Das Verhängnis
Roman
Es beginnt mit einem harmlosen Flirt und wird zum tödlichen Verhängnis.
Suzy Bigelow ist nicht gerade glücklich verheiratet. Sie nimmt abends in einer nahen Bar einen Drink - und zieht dabei die Blicke dreier...
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Produktinformationen zu „Das Verhängnis “
Es beginnt mit einem harmlosen Flirt und wird zum tödlichen Verhängnis.
Suzy Bigelow ist nicht gerade glücklich verheiratet. Sie nimmt abends in einer nahen Bar einen Drink - und zieht dabei die Blicke dreier Männer auf sich. Suzy wird zum Teil einer Wette - doch die Männer ahnen nicht, wie tödlich sie sich hier "verzocken".
Lese-Probe zu „Das Verhängnis “
Das Verhängnis von Joy Fielding KAPITEL 1
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So fängt es an.
Mit einem Witz.
»Also, kommt ein Mann in eine Bar«, begann Jeff und gluckste schon. »Er sieht einen anderen Mann, der griesgrämig an der Theke sitzt und an seinem Drink nippt. Vor ihm stehen eine Flasche Whiskey und ein winziges Klavier, auf dem ein ebenso winziger Mann spielt. >Was ist los?<, fragt der erste Mann. >Trinken Sie einen mit<, lädt ihn der zweite ein. Der erste Mann nimmt die Flasche und will sich gerade einen Schluck eingießen, als mit einer großen Rauchwolke ein Flaschengeist aus der Flasche aufsteigt. >Wünsch dir was<, weist der Flaschengeist den Mann an. >Du sollst bekommen, was immer du begehrst.< >Das ist leicht<, sagt der Mann. >Ich will zehn Millionen in kleinen Scheinen.< Der Flaschengeist nickt und verschwindet in einer weiteren Rauchwolke. Im nächsten Moment liegen zehn gegrillte Ferkel mit jeweils einer Melone im Maul vor dem Mann. >Was zum Teufel soll das?<, fragt der Mann wütend. >Bist du taub? Ich hab gesagt zehn Millionen in kleinen Scheinen. Nicht zehn Melonen in kleinen Schweinen.< Beschwörend sieht er den Mann neben sich an. Der zuckt mit den Achseln und weist mit dem Kopf auf den kleinen Klavierspieler auf dem Tresen. >Was? Glauben Sie, ich hätte mir einen dreißig Zentimeter langen Pianisten gewünscht?<«
Nach kurzer Pause folgte eine laute Lachsalve, und die Art, wie sie lachten, war jeweils durchaus typisch für die drei Männer, die an der Theke der vollen Bar standen. Jeff, mit 32 der Älteste der drei, lachte am lautesten. Sein Lachen war wie er selbst - beinahe zu groß für den kleinen Raum; es übertönte die Rockmusik, die aus einer altmodischen Musikbox neben der Eingangstür dröhnte, hing über dem langen, glänzenden, schwarzen Marmortresen und drohte zarte Gläser umzuschmeißen und den Spiegel hinter den aufgereihten Flaschen zu zersplittern. Sein Freund Tom lachte beinahe genauso laut, auch wenn seinem Lachen Jeffs Resonanz und Leichtigkeit fehlte, was er durch längere Dauer und Tremolo in der Stimme wettzumachen suchte. »Der ist gut«, japste Tom immer noch schnaufend und glucksend. »Der ist echt gut.«
Das Lachen des dritten Mannes war zurückhaltender, aber genauso ehrlich. Ein bewunderndes Lächeln spannte seinen von Natur aus beinahe mädchenhaften Schmollmund bis zu seinen großen braunen Augen. Will hatte den Witz schon einmal gehört, vor fünf Jahren, um genau zu sein, als er noch ein nervöser Studienanfänger in Princeton gewesen war, doch das würde er Jeff gegenüber nie erwähnen. Außerdem hatte Jeff den Witz besser erzählt. Sein Bruder konnte fast alles besser als die meisten Leute, dachte Will und machte Kristin ein Zeichen, ihnen noch eine Runde zu bringen. Kristin warf lächelnd ihr langes, glattes, blondes Haar von einer Schulter auf die andere, wie es die sonnenverwöhnten Frauen von South Beach offensichtlich zu tun pflegten. Will sinnierte darüber, ob das eine spezielle Marotte in Miami oder in südlichen Klimazonen generell üblich war. Er konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, dass die jungen Frauen in New Jersey so oft und nachdrücklich ihr Haar geschüttelt hatten. Andererseits war er vielleicht auch nur zu beschäftigt oder zu schüchtern gewesen, um es zu bemerken.
Will beobachtete, wie Kristin drei große Gläser vollzapfte und sie routiniert über die Theke schob, wobei sie sich gerade weit genug vorbeugte, um den anderen Männern an der Bar einen kurzen Blick in den Ausschnitt ihrer Leopardenmuster-Bluse zu gönnen. Wenn man ein bisschen Fleisch zeigte, kriegte man mehr Trinkgeld, hatte sie ihm neulich anvertraut und behauptet, auf die Weise an manchen Abenden bis zu dreihundert Dollar zu verdienen. Nicht schlecht für einen kleinen Laden wie das Wild Zone, in dem höchstens vierzig Gäste bequem sitzen und vielleicht weitere dreißig an der immer belebten Bar stehen konnten.
You ARE IN THE WILD ZONE verkündete eine provokativ blinkende orangefarbene Neonschrift über dem Spiegel hinter dem Tresen. ENTER AT YOUR OWN RISK.
Ein entsprechendes Schild hatte der Besitzer des Lokals auch neben irgendeinem Highway in Florida gesehen und entschieden, dass Wild Zone der perfekte Name für die Nobelbar war, die er am Ocean Drive eröffnen wollte. Sein Instinkt hatte sich als richtig erwiesen. Im Oktober hatte das Wild Zone seine schweren Stahltüren geöffnet, gerade rechtzeitig für Miamis geschäftige Wintersaison, und acht Monate später brummte der Laden trotz drückender Hitze und der Abreise der meisten Touristen immer noch. Will liebte den Namen und seine Andeutung von Gefahr und Verantwortungslosigkeit. Und er musste bloß an dieser Theke stehen, um sich ein wenig verwegen zu fühlen. Er lächelte seinen Bruder an und dankte ihm stumm dafür, dass er ihn mitgenommen hatte.
Wenn Jeff das Lächeln seines Bruders bemerkte, zeigte er es nicht. Stattdessen griff er hinter ihn und nahm sein frisches Bier. »Und was würdet ihr Pappnasen euch wünschen, wenn ein Flaschengeist euch die Erfüllung eines Wunsches garantieren würde? Und es darf nicht irgendein Kitsch sein wie der
Weltfrieden oder das Ende des Hungers«, fügte er hinzu. »Es muss etwas Persönliches sein. Etwas Egoistisches.«
»Zum Beispiel ein dreißig Zentimeter langer Penis«, sagte Tom lauter als nötig, fand Will. Etliche Männer, die in der Nähe standen, wandten den Kopf in ihre Richtung, auch wenn sie so taten, als würden sie nicht lauschen.
»Den hab ich schon«, sagte Jeff, kippte sein halbes Bier in einem langen Schluck herunter und lächelte einer Rothaarigen zu, die am anderen Ende des Tresens stand.
»Das stimmt«, bestätigte Tom lachend. »Ich hab ihn unter der Dusche gesehen.«
»Aber vielleicht wünsche ich ein paar Zentimeter mehr für dich«, sagte Jeff, und Tom lachte wieder, wenngleich nicht ganz so laut. »Und was ist mit dir, kleiner Bruder? Brauchst du magische Unterstützung?«
»Ich komm ganz gut so zurecht, danke.« Trotz der eiskalten Lüftung begann Will unter seinem blauen Button-down- Hemd zu schwitzen und konzentrierte sich auf den großen grünen Neon-Alligator an der gegenüberliegenden Backsteinwand, um nicht rot zu werden.
»Oh, ich bring dich doch nicht etwa in Verlegenheit«, neckte Jeff. »Scheiße, Mann. Der Kleine hat einen Doktor in Philosophie aus Harvard und wird rot wie ein kleines Mädchen.«
»Princeton«, verbesserte Will ihn. »Und ich habe meine Doktorarbeit noch nicht abgeschlossen.« Er spürte, wie die Röte von seinen Wangen bis zu seiner Stirn stieg, und war froh, dass der Raum nur schwach beleuchtet war. Ich müsste längst mit dieser verdammten Dissertation fertig sein, dachte er.
»Lass gut sein, Jeff«, ermahnte Kristin ihn von der anderen Seite der Theke. »Achte gar nicht auf ihn, Will. Er ist einfach mal wieder ein Arschloch wie üblich.«
»Willst du mir erzählen, dass es nicht auf die Größe ankommt?«, fragte Jeff.
»Ich sage nur, dass Penisse total überbewertet sind«, antwortete Kristin.
Eine Frau in der Nähe lachte. »Das kann man wohl sagen«, murmelte sie in ihr Glas.
»Na, du musst es ja wissen«, sagte Jeff zu Kristin. »Hey, Will, hab ich dir schon von dem Dreier mit Kristin und einer Freundin erzählt?«
Will wandte den Blick ab, ließ ihn über die dunklen Bodendielen und die Wand gegenüber gleiten, ohne irgendwo zu verharren, bis er schließlich am Foto eines Löwen hängen blieb, der eine Gazelle riss. Das ganze Prahlen und Feixen über Sex, in dem Jeff und seine Freunde sich offenbar gegenseitig zu übertreffen suchten, war ihm schon immer unbehaglich gewesen, aber er entschied, dass er sich nicht so anstellen durfte. War er nicht nach South Beach gekommen, um dem Stress des akademischen Lebens zu entfliehen, hinaus ins wirkliche Leben zu kommen und die Beziehung zu seinem älteren Bruder, den er jahrelang nicht gesehen hatte, wieder aufzufrischen? »Glaube nicht, dass du das erwähnt hast«, sagte er, stieß ein gepresstes Lachen hervor und wünschte, er wäre nicht so erregt, wie er es war.
»Sie war ein Superschuss, was, Krissie?«, fragte Jeff. »Wie hieß sie noch? Erinnerst du dich?«
»Heather, glaube ich«, antwortete Kristin leichthin, die Hände an den Seiten ihres kurzen, engen, schwarzen Rocks. Wenn es ihr peinlich war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Noch ein Bier?«
»Ich nehme, was immer du uns auftischen willst.«
Kristin lächelte, ein wissendes, angedeutetes Grinsen, das ihre Mundwinkel umspielte, und warf ihr Haar von der rechten auf die linke Schulter. »Eine Runde Miller kommt sofort.«
»Braves Mädchen.« Wieder erfüllte Jeffs kräftiges Lachen den Raum.
Eine junge Frau drängte sich zwischen den Gästen an die Theke. Sie war Ende zwanzig, mittelgroß, ein wenig zu dünn mit schulterlangem dunklem Haar, das ihr ins Gesicht fiel, sodass man ihre Züge nur schwer erkennen konnte. Sie trug eine schwarze Hose und eine teuer aussehende, weiße Bluse. Wahrscheinlich Seide, dachte Will. »Ich hätte gern einen Granatapfel-Martini, bitte.«
»Kommt sofort«, sagte Kristin.
»Lassen Sie sich Zeit.« Die Frau strich eine Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr, sodass man einen zierlichen Perlenohrring und ihr hübsches Profil sehen konnte. »Ich setze mich dort drüben hin.« Sie zeigte auf einen leeren Tisch in der Ecke unter einem Aquarell von einer galoppierenden Elefantenherde.
»Was zum Henker ist ein Granatapfel-Martini?«, fragte Tom.
»Klingt widerlich«, meinte Jeff.
»Schmeckt aber ziemlich gut.« Kristin räumte Jeffs leeres Bierglas ab und stellte ihm ein volles hin.
»Ach wirklich? Okay, dann probieren wir einen.« Jeff deutete an, dass die Bestellung auch Tom und Will mit einschloss. »Zehn Dollar für denjenigen, der seinen Granatapfel-Martini als Erster leer hat. Würgen verboten.«
»Abgemacht«, stimmte Tom eilfertig zu.
»Du bist verrückt.«
Als Antwort knallte Jeff einen Zehn-Dollar-Schein auf den Tresen, neben dem kurz darauf ein zweiter von Tom lag. Die beiden sahen Will erwartungsvoll an.
»Na gut«, sagte er, griff in die Tasche seiner grauen Hose und zog zwei Fünfer heraus.
Kristin beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während sie der Frau, die an einem kleinen Tisch in der gegenüberliegenden Ecke Platz genommen hatte, den Granatapfel-Martini brachte. Von den drei Männern sah der wie immer ganz in Schwarz gekleidete Jeff mit seinen fein geschnittenen Zügen und seinem welligen, blonden Haar mit Abstand am besten aus. Kristin vermutete, dass er sich die Haare tönte, würde ihn jedoch nie danach fragen. Jeff war ziemlich jähzornig, und man wusste nie, was seine Wutausbrüche provozierte. Im Gegensatz zu Tom, dachte sie und ließ den Blick zu dem dünnen, dunkelhaarigen Mann in Jeans und kariertem Hemd wandern, der direkt rechts neben Jeff stand. Ihn provozierte alles. 1,85 Meter kaum kontrollierte Wut, dachte sie und fragte sich, wie Toms Frau das aushielt. »Seit Afghanistan ist er so«, hatte sie ihr erst in der vergangenen Woche anvertraut, als Jeff die Gäste an der Bar mit der Geschichte unterhielt, wie Tom, erzürnt über eine Schiedsrichterentscheidung, eine Pistole aus dem Hosenbund seiner Jeans gezogen und auf seinen brandneuen Plasmafernseher geschossen hatte, der noch nicht einmal ganz abbezahlt war. »Seit er zurück ist hatte sie ihr in all dem Gelächter zugeraunt, das die Geschichte begleitet hatte, und den Gedanken unvollendet gelassen. Dass Tom seit fast fünf Jahren wieder zu Hause war, spielte offenbar keine Rolle.
Jeff und Tom waren seit der Highschool beste Freunde, die beiden Männer hatten sich gemeinsam bei der Armee gemeldet und mehrere Einsätze in Afghanistan absolviert. Jeff war als Held heimgekehrt, Tom in Schande, unehrenhaft entlassen, weil er ohne Grund einen unschuldigen Zivilisten angegriffen hatte. Das war eigentlich alles, was sie über die Zeit der beiden dort wusste. Weder Jeff noch Tom mochten darüber reden.
Sie stellte den pinkfarbenen Martini auf dem runden Holztisch vor der dunkelhaarigen jungen Frau ab und betrachtete beiläufig ihre makellose, wenngleich blasse Haut. War das ein Bluterguss an ihrem Kinn?
Die Frau gab ihr einen zerknüllten Zwanzig-Dollar-Schein. »Stimmt so«, sagte sie leise und wandte sich ab, bevor Kristin sich bedanken konnte.
Sie steckte das Geld hastig ein und ging zurück hinter die Bar. Die Knöchelriemen ihrer hochhackigen silbernen Sandaletten scheuerten auf ihrer nackten Haut. Die Männer wetteten mittlerweile, wer am längsten eine Erdnuss auf der Nase balancieren konnte. Das sollte Tom locker gewinnen, dachte sie. Seine Nase hatte an der Spitze eine natürliche Furche, die den beiden anderen fehlte. Jeffs Nase war schmal und gerade, so attraktiv gemeißelt wie der Rest von ihm, während Wills Nase breiter und ein wenig schief war, was den Eindruck verletzter Empfindlichkeit noch unterstrich. Sie fragte sich, woher diese Verletztheit rührte, und entschied, dass er wahrscheinlich nach seiner Mutter kam.
Jeff hingegen war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das wusste sie, weil sie auf ein Foto der beiden gestoßen war, als sie kurz nach ihrem Einzug vor etwa einem Jahr eine Schublade im Schlafzimmer aufgeräumt hatte. »Wer ist das?«, hatte sie gefragt, als sie Jeff kommen hörte, und auf das Bild eines Mannes mit zerfurchtem Gesicht, welligem Haar und einem großspurigen Grinsen gezeigt, dessen Unterarm schwer auf den Schultern eines ernst aussehenden kleinen Jungen lag.
Jeff hatte ihr das Foto aus der Hand gerissen und in die Schublade zurückgelegt. »Was machst du da?«
»Ich versuche bloß ein wenig Platz für meine Sachen zu schaffen«, hatte sie gesagt und den warnenden Unterton seiner Stimme überhört. »Ist das dein Vater?« »Ja.«
»Dachte ich mir. Du siehst genauso aus wie er.«
»Das hat meine Mutter auch immer gesagt.« Damit hatte er die Schublade polternd zugeschoben und war aus dem Zimmer gegangen.
»Ha, ha - gewonnen«, rief Tom jetzt und reckte triumphierend die Faust, als die Erdnuss, die Jeff auf der Nase balanciert hatte, an seinem Mund vorbei über sein Kinn kullerte und zu Boden fiel.
»Hey, Kristin«, sagte Jeff, und sein leicht gereizter Ton verriet, wie sehr er es hasste zu verlieren, selbst eine unbedeutende Wette wie diese. »Was ist eigentlich mit diesen Granaten-Martinis?«
»Granatapfel«, verbesserte Will ihn und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. Wut blitzte in Jeffs Augen auf.
»Was zum Henker ist eigentlich ein Granatapfel?«, fragte Tom.
»Es ist eine rote Frucht mit harter Schale, tonnenweise Kernen und jeder Menge Antioxidantien«, antwortete Kristin. »Angeblich sehr gesund.« Sie stellte den ersten pinkfarbenen Martini vor ihnen ab.
Jeff hielt sich das Glas unter die Nase und schnupperte argwöhnisch daran.
»Was sind Antioxidantien?«, fragte Tom Will.
»Warum fragst du ihn?«, fauchte Jeff. »Er ist Philosoph und kein Naturwissenschaftler.«
»Lasst es euch schmecken«, sagte Kristin, als sie die beiden anderen Martinis auf den Tresen stellte.
Jeff hob sein Glas und wartete, bis Tom und Will es ihm nachtaten. »Auf den Gewinner«, sagte er. Alle drei Männer legten den Kopf in den Nacken und schluckten das Getränk, als würden sie nach Luft schnappen.
»Fertig«, johlte Jeff kurz darauf und stellte das Glas triumphierend wieder auf die Bar.
»Mein Gott, das Zeug ist ja grauenhaft«, sagte Tom eine halbe Sekunde später und verzog das Gesicht. »Wie können Leute solchen Mist trinken?«
»Was meinst du, kleiner Bruder?«, fragte Jeff, als Will sein Glas geleert hatte.
»Nicht übel«, sagte Will. Er mochte es, wenn Jeff ihn seinen kleinen Bruder nannte, obwohl sie streng genommen nur Halbbrüder waren. Derselbe Vater, verschiedene Mütter.
»Aber auch nicht gut«, sagte Jeff und zwinkerte niemandem Bestimmtem zu.
»Ihr scheint es zu schmecken.« Tom wies mit dem Kopf auf die Dunkelhaarige in der Ecke.
»Da fragt man sich doch, was ihr sonst noch so schmeckt«, sagte Jeff.
Will ertappte sich dabei, die traurigen Augen der Frau zu betrachten. Er erkannte selbst aus der Entfernung und in diesem Licht, dass sie traurig waren, an der Art, wie sie ihren Kopf an die Wand lehnte und ziellos ins Leere starrte. Er merkte, dass sie hübscher war, als er es auf den ersten Blick vermutet hatte. Nicht umwerfend schön wie Kristin mit ihren smaragdgrünen Augen, den hohen Wangenknochen eines Fotomodells und ihrem sinnlichen Körper. Nein, das Aussehen dieser Frau tendierte eher zum Gewöhnlichen. Hübsch, gewiss, aber ohne groß die Blicke auf sich zu ziehen. Ihre Augen waren das Einzige, was an ihr wirklich hervorstach: groß, dunkel und wahrscheinlich tiefseeblau. Sie sah aus, als hätte sie tiefschürfende Gedanken, dachte Will. Er beobachtete, wie ein Mann sie ansprach, und war unvermutet erleichtert, als er sah, dass sie den Kopf schüttelte und ihn abwies. »Was glaubt ihr, was das für eine Frau ist?«, hörte er sich laut fragen.
»Vielleicht die sitzen gelassene Geliebte eines britischen Prinzen«, spekulierte Jeff und trank den Rest seines Bieres. »Oder eine russische Agentin.«
Tom lachte. »Vielleicht ist sie auch nur eine gelangweilte Hausfrau, die ein bisschen Abwechslung sucht. Warum? Interesse?«
Will fragte sich, ob es das war. Er hatte schon seit ziemlich langer Zeit gar keine Freundin mehr gehabt. Seit Amy, dachte er und schauderte bei dem Gedanken daran, wie es geendet hatte. »Bloß neugierig«, hörte er sich sagen.
»Hey, Kristin«, rief Jeff, legte die Ellbogen auf die Theke und winkte Kristin heran. »Was kannst du mir über die Granatapfel-Lady erzählen?« Mit seinem kantigen Kinn wies er auf den Tisch in der Ecke.
»Nicht viel. Ich hab sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal gesehen. Sie kommt rein, setzt sich in die Ecke, bestellt einen Granatapfel-Martini und gibt großzügig Trinkgeld.«
»Ist sie immer allein?«
»Ich hab sie noch nie mit jemandem zusammen gesehen. Warum?«
Jeff zuckte verspielt die Achseln. »Ich dachte, wir drei könnten uns vielleicht besser kennenlernen. Was meinst du?«
Will hielt unwillkürlich den Atem an.
»Sorry«, hörte er Kristin antworten, und erst dann konnte er den komprimierten Klumpen Luft in seinen Lungen wieder herauslassen. »Sie ist nicht direkt mein Typ. Aber, hey, lass dich nicht aufhalten.«
Jeff entblößte lächelnd seine makellosen, weißen Zähne, denen nicht einmal der afghanische Staub ihren Glanz hatte rauben können. »Ist es ein Wunder, dass ich dieses Mädchen liebe?«, fragte er seine Trinkkumpane, die beide staunend nickten, wobei Tom sich wünschte, dass Lainey in dieser Hinsicht mehr wie Kristin sein könnte, während Will nicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft vor zehn Tagen darüber grübelte, was in Kristins Kopf eigentlich vor sich ging.
Von seinem eigenen ganz zu schweigen.
Vielleicht war Kristin einfach vorzeitig altersweise und nahm Jeff so, wie er war, ohne ihn umkrempeln zu wollen oder so zu tun, als wäre er anders.
»Ich hab eine Idee«, sagte Jeff. »Wir wetten.«
»Worauf?«
»Darauf, wer Miss Granatapfel als Erster flachlegt.«
»Was?« Toms Wiehern ließ den Raum beben.
»Was redest du da?«, fragte Will ungehalten.
»Einhundert Dollar«, sagte Jeff und legte zwei Fünfziger auf den Tresen.
»Was redest du da?«, fragte Will noch einmal.
»Ist doch ganz einfach. In der Ecke sitzt eine attraktive Frau ganz allein für sich und wartet nur darauf, von einem charmanten Prinzen angebaggert zu werden.«
»Wenn das kein Widerspruch in sich ist«, meinte Kristin.
»Vielleicht will sie einfach in Ruhe gelassen werden«, wandte Will ein.
»Welche Frau kommt in einen Laden wie das Wild Zone in der Hoffnung, dort in Ruhe gelassen zu werden?«
Eine durchaus vernünftige Frage, musste Will zugeben.
»Also gehen wir rüber, flirten mit ihr und gucken, wen von uns sie mit nach Hause nimmt. Einhundert Dollar darauf, dass ich es bin.«
»Abgemacht.« Tom kramte in seiner Hosentasche und fischte schließlich zwei Zwanziger und ein Bündel Ein-Dollar-Scheine heraus. »Für den Rest stehe ich auch gerade«, sagte er einfältig.
»Apropos nach Hause«, unterbrach Kristin sie und sah Tom
direkt an, »solltest du dich nicht langsam auf den Weg machen? Du willst doch nicht, dass es so endet wie letztes Mal.«
In Wahrheit war Kristin diejenige, die nicht wollte, dass es so endete wie beim letzten Mal. Wenn sie wütend war, war Lainey ebenso eine Naturgewalt wie ihr Mann und auch keineswegs zu stolz, die halbe Stadt zu wecken, um den Aufenthaltsort ihres streunenden Gatten in Erfahrung zu bringen.
»Heute Abend muss sich Lainey keine Sorgen machen«, erklärte Jeff selbstbewusst. »Miss Granatapfel wird sich kaum für seinen knochigen Arsch interessieren. Und bist du dabei?«, fragte er Will.
»Ich glaube nicht.«
»Ach, komm schon. Sei kein Spielverderber. Was ist los? Hast du Angst zu verlieren?«
Will sah sich noch einmal zu der Frau um, die nach wie vor ins Leere starrte. Ihr Glas war inzwischen leer. Warum hatte er seinem Bruder nicht einfach gesagt, dass er Interesse hatte? Und hatte er das? Oder hatte Jeff womöglich recht, und er hatte nur Angst zu verlieren. »Nimmst du auch Kreditkarte?«
Jeff schlug ihm lachend auf die Schulter. »Gesprochen wie ein wahrer Rydell. Daddy wäre stolz auf dich.«
»Und wie genau wollen wir es anfangen?«, fragte Tom, genervt von all der neuen brüderlichen Kameradschaft. In den zwei Jahrzehnten, die seine Freundschaft mit Jeff jetzt dauerte, war Will nichts weiter als ein Stachel im Fleisch seines Bruders gewesen. Er war nicht mal sein richtiger Bruder, nur ein Halbbruder, ebenso unerwünscht wie ungeliebt. Jeff hatte nichts mit ihm zu tun, er hatte seit Jahren nicht mehr mit ihm oder auch nur über ihn gesprochen. Und dann stand Will vor zehn Tagen plötzlich wie aus heiterem Himmel vor der Tür, und auf einmal hieß es »kleiner Bruder« hier und »kleiner Bruder« da, dass man am liebsten kotzen würde. Tom grinste Will breit an und wünschte, »kleiner Bruder« würde seine Taschen packen und sich wieder nach Princeton verziehen. »Ich meine, wir wollen schließlich nicht den Eindruck erwecken, sie zu überfallen.«
»Wer redet denn von überfallen? Wir gehen einfach rüber, bedanken uns, dass sie uns mit den Freuden von Antioxidantien mit Wodka-Geschmack vertraut gemacht hat, und laden sie zu einem weiteren Drink ein.«
»Ich habe eine bessere Idee«, schaltete Kristin sich ein. »Ich könnte zu ihr gehen, ein bisschen mit ihr plaudern und versuchen herauszukriegen, ob sie Interesse hat.«
»Zumindest ihren Namen könntest du herausfinden«, sagte Will und überlegte, wie er sich aus der Situation herauswinden konnte, ohne sich zum Idioten zu machen oder seinen Bruder zu verärgern.
»Um wie viel wollen wir wetten, dass ihr Name mit einem J anfängt?«, fragte Tom.
»Ich setze fünf Dollar dagegen.«
»Mit J fangen mehr Namen an als mit jedem anderen Buchstaben.«
»Trotzdem gibt es noch fünfundzwanzig andere im Alphabet«, sagte Will. »Ich halte es mit Jeff.«
»Logisch«, sagte Tom knapp.
»Okay, Jungs, ich geh jetzt rüber«, verkündete Kristin und kam auf die andere Seite der Theke. »Soll ich der Lady irgendwas Bestimmtes ausrichten?«
»Vielleicht sollten wir sie lieber nicht belästigen«, sagte Will. »Sie sieht aus, als würde ihr viel im Kopf herumgehen.«
»Sag ihr, ich hätte was, worüber sie nachdenken kann«, sagte Jeff und gab Kristin einen verspielten Klaps. Alle drei Männer folgten ihrem übertriebenen Hüftschwung mit den Augen, als sie zwischen den Tischen bis zum anderen Ende des Raumes schlenderte.
Will beobachtete, wie Kristin das leere Glas vom Tisch der Frau abräumte und dabei so leicht ins Gespräch mit ihr kam, als wären die beiden Frauen schon ein Leben lang Freundinnen. Er sah, dass sich Miss Granatapfel plötzlich in ihre Richtung drehte, den Kopf provokativ zur Seite geneigt, und sich ein Lächeln über ihr Gesicht breitete, während Kristin weitersprach. »Siehst du die drei Typen am Ende der Bar?«, stellte er sich vor, würde Kristin sagen. »Den gut aussehenden in Schwarz, den wütend aussehenden neben ihm und den sensibel aussehenden in dem blauen Button-down-Hemd? Such dir einen aus. Irgendeinen. Er gehört dir.«
»Sie kommt zurück«, sagte Jeff, als Kristin wenig später den Tisch der Frau verließ und den langsamen Rückweg zum Tresen antrat, wo ihr die drei Männer im selben Moment die Köpfe entgegenreckten.
»Sie heißt Suzy«, verkündete sie, ohne stehen zu bleiben.
»Damit schuldest du mir noch fünf Dollar mehr«, erklärte Jeff Tom.
»Das ist alles?«, fragte Tom Kristin. »In der ganzen Zeit, die du an ihrem Tisch warst, hast du nicht mehr rausgekriegt?«
»Sie ist vor ein paar Monaten von Fort Myers hierhergezogen.« Kristin kehrte auf ihre Seite der Theke zurück. »Ach ja. Das hätte ich fast vergessen«, fuhr sie fort und wandte sich mit einem breiten Lächeln an Will. »Sie hat dich ausgewählt.«
Übersetzung: Kristian Lutze
Copyright © dieser Ausgabe 2010 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
So fängt es an.
Mit einem Witz.
»Also, kommt ein Mann in eine Bar«, begann Jeff und gluckste schon. »Er sieht einen anderen Mann, der griesgrämig an der Theke sitzt und an seinem Drink nippt. Vor ihm stehen eine Flasche Whiskey und ein winziges Klavier, auf dem ein ebenso winziger Mann spielt. >Was ist los?<, fragt der erste Mann. >Trinken Sie einen mit<, lädt ihn der zweite ein. Der erste Mann nimmt die Flasche und will sich gerade einen Schluck eingießen, als mit einer großen Rauchwolke ein Flaschengeist aus der Flasche aufsteigt. >Wünsch dir was<, weist der Flaschengeist den Mann an. >Du sollst bekommen, was immer du begehrst.< >Das ist leicht<, sagt der Mann. >Ich will zehn Millionen in kleinen Scheinen.< Der Flaschengeist nickt und verschwindet in einer weiteren Rauchwolke. Im nächsten Moment liegen zehn gegrillte Ferkel mit jeweils einer Melone im Maul vor dem Mann. >Was zum Teufel soll das?<, fragt der Mann wütend. >Bist du taub? Ich hab gesagt zehn Millionen in kleinen Scheinen. Nicht zehn Melonen in kleinen Schweinen.< Beschwörend sieht er den Mann neben sich an. Der zuckt mit den Achseln und weist mit dem Kopf auf den kleinen Klavierspieler auf dem Tresen. >Was? Glauben Sie, ich hätte mir einen dreißig Zentimeter langen Pianisten gewünscht?<«
Nach kurzer Pause folgte eine laute Lachsalve, und die Art, wie sie lachten, war jeweils durchaus typisch für die drei Männer, die an der Theke der vollen Bar standen. Jeff, mit 32 der Älteste der drei, lachte am lautesten. Sein Lachen war wie er selbst - beinahe zu groß für den kleinen Raum; es übertönte die Rockmusik, die aus einer altmodischen Musikbox neben der Eingangstür dröhnte, hing über dem langen, glänzenden, schwarzen Marmortresen und drohte zarte Gläser umzuschmeißen und den Spiegel hinter den aufgereihten Flaschen zu zersplittern. Sein Freund Tom lachte beinahe genauso laut, auch wenn seinem Lachen Jeffs Resonanz und Leichtigkeit fehlte, was er durch längere Dauer und Tremolo in der Stimme wettzumachen suchte. »Der ist gut«, japste Tom immer noch schnaufend und glucksend. »Der ist echt gut.«
Das Lachen des dritten Mannes war zurückhaltender, aber genauso ehrlich. Ein bewunderndes Lächeln spannte seinen von Natur aus beinahe mädchenhaften Schmollmund bis zu seinen großen braunen Augen. Will hatte den Witz schon einmal gehört, vor fünf Jahren, um genau zu sein, als er noch ein nervöser Studienanfänger in Princeton gewesen war, doch das würde er Jeff gegenüber nie erwähnen. Außerdem hatte Jeff den Witz besser erzählt. Sein Bruder konnte fast alles besser als die meisten Leute, dachte Will und machte Kristin ein Zeichen, ihnen noch eine Runde zu bringen. Kristin warf lächelnd ihr langes, glattes, blondes Haar von einer Schulter auf die andere, wie es die sonnenverwöhnten Frauen von South Beach offensichtlich zu tun pflegten. Will sinnierte darüber, ob das eine spezielle Marotte in Miami oder in südlichen Klimazonen generell üblich war. Er konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, dass die jungen Frauen in New Jersey so oft und nachdrücklich ihr Haar geschüttelt hatten. Andererseits war er vielleicht auch nur zu beschäftigt oder zu schüchtern gewesen, um es zu bemerken.
Will beobachtete, wie Kristin drei große Gläser vollzapfte und sie routiniert über die Theke schob, wobei sie sich gerade weit genug vorbeugte, um den anderen Männern an der Bar einen kurzen Blick in den Ausschnitt ihrer Leopardenmuster-Bluse zu gönnen. Wenn man ein bisschen Fleisch zeigte, kriegte man mehr Trinkgeld, hatte sie ihm neulich anvertraut und behauptet, auf die Weise an manchen Abenden bis zu dreihundert Dollar zu verdienen. Nicht schlecht für einen kleinen Laden wie das Wild Zone, in dem höchstens vierzig Gäste bequem sitzen und vielleicht weitere dreißig an der immer belebten Bar stehen konnten.
You ARE IN THE WILD ZONE verkündete eine provokativ blinkende orangefarbene Neonschrift über dem Spiegel hinter dem Tresen. ENTER AT YOUR OWN RISK.
Ein entsprechendes Schild hatte der Besitzer des Lokals auch neben irgendeinem Highway in Florida gesehen und entschieden, dass Wild Zone der perfekte Name für die Nobelbar war, die er am Ocean Drive eröffnen wollte. Sein Instinkt hatte sich als richtig erwiesen. Im Oktober hatte das Wild Zone seine schweren Stahltüren geöffnet, gerade rechtzeitig für Miamis geschäftige Wintersaison, und acht Monate später brummte der Laden trotz drückender Hitze und der Abreise der meisten Touristen immer noch. Will liebte den Namen und seine Andeutung von Gefahr und Verantwortungslosigkeit. Und er musste bloß an dieser Theke stehen, um sich ein wenig verwegen zu fühlen. Er lächelte seinen Bruder an und dankte ihm stumm dafür, dass er ihn mitgenommen hatte.
Wenn Jeff das Lächeln seines Bruders bemerkte, zeigte er es nicht. Stattdessen griff er hinter ihn und nahm sein frisches Bier. »Und was würdet ihr Pappnasen euch wünschen, wenn ein Flaschengeist euch die Erfüllung eines Wunsches garantieren würde? Und es darf nicht irgendein Kitsch sein wie der
Weltfrieden oder das Ende des Hungers«, fügte er hinzu. »Es muss etwas Persönliches sein. Etwas Egoistisches.«
»Zum Beispiel ein dreißig Zentimeter langer Penis«, sagte Tom lauter als nötig, fand Will. Etliche Männer, die in der Nähe standen, wandten den Kopf in ihre Richtung, auch wenn sie so taten, als würden sie nicht lauschen.
»Den hab ich schon«, sagte Jeff, kippte sein halbes Bier in einem langen Schluck herunter und lächelte einer Rothaarigen zu, die am anderen Ende des Tresens stand.
»Das stimmt«, bestätigte Tom lachend. »Ich hab ihn unter der Dusche gesehen.«
»Aber vielleicht wünsche ich ein paar Zentimeter mehr für dich«, sagte Jeff, und Tom lachte wieder, wenngleich nicht ganz so laut. »Und was ist mit dir, kleiner Bruder? Brauchst du magische Unterstützung?«
»Ich komm ganz gut so zurecht, danke.« Trotz der eiskalten Lüftung begann Will unter seinem blauen Button-down- Hemd zu schwitzen und konzentrierte sich auf den großen grünen Neon-Alligator an der gegenüberliegenden Backsteinwand, um nicht rot zu werden.
»Oh, ich bring dich doch nicht etwa in Verlegenheit«, neckte Jeff. »Scheiße, Mann. Der Kleine hat einen Doktor in Philosophie aus Harvard und wird rot wie ein kleines Mädchen.«
»Princeton«, verbesserte Will ihn. »Und ich habe meine Doktorarbeit noch nicht abgeschlossen.« Er spürte, wie die Röte von seinen Wangen bis zu seiner Stirn stieg, und war froh, dass der Raum nur schwach beleuchtet war. Ich müsste längst mit dieser verdammten Dissertation fertig sein, dachte er.
»Lass gut sein, Jeff«, ermahnte Kristin ihn von der anderen Seite der Theke. »Achte gar nicht auf ihn, Will. Er ist einfach mal wieder ein Arschloch wie üblich.«
»Willst du mir erzählen, dass es nicht auf die Größe ankommt?«, fragte Jeff.
»Ich sage nur, dass Penisse total überbewertet sind«, antwortete Kristin.
Eine Frau in der Nähe lachte. »Das kann man wohl sagen«, murmelte sie in ihr Glas.
»Na, du musst es ja wissen«, sagte Jeff zu Kristin. »Hey, Will, hab ich dir schon von dem Dreier mit Kristin und einer Freundin erzählt?«
Will wandte den Blick ab, ließ ihn über die dunklen Bodendielen und die Wand gegenüber gleiten, ohne irgendwo zu verharren, bis er schließlich am Foto eines Löwen hängen blieb, der eine Gazelle riss. Das ganze Prahlen und Feixen über Sex, in dem Jeff und seine Freunde sich offenbar gegenseitig zu übertreffen suchten, war ihm schon immer unbehaglich gewesen, aber er entschied, dass er sich nicht so anstellen durfte. War er nicht nach South Beach gekommen, um dem Stress des akademischen Lebens zu entfliehen, hinaus ins wirkliche Leben zu kommen und die Beziehung zu seinem älteren Bruder, den er jahrelang nicht gesehen hatte, wieder aufzufrischen? »Glaube nicht, dass du das erwähnt hast«, sagte er, stieß ein gepresstes Lachen hervor und wünschte, er wäre nicht so erregt, wie er es war.
»Sie war ein Superschuss, was, Krissie?«, fragte Jeff. »Wie hieß sie noch? Erinnerst du dich?«
»Heather, glaube ich«, antwortete Kristin leichthin, die Hände an den Seiten ihres kurzen, engen, schwarzen Rocks. Wenn es ihr peinlich war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Noch ein Bier?«
»Ich nehme, was immer du uns auftischen willst.«
Kristin lächelte, ein wissendes, angedeutetes Grinsen, das ihre Mundwinkel umspielte, und warf ihr Haar von der rechten auf die linke Schulter. »Eine Runde Miller kommt sofort.«
»Braves Mädchen.« Wieder erfüllte Jeffs kräftiges Lachen den Raum.
Eine junge Frau drängte sich zwischen den Gästen an die Theke. Sie war Ende zwanzig, mittelgroß, ein wenig zu dünn mit schulterlangem dunklem Haar, das ihr ins Gesicht fiel, sodass man ihre Züge nur schwer erkennen konnte. Sie trug eine schwarze Hose und eine teuer aussehende, weiße Bluse. Wahrscheinlich Seide, dachte Will. »Ich hätte gern einen Granatapfel-Martini, bitte.«
»Kommt sofort«, sagte Kristin.
»Lassen Sie sich Zeit.« Die Frau strich eine Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr, sodass man einen zierlichen Perlenohrring und ihr hübsches Profil sehen konnte. »Ich setze mich dort drüben hin.« Sie zeigte auf einen leeren Tisch in der Ecke unter einem Aquarell von einer galoppierenden Elefantenherde.
»Was zum Henker ist ein Granatapfel-Martini?«, fragte Tom.
»Klingt widerlich«, meinte Jeff.
»Schmeckt aber ziemlich gut.« Kristin räumte Jeffs leeres Bierglas ab und stellte ihm ein volles hin.
»Ach wirklich? Okay, dann probieren wir einen.« Jeff deutete an, dass die Bestellung auch Tom und Will mit einschloss. »Zehn Dollar für denjenigen, der seinen Granatapfel-Martini als Erster leer hat. Würgen verboten.«
»Abgemacht«, stimmte Tom eilfertig zu.
»Du bist verrückt.«
Als Antwort knallte Jeff einen Zehn-Dollar-Schein auf den Tresen, neben dem kurz darauf ein zweiter von Tom lag. Die beiden sahen Will erwartungsvoll an.
»Na gut«, sagte er, griff in die Tasche seiner grauen Hose und zog zwei Fünfer heraus.
Kristin beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während sie der Frau, die an einem kleinen Tisch in der gegenüberliegenden Ecke Platz genommen hatte, den Granatapfel-Martini brachte. Von den drei Männern sah der wie immer ganz in Schwarz gekleidete Jeff mit seinen fein geschnittenen Zügen und seinem welligen, blonden Haar mit Abstand am besten aus. Kristin vermutete, dass er sich die Haare tönte, würde ihn jedoch nie danach fragen. Jeff war ziemlich jähzornig, und man wusste nie, was seine Wutausbrüche provozierte. Im Gegensatz zu Tom, dachte sie und ließ den Blick zu dem dünnen, dunkelhaarigen Mann in Jeans und kariertem Hemd wandern, der direkt rechts neben Jeff stand. Ihn provozierte alles. 1,85 Meter kaum kontrollierte Wut, dachte sie und fragte sich, wie Toms Frau das aushielt. »Seit Afghanistan ist er so«, hatte sie ihr erst in der vergangenen Woche anvertraut, als Jeff die Gäste an der Bar mit der Geschichte unterhielt, wie Tom, erzürnt über eine Schiedsrichterentscheidung, eine Pistole aus dem Hosenbund seiner Jeans gezogen und auf seinen brandneuen Plasmafernseher geschossen hatte, der noch nicht einmal ganz abbezahlt war. »Seit er zurück ist hatte sie ihr in all dem Gelächter zugeraunt, das die Geschichte begleitet hatte, und den Gedanken unvollendet gelassen. Dass Tom seit fast fünf Jahren wieder zu Hause war, spielte offenbar keine Rolle.
Jeff und Tom waren seit der Highschool beste Freunde, die beiden Männer hatten sich gemeinsam bei der Armee gemeldet und mehrere Einsätze in Afghanistan absolviert. Jeff war als Held heimgekehrt, Tom in Schande, unehrenhaft entlassen, weil er ohne Grund einen unschuldigen Zivilisten angegriffen hatte. Das war eigentlich alles, was sie über die Zeit der beiden dort wusste. Weder Jeff noch Tom mochten darüber reden.
Sie stellte den pinkfarbenen Martini auf dem runden Holztisch vor der dunkelhaarigen jungen Frau ab und betrachtete beiläufig ihre makellose, wenngleich blasse Haut. War das ein Bluterguss an ihrem Kinn?
Die Frau gab ihr einen zerknüllten Zwanzig-Dollar-Schein. »Stimmt so«, sagte sie leise und wandte sich ab, bevor Kristin sich bedanken konnte.
Sie steckte das Geld hastig ein und ging zurück hinter die Bar. Die Knöchelriemen ihrer hochhackigen silbernen Sandaletten scheuerten auf ihrer nackten Haut. Die Männer wetteten mittlerweile, wer am längsten eine Erdnuss auf der Nase balancieren konnte. Das sollte Tom locker gewinnen, dachte sie. Seine Nase hatte an der Spitze eine natürliche Furche, die den beiden anderen fehlte. Jeffs Nase war schmal und gerade, so attraktiv gemeißelt wie der Rest von ihm, während Wills Nase breiter und ein wenig schief war, was den Eindruck verletzter Empfindlichkeit noch unterstrich. Sie fragte sich, woher diese Verletztheit rührte, und entschied, dass er wahrscheinlich nach seiner Mutter kam.
Jeff hingegen war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das wusste sie, weil sie auf ein Foto der beiden gestoßen war, als sie kurz nach ihrem Einzug vor etwa einem Jahr eine Schublade im Schlafzimmer aufgeräumt hatte. »Wer ist das?«, hatte sie gefragt, als sie Jeff kommen hörte, und auf das Bild eines Mannes mit zerfurchtem Gesicht, welligem Haar und einem großspurigen Grinsen gezeigt, dessen Unterarm schwer auf den Schultern eines ernst aussehenden kleinen Jungen lag.
Jeff hatte ihr das Foto aus der Hand gerissen und in die Schublade zurückgelegt. »Was machst du da?«
»Ich versuche bloß ein wenig Platz für meine Sachen zu schaffen«, hatte sie gesagt und den warnenden Unterton seiner Stimme überhört. »Ist das dein Vater?« »Ja.«
»Dachte ich mir. Du siehst genauso aus wie er.«
»Das hat meine Mutter auch immer gesagt.« Damit hatte er die Schublade polternd zugeschoben und war aus dem Zimmer gegangen.
»Ha, ha - gewonnen«, rief Tom jetzt und reckte triumphierend die Faust, als die Erdnuss, die Jeff auf der Nase balanciert hatte, an seinem Mund vorbei über sein Kinn kullerte und zu Boden fiel.
»Hey, Kristin«, sagte Jeff, und sein leicht gereizter Ton verriet, wie sehr er es hasste zu verlieren, selbst eine unbedeutende Wette wie diese. »Was ist eigentlich mit diesen Granaten-Martinis?«
»Granatapfel«, verbesserte Will ihn und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. Wut blitzte in Jeffs Augen auf.
»Was zum Henker ist eigentlich ein Granatapfel?«, fragte Tom.
»Es ist eine rote Frucht mit harter Schale, tonnenweise Kernen und jeder Menge Antioxidantien«, antwortete Kristin. »Angeblich sehr gesund.« Sie stellte den ersten pinkfarbenen Martini vor ihnen ab.
Jeff hielt sich das Glas unter die Nase und schnupperte argwöhnisch daran.
»Was sind Antioxidantien?«, fragte Tom Will.
»Warum fragst du ihn?«, fauchte Jeff. »Er ist Philosoph und kein Naturwissenschaftler.«
»Lasst es euch schmecken«, sagte Kristin, als sie die beiden anderen Martinis auf den Tresen stellte.
Jeff hob sein Glas und wartete, bis Tom und Will es ihm nachtaten. »Auf den Gewinner«, sagte er. Alle drei Männer legten den Kopf in den Nacken und schluckten das Getränk, als würden sie nach Luft schnappen.
»Fertig«, johlte Jeff kurz darauf und stellte das Glas triumphierend wieder auf die Bar.
»Mein Gott, das Zeug ist ja grauenhaft«, sagte Tom eine halbe Sekunde später und verzog das Gesicht. »Wie können Leute solchen Mist trinken?«
»Was meinst du, kleiner Bruder?«, fragte Jeff, als Will sein Glas geleert hatte.
»Nicht übel«, sagte Will. Er mochte es, wenn Jeff ihn seinen kleinen Bruder nannte, obwohl sie streng genommen nur Halbbrüder waren. Derselbe Vater, verschiedene Mütter.
»Aber auch nicht gut«, sagte Jeff und zwinkerte niemandem Bestimmtem zu.
»Ihr scheint es zu schmecken.« Tom wies mit dem Kopf auf die Dunkelhaarige in der Ecke.
»Da fragt man sich doch, was ihr sonst noch so schmeckt«, sagte Jeff.
Will ertappte sich dabei, die traurigen Augen der Frau zu betrachten. Er erkannte selbst aus der Entfernung und in diesem Licht, dass sie traurig waren, an der Art, wie sie ihren Kopf an die Wand lehnte und ziellos ins Leere starrte. Er merkte, dass sie hübscher war, als er es auf den ersten Blick vermutet hatte. Nicht umwerfend schön wie Kristin mit ihren smaragdgrünen Augen, den hohen Wangenknochen eines Fotomodells und ihrem sinnlichen Körper. Nein, das Aussehen dieser Frau tendierte eher zum Gewöhnlichen. Hübsch, gewiss, aber ohne groß die Blicke auf sich zu ziehen. Ihre Augen waren das Einzige, was an ihr wirklich hervorstach: groß, dunkel und wahrscheinlich tiefseeblau. Sie sah aus, als hätte sie tiefschürfende Gedanken, dachte Will. Er beobachtete, wie ein Mann sie ansprach, und war unvermutet erleichtert, als er sah, dass sie den Kopf schüttelte und ihn abwies. »Was glaubt ihr, was das für eine Frau ist?«, hörte er sich laut fragen.
»Vielleicht die sitzen gelassene Geliebte eines britischen Prinzen«, spekulierte Jeff und trank den Rest seines Bieres. »Oder eine russische Agentin.«
Tom lachte. »Vielleicht ist sie auch nur eine gelangweilte Hausfrau, die ein bisschen Abwechslung sucht. Warum? Interesse?«
Will fragte sich, ob es das war. Er hatte schon seit ziemlich langer Zeit gar keine Freundin mehr gehabt. Seit Amy, dachte er und schauderte bei dem Gedanken daran, wie es geendet hatte. »Bloß neugierig«, hörte er sich sagen.
»Hey, Kristin«, rief Jeff, legte die Ellbogen auf die Theke und winkte Kristin heran. »Was kannst du mir über die Granatapfel-Lady erzählen?« Mit seinem kantigen Kinn wies er auf den Tisch in der Ecke.
»Nicht viel. Ich hab sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal gesehen. Sie kommt rein, setzt sich in die Ecke, bestellt einen Granatapfel-Martini und gibt großzügig Trinkgeld.«
»Ist sie immer allein?«
»Ich hab sie noch nie mit jemandem zusammen gesehen. Warum?«
Jeff zuckte verspielt die Achseln. »Ich dachte, wir drei könnten uns vielleicht besser kennenlernen. Was meinst du?«
Will hielt unwillkürlich den Atem an.
»Sorry«, hörte er Kristin antworten, und erst dann konnte er den komprimierten Klumpen Luft in seinen Lungen wieder herauslassen. »Sie ist nicht direkt mein Typ. Aber, hey, lass dich nicht aufhalten.«
Jeff entblößte lächelnd seine makellosen, weißen Zähne, denen nicht einmal der afghanische Staub ihren Glanz hatte rauben können. »Ist es ein Wunder, dass ich dieses Mädchen liebe?«, fragte er seine Trinkkumpane, die beide staunend nickten, wobei Tom sich wünschte, dass Lainey in dieser Hinsicht mehr wie Kristin sein könnte, während Will nicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft vor zehn Tagen darüber grübelte, was in Kristins Kopf eigentlich vor sich ging.
Von seinem eigenen ganz zu schweigen.
Vielleicht war Kristin einfach vorzeitig altersweise und nahm Jeff so, wie er war, ohne ihn umkrempeln zu wollen oder so zu tun, als wäre er anders.
»Ich hab eine Idee«, sagte Jeff. »Wir wetten.«
»Worauf?«
»Darauf, wer Miss Granatapfel als Erster flachlegt.«
»Was?« Toms Wiehern ließ den Raum beben.
»Was redest du da?«, fragte Will ungehalten.
»Einhundert Dollar«, sagte Jeff und legte zwei Fünfziger auf den Tresen.
»Was redest du da?«, fragte Will noch einmal.
»Ist doch ganz einfach. In der Ecke sitzt eine attraktive Frau ganz allein für sich und wartet nur darauf, von einem charmanten Prinzen angebaggert zu werden.«
»Wenn das kein Widerspruch in sich ist«, meinte Kristin.
»Vielleicht will sie einfach in Ruhe gelassen werden«, wandte Will ein.
»Welche Frau kommt in einen Laden wie das Wild Zone in der Hoffnung, dort in Ruhe gelassen zu werden?«
Eine durchaus vernünftige Frage, musste Will zugeben.
»Also gehen wir rüber, flirten mit ihr und gucken, wen von uns sie mit nach Hause nimmt. Einhundert Dollar darauf, dass ich es bin.«
»Abgemacht.« Tom kramte in seiner Hosentasche und fischte schließlich zwei Zwanziger und ein Bündel Ein-Dollar-Scheine heraus. »Für den Rest stehe ich auch gerade«, sagte er einfältig.
»Apropos nach Hause«, unterbrach Kristin sie und sah Tom
direkt an, »solltest du dich nicht langsam auf den Weg machen? Du willst doch nicht, dass es so endet wie letztes Mal.«
In Wahrheit war Kristin diejenige, die nicht wollte, dass es so endete wie beim letzten Mal. Wenn sie wütend war, war Lainey ebenso eine Naturgewalt wie ihr Mann und auch keineswegs zu stolz, die halbe Stadt zu wecken, um den Aufenthaltsort ihres streunenden Gatten in Erfahrung zu bringen.
»Heute Abend muss sich Lainey keine Sorgen machen«, erklärte Jeff selbstbewusst. »Miss Granatapfel wird sich kaum für seinen knochigen Arsch interessieren. Und bist du dabei?«, fragte er Will.
»Ich glaube nicht.«
»Ach, komm schon. Sei kein Spielverderber. Was ist los? Hast du Angst zu verlieren?«
Will sah sich noch einmal zu der Frau um, die nach wie vor ins Leere starrte. Ihr Glas war inzwischen leer. Warum hatte er seinem Bruder nicht einfach gesagt, dass er Interesse hatte? Und hatte er das? Oder hatte Jeff womöglich recht, und er hatte nur Angst zu verlieren. »Nimmst du auch Kreditkarte?«
Jeff schlug ihm lachend auf die Schulter. »Gesprochen wie ein wahrer Rydell. Daddy wäre stolz auf dich.«
»Und wie genau wollen wir es anfangen?«, fragte Tom, genervt von all der neuen brüderlichen Kameradschaft. In den zwei Jahrzehnten, die seine Freundschaft mit Jeff jetzt dauerte, war Will nichts weiter als ein Stachel im Fleisch seines Bruders gewesen. Er war nicht mal sein richtiger Bruder, nur ein Halbbruder, ebenso unerwünscht wie ungeliebt. Jeff hatte nichts mit ihm zu tun, er hatte seit Jahren nicht mehr mit ihm oder auch nur über ihn gesprochen. Und dann stand Will vor zehn Tagen plötzlich wie aus heiterem Himmel vor der Tür, und auf einmal hieß es »kleiner Bruder« hier und »kleiner Bruder« da, dass man am liebsten kotzen würde. Tom grinste Will breit an und wünschte, »kleiner Bruder« würde seine Taschen packen und sich wieder nach Princeton verziehen. »Ich meine, wir wollen schließlich nicht den Eindruck erwecken, sie zu überfallen.«
»Wer redet denn von überfallen? Wir gehen einfach rüber, bedanken uns, dass sie uns mit den Freuden von Antioxidantien mit Wodka-Geschmack vertraut gemacht hat, und laden sie zu einem weiteren Drink ein.«
»Ich habe eine bessere Idee«, schaltete Kristin sich ein. »Ich könnte zu ihr gehen, ein bisschen mit ihr plaudern und versuchen herauszukriegen, ob sie Interesse hat.«
»Zumindest ihren Namen könntest du herausfinden«, sagte Will und überlegte, wie er sich aus der Situation herauswinden konnte, ohne sich zum Idioten zu machen oder seinen Bruder zu verärgern.
»Um wie viel wollen wir wetten, dass ihr Name mit einem J anfängt?«, fragte Tom.
»Ich setze fünf Dollar dagegen.«
»Mit J fangen mehr Namen an als mit jedem anderen Buchstaben.«
»Trotzdem gibt es noch fünfundzwanzig andere im Alphabet«, sagte Will. »Ich halte es mit Jeff.«
»Logisch«, sagte Tom knapp.
»Okay, Jungs, ich geh jetzt rüber«, verkündete Kristin und kam auf die andere Seite der Theke. »Soll ich der Lady irgendwas Bestimmtes ausrichten?«
»Vielleicht sollten wir sie lieber nicht belästigen«, sagte Will. »Sie sieht aus, als würde ihr viel im Kopf herumgehen.«
»Sag ihr, ich hätte was, worüber sie nachdenken kann«, sagte Jeff und gab Kristin einen verspielten Klaps. Alle drei Männer folgten ihrem übertriebenen Hüftschwung mit den Augen, als sie zwischen den Tischen bis zum anderen Ende des Raumes schlenderte.
Will beobachtete, wie Kristin das leere Glas vom Tisch der Frau abräumte und dabei so leicht ins Gespräch mit ihr kam, als wären die beiden Frauen schon ein Leben lang Freundinnen. Er sah, dass sich Miss Granatapfel plötzlich in ihre Richtung drehte, den Kopf provokativ zur Seite geneigt, und sich ein Lächeln über ihr Gesicht breitete, während Kristin weitersprach. »Siehst du die drei Typen am Ende der Bar?«, stellte er sich vor, würde Kristin sagen. »Den gut aussehenden in Schwarz, den wütend aussehenden neben ihm und den sensibel aussehenden in dem blauen Button-down-Hemd? Such dir einen aus. Irgendeinen. Er gehört dir.«
»Sie kommt zurück«, sagte Jeff, als Kristin wenig später den Tisch der Frau verließ und den langsamen Rückweg zum Tresen antrat, wo ihr die drei Männer im selben Moment die Köpfe entgegenreckten.
»Sie heißt Suzy«, verkündete sie, ohne stehen zu bleiben.
»Damit schuldest du mir noch fünf Dollar mehr«, erklärte Jeff Tom.
»Das ist alles?«, fragte Tom Kristin. »In der ganzen Zeit, die du an ihrem Tisch warst, hast du nicht mehr rausgekriegt?«
»Sie ist vor ein paar Monaten von Fort Myers hierhergezogen.« Kristin kehrte auf ihre Seite der Theke zurück. »Ach ja. Das hätte ich fast vergessen«, fuhr sie fort und wandte sich mit einem breiten Lächeln an Will. »Sie hat dich ausgewählt.«
Übersetzung: Kristian Lutze
Copyright © dieser Ausgabe 2010 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
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Autoren-Porträt von Joy Fielding
Joy Fielding gehört zu den großen Spitzenautorinnen Amerikas. Seit ihrem Psychothriller »Lauf, Jane, lauf« waren alle ihre Bücher internationale Bestseller. Joy Fielding hat zwei Töchter und lebt mit ihrem Mann in Toronto, Kanada, und in Palm Beach, Florida.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joy Fielding
- 2012, 432 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442473500
- ISBN-13: 9783442473502
- Erscheinungsdatum: 15.02.2012
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