Mission - Spiel auf Zeit
Ein Gideon-Crew-Thriller
Er ist brillant. Er kennt keine Angst. Und er ist eine tickende Zeitbombe. Denn er hat nichts zu verlieren.
Der geniale Stratege und Gauner Gideon Crew hat ein Aneurysma im Gehirn, das ihn jederzeit töten kann. Doch gerade das...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Mission - Spiel auf Zeit “
Er ist brillant. Er kennt keine Angst. Und er ist eine tickende Zeitbombe. Denn er hat nichts zu verlieren.
Der geniale Stratege und Gauner Gideon Crew hat ein Aneurysma im Gehirn, das ihn jederzeit töten kann. Doch gerade das macht ihn zum idealen Agenten - er setzt sich bereitwillig den größten Gefahren aus. Und tatsächlich wird er bei seinem ersten Auftrag schnell selbst zur Zielscheibe.
Klappentext zu „Mission - Spiel auf Zeit “
Er ist brillant. Er kennt keine Angst. Und er ist eine tickende Zeitbombe: Der geniale Stratege und Gelegenheitsgauner Gideon Crew hat ein Aneurysma im Gehirn, das ihn jederzeit töten kann. Doch gerade das macht ihn zum idealen Agenten für eine Geheimorganisation, die immer dann zu ermitteln beginnt, wenn ein Fall für die US-Behörden zu brenzlig wird denn Gideon hat nichts zu verlieren und setzt sich bereitwillig auch der größten Gefahr aus. Sein erster Auftrag: Er soll herausfinden, was ein chinesischer Wissenschaftler soeben ins Land geschmuggelt hat. Ist der Mann ein Überläufer oder plant er den Bau einer Superwaffe, um Amerika anzugreifen? Bei seinen Ermittlungen merkt Gideon schnell, dass noch jemand anderer hinter dem Wissenschaftler und seinem Geheimnis her ist und bereit, über Leichen zu gehen
Lese-Probe zu „Mission - Spiel auf Zeit “
Misson - Spiel auf Zeit von Douglas Preston & Lincoln ChildI. Melvin Crew
1
August 1988
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Seine Mutter fuhr ihn im Plymouth-Kombi von der Tennisstunde nach Hause. Es war ein heißer Tag, weit über dreißig Grad, so heiß, dass die Kleidung auf der schweißfeuchten Haut klebte und die Sonne eine sengende Kraft entfaltete. Gideon hatte die Lüftungsschlitze im Armaturenbrett auf sein Gesicht eingestellt und genoss den kühlen Luftstrom. Sie fuhren gerade auf der Route 27, an der langen Betonmauer entlang, hinter der der Nationalfriedhof von Arlington lag, als zwei Polizisten auf Motorrädern ihren Wagen anhielten. Mit heulenden Sirenen und eingeschaltetem Blaulicht setzte sich das eine Motorrad vor, das andere hinter sie. Der vordere Polizist zeigte mit seiner schwarzbehandschuhten Hand in Richtung Ausfahrt Columbia Pike, und sobald sie auf der Ausfahrt waren, machte er Gideons Mutter das Zeichen, rechts ranzufahren. Nichts erinnerte an das bedächtige Vorgehen, wie man es von einer routinemäßigen Verkehrskontrolle kannte. Stattdessen sprangen beide Polizisten von ihren Motorrädern und kamen herbeigelaufen.
»Folgen Sie uns«, sagte der eine und beugte sich zum Seitenfenster herab. »Sofort.«
»Worum geht's?«, fragte Gideons Mutter.
»Ein Notfall, nationale Sicherheit. Halten Sie sich dicht hinter uns. Wir werden schnell fahren und eine Gasse freimachen.«
»Ich verstehe nicht ...«
Aber da liefen die Polizisten bereits zu ihren Motorrädern zurück.
Unter Sirenengeheul eskortierten sie Gideon und seine Mutter auf dem Columbia Pike bis zum George Mason Drive, drängten dabei die anderen Verkehrsteilnehmer links und rechts zur Seite. Weitere Motorräder, Streifenwagen und schließlich ein Krankenwagen schlossen sich ihnen an, eine Fahrzeugkolonne, die durch die stark befahrenen Straßen raste. Gideon wusste nicht, ob er nun freudig erregt oder verängstigt sein sollte. Als sie in den Arlington Boulevard einbogen, konnte er sich denken, wohin sie fuhren: zur Arlington Hall Station, denn dort arbeitete sein Vater für das nachrichtendienstliche und Sicherheits-Hauptkommando der US Army (INSCOM).
Vor dem Eingang zu dem Gebäudekomplex waren Sperrgitter errichtet, die allerdings rasch zur Seite geschoben wurden, damit die Wagenkolonne passieren konnte. Mit kreischenden Sirenen fuhren die Fahrzeuge den Ceremonial Drive entlang und kamen vor einer zweiten Reihe von Absperrungen zum Stehen, neben einer Vielzahl von Feuerwehrfahrzeugen, Streifenwagen und Kleintransportern für Spezialeinheiten. Hinter den Bäumen erblickte Gideon das Gebäude, in dem sein Vater arbeitete, die imposanten weißen Säulen und die Backsteinfassade zwischen den smaragdgrünen Rasenflächen und gestutzten Eichen. Früher hatte das Haus ein Mädchenpensionat beherbergt - und es sah immer noch so aus. Davor war eine große Fläche geräumt worden. Hinter einer Bodenwelle auf dem Rasen lagen zwei Scharfschützen, ihre Gewehre auf Zweibeinstative gestützt. Seine Mutter drehte sich zu ihm um und sagte in scharfem Ton: »Du bleibst im Auto. Und steigst nicht aus, egal, was passiert.« Dass ihr Gesicht so grau und angestrengt wirkte, machte ihm Angst.
Seine Mutter stieg aus. Die Phalanx der Polizisten stürmte durch die Menschengruppe, die sich unmittelbar vor ihr befand, und sie verschwanden darin.
Sie hatte vergessen, den Motor auszuschalten. Die Klimaanlage lief immer noch. Als Gideon das Seitenfenster herunterkurbelte, drangen die Geräusche von Sirenen, WalkieTalkie-Gesprächen und Rufen ins Wageninnere. Zwei Männer in blauen Anzügen liefen an ihm vorbei. Ein Polizist rief lauthals irgendetwas in ein Funksprechgerät. In der Ferne ertönten weitere Sirenen, sie kamen aus allen Richtungen. Aus einem elektronischen Megaphon ertönte eine plärrende, verzerrte Stimme. »Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«
Die Leute verstummten augenblicklich.
»Sie sind umstellt. Sie haben keine Chance. Lassen Sie Ihre Geisel frei und kommen Sie sofort raus.«
Wieder Stille. Gideon blickte sich um. Die Aufmerksamkeit der Leute war auf die Eingangstür des Gebäudes gerichtet. Dort spielte sich, so schien es, das Entscheidende ab.
»Ihre Frau ist hier. Sie möchte mit Ihnen sprechen.«
Aus der Lautsprecheranlage ertönte ein Knistern, dann das elektronisch verstärkte Geräusch eines kurzen Schluchzers, grotesk und fremdartig. »Melvin?« Noch ein erstickter Ruf. »MELVIN?«
Gideon zuckte zusammen. Das ist die Stimme meiner Mutter. Es kam ihm alles vor wie ein Traum, in dem nichts einen Sinn ergab. Völlig irreal. Er legte die Hand auf den Türgriff, drückte die Tür auf und trat in die Gluthitze.
»Melvin ...« Ein Schluchzen. »Bitte komm heraus. Niemand wird dir etwas antun, ich verspreche es. Bitte lass den Mann gehen.« Die Stimme aus dem Megaphon klang schroff und fremdartig - und war doch unverkennbar die seiner Mutter.
Gideon drängelte sich durch die Grüppchen der Polizeibeamten und Armeeoffiziere nach vorn. Niemand schenkte ihm Beachtung. Er ging bis zur äußeren Absperrung und legte eine Hand auf das rauhe, blau gestrichene Holz. Er blickte in die Richtung der Arlington Hall, konnte aber weder vor der idyllischen Fassade noch auf dem nahe gelegenen Gelände, das von allen Leuten geräumt worden war, irgendeine Bewegung erkennen. Das Haus, das in der Hitze flirrte, wirkte wie ausgestorben. Draußen hingen die Blätter schlaff von den Ästen der Eichen, der niedrige Himmel war wolkenlos und so blass, dass er fast weiß wirkte.
»Melvin, wenn du den Mann gehen lässt, wird man dir zuhören.«
Wieder erwartungsvolles Schweigen. Dann bewegte sich auf einmal irgendetwas in der Eingangstür. Ein rundlicher Mann im Anzug, den Gideon nicht kannte, trat stolpernd aus dem Gebäude. Er blickte sich einen Augenblick lang orientierungslos um, dann rannte er auf seinen dicken Beinchen los, auf die Absperrungen zu. Vier Beamte mit Helmen auf dem Kopf stürmten mit gezückten Waffen hervor, packten den Mann und zerrten ihn hinter einen Kleintransporter der Spezialeinheiten.
Gideon duckte sich unter der Absperrung hindurch und drängelte sich durch die Gruppen der Polizisten, der Männer mit Walkie-Talkies, der Männer in Uniform. Niemand bemerkte ihn, keiner interessierte sich für ihn. Alle Blicke richteten sich auf den Vordereingang des Gebäudes.
Und dann ertönte hinter der Eingangstür eine leise Stimme. »Es muss Ermittlungen geben!«
Das war die Stimme seines Vaters. Gideon blieb stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Ich verlange eine Untersuchung! Sechsundzwanzig Menschen haben ihr Leben verloren!«
Ein gedämpftes, elektronisch verstärktes Knistern, dann ertönte eine Männerstimme aus der Lautsprecheranlage. »Dr. Crew, Ihre Anliegen werden berücksichtigt werden. Aber Sie müssen jetzt mit erhobenen Händen herauskommen. Verstehen Sie? Sie müssen sich ergeben.«
»Sie haben nicht auf mich gehört«, erschallte die bebende Stimme. Sein Vater klang verängstigt, fast wie ein Kind. »Menschen sind umgekommen, aber man hat nichts dagegen unternommen! Ich verlange eine Untersuchung.«
»Wir versprechen es Ihnen.«
Gideon war an die innerste Absperrung gelangt. An der Vorderseite des Gebäudes war noch immer alles ruhig, aber inzwischen stand er nahe genug davor, um erkennen zu können, dass die Tür halb offen stand. Es war ein Traum; bestimmt würde er gleich daraus erwachen. Ihm war schwindlig wegen der Hitze, und er hatte einen kupferähnlichen Geschmack im Mund. Es war ein Alptraum, der in der Realität spielte.
Und da sah er, wie die Tür nach innen schwang und sein Vater im schwarzen Rechteck des Türrahmens erschien. Vor der eleganten Fassade des Gebäudes wirkte er furchtbar klein. Mit erhobenen Händen, die Handflächen nach vorn weisend, trat er einen Schritt vor. Das glatte Haar klebte ihm an der Stirn, seine Krawatte hing schief, der blaue Anzug war zerknittert.
»Das ist weit genug«, ertönte die Stimme. »Halt.«
Melvin Crew blieb stehen und blinzelte ins helle Sonnenlicht.
Die Schüsse f elen so kurz hintereinander, dass es sich anhörte, als knatterten Feuerwerkskörper, gleichzeitig wurde er jählings zurück ins Dunkel der Eingangstür gestoßen. »Dad!«, schrie Gideon, sprang über die Absperrung und lief über den heißen Asphalt des Parkplatzes. »Dad!«
Hinter ihm ertönten Schreie, Rufe wie »Wer ist der Junge?« und »Feuer einstellen!«.
Er sprang über den Kantstein und rannte mitten über die Rasenfläche auf den Eingang zu. Männer liefen los, um ihn zurückzuhalten.
»Verdammt noch mal, haltet ihn auf!«
Er glitt auf dem Rasen aus, stürzte auf Hände und Knie, stand wieder auf. Er sah bloß die beiden Schuhe seines Vaters, sie ragten aus dem dunklen Türrahmen ins Sonnenlicht, die abgewetzten Schuhsohlen zeigten nach vorn, so dass alle sehen konnten, dass eine Sohle ein Loch hatte. Es war ein Traum, ein Alptraum - und dann war das Letzte, was Gideon sah, bevor er zu Boden gerissen wurde, wie sich die Füße bewegten, zweimal zuckten.
»Dad!«, schrie er ins Gras und versuchte, sich aufzurappeln, während sich das Gewicht der Welt auf seinen Schultern auftürmte. Aber er hatte doch gesehen, dass sich die Füße bewegten, sein Vater lebte, er würde aufwachen, und alles wäre wieder gut.
2
Oktober 1996
Gideon Crew war mit einem Nachtflug aus Kalifornien gekommen, und das Flugzeug hatte geschlagene zwei Stunden auf dem Rollfeld des Los Angeles International Airport gestanden, bis es schließlich in Richtung Dulles abhob. Er hatte den Bus in die Innenstadt genommen und war anschließend mit der Metro so weit wie möglich gefahren, bevor er in ein Taxi wechselte. Das Letzte, was seine Finanzen gebraucht hatten, war die unerwartete Ausgabe für das Flugticket. Er hatte beängstigend schnell Geld verbrannt, war überhaupt nicht sparsam gewesen. Außerdem stand dieser letzte Job, den er erledigt hatte, stärker als sonst im Fokus der Öffentlichkeit, so dass die Ware schwer an den Mann zu bringen war.
Als der Anruf ihn erreichte, hatte er zunächst gehofft, es handle sich um einen weiteren falschen Alarm, eine weitere hysterische Attacke, ein erneutes alkoholseliges Flehen um Aufmerksamkeit. Doch gleich nach seiner Ankunft im Krankenhaus hatte ihm der Arzt kühl und unumwunden erklärt: »Die Leber Ihrer Mutter macht es nicht mehr lange, und wegen ihrer medizinischen Vorgeschichte kommt Ihre Mutter für eine Transplantation nicht in Frage. Es könnte Ihr letzter Besuch sein.«
Sie lag auf der Intensivstation, das blondierte Haar auf dem Kopfkissen ausgebreitet, die dunklen Haaransätze durchschimmernd, die Haut vom Alter gezeichnet. Irgendjemand hatte den traurigen, dilettantischen Versuch unternommen, Lidschatten aufzutragen. Es sah aus, als hätte man die Fensterläden eines Spukhauses gestrichen. Gideon hörte ihr röchelndes Atmen durch die Nasenkanüle. Das Licht im Zimmer war gedämpft, das leise Piepen elektronischer Geräte ständig anwesend. Plötzlich schlugen sein schlechtes Gewissen und sein Mitleid wie eine riesige Welle über ihm zusammen. Er hatte sich ganz auf sein Leben konzentriert, statt sich um seine Mutter zu kümmern. Doch jedes Mal, wenn er es früher mal versucht hatte, hatte sie getrunken und sich ihm entzogen, und am Ende hatten sie gestritten. Dennoch: Es war nicht fair, dass ihr Leben so endete. Es war einfach nicht fair.
Er fasste ihre Hand und wollte sie ansprechen, aber es fielen ihm keine passenden Sätze ein. Schließlich brachte er ein lahmes »Wie geht es dir, Mutter?« heraus und hasste sich ob der dümmlichen Frage, kaum dass er sie gestellt hatte.
Sie starrte ihn an. Das Weiße ihrer Augen hatte die Farbe überreifer Bananen. Mit ihrer knochigen Hand ergriff sie seine - eine schlaffe, zittrige Berührung. Schließlich regte sie sich ein wenig. »Tja, das wär's dann wohl gewesen.«
»Mom, bitte sag nicht so etwas.«
Sie winkte ab. »Du hast doch mit dem Arzt gesprochen. Du weißt also, wie es um mich steht. Ich habe eine Leberzirrhose, samt all den netten Nebenwirkungen - von der Herzinsuffzienz und dem Lungenemphysem nach dem jahrzehntelangen Rauchen ganz zu schweigen. Ich bin ein Wrack, und es ist mein eigener verdammter Fehler.«
Gideon wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Natürlich hatte seine Mutter recht, und unverblümt war sie sowieso. War es immer gewesen. Trotzdem fand er es irritierend, dass eine so starke Frau so schwach war, was Alkohol anging. Nein, es sollte ihn nicht verwirren. Sie war ein Suchttyp - so wie er selbst.
»Die Wahrheit macht frei«, sagte sie, »aber zunächst macht sie dich unglücklich.«
Das war ihr Lieblingsspruch, den sie immer benutzte, wenn sie etwas zum Ausdruck bringen wollte, das ihr schwerfiel. »Die Zeit ist gekommen, dir eine Wahrheit anzuvertrauen ...«, sie holte, so gut es ging, Luft, »... die dich zunächst unglücklich machen wird.«
Er wartete, während sie wieder einige Male schnaufend einatmete.
»Es geht um deinen Vater.« Sie blickte mit ihren leberkranken Augen zur Tür. »Mach mal zu.«
Seine Angst wuchs. Sanft schloss er die Tür und trat zurück ans Bett seiner Mutter.
Wieder umfasste sie seine Hand. »Golubzi«, flüsterte sie. »Wie bitte?«
»Golubzi - eine russische Roulade.« Sie hielt inne, um durchzuatmen. »So lautete der sowjetische Codename für die Operation. Die Roulade. In einer Nacht sind sechsundzwanzig Maulwürfe ›eingerollt‹, verhaftet worden. Und spurlos verschwunden.«
»Warum erzählst du mir das?«
»Thresher.« Sie schloss die Augen, atmete schnell. Es kam ihm vor, als könne sie jetzt, nachdem sie beschlossen hatte, das Risiko einzugehen, die Worte gar nicht schnell genug herausbekommen. »Das ist das andere Wort. Das Projekt. An dem dein Vater bei INS COM gearbeitet hat. Es handelte sich um ein neuartiges Verschlüsselungsverfahren ... streng geheim.«
Deutsche Erstausgabe Mai 2011
Copyright © 2011 by Splendide Mendax, Inc., und Lincoln Child
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe bei
Droemer Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise -
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: FinePic®, München
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-19903-9
2 4 5 3 1
Seine Mutter fuhr ihn im Plymouth-Kombi von der Tennisstunde nach Hause. Es war ein heißer Tag, weit über dreißig Grad, so heiß, dass die Kleidung auf der schweißfeuchten Haut klebte und die Sonne eine sengende Kraft entfaltete. Gideon hatte die Lüftungsschlitze im Armaturenbrett auf sein Gesicht eingestellt und genoss den kühlen Luftstrom. Sie fuhren gerade auf der Route 27, an der langen Betonmauer entlang, hinter der der Nationalfriedhof von Arlington lag, als zwei Polizisten auf Motorrädern ihren Wagen anhielten. Mit heulenden Sirenen und eingeschaltetem Blaulicht setzte sich das eine Motorrad vor, das andere hinter sie. Der vordere Polizist zeigte mit seiner schwarzbehandschuhten Hand in Richtung Ausfahrt Columbia Pike, und sobald sie auf der Ausfahrt waren, machte er Gideons Mutter das Zeichen, rechts ranzufahren. Nichts erinnerte an das bedächtige Vorgehen, wie man es von einer routinemäßigen Verkehrskontrolle kannte. Stattdessen sprangen beide Polizisten von ihren Motorrädern und kamen herbeigelaufen.
»Folgen Sie uns«, sagte der eine und beugte sich zum Seitenfenster herab. »Sofort.«
»Worum geht's?«, fragte Gideons Mutter.
»Ein Notfall, nationale Sicherheit. Halten Sie sich dicht hinter uns. Wir werden schnell fahren und eine Gasse freimachen.«
»Ich verstehe nicht ...«
Aber da liefen die Polizisten bereits zu ihren Motorrädern zurück.
Unter Sirenengeheul eskortierten sie Gideon und seine Mutter auf dem Columbia Pike bis zum George Mason Drive, drängten dabei die anderen Verkehrsteilnehmer links und rechts zur Seite. Weitere Motorräder, Streifenwagen und schließlich ein Krankenwagen schlossen sich ihnen an, eine Fahrzeugkolonne, die durch die stark befahrenen Straßen raste. Gideon wusste nicht, ob er nun freudig erregt oder verängstigt sein sollte. Als sie in den Arlington Boulevard einbogen, konnte er sich denken, wohin sie fuhren: zur Arlington Hall Station, denn dort arbeitete sein Vater für das nachrichtendienstliche und Sicherheits-Hauptkommando der US Army (INSCOM).
Vor dem Eingang zu dem Gebäudekomplex waren Sperrgitter errichtet, die allerdings rasch zur Seite geschoben wurden, damit die Wagenkolonne passieren konnte. Mit kreischenden Sirenen fuhren die Fahrzeuge den Ceremonial Drive entlang und kamen vor einer zweiten Reihe von Absperrungen zum Stehen, neben einer Vielzahl von Feuerwehrfahrzeugen, Streifenwagen und Kleintransportern für Spezialeinheiten. Hinter den Bäumen erblickte Gideon das Gebäude, in dem sein Vater arbeitete, die imposanten weißen Säulen und die Backsteinfassade zwischen den smaragdgrünen Rasenflächen und gestutzten Eichen. Früher hatte das Haus ein Mädchenpensionat beherbergt - und es sah immer noch so aus. Davor war eine große Fläche geräumt worden. Hinter einer Bodenwelle auf dem Rasen lagen zwei Scharfschützen, ihre Gewehre auf Zweibeinstative gestützt. Seine Mutter drehte sich zu ihm um und sagte in scharfem Ton: »Du bleibst im Auto. Und steigst nicht aus, egal, was passiert.« Dass ihr Gesicht so grau und angestrengt wirkte, machte ihm Angst.
Seine Mutter stieg aus. Die Phalanx der Polizisten stürmte durch die Menschengruppe, die sich unmittelbar vor ihr befand, und sie verschwanden darin.
Sie hatte vergessen, den Motor auszuschalten. Die Klimaanlage lief immer noch. Als Gideon das Seitenfenster herunterkurbelte, drangen die Geräusche von Sirenen, WalkieTalkie-Gesprächen und Rufen ins Wageninnere. Zwei Männer in blauen Anzügen liefen an ihm vorbei. Ein Polizist rief lauthals irgendetwas in ein Funksprechgerät. In der Ferne ertönten weitere Sirenen, sie kamen aus allen Richtungen. Aus einem elektronischen Megaphon ertönte eine plärrende, verzerrte Stimme. »Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«
Die Leute verstummten augenblicklich.
»Sie sind umstellt. Sie haben keine Chance. Lassen Sie Ihre Geisel frei und kommen Sie sofort raus.«
Wieder Stille. Gideon blickte sich um. Die Aufmerksamkeit der Leute war auf die Eingangstür des Gebäudes gerichtet. Dort spielte sich, so schien es, das Entscheidende ab.
»Ihre Frau ist hier. Sie möchte mit Ihnen sprechen.«
Aus der Lautsprecheranlage ertönte ein Knistern, dann das elektronisch verstärkte Geräusch eines kurzen Schluchzers, grotesk und fremdartig. »Melvin?« Noch ein erstickter Ruf. »MELVIN?«
Gideon zuckte zusammen. Das ist die Stimme meiner Mutter. Es kam ihm alles vor wie ein Traum, in dem nichts einen Sinn ergab. Völlig irreal. Er legte die Hand auf den Türgriff, drückte die Tür auf und trat in die Gluthitze.
»Melvin ...« Ein Schluchzen. »Bitte komm heraus. Niemand wird dir etwas antun, ich verspreche es. Bitte lass den Mann gehen.« Die Stimme aus dem Megaphon klang schroff und fremdartig - und war doch unverkennbar die seiner Mutter.
Gideon drängelte sich durch die Grüppchen der Polizeibeamten und Armeeoffiziere nach vorn. Niemand schenkte ihm Beachtung. Er ging bis zur äußeren Absperrung und legte eine Hand auf das rauhe, blau gestrichene Holz. Er blickte in die Richtung der Arlington Hall, konnte aber weder vor der idyllischen Fassade noch auf dem nahe gelegenen Gelände, das von allen Leuten geräumt worden war, irgendeine Bewegung erkennen. Das Haus, das in der Hitze flirrte, wirkte wie ausgestorben. Draußen hingen die Blätter schlaff von den Ästen der Eichen, der niedrige Himmel war wolkenlos und so blass, dass er fast weiß wirkte.
»Melvin, wenn du den Mann gehen lässt, wird man dir zuhören.«
Wieder erwartungsvolles Schweigen. Dann bewegte sich auf einmal irgendetwas in der Eingangstür. Ein rundlicher Mann im Anzug, den Gideon nicht kannte, trat stolpernd aus dem Gebäude. Er blickte sich einen Augenblick lang orientierungslos um, dann rannte er auf seinen dicken Beinchen los, auf die Absperrungen zu. Vier Beamte mit Helmen auf dem Kopf stürmten mit gezückten Waffen hervor, packten den Mann und zerrten ihn hinter einen Kleintransporter der Spezialeinheiten.
Gideon duckte sich unter der Absperrung hindurch und drängelte sich durch die Gruppen der Polizisten, der Männer mit Walkie-Talkies, der Männer in Uniform. Niemand bemerkte ihn, keiner interessierte sich für ihn. Alle Blicke richteten sich auf den Vordereingang des Gebäudes.
Und dann ertönte hinter der Eingangstür eine leise Stimme. »Es muss Ermittlungen geben!«
Das war die Stimme seines Vaters. Gideon blieb stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Ich verlange eine Untersuchung! Sechsundzwanzig Menschen haben ihr Leben verloren!«
Ein gedämpftes, elektronisch verstärktes Knistern, dann ertönte eine Männerstimme aus der Lautsprecheranlage. »Dr. Crew, Ihre Anliegen werden berücksichtigt werden. Aber Sie müssen jetzt mit erhobenen Händen herauskommen. Verstehen Sie? Sie müssen sich ergeben.«
»Sie haben nicht auf mich gehört«, erschallte die bebende Stimme. Sein Vater klang verängstigt, fast wie ein Kind. »Menschen sind umgekommen, aber man hat nichts dagegen unternommen! Ich verlange eine Untersuchung.«
»Wir versprechen es Ihnen.«
Gideon war an die innerste Absperrung gelangt. An der Vorderseite des Gebäudes war noch immer alles ruhig, aber inzwischen stand er nahe genug davor, um erkennen zu können, dass die Tür halb offen stand. Es war ein Traum; bestimmt würde er gleich daraus erwachen. Ihm war schwindlig wegen der Hitze, und er hatte einen kupferähnlichen Geschmack im Mund. Es war ein Alptraum, der in der Realität spielte.
Und da sah er, wie die Tür nach innen schwang und sein Vater im schwarzen Rechteck des Türrahmens erschien. Vor der eleganten Fassade des Gebäudes wirkte er furchtbar klein. Mit erhobenen Händen, die Handflächen nach vorn weisend, trat er einen Schritt vor. Das glatte Haar klebte ihm an der Stirn, seine Krawatte hing schief, der blaue Anzug war zerknittert.
»Das ist weit genug«, ertönte die Stimme. »Halt.«
Melvin Crew blieb stehen und blinzelte ins helle Sonnenlicht.
Die Schüsse f elen so kurz hintereinander, dass es sich anhörte, als knatterten Feuerwerkskörper, gleichzeitig wurde er jählings zurück ins Dunkel der Eingangstür gestoßen. »Dad!«, schrie Gideon, sprang über die Absperrung und lief über den heißen Asphalt des Parkplatzes. »Dad!«
Hinter ihm ertönten Schreie, Rufe wie »Wer ist der Junge?« und »Feuer einstellen!«.
Er sprang über den Kantstein und rannte mitten über die Rasenfläche auf den Eingang zu. Männer liefen los, um ihn zurückzuhalten.
»Verdammt noch mal, haltet ihn auf!«
Er glitt auf dem Rasen aus, stürzte auf Hände und Knie, stand wieder auf. Er sah bloß die beiden Schuhe seines Vaters, sie ragten aus dem dunklen Türrahmen ins Sonnenlicht, die abgewetzten Schuhsohlen zeigten nach vorn, so dass alle sehen konnten, dass eine Sohle ein Loch hatte. Es war ein Traum, ein Alptraum - und dann war das Letzte, was Gideon sah, bevor er zu Boden gerissen wurde, wie sich die Füße bewegten, zweimal zuckten.
»Dad!«, schrie er ins Gras und versuchte, sich aufzurappeln, während sich das Gewicht der Welt auf seinen Schultern auftürmte. Aber er hatte doch gesehen, dass sich die Füße bewegten, sein Vater lebte, er würde aufwachen, und alles wäre wieder gut.
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Oktober 1996
Gideon Crew war mit einem Nachtflug aus Kalifornien gekommen, und das Flugzeug hatte geschlagene zwei Stunden auf dem Rollfeld des Los Angeles International Airport gestanden, bis es schließlich in Richtung Dulles abhob. Er hatte den Bus in die Innenstadt genommen und war anschließend mit der Metro so weit wie möglich gefahren, bevor er in ein Taxi wechselte. Das Letzte, was seine Finanzen gebraucht hatten, war die unerwartete Ausgabe für das Flugticket. Er hatte beängstigend schnell Geld verbrannt, war überhaupt nicht sparsam gewesen. Außerdem stand dieser letzte Job, den er erledigt hatte, stärker als sonst im Fokus der Öffentlichkeit, so dass die Ware schwer an den Mann zu bringen war.
Als der Anruf ihn erreichte, hatte er zunächst gehofft, es handle sich um einen weiteren falschen Alarm, eine weitere hysterische Attacke, ein erneutes alkoholseliges Flehen um Aufmerksamkeit. Doch gleich nach seiner Ankunft im Krankenhaus hatte ihm der Arzt kühl und unumwunden erklärt: »Die Leber Ihrer Mutter macht es nicht mehr lange, und wegen ihrer medizinischen Vorgeschichte kommt Ihre Mutter für eine Transplantation nicht in Frage. Es könnte Ihr letzter Besuch sein.«
Sie lag auf der Intensivstation, das blondierte Haar auf dem Kopfkissen ausgebreitet, die dunklen Haaransätze durchschimmernd, die Haut vom Alter gezeichnet. Irgendjemand hatte den traurigen, dilettantischen Versuch unternommen, Lidschatten aufzutragen. Es sah aus, als hätte man die Fensterläden eines Spukhauses gestrichen. Gideon hörte ihr röchelndes Atmen durch die Nasenkanüle. Das Licht im Zimmer war gedämpft, das leise Piepen elektronischer Geräte ständig anwesend. Plötzlich schlugen sein schlechtes Gewissen und sein Mitleid wie eine riesige Welle über ihm zusammen. Er hatte sich ganz auf sein Leben konzentriert, statt sich um seine Mutter zu kümmern. Doch jedes Mal, wenn er es früher mal versucht hatte, hatte sie getrunken und sich ihm entzogen, und am Ende hatten sie gestritten. Dennoch: Es war nicht fair, dass ihr Leben so endete. Es war einfach nicht fair.
Er fasste ihre Hand und wollte sie ansprechen, aber es fielen ihm keine passenden Sätze ein. Schließlich brachte er ein lahmes »Wie geht es dir, Mutter?« heraus und hasste sich ob der dümmlichen Frage, kaum dass er sie gestellt hatte.
Sie starrte ihn an. Das Weiße ihrer Augen hatte die Farbe überreifer Bananen. Mit ihrer knochigen Hand ergriff sie seine - eine schlaffe, zittrige Berührung. Schließlich regte sie sich ein wenig. »Tja, das wär's dann wohl gewesen.«
»Mom, bitte sag nicht so etwas.«
Sie winkte ab. »Du hast doch mit dem Arzt gesprochen. Du weißt also, wie es um mich steht. Ich habe eine Leberzirrhose, samt all den netten Nebenwirkungen - von der Herzinsuffzienz und dem Lungenemphysem nach dem jahrzehntelangen Rauchen ganz zu schweigen. Ich bin ein Wrack, und es ist mein eigener verdammter Fehler.«
Gideon wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Natürlich hatte seine Mutter recht, und unverblümt war sie sowieso. War es immer gewesen. Trotzdem fand er es irritierend, dass eine so starke Frau so schwach war, was Alkohol anging. Nein, es sollte ihn nicht verwirren. Sie war ein Suchttyp - so wie er selbst.
»Die Wahrheit macht frei«, sagte sie, »aber zunächst macht sie dich unglücklich.«
Das war ihr Lieblingsspruch, den sie immer benutzte, wenn sie etwas zum Ausdruck bringen wollte, das ihr schwerfiel. »Die Zeit ist gekommen, dir eine Wahrheit anzuvertrauen ...«, sie holte, so gut es ging, Luft, »... die dich zunächst unglücklich machen wird.«
Er wartete, während sie wieder einige Male schnaufend einatmete.
»Es geht um deinen Vater.« Sie blickte mit ihren leberkranken Augen zur Tür. »Mach mal zu.«
Seine Angst wuchs. Sanft schloss er die Tür und trat zurück ans Bett seiner Mutter.
Wieder umfasste sie seine Hand. »Golubzi«, flüsterte sie. »Wie bitte?«
»Golubzi - eine russische Roulade.« Sie hielt inne, um durchzuatmen. »So lautete der sowjetische Codename für die Operation. Die Roulade. In einer Nacht sind sechsundzwanzig Maulwürfe ›eingerollt‹, verhaftet worden. Und spurlos verschwunden.«
»Warum erzählst du mir das?«
»Thresher.« Sie schloss die Augen, atmete schnell. Es kam ihm vor, als könne sie jetzt, nachdem sie beschlossen hatte, das Risiko einzugehen, die Worte gar nicht schnell genug herausbekommen. »Das ist das andere Wort. Das Projekt. An dem dein Vater bei INS COM gearbeitet hat. Es handelte sich um ein neuartiges Verschlüsselungsverfahren ... streng geheim.«
Deutsche Erstausgabe Mai 2011
Copyright © 2011 by Splendide Mendax, Inc., und Lincoln Child
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe bei
Droemer Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise -
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: FinePic®, München
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
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Autoren-Porträt von Douglas Preston, Lincoln Child
Lincoln Child studierte Literatur und arbeitete viele Jahre als Lektor bei St. Martin's Press. Gemeinsam mit seinem Freund Douglas Preston entwickelte er 1995 das Romanprojekt "Das Relikt", das innerhalb kürzester Zeit ein Millionenpublikum begeisterte. Child lebt mit Frau und Tochter in New Jersey.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
- 2011, 426 Seiten, Maße: 14,8 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Benthack, Michael
- Übersetzer: Michael Benthack
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426199033
- ISBN-13: 9783426199039
Rezension zu „Mission - Spiel auf Zeit “
"Ein gelungener Einstieg mit viel Potential für nachfolgende Bände." -- Leser-Welt.de, 02.02.2013"Ein mehrschichtiger Thriller, bei dem man immer glaubt zu wissen, worauf es hinausläuft, nur um stets erneut überrascht zu werden." -- Wiener Journal, 01.02.2013
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