In Liebe, Ihre Eloise / Bridgerton-Reihe Bd.5
Immer zärtlicher werden die Briefe, die sich Sir Phillip Crane und Eloise Bridgerton schreiben - ohne sich jemals gesehen zu haben. Doch dann fährt eines Nachts eine Kutsche vor Sir Phillips Stadthaus vor, und eine hinreißende Fremde steigt aus.
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Produktinformationen zu „In Liebe, Ihre Eloise / Bridgerton-Reihe Bd.5 “
Immer zärtlicher werden die Briefe, die sich Sir Phillip Crane und Eloise Bridgerton schreiben - ohne sich jemals gesehen zu haben. Doch dann fährt eines Nachts eine Kutsche vor Sir Phillips Stadthaus vor, und eine hinreißende Fremde steigt aus.
Klappentext zu „In Liebe, Ihre Eloise / Bridgerton-Reihe Bd.5 “
Zart duftendes Papier, eine geschwungene Frauenhandschrift: Die Brieffreundschaft, die sich zwischen Eloise Bridgerton und Sir Phillip Crane entwickelt hat, bedeutet ihm viel. Seit seine Gattin einer schweren Krankheit erlag, sehnt er sich nach weiblicher Gesellschaft. Überraschend geht eines Nachts sein heimlicher Wunsch in Erfüllung: Eine Kutsche fährt vor, und Phillip findet sich der Schreiberin der bezaubernden Briefe gegenüber. Eloise, eine temperamentvolle Schönheit, ist bereit, auf die Avancen einzugehen, die er ihr in seinen zärtlichen Zeilen gemacht hat. Aber kaum hat er ihr einen ersten Kuss geraubt, erhält Phillip erneut Besuch: Eloises vier Brüder verlangen erbost, dass er ihrer Schwester die Heirat anbietet, jetzt, wo er ihren guten Ruf in Gefahr gebracht hat ...
Zart duftendes Papier, eine geschwungene Frauenhandschrift: Die Brieffreundschaft, die sich zwischen Eloise Bridgerton und Sir Phillip Crane entwickelt hat, bedeutet ihm viel. Seit seine Gattin einer schweren Krankheit erlag, sehnt er sich nach weiblicher Gesellschaft. Überraschend geht eines Nachts sein heimlicher Wunsch in Erfüllung: Eine Kutsche fährt vor, und Phillip findet sich der Schreiberin der bezaubernden Briefe gegenüber. Eloise, eine temperamentvolle Schönheit, ist bereit, auf die Avancen einzugehen, die er ihr in seinen zärtlichen Zeilen gemacht hat. Aber kaum hat er ihr einen ersten Kuss geraubt, erhält Phillip erneut Besuch: Eloises vier Brüder verlangen erbost, dass er ihrer Schwester die Heirat anbietet, jetzt, wo er ihren guten Ruf in Gefahr gebracht hat ...
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In Liebe, Ihre Eloise von Julia QuinnPROLOG
Februar 1823
Gloucestershire, England
Eigentlich eine Ironie, dass es an einem so sonnigen Tag geschehen war. Am ersten schönen Tag nach ungefähr sechs Wochen grauen Himmels mit Schnee oder Regen. Selbst er, der sich gegen die Launen des Wetters unempfindlich wähnte, hatte gemerkt, wie seine Laune heiterer, sein Lächeln breiter wurde. Er war nach draußen gegangen bei so strahlendem Sonnenschein konnte man einfach nicht im Haus verweilen. Vor allem nicht inmitten eines trüben Winters.
Sogar jetzt, über einen Monat später, konnte Phillip es immer noch nicht ganz fassen, dass die Sonne ihn derart genarrt hatte. Und außerdem, wie hatte er nur so blind sein können? Wieso hatte er es nicht kommen sehen? In den acht langen Jahren seit der Hochzeit hätte er seine Frau doch kennen lernen können. Er hätte darauf vorbereitet sein müssen. Aber eigentlich ...
Nun, im Grunde war er ja darauf gefasst gewesen. Er hatte es sich nur nicht eingestehen wollen. Vielleicht hatte er sich etwas vormachen, sich vielleicht sogar schützen wollen. Sich vor der Wahrheit verstecken wollen in der Hoffnung, dass niemals etwas in der Wirklichkeit passieren könnte, wenn er es in seinen Gedanken nicht zuließ. Dennoch war es geschehen. Und dann an einem solch sonnigen Tag. Gott musste einen ziemlich verqueren Sinn für Humor haben. Phillip schaute in sein Brandyglas, das erstaunlicherweise schon wieder leer war. Anscheinend hatte er es ausgetrunken, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte. Benebelt war er allerdings nicht, zumindest nicht so, wie er es hätte sein müssen und erst recht nicht so, wie er hätte sein wollen. Er starrte nach draußen auf die Sonne, die sich dem Horizont zuneigte. Heute war wieder ein strahlender Tag gewesen.
Vermutlich erklärte das seine
... mehr
außergewöhnlich starke Niedergeschlagenheit. Hoffte er. Er wollte, ja brauchte eine Erklärung für diese schreckliche Müdigkeit, die von ihm Besitz zu ergreifen schien. Melancholie flößte ihm schreckliche Angst ein.
Mehr als alles andere. Er fürchtete sie mehr als Feuer, mehr als Krieg. Mehr sogar als die Hölle. Die Vorstellung, in Traurigkeit zu versinken, so zu werden wie sie ...
Marina war ein melancholischer Mensch gewesen. Zu Beginn ihrer Ehe war sie ihm schon schwermütig erschienen, doch nach der Geburt ihrer Zwillinge hatte ihre Stimmung sich so verschlechtert, dass nichts sie hatte aufheitern können.
Bald konnte er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie ihr Lachen klang. Es war ein sonniger Tag gewesen, und ... Er schloss die Augen. Wollte er so die Erinnerungen forcieren oder vertreiben? Es war ein sonniger Tag gewesen, und ...
"Bestimmt haben Sie nicht erwartet, dass sie uns noch einmal scheinen würde, nicht wahr, Sir Phillip?" Phillip Crane drehte das Gesicht in die Sonne und schloss die Augen.
"Wunderbar", murmelte er. "Oder doch beinahe, wenn es nicht so verdammt kalt wäre."
Miles Carter, sein Sekretär, lachte. "So kalt ist es nun auch wieder nicht. Dieses Jahr ist nicht einmal der See zugefroren. Nur hier und da treiben ein paar Eisschollen auf dem Wasser."
Widerstrebend wandte Phillip sich von der Sonne ab und öffnete die Augen. "Noch haben wir aber nicht Frühling."
"Wenn Sie sich nach dem Frühling sehnen, Sir, sollten Sie lieber in den Kalender schauen wir haben erst Januar." Phillip warf ihm einen Seitenblick zu. "Bezahle ich Sie etwa für derartige Unverschämtheiten?"
"Allerdings. Und das nicht zu knapp." Phillip lächelte in sich hinein. Schweigend genossen die Männer den Sonnenschein noch ein paar Augenblicke.
"Ich dachte, Ihnen macht der graue Himmel nichts aus", begann Miles im Plauderton, als sie ihren Weg zum Gewächshaus fortsetzten.
"Das tut er auch nicht", erwiderte Phillip. "Doch nur weil ich mich nicht über einen wolkenverhangenen Himmel ärgere, heißt das doch nicht, dass ich die Sonne nicht vorziehen würde." Kurz hielt er inne. "Vergessen Sie nicht, Miss Millsby zu sagen, dass sie heute mit den Kindern nach draußen geht. Natürlich brauchen sie dazu warme Mäntel, Mützen, Handschuhe und dergleichen, trotzdem sollten sie sich die Sonne ein bisschen ins Gesicht scheinen lassen. Die beiden haben schon viel zu lange drinnen gesessen."
"Wie wir alle", murmelte Miles.
Phillip lachte. "Allerdings." Er blickte zu seinem Gewächshaus. Eigentlich sollte er sich wohl jetzt seiner Korrespondenz widmen, aber er wollte lieber an seinem wissenschaftlichen Projekt weiterarbeiten, und außerdem gab es keinen Grund, warum er das Geschäftliche mit Miles nicht eine Stunde später erledigen könnte.
"Gehen Sie besser ins Haus zurück", sagte er zu seinem Sekretär. "Suchen Sie Miss Millsby. Wir beide setzen uns später zusammen. Sie fühlen sich im Gewächshaus ja ohnehin nicht wohl."
"Um diese Jahreszeit schon", erklärte Miles. "Da ist mir die Wärme willkommen." Phillip hob die linke Augenbraue und nickte zu Romney Hall hinüber. "Wollen Sie damit etwa sagen, im Heim meiner Ahnen zöge es?"
"In Ahnenheimen zieht es immer."
"Wie wahr", stimmte Phillip grinsend zu. Er mochte seinen Angestellten. Vor einem halben Jahr hatte er ihn engagiert, damit er ihn bei der Verwaltung seines Besitzes entlastete. Miles war recht gut. Jung noch, aber effizient. Und sein trockener Humor war höchst willkommen in einem Heim, in dem so selten gelacht wurde.
Die übrigen Dienstboten würden es nie wagen, mit ihrem Herrn zu scherzen, und Marina ... nun ja, es war wohl selbstverständlich, dass Marina niemals lachte oder scherzte. Die Kinder brachten Phillip manchmal zum Lachen, nur war das etwas anderes, und meist wusste er ohnehin nicht, was er zu ihnen sagen sollte.
Er gab sich alle Mühe, doch dann wurde er verlegen, weil sie ihm auf unerklärliche Weise fremd blieben. Schließlich scheuchte er sie weg, schickte sie zurück zu ihrer Kinderfrau. So war es einfacher.
"Also dann, gehen Sie, Miles ", sagte Phillip. An diesem Tag hatte er seine Kinder noch gar nicht gesehen. Vielleicht war das auch besser so: Er wollte den schönen Sonnenschein nicht dadurch verderben, dass er mit ihnen schimpfte, wie er es leider unweigerlich zu tun pflegte. Später würde er zu ihnen stoßen, wenn sie mit Miss Millsby ihren Naturspaziergang unternahmen. Das war eine gute Idee. Dann könnte er ihnen irgendeine Pflanze zeigen und sie ihnen erklären, und alles wäre einfach und würde freundlich vonstatten gehen.
Phillip trat in sein Gewächshaus, schloss die Tür hinter sich und atmete dankbar die feuchtwarme Luft ein. Er hatte in Cambridge Botanik studiert und sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Vermutlich hätte er eine akademische Laufbahn eingeschlagen, wenn sein Bruder nicht bei Waterloo gefallen wäre und er als Zweitgeborener in dessen Fußstapfen als Gutsherr und Landedelmann hätte treten müssen. Aber es hätte auch noch schlimmer kommen können, schließlich musste er nicht in London leben.
Zumindest war er auf Romney Hall in der Lage, seinen botanischen Studien in relativ gelassener Ruhe nachzugehen. Er beugte sich über die Werkbank mit den Pflanzen und begutachtete sein jüngstes Projekt eine Erbsensorte, die schneller zur Reife gelangen und größere Erträge erzielen sollte. Bisher hatte er allerdings keinen Erfolg gehabt. Seine letzten Exemplare hatten sich gelb verfärbt und waren verkümmert, was dem gewünschten Ergebnis in keiner Weise entsprach.
Phillip runzelte die Stirn und gestattete sich dann ein Lächeln, während er seine Geräte zusammensuchte. Es störte ihn nicht sonderlich, wenn seine Experimente nicht die erwarteten Ergebnisse zeitigten. Seiner Meinung nach machte Not niemals erfinderisch. Zufälle.
Alles reine Glückssache. Natürlich würde kein Wissenschaftler es zugeben, doch meist waren sie auf ihre großen Entdeckungen oder Erfindungen dann gestoßen, wenn sie der Lösung eines gänzlich anders gearteten Problems auf der Spur gewesen waren.
Mit einem Lachen stellte er die verschrumpelten Erbsen beiseite. Wer weiß, wenn er so weitermachte, hätte er vielleicht binnen Jahresfrist ein Heilmittel gegen Gicht entdeckt. Aber an die Arbeit. An die Arbeit. Er beugte sich über die Erbsensamen und legte sie aus, um sie genau untersuchen zu können. Er brauchte exakt das richtige Erbgut, um ...
Phillip sah auf und blickte durch das frisch geputzte Fenster. Eine Bewegung auf dem Weg erregte seine Aufmerksamkeit. Jemand in einem roten Umhang lief vorbei.
Ein roter Mantel. Phillip lächelte und schüttelte den Kopf. Das musste Marina sein. Rot war ihre Lieblingsfarbe, was er immer als merkwürdig empfunden hatte. Jeder, der sie auch nur ein bisschen kannte, hätte etwas Dunkles und Düsteres erwartet. Er schaute ihr nach, bis sie im Wäldchen verschwand, und machte sich dann wieder an die Arbeit.
Marina ging nur selten nach draußen, verließ dieser Tage kaum ihr Schlafzimmer. Phillip freute sich, sie draußen an der frischen Luft zu sehen. Vielleicht würde das ihre Laune heben. Natürlich nicht auf Dauer. Nicht einmal die Sonne hätte dazu die Kraft. Aber vielleicht könnte ein schöner Sonnentag sie wenigstens ein paar Stunden aus der Reserve locken und ein kleines Lächeln auf ihre Züge zaubern. Die Kinder konnten es weiß Gott gebrauchen.
Zwar statteten sie ihrer Mutter beinahe jeden Abend einen Besuch in deren Zimmer ab, nur reichte das in punkto elterlicher Zuwendung nicht aus. Und Phillip wusste, dass er diesen Mangel nicht wettmachen konnte. Schuldbewusst seufzte er auf. Ihm war klar, dass er nicht der Vater war, den sie brauchten, auch wenn er sich immer wieder davon zu überzeugen suchte, dass er sein Bestes gab zumindest hatte er sein einziges Ziel als Familienoberhaupt erreicht: nicht so zu werden wie sein eigener Vater. Allerdings musste er sich eingestehen, dass dies nicht genug war.
Entschlossen wandte er sich von seiner Werkbank ab. Die Samen konnten warten. Seine Kinder und ihre Bedürfnisse waren jetzt wirklich wichtiger. Miss Millsby konnte einen Laub- nicht von einem Nadelbaum unterscheiden und war deswegen auf einem Naturspaziergang schlimmer als nutzlos. Wenn er sichergehen wollte, dass seine Kindern eine Rose und ein Gänseblümchen unterscheiden konnten...
Wieder sah er aus dem Fenster und sagte sich, dass ja Januar war. Jetzt würde Miss Millsby wohl keine Blumen ausfindig machen, aber das entband ihn noch lange nicht von seiner Pflicht, selbst mit den Kindern spazieren zu gehen. Es war die einzige Gelegenheit, bei der Amanda und Oliver Spaß mit ihrem Vater hatten, da durfte er seiner Verantwortung nicht ausweichen.
Er verließ das Gewächshaus, doch bevor er ein Drittel des Weges zum Haus zurückgelegt hatte, hielt er inne. Wenn er die Kinder holte, sollte er sie zu Marina bringen. Sie sehnten sich nach der Nähe ihrer Mutter, obwohl diese kaum mehr tat, als ihnen den Kopf zu tätscheln. Ja, sie sollten sie suchen. Das wäre sogar noch schöner als ein Naturspaziergang.
Aus Erfahrung wusste er indes, dass er keine voreiligen Schlüsse ziehen durfte, wenn es um Marinas Gemütslage ging. Nur weil es sie nach draußen gezogen hatte, hieß das noch lange nicht, dass es ihr gut ging. Und er wollte nicht, dass die Kinder sie sahen, wenn sie vollends ihrer melancholischen Stimmung unterworfen war. Phillip machte kehrt und lief auf das Wäldchen zu, in dem er Marina vor kurzem hatte verschwinden sehen.
Da er beinahe doppelt so schnell wie seine Frau ging, würde er sie bald einholen und selbst sehen können, in welcher Verfassung sie sich befand. Die Kinderzimmer würde er immer noch erreichen, bevor Miss Millsby mit seinen Sprösslingen aufbrach. Ohne Mühe folgte er Marinas Spur durch das Wäldchen. Der Boden war feucht, und seine Frau trug anscheinend ungewöhnlich schweres Schuhwerk, da ihre Abdrücke sich deutlich am Boden abzeichneten. Sie führten einen leichten Abhang hinunter, aus dem Wäldchen hinaus und auf eine Wiese.
"Verdammt", murmelte Phillip. Im Gras konnte er ihre Spur unmöglich verfolgen. Schützend hielt er sich die Hand über die Augen und suchte die Umgebung nach einem verräterischen roten Fleck ab. Nichts, weder an der verlassenen Hütte noch in seinem Versuchsgetreidefeld oder an dem massigen Felsen, auf dem er als Kind so oft herumgeklettert war.
Phillip wandte sich nach Norden, und als er sie endlich sah, wurden seine Augen schmal. Sie strebte dem See zu, der in einer schützenden Mulde lag. Dem See. Phillip öffnete den Mund, während er auf die Gestalt hinunterblickte, die sich langsam auf das Ufer zu bewegte. Er war nicht direkt erstarrt, mehr ... unschlüssig ..., während er den seltsamen Anblick zu verarbeiten suchte.
Marina ging nie schwimmen. Er hätte nicht einmal sagen können, ob sie diese Fertigkeit beherrschte. Vermutlich wusste sie, dass es im Park einen See gab, aber er hatte sie noch nie dort gesehen, jedenfalls nicht in den acht Jahren, die sie nun verheiratet waren.
Er setzte sich in Bewegung sein Körper schien begriffen zu haben, was sein Geist nicht akzeptieren wollte. Nun stieg sie in das flache Wasser, woraufhin er seine Schritte beschleunigte, doch war er noch zu weit entfernt, um etwas anderes zu tun, als ihren Namen zu rufen. Falls sie ihn hörte, ließ sie es sich nicht anmerken. Langsam und zielsicher bewegte sie sich weiter in den See.
"Marina!" schrie er und begann zu rennen. "Marina!" Auf einmal verstand er, warum sie so schweres Schuhwerk ausgewählt hatte: Sie wollte sichergehen, dass sie möglichst schnell versank.
Bald war sie an der Stelle angekommen, wo der Boden jäh in die Tiefe abfiel, und ruckartig verschwand sie in den metallgrauen Fluten. Ihr roter Mantel blieb nur kurz an der Oberfläche, bevor auch er nach unten gezogen wurde. Wieder schrie er ihren Namen, obwohl sie ihn unmöglich hören konnte.
Er schlitterte und stolperte den Abhang zum See hinunter, hatte gerade noch genügend Geistesgegenwart, Rock und Stiefel abzulegen, bevor er sich in das eiskalte Nass stürzte. Kaum eine Minute war sie unter Wasser gewesen, und natürlich war ihm klar, dass man so schnell nicht ertrank, aber jede Sekunde, die er brauchte, um sie zu finden, rückte sie dem Tod näher.
Schon zahllose Male war er im See geschwommen, kannte die Stelle genau, wo der Boden abfiel, und kam mit raschen, gleichmäßigen Zügen am kritischen Ort an. Dass seine vollgesogenen Kleider ihn nach unten zogen, merkte er gar nicht. Er konnte sie finden. Er musste sie finden. Bevor es zu spät war.
Immer tiefer tauchend, suchte er das trübe Wasser ab. Anscheinend hatte Marina einigen Dreck aufgewirbelt, und er sicher auch. Feiner Schlick behinderte seine Sicht. Marinas einzige bunte Laune verriet sie schließlich. Phillip pflügte durchs Wasser, bis er den Grund erreicht hatte, wo er ihren roten Mantel träge im Wasser schweben sah.
Sie wehrte sich nicht, als er sie nach oben zog, denn sie hatte bereits das Bewusstsein verloren. Bleischwer lag sie ihm in den Armen. Sie durchbrachen die Oberfläche, und er sog die Luft in tiefen Zügen ein. Einen Augenblick lang konnte er nichts anderes tun als das; sein Körper forderte sein Recht, bevor Phillip sich wieder den Bedürfnissen seiner Frau widmen konnte.
Dann schleppte er sie ans Ufer, sorgsam darauf achtend, dass ihr Gesicht über dem Wasser blieb, auch wenn sie gar nicht zu atmen schien.
Schließlich hatte er den schmalen Strand erreicht, und er legte sie auf den Kies zwischen Wasser und Wiese. Panisch hielt er ihr die Hand vors Gesicht, um zu fühlen, ob sie noch lebte, doch kein Atemhauch war zu spüren.
Er wusste nicht, was er tun sollte, hatte nie gedacht, dass er einmal jemanden vor dem Ertrinken würde retten müssen, daher tat er einfach das, was ihm die Vernunft eingab, hob sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Schoß und schlug ihr auf den Rücken. Zuerst zeitigte dies keinerlei Wirkung, doch nach dem vierten Hieb begann sie zu husten, und ein Schwall schmutzigen Wassers ergoss sich aus ihrem Mund. Rasch drehte er sie um.
"Marina?" fragte er drängend, während er ihr leichte Schläge ins Gesicht versetzte.
"Marina?" Wieder hustete sie, bis es sie schüttelte, und dann begann sie nach Luft zu schnappen. Ihr Körper zwang sie zu leben, obwohl ihre Seele sich das Ende herbeisehnte.
"Marina", sagte Phillip. Seine Stimme zitterte vor Erleichterung. "Gott sei Dank."
Er liebte sie nicht, hatte sie nie wirklich geliebt, aber sie war seine Frau, sie war die Mutter seiner Kinder, und im tiefsten Inneren, unter ihrer Hülle aus Trauer und Verzweiflung, war sie ein guter und feiner Mensch. Vielleicht liebte er sie nicht, ihren Tod indes wollte er ganz gewiss nicht. Sie blinzelte, ihr Blick war leer. Nach einer Weile schien sie zu erkennen, wo sie sich befand, und wisperte: "Nein." "Ich muss dich zum Haus zurückbringen", erklärte er rau, selbst erstaunt, wie zornig ihn dieses eine Wort machte. Nein.
Wie konnte sie es wagen, seine Rettung zurückzuweisen? Wollte sie sich vom Leben verabschieden, nur weil sie traurig war? Galten ihr ihre beiden Kinder nichts? Konnte eine trübe Stimmung mehr wiegen als die Verantwortung, die eine Mutter trug?
"Ich bringe dich ins Haus", stieß er hervor und hob sie nicht sehr sanft hoch. Sie atmete jetzt und war eindeutig wieder im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte auf welche Irrwege diese sie auch geführt haben mochten. Es bestand keinerlei Grund, sie wie eine zarte Blume zu behandeln.
"Nein!" Sie weinte leise. "Bitte nicht. Ich will nicht ... ich ..."
"Ich bringe dich sofort ins Haus", wiederholte er scharf und stapfte den Hügel hinauf, ohne auf den kalten Wind zu achten, der ihm in die nassen Kleider fuhr; nicht einmal die spitzen Steinchen bemerkte er, die sich ihm in die nackten Fußsohlen bohrten.
"Ich kann nicht", flüsterte sie, anscheinend mit ihrem letzten Rest an Energie. Während Phillip seine Frau nach Hause trug, sann er darüber nach, wie treffend diese Worte doch waren. Ich kann nicht. Irgendwie schien das kurz und bündig ihr ganzes Leben zusammenzufassen. ...
Übersetzung: Petra Lingsminat
© MIRA Taschenbuch
Mehr als alles andere. Er fürchtete sie mehr als Feuer, mehr als Krieg. Mehr sogar als die Hölle. Die Vorstellung, in Traurigkeit zu versinken, so zu werden wie sie ...
Marina war ein melancholischer Mensch gewesen. Zu Beginn ihrer Ehe war sie ihm schon schwermütig erschienen, doch nach der Geburt ihrer Zwillinge hatte ihre Stimmung sich so verschlechtert, dass nichts sie hatte aufheitern können.
Bald konnte er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie ihr Lachen klang. Es war ein sonniger Tag gewesen, und ... Er schloss die Augen. Wollte er so die Erinnerungen forcieren oder vertreiben? Es war ein sonniger Tag gewesen, und ...
"Bestimmt haben Sie nicht erwartet, dass sie uns noch einmal scheinen würde, nicht wahr, Sir Phillip?" Phillip Crane drehte das Gesicht in die Sonne und schloss die Augen.
"Wunderbar", murmelte er. "Oder doch beinahe, wenn es nicht so verdammt kalt wäre."
Miles Carter, sein Sekretär, lachte. "So kalt ist es nun auch wieder nicht. Dieses Jahr ist nicht einmal der See zugefroren. Nur hier und da treiben ein paar Eisschollen auf dem Wasser."
Widerstrebend wandte Phillip sich von der Sonne ab und öffnete die Augen. "Noch haben wir aber nicht Frühling."
"Wenn Sie sich nach dem Frühling sehnen, Sir, sollten Sie lieber in den Kalender schauen wir haben erst Januar." Phillip warf ihm einen Seitenblick zu. "Bezahle ich Sie etwa für derartige Unverschämtheiten?"
"Allerdings. Und das nicht zu knapp." Phillip lächelte in sich hinein. Schweigend genossen die Männer den Sonnenschein noch ein paar Augenblicke.
"Ich dachte, Ihnen macht der graue Himmel nichts aus", begann Miles im Plauderton, als sie ihren Weg zum Gewächshaus fortsetzten.
"Das tut er auch nicht", erwiderte Phillip. "Doch nur weil ich mich nicht über einen wolkenverhangenen Himmel ärgere, heißt das doch nicht, dass ich die Sonne nicht vorziehen würde." Kurz hielt er inne. "Vergessen Sie nicht, Miss Millsby zu sagen, dass sie heute mit den Kindern nach draußen geht. Natürlich brauchen sie dazu warme Mäntel, Mützen, Handschuhe und dergleichen, trotzdem sollten sie sich die Sonne ein bisschen ins Gesicht scheinen lassen. Die beiden haben schon viel zu lange drinnen gesessen."
"Wie wir alle", murmelte Miles.
Phillip lachte. "Allerdings." Er blickte zu seinem Gewächshaus. Eigentlich sollte er sich wohl jetzt seiner Korrespondenz widmen, aber er wollte lieber an seinem wissenschaftlichen Projekt weiterarbeiten, und außerdem gab es keinen Grund, warum er das Geschäftliche mit Miles nicht eine Stunde später erledigen könnte.
"Gehen Sie besser ins Haus zurück", sagte er zu seinem Sekretär. "Suchen Sie Miss Millsby. Wir beide setzen uns später zusammen. Sie fühlen sich im Gewächshaus ja ohnehin nicht wohl."
"Um diese Jahreszeit schon", erklärte Miles. "Da ist mir die Wärme willkommen." Phillip hob die linke Augenbraue und nickte zu Romney Hall hinüber. "Wollen Sie damit etwa sagen, im Heim meiner Ahnen zöge es?"
"In Ahnenheimen zieht es immer."
"Wie wahr", stimmte Phillip grinsend zu. Er mochte seinen Angestellten. Vor einem halben Jahr hatte er ihn engagiert, damit er ihn bei der Verwaltung seines Besitzes entlastete. Miles war recht gut. Jung noch, aber effizient. Und sein trockener Humor war höchst willkommen in einem Heim, in dem so selten gelacht wurde.
Die übrigen Dienstboten würden es nie wagen, mit ihrem Herrn zu scherzen, und Marina ... nun ja, es war wohl selbstverständlich, dass Marina niemals lachte oder scherzte. Die Kinder brachten Phillip manchmal zum Lachen, nur war das etwas anderes, und meist wusste er ohnehin nicht, was er zu ihnen sagen sollte.
Er gab sich alle Mühe, doch dann wurde er verlegen, weil sie ihm auf unerklärliche Weise fremd blieben. Schließlich scheuchte er sie weg, schickte sie zurück zu ihrer Kinderfrau. So war es einfacher.
"Also dann, gehen Sie, Miles ", sagte Phillip. An diesem Tag hatte er seine Kinder noch gar nicht gesehen. Vielleicht war das auch besser so: Er wollte den schönen Sonnenschein nicht dadurch verderben, dass er mit ihnen schimpfte, wie er es leider unweigerlich zu tun pflegte. Später würde er zu ihnen stoßen, wenn sie mit Miss Millsby ihren Naturspaziergang unternahmen. Das war eine gute Idee. Dann könnte er ihnen irgendeine Pflanze zeigen und sie ihnen erklären, und alles wäre einfach und würde freundlich vonstatten gehen.
Phillip trat in sein Gewächshaus, schloss die Tür hinter sich und atmete dankbar die feuchtwarme Luft ein. Er hatte in Cambridge Botanik studiert und sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Vermutlich hätte er eine akademische Laufbahn eingeschlagen, wenn sein Bruder nicht bei Waterloo gefallen wäre und er als Zweitgeborener in dessen Fußstapfen als Gutsherr und Landedelmann hätte treten müssen. Aber es hätte auch noch schlimmer kommen können, schließlich musste er nicht in London leben.
Zumindest war er auf Romney Hall in der Lage, seinen botanischen Studien in relativ gelassener Ruhe nachzugehen. Er beugte sich über die Werkbank mit den Pflanzen und begutachtete sein jüngstes Projekt eine Erbsensorte, die schneller zur Reife gelangen und größere Erträge erzielen sollte. Bisher hatte er allerdings keinen Erfolg gehabt. Seine letzten Exemplare hatten sich gelb verfärbt und waren verkümmert, was dem gewünschten Ergebnis in keiner Weise entsprach.
Phillip runzelte die Stirn und gestattete sich dann ein Lächeln, während er seine Geräte zusammensuchte. Es störte ihn nicht sonderlich, wenn seine Experimente nicht die erwarteten Ergebnisse zeitigten. Seiner Meinung nach machte Not niemals erfinderisch. Zufälle.
Alles reine Glückssache. Natürlich würde kein Wissenschaftler es zugeben, doch meist waren sie auf ihre großen Entdeckungen oder Erfindungen dann gestoßen, wenn sie der Lösung eines gänzlich anders gearteten Problems auf der Spur gewesen waren.
Mit einem Lachen stellte er die verschrumpelten Erbsen beiseite. Wer weiß, wenn er so weitermachte, hätte er vielleicht binnen Jahresfrist ein Heilmittel gegen Gicht entdeckt. Aber an die Arbeit. An die Arbeit. Er beugte sich über die Erbsensamen und legte sie aus, um sie genau untersuchen zu können. Er brauchte exakt das richtige Erbgut, um ...
Phillip sah auf und blickte durch das frisch geputzte Fenster. Eine Bewegung auf dem Weg erregte seine Aufmerksamkeit. Jemand in einem roten Umhang lief vorbei.
Ein roter Mantel. Phillip lächelte und schüttelte den Kopf. Das musste Marina sein. Rot war ihre Lieblingsfarbe, was er immer als merkwürdig empfunden hatte. Jeder, der sie auch nur ein bisschen kannte, hätte etwas Dunkles und Düsteres erwartet. Er schaute ihr nach, bis sie im Wäldchen verschwand, und machte sich dann wieder an die Arbeit.
Marina ging nur selten nach draußen, verließ dieser Tage kaum ihr Schlafzimmer. Phillip freute sich, sie draußen an der frischen Luft zu sehen. Vielleicht würde das ihre Laune heben. Natürlich nicht auf Dauer. Nicht einmal die Sonne hätte dazu die Kraft. Aber vielleicht könnte ein schöner Sonnentag sie wenigstens ein paar Stunden aus der Reserve locken und ein kleines Lächeln auf ihre Züge zaubern. Die Kinder konnten es weiß Gott gebrauchen.
Zwar statteten sie ihrer Mutter beinahe jeden Abend einen Besuch in deren Zimmer ab, nur reichte das in punkto elterlicher Zuwendung nicht aus. Und Phillip wusste, dass er diesen Mangel nicht wettmachen konnte. Schuldbewusst seufzte er auf. Ihm war klar, dass er nicht der Vater war, den sie brauchten, auch wenn er sich immer wieder davon zu überzeugen suchte, dass er sein Bestes gab zumindest hatte er sein einziges Ziel als Familienoberhaupt erreicht: nicht so zu werden wie sein eigener Vater. Allerdings musste er sich eingestehen, dass dies nicht genug war.
Entschlossen wandte er sich von seiner Werkbank ab. Die Samen konnten warten. Seine Kinder und ihre Bedürfnisse waren jetzt wirklich wichtiger. Miss Millsby konnte einen Laub- nicht von einem Nadelbaum unterscheiden und war deswegen auf einem Naturspaziergang schlimmer als nutzlos. Wenn er sichergehen wollte, dass seine Kindern eine Rose und ein Gänseblümchen unterscheiden konnten...
Wieder sah er aus dem Fenster und sagte sich, dass ja Januar war. Jetzt würde Miss Millsby wohl keine Blumen ausfindig machen, aber das entband ihn noch lange nicht von seiner Pflicht, selbst mit den Kindern spazieren zu gehen. Es war die einzige Gelegenheit, bei der Amanda und Oliver Spaß mit ihrem Vater hatten, da durfte er seiner Verantwortung nicht ausweichen.
Er verließ das Gewächshaus, doch bevor er ein Drittel des Weges zum Haus zurückgelegt hatte, hielt er inne. Wenn er die Kinder holte, sollte er sie zu Marina bringen. Sie sehnten sich nach der Nähe ihrer Mutter, obwohl diese kaum mehr tat, als ihnen den Kopf zu tätscheln. Ja, sie sollten sie suchen. Das wäre sogar noch schöner als ein Naturspaziergang.
Aus Erfahrung wusste er indes, dass er keine voreiligen Schlüsse ziehen durfte, wenn es um Marinas Gemütslage ging. Nur weil es sie nach draußen gezogen hatte, hieß das noch lange nicht, dass es ihr gut ging. Und er wollte nicht, dass die Kinder sie sahen, wenn sie vollends ihrer melancholischen Stimmung unterworfen war. Phillip machte kehrt und lief auf das Wäldchen zu, in dem er Marina vor kurzem hatte verschwinden sehen.
Da er beinahe doppelt so schnell wie seine Frau ging, würde er sie bald einholen und selbst sehen können, in welcher Verfassung sie sich befand. Die Kinderzimmer würde er immer noch erreichen, bevor Miss Millsby mit seinen Sprösslingen aufbrach. Ohne Mühe folgte er Marinas Spur durch das Wäldchen. Der Boden war feucht, und seine Frau trug anscheinend ungewöhnlich schweres Schuhwerk, da ihre Abdrücke sich deutlich am Boden abzeichneten. Sie führten einen leichten Abhang hinunter, aus dem Wäldchen hinaus und auf eine Wiese.
"Verdammt", murmelte Phillip. Im Gras konnte er ihre Spur unmöglich verfolgen. Schützend hielt er sich die Hand über die Augen und suchte die Umgebung nach einem verräterischen roten Fleck ab. Nichts, weder an der verlassenen Hütte noch in seinem Versuchsgetreidefeld oder an dem massigen Felsen, auf dem er als Kind so oft herumgeklettert war.
Phillip wandte sich nach Norden, und als er sie endlich sah, wurden seine Augen schmal. Sie strebte dem See zu, der in einer schützenden Mulde lag. Dem See. Phillip öffnete den Mund, während er auf die Gestalt hinunterblickte, die sich langsam auf das Ufer zu bewegte. Er war nicht direkt erstarrt, mehr ... unschlüssig ..., während er den seltsamen Anblick zu verarbeiten suchte.
Marina ging nie schwimmen. Er hätte nicht einmal sagen können, ob sie diese Fertigkeit beherrschte. Vermutlich wusste sie, dass es im Park einen See gab, aber er hatte sie noch nie dort gesehen, jedenfalls nicht in den acht Jahren, die sie nun verheiratet waren.
Er setzte sich in Bewegung sein Körper schien begriffen zu haben, was sein Geist nicht akzeptieren wollte. Nun stieg sie in das flache Wasser, woraufhin er seine Schritte beschleunigte, doch war er noch zu weit entfernt, um etwas anderes zu tun, als ihren Namen zu rufen. Falls sie ihn hörte, ließ sie es sich nicht anmerken. Langsam und zielsicher bewegte sie sich weiter in den See.
"Marina!" schrie er und begann zu rennen. "Marina!" Auf einmal verstand er, warum sie so schweres Schuhwerk ausgewählt hatte: Sie wollte sichergehen, dass sie möglichst schnell versank.
Bald war sie an der Stelle angekommen, wo der Boden jäh in die Tiefe abfiel, und ruckartig verschwand sie in den metallgrauen Fluten. Ihr roter Mantel blieb nur kurz an der Oberfläche, bevor auch er nach unten gezogen wurde. Wieder schrie er ihren Namen, obwohl sie ihn unmöglich hören konnte.
Er schlitterte und stolperte den Abhang zum See hinunter, hatte gerade noch genügend Geistesgegenwart, Rock und Stiefel abzulegen, bevor er sich in das eiskalte Nass stürzte. Kaum eine Minute war sie unter Wasser gewesen, und natürlich war ihm klar, dass man so schnell nicht ertrank, aber jede Sekunde, die er brauchte, um sie zu finden, rückte sie dem Tod näher.
Schon zahllose Male war er im See geschwommen, kannte die Stelle genau, wo der Boden abfiel, und kam mit raschen, gleichmäßigen Zügen am kritischen Ort an. Dass seine vollgesogenen Kleider ihn nach unten zogen, merkte er gar nicht. Er konnte sie finden. Er musste sie finden. Bevor es zu spät war.
Immer tiefer tauchend, suchte er das trübe Wasser ab. Anscheinend hatte Marina einigen Dreck aufgewirbelt, und er sicher auch. Feiner Schlick behinderte seine Sicht. Marinas einzige bunte Laune verriet sie schließlich. Phillip pflügte durchs Wasser, bis er den Grund erreicht hatte, wo er ihren roten Mantel träge im Wasser schweben sah.
Sie wehrte sich nicht, als er sie nach oben zog, denn sie hatte bereits das Bewusstsein verloren. Bleischwer lag sie ihm in den Armen. Sie durchbrachen die Oberfläche, und er sog die Luft in tiefen Zügen ein. Einen Augenblick lang konnte er nichts anderes tun als das; sein Körper forderte sein Recht, bevor Phillip sich wieder den Bedürfnissen seiner Frau widmen konnte.
Dann schleppte er sie ans Ufer, sorgsam darauf achtend, dass ihr Gesicht über dem Wasser blieb, auch wenn sie gar nicht zu atmen schien.
Schließlich hatte er den schmalen Strand erreicht, und er legte sie auf den Kies zwischen Wasser und Wiese. Panisch hielt er ihr die Hand vors Gesicht, um zu fühlen, ob sie noch lebte, doch kein Atemhauch war zu spüren.
Er wusste nicht, was er tun sollte, hatte nie gedacht, dass er einmal jemanden vor dem Ertrinken würde retten müssen, daher tat er einfach das, was ihm die Vernunft eingab, hob sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Schoß und schlug ihr auf den Rücken. Zuerst zeitigte dies keinerlei Wirkung, doch nach dem vierten Hieb begann sie zu husten, und ein Schwall schmutzigen Wassers ergoss sich aus ihrem Mund. Rasch drehte er sie um.
"Marina?" fragte er drängend, während er ihr leichte Schläge ins Gesicht versetzte.
"Marina?" Wieder hustete sie, bis es sie schüttelte, und dann begann sie nach Luft zu schnappen. Ihr Körper zwang sie zu leben, obwohl ihre Seele sich das Ende herbeisehnte.
"Marina", sagte Phillip. Seine Stimme zitterte vor Erleichterung. "Gott sei Dank."
Er liebte sie nicht, hatte sie nie wirklich geliebt, aber sie war seine Frau, sie war die Mutter seiner Kinder, und im tiefsten Inneren, unter ihrer Hülle aus Trauer und Verzweiflung, war sie ein guter und feiner Mensch. Vielleicht liebte er sie nicht, ihren Tod indes wollte er ganz gewiss nicht. Sie blinzelte, ihr Blick war leer. Nach einer Weile schien sie zu erkennen, wo sie sich befand, und wisperte: "Nein." "Ich muss dich zum Haus zurückbringen", erklärte er rau, selbst erstaunt, wie zornig ihn dieses eine Wort machte. Nein.
Wie konnte sie es wagen, seine Rettung zurückzuweisen? Wollte sie sich vom Leben verabschieden, nur weil sie traurig war? Galten ihr ihre beiden Kinder nichts? Konnte eine trübe Stimmung mehr wiegen als die Verantwortung, die eine Mutter trug?
"Ich bringe dich ins Haus", stieß er hervor und hob sie nicht sehr sanft hoch. Sie atmete jetzt und war eindeutig wieder im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte auf welche Irrwege diese sie auch geführt haben mochten. Es bestand keinerlei Grund, sie wie eine zarte Blume zu behandeln.
"Nein!" Sie weinte leise. "Bitte nicht. Ich will nicht ... ich ..."
"Ich bringe dich sofort ins Haus", wiederholte er scharf und stapfte den Hügel hinauf, ohne auf den kalten Wind zu achten, der ihm in die nassen Kleider fuhr; nicht einmal die spitzen Steinchen bemerkte er, die sich ihm in die nackten Fußsohlen bohrten.
"Ich kann nicht", flüsterte sie, anscheinend mit ihrem letzten Rest an Energie. Während Phillip seine Frau nach Hause trug, sann er darüber nach, wie treffend diese Worte doch waren. Ich kann nicht. Irgendwie schien das kurz und bündig ihr ganzes Leben zusammenzufassen. ...
Übersetzung: Petra Lingsminat
© MIRA Taschenbuch
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Autoren-Porträt von Julia Quinn
Julia Quinn, auch als zeitgenössische Jane Austen bezeichnet, studierte zunächst Kunstgeschichte an der Harvard Universität. Ihre überaus erfolgreichen historischen Romane präsentieren den Zauber einer vergangenen Epoche und begeistern durch ihre warmherzigen, humorvollen Schilderungen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Julia Quinn
- 2010, 396 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Petra Lingsminat
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899417232
- ISBN-13: 9783899417234
- Erscheinungsdatum: 21.05.2010
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