Anna Strong, Band 1 - 3
"Verführung der Nacht", "Lockruf des Blutes", "Dunkle Küsse"
Verführung der Nacht:
Anna Strong ist Kopfgeldjägerin. Doch als sie stirbt, muss sie beginnen, eine andere Beute zu jagen ...
Als Anna Strong nach einem brutalen Überfall im Krankenhaus erwacht, glaubt sie an ein Wunder...
Anna Strong ist Kopfgeldjägerin. Doch als sie stirbt, muss sie beginnen, eine andere Beute zu jagen ...
Als Anna Strong nach einem brutalen Überfall im Krankenhaus erwacht, glaubt sie an ein Wunder...
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Produktinformationen zu „Anna Strong, Band 1 - 3 “
Verführung der Nacht:
Anna Strong ist Kopfgeldjägerin. Doch als sie stirbt, muss sie beginnen, eine andere Beute zu jagen ...
Als Anna Strong nach einem brutalen Überfall im Krankenhaus erwacht, glaubt sie an ein Wunder - denn obwohl sie sich erinnert, schwer verletzt worden zu sein, findet sich keine Wunde an ihrem Körper. Doch irgendwas hat sich verändert. Sehr verändert. Als der geheimnisvolle Avery ihr offenbart, was geschehen ist, will Anna es nicht glauben. Es gibt keine Vampire! Und sie ist ganz sicher nicht zu einem geworden! Oder?
Lockruf der Blutes:
"Ich weiß nicht, wie ich aussehe, wenn das Tier in mir die Kontrolle übernimmt. Ich weiß nur, was ich in den Augen der Menschen sehe, wenn es geschieht."
Sie ist stark. Sie ist unverwundbar. Und sie hat verdammt schlechte Laune – denn seit Anna Strong zur Vampirin wurde, muss sie gegen das immer größer werdende Verlangen nach frischem, warmen Blut ankämpfen. Da kommt es ihr durchaus gelegen, als sie erfährt, dass ihre Nichte verschwunden ist und einer ihrer Lehrer etwas damit zu tun hat. Welche bessere Ablenkung kann es geben, als sich einen solchen Widerling vorzuknöpfen? Anna ahnt nicht, wer dieser Daniel Frey wirklich ist...
Dunkle Küsse:
"Ich akzeptiere, dass ich Blut trinken muss und dass die Unsterblichkeit meine Zukunft ist. Doch das Tier in mir wird stärker - und immer schwerer zu beherrschen."
Vampirin Anna Strong schließt sich den Wächtern an, einer Gruppe, die übernatürliche Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuführt. Dabei muss sie immer noch gegen die mörderische Gier ankämpfen, die tief in ihrem Inneren tobt. Ihre Selbstbeherrschung wird auf eine harte Probe gestellt, als ihr Liebhaber verschwindet, während ein Serienkiller San Francisco terrorisiert und eine Hexe dunkle Pläne verfolgt ...
Diese Frau hat wirklich Biss - die Vampirserie mit Anna Strong! Ein Vampirthriller mit Witz, Abenteuer, Erotik und einer toughen Heldin.
Anna Strong ist Kopfgeldjägerin. Doch als sie stirbt, muss sie beginnen, eine andere Beute zu jagen ...
Als Anna Strong nach einem brutalen Überfall im Krankenhaus erwacht, glaubt sie an ein Wunder - denn obwohl sie sich erinnert, schwer verletzt worden zu sein, findet sich keine Wunde an ihrem Körper. Doch irgendwas hat sich verändert. Sehr verändert. Als der geheimnisvolle Avery ihr offenbart, was geschehen ist, will Anna es nicht glauben. Es gibt keine Vampire! Und sie ist ganz sicher nicht zu einem geworden! Oder?
Lockruf der Blutes:
"Ich weiß nicht, wie ich aussehe, wenn das Tier in mir die Kontrolle übernimmt. Ich weiß nur, was ich in den Augen der Menschen sehe, wenn es geschieht."
Sie ist stark. Sie ist unverwundbar. Und sie hat verdammt schlechte Laune – denn seit Anna Strong zur Vampirin wurde, muss sie gegen das immer größer werdende Verlangen nach frischem, warmen Blut ankämpfen. Da kommt es ihr durchaus gelegen, als sie erfährt, dass ihre Nichte verschwunden ist und einer ihrer Lehrer etwas damit zu tun hat. Welche bessere Ablenkung kann es geben, als sich einen solchen Widerling vorzuknöpfen? Anna ahnt nicht, wer dieser Daniel Frey wirklich ist...
Dunkle Küsse:
"Ich akzeptiere, dass ich Blut trinken muss und dass die Unsterblichkeit meine Zukunft ist. Doch das Tier in mir wird stärker - und immer schwerer zu beherrschen."
Vampirin Anna Strong schließt sich den Wächtern an, einer Gruppe, die übernatürliche Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuführt. Dabei muss sie immer noch gegen die mörderische Gier ankämpfen, die tief in ihrem Inneren tobt. Ihre Selbstbeherrschung wird auf eine harte Probe gestellt, als ihr Liebhaber verschwindet, während ein Serienkiller San Francisco terrorisiert und eine Hexe dunkle Pläne verfolgt ...
Diese Frau hat wirklich Biss - die Vampirserie mit Anna Strong! Ein Vampirthriller mit Witz, Abenteuer, Erotik und einer toughen Heldin.
Lese-Probe zu „Anna Strong, Band 1 - 3 “
Verführung der Nacht von Jeanne C. SteinMein Name ist Anna Strong. An meinem letzten Geburtstag bin ich dreißig geworden, und ich werde auch dreißig sein, wenn Du dies liest. Ja, körperlich werde ich niemals älter als dreißig sein, ganz gleich, wie viele Jahre der Sterblichen mir auf dieser Erde bleiben. Ich bin ein Vampir. Wie es dazu kam und von welcher Natur mein Dasein ist, darum dreht sich diese Geschichte. Ich erzähle sie so, wie sie passiert ist, damit Du die Wahrheit genauso erfährst, wie ich sie erfahren habe. Denn die Wahrheit sieht vielleicht anders aus, als Du erwartest.
Es ist ein Uhr morgens, spät im Juli, und es ist heiß. Ich rutsche auf dem Fahrersitz meines Wagens hin und her wie eine zappelige Fünfjährige. Nicht einmal die Finger kann ich still halten. Sie trommeln rastlos auf dem Lenkrad herum, als führten sie ein Eigenleben. David hätte Donaldson schon vor einer halben Stunde aus dieser Bar schaffen sollen. Warum braucht er bloß so lange?
Missmutig blicke ich mich auf dem dunklen Parkplatz um. Ich hasse Warten. Ich bin nicht gut darin. Nachdem ich zweieinhalb Jahre lang meine Brötchen mit der Jagd auf Drecksäcke - Verzeihung, mutmaßliche Drecksäcke - verdient habe, sollte man doch meinen, dass ich inzwischen ein bisschen geduldiger geworden wäre. Bin ich aber nicht.
Ich öffne die Wagentür und steige aus. Die Feuchtigkeit schließt sich um mich, eine Mischung aus Hitze, schwül feuchter Luft und einem hartnäckigen Nebel, der wie eine tropfnasse Decke an der Küste Südkaliforniens klebt. Es ist eigentlich schon zu spät im Jahr für diesen »June Gloom«. Was ist aus dem richtigen Sommer geworden, mit einer faulen Sonne und warmer Wüstenluft, die alles austrocknet?
... mehr
Stattdessen klebt die Feuchtigkeit mir die Seidenbluse an die Haut. Verdammt, ich wohne doch nicht in Florida. Ich schlüpfe aus der Leinenjacke und werfe sie auf den Fahrersitz, bevor ich die Tür zuschlage. Ungeduldig streiche ich meinen zerknitterten Rock glatt. Ich hätte mir Zeit zum Umziehen nehmen und in meine übliche Arbeitskleidung steigen sollen - Jeans und ein T-Shirt. Dieses Kostüm ist nicht nur ausgesprochen unbequem, es erinnert mich auch ständig daran, dass ich den Abend damit verbracht habe, mich während eines grässlichen Abendessens bei meinen Eltern für meinen Beruf rechtfertigen zu müssen. Zum ersten Mal in meinen dreißig Lebensjahren habe ich meine eigene Firma und richtig Geld auf dem Konto. Ich bin glücklich, denn ich tue genau das, was ich tun will. Aber ist das genug für sie? Offensichtlich nicht. Wenn sie mich jetzt sehen könnten, wie ich in einer stinkenden Gasse hinter einem Lagerhaus in einem nicht gerade schicken Vorort von San Diego stehe, wären sie natürlich erst recht überzeugt davon, dass dieser Job nichts taugt. Nur gut, dass sie mich nicht sehen können. Ich hole tief Luft und schaue mich um. Was für eine Lage für eine Bar. Das schäbige, mit Holz verkleidete Gebäude hat nur ein Licht, eine flackernde, schwächliche Glühbirne an der Wand. Aber die Straße rauf und runter stehen mindestens fünfzig Autos, und rauhes Gelächter und wummernde Musik von drinnen vibrieren wie ferner Donner in der stillen Nachtluft, ab und zu übertönt von wüstem Jubelgeschrei. Schnaufend vor Ungeduld hole ich Luft. In dieser Bar sind mein Partner David und unser Flüchtiger, John Donaldson. David und ich sind Bail Enforcement Agents, Kopfgeldjäger.
Wir sind Profis, und das hier dürfte eigentlich nicht so lange dauern. Vielleicht bereitet dieser Donaldson meinem Partner Schwierigkeiten. Über diesen Gedanken muss ich lächeln. David ist eins fünfundneunzig groß, wiegt gut hundertzwanzig Kilo und hat früher als Tight End für die Broncos gespielt. Er ist sehr kräftig, sieht gefährlich aus und dürfte diesem John Donaldson mehr als gewachsen sein - die Polizeiakte zeigte einen mageren, ängstlich wirkenden Mann mit schütterem Haar und Nickelbrille auf der Knollennase - ein Buchhalter, ausgerechnet. Ich strecke mich, gähne und mache ein paar Kniebeugen, um die verspannten Beine zu dehnen. Gar nicht so einfach, wenn man Killer-Stilettos und einen kurzen Rock trägt. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, dass er David Ärger macht. Abgesehen von seiner Statur ist Donaldson nichts als ein kleiner Angestellter, ein Möchtegern-Schreibtisch- Krimineller, der sich am Rentenfonds seines Arbeitgebers vergriffen hat. Als der Idiot erwischt wurde, landete er dank seiner zwielichtigen Geschäfte wegen Unterschlagung im Knast und nicht im Leichenschauhaus, womit eben jener betrogene Arbeitgeber ihm gedroht hatte. Fünfzigtausend Dollar und eine teure Immobilie in La Jolla als Kaution reichten aus, damit er bis zum Gerichtsverfahren auf freiem Fuß bleiben konnte. Er setzte sich ab, als seine Frau herausfand, dass er eine Geliebte hatte. Sie war sofort bereit, mit dem Kautionsbüro zusammenzuarbeiten. Schließlich wollte sie nicht ihr Haus verlieren, weil der Mistkerl beschlossen hatte, seine Kaution verfallen zu lassen. Aber die eheliche Untreue - das ist ihr Problem. Wir arbeiten für den wütenden Bürgen, der die Kleinigkeit von fünf hunderttausend verlieren wird, wenn wir Donaldson nicht bis heute Abend wieder in Gewahrsam haben. Und genau dahin wollen wir ihn bringen. Das hier sollte ein Spaziergang sein.
Donaldson ist noch nie wegen Gewalttätigkeit aufgefallen. Warum er sich überhaupt abgesetzt hat, ist uns ein Rätsel, vor allem, da sich nun herausgestellt hat, dass er gar nicht weit geflohen ist. Wir haben ihn in Chula Vista aufgespürt, einem billigen Viertel von South Bay, mit derselben Blondine, die seine Frau dazu veranlasst hatte, uns den Tipp zu geben. Wir nehmen an, dass er vorhat, sich gen Süden nach Mexiko abzusetzen, aber aus irgendeinem Grund hat er das noch nicht getan. Trotzdem hat er sich als schlüpfriger kleiner Scheißer erwiesen. Zweimal schon dachten wir, wir hätten ihn, und er ist uns doch irgendwie entwischt. Aber nicht heute Abend. Heute Abend ist Donaldson auf die Idee gekommen, ganz allein einen kleinen Ausflug in eine Bar zu machen - eine Sportbar. Das ist die perfekte Kulisse. Die Reaktion der Gäste, sobald jemand David erkennt, ist vorhersehbar. Und irgendjemand wird ihn erkennen - der ehemalige Football- Star und Lokalmatador David zieht Aufmerksamkeit an wie der Nordpol eine Kompassnadel. Dann dürfte es nicht mehr schwierig sein, auch Donaldsons ungeteilte Aufmerksamkeit zu erlangen. David wird ihm ein paar Drinks spendieren, um ihn aufzulockern, oder ihn vielleicht zu sich nach Hause einladen, um ihm seine Heismann-Trophy zu zeigen, oder seine Super-Bowl-Ringe. Alles, um ihn aus der Bar zu locken. Danach noch eine kurze Fahrt in die Stadt, ein bisschen Papierkram, und morgen früh landen fünftausend Dollar auf unserem Konto.
Leicht verdientes Geld. Vor allem für mich. Denn ich bin heute als Fahrerin eingeteilt. Also, was dauert da so lange? Ich lasse die Schultern kreisen. Ich will ein schönes kühles Bad. Ich will raus aus diesen Klamotten. Komm schon, David, sage ich mir innerlich immer wieder vor wie ein Mantra, bringen wir es endlich hinter uns. Ich halte das Warten nicht mehr aus. Der Gestank hier macht mir zu schaffen. Von der anderen Seite des Parkplatzes aus könnte ich durch die Eingangstür der Bar lugen und nachschauen, was da los ist. Vielleicht braucht David ein bisschen Unterstützung. Ein kurzer Rock und hohe Absätze wären für Donaldson womöglich verlockender als Football-Trophäen und fette Diamantringe. Und ich wäre immer noch nahe genug, um schnell am Wagen zu sein, falls sie plötzlich herauskommen. Alles ist besser, als mir in dieser blöden Gasse die Beine in den Bauch zu stehen. Ich gehe quer über den Parkplatz. Wummernde Bässe lassen die Wände beben und werden mit jedem Schritt lauter. David muss inzwischen taub sein. Aber die Musik ist nicht so laut, als dass sie eine vertraute Stimme übertönt hätte, die plötzlich über den Parkplatz brüllt: »He, Donaldson, was glauben Sie, wo Sie hingehen? « Scheiße. Da ist was schiefgegangen. Ich mache kehrt und laufe zum Auto zurück. Ich höre das Stampfen schneller Schritte, und dann sehe ich zwei schattenhafte Gestalten auf mich zurennen. Keine Zeit mehr für das Pfefferspray oder den Taser. Und auf keinen Fall werde ich zulassen, dass dieser Mistkerl uns ein drittes Mal entwischt. Ich löse meinen Achtunddreißiger aus dem Gürtelhalfter, hole tief Luft und lasse sie noch etwas näher herankommen, ehe ich hinter dem Auto hervortrete. Die Waffe hat die gewünschte Wirkung. Donaldson bleibt abrupt stehen, den Blick an die Waffe geheftet, die ich auf seinen Bauch richte. »Was soll das? Was wollen Sie?« Sein Gesicht ist völlig farblos und sieht anders aus als auf dem Polizeifoto - schmaler und fieser. Seine schwarzen Augen liegen tief in den Höhlen und reflektieren das schwache Licht wie die einer Katze. Diese Augen sind beunruhigend, doch ich schüttele meinen Schrecken ab und setze ein strahlendes Lächeln auf. »Ich gebe Ihnen einen kleinen Tipp. Sie haben morgen einen Gerichtstermin. Aus irgendeinem Grund fürchtet Ihre Frau, Sie könnten vorhaben, diesen Termin zu verpassen. Könnte etwas mit dieser Blondine zu tun haben, bei der Sie eingezogen sind.«
David tritt nun hinter ihn. Er holt Handschellen aus der Hosentasche und beugt den Kopf vor. »Wir sind Ihre Eskorte. Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Das gehört alles zum großartigen Rundum-Service Ihres Kautionsbüros.« Donaldson lächelt, oder vielmehr öffnet sich sein Mund zu einem kalten, humorlosen Spalt. »Sie arbeiten für Reese? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Hören Sie, ich habe Geld. Was auch immer er Ihnen bezahlt, ich kann Ihnen das Doppelte anbieten.« Er tritt auf mich zu, und eine seiner Hände nähert sich seiner Jackentasche. Ich weiche einen Schritt zurück, und im selben Moment packt David seine Hand. »An den Wagen«, bellt David. »Arme weit auseinander.« Doch überraschend schnell duckt sich Donaldson unter Davids Arm hindurch und rennt über den Parkplatz davon.
David stöhnt. »Das glaub ich doch nicht. Anna, starte den Wagen. Ich kriege diesen Scheißkerl, und wenn ich ihm in den Hintern schießen muss.« Ich kann mich nicht erinnern, wann David zuletzt jemand entwischt ist. Wenn er einmal jemanden geschnappt hat, bleibt es normalerweise dabei. Das hier ist wirklich ärgerlich. Eine sarkastische Bemerkung darüber, wie der Kerl David entwischen konnte, liegt mir auf der Zunge, aber als hinter mir ein Schuss kracht, schlucke ich sie wieder herunter. Einen Augenblick lang bleibe ich stehen wie erstarrt, die Hand an der Fahrertür. Das Geräusch flüchtender Schritte ist verstummt. David ist verschwunden. Ich ducke mich und schleiche langsam um das Auto herum bis zur Kühlerhaube. Wo ist er? Hat David tatsächlich auf Donaldson geschossen? Oder hatte Donaldson eine Waffe? Scheiße, wir hatten noch keine Chance, den Kerl zu durchsuchen. Galle brennt mir in der Kehle. Warum ruft David nicht nach mir? Ich umklammere meinen Achtunddreißiger und richte mich auf. David muss verletzt sein, sonst würde er mich rufen.
Ich starre so angestrengt ins Dunkel vor mir, dass der Angriff, von hinten und ohne Vorwarnung, Erfolg hat. Donaldson steht plötzlich neben mir und reißt mir den rechten Arm in den Rücken. Durch den Schmerz öffnet sich reflexartig meine Hand, und ich sehe zu, wie meine Waffe über den Asphalt schlittert. Dann werde ich gegen das Auto geschleudert. »So, du Ass«, sagt er. »Was willst du jetzt machen?« Sein Atem riecht nach Alkohol und blinder Wut. Der Aufprall gegen das Auto hat mir den Atem verschlagen, und ich schnappe keuchend nach Luft. Mein rechter Arm fühlt sich an, als würde er gleich brechen. Ich ringe um Atem und bemühe mich, die Angst aus meiner Stimme herauszuhalten. Er ist viel zu stark. »Lassen Sie mich los, Donaldson. Sie brechen mir den Arm.« Er lacht und reißt den verrenkten Arm noch höher. »Wo ist denn dein Partner, hm? Vielleicht bist du jetzt kooperativer, ohne ihn.« Ich versuche mich aufzurichten, um meinen Arm ein wenig zu entlasten, doch er presst mich mühelos noch fester gegen den Wagen. Er ist auf Drogen; so muss es sein. Ich beherrsche meine Stimme nicht mehr - die Worte sprudeln hastig aus mir hervor. »Hören Sie, Donaldson, Sie haben jetzt schon Ärger mit dem Gesetz. David muss verletzt sein. Lassen Sie mich ihm helfen. Wir sind keine Bullen. Sie wissen selbst, dass Sie jetzt einfach gehen können. Machen Sie es nicht noch schlimmer.« Doch er lacht immer noch, so heiser und kehlig, dass der Laut auf meiner Wange zu brennen scheint. »Wie kommst du darauf, dass ich es eilig hätte?« Er presst mich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den Wagen. Seine Hände grapschen nach mir. Es dreht mir den Magen um. Ich stemme mich gegen ihn und versuche, ihm seine Situation klarzumachen. »Den Schuss hat man sicher in der Bar gehört. Es wird jeden Moment jemand herauskommen. « Er blickt mit schräg geneigtem Kopf in Richtung Bar. »Bei dem Lärm? Das glaube ich nicht. Nur zu, schrei.« Das tue ich, ich brülle um Hilfe, bis mir der Hals wehtut. Der Krach aus der Bar verschluckt meine Schreie. »Siehst du? Was habe ich dir gesagt?« Er fummelt an den Knöpfen meiner Bluse herum. »Ich finde, wir sollten uns besser kennenlernen, meinst du nicht?« Er gibt die Knöpfe auf, zerreißt mir stattdessen die Bluse und dreht mich zu sich herum. Ich versuche ihn abzuwehren. Ich bin eins fünfundsechzig groß und wiege zweiundsechzig Kilo. Er ist nicht viel größer und auch nicht viel schwerer, überwältigt mich aber mit einer Leichtigkeit, als wäre ich ein kleines Kind. Er packt mein Haar und reißt mir den Kopf zurück. Dann öffnet er die Wagentür und stößt mich auf den Rücksitz. Ich fahre ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht und über den Hals, kratze ihn blutig, und das Blut sieht in der Dunkelheit dickflüssig und schwarz aus. Er scheint den Schmerz aber nicht zu fühlen. Ich werde auf den Sitz gedrückt, winde mich und bäume mich gegen sein Gewicht auf, doch ich kann ihn nicht abschütteln. Er hat seinen Gürtel geöffnet, hält mich mit einer Hand fest und zerrt mit der anderen an seinem Reißverschluss. Ich habe nicht genug Platz für einen ordentlichen Tritt, und in meiner Verzweiflung greife ich ihm zwischen die Beine, packe ihn und drücke zu. Im Dunkeln sehe ich den Schlag nicht kommen. Ganz kurz explodieren Farben vor meinen Augen. Dann - nichts mehr.
Ich will nicht aufwachen. Ich fühle mich geborgen, schwebend in einem warmen, dunklen Kokon, sicher. Doch ein blendend helles Licht dringt in die Dunkelheit vor. Jemand zieht an meinen Lidern, öffnet mir die Augen. Ich stoße die Hand weg. Sie kommt zurück. Von ganz weit weg höre ich meine eigene Stimme. »Mach endlich das verdammte Licht aus.« Ein heiseres Lachen. »Sie ist wieder da, Doc.« Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ich öffne doch die Augen. »David?« »Hier bin ich, Süße.« Eine sanfte Hand legt sich auf meine. »Wie fühlst du dich?« Ich versuche, den Kopf zu drehen, doch der Schmerz lässt mich innehalten. Ich hebe die Hand, taste nach meiner Stirn, spüre eine riesige, schmerzhafte Beule und verziehe das Gesicht. »Nicht besonders. Was ist passiert?« Er antwortet nicht. Ich strenge mich an, klarer zu sehen und langsam den Kopf in die Richtung zu drehen, aus der seine Stimme kommt. Ich weiß, dass ich mich an irgendetwas erinnern sollte - etwas, das sogar in meiner benebelten Verwirrung einen leisen Alarm in mir auslöst. David sitzt neben mir, und sein kräftiger Nacken quillt fast aus einer Halskrause, die so eng sitzt, dass sie in seine Haut einschneidet. »Das sieht ja bequem aus«, bemerke ich grimmig. »Wo sind wir?« Doch jemand tritt zwischen uns. Er ist groß und dünn und hat einen wirren Schopf roter Haare. Er trägt einen Arztkittel, und ein Stethoskop baumelt von seinem Hals. Er lächelt auf mich herab. »Sie sind im County General Hospital, Anna«, sagt er. »Mein Name ist Grant Avery. Ich bin Ihr behandelnder Arzt.« »Sie behandeln mich? Weswegen?« Sobald ich die Frage ausspreche, blitzt etwas Gefährliches, Bedrohliches in mir auf, wie ein verschwommenes Bild im Hinterkopf, und ich zucke zusammen, ohne überhaupt zu wissen, warum. David drängt sich dichter ans Bett heran. »Alles kommt wieder in Ordnung.« Dr. Avery nickt. »David hat recht. Ihnen beiden wird es bald wieder prächtig gehen. Können Sie sich daran erinnern, was Ihnen passiert ist?« In meinen Schläfen pocht ein dumpfer Schmerz. Ich hebe die Hand, um mir die Stirn zu massieren, und bemerke die Nadel, die in meinem Handrücken steckt. Hellrotes Blut fl ießt durch den Schlauch. Ich lasse die Hand sinken. »Nein. Bin ich denn schon lange hier?« »Seit gestern, vor Sonnenaufgang«, antwortet der Arzt. »Gestern?« Ich werfe David einen Blick zu. »Ich war seit gestern bewusstlos?« Davids zögerndes, liebes Lächeln dringt nicht ganz bis zu seinen Augen vor, als er sagt: »Du hast im Krankenwagen ein bisschen verrückt gespielt. Seitdem warst du sediert.« »Im Krankenwagen?« Ich wiederhole ständig Sachen. Ich kann nicht anders, denn nichts, was er mir sagt, ergibt für mich einen Sinn. »Welcher Krankenwagen?«
David blickt zu Dr. Avery auf. »Vielleicht sollten Sie es ihr sagen.« »Irgendjemand sollte es mir jedenfalls sagen.« Ich versuche, überzeugend zu klingen, obwohl ich mich allmählich frage, ob ich mich überhaupt erinnern will. Was auch immer passiert sein mag, es war offensichtlich gar nicht gut. Schließlich bricht Dr. Avery das Schweigen. »Sie haben einiges durchgemacht, aber ich möchte Ihnen versichern, dass der körperliche Schaden, der Ihnen zugefügt wurde, Sie in keiner Weise dauerhaft beeinträchtigen wird.« Er wirft einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und sieht dann wieder mich an. »Sie wurden verprügelt. Sie haben eine scheußliche Prellung an der Stirn - daher die Kopfschmerzen. Anscheinend ist das auch der Grund für Ihren Gedächtnisverlust. Aber wir nennen so etwas eine retrograde Amnesie - sie ist nur vorübergehend. Sie haben zwei blaue Augen, aber keine Gehirnerschütterung. Ihre Augen selbst haben keinen Schaden genommen.« Er hält inne und wirft erneut einen raschen Blick auf die Uhr. »Haben Sie irgendeinen Termin oder so?«, frage ich, denn ich werde mit jedem dieser Blicke gereizter. Ich habe das deutliche Gefühl, dass da noch mehr ist und der liebe Onkel Doktor Zeit zu schinden versucht. Er besitzt immerhin den Anstand, leicht zu erröten. »Nein, selbstverständlich nicht. Ich hatte nur gehofft, dass die psychologische Beraterin kommt, ehe ich -« »Psychologische Beraterin?« Die Angst erwacht von neuem. David steht aus dem Rollstuhl auf und tritt ans Bett. Seine Hand schließt sich um die Finger meiner Linken, doch ich stoße sie fort. »Wozu sollte ich eine Psychologin brauchen? « Dr. Avery späht auf mich herab. Ich sehe seinen zögerlichen Gesichtsausdruck, aber es ist nicht seine Entscheidung, ob er fortfahren soll oder nicht - das entscheide ich. »Sagen Sie es mir.« »Sind Sie sicher? Die psychologische Beraterin muss jeden Moment kommen. Sie fühlen sich vielleicht wohler, wenn eine Frau bei Ihnen ist. Wir könnten auch Ihre Familie benachrichtigen und jemanden bitten herzukommen.«
Ein Blick auf meinen Partner. »David meint offenbar, Sie wollten damit lieber warten, aber das liegt ganz bei Ihnen.« Auch ich werfe David einen Blick zu, aber seine Miene ist so ernst und traurig, dass ich nur noch mehr Angst bekomme. »David hat recht, was meine Familie angeht«, sage ich leise. »Und jetzt erzählen Sie mir, was passiert ist.« Ich reiße den Blick von David los und warte darauf, was der Arzt mir zu sagen hat. »Sie wurden vergewaltigt, Anna.« Seine Stimme ist nüchtern, sachlich. Er wendet den Blick nicht mehr von meinem Gesicht ab. »Sie haben relativ schwere Verletzungen am Unterleib. Ihre Arme sind voller Blutergüsse. Sie haben viel Blut verloren, aus einer Wunde am Hals. Die Polizei glaubt, der Täter könnte versucht haben, Ihnen die Kehle durchzuschneiden. Zum Glück ist ihm das nicht gelungen, aber wir mussten Ihnen eine Bluttransfusion geben. Soll ich wirklich fortfahren?« Meine Finger betasten den Verband seitlich an meinem Hals. Jemand hat versucht, mich zu vergewaltigen und mir die Kehle durchzuschneiden? Fortfahren? Was sollte denn noch kommen? Mir wird bewusst, dass Dr. Avery auf eine Antwort wartet. Ich nicke schwach. »Nur zu.« Er erwidert das Nicken, und sein steter Blick hält mich gefangen. »Da es Spuren einer Penetration gab, mussten wir einen Schwangerschaftstest durchführen. Er war negativ.
Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis die Ergebnisse der anderen Tests vorliegen. Wir untersuchen Ihr Blut auf sexuell übertragbare Krankheiten, Hepatitis -« Kurzes Zögern. »HIV.« Mechanisch und unpersönlich leiert er eine ganze Liste des Grauens herunter. Als seine Stimme schließlich verstummt, wendet er auch den Blick ab und befreit mich aus dessen Fesseln. Das muss ein Irrtum sein. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf David. Die nackte Wahrheit steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich kann mich nicht daran erinnern«, flüstere ich. »Vielleicht ist das nur gut so.« David und Dr. Avery wechseln einen Blick. Dann nimmt der Arzt ein Klemmbrett vom Fuß des Bettes und geht zur Tür. »Ich lasse Sie beide ein paar Minuten allein«, sagt er. David sieht ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm schließt. »Anna«, sagt er leise. »Es tut mir so leid.« Ich drücke mir die Handflächen vor die Augen. Jetzt ist mir sehr bewusst, warum ich hier bin, aber ich kann das Wie immer noch nicht abrufen. »Sag du mir, was passiert ist.« »Bist du sicher, dass du das hören willst?« Werde ich je sicher sein? »Ja.« David setzt sich vorsichtig auf die Bettkante. Er nimmt wieder meine linke Hand und streichelt sie sanft. »Dann sage ich dir, was ich weiß.«
Davids Stimme klingt ungewohnt zögerlich, als er zu erzählen beginnt. »Ich habe Mist gebaut, Anna«, sagt er. »Ich hätte schon in der Bar merken sollen, dass Donaldson irgendwas eingeworfen hatte. Er war nervös und unkonzentriert, aber er hat nichts getrunken. Als er erfuhr, wer ich bin, schien er ehrlich interessiert zu sein, mit mir nach Hause zu kommen. Sobald wir draußen waren, ist er urplötzlich losgerannt. Erst dachte ich, er wäre dahintergekommen, dass ich es auf ihn abgesehen hatte. Aber er hat kein Wort gesagt, ist einfach abgedüst.«
Seine Stimme erstirbt, und ich nehme an, er wartet auf irgendein Zeichen von mir, dass ich ihm folgen kann. Kann ich aber nicht. Ich schüttle den Kopf und bedeute ihm, weiterzuerzählen.
David fährt sich mit der Hand über die Augen. »Ich habe ihm zugebrüllt, er soll stehen bleiben. Du warst am Auto. Er ist direkt auf dich zugerannt, und du hast ihn aufgehalten. Da hat er dann erfahren, dass Reese uns geschickt hat. Er hat uns Geld angeboten, wenn wir ihn laufen lassen. Bevor ich ihm die Handschellen anlegen konnte, war er schon wieder weg. Dieser kleine Scheißkerl ist vielleicht schnell. Aber ich habe ihn zwischen zwei Autos in die Enge getrieben. Er hat mich angegriffen, und ich schwöre bei Gott, Anna, er hat geknurrt und die Zähne gefletscht wie ein wild gewordener Hund. Ich dachte noch, der Kerl ist echt durchgeknallt. Er hat sich auf mich gestürzt. Alles ging so schnell. Er ist gegen mich geprallt, ich habe das Gleichgewicht verloren und bin gestürzt, hab mir das Knie an einer Stoßstange angehauen. Ich muss mir auch irgendwo den Kopf gestoßen haben, denn danach weiß ich nichts mehr. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich aufgewacht bin, es war ganz still, und ich hatte die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens.« Er verstummt und läuft rot an. »Dämlich, so was zu sagen. Ein bisschen Kopfweh ist ziemlich lahm, wenn man daran denkt, was dir -« Ich hebe die Hand, ungeduldig und genervt. »Lass es, David. Du bist auch verletzt worden. Du kannst nichts dafür, was mit mir passiert ist. Erzähl mir, woran du dich noch erinnerst.« David rutscht von der Bettkante und geht auf und ab. »Es war so dunkel auf diesem Parkplatz. Als ich wieder zu mir gekommen bin, dachte ich, es müsste schon nach zwei sein, weil es still war, und die meisten Autos waren weg. Ich habe nach dir gerufen, aber keine Antwort bekommen. Als ich mich endlich aufgerappelt hatte, habe ich Schreie gehört. Der Wirt der Bar und ein paar Angestellte haben sich auf den Heimweg gemacht und dich gefunden. Offenbar haben sie Donaldson verscheucht. Sie haben gesagt, sie hätten einen Mann wegrennen sehen, aber er war so schnell, dass sie ihn nicht richtig erkennen konnten. Sie haben Hilfe gerufen.« Er bleibt stehen und beobachtet mich; offenbar wartet er auf eine Reaktion. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wie ich reagieren soll. Ich kann die blauen Flecken sehen, ich spüre die Schmerzen und sehe das Blut, das durch den dünnen Schlauch in die Nadel in meinem Handrücken fließt.
Aber ich kann mich nicht erinnern. Es ist, als hörte ich eine schreckliche Geschichte, die irgendjemand anderem zugestoßen ist. Da sind Ekel und Wut, aber sie sind nicht persönlich. Jedenfalls noch nicht. Plötzlich fällt mir ein, was David vorhin gesagt hat. »Das war vor vierundzwanzig Stunden. Du hast gesagt, ich hätte Beruhigungsmittel bekommen, weil im Krankenwagen irgendetwas passiert ist. Was habe ich denn getan?« Der Ansatz eines Lächelns lässt Davids Mundwinkel zucken, doch er beherrscht sich, und sein Gesichtsausdruck wird wieder ruhig und ernst. »Du hast es den Sanitätern ganz schön schwergemacht. Du warst bewusstlos, bis sie die Tür des Krankenwagens geschlossen haben, und dann bist du ausgerastet. Du hast um dich geschlagen und einem der Sanitäter beinahe den Unterkiefer gebrochen. Ich musste ihnen helfen, dich zu bändigen. Du bist völlig durchgedreht, hast irgendetwas von wilden Tieren gebrüllt und dass du gebissen worden wärst. Dr. Avery sagt, das sei eine unbewusste Reaktion auf die Verletzung am Hals und Donaldsons grausamen Angriff auf dich, aber er wollte nicht riskieren, dass so etwas noch mal passiert. Er hat dich ruhig gestellt und abgewartet und die Beruhigungsmittel dann ganz langsam abgesetzt. Das war heute Morgen.« Heute Morgen. Erschöpfung überfällt mich, und ich schließe die Augen. Ich spüre David neben mir, blicke auf und sehe, dass er sich dicht über mich beugt; sein Gesicht ist eine Studie in Besorgnis. Ich versuche zu lächeln, doch meine Gesichtsmuskulatur ist wie erstarrt. Ich bringe nur eine Grimasse zustande, woraufhin die Muskeln an Davids Kiefer sich vor Kummer noch mehr anspannen.
»Anna, was ist denn? Hast du Schmerzen? Soll ich den Arzt holen?« »Wäre besser.« Ich blicke an seinem Arm hinab. »Ich brauche ihn gleich, damit er die Knochen richtet, wenn du mir die Finger brichst.« Er lockert seinen Klammergriff. »Entschuldige.« Ich kenne meinen Partner schon lange, und wir haben schon ein paar Mal böse in der Klemme gesteckt, aber ich habe ihn noch nie verängstigt erlebt. Das ist beunruhigend, vor allem, da ich mich eigentlich viel schlimmer fühlen sollte als er. Warum fühle ich mich dann nicht furchtbar schlecht? Liegt das nur am Gedächtnisverlust? Stehe ich unter Schock? Ich hole tief Luft, halte den Atem an und stoße ihn dann kräftig aus. »David, es ist schon gut. Ich bin bald wieder in Ordnung. Du hast doch mit der Polizei gesprochen, oder? Was haben die gesagt? Haben sie Donaldson schon geschnappt? « Er schüttelt den Kopf und zerrt genervt an der Halskrause. »Nein. Donaldson ist immer noch flüchtig. Aber sie werden ihn kriegen, und er wird nicht leugnen können, dass er dich angegriffen hat. Sie haben Blutproben und Haare aus dem Auto. Gewebeproben von deinen Fingernägeln.« Plötzlich steht mir ein unbekannter Labortechniker vor Augen, der irgendwo ein Schächtelchen mit meinem Namen darauf öffnet und versiegelte Plastiktütchen mit Abstrichen und abgekratztem Zeug herausholt. Beweise für das, was Donaldson mir angetan hat. Dann zwinge ich mich, zuzuhören, wie David weitere Beweisstücke herunterleiert. »Sperma, Vaginalsekret -« Anscheinend merkt er plötzlich, was er da beschreibt - Beweismittel für eine Vergewaltigung -, und verstummt abrupt. »Jedenfalls«, sagt er nach einem langen Augenblick des Schweigens, »wollen sie eine Aussage von dir, sobald du dazu in der Lage bist.« »Und mit etwas Glück«, wirft eine Stimme von der Tür herein, »können Sie diese Aussage schon sehr bald machen.« Dr. Avery ist wieder da. Er tritt neben David an mein Bett. Zum ersten Mal bemerke ich die feinen Lachfältchen um seine Augenwinkel und den humorvollen Zug um seinen Mund, als er auf mich herablächelt. Ein Lächeln, das mich wärmt. »Die Blutuntersuchungen sind so gut wie abgeschlossen, Anna«, sagt er. »Wenn Sie sich besser fühlen, sehe ich keinen Grund, weshalb wir Sie nicht heute Abend entlassen sollten.« Er sieht David an. »Ich nehme an, Sie können sie nach Hause bringen?« David macht große Augen. »Sie nach Hause bringen? Es ist viel zu früh dafür. Sie hat noch nicht mit der Psychologin gesprochen. Und haben Sie nicht gesagt, sie hätte viel Blut verloren? Sie kann noch gar nicht wieder bei Kräften sein.« Der Arzt ignoriert David und geht um das Bett herum, wo er anfängt, die diversen Schläuche abzunehmen, die zu meiner Vene führen. Es sind zwei, einer mit einer klaren Flüssigkeit, die in meinen Arm rinnt, und der zweite, blutige Schlauch an meinem Handrücken. Ich spüre ein kurzes Brennen, als er diese Nadel herauszieht, eine Kompresse auf die Einstichstelle drückt und mir bedeutet, sie festzuhalten. Ich halte meine Finger über seine, und er zieht die Hand zurück. »Anna müsste sich schon viel besser fühlen«, sagt er und legt die kompetenten, geübten Finger innen an mein Handgelenk. Sein Blick bleibt auf seine Edelstahl-Rolex geheftet, während er meinen Puls misst. »Sie fühlen sich viel besser, oder nicht?«
Das stimmt. Diese Erkenntnis trifft mich unerwartet und hat ebenso unerwartete Folgen. Ich merke, dass ich den Arzt anlächle - ein echtes Lächeln. Er erwidert es und nickt. Aber David ist offensichtlich noch nicht überzeugt. »Es ist zu früh«, beharrt er. »Sie hat ihr Gedächtnis noch nicht wiedererlangt. Und wenn ihr alles wieder einfällt, was Donaldson ihr angetan hat, während sie allein ist? Das kann doch nicht gut sein.« Dr. Avery scheint über seine Worte nachzudenken. »Da könnten Sie recht haben«, sagt er. »Anna, wie finden Sie die Vorstellung, allein zu sein? Wenn Ihnen das unheimlich ist, könnten Sie vielleicht ein paar Tage bei Ihrer Familie bleiben.« »Bei meiner Familie?« Daran ist gar nicht zu denken, aber das sage ich ihm nicht. »Nein. Meine Eltern sind gestern abgereist, nach Europa. Außerdem kann ich auf mich selbst aufpassen.« »Nein, jetzt noch nicht«, sagt David. Seine Beharrlichkeit geht mir allmählich auf die Nerven. »David, wenn Dr. Avery der Meinung ist, dass ich allein klarkomme, wo liegt dann das Problem?« »Das gefällt mir einfach nicht. Max ist nicht da -« Als er den Namen meines Freundes erwähnt, wird mir eiskalt. Ich habe seit dem Angriff überhaupt nicht an Max gedacht. Ich bin auch jetzt noch nicht bereit, an ihn zu denken. Ich wende mich an Dr. Avery. »Da gäbe es noch jemanden«, sage ich. »Einen guten Freund von mir.« David funkelt mich an. Er weiß genau, an wen ich denke. »Nicht Michael.« »Warum nicht?« Er starrt mich an, als wäre ich verrückt, daran auch nur zu denken. Aber ich habe meine Gründe, warum ich jetzt an Michael denke, Gründe, die ich David erklären werde - unter vier Augen. Jetzt schüttele ich erst einmal den Kopf. »David, wo soll ich denn sonst hin? Wenn du nicht willst, dass ich allein bin, bleibt nur noch Michael übrig.« »Nein«, beharrt er. »Du musst nicht zu Michael. Du kannst bei mir bleiben.« Darüber muss ich herzlich lachen. »O ja. Das ist eine gute Idee. Deine Freundin wird überglücklich sein. Gloria hasst mich ohnehin schon. Wenn ich jetzt bei dir bleibe, müsstest du mein Essen vorkosten und die ganze Nacht Wache an meinem Bett halten, damit sie mich nicht im Schlaf ersticht. « Sein Gesichtsausdruck wechselt von Besorgnis zu Empörung. »Gloria hasst dich nicht. Warum sagst du so etwas?« Doch bevor ich antworten kann, tritt Dr. Avery zwischen uns, mit leicht verärgerter Miene. »Ich wollte keinen Streit auslösen«, sagt er mit einem ungeduldigen Unterton zu David. »Es liegt wirklich ganz bei Anna, ob sie allein sein möchte oder nicht. Und wenn sie das nicht möchte, kann sie, glaube ich, sehr gut selbst entscheiden, bei wem sie sich am wohlsten fühlt.« Ich sehe Dr. Avery an, ein wenig erstaunt über die Art, wie er sich für mich stark macht. Aber mir entgeht auch nicht, welche Wirkung das auf David hat. Dr. Averys strenger Tonfall geht ihm gegen den Strich. Ich erkenne an seinem angespannten Unterkiefer und der kleinen Ader, die nun an seiner Stirn pulsiert, dass er kurz davorsteht, Dr. Avery zu sagen, wo genau er sich seine ärztliche Meinung hinstecken kann. Ich richte mich ein Stückchen auf. »Okay, Jungs, könnten wir uns jetzt alle wieder abregen?«
Ein Herzschlag verstreicht, bis die beiden Männer ihren Blickkontakt abbrechen und sich zu mir umdrehen. »David, ich weiß deine Besorgnis zu schätzen. Ehrlich. Aber Gloria will mich sicher nicht in deinem Haus haben -« Er hebt die Hand, um zu protestieren, aber ich weiß, was er sagen will, und schneide ihm das Wort ab. »Ganz gleich, aus welchem Grund. Sie will mich überhaupt nicht in deinem Leben haben. Sie glaubt, dass du meinetwegen Kopfgeldjäger geworden bist, nicht umgekehrt.« Dr. Avery blickt zwischen uns beiden hin und her. »Wie sind Sie überhaupt zusammengekommen?« David ignoriert die Frage, ja, er bemüht sich sehr, Dr. Avery an sich zu ignorieren, deshalb antworte ich ihm. »David gefielen die Möglichkeiten nicht, die ehemaligen Football- Spielern nach der aktiven Karriere offen stehen - Gebrauchtwagen verkaufen oder Sportreporter werden. Ich hatte keinen Spaß am Unterrichten mehr. Wir haben uns auf dieselbe Anzeige von einem Kautionsagenten gemeldet, der Unterstützung beim Auffinden von Kautionsflüchtigen brauchte. Es stellte sich heraus, dass David und ich ein gutes Team ergaben, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis wir uns selbständig gemacht haben.« David gibt ein Brummen von sich. »Das hat alles nichts damit zu tun, wohin du gehen solltest, wenn du hier entlassen wirst.« »Aber es hat etwas damit zu tun, warum Gloria mich nicht leiden kann. Sie glaubt, es sei meine Schuld, dass du nicht bei ihr in L. A. wohnst.« Dr. Avery wirft David einen fragenden Blick zu. »L. A.?« Wieder einmal ignoriert David seine Frage demonstrativ. Und wieder antworte ich Dr. Avery. »Gloria ist ein berühmtes Model. Sie kennen doch diese Fernseh-Werbespots von Victoria's Secret? Dann kennen Sie auch Gloria.« Er wirkt beeindruckt. Wie die meisten Männer. Das kann einen wirklich aufregen. »Also. So ist das.« Das klingt ein wenig schriller, als ich beabsichtigt hatte. Ich atme tief durch. »Jedenfalls ist Michael mein bester Freund, schon seit der Grundschule. Er kann sich besser um mich kümmern als sonst irgendjemand.« David öffnet den Mund, doch Dr. Avery kommt ihm zuvor. »Das wäre also geklärt. Anna, ich möchte, dass Sie jetzt versuchen aufzustehen. Ich schicke Ihnen eine Schwester, die Ihnen beim Duschen hilft. Wir behalten Sie noch so lange hier, bis wir sicher sind, dass Sie sich einigermaßen bewegen können, und dann dürfen Sie Ihren Freund anrufen.« Eine heftige Mischung aus Wut, Abscheu und Fassungslosigkeit spiegelt sich auf Davids Gesicht. »Das glaube ich einfach nicht.« Sein Tonfall klingt täuschend gelassen. Das ist ein schlechtes Zeichen. »Danke, Dr. Avery«, sage ich und winke ihn praktisch hinaus. »Lassen Sie mich noch einen Moment mit David sprechen, bevor Sie diese Schwester hereinschicken.« Davids Wut strahlt von ihm aus wie seismische Wellen. Zum Glück scheint Dr. Avery sie zu spüren und tritt hastig den Rückzug an. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, schiebe ich mich bis zur Bettkante vor. »Hilfst du mir auf?« Meine Stimme zieht seine Aufmerksamkeit von Dr. Avery zurück zu mir. Die wütende Miene fällt von ihm ab wie eine Maske, doch der neue Gesichtsausdruck ist nicht weniger beunruhigend - ein freudloses, schmallippiges Lächeln. »Tut mir leid, Anna«, sagt er. »Ich verstehe einfach nicht, was Michael für dich tun kann, das ich nicht tun könnte.
Und es passt mir verdammt noch mal überhaupt nicht, dass Avery seine Meinung in einer Sache äußert, die ihn nichts angeht. Er kennt dich gar nicht. Und Michael auch nicht.« Doch während er spricht, hilft David mir vom Bett. Sobald ich stehe, lasse ich seine Kommentare an mir vorbeiziehen und mache innerlich Inventur. Ich fühle mich überraschend gut. Ein bisschen gerädert, aber meine Beine tragen mich, und ich kann Davids stützenden Arm loslassen. David runzelt die Stirn. »Bist du sicher, dass das gut ist?« Ich gehe die zwei Schritte hinüber zu dem Waschbecken an der Wand und schaue in den Spiegel. Da fängt es plötzlich an. Ich erinnere mich.
© 2006 by Jeanne C. Stein Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
Stattdessen klebt die Feuchtigkeit mir die Seidenbluse an die Haut. Verdammt, ich wohne doch nicht in Florida. Ich schlüpfe aus der Leinenjacke und werfe sie auf den Fahrersitz, bevor ich die Tür zuschlage. Ungeduldig streiche ich meinen zerknitterten Rock glatt. Ich hätte mir Zeit zum Umziehen nehmen und in meine übliche Arbeitskleidung steigen sollen - Jeans und ein T-Shirt. Dieses Kostüm ist nicht nur ausgesprochen unbequem, es erinnert mich auch ständig daran, dass ich den Abend damit verbracht habe, mich während eines grässlichen Abendessens bei meinen Eltern für meinen Beruf rechtfertigen zu müssen. Zum ersten Mal in meinen dreißig Lebensjahren habe ich meine eigene Firma und richtig Geld auf dem Konto. Ich bin glücklich, denn ich tue genau das, was ich tun will. Aber ist das genug für sie? Offensichtlich nicht. Wenn sie mich jetzt sehen könnten, wie ich in einer stinkenden Gasse hinter einem Lagerhaus in einem nicht gerade schicken Vorort von San Diego stehe, wären sie natürlich erst recht überzeugt davon, dass dieser Job nichts taugt. Nur gut, dass sie mich nicht sehen können. Ich hole tief Luft und schaue mich um. Was für eine Lage für eine Bar. Das schäbige, mit Holz verkleidete Gebäude hat nur ein Licht, eine flackernde, schwächliche Glühbirne an der Wand. Aber die Straße rauf und runter stehen mindestens fünfzig Autos, und rauhes Gelächter und wummernde Musik von drinnen vibrieren wie ferner Donner in der stillen Nachtluft, ab und zu übertönt von wüstem Jubelgeschrei. Schnaufend vor Ungeduld hole ich Luft. In dieser Bar sind mein Partner David und unser Flüchtiger, John Donaldson. David und ich sind Bail Enforcement Agents, Kopfgeldjäger.
Wir sind Profis, und das hier dürfte eigentlich nicht so lange dauern. Vielleicht bereitet dieser Donaldson meinem Partner Schwierigkeiten. Über diesen Gedanken muss ich lächeln. David ist eins fünfundneunzig groß, wiegt gut hundertzwanzig Kilo und hat früher als Tight End für die Broncos gespielt. Er ist sehr kräftig, sieht gefährlich aus und dürfte diesem John Donaldson mehr als gewachsen sein - die Polizeiakte zeigte einen mageren, ängstlich wirkenden Mann mit schütterem Haar und Nickelbrille auf der Knollennase - ein Buchhalter, ausgerechnet. Ich strecke mich, gähne und mache ein paar Kniebeugen, um die verspannten Beine zu dehnen. Gar nicht so einfach, wenn man Killer-Stilettos und einen kurzen Rock trägt. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, dass er David Ärger macht. Abgesehen von seiner Statur ist Donaldson nichts als ein kleiner Angestellter, ein Möchtegern-Schreibtisch- Krimineller, der sich am Rentenfonds seines Arbeitgebers vergriffen hat. Als der Idiot erwischt wurde, landete er dank seiner zwielichtigen Geschäfte wegen Unterschlagung im Knast und nicht im Leichenschauhaus, womit eben jener betrogene Arbeitgeber ihm gedroht hatte. Fünfzigtausend Dollar und eine teure Immobilie in La Jolla als Kaution reichten aus, damit er bis zum Gerichtsverfahren auf freiem Fuß bleiben konnte. Er setzte sich ab, als seine Frau herausfand, dass er eine Geliebte hatte. Sie war sofort bereit, mit dem Kautionsbüro zusammenzuarbeiten. Schließlich wollte sie nicht ihr Haus verlieren, weil der Mistkerl beschlossen hatte, seine Kaution verfallen zu lassen. Aber die eheliche Untreue - das ist ihr Problem. Wir arbeiten für den wütenden Bürgen, der die Kleinigkeit von fünf hunderttausend verlieren wird, wenn wir Donaldson nicht bis heute Abend wieder in Gewahrsam haben. Und genau dahin wollen wir ihn bringen. Das hier sollte ein Spaziergang sein.
Donaldson ist noch nie wegen Gewalttätigkeit aufgefallen. Warum er sich überhaupt abgesetzt hat, ist uns ein Rätsel, vor allem, da sich nun herausgestellt hat, dass er gar nicht weit geflohen ist. Wir haben ihn in Chula Vista aufgespürt, einem billigen Viertel von South Bay, mit derselben Blondine, die seine Frau dazu veranlasst hatte, uns den Tipp zu geben. Wir nehmen an, dass er vorhat, sich gen Süden nach Mexiko abzusetzen, aber aus irgendeinem Grund hat er das noch nicht getan. Trotzdem hat er sich als schlüpfriger kleiner Scheißer erwiesen. Zweimal schon dachten wir, wir hätten ihn, und er ist uns doch irgendwie entwischt. Aber nicht heute Abend. Heute Abend ist Donaldson auf die Idee gekommen, ganz allein einen kleinen Ausflug in eine Bar zu machen - eine Sportbar. Das ist die perfekte Kulisse. Die Reaktion der Gäste, sobald jemand David erkennt, ist vorhersehbar. Und irgendjemand wird ihn erkennen - der ehemalige Football- Star und Lokalmatador David zieht Aufmerksamkeit an wie der Nordpol eine Kompassnadel. Dann dürfte es nicht mehr schwierig sein, auch Donaldsons ungeteilte Aufmerksamkeit zu erlangen. David wird ihm ein paar Drinks spendieren, um ihn aufzulockern, oder ihn vielleicht zu sich nach Hause einladen, um ihm seine Heismann-Trophy zu zeigen, oder seine Super-Bowl-Ringe. Alles, um ihn aus der Bar zu locken. Danach noch eine kurze Fahrt in die Stadt, ein bisschen Papierkram, und morgen früh landen fünftausend Dollar auf unserem Konto.
Leicht verdientes Geld. Vor allem für mich. Denn ich bin heute als Fahrerin eingeteilt. Also, was dauert da so lange? Ich lasse die Schultern kreisen. Ich will ein schönes kühles Bad. Ich will raus aus diesen Klamotten. Komm schon, David, sage ich mir innerlich immer wieder vor wie ein Mantra, bringen wir es endlich hinter uns. Ich halte das Warten nicht mehr aus. Der Gestank hier macht mir zu schaffen. Von der anderen Seite des Parkplatzes aus könnte ich durch die Eingangstür der Bar lugen und nachschauen, was da los ist. Vielleicht braucht David ein bisschen Unterstützung. Ein kurzer Rock und hohe Absätze wären für Donaldson womöglich verlockender als Football-Trophäen und fette Diamantringe. Und ich wäre immer noch nahe genug, um schnell am Wagen zu sein, falls sie plötzlich herauskommen. Alles ist besser, als mir in dieser blöden Gasse die Beine in den Bauch zu stehen. Ich gehe quer über den Parkplatz. Wummernde Bässe lassen die Wände beben und werden mit jedem Schritt lauter. David muss inzwischen taub sein. Aber die Musik ist nicht so laut, als dass sie eine vertraute Stimme übertönt hätte, die plötzlich über den Parkplatz brüllt: »He, Donaldson, was glauben Sie, wo Sie hingehen? « Scheiße. Da ist was schiefgegangen. Ich mache kehrt und laufe zum Auto zurück. Ich höre das Stampfen schneller Schritte, und dann sehe ich zwei schattenhafte Gestalten auf mich zurennen. Keine Zeit mehr für das Pfefferspray oder den Taser. Und auf keinen Fall werde ich zulassen, dass dieser Mistkerl uns ein drittes Mal entwischt. Ich löse meinen Achtunddreißiger aus dem Gürtelhalfter, hole tief Luft und lasse sie noch etwas näher herankommen, ehe ich hinter dem Auto hervortrete. Die Waffe hat die gewünschte Wirkung. Donaldson bleibt abrupt stehen, den Blick an die Waffe geheftet, die ich auf seinen Bauch richte. »Was soll das? Was wollen Sie?« Sein Gesicht ist völlig farblos und sieht anders aus als auf dem Polizeifoto - schmaler und fieser. Seine schwarzen Augen liegen tief in den Höhlen und reflektieren das schwache Licht wie die einer Katze. Diese Augen sind beunruhigend, doch ich schüttele meinen Schrecken ab und setze ein strahlendes Lächeln auf. »Ich gebe Ihnen einen kleinen Tipp. Sie haben morgen einen Gerichtstermin. Aus irgendeinem Grund fürchtet Ihre Frau, Sie könnten vorhaben, diesen Termin zu verpassen. Könnte etwas mit dieser Blondine zu tun haben, bei der Sie eingezogen sind.«
David tritt nun hinter ihn. Er holt Handschellen aus der Hosentasche und beugt den Kopf vor. »Wir sind Ihre Eskorte. Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Das gehört alles zum großartigen Rundum-Service Ihres Kautionsbüros.« Donaldson lächelt, oder vielmehr öffnet sich sein Mund zu einem kalten, humorlosen Spalt. »Sie arbeiten für Reese? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Hören Sie, ich habe Geld. Was auch immer er Ihnen bezahlt, ich kann Ihnen das Doppelte anbieten.« Er tritt auf mich zu, und eine seiner Hände nähert sich seiner Jackentasche. Ich weiche einen Schritt zurück, und im selben Moment packt David seine Hand. »An den Wagen«, bellt David. »Arme weit auseinander.« Doch überraschend schnell duckt sich Donaldson unter Davids Arm hindurch und rennt über den Parkplatz davon.
David stöhnt. »Das glaub ich doch nicht. Anna, starte den Wagen. Ich kriege diesen Scheißkerl, und wenn ich ihm in den Hintern schießen muss.« Ich kann mich nicht erinnern, wann David zuletzt jemand entwischt ist. Wenn er einmal jemanden geschnappt hat, bleibt es normalerweise dabei. Das hier ist wirklich ärgerlich. Eine sarkastische Bemerkung darüber, wie der Kerl David entwischen konnte, liegt mir auf der Zunge, aber als hinter mir ein Schuss kracht, schlucke ich sie wieder herunter. Einen Augenblick lang bleibe ich stehen wie erstarrt, die Hand an der Fahrertür. Das Geräusch flüchtender Schritte ist verstummt. David ist verschwunden. Ich ducke mich und schleiche langsam um das Auto herum bis zur Kühlerhaube. Wo ist er? Hat David tatsächlich auf Donaldson geschossen? Oder hatte Donaldson eine Waffe? Scheiße, wir hatten noch keine Chance, den Kerl zu durchsuchen. Galle brennt mir in der Kehle. Warum ruft David nicht nach mir? Ich umklammere meinen Achtunddreißiger und richte mich auf. David muss verletzt sein, sonst würde er mich rufen.
Ich starre so angestrengt ins Dunkel vor mir, dass der Angriff, von hinten und ohne Vorwarnung, Erfolg hat. Donaldson steht plötzlich neben mir und reißt mir den rechten Arm in den Rücken. Durch den Schmerz öffnet sich reflexartig meine Hand, und ich sehe zu, wie meine Waffe über den Asphalt schlittert. Dann werde ich gegen das Auto geschleudert. »So, du Ass«, sagt er. »Was willst du jetzt machen?« Sein Atem riecht nach Alkohol und blinder Wut. Der Aufprall gegen das Auto hat mir den Atem verschlagen, und ich schnappe keuchend nach Luft. Mein rechter Arm fühlt sich an, als würde er gleich brechen. Ich ringe um Atem und bemühe mich, die Angst aus meiner Stimme herauszuhalten. Er ist viel zu stark. »Lassen Sie mich los, Donaldson. Sie brechen mir den Arm.« Er lacht und reißt den verrenkten Arm noch höher. »Wo ist denn dein Partner, hm? Vielleicht bist du jetzt kooperativer, ohne ihn.« Ich versuche mich aufzurichten, um meinen Arm ein wenig zu entlasten, doch er presst mich mühelos noch fester gegen den Wagen. Er ist auf Drogen; so muss es sein. Ich beherrsche meine Stimme nicht mehr - die Worte sprudeln hastig aus mir hervor. »Hören Sie, Donaldson, Sie haben jetzt schon Ärger mit dem Gesetz. David muss verletzt sein. Lassen Sie mich ihm helfen. Wir sind keine Bullen. Sie wissen selbst, dass Sie jetzt einfach gehen können. Machen Sie es nicht noch schlimmer.« Doch er lacht immer noch, so heiser und kehlig, dass der Laut auf meiner Wange zu brennen scheint. »Wie kommst du darauf, dass ich es eilig hätte?« Er presst mich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den Wagen. Seine Hände grapschen nach mir. Es dreht mir den Magen um. Ich stemme mich gegen ihn und versuche, ihm seine Situation klarzumachen. »Den Schuss hat man sicher in der Bar gehört. Es wird jeden Moment jemand herauskommen. « Er blickt mit schräg geneigtem Kopf in Richtung Bar. »Bei dem Lärm? Das glaube ich nicht. Nur zu, schrei.« Das tue ich, ich brülle um Hilfe, bis mir der Hals wehtut. Der Krach aus der Bar verschluckt meine Schreie. »Siehst du? Was habe ich dir gesagt?« Er fummelt an den Knöpfen meiner Bluse herum. »Ich finde, wir sollten uns besser kennenlernen, meinst du nicht?« Er gibt die Knöpfe auf, zerreißt mir stattdessen die Bluse und dreht mich zu sich herum. Ich versuche ihn abzuwehren. Ich bin eins fünfundsechzig groß und wiege zweiundsechzig Kilo. Er ist nicht viel größer und auch nicht viel schwerer, überwältigt mich aber mit einer Leichtigkeit, als wäre ich ein kleines Kind. Er packt mein Haar und reißt mir den Kopf zurück. Dann öffnet er die Wagentür und stößt mich auf den Rücksitz. Ich fahre ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht und über den Hals, kratze ihn blutig, und das Blut sieht in der Dunkelheit dickflüssig und schwarz aus. Er scheint den Schmerz aber nicht zu fühlen. Ich werde auf den Sitz gedrückt, winde mich und bäume mich gegen sein Gewicht auf, doch ich kann ihn nicht abschütteln. Er hat seinen Gürtel geöffnet, hält mich mit einer Hand fest und zerrt mit der anderen an seinem Reißverschluss. Ich habe nicht genug Platz für einen ordentlichen Tritt, und in meiner Verzweiflung greife ich ihm zwischen die Beine, packe ihn und drücke zu. Im Dunkeln sehe ich den Schlag nicht kommen. Ganz kurz explodieren Farben vor meinen Augen. Dann - nichts mehr.
Ich will nicht aufwachen. Ich fühle mich geborgen, schwebend in einem warmen, dunklen Kokon, sicher. Doch ein blendend helles Licht dringt in die Dunkelheit vor. Jemand zieht an meinen Lidern, öffnet mir die Augen. Ich stoße die Hand weg. Sie kommt zurück. Von ganz weit weg höre ich meine eigene Stimme. »Mach endlich das verdammte Licht aus.« Ein heiseres Lachen. »Sie ist wieder da, Doc.« Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ich öffne doch die Augen. »David?« »Hier bin ich, Süße.« Eine sanfte Hand legt sich auf meine. »Wie fühlst du dich?« Ich versuche, den Kopf zu drehen, doch der Schmerz lässt mich innehalten. Ich hebe die Hand, taste nach meiner Stirn, spüre eine riesige, schmerzhafte Beule und verziehe das Gesicht. »Nicht besonders. Was ist passiert?« Er antwortet nicht. Ich strenge mich an, klarer zu sehen und langsam den Kopf in die Richtung zu drehen, aus der seine Stimme kommt. Ich weiß, dass ich mich an irgendetwas erinnern sollte - etwas, das sogar in meiner benebelten Verwirrung einen leisen Alarm in mir auslöst. David sitzt neben mir, und sein kräftiger Nacken quillt fast aus einer Halskrause, die so eng sitzt, dass sie in seine Haut einschneidet. »Das sieht ja bequem aus«, bemerke ich grimmig. »Wo sind wir?« Doch jemand tritt zwischen uns. Er ist groß und dünn und hat einen wirren Schopf roter Haare. Er trägt einen Arztkittel, und ein Stethoskop baumelt von seinem Hals. Er lächelt auf mich herab. »Sie sind im County General Hospital, Anna«, sagt er. »Mein Name ist Grant Avery. Ich bin Ihr behandelnder Arzt.« »Sie behandeln mich? Weswegen?« Sobald ich die Frage ausspreche, blitzt etwas Gefährliches, Bedrohliches in mir auf, wie ein verschwommenes Bild im Hinterkopf, und ich zucke zusammen, ohne überhaupt zu wissen, warum. David drängt sich dichter ans Bett heran. »Alles kommt wieder in Ordnung.« Dr. Avery nickt. »David hat recht. Ihnen beiden wird es bald wieder prächtig gehen. Können Sie sich daran erinnern, was Ihnen passiert ist?« In meinen Schläfen pocht ein dumpfer Schmerz. Ich hebe die Hand, um mir die Stirn zu massieren, und bemerke die Nadel, die in meinem Handrücken steckt. Hellrotes Blut fl ießt durch den Schlauch. Ich lasse die Hand sinken. »Nein. Bin ich denn schon lange hier?« »Seit gestern, vor Sonnenaufgang«, antwortet der Arzt. »Gestern?« Ich werfe David einen Blick zu. »Ich war seit gestern bewusstlos?« Davids zögerndes, liebes Lächeln dringt nicht ganz bis zu seinen Augen vor, als er sagt: »Du hast im Krankenwagen ein bisschen verrückt gespielt. Seitdem warst du sediert.« »Im Krankenwagen?« Ich wiederhole ständig Sachen. Ich kann nicht anders, denn nichts, was er mir sagt, ergibt für mich einen Sinn. »Welcher Krankenwagen?«
David blickt zu Dr. Avery auf. »Vielleicht sollten Sie es ihr sagen.« »Irgendjemand sollte es mir jedenfalls sagen.« Ich versuche, überzeugend zu klingen, obwohl ich mich allmählich frage, ob ich mich überhaupt erinnern will. Was auch immer passiert sein mag, es war offensichtlich gar nicht gut. Schließlich bricht Dr. Avery das Schweigen. »Sie haben einiges durchgemacht, aber ich möchte Ihnen versichern, dass der körperliche Schaden, der Ihnen zugefügt wurde, Sie in keiner Weise dauerhaft beeinträchtigen wird.« Er wirft einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und sieht dann wieder mich an. »Sie wurden verprügelt. Sie haben eine scheußliche Prellung an der Stirn - daher die Kopfschmerzen. Anscheinend ist das auch der Grund für Ihren Gedächtnisverlust. Aber wir nennen so etwas eine retrograde Amnesie - sie ist nur vorübergehend. Sie haben zwei blaue Augen, aber keine Gehirnerschütterung. Ihre Augen selbst haben keinen Schaden genommen.« Er hält inne und wirft erneut einen raschen Blick auf die Uhr. »Haben Sie irgendeinen Termin oder so?«, frage ich, denn ich werde mit jedem dieser Blicke gereizter. Ich habe das deutliche Gefühl, dass da noch mehr ist und der liebe Onkel Doktor Zeit zu schinden versucht. Er besitzt immerhin den Anstand, leicht zu erröten. »Nein, selbstverständlich nicht. Ich hatte nur gehofft, dass die psychologische Beraterin kommt, ehe ich -« »Psychologische Beraterin?« Die Angst erwacht von neuem. David steht aus dem Rollstuhl auf und tritt ans Bett. Seine Hand schließt sich um die Finger meiner Linken, doch ich stoße sie fort. »Wozu sollte ich eine Psychologin brauchen? « Dr. Avery späht auf mich herab. Ich sehe seinen zögerlichen Gesichtsausdruck, aber es ist nicht seine Entscheidung, ob er fortfahren soll oder nicht - das entscheide ich. »Sagen Sie es mir.« »Sind Sie sicher? Die psychologische Beraterin muss jeden Moment kommen. Sie fühlen sich vielleicht wohler, wenn eine Frau bei Ihnen ist. Wir könnten auch Ihre Familie benachrichtigen und jemanden bitten herzukommen.«
Ein Blick auf meinen Partner. »David meint offenbar, Sie wollten damit lieber warten, aber das liegt ganz bei Ihnen.« Auch ich werfe David einen Blick zu, aber seine Miene ist so ernst und traurig, dass ich nur noch mehr Angst bekomme. »David hat recht, was meine Familie angeht«, sage ich leise. »Und jetzt erzählen Sie mir, was passiert ist.« Ich reiße den Blick von David los und warte darauf, was der Arzt mir zu sagen hat. »Sie wurden vergewaltigt, Anna.« Seine Stimme ist nüchtern, sachlich. Er wendet den Blick nicht mehr von meinem Gesicht ab. »Sie haben relativ schwere Verletzungen am Unterleib. Ihre Arme sind voller Blutergüsse. Sie haben viel Blut verloren, aus einer Wunde am Hals. Die Polizei glaubt, der Täter könnte versucht haben, Ihnen die Kehle durchzuschneiden. Zum Glück ist ihm das nicht gelungen, aber wir mussten Ihnen eine Bluttransfusion geben. Soll ich wirklich fortfahren?« Meine Finger betasten den Verband seitlich an meinem Hals. Jemand hat versucht, mich zu vergewaltigen und mir die Kehle durchzuschneiden? Fortfahren? Was sollte denn noch kommen? Mir wird bewusst, dass Dr. Avery auf eine Antwort wartet. Ich nicke schwach. »Nur zu.« Er erwidert das Nicken, und sein steter Blick hält mich gefangen. »Da es Spuren einer Penetration gab, mussten wir einen Schwangerschaftstest durchführen. Er war negativ.
Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis die Ergebnisse der anderen Tests vorliegen. Wir untersuchen Ihr Blut auf sexuell übertragbare Krankheiten, Hepatitis -« Kurzes Zögern. »HIV.« Mechanisch und unpersönlich leiert er eine ganze Liste des Grauens herunter. Als seine Stimme schließlich verstummt, wendet er auch den Blick ab und befreit mich aus dessen Fesseln. Das muss ein Irrtum sein. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf David. Die nackte Wahrheit steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich kann mich nicht daran erinnern«, flüstere ich. »Vielleicht ist das nur gut so.« David und Dr. Avery wechseln einen Blick. Dann nimmt der Arzt ein Klemmbrett vom Fuß des Bettes und geht zur Tür. »Ich lasse Sie beide ein paar Minuten allein«, sagt er. David sieht ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm schließt. »Anna«, sagt er leise. »Es tut mir so leid.« Ich drücke mir die Handflächen vor die Augen. Jetzt ist mir sehr bewusst, warum ich hier bin, aber ich kann das Wie immer noch nicht abrufen. »Sag du mir, was passiert ist.« »Bist du sicher, dass du das hören willst?« Werde ich je sicher sein? »Ja.« David setzt sich vorsichtig auf die Bettkante. Er nimmt wieder meine linke Hand und streichelt sie sanft. »Dann sage ich dir, was ich weiß.«
Davids Stimme klingt ungewohnt zögerlich, als er zu erzählen beginnt. »Ich habe Mist gebaut, Anna«, sagt er. »Ich hätte schon in der Bar merken sollen, dass Donaldson irgendwas eingeworfen hatte. Er war nervös und unkonzentriert, aber er hat nichts getrunken. Als er erfuhr, wer ich bin, schien er ehrlich interessiert zu sein, mit mir nach Hause zu kommen. Sobald wir draußen waren, ist er urplötzlich losgerannt. Erst dachte ich, er wäre dahintergekommen, dass ich es auf ihn abgesehen hatte. Aber er hat kein Wort gesagt, ist einfach abgedüst.«
Seine Stimme erstirbt, und ich nehme an, er wartet auf irgendein Zeichen von mir, dass ich ihm folgen kann. Kann ich aber nicht. Ich schüttle den Kopf und bedeute ihm, weiterzuerzählen.
David fährt sich mit der Hand über die Augen. »Ich habe ihm zugebrüllt, er soll stehen bleiben. Du warst am Auto. Er ist direkt auf dich zugerannt, und du hast ihn aufgehalten. Da hat er dann erfahren, dass Reese uns geschickt hat. Er hat uns Geld angeboten, wenn wir ihn laufen lassen. Bevor ich ihm die Handschellen anlegen konnte, war er schon wieder weg. Dieser kleine Scheißkerl ist vielleicht schnell. Aber ich habe ihn zwischen zwei Autos in die Enge getrieben. Er hat mich angegriffen, und ich schwöre bei Gott, Anna, er hat geknurrt und die Zähne gefletscht wie ein wild gewordener Hund. Ich dachte noch, der Kerl ist echt durchgeknallt. Er hat sich auf mich gestürzt. Alles ging so schnell. Er ist gegen mich geprallt, ich habe das Gleichgewicht verloren und bin gestürzt, hab mir das Knie an einer Stoßstange angehauen. Ich muss mir auch irgendwo den Kopf gestoßen haben, denn danach weiß ich nichts mehr. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich aufgewacht bin, es war ganz still, und ich hatte die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens.« Er verstummt und läuft rot an. »Dämlich, so was zu sagen. Ein bisschen Kopfweh ist ziemlich lahm, wenn man daran denkt, was dir -« Ich hebe die Hand, ungeduldig und genervt. »Lass es, David. Du bist auch verletzt worden. Du kannst nichts dafür, was mit mir passiert ist. Erzähl mir, woran du dich noch erinnerst.« David rutscht von der Bettkante und geht auf und ab. »Es war so dunkel auf diesem Parkplatz. Als ich wieder zu mir gekommen bin, dachte ich, es müsste schon nach zwei sein, weil es still war, und die meisten Autos waren weg. Ich habe nach dir gerufen, aber keine Antwort bekommen. Als ich mich endlich aufgerappelt hatte, habe ich Schreie gehört. Der Wirt der Bar und ein paar Angestellte haben sich auf den Heimweg gemacht und dich gefunden. Offenbar haben sie Donaldson verscheucht. Sie haben gesagt, sie hätten einen Mann wegrennen sehen, aber er war so schnell, dass sie ihn nicht richtig erkennen konnten. Sie haben Hilfe gerufen.« Er bleibt stehen und beobachtet mich; offenbar wartet er auf eine Reaktion. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wie ich reagieren soll. Ich kann die blauen Flecken sehen, ich spüre die Schmerzen und sehe das Blut, das durch den dünnen Schlauch in die Nadel in meinem Handrücken fließt.
Aber ich kann mich nicht erinnern. Es ist, als hörte ich eine schreckliche Geschichte, die irgendjemand anderem zugestoßen ist. Da sind Ekel und Wut, aber sie sind nicht persönlich. Jedenfalls noch nicht. Plötzlich fällt mir ein, was David vorhin gesagt hat. »Das war vor vierundzwanzig Stunden. Du hast gesagt, ich hätte Beruhigungsmittel bekommen, weil im Krankenwagen irgendetwas passiert ist. Was habe ich denn getan?« Der Ansatz eines Lächelns lässt Davids Mundwinkel zucken, doch er beherrscht sich, und sein Gesichtsausdruck wird wieder ruhig und ernst. »Du hast es den Sanitätern ganz schön schwergemacht. Du warst bewusstlos, bis sie die Tür des Krankenwagens geschlossen haben, und dann bist du ausgerastet. Du hast um dich geschlagen und einem der Sanitäter beinahe den Unterkiefer gebrochen. Ich musste ihnen helfen, dich zu bändigen. Du bist völlig durchgedreht, hast irgendetwas von wilden Tieren gebrüllt und dass du gebissen worden wärst. Dr. Avery sagt, das sei eine unbewusste Reaktion auf die Verletzung am Hals und Donaldsons grausamen Angriff auf dich, aber er wollte nicht riskieren, dass so etwas noch mal passiert. Er hat dich ruhig gestellt und abgewartet und die Beruhigungsmittel dann ganz langsam abgesetzt. Das war heute Morgen.« Heute Morgen. Erschöpfung überfällt mich, und ich schließe die Augen. Ich spüre David neben mir, blicke auf und sehe, dass er sich dicht über mich beugt; sein Gesicht ist eine Studie in Besorgnis. Ich versuche zu lächeln, doch meine Gesichtsmuskulatur ist wie erstarrt. Ich bringe nur eine Grimasse zustande, woraufhin die Muskeln an Davids Kiefer sich vor Kummer noch mehr anspannen.
»Anna, was ist denn? Hast du Schmerzen? Soll ich den Arzt holen?« »Wäre besser.« Ich blicke an seinem Arm hinab. »Ich brauche ihn gleich, damit er die Knochen richtet, wenn du mir die Finger brichst.« Er lockert seinen Klammergriff. »Entschuldige.« Ich kenne meinen Partner schon lange, und wir haben schon ein paar Mal böse in der Klemme gesteckt, aber ich habe ihn noch nie verängstigt erlebt. Das ist beunruhigend, vor allem, da ich mich eigentlich viel schlimmer fühlen sollte als er. Warum fühle ich mich dann nicht furchtbar schlecht? Liegt das nur am Gedächtnisverlust? Stehe ich unter Schock? Ich hole tief Luft, halte den Atem an und stoße ihn dann kräftig aus. »David, es ist schon gut. Ich bin bald wieder in Ordnung. Du hast doch mit der Polizei gesprochen, oder? Was haben die gesagt? Haben sie Donaldson schon geschnappt? « Er schüttelt den Kopf und zerrt genervt an der Halskrause. »Nein. Donaldson ist immer noch flüchtig. Aber sie werden ihn kriegen, und er wird nicht leugnen können, dass er dich angegriffen hat. Sie haben Blutproben und Haare aus dem Auto. Gewebeproben von deinen Fingernägeln.« Plötzlich steht mir ein unbekannter Labortechniker vor Augen, der irgendwo ein Schächtelchen mit meinem Namen darauf öffnet und versiegelte Plastiktütchen mit Abstrichen und abgekratztem Zeug herausholt. Beweise für das, was Donaldson mir angetan hat. Dann zwinge ich mich, zuzuhören, wie David weitere Beweisstücke herunterleiert. »Sperma, Vaginalsekret -« Anscheinend merkt er plötzlich, was er da beschreibt - Beweismittel für eine Vergewaltigung -, und verstummt abrupt. »Jedenfalls«, sagt er nach einem langen Augenblick des Schweigens, »wollen sie eine Aussage von dir, sobald du dazu in der Lage bist.« »Und mit etwas Glück«, wirft eine Stimme von der Tür herein, »können Sie diese Aussage schon sehr bald machen.« Dr. Avery ist wieder da. Er tritt neben David an mein Bett. Zum ersten Mal bemerke ich die feinen Lachfältchen um seine Augenwinkel und den humorvollen Zug um seinen Mund, als er auf mich herablächelt. Ein Lächeln, das mich wärmt. »Die Blutuntersuchungen sind so gut wie abgeschlossen, Anna«, sagt er. »Wenn Sie sich besser fühlen, sehe ich keinen Grund, weshalb wir Sie nicht heute Abend entlassen sollten.« Er sieht David an. »Ich nehme an, Sie können sie nach Hause bringen?« David macht große Augen. »Sie nach Hause bringen? Es ist viel zu früh dafür. Sie hat noch nicht mit der Psychologin gesprochen. Und haben Sie nicht gesagt, sie hätte viel Blut verloren? Sie kann noch gar nicht wieder bei Kräften sein.« Der Arzt ignoriert David und geht um das Bett herum, wo er anfängt, die diversen Schläuche abzunehmen, die zu meiner Vene führen. Es sind zwei, einer mit einer klaren Flüssigkeit, die in meinen Arm rinnt, und der zweite, blutige Schlauch an meinem Handrücken. Ich spüre ein kurzes Brennen, als er diese Nadel herauszieht, eine Kompresse auf die Einstichstelle drückt und mir bedeutet, sie festzuhalten. Ich halte meine Finger über seine, und er zieht die Hand zurück. »Anna müsste sich schon viel besser fühlen«, sagt er und legt die kompetenten, geübten Finger innen an mein Handgelenk. Sein Blick bleibt auf seine Edelstahl-Rolex geheftet, während er meinen Puls misst. »Sie fühlen sich viel besser, oder nicht?«
Das stimmt. Diese Erkenntnis trifft mich unerwartet und hat ebenso unerwartete Folgen. Ich merke, dass ich den Arzt anlächle - ein echtes Lächeln. Er erwidert es und nickt. Aber David ist offensichtlich noch nicht überzeugt. »Es ist zu früh«, beharrt er. »Sie hat ihr Gedächtnis noch nicht wiedererlangt. Und wenn ihr alles wieder einfällt, was Donaldson ihr angetan hat, während sie allein ist? Das kann doch nicht gut sein.« Dr. Avery scheint über seine Worte nachzudenken. »Da könnten Sie recht haben«, sagt er. »Anna, wie finden Sie die Vorstellung, allein zu sein? Wenn Ihnen das unheimlich ist, könnten Sie vielleicht ein paar Tage bei Ihrer Familie bleiben.« »Bei meiner Familie?« Daran ist gar nicht zu denken, aber das sage ich ihm nicht. »Nein. Meine Eltern sind gestern abgereist, nach Europa. Außerdem kann ich auf mich selbst aufpassen.« »Nein, jetzt noch nicht«, sagt David. Seine Beharrlichkeit geht mir allmählich auf die Nerven. »David, wenn Dr. Avery der Meinung ist, dass ich allein klarkomme, wo liegt dann das Problem?« »Das gefällt mir einfach nicht. Max ist nicht da -« Als er den Namen meines Freundes erwähnt, wird mir eiskalt. Ich habe seit dem Angriff überhaupt nicht an Max gedacht. Ich bin auch jetzt noch nicht bereit, an ihn zu denken. Ich wende mich an Dr. Avery. »Da gäbe es noch jemanden«, sage ich. »Einen guten Freund von mir.« David funkelt mich an. Er weiß genau, an wen ich denke. »Nicht Michael.« »Warum nicht?« Er starrt mich an, als wäre ich verrückt, daran auch nur zu denken. Aber ich habe meine Gründe, warum ich jetzt an Michael denke, Gründe, die ich David erklären werde - unter vier Augen. Jetzt schüttele ich erst einmal den Kopf. »David, wo soll ich denn sonst hin? Wenn du nicht willst, dass ich allein bin, bleibt nur noch Michael übrig.« »Nein«, beharrt er. »Du musst nicht zu Michael. Du kannst bei mir bleiben.« Darüber muss ich herzlich lachen. »O ja. Das ist eine gute Idee. Deine Freundin wird überglücklich sein. Gloria hasst mich ohnehin schon. Wenn ich jetzt bei dir bleibe, müsstest du mein Essen vorkosten und die ganze Nacht Wache an meinem Bett halten, damit sie mich nicht im Schlaf ersticht. « Sein Gesichtsausdruck wechselt von Besorgnis zu Empörung. »Gloria hasst dich nicht. Warum sagst du so etwas?« Doch bevor ich antworten kann, tritt Dr. Avery zwischen uns, mit leicht verärgerter Miene. »Ich wollte keinen Streit auslösen«, sagt er mit einem ungeduldigen Unterton zu David. »Es liegt wirklich ganz bei Anna, ob sie allein sein möchte oder nicht. Und wenn sie das nicht möchte, kann sie, glaube ich, sehr gut selbst entscheiden, bei wem sie sich am wohlsten fühlt.« Ich sehe Dr. Avery an, ein wenig erstaunt über die Art, wie er sich für mich stark macht. Aber mir entgeht auch nicht, welche Wirkung das auf David hat. Dr. Averys strenger Tonfall geht ihm gegen den Strich. Ich erkenne an seinem angespannten Unterkiefer und der kleinen Ader, die nun an seiner Stirn pulsiert, dass er kurz davorsteht, Dr. Avery zu sagen, wo genau er sich seine ärztliche Meinung hinstecken kann. Ich richte mich ein Stückchen auf. »Okay, Jungs, könnten wir uns jetzt alle wieder abregen?«
Ein Herzschlag verstreicht, bis die beiden Männer ihren Blickkontakt abbrechen und sich zu mir umdrehen. »David, ich weiß deine Besorgnis zu schätzen. Ehrlich. Aber Gloria will mich sicher nicht in deinem Haus haben -« Er hebt die Hand, um zu protestieren, aber ich weiß, was er sagen will, und schneide ihm das Wort ab. »Ganz gleich, aus welchem Grund. Sie will mich überhaupt nicht in deinem Leben haben. Sie glaubt, dass du meinetwegen Kopfgeldjäger geworden bist, nicht umgekehrt.« Dr. Avery blickt zwischen uns beiden hin und her. »Wie sind Sie überhaupt zusammengekommen?« David ignoriert die Frage, ja, er bemüht sich sehr, Dr. Avery an sich zu ignorieren, deshalb antworte ich ihm. »David gefielen die Möglichkeiten nicht, die ehemaligen Football- Spielern nach der aktiven Karriere offen stehen - Gebrauchtwagen verkaufen oder Sportreporter werden. Ich hatte keinen Spaß am Unterrichten mehr. Wir haben uns auf dieselbe Anzeige von einem Kautionsagenten gemeldet, der Unterstützung beim Auffinden von Kautionsflüchtigen brauchte. Es stellte sich heraus, dass David und ich ein gutes Team ergaben, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis wir uns selbständig gemacht haben.« David gibt ein Brummen von sich. »Das hat alles nichts damit zu tun, wohin du gehen solltest, wenn du hier entlassen wirst.« »Aber es hat etwas damit zu tun, warum Gloria mich nicht leiden kann. Sie glaubt, es sei meine Schuld, dass du nicht bei ihr in L. A. wohnst.« Dr. Avery wirft David einen fragenden Blick zu. »L. A.?« Wieder einmal ignoriert David seine Frage demonstrativ. Und wieder antworte ich Dr. Avery. »Gloria ist ein berühmtes Model. Sie kennen doch diese Fernseh-Werbespots von Victoria's Secret? Dann kennen Sie auch Gloria.« Er wirkt beeindruckt. Wie die meisten Männer. Das kann einen wirklich aufregen. »Also. So ist das.« Das klingt ein wenig schriller, als ich beabsichtigt hatte. Ich atme tief durch. »Jedenfalls ist Michael mein bester Freund, schon seit der Grundschule. Er kann sich besser um mich kümmern als sonst irgendjemand.« David öffnet den Mund, doch Dr. Avery kommt ihm zuvor. »Das wäre also geklärt. Anna, ich möchte, dass Sie jetzt versuchen aufzustehen. Ich schicke Ihnen eine Schwester, die Ihnen beim Duschen hilft. Wir behalten Sie noch so lange hier, bis wir sicher sind, dass Sie sich einigermaßen bewegen können, und dann dürfen Sie Ihren Freund anrufen.« Eine heftige Mischung aus Wut, Abscheu und Fassungslosigkeit spiegelt sich auf Davids Gesicht. »Das glaube ich einfach nicht.« Sein Tonfall klingt täuschend gelassen. Das ist ein schlechtes Zeichen. »Danke, Dr. Avery«, sage ich und winke ihn praktisch hinaus. »Lassen Sie mich noch einen Moment mit David sprechen, bevor Sie diese Schwester hereinschicken.« Davids Wut strahlt von ihm aus wie seismische Wellen. Zum Glück scheint Dr. Avery sie zu spüren und tritt hastig den Rückzug an. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, schiebe ich mich bis zur Bettkante vor. »Hilfst du mir auf?« Meine Stimme zieht seine Aufmerksamkeit von Dr. Avery zurück zu mir. Die wütende Miene fällt von ihm ab wie eine Maske, doch der neue Gesichtsausdruck ist nicht weniger beunruhigend - ein freudloses, schmallippiges Lächeln. »Tut mir leid, Anna«, sagt er. »Ich verstehe einfach nicht, was Michael für dich tun kann, das ich nicht tun könnte.
Und es passt mir verdammt noch mal überhaupt nicht, dass Avery seine Meinung in einer Sache äußert, die ihn nichts angeht. Er kennt dich gar nicht. Und Michael auch nicht.« Doch während er spricht, hilft David mir vom Bett. Sobald ich stehe, lasse ich seine Kommentare an mir vorbeiziehen und mache innerlich Inventur. Ich fühle mich überraschend gut. Ein bisschen gerädert, aber meine Beine tragen mich, und ich kann Davids stützenden Arm loslassen. David runzelt die Stirn. »Bist du sicher, dass das gut ist?« Ich gehe die zwei Schritte hinüber zu dem Waschbecken an der Wand und schaue in den Spiegel. Da fängt es plötzlich an. Ich erinnere mich.
© 2006 by Jeanne C. Stein Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
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Autoren-Porträt von Jeanne C. Stein
Jeanne C. Stein wuchs in San Diego auf, wo auch ihre Anna-Strong-Romane spielen. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann außerhalb von Denver, Colorado. Neben der Arbeit an ihren Büchern gibt sie einen Newsletter für einen Bierimporteur heraus und hält sich durch Kickboxen in Form.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jeanne C. Stein
- 1104 Seiten, Maße: 13 x 19,1 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863656377
- ISBN-13: 9783863656379
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