Der Übergang / Passage Trilogie Bd.1
Roman
Halten Sie sich fest! Der internationale Bestseller des amerikanischen Autors Justin Cronin wird Sie faszinieren, wie vielleicht schon lange kein Buch mehr. Ein höchst spannender Mix aus Thriller, Horror und Abenteuer. Absoluter...
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Buch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Übergang / Passage Trilogie Bd.1 “
Halten Sie sich fest! Der internationale Bestseller des amerikanischen Autors Justin Cronin wird Sie faszinieren, wie vielleicht schon lange kein Buch mehr. Ein höchst spannender Mix aus Thriller, Horror und Abenteuer. Absoluter Pageturner!
An einem Frühlingstag wird die sechsjährige Amy von FBI-Agenten entführt und in eine Forschungseinrichtung der US Army gebracht. Das kleine Mädchen ist die dreizehnte Versuchsperson eines Programms zur Erforschung eines Virus, das seine Träger unsterblich machen soll. Doch dann geht irgendetwas schief - völig schief: Das Virus entwickelt eine andere Wirkung und die Infizierten werden zu vampirähnlichen Kreaturen, die jede Form von Leben vernichten. Und nur Amy kann jetzt die Menschheit vielleicht noch retten.
"Lesen Sie dieses Buch, und die Welt wie Sie sie kennen, wird es nicht mehr geben"
Stephen King
Bereits vor Erscheinen des Buches waren die Filmrechte an Ridley Scott verkauft!
Klappentext zu „Der Übergang / Passage Trilogie Bd.1 “
Die Welt, wie Sie sie kennen, wird es nicht mehr geben!<br /><br />Bevor sie das Mädchen von Nirgendwo wurde - das Mädchen, das plötzlich auftauchte, die Erste und Letzte und Einzige, die tausend Jahre lebte - war sie nur ein kleines Mädchen aus Iowa und hieß Amy. Amy Harper Bellafonte.<br /><br />Das Mädchen Amy ist gerade einmal sechs Jahre alt, als es von zwei FBI-Agenten entführt und auf ein geheimes medizinisches Versuchsgelände verschleppt wird. Man hat lange nach Amy gesucht: der optimalen Versuchsperson für ein mysteriöses Experiment, das nichts Geringeres zum Ziel hat, als Menschen unsterblich zu machen. Doch dann geht irgendetwas schief - völlig schief. Von einem Tag auf den anderen rast die Welt dem Untergang entgegen. Und nur eine kann die Menschheit vielleicht noch retten: Amy Harper Bellafonte.<br /><br />
"...Kein hastig hingeschriebener Horror-Schocker, sondern ein ausgefeiltes Werk mit sensibel gezeichneten Charakteren. ...Wie der Zerfall unserer Welt hier erzählt wird, ist einfach großartig gruselig." -- Stern
"Vielleicht hat Cronin ihn wiedergefunden, den Dickens-Code. Sein Buch ist jedenfalls eines, das als Strandschmöker funktioniert und gleichzeitig erstaunliche literarische Qualität besitzt. Es ist eine gekonnte Kombination aus Cormac McCarthys preisgekrönter Apokalypse 'Die Straße' und dem Kino-Blockbuster 'Mad Max'. Eine, zugegeben, sehr schmackhafte Mischung." -- FOCUS
''Der Übergang' ist kein kleiner Roman, er ist mehr als tausend Seiten lang, er wurde glänzend besprochen und von Stephen King als 'fesselndes Epos' gelobt. Und er ist nur das erste Buch einer Trilogie um ein zivilisationsvernichtendes Vampir-Virus, die ein ganzes Millennium umspannt.' -- Berliner Zeitung
"Vielleicht hat Cronin ihn wiedergefunden, den Dickens-Code. Sein Buch ist jedenfalls eines, das als Strandschmöker funktioniert und gleichzeitig erstaunliche literarische Qualität besitzt. Es ist eine gekonnte Kombination aus Cormac McCarthys preisgekrönter Apokalypse 'Die Straße' und dem Kino-Blockbuster 'Mad Max'. Eine, zugegeben, sehr schmackhafte Mischung." -- FOCUS
''Der Übergang' ist kein kleiner Roman, er ist mehr als tausend Seiten lang, er wurde glänzend besprochen und von Stephen King als 'fesselndes Epos' gelobt. Und er ist nur das erste Buch einer Trilogie um ein zivilisationsvernichtendes Vampir-Virus, die ein ganzes Millennium umspannt.' -- Berliner Zeitung
Lese-Probe zu „Der Übergang / Passage Trilogie Bd.1 “
Der Übergang von Justin Cronin1
Bevor sie Das Mädchen Von Nirgendwo wurde - das Mädchen, das plötzlich auftauchte, Die Erste Und Letzte Und Einzige, die tausend Jahre lebte - war sie nur ein kleines Mädchen aus Iowa und hieß Amy. Amy Harper Bellafonte.
Als Amy geboren wurde, war ihre Mutter Jeanette neunzehn. Jeanette taufte das Baby Amy nach ihrer eigenen Mutter, die schon lange tot war, und den zweiten Vornamen, Harper, gab sie ihr nach Harper Lee, der Frau, die Wer die Nachtigall stört geschrieben hatte, Jeanettes Lieblingsbuch - und obendrein das einzige Buch, das sie auf der High School von Anfang bis Ende gelesen hatte. Sie hätte sie vielleicht auch Scout genannt, nach dem kleinen Mädchen in dem Buch, denn sie wollte, dass ihr kleines Mädchen genauso wurde, zäh und komisch und klug - so, wie sie selbst, Jeanette, nie hatte werden können. Aber Scout war ein Jungenname, und sie wollte nicht, dass ihre Tochter ihr Leben lang erklären musste, warum sie so hieß.
Amys Vater war ein Mann, der eines Tages in das Lokal hereingeschneit kam, in dem Jeanette schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr bediente; ein Diner, der bei allen nur The Box hieß, weil er genauso aussah: wie ein großer, verchromter Schuhkarton neben der Landstraße. Rechts und links nur Mais- und Bohnenfelder, und meilenweit sonst gar nichts außer einer Autowaschanlage mit Selbstbedienung, so einer, wo man Münzen einwerfen und dann die ganze Arbeit selbst tun musste. Der Mann, der Bill Reynolds hieß, verkaufte große Landmaschinen, Mähdrescher und solche Sachen, und er war ein Schmeichler und erzählte Jeanette, als sie ihm seinen Kaffee einschenkte und danach immer wieder, wie hübsch sie doch sei und wie gut ihm ihr kohlrabenschwarzes Haar und ihre nussbraunen Augen und ihre schlanken Handgelenke gefielen. Und es klang so, als meinte er
... mehr
es wirklich ernst, nicht wie die Jungs in der Schule, die so etwas nur sagten, um sie rumzukriegen. Er hatte ein großes Auto, einen neuen Pontiac mit einem Armaturenbrett, das glänzte wie ein Raumschiff, und mit Ledersitzen, so weich wie Butter. Sie hätte diesen Mann lieben können, dachte sie, ihn wirklich und wahrhaftig lieben können. Aber er blieb nur ein paar Tage in der Stadt und fuhr dann weiter. Als sie ihrem Vater erzählte, was passiert war, wollte er sich den Kerl schnappen und dafür sorgen, dass er für alles geradestand. Aber was Jeanette wusste und nicht sagte, war dies: Bill Reynolds war ein verheirateter Mann. Er hatte eine Familie in Lincoln, weit weg in Nebraska. Er hatte ihr sogar die Fotos seiner Kinder in seiner Brieftasche gezeigt, zwei kleine Jungs in Baseball-Trikots, Bobby und Billy. Und deshalb sagte sie ihrem Vater nicht, wer der Mann war, der ihr das angetan hatte, auch wenn er sie noch so oft fragte. Sie verriet ihm nicht einmal seinen Namen.
Und um ehrlich zu sein, machte ihr das alles nichts aus: nicht die Schwangerschaft, die bis zum Schluss problemlos verlief, nicht die Entbindung, die kurz, aber schwer war, und schon gar nicht das Baby, ihre kleine Amy. Um Jeanette zu zeigen, dass er ihr verziehen hatte, hatte ihr Vater das alte Zimmer ihres Bruders als Kinderzimmer hergerichtet, sogar das alte Kinderbett hatte er vom Speicher geholt, in dem Jeanette vor Jahren selbst noch geschlafen hatte. Gegen Ende der Schwangerschaft war er mit ihr zu Wal-Mart gefahren, um ein paar Sachen zu holen, die sie brauchen würde - Strampelanzüge und eine kleine Plastikwanne und ein Mobile zum Aufziehen, das über dem Bettchen hängen sollte. Er hatte in einem Buch gelesen, dass Babys solche Sachen bräuchten, Sachen zum Anschauen, damit ihr kleines Gehirn in Gang kam und anfing, ordentlich zu arbeiten. Von Anfang an dachte Jeanette bei dem Baby immer an »sie«, denn im Grunde ihres Herzens wünschte sie sich ein Mädchen, aber sie wusste, dass man so etwas niemandem sagen durfte, nicht einmal sich selbst durfte man das eingestehen. Im Krankenhaus drüben in Cedar Falls hatte sie eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Als die Frau in dem geblümten Kittel mit dem kleinen Plastikpaddel über ihren Bauch strich, hatte sie sie gefragt, ob sie sehen könne, was es war. Aber die Frau hatte nur gelacht, auf den Monitor mit Jeanettes vor sich hinträumendem Baby geschaut und gemeint: Honey, dieses Baby ist schüchtern. Bei manchen kann man es sehen, bei andern wieder nicht, und das hier ist eins von den Letzteren. Deshalb wusste Jeanette es nicht, und es war ihr auch recht. Nachdem sie und ihr Vater das Zimmer ihres Bruders ausgeräumt und seine alten Wimpel und Poster von den Wänden genommen hatten - José Canseco, eine Band namens Killer Picnic, die Bud Girls -, sahen sie, wie verschossen und verschrammt die Wände waren, und sie strichen sie mit einer Farbe, die »Dreamtime« hieß und die irgendwie eine Mischung aus Rosa und Blau war - passend für Babys beiderlei Geschlechts. Ihr Vater klebte eine Tapetenbordüre oben an die Wand, ein gleichförmiges Muster aus Enten, die in einem Tümpel plantschten, und polierte den alten Schaukelstuhl aus Ahorn, den er bei einer Versteigerung ergattert hatte. Jeanette sollte schließlich auch etwas haben, wo sie sitzen und die Kleine im Arm halten konnte.
Das Baby kam im Sommer; es war ein Mädchen, wie sie es sich gewünscht hatte, und wurde Amy Harper Bellafonte genannt. Reynolds stand als Name nicht zur Debatte - der Nachname eines Mannes, den Jeanette vermutlich nie wiedersehen würde und den sie jetzt, da Amy da war, auch gar nicht mehr wiedersehen wollte. Und Bellafonte - einen besseren Namen konnte man gar nicht haben. Es bedeutete »schöne Quelle«, und genau das war Amy auch. Jeanette fütterte und wiegte sie und wechselte ihre Windeln, und wenn Amy mitten in der Nacht weinte, weil sie nass oder hungrig war oder Angst vor der Dunkelheit hatte, dann stolperte Jeanette durch den Flur zum Kinderzimmer, ganz gleich, wie spät es war oder wie müde sie nach der Arbeit im Diner war. Und sie nahm die Kleine auf und sagte, sie sei da und sie werde immer für sie da sein: Wenn du weinst, komme ich gerannt, das ist der Deal zwischen uns beiden, zwischen dir und mir, für immer und ewig, meine kleine Amy Harper Bellafonte. Dann hielt sie sie auf dem Arm und wiegte sie, bis die Jalousien in der Morgendämmerung fahl wurden und sie in den Ästen der Bäume draußen die Vögel singen hörte.
Mit einem Mal war Amy drei, und Jeanette allein. Ihr Vater war gestorben, an einem Herzinfarkt, sagte man ihr, oder vielleicht an einem Schlaganfall. Niemand nahm das so genau. Was immer es war, es traf ihn eines Wintermorgens in aller Früh, als er zu seinem Truck ging, um zur Arbeit im Silo zu fahren; er hatte gerade noch Zeit, seinen Kaffee auf den Kotflügel zu stellen, bevor er tot umfiel. Er verschüttete keinen Tropfen. Sie arbeitete immer noch im Diner, aber plötzlich reichte das Geld nicht mehr, nicht für Amy und sie zusammen, und ihr Bruder, der irgendwo bei der Navy war, beantwortete ihre Briefe nicht. Gott hat den Staat Iowa geschaffen, hatte er immer gesagt, damit man wieder von dort abhauen kann. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Da kam eines Tages ein Mann in das Lokal. Es war Bill Reynolds. Er war irgendwie verändert, aber nicht zum Besseren. Der Bill Reynolds, an den sie sich erinnerte - und sie musste zugeben, dass sie von Zeit zu Zeit immer noch an ihn dachte, an Kleinigkeiten hauptsächlich: wie sein aschblondes Haar beim Sprechen in die Stirn fiel, oder wie er über seinen Kaffee blies, bevor er einen Schluck trank, selbst wenn er gar nicht mehr heiß war -, dieser Bill Reynolds hatte etwas an sich, so etwas wie ein warmes Licht von innen heraus, in dessen Nähe man gern sein wollte. Es erinnerte sie an diese kleinen Plastikstäbe, die man knicken musste, damit die Flüssigkeit darin anfing zu leuchten. Dies war noch derselbe Mann, aber das Leuchten war nicht mehr da. Er sah älter aus, dünner. Sie sah, dass er unrasiert war, und sein Haar war nicht gekämmt; es war fettig und stand wirr vom Kopf ab, und er trug kein gebügeltes Poloshirt, sondern nur ein gewöhnliches kariertes Arbeitshemd, wie ihr Vater eins getragen hatte, und es hing aus der Hose und hatte Schweißflecken unter den Armen. Er sah aus, als habe er die Nacht im Freien verbracht oder irgendwo im Auto geschlafen. In der Tür suchte er ihren Blick, und sie folgte ihm nach hinten zu einem Tisch.
-- Was machst du hier?
-- Ich habe sie verlassen, sagte er, und als er sie ansah, wie sie vor seinem Tisch stand, roch sie Bierdunst in seinem Atem, und sie roch Schweiß und schmutzige Kleider. Ich hab's getan, Jeanette. Ich habe meine Frau verlassen. Ich bin ein freier Mann.
-- Du bist den ganzen Weg hierhergefahren, um mir das zu sagen?
-- Ich habe an dich gedacht. Er räusperte sich. Oft. Ich habe an uns gedacht.
-- Wie, an uns? Uns gibt es nicht. Du kannst hier nicht einfach so aufkreuzen und sagen, du hast an uns gedacht.
Er richtete sich auf. -- Es ist aber so.
-- Hier ist viel Betrieb. Siehst du das nicht? Ich kann mich nicht einfach so mit dir unterhalten. Du musst etwas bestellen.
-- Okay, antwortete er, aber er schaute nicht zur Speisentafel an der Wand hinüber. Er wandte den Blick nicht von ihr. Ich nehme einen Cheeseburger. Einen Cheeseburger und eine Coke.
Als sie seine Bestellung notierte und die Worte vor ihren Augen verschwammen, begriff sie, dass sie angefangen hatte zu weinen. Ihr war, als habe sie einen ganzen Monat nicht geschlafen, ein ganzes Jahr nicht. Mit allerletzter Willenskraft stemmte sie sich gegen die Last der Erschöpfung. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie mit ihrem Leben etwas anfangen wollen: Haareschneiden vielleicht, einen
Gewerbeschein beantragen, einen kleinen Frisörsalon aufmachen, in eine richtige Stadt ziehen, nach Chicago oder Des Moines, ein Apartment mieten, Freunde haben. Aus irgendeinem Grund hatte sie immer ein ganz bestimmtes Bild von sich selbst im Kopf gehabt: Sie saß in einem Restaurant, einem Coffeeshop eigentlich, aber hübsch; es war Herbst und kalt draußen, und sie saß allein an einem kleinen Tisch am Fenster und las ein Buch. Vor ihr auf dem Tisch stand ein dampfender Becher Tee. Dann schaute sie aus dem Fenster auf die Straße der Stadt, in der sie war, und sah die Leute draußen vorbeihasten, in dicken Mänteln und Mützen, und sie sah auch ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte, vor all den Leuten draußen. Aber als sie jetzt dastand, war es, als gehörten alle diese Gedanken zu einer ganz anderen Person. Jetzt war da Amy, die halbe Zeit krank - erkältet oder mit einem verdorbenen Magen, den sie sich in der miesen Tagesstätte geholt hatte, in die Jeanette sie brachte, wenn sie zur Arbeit musste. Ihr Vater war gestorben, so plötzlich, als sei er durch eine Falltür verschwunden, und Bill Reynolds saß hier am Tisch, als wäre er nur mal kurz hinausgegangen, nicht vier Jahre weggewesen.
-- Warum tust du mir das an?
Er schaute ihr eine ganze Weile in die Augen und berührte ihren Handrücken. -- Lass uns später reden. Bitte.
Am Ende zog er bei ihr und Amy ein. Sie hätte nicht mehr sagen können, ob sie es ihm angeboten hatte oder ob es einfach irgendwie passiert war. So oder so bereute sie es auf der Stelle. Dieser Bill Reynolds - wer war er wirklich? Er hatte seine Frau und seine Jungs, Bobby und Billy in ihren Baseball-Trikots, verlassen, hatte alles in Nebraska zurückgelassen. Der Pontiac war weg, und mit seinem Job war es auch vorbei. Angesichts der wirtschaftlichen Lage, erklärte er, kaufe kein Mensch irgendetwas. Er habe einen Plan, sagte er, aber der einzige Plan, den sie sehen konnte, bestand offenbar darin, zu Hause rumzusitzen. Er tat nichts, nicht mal das Frühstücksgeschirr räumte er ab, während Amy den ganzen Tag im Diner arbeitete.
Er schlug sie zum ersten Mal, als er drei Monate bei ihr wohnte; er war betrunken, und danach brach er sofort in Tränen aus und sagte immer wieder, es tue ihm so leid. Er lag auf den Knien und heulte, als wäre sie diejenige, die ihm etwas getan hätte. Sie müsse verstehen, sagte er, wie schwer das alles sei, all die Veränderungen in seinem Leben - das sei mehr, als ein Mann, jeder Mann, ertragen könne. Er liebe sie, es tue ihm leid, und so etwas werde nie wieder passieren, nie wieder. Er schwor es. Und am Ende hörte sie sich selbst sagen, dass es auch ihr leid tue.
Es war um Geld gegangen, als er sie geschlagen hatte. Als der Winter kam, und sie nicht genug Geld auf dem Konto hatte, um den Heizöllieferanten zu bezahlen, schlug er sie wieder.
-- Verdammt noch mal, Frau, sieht du denn nicht, dass ich fürchterlich in der Scheiße stecke?
Sie lag auf dem Boden in der Küche und hielt sich den Kopf. Er hatte sie so hart geschlagen, dass sie hingefallen war. Komisch - jetzt, als sie dalag, sah sie, wie schmutzig der Boden war, dreckig und fleckig, mit Staubflocken und Gott weiß, was da noch alles unten an den Schränken klebte, wo man es normalerweise nicht sehen konnte. Mit der einen Hälfte ihres Verstandes registrierte sie den Schmutz, während die andere Hälfte sagte, du tickst nicht mehr richtig, Jeanette: Bill hat dich geschlagen und dabei eine Schraube gelockert, und jetzt machst du dir Gedanken über den Staub. Irgendwie passierte in dem Moment auch etwas Komisches mit den Geräuschen. Amy saß oben vor dem kleinen Fernseher in ihrem Zimmer, aber Jeanette konnte alles ganz laut und deutlich hören, als liefe der Apparat in ihrem Kopf - Barney, den lila Dinosaurier, und ein Lied über das Zähneputzen. Und dann hörte sie, wie aus weiter Ferne, den Heizöl-Laster wegfahren; er bog aus der Einfahrt, und das Motorgeräusch verklang auf der Landstraße.
-- Du hast hier nichts zu suchen, sagte sie.
-- Da hast du recht. Bill nahm eine Flasche Old Crow von dem Bord über der Spüle und goss sich etwas in ein Marmeladenglas, obwohl es erst zehn Uhr morgens war. Er setzte sich an den Tisch, aber er schlug die Beine nicht übereinander wie einer, der es sich bequem machen will. Und das Heizöl geht mich auch nichts an.
Jeanette versuchte aufzustehen, aber sie konnte es nicht. -- Mach, dass du wegkommst.
Er lachte, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Whiskey.
-- Das ist witzig, sagte er. Das sagst du mir von dort unten.
-- Ich mein's ernst. Mach, dass du wegkommst.
Amy kam herein. Sie hielt den Stoffhasen im Arm, den sie überallhin mitschleppte, und trug eine Latzhose - die Gute, die Jeanette im Outlet Center für sie gekauft hatte, bei OshKosh B‘Gosh, mit den gestickten Erdbeeren auf dem Latz. Ein Träger baumelte an Amys Hüfte. Jeanette begriff, dass Amy wahrscheinlich selbst den Träger aufgemacht hatte, weil sie aufs Klo musste.
-- Du liegst ja auf dem Boden, Mama.
-- Alles okay, Süße. Jeanette stand auf, um es ihr zu beweisen. In ihrem linken Ohr war ein leises Pfeifen, wie in einem Zeichentrickfilm, als ob Vögel in ihrem Kopf herumschwirrten. Sie sah auch ein bisschen Blut an ihrer Hand; sie wusste aber nicht, woher es kam. Sie nahm Amy auf den Arm und lächelte, so gut es ging. Siehst du? Mama ist nur hingefallen, mehr nicht. Musst du mal, Süße? Musst du aufs Töpfchen?
-- Sieh dich bloß an, sagte Bill. Sieh dich doch selber an! Wieder schüttelte er den Kopf und trank. Blöde Fotze. Wahrscheinlich ist das Kind nicht mal von mir.
-- Mama, sagte die Kleine und streckte den Zeigefinger aus, du hast dir wehgetan. An der Nase.
Ob es daran lag oder an dem, was sie gehört hatte, jedenfalls fing das kleine Mädchen an zu weinen.
-- Siehst du, was du angerichtet hast?, sagte Bill. Jetzt komm, sagte er zu Amy. Ist halb so schlimm. Manchmal streiten sich die Leute. Das ist einfach so.
-- Ich sag's dir noch einmal: Verschwinde.
-- Was willst du denn tun? Sag‘s mir. Du kannst ja nicht mal den Öltank füllen lassen.
-- Glaubst du, das weiß ich nicht? Das brauchst du mir weiß Gott nicht zu sagen. Amy hatte angefangen zu heulen. Jeanette hielt sie auf dem Arm und fühlte die warme Feuchtigkeit durch die Hose, als das Mädchen seine Blase entleerte.
-- Himmel noch mal, bring das Gör zum Schweigen.
Sie drückte Amy fest an die Brust. -- Du hast recht. Sie ist nicht dein Kind. Sie ist es nicht, und sie wird's auch nie sein. Jetzt verschwinde oder ich rufe den Sheriff.
Tu mir das nicht an, Jean. Im Ernst.
Doch. Genau das tu ich.
Da war er auf den Beinen und polterte durch das Haus, raffte seine Sachen zusammen und warf sie in die Pappkartons, in denen er sie vor ein paar Monaten erst hereingeschleppt hatte. Warum hatte sie nicht sofort gesehen, wie merkwürdig es war, dass er nicht mal einen richtigen Koffer hatte? Sie saß am Küchentisch mit Amy auf dem Schoß, beobachtete die Uhr über dem Herd und zählte die Minuten, bis er in die Küche zurückkam und sie noch einmal schlug.
Aber dann hörte sie, wie die Haustür aufschwang. Seine schweren Schritte dröhnten auf der Veranda. Er ging ein paar Mal ein und aus und trug die Kartons nach draußen und ließ dabei die Haustür offen, sodass kalte Luft ins Haus wehte. Schließlich kam er wieder in die Küche und brachte eine Schneespur mit herein. Die Sohlen seiner Stiefel hinterließen kleine, waffelförmige Fladen.
-- Schön. Schön. Ich soll also gehen? Pass nur auf. Er nahm die Flasche Old Crow vom Tisch. Deine letzte Chance, sagte er.
Jeanette sagte nichts, sah ihn nicht einmal an.
Das wär's wohl. Schön. Was dagegen, wenn ich noch einen Schluck zum Abschied nehme?
Da holte Jeanette aus und schlug das Glas mit der flachen Hand quer durch die Küche, wie man mit dem Schläger gegen einen Pingpongball klatscht. Sie wusste ungefähr eine halbe Sekunde, bevor sie es tat, dass sie es tun würde, und sie wusste auch, dass es nicht die beste Idee war, die sie je gehabt hatte, aber da war es zu spät. Das Glas prallte mit dumpfem Knall gegen die Wand und fiel auf den Boden, ohne zu zerbrechen. Sie schloss die Augen und drückte Amy fest an sich, und sie wusste, was kommen würde. Einen Augenblick lang war das Geräusch des rollenden Glases auf dem Boden das einzige in der Küche. Sie spürte Bills Wut wie heiße Wellen, die von ihm ausgingen.
-- Du wirst schon sehen, was die Welt für dich in petto hat, Jeanette. Denk an meine Worte.
Dann verließen seine Schritte den Raum, und er war weg.
Sie gab dem Heizölmann das Geld, das sie noch hatte, und drehte den Thermostat auf zehn Grad herunter. Weißt du, Amy, wir tun einfach so, als wären wir auf einem großen Camping-Ausflug, sagte sie, während sie die Hände des kleinen Mädchens in Fausthandschuhe stopfte und ihr eine Mütze auf den Kopf zog. Siehst du, es ist eigentlich gar nicht so kalt. Es ist wie ein Abenteuer. Sie schliefen zusammen unter einem Berg von alten Steppdecken, und es war so eiskalt im Zimmer, dass ihr Atem die Luft über ihren Gesichtern vernebelte. Jeanette nahm einen Zusatzjob an und putzte abends in der High School. Amy ließ sie in dieser Zeit bei einer Nachbarin, aber als die Frau krank wurde und ins Krankenhaus musste, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Kleine alleinzulassen. Sie erklärte ihr, was sie tun musste: Bleib im Bett, mach niemandem auf, mach einfach die Augen zu, und ich bin wieder da, ehe du dich versiehst.
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Und um ehrlich zu sein, machte ihr das alles nichts aus: nicht die Schwangerschaft, die bis zum Schluss problemlos verlief, nicht die Entbindung, die kurz, aber schwer war, und schon gar nicht das Baby, ihre kleine Amy. Um Jeanette zu zeigen, dass er ihr verziehen hatte, hatte ihr Vater das alte Zimmer ihres Bruders als Kinderzimmer hergerichtet, sogar das alte Kinderbett hatte er vom Speicher geholt, in dem Jeanette vor Jahren selbst noch geschlafen hatte. Gegen Ende der Schwangerschaft war er mit ihr zu Wal-Mart gefahren, um ein paar Sachen zu holen, die sie brauchen würde - Strampelanzüge und eine kleine Plastikwanne und ein Mobile zum Aufziehen, das über dem Bettchen hängen sollte. Er hatte in einem Buch gelesen, dass Babys solche Sachen bräuchten, Sachen zum Anschauen, damit ihr kleines Gehirn in Gang kam und anfing, ordentlich zu arbeiten. Von Anfang an dachte Jeanette bei dem Baby immer an »sie«, denn im Grunde ihres Herzens wünschte sie sich ein Mädchen, aber sie wusste, dass man so etwas niemandem sagen durfte, nicht einmal sich selbst durfte man das eingestehen. Im Krankenhaus drüben in Cedar Falls hatte sie eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Als die Frau in dem geblümten Kittel mit dem kleinen Plastikpaddel über ihren Bauch strich, hatte sie sie gefragt, ob sie sehen könne, was es war. Aber die Frau hatte nur gelacht, auf den Monitor mit Jeanettes vor sich hinträumendem Baby geschaut und gemeint: Honey, dieses Baby ist schüchtern. Bei manchen kann man es sehen, bei andern wieder nicht, und das hier ist eins von den Letzteren. Deshalb wusste Jeanette es nicht, und es war ihr auch recht. Nachdem sie und ihr Vater das Zimmer ihres Bruders ausgeräumt und seine alten Wimpel und Poster von den Wänden genommen hatten - José Canseco, eine Band namens Killer Picnic, die Bud Girls -, sahen sie, wie verschossen und verschrammt die Wände waren, und sie strichen sie mit einer Farbe, die »Dreamtime« hieß und die irgendwie eine Mischung aus Rosa und Blau war - passend für Babys beiderlei Geschlechts. Ihr Vater klebte eine Tapetenbordüre oben an die Wand, ein gleichförmiges Muster aus Enten, die in einem Tümpel plantschten, und polierte den alten Schaukelstuhl aus Ahorn, den er bei einer Versteigerung ergattert hatte. Jeanette sollte schließlich auch etwas haben, wo sie sitzen und die Kleine im Arm halten konnte.
Das Baby kam im Sommer; es war ein Mädchen, wie sie es sich gewünscht hatte, und wurde Amy Harper Bellafonte genannt. Reynolds stand als Name nicht zur Debatte - der Nachname eines Mannes, den Jeanette vermutlich nie wiedersehen würde und den sie jetzt, da Amy da war, auch gar nicht mehr wiedersehen wollte. Und Bellafonte - einen besseren Namen konnte man gar nicht haben. Es bedeutete »schöne Quelle«, und genau das war Amy auch. Jeanette fütterte und wiegte sie und wechselte ihre Windeln, und wenn Amy mitten in der Nacht weinte, weil sie nass oder hungrig war oder Angst vor der Dunkelheit hatte, dann stolperte Jeanette durch den Flur zum Kinderzimmer, ganz gleich, wie spät es war oder wie müde sie nach der Arbeit im Diner war. Und sie nahm die Kleine auf und sagte, sie sei da und sie werde immer für sie da sein: Wenn du weinst, komme ich gerannt, das ist der Deal zwischen uns beiden, zwischen dir und mir, für immer und ewig, meine kleine Amy Harper Bellafonte. Dann hielt sie sie auf dem Arm und wiegte sie, bis die Jalousien in der Morgendämmerung fahl wurden und sie in den Ästen der Bäume draußen die Vögel singen hörte.
Mit einem Mal war Amy drei, und Jeanette allein. Ihr Vater war gestorben, an einem Herzinfarkt, sagte man ihr, oder vielleicht an einem Schlaganfall. Niemand nahm das so genau. Was immer es war, es traf ihn eines Wintermorgens in aller Früh, als er zu seinem Truck ging, um zur Arbeit im Silo zu fahren; er hatte gerade noch Zeit, seinen Kaffee auf den Kotflügel zu stellen, bevor er tot umfiel. Er verschüttete keinen Tropfen. Sie arbeitete immer noch im Diner, aber plötzlich reichte das Geld nicht mehr, nicht für Amy und sie zusammen, und ihr Bruder, der irgendwo bei der Navy war, beantwortete ihre Briefe nicht. Gott hat den Staat Iowa geschaffen, hatte er immer gesagt, damit man wieder von dort abhauen kann. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Da kam eines Tages ein Mann in das Lokal. Es war Bill Reynolds. Er war irgendwie verändert, aber nicht zum Besseren. Der Bill Reynolds, an den sie sich erinnerte - und sie musste zugeben, dass sie von Zeit zu Zeit immer noch an ihn dachte, an Kleinigkeiten hauptsächlich: wie sein aschblondes Haar beim Sprechen in die Stirn fiel, oder wie er über seinen Kaffee blies, bevor er einen Schluck trank, selbst wenn er gar nicht mehr heiß war -, dieser Bill Reynolds hatte etwas an sich, so etwas wie ein warmes Licht von innen heraus, in dessen Nähe man gern sein wollte. Es erinnerte sie an diese kleinen Plastikstäbe, die man knicken musste, damit die Flüssigkeit darin anfing zu leuchten. Dies war noch derselbe Mann, aber das Leuchten war nicht mehr da. Er sah älter aus, dünner. Sie sah, dass er unrasiert war, und sein Haar war nicht gekämmt; es war fettig und stand wirr vom Kopf ab, und er trug kein gebügeltes Poloshirt, sondern nur ein gewöhnliches kariertes Arbeitshemd, wie ihr Vater eins getragen hatte, und es hing aus der Hose und hatte Schweißflecken unter den Armen. Er sah aus, als habe er die Nacht im Freien verbracht oder irgendwo im Auto geschlafen. In der Tür suchte er ihren Blick, und sie folgte ihm nach hinten zu einem Tisch.
-- Was machst du hier?
-- Ich habe sie verlassen, sagte er, und als er sie ansah, wie sie vor seinem Tisch stand, roch sie Bierdunst in seinem Atem, und sie roch Schweiß und schmutzige Kleider. Ich hab's getan, Jeanette. Ich habe meine Frau verlassen. Ich bin ein freier Mann.
-- Du bist den ganzen Weg hierhergefahren, um mir das zu sagen?
-- Ich habe an dich gedacht. Er räusperte sich. Oft. Ich habe an uns gedacht.
-- Wie, an uns? Uns gibt es nicht. Du kannst hier nicht einfach so aufkreuzen und sagen, du hast an uns gedacht.
Er richtete sich auf. -- Es ist aber so.
-- Hier ist viel Betrieb. Siehst du das nicht? Ich kann mich nicht einfach so mit dir unterhalten. Du musst etwas bestellen.
-- Okay, antwortete er, aber er schaute nicht zur Speisentafel an der Wand hinüber. Er wandte den Blick nicht von ihr. Ich nehme einen Cheeseburger. Einen Cheeseburger und eine Coke.
Als sie seine Bestellung notierte und die Worte vor ihren Augen verschwammen, begriff sie, dass sie angefangen hatte zu weinen. Ihr war, als habe sie einen ganzen Monat nicht geschlafen, ein ganzes Jahr nicht. Mit allerletzter Willenskraft stemmte sie sich gegen die Last der Erschöpfung. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie mit ihrem Leben etwas anfangen wollen: Haareschneiden vielleicht, einen
Gewerbeschein beantragen, einen kleinen Frisörsalon aufmachen, in eine richtige Stadt ziehen, nach Chicago oder Des Moines, ein Apartment mieten, Freunde haben. Aus irgendeinem Grund hatte sie immer ein ganz bestimmtes Bild von sich selbst im Kopf gehabt: Sie saß in einem Restaurant, einem Coffeeshop eigentlich, aber hübsch; es war Herbst und kalt draußen, und sie saß allein an einem kleinen Tisch am Fenster und las ein Buch. Vor ihr auf dem Tisch stand ein dampfender Becher Tee. Dann schaute sie aus dem Fenster auf die Straße der Stadt, in der sie war, und sah die Leute draußen vorbeihasten, in dicken Mänteln und Mützen, und sie sah auch ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte, vor all den Leuten draußen. Aber als sie jetzt dastand, war es, als gehörten alle diese Gedanken zu einer ganz anderen Person. Jetzt war da Amy, die halbe Zeit krank - erkältet oder mit einem verdorbenen Magen, den sie sich in der miesen Tagesstätte geholt hatte, in die Jeanette sie brachte, wenn sie zur Arbeit musste. Ihr Vater war gestorben, so plötzlich, als sei er durch eine Falltür verschwunden, und Bill Reynolds saß hier am Tisch, als wäre er nur mal kurz hinausgegangen, nicht vier Jahre weggewesen.
-- Warum tust du mir das an?
Er schaute ihr eine ganze Weile in die Augen und berührte ihren Handrücken. -- Lass uns später reden. Bitte.
Am Ende zog er bei ihr und Amy ein. Sie hätte nicht mehr sagen können, ob sie es ihm angeboten hatte oder ob es einfach irgendwie passiert war. So oder so bereute sie es auf der Stelle. Dieser Bill Reynolds - wer war er wirklich? Er hatte seine Frau und seine Jungs, Bobby und Billy in ihren Baseball-Trikots, verlassen, hatte alles in Nebraska zurückgelassen. Der Pontiac war weg, und mit seinem Job war es auch vorbei. Angesichts der wirtschaftlichen Lage, erklärte er, kaufe kein Mensch irgendetwas. Er habe einen Plan, sagte er, aber der einzige Plan, den sie sehen konnte, bestand offenbar darin, zu Hause rumzusitzen. Er tat nichts, nicht mal das Frühstücksgeschirr räumte er ab, während Amy den ganzen Tag im Diner arbeitete.
Er schlug sie zum ersten Mal, als er drei Monate bei ihr wohnte; er war betrunken, und danach brach er sofort in Tränen aus und sagte immer wieder, es tue ihm so leid. Er lag auf den Knien und heulte, als wäre sie diejenige, die ihm etwas getan hätte. Sie müsse verstehen, sagte er, wie schwer das alles sei, all die Veränderungen in seinem Leben - das sei mehr, als ein Mann, jeder Mann, ertragen könne. Er liebe sie, es tue ihm leid, und so etwas werde nie wieder passieren, nie wieder. Er schwor es. Und am Ende hörte sie sich selbst sagen, dass es auch ihr leid tue.
Es war um Geld gegangen, als er sie geschlagen hatte. Als der Winter kam, und sie nicht genug Geld auf dem Konto hatte, um den Heizöllieferanten zu bezahlen, schlug er sie wieder.
-- Verdammt noch mal, Frau, sieht du denn nicht, dass ich fürchterlich in der Scheiße stecke?
Sie lag auf dem Boden in der Küche und hielt sich den Kopf. Er hatte sie so hart geschlagen, dass sie hingefallen war. Komisch - jetzt, als sie dalag, sah sie, wie schmutzig der Boden war, dreckig und fleckig, mit Staubflocken und Gott weiß, was da noch alles unten an den Schränken klebte, wo man es normalerweise nicht sehen konnte. Mit der einen Hälfte ihres Verstandes registrierte sie den Schmutz, während die andere Hälfte sagte, du tickst nicht mehr richtig, Jeanette: Bill hat dich geschlagen und dabei eine Schraube gelockert, und jetzt machst du dir Gedanken über den Staub. Irgendwie passierte in dem Moment auch etwas Komisches mit den Geräuschen. Amy saß oben vor dem kleinen Fernseher in ihrem Zimmer, aber Jeanette konnte alles ganz laut und deutlich hören, als liefe der Apparat in ihrem Kopf - Barney, den lila Dinosaurier, und ein Lied über das Zähneputzen. Und dann hörte sie, wie aus weiter Ferne, den Heizöl-Laster wegfahren; er bog aus der Einfahrt, und das Motorgeräusch verklang auf der Landstraße.
-- Du hast hier nichts zu suchen, sagte sie.
-- Da hast du recht. Bill nahm eine Flasche Old Crow von dem Bord über der Spüle und goss sich etwas in ein Marmeladenglas, obwohl es erst zehn Uhr morgens war. Er setzte sich an den Tisch, aber er schlug die Beine nicht übereinander wie einer, der es sich bequem machen will. Und das Heizöl geht mich auch nichts an.
Jeanette versuchte aufzustehen, aber sie konnte es nicht. -- Mach, dass du wegkommst.
Er lachte, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Whiskey.
-- Das ist witzig, sagte er. Das sagst du mir von dort unten.
-- Ich mein's ernst. Mach, dass du wegkommst.
Amy kam herein. Sie hielt den Stoffhasen im Arm, den sie überallhin mitschleppte, und trug eine Latzhose - die Gute, die Jeanette im Outlet Center für sie gekauft hatte, bei OshKosh B‘Gosh, mit den gestickten Erdbeeren auf dem Latz. Ein Träger baumelte an Amys Hüfte. Jeanette begriff, dass Amy wahrscheinlich selbst den Träger aufgemacht hatte, weil sie aufs Klo musste.
-- Du liegst ja auf dem Boden, Mama.
-- Alles okay, Süße. Jeanette stand auf, um es ihr zu beweisen. In ihrem linken Ohr war ein leises Pfeifen, wie in einem Zeichentrickfilm, als ob Vögel in ihrem Kopf herumschwirrten. Sie sah auch ein bisschen Blut an ihrer Hand; sie wusste aber nicht, woher es kam. Sie nahm Amy auf den Arm und lächelte, so gut es ging. Siehst du? Mama ist nur hingefallen, mehr nicht. Musst du mal, Süße? Musst du aufs Töpfchen?
-- Sieh dich bloß an, sagte Bill. Sieh dich doch selber an! Wieder schüttelte er den Kopf und trank. Blöde Fotze. Wahrscheinlich ist das Kind nicht mal von mir.
-- Mama, sagte die Kleine und streckte den Zeigefinger aus, du hast dir wehgetan. An der Nase.
Ob es daran lag oder an dem, was sie gehört hatte, jedenfalls fing das kleine Mädchen an zu weinen.
-- Siehst du, was du angerichtet hast?, sagte Bill. Jetzt komm, sagte er zu Amy. Ist halb so schlimm. Manchmal streiten sich die Leute. Das ist einfach so.
-- Ich sag's dir noch einmal: Verschwinde.
-- Was willst du denn tun? Sag‘s mir. Du kannst ja nicht mal den Öltank füllen lassen.
-- Glaubst du, das weiß ich nicht? Das brauchst du mir weiß Gott nicht zu sagen. Amy hatte angefangen zu heulen. Jeanette hielt sie auf dem Arm und fühlte die warme Feuchtigkeit durch die Hose, als das Mädchen seine Blase entleerte.
-- Himmel noch mal, bring das Gör zum Schweigen.
Sie drückte Amy fest an die Brust. -- Du hast recht. Sie ist nicht dein Kind. Sie ist es nicht, und sie wird's auch nie sein. Jetzt verschwinde oder ich rufe den Sheriff.
Tu mir das nicht an, Jean. Im Ernst.
Doch. Genau das tu ich.
Da war er auf den Beinen und polterte durch das Haus, raffte seine Sachen zusammen und warf sie in die Pappkartons, in denen er sie vor ein paar Monaten erst hereingeschleppt hatte. Warum hatte sie nicht sofort gesehen, wie merkwürdig es war, dass er nicht mal einen richtigen Koffer hatte? Sie saß am Küchentisch mit Amy auf dem Schoß, beobachtete die Uhr über dem Herd und zählte die Minuten, bis er in die Küche zurückkam und sie noch einmal schlug.
Aber dann hörte sie, wie die Haustür aufschwang. Seine schweren Schritte dröhnten auf der Veranda. Er ging ein paar Mal ein und aus und trug die Kartons nach draußen und ließ dabei die Haustür offen, sodass kalte Luft ins Haus wehte. Schließlich kam er wieder in die Küche und brachte eine Schneespur mit herein. Die Sohlen seiner Stiefel hinterließen kleine, waffelförmige Fladen.
-- Schön. Schön. Ich soll also gehen? Pass nur auf. Er nahm die Flasche Old Crow vom Tisch. Deine letzte Chance, sagte er.
Jeanette sagte nichts, sah ihn nicht einmal an.
Das wär's wohl. Schön. Was dagegen, wenn ich noch einen Schluck zum Abschied nehme?
Da holte Jeanette aus und schlug das Glas mit der flachen Hand quer durch die Küche, wie man mit dem Schläger gegen einen Pingpongball klatscht. Sie wusste ungefähr eine halbe Sekunde, bevor sie es tat, dass sie es tun würde, und sie wusste auch, dass es nicht die beste Idee war, die sie je gehabt hatte, aber da war es zu spät. Das Glas prallte mit dumpfem Knall gegen die Wand und fiel auf den Boden, ohne zu zerbrechen. Sie schloss die Augen und drückte Amy fest an sich, und sie wusste, was kommen würde. Einen Augenblick lang war das Geräusch des rollenden Glases auf dem Boden das einzige in der Küche. Sie spürte Bills Wut wie heiße Wellen, die von ihm ausgingen.
-- Du wirst schon sehen, was die Welt für dich in petto hat, Jeanette. Denk an meine Worte.
Dann verließen seine Schritte den Raum, und er war weg.
Sie gab dem Heizölmann das Geld, das sie noch hatte, und drehte den Thermostat auf zehn Grad herunter. Weißt du, Amy, wir tun einfach so, als wären wir auf einem großen Camping-Ausflug, sagte sie, während sie die Hände des kleinen Mädchens in Fausthandschuhe stopfte und ihr eine Mütze auf den Kopf zog. Siehst du, es ist eigentlich gar nicht so kalt. Es ist wie ein Abenteuer. Sie schliefen zusammen unter einem Berg von alten Steppdecken, und es war so eiskalt im Zimmer, dass ihr Atem die Luft über ihren Gesichtern vernebelte. Jeanette nahm einen Zusatzjob an und putzte abends in der High School. Amy ließ sie in dieser Zeit bei einer Nachbarin, aber als die Frau krank wurde und ins Krankenhaus musste, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Kleine alleinzulassen. Sie erklärte ihr, was sie tun musste: Bleib im Bett, mach niemandem auf, mach einfach die Augen zu, und ich bin wieder da, ehe du dich versiehst.
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München
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Autoren-Porträt von Justin Cronin
Justin Cronin stammt aus New England und studierte in Harvard. Er besuchte den berühmten Iowa Writers Workshop und lebt heute mit seiner Frau und seinen Kindern in Houston, Texas, wo er an der Rice University Englische Literatur unterrichtet. Er veröffentlichte zwei Romane, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. Die Übersetzungsrechte an seinem jüngsten Roman "Der Übergang", an dem er über vier Jahre arbeitete, wurden innerhalb kürzester Zeit in 23 Länder verkauft.
Bibliographische Angaben
- Autor: Justin Cronin
- 2010, 2. Aufl., 1019 Seiten, Maße: 16,5 x 23,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10:
- ISBN-13: 2100000043026
Rezension zu „Der Übergang / Passage Trilogie Bd.1 “
Die Geschichte gefällt, sie hält in Atem und fordert den Leser Neue Presse Hannover
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