als Wladimir Kaminer. Und keinen, der geeigneter wäre, die Stadt einem Touristen in all ihren Facetten vorzustellen. Von einer kurzen Einführung in die Berliner Historie über Geschichten zu Sehenswürdigkeiten am Wegesrand oder das Verhalten japanischer Touristen bringt Wladimir Kaminer auf gewohnt witzig-charmante Art dem Leser seine neue Heimat näher. Dabei dürfen natürlich auch praktische Hinweise nicht fehlen: Dazu gehören kleine Spazierrouten, dank derer man auf den Spuren von Wladimir Kaminer durch die Stadt schlendern kann, sowie Adressen origineller Restaurants, Geschäfte und anderer im Buch vorgestellten Attraktionen.
Ich binkein Berliner von Wladimir Kaminer
LESEPROBE
Ich binkein Berliner
Ich binkein Berliner. Ich bin auch nicht »Deutschland «. Die Social-Marketing-Kampagnedes letzten Jahres »Du bist Deutschland« hat mich nur irritiert. Ich kenne michhier nicht wirklich aus. Vor fünfzehn Jahren kam ich nach Ostberlin, ausGründen, die mir bis heute rätselhaft geblieben sind. Wahrscheinlich war esbloße Neugier auf die Welt und ungebremste Reiselust, die mich damals nachBerlin trieben. Die Reise erwies sich als fatale Entscheidung. Einmal hier gelandet,kommt man kaum mehr weg. Berlin bindet. Alle Einheimischen, die ich im Laufeder Jahre kennengelernt habe, wollten immer als Erstes wissen, wieso ich damalsausgerechnet Berlin beziehungsweise Deutschland als Reiseziel gesucht hatte.Meine Ausweichantworten »Es hat sich so ergeben« oder »Ich bin in den falschenZug gestiegen« konnten sie nicht zufriedenstellen. Wenn ich aber zurAbwechslung sagte, ich fände Deutschland gut und Berlin sei eine tolle Stadt,wollte mir das einfach keiner glauben. Die Eingeborenen zeigen sich in derRegel sehr kritisch ihrem Land und ihrer Stadt gegenüber. Erst vor kurzem trafich in unserer Stammkneipe einen Journalisten aus Bochum, der genau wie ich vorfünfzehn Jahren nach Berlin ausgewandert war und mich nicht nach den Gründenmeiner damaligen Abreise fragte. Von sich behauptete er sogar ungeniert, ihmwäre es schon immer klar gewesen, dass er hier in einem Paradies lebe. AlleGäste, die unserem Gespräch lauschten, hatten sofort Abstand von dem Manngenommen. Die Wirtin vermutete später, er wäre unter Drogen gestanden.Inzwischen weiß ich, was diese ständige Fragerei soll: Es ist eine Art Flirt.Das Land will gefallen, schämt sich aber, es öffentlich zuzugeben. UnsereLiebesbeziehung steckt deswegen permanent in einer Krise, die aber für beideSeiten fruchtbar ist.
Schon anmeinem ersten Tag in Berlin musste ich im Berliner Polizeipräsidium amAlexanderplatz mit ein paar anderen Russen zusammen Fragebögen ausfüllen, umhumanitäres Asyl gewährt zu bekommen. Die Frage »Aus welchem Grund haben SieDeutschland gewählt, und was haben Sie in Deutschland vor?« stand ganz oben aufder Liste. Niemand von meinen Landsleuten hatte eine Idee, wie man diese Fragevernünftig beantworten konnte. Sie waren alle mehr oder weniger zufällig inDeutschland gelandet, weil sie zum Beispiel eine nette deutsche Tante hattenoder einen deutschen Freund, der sie eingeladen hatte. Ein älterer, intelligentaussehender Mann, der Einzige aus unserer Asylantengruppe, der über guteDeutschkenntnisse verfügte, schrieb, er sei ein Bewunderer der deutschen Kulturund Sprache, woraufhin alle anderen diesen Satz von ihm übernahmen. Mit einerZweimonatsduldung verließen wir, die frisch gebackenenDeutschkultur-Bewunderer, damals das Polizeipräsidium am Alex. »Zwei Monate müssteneuch reichen, um die deutsche Kultur gründlich kennenzulernen«, witzelte derzuständige Beamte.
DreizehnJahre später, als ich hier die Staatsangehörigkeit für mich und meine Kinderbeantragte, wurde ich erneut in den unzähligen Formularen mit der gleichenFrage konfrontiert. »Warum Deutschland? «, wollte man von mir wissen. Diejungen Russen und Ukrainer, die sich heute als Au-pair-Mädchen beziehungsweise-Jungs für deutsche Kinder bewerben oder sich zum Studium in Berlin anmeldenwollen, füllen ähnliche Fragebögen aus. Sie müssen darin verständlich machen,warum sie unbedingt in Deutschland studieren oder arbeiten wollen und nicht zumBeispiel in Zimbabwe, und was sie an Deutschland besonders schätzen. Diemeisten schreiben immer das Gleiche voneinander ab: »Deutsche Ordnung,Pünktlichkeit und Genauigkeit (!) möchte ich lernen. Diese Eigenschaften werdenmir auf meinem beruflichen Weg sehr helfen.« Als ob sie alle später Polizisten,Zugabfertiger oder Straßenfeger werden wollen.
»Warummüssen die Deutschen unbedingt wissen, was die anderen über sie denken?«,fragte mich einmal ein Au-pair-Mädchen, und ich konnte ihr keine vernünftigeAntwort geben.
»Sagehrlich, was hältst du von mir?«, ist bekanntlich eine gefährliche Frage, dieman nicht einmal dem besten Freund stellen sollte. Mit einer solchen Frage kannjede glückliche Ehe ruiniert, echte Freundschaft gelöst, ein vielversprechenderArbeitsvertrag vorzeitig beendet werden. Solche Fragen sorgen niemals fürAufklärung, sie säen nur noch mehr Misstrauen.
Dessenungeachtet bemüht sich Deutschland, nach seinen eigenen Bildern in der Fremdezu forschen: Jeder Ausländer, der hierherkommt, wird einem Verhör unterzogen.Im Ausland werden parallel dazu groß angelegte Untersuchungen durchgeführt, um festzustellen,was der eine oder andere dort von Deutschland hält. Die Ergebnisse sind solala. Kaum jemand will die deutschen Leistungen in den Bereichen Kultur,Freizeit und Sport würdigen, auch nicht die deutschen Errungenschaften in derWissenschaft und die exotische deutsche Küche. Stattdessen kommen in denVorstellungen der Ausländer über Deutschland immer wieder Hitler, das Bier unddie Ordnung vor. Wenn die Deutschen im Ausland gelobt werden, dann stets vonden Falschen und für Taten, die das Land selbst am liebsten schnell vergessen würde.Die Iren verlieren manch gutes Wort über die Deutschen, weil sie einst Englandbombardiert haben; die Araber würdigen sie für den Versuch, die jüdischeBevölkerung auszurotten; die Japaner sehen den Deutschen gerne im Fernsehenbeim Jodeln zu; und die Russen halten die deutschen Pornofilme für diehärtesten der Welt. Ich habe sie selbst nicht gesehen, man hat es mir erzählt.
Die meistenAusländer schöpfen jedoch ihre Infor- mationen über Deutschland aus altenKriegsfilmen.
EineBekannte, die als selbstständige Reiseunternehmerin Touristengruppen durchBerlin führt, erzählte mir neulich, dass sie für die deutschen undausländischen Gäste zwei völlig unterschiedliche Reiserouten hat. Den Deutschenzeigt sie, wo Marlene Dietrich heiratete und in welcher Kneipe Ringelnatz seineGedichte schrieb. Auf Englisch erzählt sie, wo Himmler seine Brötchen holte undwo Goebbels Zahnarzt praktizierte. Diese Informationen entsprechen den altenFilmklischees, die noch immer das Deutschlandbild der Amerikaner, Briten undFranzosen prägen.
DerGerechtigkeit halber muss ich sagen, dass die Filmklischees nicht immer falschliegen. So hatte ich lange Zeit als leidenschaftlicher Anhänger desamerikanischen Actionkinos eine bestimmte Vorstellung von den VereinigtenStaaten. In meinem Amerika flippten die Bürger ständig aus, sie schossen mitGewehren um sich, konsumierten tonnenweise Drogen, wurden blitzschnellsteinreich oder umgekehrt sauarm, sie fuhren alte und neue Autos zu Schrott,rappten in Gefängniszellen und führten gerne Kriege in fernen Ländern. Nun habeich Amerika endlich persönlich bereist und kann sagen, meine Klischees haben sichim Wesentlichen bestätigt.
Imrussischen Fernsehen ist das Deutsche zurzeit dank der Bierwerbung für dieMarke Bavaria präsent, obwohl dieses Bier nicht aus Deutschland, sondernaus St. Petersburg kommt. In dem Werbespot sieht man einen älteren Mann hintereinem großen gefüllten Bierglas sitzen und nachdenken. Ein jüngerer, möglicherweiseder Sohn des Biertrinkers, klopft ihm auf die Schulter und fragt: »Na, Alter,alles in Ordnung?«
»Alles wiein Bayern!«, antwortet der Alte und kneift ein Auge zu.
Das tue ichan dieser Stelle auch. Die Ordnung überlassen wir aber den Bayern, denn indiesem Buch soll es eigentlich nur um Berlin gehen.
TIPP:*
AlsAusgehtipp möchte ich Ihnen den Alexanderplatz empfehlen, besonders das Polizeipräsidiumdahinter. Dort werden keine Aufenthaltserlaubnisse mehr erteilt, sondern inPolen gebaute deutsche Autos TÜV-geprüft. Daneben gibt es dort auch noch einenFahrrad-TÜV. Außerdem befindet sich unter der S-Bahnbrücke noch die kleinste SchwulenkneipeBerlins - die Besenkammer. Und im Foyer des Fernsehturms stehtein Zauberautomat, der das Schicksal eines jeden anhand einer bloßenUnterschrift ausspuckt - gegen eine geringe Gebühr. Das Geschäft wurde vorsechzehn Jahren von den faulen Russen gegründet, auf der Suche nach Möglichkeiten,ohne Arbeit reich zu werden.
*Zu den inden Tipps hervorgehobenen Begriffen finden sich im Anhang weitere Informationen.
© DianaVerlag
- Autor: Wladimir Kaminer
- 2007, Originalausgabe, 251 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442542405
- ISBN-13: 9783442542406
- Erscheinungsdatum: 16.03.2007
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