Gebieter der Träume / Dark Hunter Bd.11
Roman. Deutsche Erstausgabe
Megeara sucht den Kontinent Atlantis - und trifft einen Mann, den sie aus ihren Träumen zu kennen scheint.
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Produktinformationen zu „Gebieter der Träume / Dark Hunter Bd.11 “
Megeara sucht den Kontinent Atlantis - und trifft einen Mann, den sie aus ihren Träumen zu kennen scheint.
Klappentext zu „Gebieter der Träume / Dark Hunter Bd.11 “
Sherrilyn Kenyons Romane machen süchtig!Dr. Megeara Kafieri hat nur ein Ziel: Sie will beweisen, dass sich die sagenumwobene Insel Atlantis genau dort befand, wo ihr verstorbener Vater sie vermutet hat. Sie reist nach Griechenland, doch statt einer Insel findet sie dort einen in den Fluten treibenden Fremden - einen Mann, dessen Gesicht sie in ihren Träumen schon tausendmal gesehen hat ... Geary ahnt nicht, in welcher Gefahr sie schwebt. Der verführerische Fremde ist Arik, der Gott der Träume - und nach zwei Wochen als Sterblicher auf der Erde muss er in dem Olymp zurückkehren ... mit einer menschlichen Seele. Gearys Seele.
Lese-Probe zu „Gebieter der Träume / Dark Hunter Bd.11 “
Gebieter der Träume von Sherrilyn KenyonDeutsch von Larissa Rabe
Prolog
Santorin, Griechenland, 1990
Megeara Saatsakis stand völlig bewegungslos am Rand einer Klippe und schaute hinaus auf das Wasser, das von einem so perfekten Blau war, dass es fast schmerzte, es anzuschauen. Die Luft duftete nach dem Salz des Meeres und nach den Oliven auf den Karren der Händler. Im hellen Sonnenlicht verbreitete sich der vertraute Geruch, der typisch für diese Region war. Die heiße Sonne liebkoste ihre gebräunte Haut, während die heftige Brise ihr schlichtes weißes Kleid gegen ihren Körper schlug. Boote glitten über die sanften Wellen, sie schienen unwirklich zu sein, und das versetzte sie zurück in ihre Kindheit, als sie auf diesen Klippen und am Strand mit ihren Eltern spazieren gegangen war und die beiden ihr Bestes getan hatten, um ihr klarzumachen, was es bedeutete, eine Griechin zu sein.
Es war tatsächlich einer der allerschönsten Orte auf der ganzen Welt, und jede andere vierundzwanzigjährige Frau wäre sicher liebend gerne hier gewesen.
Sie wünschte sich, eine von diesen Frauen zu sein.
Stattdessen hasste sie diesen Ort mit einer unvernünftigen Leidenschaft. Für sie bedeutete Griechenland Tod und Kummer.
Griechenland bedeutete heilloses Elend, und sie würde sich lieber Angelhaken in den Körper schlagen lassen, als jemals wieder ihren Fuß in dieses Land zu setzen.
Ihr langes blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, schlug ihr gegen die Schulter. Sie war auf der Suche nach Frieden für ihre aufgewühlten Gedanken, aber sie konnte keine Ruhe finden. Nur aufgestauter Zorn kochte in ihr.
... mehr
Ihr Vater, mit dem sie sich auseinandergelebt hatte, war tot. Er war genauso gestorben, wie er gelebt hatte, hatte einen dummen Traum verfolgt, der nicht nur ihn das Leben gekostet hatte, sondern auch das ihrer Mutter, das ihres Bruders, das ihrer Tante und das ihres Onkels.
»Atlantis gibt es wirklich, Geary. Ich spüre, wie es zu mir ausstrahlt, sogar jetzt, wo ich mit dir spreche. Atlantis ist in der Ägäis versunken wie ein glitzerndes Kleinod, das jemand verloren hat, und es wartet nur darauf, dass wir es finden und der Welt zeigen, was für eine Schönheit es einst gewesen ist.« Noch immer konnte sie die hypnotische Stimme ihres Vaters hören, als er damals ihre Hand aufs Wasser gelegt hatte, damit sie spüren sollte, wie die weichen Wellen gegen ihre winzige Handfläche schlugen. Sie konnte noch immer sein schönes Gesicht sehen, als er ihr zum ersten Mal begeistert erzählt hatte, warum sie so viel Zeit in Griechenland verbrachten.
»Wir werden Atlantis entdecken und dieses Wunder allen Menschen zeigen. Merk dir meine Worte, mein Kind. Atlantis ist hier, und unsere Familie wurde auserwählt, um seinen Zauber zu enthüllen.«
Das war sein wahnwitziger Traum gewesen. Und er hatte sein Leben lang versucht, diesen Traum an sie weiterzugeben, aber anders als der Rest ihrer Familie war sie nicht so dumm gewesen, daran zu glauben.
Atlantis war ein falscher Mythos. Platon hatte diese Stadt als eine Metapher dafür erfunden, was geschah, wenn sich der Mensch gegen die Götter erhob. Genau wie Lovecrafts Necronomicon war es bloß eine Fiktion, an die die Leute so gerne glauben wollten, dass sie willens waren, alles dafür zu opfern, nur um es zu finden.
Jetzt lag ihr Vater in seinem Grab auf dieser Insel, die er so sehr geliebt hatte. Er war gebrochen und verbittert gestorben, nur noch die Hülle eines Mannes, der seinen geliebten Bruder hatte zu Grabe tragen müssen, dann seinen Sohn, dann seine Frau ...
Und wofür? Jedermann hatte ihn ausgelacht und verhöhnt. Er hatte seine Stelle als Professor schon vor Jahren verloren, und damit einhergehend, auch sein Ansehen und seinen guten Ruf. Der einzige Weg, auf dem er die Ergebnisse seiner Forschungen hatte veröffentlichen können, führte über Autorenverlage.
Verdammt, und sogar von diesen Verlagen war er ausgelacht und abgelehnt worden. Sie wollten seine abstrusen Arbeiten nicht einmal veröffentlichen, als er ihnen Geld dafür anbot. Trotzdem hatte er mit fieberhaftem Verlangen weitergemacht, und damit hatte er den Leuten noch mehr Grund gegeben, über ihn zu spotten. Das hatten sie mit Wonne getan.
Aber zumindest hatte sie ihn noch einmal gesehen, bevor er gestorben war, und er war nicht allein gestorben, wie er befürchtet hatte. Gegen die Prognose seines Arztes hatte ihr Vater irgendwie durchgehalten, bis sie in den USA einen Flug bekommen und es zu seinem Krankenzimmer geschafft hatte. Obwohl sie nur noch kurz miteinander sprechen konnten, war es lange genug gewesen, damit sie sich miteinander hatten versöhnen können. So konnte er sterben, ohne Schuldgefühle zu haben, dass er seine Tochter wegen seiner Suche nach Atlantis vernachlässigt hatte.
Wenn sie selbst doch auch nur ein bisschen Frieden finden könnte! Noch immer hatte sie ihm innerlich nicht vergeben. Wie sehr ihr Großvater ihr auch versucht hatte zu erklären, was ihren Vater antrieb - sie kannte die Wahrheit. Das Einzige, was dieser Mann je geliebt hatte, war sein Traum gewesen, und für ihn hatte er seine ganze Familie ... ihre ganze Familie geopfert.
Jetzt war sie vierundzwanzig Jahre alt und hatte durch seine Schuld keinen Bruder und keine Eltern mehr.
Sie stand vollkommen allein in der Welt.
Und es brannte wie tobendes Feuer in ihr, dass sie ihrem Vater auf dem Totenbett versprochen hatte, seine Arbeit fortzuführen. Es war einer der wenigen schwachen Momente in ihrem Leben gewesen. Aber als sie ihn gesehen hatte, wie er da in seinem kalten Krankenhausbett gelegen hatte, ein zerbrechlicher und aufgewühlter Mann, und sich verzweifelt ans Leben klammerte - dieser Anblick hatte ihr das Herz zerrissen. Obwohl sie in den vergangenen acht Jahren kaum miteinander gesprochen hatten, hatte sie es nicht über sich gebracht, ihn zu verletzen, denn das Einzige, was er wollte, war ihre Vergebung, ehe er starb.
Sie verzog den Mund und sah den Wellen zu, wie sie an die weiße Küste schlugen. »Atlantis entdecken, du liebe Güte. Ich werde mich nicht so zum Narren machen wie du, Vater. So dumm bin ich nicht.«
»Dr. Kafieri?«
Sie drehte sich um, als sie eine Stimme mit starkem griechischen Akzent hörte, und sah einen kleinen rundlichen Mann Mitte fünfzig, der sie anstarrte. Cosmo Tsiaris war ein Cousin ihres Vaters und ihr Familienanwalt hier in Griechenland. Cosmo war zum Schein Partner im Bergungsunternehmen ihres Vaters und maßgeblich daran beteiligt, Genehmigungen für Grabungen zu erhalten und Investoren für seine altmodische Suche zu finden.
Obwohl sie Cosmo schon ihr ganzes Leben lang kannte, schauderte sie bei seiner Begrüßung. Kafieri war der Name ihres Vaters gewesen, den sie schon vor Jahren abgelegt hatte, nachdem all ihre Bewerbungen fürs College abgelehnt worden waren, obwohl sie die Aufnahmebedingungen mehr als erfüllte. Kein Institut, das etwas auf sich hielt, würde jemals eine Kafieri zu einem Studium der Klassischen Archäologie, der Antiken Geschichte oder der Anthropologie zulassen, aus Angst, seinen guten Ruf zu ruinieren. Deshalb benutzte sie den Mädchennamen ihrer Mutter, damit sie sich Glaubwürdigkeit und Ansehen bewahren konnte.
Wie alle anderen aus ihrem engsten Familienkreis war auch ihre frühere Identität als Geary Kafieri in diesem Land umgekommen.
»Ich bin Dr. Megeara Saatsakis.«
Ein strahlendes Lächeln erhellte sein Gesicht. »Sie haben geheiratet!«
»Nein«, sagte sie schlicht und sah zu, wie die Luft förmlich aus ihm entwich. »Ich habe meinen Namen vor acht Jahren gesetzlich ändern lassen, als ich in die USA zurückgegangen bin und mich von meinem Vater befreien wollte.«
An Cosmos Gesicht konnte sie sehen, dass er ihre Argumentation nicht verstand, und es war ihr auch egal. Mit seiner patriarchalischen Denkweise würde er es sowieso nicht begreifen.
Er runzelte die Stirn und sagte nichts, sondern hielt ihr eine kleine Schachtel hin. »Ich habe Eneas versprochen, dass nach seinem Tod seine Tochter das hier erhalten würde. Das wären doch immer noch Sie, oder?«
»Ja«, sagte sie und ignorierte seinen Sarkasmus. Wer sonst würde dumm genug sein, sich zu einem Erzeuger zu bekennen, der sich so lächerlich gemacht hatte?
Megeara zuckte bei diesem Gedanken zusammen. Sie hatte ihren Vater wirklich geliebt. Auch als seine Trauer und seine Forschungen ihm alles genommen hatten, sogar seine geistige und körperliche Gesundheit, auch dann hatte sie ihn noch immer geliebt. Aber wie hätte es anders sein sollen? Er war, als sie noch ein Kind gewesen war, ein liebevoller, fürsorglicher Vater. Erst als sie in die Pubertät gekommen war und anfing, seine Forschungen und seinen Eifer infrage zu stellen, hatten sie sich auseinandergelebt.
»Atlantis ist Schwachsinn, Papa. Diese ganzen Forschungen sind Schwachsinn. Ich will nicht mehr auf diesem dämlichen Boot sein. Ich bin jung, und ich will Freunde haben. Ich will zur Schule gehen und normal sein. Du verschwendest unsere Zeit und mein Leben!« Er hatte sie an ihrem fünfzehnten Geburtstag so hart geschlagen, dass sie schwören konnte, es noch immer zu fühlen.
»Wag es nicht, das Andenken deiner Mutter zu beschmutzen. Das Andenken meines Bruders. Sie haben ihr Leben dafür gegeben.«
Sechs Monate später gab auch Megearas Bruder sein Leben dafür, als sich sein Tauchseil verhedderte und er in der Druckluftflasche nicht mehr genug Luft hatte. Das war der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie würde Jasons Rolle nicht übernehmen. Sie würde nicht ihr Leben aufgeben, um die Träume von jemand anderem zu erfüllen ... niemals.
Was machte es schon, dass sie es ihrem Vater jetzt versprochen hatte? Er war tot und würde nie erfahren, dass sie abtrünnig geworden war. Er war zufrieden gestorben, und jetzt konnte sie endlich die Vergangenheit begraben und mit ihrem Leben in Amerika weitermachen.
Wie ihr Großvater hatte sie vor, Griechenland zu verlassen und nie wieder einen Fuß auf griechischen Boden zu setzen.
Cosmo überreichte ihr die einfache weiße Schachtel und ließ sie allein, damit sie sie in Ruhe öffnen konnte.
Megeara starrte die Schachtel einige Minuten lang an. Sie hatte Angst vor dem, was sie enthalten würde. Würde es ein persönliches Erinnerungsstück sein, bei dem sie in Tränen ausbräche? Sie wollte nicht mehr um einen Mann weinen, der ihr so oft das Herz gebrochen hatte, dass sie es schon gar nicht mehr zählen konnte.
Doch schließlich siegte ihre Neugier, und sie öffnete die Schachtel. Zunächst schien sie nichts zu enthalten außer zusammengeknülltem Seidenpapier. Sie wühlte sich bis zum Boden durch, um herauszufinden, was noch darin war.
Sie starrte im hellen Sonnenlicht auf ihre Handfläche und war nicht in der Lage zu begreifen, was dort lag.
Es waren zwei Gegenstände. Das eine schien ein komboloi zu sein - eine Kette aus Perlen, ähnlich wie ein kleiner Rosenkranz -, mit dem manche Griechen herumspielten, wenn sie angespannt waren, aber sie hatte noch nie so einen gesehen wie diesen hier. Seinem Aussehen und seiner Gestaltung nach zu urteilen, schien er älter zu sein als jede andere Art von komboloi, von der sie je gehört hatte. Er hatte fünfzehn schillernde grüne Kugeln aus einem Stein, den sie nicht bestimmen konnte. Auf ihnen waren winzige komplexe Familienszenen eingeritzt, mit Leuten, die Kleider trugen, die nichts glichen, was sie schon einmal bei ihren Forschungen gesehen hatte. Dazwischen waren fünf goldene Kugeln aufgereiht, auf denen drei Blitze eingraviert waren, die eine Sonne durchbohrten. An der Stelle, wo ein komboloi eine kleine griechische Münze von der Größe eines amerikanischen Zehncentstücks enthalten hätte, hatte dieser hier einen Ring mit einer Inschrift, die dem Altgriechischen ähnlich war - und doch war sie ganz anders. So sehr, dass nicht einmal Geary, die das Altgriechische mit der Muttermilch aufgesogen hatte, diese Schrift entziffern konnte.
Wie die meisten Gegenstände, die frisch aus einer Ausgrabung stammen, hing auch am komboloi ein kleiner weißer Zettel an einem roten Faden. Darauf hatte ihr Vater Notizen zu einem Fund gemacht:
1. September 1987 152,40 cm unter dem Bezugspunkt (siehe Seite 42) Absolute Datierung: 9529 v. Chr. Unbekannter grüner Stein / nicht belegt Unbekannte Aufschrift / nicht belegt Die Anthropologin in ihr regte sich, und Geary überlegte, was das historisch bedeuten könnte. Wenn die Datierung wirklich eine absolute war...
Das Fundstück bewies einen hochentwickelten Stand und eine Kenntnis der Metallurgie, die bisher unbekannt waren. Zu dieser Zeit konnten die Griechen noch keine solche Kunstfertigkeit erlangt haben. Die Präzision der Schnitzarbeit und der Gravierungen sah so aus, als seien sie mit einer Maschine und nicht mit der Hand vorgenommen worden. Vor elftausend Jahren besaß die Menschheit aber noch keine Werkzeuge, die erforderlich gewesen wären, um eine solch komplexe Arbeit auszuführen.
Wie war das möglich?
Fasziniert richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den anderen Gegenstand, einen kleinen ledernen Beutel. Auch an ihm war ein Anhänger befestigt.
10. Juli 1985 Absolute Datierung: 9581 v. Chr. Unbekanntes Metall / nicht belegt Sie runzelte die Stirn und öffnete den Beutel. Darin lagen fünf Münzen von unterschiedlicher Größe. Sie waren alt ... sehr alt und stark von Rost bedeckt. Und auch hier galt wieder: Es gab keine so alten Münzen. Zu dieser Zeit hatte es noch keine Münzen gegeben, schon gar nicht in Griechenland! Wie auf dem komboloi war auch auf den Münzen die gleiche eigenartige Schrift zu erkennen, aber diese Schrift konnte sie lesen. Es waren die altgriechischen Worte für »Atlantäische Provinz Kirebar«.
Um Himmels willen!
Die Münzen schienen nicht mit der Hand angefertigt worden zu sein, und ihre metallische Zusammensetzung erinnerte an nichts, was sie je zuvor gesehen hatte. Sie waren leicht orangefarben, weder aus Silber noch aus Gold, weder aus Bronze noch aus Kupfer oder aus Eisen - vielleicht eine merkwürdige Mischung aus all diesen Metallen, und doch schien das auch nicht das Richtige zu sein.
Was, zum Teufel, war es?
Sogar mit der Patina, die die Münzen bedeckte, waren die Bilder und die Aufschriften so frisch, klar und deutlich erkennbar wie auf einer modernen Münze.
Ihr klopfte das Herz, als sie die größte Münze umdrehte und ihre Rückseite betrachtete. Dort war das gleiche fremde Symbol wie auf dem komboloi: eine Sonne, die von drei Blitzen durchbohrt wurde. Und darüber standen die Worte: Möge Apollymi uns schützen.
Megeara starrte ungläubig darauf. Apollymi? Wer war das?
Sie hatte diesen Namen nie zuvor gehört.
»Das ist eine Fälschung.« Es musste eine Fälschung sein, doch als sie die Münze ansah, wusste sie die Wahrheit. Diese Dinge waren keine Fälschungen. Ihr Vater musste sie bei einer seiner vielen Ausgrabungen in der Ägäis gefunden haben.
Das war es, was ihren Vater angetrieben hatte weiterzumachen, auch wenn der Rest der Welt über ihn lachte. Er hatte gewusst, dass es eine Wahrheit gab, die von der Welt verleugnet wurde.
Atlantis gab es wirklich.
Und wenn das stimmte, dann war ihr Vater von allen zu Unrecht kritisiert worden ... sogar von ihr. Trauer und Schmerz überfielen sie, als sie sich die Streitereien in Erinnerung rief, die sie all die Jahre gehabt hatten. Sie war keinen Deut besser gewesen als irgendeiner von den anderen.
Liebe Güte, wie oft hatten sie sich über dieses Thema gestritten! Warum hatte er ihr nie von seinen Funden erzählt? Warum hatte er ihr eine Entdeckung von dieser Größenordnung vorenthalten?
Leider wusste sie die Antwort auf diese Frage: Weil ich ihm nicht geglaubt hätte, selbst wenn er es mir dort gezeigt hätte, an Ort und Stelle, wo er es gefunden hat. Ich hätte ihn ausgelacht wie alle anderen und es ihm um die Ohren gehauen.
Er hatte sich zweifellos den Schmerz ersparen wollen, dass auch sie sich über ihn lustig machte.
Megeara klappte die Schachtel zu und drückte sie an ihre Brust. Sie bedauerte jede Kritik, die sie je an ihrem Vater geübt hatte. Wie sehr mussten ihn ihre Worte verletzt haben! Sie hätte Vertrauen in ihn setzen müssen - aber sie war ebenso grausam gewesen wie alle anderen.
Jetzt war es zu spät, um etwas daran zu ändern.
»Es tut mir so leid, Papa«, flüsterte sie. Wie alle anderen hatte sie angenommen, dass er verrückt war. Irregeleitet. Dumm.
Aber irgendwie hatte er diese Gegenstände gefunden. Und sie waren echt.
Atlantis gibt es wirklich. Diese Worte gingen ihr unaufhörlich durch den Sinn. Sie starrte hinaus auf das blaue Meer, umklammerte die Schachtel fester und erinnerte sich an die letzten Worte, die sie zu ihrem Vater gesagt hatte. »Ja gut, ich verspreche es. Ich werde auch nach Atlantis suchen. Mach dir keine Sorgen, Papa. Die Sache ist bei mir in guten Händen.« Diese Worte hatte sie hastig und emotionslos ausgesprochen, und doch hatten sie ihn getröstet.
»Es gibt Atlantis, Geary. Ich weiß, dass du es entdecken wirst - du wirst es sehen. Mit deinen eigenen Augen sehen. Du wirst mich als den erkennen, der ich bin - und nicht als den, für den du mich immer gehalten hast.«
Dann hatte er eine Weile geschlafen, und ein paar Stunden später war er gestorben, während sie seine Hand hielt.
In diesem Moment war sie keine erwachsene Frau gewesen, sondern wieder ein kleines Mädchen, das seinen Vater zurückhaben wollte, das sich nach jemandem sehnte, der es trösten und ihm sagen würde, dass alles wieder in Ordnung kam.
Aber es gab niemanden in ihrem Leben, der das tun konnte. Und jetzt bedeutete dieses aberwitzige, voreilige Versprechen ihr auch noch etwas.
»Ich höre dich, Papa«, flüsterte sie dem Wind zu, der den Geruch von frischem Olivenöl zu ihr herübertrug, und sie hoffte, dass der Wind ihre Stimme zu ihm tragen würde, wo auch immer er war. »Ich werde nicht zulassen, dass du umsonst gestorben bist. Ich werde beweisen, dass Atlantis existiert. Für dich. Für Mutter und für Onkel Theron und für Tante Athena ... und für Jason. Und wenn es den Rest meines Lebens dauert - ich werde mein Wort halten. Wir werden Atlantis finden. Ich schwöre es.«
Doch als sie diese Worte mit voller Überzeugung aussprach, fragte sie sich, ob sie in der Lage wäre, dem Gespött standzuhalten, das ihr Vater seine ganze berufliche Laufbahn über ertragen musste. Vor gerade einmal sechs Wochen hatte sie in Yale ihren Doktor gemacht, und im Herbst sollte sie eine Dozentur in New York antreten. Sie hatte in ihrem jungen Alter schon viel erreicht, und man erwartete große Dinge von ihr. Das erhofften sowohl sie von sich selbst als auch die Institute und die Professoren, die ihr die Prüfungen abgenommen hatten.
Wenn sie diesen Weg einschlug, wäre das beruflicher Selbstmord. Sie würde alles verlieren - absolut alles. Es war ein großer Schritt, den sie jetzt machen wollte. Sie würde nie mehr zurückkönnen.
Mein Vater hat daran geglaubt.
Und ihr Onkel und ihre Mutter ebenfalls.
Sie hatten ihr Leben dafür gegeben, sogar als die ganze Welt über sie gelacht hatte. Und nun folgte eine zweite Generation Dummköpfe der ersten - geradewegs in den Ruin.
Megeara hoffte nur, dass sie am Ende des Weges ein besseres Schicksal erwartete als die erste Generation.
Wie der Vater, so die Tochter.
Sie hatte keine Wahl, sie musste seine Suche vollenden, sonst würde ihr Name genauso wertlos sein wie seiner.
»Los geht's, stecken wir Prügel ein ...«
1
Santorin, Griechenland, 1996
»Mein Königreich für eine Pistole!«
Brian schüttelte den Kopf, als er Gearys feindselige Worte hörte. Ruhig öffnete er die Autotür für sie, als sie das kleine Taxi erreichte, das mitten auf der stark befahrenen griechischen Durchgangsstraße wartete. »Sie haben doch gar kein Königreich.«
Sie blieb auf dem Bürgersteig stehen und starrte ihn an. Sie war stinkwütend und konnte es nicht fassen, dass er es wagte, das Offensichtliche auszusprechen. Sie war dafür bekannt, dass sie schon bei geringfügigeren Anlässen ausflippte. Der Mann hatte wirklich keinen Sinn für Selbstschutz. »Ich habe auch keine Pistole - sieht so aus, als wäre ich völlig vom Glück verlassen, was?«
Er blieb so ruhig wie immer, was ihre Laune nicht gerade verbesserte. Konnte er nicht auch mal ausflippen, nur dieses eine Mal? »Ich nehme an, Sie haben die Genehmigungen nicht bekommen ... mal wieder nicht.«
Auf diesen Nachsatz hätte sie wirklich gut verzichten können. »Wie sind Sie bloß darauf gekommen?«
»Ich weiß auch nicht. Die feindselige Haltung, mit der Sie die Straße entlanggehen, die Art, wie Sie Ihre Hände zu Fäusten ballen und wieder lösen, als ob Sie jemanden erwürgen wollten - und vielleicht liegt es auch an der Art, wie Sie mich anschauen: als würden Sie mir am liebsten die Augen auskratzen, obwohl ich doch gar nichts getan habe, um Sie zu ärgern.«
»Doch, das haben Sie.«
Sie merkte, dass er fast gelächelt hätte, aber zum Glück hatte er genug Verstand, um dieses Lächeln zu unterdrücken. »Und das wäre?«
»Sie haben keine Pistole.«
Er schnaubte. »Jetzt kommen Sie schon, Sie können doch nicht jeden einzelnen griechischen Bürokraten erschießen, der Ihnen in die Quere kommt!«
»Wollen wir wetten?«
Brian trat einen Schritt zurück und ließ sie als Erste ins Taxi steigen. Er war ein gut aussehender Mann, etwas über ein Meter neunzig groß und Mitte vierzig. Sehr distinguiert und intelligent. Und was das Beste war: Er war unabhängig, wohlhabend und mehr als willens, ihr neuestes, vergebliches Wagnis zu finanzieren, ohne sich allzu sehr darüber zu beschweren.
Leider hielt er nichts davon, Beamte zu schmieren.
War es zu viel verlangt, einen Geldgeber zu finden, der zu einem kleinen ungesetzlichen Geschenk bereit wäre? Brian würde sicher auch irgendwo Schwachstellen haben, und im Moment konnte sie sich nichts anderes vorstellen, was ihr besser hätte helfen können.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte er, als er zu ihr ins Auto stieg.
Geary seufzte und wünschte, sie hätte eine Antwort darauf. Ihr Team wartete auf ihrem Boot am Hafen, aber ohne die Genehmigungen, die ihnen gestatteten, die Erhebungen freizulegen, die sie und Tory für Stadtmauern hielten, konnten sie das, was sie entdeckt hatten, nur von der Wasseroberfläche aus bewundern - sonst nichts.
Das war ein schwacher Trost. Es war das Aussichtsreichste, was sie seit Jahren entdeckt hatten. »Ich will noch eine Sedimentprobe.«
»Sie haben doch schon zig Proben genommen.«
»Ich weiß, aber vielleicht wird es uns helfen, die Leute davon zu überzeugen, dass sie uns die Genehmigungen geben.« Na klar. Sie war schon von Pontius zu Pilatus geschickt worden und hatte noch die Worte im Ohr, die sie bei ihrem letzten Versuch gehört hatte.
»Wir sind hier in Griechenland, Dr. Kafieri. Wir sind von antiken Ruinen umgeben, und ich werde nicht gestatten, dass Sie den Boden des Ägäischen Meeres aufreißen, denn es handelt sich hier um eine befahrene Schifffahrtsstraße. Ist das alles, was Sie haben: Wieder mal eine Variation der alten These: Hier könnte Atlantis gelegen haben? Also wirklich. Ich habe schon genug mit Schatzgräbern zu tun, die versuchen, unsere nationalen Kulturgüter zu stehlen. Weitere Schatzgräber kann ich nicht gebrauchen! Wir hier in Griechenland nehmen unsere Geschichte sehr ernst, und Sie verschwenden meine kostbare Zeit. Guten Tag!«
Das reichte, damit sie am liebsten ihren Kopf auf den Schreibtisch des Mannes geschlagen hätte, bis er entweder nachgab oder sie einweisen ließ. Es ging hier nicht um Schätze, aber das konnte sie ihm nicht klarmachen, genauso gut hätte sie versuchen können, mit Flügeln aus Wachs zu fliegen.
»Es muss einen Weg geben, wie wir das Ganze umgehen können.«
Brian erstarrte. »Bei illegalen Sachen mache ich nicht mit.«
Und sie leider auch nicht. »Machen Sie sich keine Sorgen, Brian. Ich will auch nicht ins Gefängnis kommen.«
Aber es musste noch etwas anderes geben, das sie tun konnte.
Wenn bloß ihre Kopfschmerzen verschwinden würden, sodass sie nachdenken könnte! Aber der pochende Schmerz schien ihr, genau wie der Beamte, den Tag ruinieren zu wollen.
Sie lehnte sich zurück und betrachtete die prächtigen Gebäude der Stadt und die Landschaft, die am Autofenster vorbeizogen, während die Leute auf dem Bürgersteig ihren Geschäften nachgingen. Wie gerne wäre sie auch sorglos umhergeschlendert und durch die Geschäfte gebummelt, hätte eingekauft und gelacht wie die meisten Menschen hier. Leider war sie niemals nur als Touristin irgendwo gewesen.
Geary Kafieri arbeitete immer und kannte keine Freizeit.
Sie schwiegen, während das Taxi sich seinen Weg durch die schmalen Straßen zum Hafen suchte, wo ihr Forschungsschiff auf sie wartete. Brian bezahlte das Taxi, Geary stieg aus und stapfte die Gangway hinauf, um ihr Team über ihren erneuten grandiosen Misserfolg zu informieren.
Als Erstes traf sie auf Tory. Gearys Cousine war fünfzehn Jahre alt und durchschnittlich groß. Sie hatte langes braunes Haar und trug eine dicke Brille. Tory war ein schüchterner Teenager und interessierte sich mehr für ihre Bücher als für irgendetwas anderes. Obwohl sie sich nicht an ihren Vater Theron erinnern konnte, war sie ihm sehr ähnlich. Ihren ganzen Ehrgeiz setzte sie in das Ziel, Atlantis zu entdecken.
»Und, wie lief's?«, fragte sie mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck.
Geary schüttelte den Kopf.
Tory stieß einen Fluch aus, bei dem Geary sie nur noch anstarren konnte. »Wie können sie uns nicht graben lassen? Was haben diese Leute bloß?«
»Sie glauben, es ist Zeitverschwendung.«
Tory verzog angeekelt das Gesicht. »Das ist doch idiotisch! Die Leute sind dumm!«
»Ja«, sagte Geary trocken. »Wir sind alle dumm.«
Tory spottete: »Ich bin nicht dumm. Ich bin ein Genie, das ist erwiesen. Aber alle anderen sind dumm.«
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht ärgern.«
Geary schaute Tory über die Schulter und sah ihre andere Cousine Cynthia kommen. Sie war nach der griechischen Göttin der Jagd, Artemis, benannt. Thia hasste alles, was mit Griechenland zu tun hatte. Sie war nur aus genau zwei Gründen hier: Sie konnte auf diese Weise Punkte fürs Examen am College sammeln und folgte ihrem neuesten Schwarm Scott, der das Ganze für eine tolle Art hielt, den Sommer zu verbringen. Ganz davon zu schweigen, dass Thia, wäre sie zu Hause in New York geblieben, im Feinkostladen ihrer Mutter hätte aushelfen müssen - und das hasste sie sogar noch mehr als Griechenland.
Die Schönheit mit tizianrotem Haar war außerdem knappe eins neunzig groß und damit eine der wenigen Frauen, die größer waren als Geary. Das war beachtlich, denn Thia war gerade mal achtzehn Jahre alt.
Geary runzelte die Stirn, als sie Thias langen blauen Rock und die weiße, langärmlige, bestickte Bluse sah. »Ich dachte, du wolltest dich sonnen?«, sagte sie.
Tory beugte sich vor und flüsterte Geary ins Ohr: »Das hat sie auch getan, und dann hat sie sich oben ohne gesonnt, in der Hoffnung, Scott würde sie sehen und sich zu ihr legen. Hat er aber nicht. Dafür haben sie ein paar Männer auf einem Boot gesehen, das an uns vorbeifuhr, und sie sind fast über Bord gegangen. Da hat Justina sie dann unter Deck geschickt.«
Thia verzog den Mund. »Du kleiner Spitzel. Wenn du hier schon Geheimnisse verrätst, solltest du Geary lieber sagen, wie du fast ihre Berichte verbrannt hättest, weil ihre Katze dich erschreckt hat und du Teddys Bunsenbrenner umgeworfen hast.«
Tory errötete und schob sich die Brille höher auf die Nase. »Ein Genie, aber nicht anmutig. So bin ich eben. C'est moi.«
Geary lächelte Tory an, als sie die schreckliche Wahrheit aussprach. Anmut war nie ihre besondere Stärke gewesen - anders als bei Thia, die mehr als genug davon besaß. »Schon in Ordnung, Tor. Du hättest sie dann einfach noch mal neu schreiben müssen.«
Thia stieß einen Seufzer aus und ließ ihren Blick umherschweifen. »Ist das nicht der langweiligste Platz auf der ganzen Welt? Ich schaffe es noch nicht mal, Scott länger als einen Sekundenbruchteil hier heraufzulocken.«
Das war ganz offensichtlich. Wenn nackte Haut den Mann nicht dazu bewegen konnte heraufzukommen, dann konnte es nichts.
»Er ist mit Teddy da unten«, fuhr Thia irritiert fort, »und sie hängen über einer Grabungskarte - als ob es jemals so weit kommen würde! Woran liegt es bloß: Jedes Mal, wenn ich einen Typen in dieses gottverlassene Land mitbringe, verliert er den Verstand.«
»Vielleicht hängt es damit zusammen, dass er zu lange in deiner Nähe ist«, sagte Tory und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie beugte sich vor und flüsterte Geary in ihrer Geheimsprache aus Altgriechisch und Latein zu: »Ich glaube, sie saugt ihnen das Testosteron aus und braucht es für sich selbst.«
Geary lachte.
Thia erstarrte. »Was hat sie da über mich gesagt?«
Geary schüttelte den Kopf. »Warum glaubst du eigentlich, dass es immer um dich geht, Thia?«
»Weil es so ist.« Und damit rauschte sie davon.
Tory seufzte müde. »Hoffentlich findet sie eines Tages mal jemanden, der ihr sagt, wo's langgeht. Ich bin es leid zuzusehen, wie sie dem armen Scott die Kraft raubt. Sie trägt ganz klar Anteile eines weiblichen Dämons in sich.«
»Lass dich ja nicht darauf ein. Ich möchte sie niemandem an den Hals wünschen.«
»Das stimmt.« Tory schwieg kurz, dann richtete sie ihren bohrenden Blick auf Geary. »Erzähl mir, was passiert ist.«
Als ob sie das ganze Elend noch einmal durchleben wollte! »Da gibt's nicht viel zu erzählen. Sie haben uns die Genehmigungen verweigert - wieder mal.«
Tory stampfte mit dem Fuß auf. »O Mann, das ist so unfair!«
»Ich weiß«, sagte Geary und tätschelte Tory den Arm. »Wir müssen einfach Geduld haben.«
»Zum Henker mit der Geduld! Bei dem Tempo, in dem die Genehmigungen vergeben, bin ich in Rente, wenn es so weit ist, und muss mit meinem Krückstock graben!« Sie schnaubte. »So nah waren wir noch nie dran, die Stadt zu finden! Ich weiß, dass Atlantis genau hier ist! Ich spüre es.«
Geary lief ein Schauer über den Rücken. Für ihren Geschmack war Tory ihrem eigenen und Gearys Vater von der Persönlichkeit her ein bisschen zu ähnlich. Derselbe Wahnsinn, der die beiden Brüder gepackt hatte, trieb auch Tory an. Es war, als liege ihr dieser Wahnsinn im Blut und ließe sie bis spät nachts arbeiten, wenn alle anderen sich schon zurückgezogen hatten.
Manchmal bekam Geary geradezu Angst. Alle Familienmitglieder, die die gleiche Hingebung wie Tory gezeigt hatten, waren eines frühen Todes gestorben. Es würde nicht nur Geary kaputt machen, sondern auch ihren Großvater, wenn ihrem jüngsten Familienmitglied je etwas zustoßen sollte.
Tory war ihnen das Allerwichtigste.
Andererseits hatte Geary sich schon oft überlegt, dass es für Tory eine Art war, sich von dem Schmerz abzulenken, den sie als Waise empfand. Tory hatte keinerlei Erinnerung an ihre Eltern. Deren Arbeit war der einzige Weg, wie Tory sich ihnen nahefühlen konnte. Es war alles, was sie ihrer Tochter hinterlassen hatten.
»Es wird noch alles in Ordnung kommen, Triantafyllo. « Geary benutzte den Spitznamen, den Tory von ihrem Großvater bekommen hatte. »Jetzt werde ich mich ein bisschen hinlegen und versuchen, die Kopfschmerzen wegzubekommen, die sich da zusammenbrauen.«
»In Ordnung. Ich bin mit Scott und Teddy unten - wir gehen noch mal die Angaben durch, die absolut nutzlos sein werden, wenn wir nicht graben können. Aber was soll's? Ich bin jung und habe noch jede Menge Zeit, die ich verschwenden kann. Du dagegen ...«
Geary schnaubte verächtlich. »So viel älter als du bin ich auch nicht!«
Tory stolzierte davon und warf ihr über die Schulter hinweg zu: »Ja, ja ... besorge dir schon mal einen Stock, Oma!«
Geary schüttelte über Torys spielerische Art den Kopf, dann zuckte sie zusammen, als ihr ein stechender Schmerz durch die Stirn schnitt und es hinter den Augen zu klopfen begann.
Brian runzelte die Stirn und trat zu ihr. »Geht es Ihnen gut?«
»Nur Kopfschmerzen.« In der letzten Zeit hatte sie häufig Kopfschmerzen gehabt. Bei ihrem Glück war es sicher ein inoperabler Gehirntumor. Es würde wahrscheinlich damit enden, dass sie Thias Großmut ausgesetzt wäre und ihre Cousine sie endlich foltern könnte, wie sie wollte ... Schluss jetzt mit diesen Gedanken! »Mir geht's gut. Ich lege mich nur ein paar Minuten hin.«
»Wenn Sie irgendwas brauchen, melden Sie sich!«
Ich brauche eine Grabungsgenehmigung, sonst nichts.
Wenn sie das nur laut sagen könnte, ohne ihren Geldgeber zu verlieren, den sie so nötig hatte.
»Das werde ich machen, danke.« Und damit ging Geary unter Deck in die kleine Kabine, die sie sich mit Tory teilte. Auf einem Forschungsschiff gab es nicht besonders viel Privatsphäre, aber das war Geary ehrlich gesagt ziemlich egal. Als sie in Torys Alter gewesen war, hatte das ganz anders ausgesehen. Die Unterschiede zwischen ihnen waren enorm. Geary hasste es, wenn sie nicht genug persönlichen Freiraum hatte, während Tory dies gleichgültig war. Alles, woran das Mädchen interessiert war, war ihre Suche.
Aber trotz ihrer gegensätzlichen Charaktere liebte Geary ihre Cousine. Tory war für sie fast so etwas wie eine Schwester geworden. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch keine sechs Jahre alt gewesen war, und die ganze Familie hatte sie mit offenen Armen aufgenommen und sie wie ihr eigenes Kind großgezogen.
Geary lächelte, als sie ihre gemeinsame Kabine betrat und sah, dass Tory ihr Nachthemd und den alten, abgegriffenen braunen Teddybären aufs Bett gelegt hatte. Für Ordnung war Tory nicht gerade bekannt.
»Na gut, Mr. Cuddles, du musst auf deiner Seite vom Bett bleiben. Komm nicht immer auf meine Seite herübergeschlichen. Ich schlafe unruhig und trete manchmal um mich.« Geary setzte den Bären auf Torys ungemachte Hälfte des Bettes, faltete das pinkfarbene Flanellnachthemd und setzte Mr. Cuddles darauf.
Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. Über sich konnte sie gedämpfte Stimmen hören. Das Boot schaukelte leicht, was sie ein wenig benommen machte. Sie brauchte wirklich Ruhe. Ihr Schlaf war in letzter Zeit unruhig gewesen, wahrscheinlich eine Folge davon, dass sie zu viel um die Ohren hatte.
Sie zog sich die Schuhe aus, schlug die Bettdecke zurück und legte sich in das schmale Bett.
Sie schlief fast augenblicklich ein.
Die Geräusche des Bootes wurden leiser, als sie in die Dunkelheit ihres Traumes glitt, die von weißem Nebel und einer kühlen Brise gesäumt war. Seit frühester Kindheit war Geary in der Lage, sofort in die REM-Schlafphase zu fallen, innerhalb von fünf Minuten, was ein bisher völlig unbekanntes Phänomen war. Es war eine merkwürdige Schlafstörung, die kein Arzt sich je hatte erklären können.
Im Traum sah sie sich selbst an einem dunklen Strand stehen, wo die schaumgekrönten Wellen gegen eine fremde Küste schlugen. Das Geräusch hallte in ihren Ohren wider, während sie die nackten Zehen im feuchten schwarzen Sand vergrub.
»Megeara.« Die tiefe Männerstimme klang erotisch und hatte einen exotischen, fremden Akzent. Sie drang durch Geary hindurch wie heiße Schokolade mit einem Schuss Brandy. Gehaltvoll. Geschmeidig.
Berauschend.
Sie stöhnte im Traum auf, als ihr geheimnisvoller Liebhaber hinter ihr erschien. Wie immer war er atemberaubend schön, mit langem schwarzem Haar, mit dem der Wind spielte, und mit Augen, die so blau und klar waren, dass sie zu leuchten schienen. Sein Gesicht sah perfekt aus, und die hypnotischen Augen wurden von einem Paar schwarzer Augenbrauen überschattet. Er legte seine gebräunten Arme um sie und zog sie an seine nackte Brust, die mit perfekten Muskeln ausgestattet war.
Er war göttlich.
Die absolute Verführung.
Und in diesem Augenblick gehörte er ihr ganz allein ...
Sie schloss die Augen und sog den Geruch seiner rohen, erdigen Männlichkeit in sich ein, bis sie vor Lust völlig betrunken war. Sie neigte den Kopf, als seine heißen Lippen ihre Haut zärtlich leckten und liebkosten, bis ihr Körper brannte.
Sie wusste nicht, warum sie immer wieder diese wilden erotischen Träume hatte. Warum dieser unglaublich sexy aussehende Mann sie verfolgte. Schließlich war Geary Kafieri nicht gerade für ihre Sinnlichkeit oder ihre Weiblichkeit berühmt. Geary war eine harte Frau. Sie hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, für das zu kämpfen, woran sie glaubte. Sie hatte darum gekämpft, sie selbst sein zu dürfen, und diese Kämpfe hatten ihr keine Zeit dazu gelassen, sich mit typisch weiblichem Zeitvertreib wie Make-up und Frisuren oder mit weiblicher Raffinesse zu beschäftigen.
Von dem Augenblick an, als sie begonnen hatte, den Ruf ihres Vaters wiederherzustellen, versuchte sie, sich und ihren Kollegen und Geldgebern zu beweisen, dass sie nicht nur in einem Bereich mithalten konnte, der von Männern dominiert wurde, sondern dass sie ihn sogar beherrschen konnte.
Und das war ihr bewundernswert gut gelungen. Was war also schon dabei, wenn sie nicht gerade damenhaft war? Sie hatte sich ein erstes Lob verdient, als sie das angeschlagene Unternehmen ihres Vaters nach seinem Tod übernommen und es in weniger als drei Jahren saniert hatte. Das Bergungsunternehmen Kafieri war jetzt eines der besten Unternehmen in Griechenland, und während sie es wieder aufgebaut hatte, hatte sie es gleichzeitig geschafft, die privaten Forschungen ihres Vaters weiterzuführen.
Das hatte ihr immer genügt.
Zumindest hatte sie das gedacht, bis sie in einer schwülen Nacht vor zwei Monaten das erste Mal Arikos im Traum begegnet war.
Von dem Moment an, wo sie ihre Augen auf ihn gerichtet hatte, war sie von ihm fasziniert gewesen.
Er drehte sie zu sich um, sodass sie ihn ansah. Geary biss sich auf die Lippen und schaute in seine sengenden blauen Augen. Er trug ein paar schwarze Lederhosen und Stiefel, sonst nichts. Sein gewelltes Haar umfloss sein Gesicht, die sanfte Brise spielte damit, und es verfingen sich einzelne Haarsträhnen in den Bartstoppeln auf seinen Wangen.
»Was nimmt dich heute so mit, agamenapee?«, fragte er in dem Tonfall, der ihr immer wieder Schauer über den Rücken jagte.
Geary lehnte den Kopf an seine muskulöse Schulter und atmete seinen Geruch, der sie tröstete.
Wenn er doch nur ein wirklicher Mensch wäre ...
»Sie haben uns keine Genehmigung für die Grabung erteilt«, flüsterte sie, fuhr die Kontur seiner Brustwarze nach und sah zu, wie sie hart wurde. »Und dafür würde ich sie am liebsten umbringen. Ich weiß, dass wir Atlantis entdeckt haben. Ich weiß es einfach. Ich bin so nahe dran, dass ich es fast schmecken kann ... und jetzt ist es hoffnungslos.«
Sie knirschte frustriert mit den Zähnen und war dankbar, dass sie jemanden hatte, dem sie vertrauen konnte, ohne dass sie ihr Pokerface aufsetzen musste. Ihre Leute erwarteten von ihr, dass sie immer ruhig und gefasst war, auch wenn sie am liebsten den zuständigen Beamten so lange geschüttelt hätte, bis er ihr das gab, was sie wollte.
Verdammt.
»Ich werde es nicht schaffen«, sagte sie stockend. »Tory hat recht. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, sind wir bald so alt, dass wir nicht einmal mehr wissen werden, wonach wir eigentlich suchen.«
Arikos umfasste ihr Gesicht mit seinen großen Händen und sah sie stirnrunzelnd an. »Ich begreife nicht, warum das so wichtig für dich ist.«
»Weil mein Vater als gebrochener Alkoholiker gestorben ist. Ich will, dass alle, die ihn jemals ausgelacht haben, das zurücknehmen müssen, was sie über ihn gesagt haben. Ich will der Welt beweisen, dass mein Vater kein Dummkopf war, der gegen Windmühlen anrannte. Ich will das Versprechen halten, das ich ihm gegeben habe. Das bin ich ihm schuldig.«
Arikos neigte den Kopf und sah ihr in die Augen, als könnte er direkt in ihre Seele sehen. »Und wenn du Atlantis entdecken würdest, das würde dich glücklich machen? «
»Mehr als alles andere.«
»Dann ist die Entscheidung gefallen. Ich werde dich nach Atlantis bringen.«
Sie lachte über diesen absurden Einfall. Wenn ihr Unterbewusstsein erst mal abhob, dann aber richtig!
Trotzdem bedeutete es ihr viel, dass sie zumindest eine Person hatte, die ihr Vertrauen schenkte. Es war nicht wichtig, dass es kein echter Mensch war. Sie brauchte seine Unterstützung und war dankbar dafür.
Arikos neigte den Kopf und küsste sie. Geary stöhnte, als sie seinen süßen Geschmack spürte. Niemand auf der ganzen Welt schmeckte wie er. Niemand fühlte sich in ihren Armen besser an - deshalb war er wahrscheinlich auch in ihre Träume hinabgestiegen.
Aber sie war froh, dass er da war und sie die Hitze seiner Haut spüren konnte.
Diesen Mann hätte sie mit Haut und Haaren verschlingen können.
Geschickt schoben seine Hände das weiße fließende Kleid von ihren Schultern, bis sie nackt vor ihm stand, dann liebkoste er ihren Mund mit seinen Lippen und mit seiner Zunge. Es überraschte sie, dass sie sich mit ihm so wohlfühlte, sogar im Traum. Im wirklichen Leben war Geary nie die Art von Frau gewesen, die zugelassen hätte, dass ein Mann ihr den Kopf verdreht und sie sich von ihren Leidenschaften überwältigen ließ.
Sie war eine Frau, die kalte, harte Logik in den Mittelpunkt stellte und sich nur gelegentlich mit Leidenschaften beschäftigte.
Deshalb liebte sie ihre Träume so sehr. Hier konnte sie mit Arikos tun, was immer sie wollte, ohne die Sorge, schwanger zu werden oder sich eine Krankheit einzufangen. Ohne die Sorge, ihm morgens gegenüberzustehen.
Kein Risiko, enttäuscht zu werden oder grausames Gelächter zu hören. Sie kontrollierte ihre Träume, und sie kontrollierte Arikos. In der Zeit, die sie mit ihm verbrachte, fühlte sie sich sicher und geborgen. Das waren die besten Augenblicke ihres Schlafes.
Er ließ sie vorsichtig auf den sandigen Untergrund herunter und legte sich auf sie. Allein dass sie ihn so spüren konnte, war unglaublich. Seine Lederhose liebkoste ihre Beine, als er ihre Oberschenkel mit seinem Knie auseinanderschob.
Er bewegte sich von ihrem Mund weiter nach unten, hin zu ihrer angeschwollenen Brust, die nach seiner Liebkosung verlangte.
Atemlos und schwach drückte sie seinen Kopf an sich, als er seine Zunge über ihre harte Brustwarze gleiten ließ.
»Ja«, flüsterte er und glitt mit der Hand nach unten, um ihren Drang zu lindern, ihn in sich zu spüren. Seine warmen Finger streichelten und reizten sie, bis sie den Gipfel eines Orgasmus erreichte. »Gib mir deine ganze Leidenschaft, Megeara. Ich will deine Lust spüren. Ich will sie schmecken.«
Sie küsste ihn wild, stieß ihre Hüften gegen seine Hand und versuchte, noch mehr Lust zu erleben. »Ich will mehr«, verlangte sie und griff nach seinem Reißverschluss.
Er lachte. »Das sollst du haben.«
»Geary!«
Der laute Ruf riss sie aus ihrem Traum und ließ ihr Herz vor Schreck fast noch schneller schlagen. Geary öffnete die Augen und stellte fest, dass sie auf dem Bauch in ihrem Bett lag.
Tory stürzte herein. »Komm schnell! Thia ersäuft gerade Teddy! Das ist kein Witz!«
Arik zog sich aus dem Traum zurück und fluchte. Er schwebte im strobilos, das ihm keine Form und Substanz verlieh, während er die Sphäre der Menschen ausspähte. Immer wenn ein Mensch aus seinem Traum erwachte, ließ das den Traumgott in einer gewaltigen Leere zurück. Kein Geräusch, keine Farbe, nichts als Schwärze.
Alles, was er spüren konnte, waren ihre flüchtigen Gefühle, und er wollte sie unbedingt behalten.
»Megeara ...«, rief Arik und wollte zurückkehren zu dem, was sie miteinander geteilt hatten. Aber er wusste, dass es zu spät war. Diese Frau war stärker als ein durchschnittlicher Mensch und kam nicht immer, wenn er nach ihr rief.
Nicht einmal mit dem Lotus-Serum gelang es ihm, sie zum Schlafen zu bringen. Sie bekam lediglich Kopfschmerzen, wenn sie dagegen ankämpfte.
Verdammt! Er wollte sie zurückhaben!
Sein Körper schmerzte vor unbefriedigtem Verlangen, aber mehr noch als das spürte er etwas Fremdes in seiner Brust.
Kummer.
Er begehrte sie und war wütend, dass er sie verloren hatte. Noch nie in der gesamten Geschichte der menschlichen Welt hatte er so etwas gespürt. Traumgötter sollten frei von Gefühlen sein ... außer Schmerz. Dieses Gefühl war das Einzige, das man ihnen gelassen hatte, sodass die anderen Götter sie kontrollieren und bestrafen konnten.
Nur dass er keinen Schmerz in seiner Brust spürte. Er empfand Megearas Gefühle wie seine eigenen, was bewies, wie mächtig ihre unterdrückte Leidenschaft und Wut waren.
Zu Beginn war sie eine Seltenheit für ihn gewesen. Ihre Träume waren klar, und sie träumte in Farbe - zwei Dinge, die es bei den Träumen der meisten anderen Menschen nicht gab. Der Durchschnittsmensch träumte in Schwarz- Weiß und sehr unscharf.
Die meisten Traumgötter mieden diese Leute, vor allem die erotischen Skoti wie er, die immer auf der Suche nach kühneren Menschen waren. Warum sollte man sich in den Träumen einer einfallslosen Person herumtreiben, wenn man bei anderen Schläfern Gefühle und Sinnesempfindungen erfahren konnte?
Also sprangen die Seinen von einem Traum zum nächsten, immer auf der Suche nach solchen Träumen, die Schönheit erschaffen und den Skoti das geben konnten, wonach sie verlangten.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Ihr Vater, mit dem sie sich auseinandergelebt hatte, war tot. Er war genauso gestorben, wie er gelebt hatte, hatte einen dummen Traum verfolgt, der nicht nur ihn das Leben gekostet hatte, sondern auch das ihrer Mutter, das ihres Bruders, das ihrer Tante und das ihres Onkels.
»Atlantis gibt es wirklich, Geary. Ich spüre, wie es zu mir ausstrahlt, sogar jetzt, wo ich mit dir spreche. Atlantis ist in der Ägäis versunken wie ein glitzerndes Kleinod, das jemand verloren hat, und es wartet nur darauf, dass wir es finden und der Welt zeigen, was für eine Schönheit es einst gewesen ist.« Noch immer konnte sie die hypnotische Stimme ihres Vaters hören, als er damals ihre Hand aufs Wasser gelegt hatte, damit sie spüren sollte, wie die weichen Wellen gegen ihre winzige Handfläche schlugen. Sie konnte noch immer sein schönes Gesicht sehen, als er ihr zum ersten Mal begeistert erzählt hatte, warum sie so viel Zeit in Griechenland verbrachten.
»Wir werden Atlantis entdecken und dieses Wunder allen Menschen zeigen. Merk dir meine Worte, mein Kind. Atlantis ist hier, und unsere Familie wurde auserwählt, um seinen Zauber zu enthüllen.«
Das war sein wahnwitziger Traum gewesen. Und er hatte sein Leben lang versucht, diesen Traum an sie weiterzugeben, aber anders als der Rest ihrer Familie war sie nicht so dumm gewesen, daran zu glauben.
Atlantis war ein falscher Mythos. Platon hatte diese Stadt als eine Metapher dafür erfunden, was geschah, wenn sich der Mensch gegen die Götter erhob. Genau wie Lovecrafts Necronomicon war es bloß eine Fiktion, an die die Leute so gerne glauben wollten, dass sie willens waren, alles dafür zu opfern, nur um es zu finden.
Jetzt lag ihr Vater in seinem Grab auf dieser Insel, die er so sehr geliebt hatte. Er war gebrochen und verbittert gestorben, nur noch die Hülle eines Mannes, der seinen geliebten Bruder hatte zu Grabe tragen müssen, dann seinen Sohn, dann seine Frau ...
Und wofür? Jedermann hatte ihn ausgelacht und verhöhnt. Er hatte seine Stelle als Professor schon vor Jahren verloren, und damit einhergehend, auch sein Ansehen und seinen guten Ruf. Der einzige Weg, auf dem er die Ergebnisse seiner Forschungen hatte veröffentlichen können, führte über Autorenverlage.
Verdammt, und sogar von diesen Verlagen war er ausgelacht und abgelehnt worden. Sie wollten seine abstrusen Arbeiten nicht einmal veröffentlichen, als er ihnen Geld dafür anbot. Trotzdem hatte er mit fieberhaftem Verlangen weitergemacht, und damit hatte er den Leuten noch mehr Grund gegeben, über ihn zu spotten. Das hatten sie mit Wonne getan.
Aber zumindest hatte sie ihn noch einmal gesehen, bevor er gestorben war, und er war nicht allein gestorben, wie er befürchtet hatte. Gegen die Prognose seines Arztes hatte ihr Vater irgendwie durchgehalten, bis sie in den USA einen Flug bekommen und es zu seinem Krankenzimmer geschafft hatte. Obwohl sie nur noch kurz miteinander sprechen konnten, war es lange genug gewesen, damit sie sich miteinander hatten versöhnen können. So konnte er sterben, ohne Schuldgefühle zu haben, dass er seine Tochter wegen seiner Suche nach Atlantis vernachlässigt hatte.
Wenn sie selbst doch auch nur ein bisschen Frieden finden könnte! Noch immer hatte sie ihm innerlich nicht vergeben. Wie sehr ihr Großvater ihr auch versucht hatte zu erklären, was ihren Vater antrieb - sie kannte die Wahrheit. Das Einzige, was dieser Mann je geliebt hatte, war sein Traum gewesen, und für ihn hatte er seine ganze Familie ... ihre ganze Familie geopfert.
Jetzt war sie vierundzwanzig Jahre alt und hatte durch seine Schuld keinen Bruder und keine Eltern mehr.
Sie stand vollkommen allein in der Welt.
Und es brannte wie tobendes Feuer in ihr, dass sie ihrem Vater auf dem Totenbett versprochen hatte, seine Arbeit fortzuführen. Es war einer der wenigen schwachen Momente in ihrem Leben gewesen. Aber als sie ihn gesehen hatte, wie er da in seinem kalten Krankenhausbett gelegen hatte, ein zerbrechlicher und aufgewühlter Mann, und sich verzweifelt ans Leben klammerte - dieser Anblick hatte ihr das Herz zerrissen. Obwohl sie in den vergangenen acht Jahren kaum miteinander gesprochen hatten, hatte sie es nicht über sich gebracht, ihn zu verletzen, denn das Einzige, was er wollte, war ihre Vergebung, ehe er starb.
Sie verzog den Mund und sah den Wellen zu, wie sie an die weiße Küste schlugen. »Atlantis entdecken, du liebe Güte. Ich werde mich nicht so zum Narren machen wie du, Vater. So dumm bin ich nicht.«
»Dr. Kafieri?«
Sie drehte sich um, als sie eine Stimme mit starkem griechischen Akzent hörte, und sah einen kleinen rundlichen Mann Mitte fünfzig, der sie anstarrte. Cosmo Tsiaris war ein Cousin ihres Vaters und ihr Familienanwalt hier in Griechenland. Cosmo war zum Schein Partner im Bergungsunternehmen ihres Vaters und maßgeblich daran beteiligt, Genehmigungen für Grabungen zu erhalten und Investoren für seine altmodische Suche zu finden.
Obwohl sie Cosmo schon ihr ganzes Leben lang kannte, schauderte sie bei seiner Begrüßung. Kafieri war der Name ihres Vaters gewesen, den sie schon vor Jahren abgelegt hatte, nachdem all ihre Bewerbungen fürs College abgelehnt worden waren, obwohl sie die Aufnahmebedingungen mehr als erfüllte. Kein Institut, das etwas auf sich hielt, würde jemals eine Kafieri zu einem Studium der Klassischen Archäologie, der Antiken Geschichte oder der Anthropologie zulassen, aus Angst, seinen guten Ruf zu ruinieren. Deshalb benutzte sie den Mädchennamen ihrer Mutter, damit sie sich Glaubwürdigkeit und Ansehen bewahren konnte.
Wie alle anderen aus ihrem engsten Familienkreis war auch ihre frühere Identität als Geary Kafieri in diesem Land umgekommen.
»Ich bin Dr. Megeara Saatsakis.«
Ein strahlendes Lächeln erhellte sein Gesicht. »Sie haben geheiratet!«
»Nein«, sagte sie schlicht und sah zu, wie die Luft förmlich aus ihm entwich. »Ich habe meinen Namen vor acht Jahren gesetzlich ändern lassen, als ich in die USA zurückgegangen bin und mich von meinem Vater befreien wollte.«
An Cosmos Gesicht konnte sie sehen, dass er ihre Argumentation nicht verstand, und es war ihr auch egal. Mit seiner patriarchalischen Denkweise würde er es sowieso nicht begreifen.
Er runzelte die Stirn und sagte nichts, sondern hielt ihr eine kleine Schachtel hin. »Ich habe Eneas versprochen, dass nach seinem Tod seine Tochter das hier erhalten würde. Das wären doch immer noch Sie, oder?«
»Ja«, sagte sie und ignorierte seinen Sarkasmus. Wer sonst würde dumm genug sein, sich zu einem Erzeuger zu bekennen, der sich so lächerlich gemacht hatte?
Megeara zuckte bei diesem Gedanken zusammen. Sie hatte ihren Vater wirklich geliebt. Auch als seine Trauer und seine Forschungen ihm alles genommen hatten, sogar seine geistige und körperliche Gesundheit, auch dann hatte sie ihn noch immer geliebt. Aber wie hätte es anders sein sollen? Er war, als sie noch ein Kind gewesen war, ein liebevoller, fürsorglicher Vater. Erst als sie in die Pubertät gekommen war und anfing, seine Forschungen und seinen Eifer infrage zu stellen, hatten sie sich auseinandergelebt.
»Atlantis ist Schwachsinn, Papa. Diese ganzen Forschungen sind Schwachsinn. Ich will nicht mehr auf diesem dämlichen Boot sein. Ich bin jung, und ich will Freunde haben. Ich will zur Schule gehen und normal sein. Du verschwendest unsere Zeit und mein Leben!« Er hatte sie an ihrem fünfzehnten Geburtstag so hart geschlagen, dass sie schwören konnte, es noch immer zu fühlen.
»Wag es nicht, das Andenken deiner Mutter zu beschmutzen. Das Andenken meines Bruders. Sie haben ihr Leben dafür gegeben.«
Sechs Monate später gab auch Megearas Bruder sein Leben dafür, als sich sein Tauchseil verhedderte und er in der Druckluftflasche nicht mehr genug Luft hatte. Das war der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie würde Jasons Rolle nicht übernehmen. Sie würde nicht ihr Leben aufgeben, um die Träume von jemand anderem zu erfüllen ... niemals.
Was machte es schon, dass sie es ihrem Vater jetzt versprochen hatte? Er war tot und würde nie erfahren, dass sie abtrünnig geworden war. Er war zufrieden gestorben, und jetzt konnte sie endlich die Vergangenheit begraben und mit ihrem Leben in Amerika weitermachen.
Wie ihr Großvater hatte sie vor, Griechenland zu verlassen und nie wieder einen Fuß auf griechischen Boden zu setzen.
Cosmo überreichte ihr die einfache weiße Schachtel und ließ sie allein, damit sie sie in Ruhe öffnen konnte.
Megeara starrte die Schachtel einige Minuten lang an. Sie hatte Angst vor dem, was sie enthalten würde. Würde es ein persönliches Erinnerungsstück sein, bei dem sie in Tränen ausbräche? Sie wollte nicht mehr um einen Mann weinen, der ihr so oft das Herz gebrochen hatte, dass sie es schon gar nicht mehr zählen konnte.
Doch schließlich siegte ihre Neugier, und sie öffnete die Schachtel. Zunächst schien sie nichts zu enthalten außer zusammengeknülltem Seidenpapier. Sie wühlte sich bis zum Boden durch, um herauszufinden, was noch darin war.
Sie starrte im hellen Sonnenlicht auf ihre Handfläche und war nicht in der Lage zu begreifen, was dort lag.
Es waren zwei Gegenstände. Das eine schien ein komboloi zu sein - eine Kette aus Perlen, ähnlich wie ein kleiner Rosenkranz -, mit dem manche Griechen herumspielten, wenn sie angespannt waren, aber sie hatte noch nie so einen gesehen wie diesen hier. Seinem Aussehen und seiner Gestaltung nach zu urteilen, schien er älter zu sein als jede andere Art von komboloi, von der sie je gehört hatte. Er hatte fünfzehn schillernde grüne Kugeln aus einem Stein, den sie nicht bestimmen konnte. Auf ihnen waren winzige komplexe Familienszenen eingeritzt, mit Leuten, die Kleider trugen, die nichts glichen, was sie schon einmal bei ihren Forschungen gesehen hatte. Dazwischen waren fünf goldene Kugeln aufgereiht, auf denen drei Blitze eingraviert waren, die eine Sonne durchbohrten. An der Stelle, wo ein komboloi eine kleine griechische Münze von der Größe eines amerikanischen Zehncentstücks enthalten hätte, hatte dieser hier einen Ring mit einer Inschrift, die dem Altgriechischen ähnlich war - und doch war sie ganz anders. So sehr, dass nicht einmal Geary, die das Altgriechische mit der Muttermilch aufgesogen hatte, diese Schrift entziffern konnte.
Wie die meisten Gegenstände, die frisch aus einer Ausgrabung stammen, hing auch am komboloi ein kleiner weißer Zettel an einem roten Faden. Darauf hatte ihr Vater Notizen zu einem Fund gemacht:
1. September 1987 152,40 cm unter dem Bezugspunkt (siehe Seite 42) Absolute Datierung: 9529 v. Chr. Unbekannter grüner Stein / nicht belegt Unbekannte Aufschrift / nicht belegt Die Anthropologin in ihr regte sich, und Geary überlegte, was das historisch bedeuten könnte. Wenn die Datierung wirklich eine absolute war...
Das Fundstück bewies einen hochentwickelten Stand und eine Kenntnis der Metallurgie, die bisher unbekannt waren. Zu dieser Zeit konnten die Griechen noch keine solche Kunstfertigkeit erlangt haben. Die Präzision der Schnitzarbeit und der Gravierungen sah so aus, als seien sie mit einer Maschine und nicht mit der Hand vorgenommen worden. Vor elftausend Jahren besaß die Menschheit aber noch keine Werkzeuge, die erforderlich gewesen wären, um eine solch komplexe Arbeit auszuführen.
Wie war das möglich?
Fasziniert richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den anderen Gegenstand, einen kleinen ledernen Beutel. Auch an ihm war ein Anhänger befestigt.
10. Juli 1985 Absolute Datierung: 9581 v. Chr. Unbekanntes Metall / nicht belegt Sie runzelte die Stirn und öffnete den Beutel. Darin lagen fünf Münzen von unterschiedlicher Größe. Sie waren alt ... sehr alt und stark von Rost bedeckt. Und auch hier galt wieder: Es gab keine so alten Münzen. Zu dieser Zeit hatte es noch keine Münzen gegeben, schon gar nicht in Griechenland! Wie auf dem komboloi war auch auf den Münzen die gleiche eigenartige Schrift zu erkennen, aber diese Schrift konnte sie lesen. Es waren die altgriechischen Worte für »Atlantäische Provinz Kirebar«.
Um Himmels willen!
Die Münzen schienen nicht mit der Hand angefertigt worden zu sein, und ihre metallische Zusammensetzung erinnerte an nichts, was sie je zuvor gesehen hatte. Sie waren leicht orangefarben, weder aus Silber noch aus Gold, weder aus Bronze noch aus Kupfer oder aus Eisen - vielleicht eine merkwürdige Mischung aus all diesen Metallen, und doch schien das auch nicht das Richtige zu sein.
Was, zum Teufel, war es?
Sogar mit der Patina, die die Münzen bedeckte, waren die Bilder und die Aufschriften so frisch, klar und deutlich erkennbar wie auf einer modernen Münze.
Ihr klopfte das Herz, als sie die größte Münze umdrehte und ihre Rückseite betrachtete. Dort war das gleiche fremde Symbol wie auf dem komboloi: eine Sonne, die von drei Blitzen durchbohrt wurde. Und darüber standen die Worte: Möge Apollymi uns schützen.
Megeara starrte ungläubig darauf. Apollymi? Wer war das?
Sie hatte diesen Namen nie zuvor gehört.
»Das ist eine Fälschung.« Es musste eine Fälschung sein, doch als sie die Münze ansah, wusste sie die Wahrheit. Diese Dinge waren keine Fälschungen. Ihr Vater musste sie bei einer seiner vielen Ausgrabungen in der Ägäis gefunden haben.
Das war es, was ihren Vater angetrieben hatte weiterzumachen, auch wenn der Rest der Welt über ihn lachte. Er hatte gewusst, dass es eine Wahrheit gab, die von der Welt verleugnet wurde.
Atlantis gab es wirklich.
Und wenn das stimmte, dann war ihr Vater von allen zu Unrecht kritisiert worden ... sogar von ihr. Trauer und Schmerz überfielen sie, als sie sich die Streitereien in Erinnerung rief, die sie all die Jahre gehabt hatten. Sie war keinen Deut besser gewesen als irgendeiner von den anderen.
Liebe Güte, wie oft hatten sie sich über dieses Thema gestritten! Warum hatte er ihr nie von seinen Funden erzählt? Warum hatte er ihr eine Entdeckung von dieser Größenordnung vorenthalten?
Leider wusste sie die Antwort auf diese Frage: Weil ich ihm nicht geglaubt hätte, selbst wenn er es mir dort gezeigt hätte, an Ort und Stelle, wo er es gefunden hat. Ich hätte ihn ausgelacht wie alle anderen und es ihm um die Ohren gehauen.
Er hatte sich zweifellos den Schmerz ersparen wollen, dass auch sie sich über ihn lustig machte.
Megeara klappte die Schachtel zu und drückte sie an ihre Brust. Sie bedauerte jede Kritik, die sie je an ihrem Vater geübt hatte. Wie sehr mussten ihn ihre Worte verletzt haben! Sie hätte Vertrauen in ihn setzen müssen - aber sie war ebenso grausam gewesen wie alle anderen.
Jetzt war es zu spät, um etwas daran zu ändern.
»Es tut mir so leid, Papa«, flüsterte sie. Wie alle anderen hatte sie angenommen, dass er verrückt war. Irregeleitet. Dumm.
Aber irgendwie hatte er diese Gegenstände gefunden. Und sie waren echt.
Atlantis gibt es wirklich. Diese Worte gingen ihr unaufhörlich durch den Sinn. Sie starrte hinaus auf das blaue Meer, umklammerte die Schachtel fester und erinnerte sich an die letzten Worte, die sie zu ihrem Vater gesagt hatte. »Ja gut, ich verspreche es. Ich werde auch nach Atlantis suchen. Mach dir keine Sorgen, Papa. Die Sache ist bei mir in guten Händen.« Diese Worte hatte sie hastig und emotionslos ausgesprochen, und doch hatten sie ihn getröstet.
»Es gibt Atlantis, Geary. Ich weiß, dass du es entdecken wirst - du wirst es sehen. Mit deinen eigenen Augen sehen. Du wirst mich als den erkennen, der ich bin - und nicht als den, für den du mich immer gehalten hast.«
Dann hatte er eine Weile geschlafen, und ein paar Stunden später war er gestorben, während sie seine Hand hielt.
In diesem Moment war sie keine erwachsene Frau gewesen, sondern wieder ein kleines Mädchen, das seinen Vater zurückhaben wollte, das sich nach jemandem sehnte, der es trösten und ihm sagen würde, dass alles wieder in Ordnung kam.
Aber es gab niemanden in ihrem Leben, der das tun konnte. Und jetzt bedeutete dieses aberwitzige, voreilige Versprechen ihr auch noch etwas.
»Ich höre dich, Papa«, flüsterte sie dem Wind zu, der den Geruch von frischem Olivenöl zu ihr herübertrug, und sie hoffte, dass der Wind ihre Stimme zu ihm tragen würde, wo auch immer er war. »Ich werde nicht zulassen, dass du umsonst gestorben bist. Ich werde beweisen, dass Atlantis existiert. Für dich. Für Mutter und für Onkel Theron und für Tante Athena ... und für Jason. Und wenn es den Rest meines Lebens dauert - ich werde mein Wort halten. Wir werden Atlantis finden. Ich schwöre es.«
Doch als sie diese Worte mit voller Überzeugung aussprach, fragte sie sich, ob sie in der Lage wäre, dem Gespött standzuhalten, das ihr Vater seine ganze berufliche Laufbahn über ertragen musste. Vor gerade einmal sechs Wochen hatte sie in Yale ihren Doktor gemacht, und im Herbst sollte sie eine Dozentur in New York antreten. Sie hatte in ihrem jungen Alter schon viel erreicht, und man erwartete große Dinge von ihr. Das erhofften sowohl sie von sich selbst als auch die Institute und die Professoren, die ihr die Prüfungen abgenommen hatten.
Wenn sie diesen Weg einschlug, wäre das beruflicher Selbstmord. Sie würde alles verlieren - absolut alles. Es war ein großer Schritt, den sie jetzt machen wollte. Sie würde nie mehr zurückkönnen.
Mein Vater hat daran geglaubt.
Und ihr Onkel und ihre Mutter ebenfalls.
Sie hatten ihr Leben dafür gegeben, sogar als die ganze Welt über sie gelacht hatte. Und nun folgte eine zweite Generation Dummköpfe der ersten - geradewegs in den Ruin.
Megeara hoffte nur, dass sie am Ende des Weges ein besseres Schicksal erwartete als die erste Generation.
Wie der Vater, so die Tochter.
Sie hatte keine Wahl, sie musste seine Suche vollenden, sonst würde ihr Name genauso wertlos sein wie seiner.
»Los geht's, stecken wir Prügel ein ...«
1
Santorin, Griechenland, 1996
»Mein Königreich für eine Pistole!«
Brian schüttelte den Kopf, als er Gearys feindselige Worte hörte. Ruhig öffnete er die Autotür für sie, als sie das kleine Taxi erreichte, das mitten auf der stark befahrenen griechischen Durchgangsstraße wartete. »Sie haben doch gar kein Königreich.«
Sie blieb auf dem Bürgersteig stehen und starrte ihn an. Sie war stinkwütend und konnte es nicht fassen, dass er es wagte, das Offensichtliche auszusprechen. Sie war dafür bekannt, dass sie schon bei geringfügigeren Anlässen ausflippte. Der Mann hatte wirklich keinen Sinn für Selbstschutz. »Ich habe auch keine Pistole - sieht so aus, als wäre ich völlig vom Glück verlassen, was?«
Er blieb so ruhig wie immer, was ihre Laune nicht gerade verbesserte. Konnte er nicht auch mal ausflippen, nur dieses eine Mal? »Ich nehme an, Sie haben die Genehmigungen nicht bekommen ... mal wieder nicht.«
Auf diesen Nachsatz hätte sie wirklich gut verzichten können. »Wie sind Sie bloß darauf gekommen?«
»Ich weiß auch nicht. Die feindselige Haltung, mit der Sie die Straße entlanggehen, die Art, wie Sie Ihre Hände zu Fäusten ballen und wieder lösen, als ob Sie jemanden erwürgen wollten - und vielleicht liegt es auch an der Art, wie Sie mich anschauen: als würden Sie mir am liebsten die Augen auskratzen, obwohl ich doch gar nichts getan habe, um Sie zu ärgern.«
»Doch, das haben Sie.«
Sie merkte, dass er fast gelächelt hätte, aber zum Glück hatte er genug Verstand, um dieses Lächeln zu unterdrücken. »Und das wäre?«
»Sie haben keine Pistole.«
Er schnaubte. »Jetzt kommen Sie schon, Sie können doch nicht jeden einzelnen griechischen Bürokraten erschießen, der Ihnen in die Quere kommt!«
»Wollen wir wetten?«
Brian trat einen Schritt zurück und ließ sie als Erste ins Taxi steigen. Er war ein gut aussehender Mann, etwas über ein Meter neunzig groß und Mitte vierzig. Sehr distinguiert und intelligent. Und was das Beste war: Er war unabhängig, wohlhabend und mehr als willens, ihr neuestes, vergebliches Wagnis zu finanzieren, ohne sich allzu sehr darüber zu beschweren.
Leider hielt er nichts davon, Beamte zu schmieren.
War es zu viel verlangt, einen Geldgeber zu finden, der zu einem kleinen ungesetzlichen Geschenk bereit wäre? Brian würde sicher auch irgendwo Schwachstellen haben, und im Moment konnte sie sich nichts anderes vorstellen, was ihr besser hätte helfen können.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte er, als er zu ihr ins Auto stieg.
Geary seufzte und wünschte, sie hätte eine Antwort darauf. Ihr Team wartete auf ihrem Boot am Hafen, aber ohne die Genehmigungen, die ihnen gestatteten, die Erhebungen freizulegen, die sie und Tory für Stadtmauern hielten, konnten sie das, was sie entdeckt hatten, nur von der Wasseroberfläche aus bewundern - sonst nichts.
Das war ein schwacher Trost. Es war das Aussichtsreichste, was sie seit Jahren entdeckt hatten. »Ich will noch eine Sedimentprobe.«
»Sie haben doch schon zig Proben genommen.«
»Ich weiß, aber vielleicht wird es uns helfen, die Leute davon zu überzeugen, dass sie uns die Genehmigungen geben.« Na klar. Sie war schon von Pontius zu Pilatus geschickt worden und hatte noch die Worte im Ohr, die sie bei ihrem letzten Versuch gehört hatte.
»Wir sind hier in Griechenland, Dr. Kafieri. Wir sind von antiken Ruinen umgeben, und ich werde nicht gestatten, dass Sie den Boden des Ägäischen Meeres aufreißen, denn es handelt sich hier um eine befahrene Schifffahrtsstraße. Ist das alles, was Sie haben: Wieder mal eine Variation der alten These: Hier könnte Atlantis gelegen haben? Also wirklich. Ich habe schon genug mit Schatzgräbern zu tun, die versuchen, unsere nationalen Kulturgüter zu stehlen. Weitere Schatzgräber kann ich nicht gebrauchen! Wir hier in Griechenland nehmen unsere Geschichte sehr ernst, und Sie verschwenden meine kostbare Zeit. Guten Tag!«
Das reichte, damit sie am liebsten ihren Kopf auf den Schreibtisch des Mannes geschlagen hätte, bis er entweder nachgab oder sie einweisen ließ. Es ging hier nicht um Schätze, aber das konnte sie ihm nicht klarmachen, genauso gut hätte sie versuchen können, mit Flügeln aus Wachs zu fliegen.
»Es muss einen Weg geben, wie wir das Ganze umgehen können.«
Brian erstarrte. »Bei illegalen Sachen mache ich nicht mit.«
Und sie leider auch nicht. »Machen Sie sich keine Sorgen, Brian. Ich will auch nicht ins Gefängnis kommen.«
Aber es musste noch etwas anderes geben, das sie tun konnte.
Wenn bloß ihre Kopfschmerzen verschwinden würden, sodass sie nachdenken könnte! Aber der pochende Schmerz schien ihr, genau wie der Beamte, den Tag ruinieren zu wollen.
Sie lehnte sich zurück und betrachtete die prächtigen Gebäude der Stadt und die Landschaft, die am Autofenster vorbeizogen, während die Leute auf dem Bürgersteig ihren Geschäften nachgingen. Wie gerne wäre sie auch sorglos umhergeschlendert und durch die Geschäfte gebummelt, hätte eingekauft und gelacht wie die meisten Menschen hier. Leider war sie niemals nur als Touristin irgendwo gewesen.
Geary Kafieri arbeitete immer und kannte keine Freizeit.
Sie schwiegen, während das Taxi sich seinen Weg durch die schmalen Straßen zum Hafen suchte, wo ihr Forschungsschiff auf sie wartete. Brian bezahlte das Taxi, Geary stieg aus und stapfte die Gangway hinauf, um ihr Team über ihren erneuten grandiosen Misserfolg zu informieren.
Als Erstes traf sie auf Tory. Gearys Cousine war fünfzehn Jahre alt und durchschnittlich groß. Sie hatte langes braunes Haar und trug eine dicke Brille. Tory war ein schüchterner Teenager und interessierte sich mehr für ihre Bücher als für irgendetwas anderes. Obwohl sie sich nicht an ihren Vater Theron erinnern konnte, war sie ihm sehr ähnlich. Ihren ganzen Ehrgeiz setzte sie in das Ziel, Atlantis zu entdecken.
»Und, wie lief's?«, fragte sie mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck.
Geary schüttelte den Kopf.
Tory stieß einen Fluch aus, bei dem Geary sie nur noch anstarren konnte. »Wie können sie uns nicht graben lassen? Was haben diese Leute bloß?«
»Sie glauben, es ist Zeitverschwendung.«
Tory verzog angeekelt das Gesicht. »Das ist doch idiotisch! Die Leute sind dumm!«
»Ja«, sagte Geary trocken. »Wir sind alle dumm.«
Tory spottete: »Ich bin nicht dumm. Ich bin ein Genie, das ist erwiesen. Aber alle anderen sind dumm.«
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht ärgern.«
Geary schaute Tory über die Schulter und sah ihre andere Cousine Cynthia kommen. Sie war nach der griechischen Göttin der Jagd, Artemis, benannt. Thia hasste alles, was mit Griechenland zu tun hatte. Sie war nur aus genau zwei Gründen hier: Sie konnte auf diese Weise Punkte fürs Examen am College sammeln und folgte ihrem neuesten Schwarm Scott, der das Ganze für eine tolle Art hielt, den Sommer zu verbringen. Ganz davon zu schweigen, dass Thia, wäre sie zu Hause in New York geblieben, im Feinkostladen ihrer Mutter hätte aushelfen müssen - und das hasste sie sogar noch mehr als Griechenland.
Die Schönheit mit tizianrotem Haar war außerdem knappe eins neunzig groß und damit eine der wenigen Frauen, die größer waren als Geary. Das war beachtlich, denn Thia war gerade mal achtzehn Jahre alt.
Geary runzelte die Stirn, als sie Thias langen blauen Rock und die weiße, langärmlige, bestickte Bluse sah. »Ich dachte, du wolltest dich sonnen?«, sagte sie.
Tory beugte sich vor und flüsterte Geary ins Ohr: »Das hat sie auch getan, und dann hat sie sich oben ohne gesonnt, in der Hoffnung, Scott würde sie sehen und sich zu ihr legen. Hat er aber nicht. Dafür haben sie ein paar Männer auf einem Boot gesehen, das an uns vorbeifuhr, und sie sind fast über Bord gegangen. Da hat Justina sie dann unter Deck geschickt.«
Thia verzog den Mund. »Du kleiner Spitzel. Wenn du hier schon Geheimnisse verrätst, solltest du Geary lieber sagen, wie du fast ihre Berichte verbrannt hättest, weil ihre Katze dich erschreckt hat und du Teddys Bunsenbrenner umgeworfen hast.«
Tory errötete und schob sich die Brille höher auf die Nase. »Ein Genie, aber nicht anmutig. So bin ich eben. C'est moi.«
Geary lächelte Tory an, als sie die schreckliche Wahrheit aussprach. Anmut war nie ihre besondere Stärke gewesen - anders als bei Thia, die mehr als genug davon besaß. »Schon in Ordnung, Tor. Du hättest sie dann einfach noch mal neu schreiben müssen.«
Thia stieß einen Seufzer aus und ließ ihren Blick umherschweifen. »Ist das nicht der langweiligste Platz auf der ganzen Welt? Ich schaffe es noch nicht mal, Scott länger als einen Sekundenbruchteil hier heraufzulocken.«
Das war ganz offensichtlich. Wenn nackte Haut den Mann nicht dazu bewegen konnte heraufzukommen, dann konnte es nichts.
»Er ist mit Teddy da unten«, fuhr Thia irritiert fort, »und sie hängen über einer Grabungskarte - als ob es jemals so weit kommen würde! Woran liegt es bloß: Jedes Mal, wenn ich einen Typen in dieses gottverlassene Land mitbringe, verliert er den Verstand.«
»Vielleicht hängt es damit zusammen, dass er zu lange in deiner Nähe ist«, sagte Tory und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie beugte sich vor und flüsterte Geary in ihrer Geheimsprache aus Altgriechisch und Latein zu: »Ich glaube, sie saugt ihnen das Testosteron aus und braucht es für sich selbst.«
Geary lachte.
Thia erstarrte. »Was hat sie da über mich gesagt?«
Geary schüttelte den Kopf. »Warum glaubst du eigentlich, dass es immer um dich geht, Thia?«
»Weil es so ist.« Und damit rauschte sie davon.
Tory seufzte müde. »Hoffentlich findet sie eines Tages mal jemanden, der ihr sagt, wo's langgeht. Ich bin es leid zuzusehen, wie sie dem armen Scott die Kraft raubt. Sie trägt ganz klar Anteile eines weiblichen Dämons in sich.«
»Lass dich ja nicht darauf ein. Ich möchte sie niemandem an den Hals wünschen.«
»Das stimmt.« Tory schwieg kurz, dann richtete sie ihren bohrenden Blick auf Geary. »Erzähl mir, was passiert ist.«
Als ob sie das ganze Elend noch einmal durchleben wollte! »Da gibt's nicht viel zu erzählen. Sie haben uns die Genehmigungen verweigert - wieder mal.«
Tory stampfte mit dem Fuß auf. »O Mann, das ist so unfair!«
»Ich weiß«, sagte Geary und tätschelte Tory den Arm. »Wir müssen einfach Geduld haben.«
»Zum Henker mit der Geduld! Bei dem Tempo, in dem die Genehmigungen vergeben, bin ich in Rente, wenn es so weit ist, und muss mit meinem Krückstock graben!« Sie schnaubte. »So nah waren wir noch nie dran, die Stadt zu finden! Ich weiß, dass Atlantis genau hier ist! Ich spüre es.«
Geary lief ein Schauer über den Rücken. Für ihren Geschmack war Tory ihrem eigenen und Gearys Vater von der Persönlichkeit her ein bisschen zu ähnlich. Derselbe Wahnsinn, der die beiden Brüder gepackt hatte, trieb auch Tory an. Es war, als liege ihr dieser Wahnsinn im Blut und ließe sie bis spät nachts arbeiten, wenn alle anderen sich schon zurückgezogen hatten.
Manchmal bekam Geary geradezu Angst. Alle Familienmitglieder, die die gleiche Hingebung wie Tory gezeigt hatten, waren eines frühen Todes gestorben. Es würde nicht nur Geary kaputt machen, sondern auch ihren Großvater, wenn ihrem jüngsten Familienmitglied je etwas zustoßen sollte.
Tory war ihnen das Allerwichtigste.
Andererseits hatte Geary sich schon oft überlegt, dass es für Tory eine Art war, sich von dem Schmerz abzulenken, den sie als Waise empfand. Tory hatte keinerlei Erinnerung an ihre Eltern. Deren Arbeit war der einzige Weg, wie Tory sich ihnen nahefühlen konnte. Es war alles, was sie ihrer Tochter hinterlassen hatten.
»Es wird noch alles in Ordnung kommen, Triantafyllo. « Geary benutzte den Spitznamen, den Tory von ihrem Großvater bekommen hatte. »Jetzt werde ich mich ein bisschen hinlegen und versuchen, die Kopfschmerzen wegzubekommen, die sich da zusammenbrauen.«
»In Ordnung. Ich bin mit Scott und Teddy unten - wir gehen noch mal die Angaben durch, die absolut nutzlos sein werden, wenn wir nicht graben können. Aber was soll's? Ich bin jung und habe noch jede Menge Zeit, die ich verschwenden kann. Du dagegen ...«
Geary schnaubte verächtlich. »So viel älter als du bin ich auch nicht!«
Tory stolzierte davon und warf ihr über die Schulter hinweg zu: »Ja, ja ... besorge dir schon mal einen Stock, Oma!«
Geary schüttelte über Torys spielerische Art den Kopf, dann zuckte sie zusammen, als ihr ein stechender Schmerz durch die Stirn schnitt und es hinter den Augen zu klopfen begann.
Brian runzelte die Stirn und trat zu ihr. »Geht es Ihnen gut?«
»Nur Kopfschmerzen.« In der letzten Zeit hatte sie häufig Kopfschmerzen gehabt. Bei ihrem Glück war es sicher ein inoperabler Gehirntumor. Es würde wahrscheinlich damit enden, dass sie Thias Großmut ausgesetzt wäre und ihre Cousine sie endlich foltern könnte, wie sie wollte ... Schluss jetzt mit diesen Gedanken! »Mir geht's gut. Ich lege mich nur ein paar Minuten hin.«
»Wenn Sie irgendwas brauchen, melden Sie sich!«
Ich brauche eine Grabungsgenehmigung, sonst nichts.
Wenn sie das nur laut sagen könnte, ohne ihren Geldgeber zu verlieren, den sie so nötig hatte.
»Das werde ich machen, danke.« Und damit ging Geary unter Deck in die kleine Kabine, die sie sich mit Tory teilte. Auf einem Forschungsschiff gab es nicht besonders viel Privatsphäre, aber das war Geary ehrlich gesagt ziemlich egal. Als sie in Torys Alter gewesen war, hatte das ganz anders ausgesehen. Die Unterschiede zwischen ihnen waren enorm. Geary hasste es, wenn sie nicht genug persönlichen Freiraum hatte, während Tory dies gleichgültig war. Alles, woran das Mädchen interessiert war, war ihre Suche.
Aber trotz ihrer gegensätzlichen Charaktere liebte Geary ihre Cousine. Tory war für sie fast so etwas wie eine Schwester geworden. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch keine sechs Jahre alt gewesen war, und die ganze Familie hatte sie mit offenen Armen aufgenommen und sie wie ihr eigenes Kind großgezogen.
Geary lächelte, als sie ihre gemeinsame Kabine betrat und sah, dass Tory ihr Nachthemd und den alten, abgegriffenen braunen Teddybären aufs Bett gelegt hatte. Für Ordnung war Tory nicht gerade bekannt.
»Na gut, Mr. Cuddles, du musst auf deiner Seite vom Bett bleiben. Komm nicht immer auf meine Seite herübergeschlichen. Ich schlafe unruhig und trete manchmal um mich.« Geary setzte den Bären auf Torys ungemachte Hälfte des Bettes, faltete das pinkfarbene Flanellnachthemd und setzte Mr. Cuddles darauf.
Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. Über sich konnte sie gedämpfte Stimmen hören. Das Boot schaukelte leicht, was sie ein wenig benommen machte. Sie brauchte wirklich Ruhe. Ihr Schlaf war in letzter Zeit unruhig gewesen, wahrscheinlich eine Folge davon, dass sie zu viel um die Ohren hatte.
Sie zog sich die Schuhe aus, schlug die Bettdecke zurück und legte sich in das schmale Bett.
Sie schlief fast augenblicklich ein.
Die Geräusche des Bootes wurden leiser, als sie in die Dunkelheit ihres Traumes glitt, die von weißem Nebel und einer kühlen Brise gesäumt war. Seit frühester Kindheit war Geary in der Lage, sofort in die REM-Schlafphase zu fallen, innerhalb von fünf Minuten, was ein bisher völlig unbekanntes Phänomen war. Es war eine merkwürdige Schlafstörung, die kein Arzt sich je hatte erklären können.
Im Traum sah sie sich selbst an einem dunklen Strand stehen, wo die schaumgekrönten Wellen gegen eine fremde Küste schlugen. Das Geräusch hallte in ihren Ohren wider, während sie die nackten Zehen im feuchten schwarzen Sand vergrub.
»Megeara.« Die tiefe Männerstimme klang erotisch und hatte einen exotischen, fremden Akzent. Sie drang durch Geary hindurch wie heiße Schokolade mit einem Schuss Brandy. Gehaltvoll. Geschmeidig.
Berauschend.
Sie stöhnte im Traum auf, als ihr geheimnisvoller Liebhaber hinter ihr erschien. Wie immer war er atemberaubend schön, mit langem schwarzem Haar, mit dem der Wind spielte, und mit Augen, die so blau und klar waren, dass sie zu leuchten schienen. Sein Gesicht sah perfekt aus, und die hypnotischen Augen wurden von einem Paar schwarzer Augenbrauen überschattet. Er legte seine gebräunten Arme um sie und zog sie an seine nackte Brust, die mit perfekten Muskeln ausgestattet war.
Er war göttlich.
Die absolute Verführung.
Und in diesem Augenblick gehörte er ihr ganz allein ...
Sie schloss die Augen und sog den Geruch seiner rohen, erdigen Männlichkeit in sich ein, bis sie vor Lust völlig betrunken war. Sie neigte den Kopf, als seine heißen Lippen ihre Haut zärtlich leckten und liebkosten, bis ihr Körper brannte.
Sie wusste nicht, warum sie immer wieder diese wilden erotischen Träume hatte. Warum dieser unglaublich sexy aussehende Mann sie verfolgte. Schließlich war Geary Kafieri nicht gerade für ihre Sinnlichkeit oder ihre Weiblichkeit berühmt. Geary war eine harte Frau. Sie hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, für das zu kämpfen, woran sie glaubte. Sie hatte darum gekämpft, sie selbst sein zu dürfen, und diese Kämpfe hatten ihr keine Zeit dazu gelassen, sich mit typisch weiblichem Zeitvertreib wie Make-up und Frisuren oder mit weiblicher Raffinesse zu beschäftigen.
Von dem Augenblick an, als sie begonnen hatte, den Ruf ihres Vaters wiederherzustellen, versuchte sie, sich und ihren Kollegen und Geldgebern zu beweisen, dass sie nicht nur in einem Bereich mithalten konnte, der von Männern dominiert wurde, sondern dass sie ihn sogar beherrschen konnte.
Und das war ihr bewundernswert gut gelungen. Was war also schon dabei, wenn sie nicht gerade damenhaft war? Sie hatte sich ein erstes Lob verdient, als sie das angeschlagene Unternehmen ihres Vaters nach seinem Tod übernommen und es in weniger als drei Jahren saniert hatte. Das Bergungsunternehmen Kafieri war jetzt eines der besten Unternehmen in Griechenland, und während sie es wieder aufgebaut hatte, hatte sie es gleichzeitig geschafft, die privaten Forschungen ihres Vaters weiterzuführen.
Das hatte ihr immer genügt.
Zumindest hatte sie das gedacht, bis sie in einer schwülen Nacht vor zwei Monaten das erste Mal Arikos im Traum begegnet war.
Von dem Moment an, wo sie ihre Augen auf ihn gerichtet hatte, war sie von ihm fasziniert gewesen.
Er drehte sie zu sich um, sodass sie ihn ansah. Geary biss sich auf die Lippen und schaute in seine sengenden blauen Augen. Er trug ein paar schwarze Lederhosen und Stiefel, sonst nichts. Sein gewelltes Haar umfloss sein Gesicht, die sanfte Brise spielte damit, und es verfingen sich einzelne Haarsträhnen in den Bartstoppeln auf seinen Wangen.
»Was nimmt dich heute so mit, agamenapee?«, fragte er in dem Tonfall, der ihr immer wieder Schauer über den Rücken jagte.
Geary lehnte den Kopf an seine muskulöse Schulter und atmete seinen Geruch, der sie tröstete.
Wenn er doch nur ein wirklicher Mensch wäre ...
»Sie haben uns keine Genehmigung für die Grabung erteilt«, flüsterte sie, fuhr die Kontur seiner Brustwarze nach und sah zu, wie sie hart wurde. »Und dafür würde ich sie am liebsten umbringen. Ich weiß, dass wir Atlantis entdeckt haben. Ich weiß es einfach. Ich bin so nahe dran, dass ich es fast schmecken kann ... und jetzt ist es hoffnungslos.«
Sie knirschte frustriert mit den Zähnen und war dankbar, dass sie jemanden hatte, dem sie vertrauen konnte, ohne dass sie ihr Pokerface aufsetzen musste. Ihre Leute erwarteten von ihr, dass sie immer ruhig und gefasst war, auch wenn sie am liebsten den zuständigen Beamten so lange geschüttelt hätte, bis er ihr das gab, was sie wollte.
Verdammt.
»Ich werde es nicht schaffen«, sagte sie stockend. »Tory hat recht. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, sind wir bald so alt, dass wir nicht einmal mehr wissen werden, wonach wir eigentlich suchen.«
Arikos umfasste ihr Gesicht mit seinen großen Händen und sah sie stirnrunzelnd an. »Ich begreife nicht, warum das so wichtig für dich ist.«
»Weil mein Vater als gebrochener Alkoholiker gestorben ist. Ich will, dass alle, die ihn jemals ausgelacht haben, das zurücknehmen müssen, was sie über ihn gesagt haben. Ich will der Welt beweisen, dass mein Vater kein Dummkopf war, der gegen Windmühlen anrannte. Ich will das Versprechen halten, das ich ihm gegeben habe. Das bin ich ihm schuldig.«
Arikos neigte den Kopf und sah ihr in die Augen, als könnte er direkt in ihre Seele sehen. »Und wenn du Atlantis entdecken würdest, das würde dich glücklich machen? «
»Mehr als alles andere.«
»Dann ist die Entscheidung gefallen. Ich werde dich nach Atlantis bringen.«
Sie lachte über diesen absurden Einfall. Wenn ihr Unterbewusstsein erst mal abhob, dann aber richtig!
Trotzdem bedeutete es ihr viel, dass sie zumindest eine Person hatte, die ihr Vertrauen schenkte. Es war nicht wichtig, dass es kein echter Mensch war. Sie brauchte seine Unterstützung und war dankbar dafür.
Arikos neigte den Kopf und küsste sie. Geary stöhnte, als sie seinen süßen Geschmack spürte. Niemand auf der ganzen Welt schmeckte wie er. Niemand fühlte sich in ihren Armen besser an - deshalb war er wahrscheinlich auch in ihre Träume hinabgestiegen.
Aber sie war froh, dass er da war und sie die Hitze seiner Haut spüren konnte.
Diesen Mann hätte sie mit Haut und Haaren verschlingen können.
Geschickt schoben seine Hände das weiße fließende Kleid von ihren Schultern, bis sie nackt vor ihm stand, dann liebkoste er ihren Mund mit seinen Lippen und mit seiner Zunge. Es überraschte sie, dass sie sich mit ihm so wohlfühlte, sogar im Traum. Im wirklichen Leben war Geary nie die Art von Frau gewesen, die zugelassen hätte, dass ein Mann ihr den Kopf verdreht und sie sich von ihren Leidenschaften überwältigen ließ.
Sie war eine Frau, die kalte, harte Logik in den Mittelpunkt stellte und sich nur gelegentlich mit Leidenschaften beschäftigte.
Deshalb liebte sie ihre Träume so sehr. Hier konnte sie mit Arikos tun, was immer sie wollte, ohne die Sorge, schwanger zu werden oder sich eine Krankheit einzufangen. Ohne die Sorge, ihm morgens gegenüberzustehen.
Kein Risiko, enttäuscht zu werden oder grausames Gelächter zu hören. Sie kontrollierte ihre Träume, und sie kontrollierte Arikos. In der Zeit, die sie mit ihm verbrachte, fühlte sie sich sicher und geborgen. Das waren die besten Augenblicke ihres Schlafes.
Er ließ sie vorsichtig auf den sandigen Untergrund herunter und legte sich auf sie. Allein dass sie ihn so spüren konnte, war unglaublich. Seine Lederhose liebkoste ihre Beine, als er ihre Oberschenkel mit seinem Knie auseinanderschob.
Er bewegte sich von ihrem Mund weiter nach unten, hin zu ihrer angeschwollenen Brust, die nach seiner Liebkosung verlangte.
Atemlos und schwach drückte sie seinen Kopf an sich, als er seine Zunge über ihre harte Brustwarze gleiten ließ.
»Ja«, flüsterte er und glitt mit der Hand nach unten, um ihren Drang zu lindern, ihn in sich zu spüren. Seine warmen Finger streichelten und reizten sie, bis sie den Gipfel eines Orgasmus erreichte. »Gib mir deine ganze Leidenschaft, Megeara. Ich will deine Lust spüren. Ich will sie schmecken.«
Sie küsste ihn wild, stieß ihre Hüften gegen seine Hand und versuchte, noch mehr Lust zu erleben. »Ich will mehr«, verlangte sie und griff nach seinem Reißverschluss.
Er lachte. »Das sollst du haben.«
»Geary!«
Der laute Ruf riss sie aus ihrem Traum und ließ ihr Herz vor Schreck fast noch schneller schlagen. Geary öffnete die Augen und stellte fest, dass sie auf dem Bauch in ihrem Bett lag.
Tory stürzte herein. »Komm schnell! Thia ersäuft gerade Teddy! Das ist kein Witz!«
Arik zog sich aus dem Traum zurück und fluchte. Er schwebte im strobilos, das ihm keine Form und Substanz verlieh, während er die Sphäre der Menschen ausspähte. Immer wenn ein Mensch aus seinem Traum erwachte, ließ das den Traumgott in einer gewaltigen Leere zurück. Kein Geräusch, keine Farbe, nichts als Schwärze.
Alles, was er spüren konnte, waren ihre flüchtigen Gefühle, und er wollte sie unbedingt behalten.
»Megeara ...«, rief Arik und wollte zurückkehren zu dem, was sie miteinander geteilt hatten. Aber er wusste, dass es zu spät war. Diese Frau war stärker als ein durchschnittlicher Mensch und kam nicht immer, wenn er nach ihr rief.
Nicht einmal mit dem Lotus-Serum gelang es ihm, sie zum Schlafen zu bringen. Sie bekam lediglich Kopfschmerzen, wenn sie dagegen ankämpfte.
Verdammt! Er wollte sie zurückhaben!
Sein Körper schmerzte vor unbefriedigtem Verlangen, aber mehr noch als das spürte er etwas Fremdes in seiner Brust.
Kummer.
Er begehrte sie und war wütend, dass er sie verloren hatte. Noch nie in der gesamten Geschichte der menschlichen Welt hatte er so etwas gespürt. Traumgötter sollten frei von Gefühlen sein ... außer Schmerz. Dieses Gefühl war das Einzige, das man ihnen gelassen hatte, sodass die anderen Götter sie kontrollieren und bestrafen konnten.
Nur dass er keinen Schmerz in seiner Brust spürte. Er empfand Megearas Gefühle wie seine eigenen, was bewies, wie mächtig ihre unterdrückte Leidenschaft und Wut waren.
Zu Beginn war sie eine Seltenheit für ihn gewesen. Ihre Träume waren klar, und sie träumte in Farbe - zwei Dinge, die es bei den Träumen der meisten anderen Menschen nicht gab. Der Durchschnittsmensch träumte in Schwarz- Weiß und sehr unscharf.
Die meisten Traumgötter mieden diese Leute, vor allem die erotischen Skoti wie er, die immer auf der Suche nach kühneren Menschen waren. Warum sollte man sich in den Träumen einer einfallslosen Person herumtreiben, wenn man bei anderen Schläfern Gefühle und Sinnesempfindungen erfahren konnte?
Also sprangen die Seinen von einem Traum zum nächsten, immer auf der Suche nach solchen Träumen, die Schönheit erschaffen und den Skoti das geben konnten, wonach sie verlangten.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Sherrilyn Kenyon
Kenyon, SherrilynDie promovierte Historikerin Sherrilyn Kenyon schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr und ist mittlerweile eine der erfolgreichsten Autorinnen weltweit. Unter ihrem Pseudonym Kinley MacGregor veröffentlichte sie höchst erfolgreich Highland-Sagas. Doch vor allem mit ihren Dark-Hunter-Romanen begeistert sie ihre Leser und erobert seit Jahren regelmäßig Spitzenplätze der New-York-Times-Bestsellerliste. Gemeinsam mit ihrem Mann und drei Söhnen lebt Sherrilyn Kenyon in Tennessee.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sherrilyn Kenyon
- 2013, 416 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Rabe, Larissa
- Übersetzer: Larissa Rabe
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442269245
- ISBN-13: 9783442269242
- Erscheinungsdatum: 17.06.2013
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