Die schönsten Weihnachtsmärchen aus aller Welt
Dieser bezaubernde Weihnachtsmärchenschatz versammelt rund 60 Märchen aus vielen Sprachen und Kulturen. Eine abwechslungreiche Lektüre für die Adventszeit.
Aus Island, Schweden, Russland, Italien und vielen anderen...
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Produktinformationen zu „Die schönsten Weihnachtsmärchen aus aller Welt “
Dieser bezaubernde Weihnachtsmärchenschatz versammelt rund 60 Märchen aus vielen Sprachen und Kulturen. Eine abwechslungreiche Lektüre für die Adventszeit.
Aus Island, Schweden, Russland, Italien und vielen anderen Ländern stammen die hier präsentierten Weihnachts- und Adventsmärchen und -geschichten.
Mit u.a.:
Aus Island, Schweden, Russland, Italien und vielen anderen Ländern stammen die hier präsentierten Weihnachts- und Adventsmärchen und -geschichten.
Mit u.a.:
- Wie der Fuchs den Bären ums Weihnachtsessen prellt (Norwegen)
- Der kleine Schmied Verholen (England)
- Der Christbaum der armen Kinder (Russland)
- Der Schmutzli (Schweiz)
- Die Alfkönigin (Island)
- Die Haselrute (Deutschland)
- Wie Santa Claus zum Gabenbringer wurde (USA)
- Nussknacker und Mausekönig (Deutschland)
- Die Holzschuhe des kleinen Wolf (Frankreich)
- Das Ulta-Mädchen (Lappland)
Lese-Probe zu „Die schönsten Weihnachtsmärchen aus aller Welt “
Die schönsten Weihnachtsmärchen aus aller Welt von Erich Ackermann (Hrg.)Vorwort
Die Weihnachtszeit mit all ihrer Pracht, ihrem Zauber und ihrer Innerlichkeit scheint seit alters her der ideale Raum für das Märchen schlechthin zu sein. Dieses Fest aller Feste ist in der abendländischen Kultur eng verbunden mit der Jahreszeit des Winters mit all seinen Unbilden wie Schnee, Frost, Eis und Sturm, was aber zugleich auch einen eigentümlichen Reiz ausmacht, den Kontrast von unheimlichem Draußen und anheimelndem Drinnen. Insofern ist dieses nach innen gekehrte Fest eher in den nördlichen Breiten beheimatet. Und doch befindet sich der christliche Kern des Festes, die Geburt des Jesus-Kindes, landschaftlich ganz woanders. Dort, wo das Kind das Licht der Welt erblickte, im Orient, sieht die Welt auch klimatisch ganz und gar nicht so aus, wie man das aus Weihnachtspostkarten kennt. Auch wird im Lukas-Evangelium keine Jahreszeit für das Geschehen genannt, beileibe auch kein genaues Datum. Daraus lässt sich schließen, dass sich um das christliche Weihnachtsfest herum noch ganz andere vorchristliche Mythen und Bräuche ranken. Erst Papst Julius (337- 352) legte den 25. Dezember als Geburtstag Christi fest, das Datum, an dem man im heidnischen Rom feierlich das Fest des Sol Invictus, der unbesiegbaren Sonne, beging. Der Papst tat das wohl um die emotionale Wirkung dieses Tages für die Kirche nutzbar zu machen.
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Kern und Herzstück des Weihnachtsfestes ist gewiss die Geburt Christi, eines Erlösers, der schon im Alten Testament erwartet wurde. Der eigentliche Ursprung des Festes liegt aber schon früher im Einströmen von orientalischen religiösen Ideen in die griechisch-römische Welt, und über seine christliche Urprägung hinaus zeugt Weihnachten auch von der Verschmelzung und Assimilation christlichen Gedankengutes mit den heidnischen Kulturen des germanischen und keltischen Nordens.
Kulturgeschichtlich ist das Weihnachtsfest in zwei unterschiedliche Strömungen eingebettet:
Zum einen die verheißene Geburt eines göttlichen Kindes, das die Welt retten wird. Zum anderen die Feiern um die Wintersonnenwende, die vor allem in den nördlichen Gefilden als Wendepunkt von der Finsternis zum Licht angesehen wird.
Das Motiv der Geburt eines göttlichen Kindes ist vor allem im alten Orient verwurzelt, worin sich die Sehnsucht nach einem Heiland und Retter, aber auch nach einer neuen und heilen Zeit manifestiert. In Ägypten war es Horus, auch Harpokrates genannt, der als Kind von seiner Mutter Isis gesäugt und aufgezogen wurde. Keine Gottheit lag dem Volk mehr am Herzen als dieses göttliche heilbringende Kind. Im Alten Testament zeugt der Prophet Jesaja im 8. Jahrhundert v. Chr. von der Sehnsucht nach einem Erlöser, der alles wieder gut machen wird (»Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sein Name wird sein Immanuel«, Jesaja 7,12). Und in der griechischrömischen Welt der Zeitenwende wird ebenso das Kommen eines göttlichen Kindes erwartet, das in den heillosen Wirren ein neues Zeitalter des Friedens bringen wird.
In den eher nördlichen Breiten sehnten sich die Menschen nach dem Licht. Nach der langen Dunkelheit, die als bedrohlich angesehen wird, will man die Sonne zurückholen. Im Glauben und in den Mythen der Kelten und Germanen kämpften um die Wintersonnenwende herum die Dämonen und Unholde der Unterwelt gegen die kommende helle Jahreszeit. Der Winter ist die Zeit der Toten, die ins Leben zurückkehren wollen, und jedes Jahr aufs Neue tobt der wilde Kampf und jedes Mal obsiegt die Sonne. Auch diese keltischen und germanischen Winter dämonen haben einen nachhaltigen Einfluss auf das Weihnachtsfest hinterlassen. Es sind dies pelzzottige Gestalten wie Knecht Ruprecht, wie die Berchta, es ist das wilde Heer, das in den Zwölften oder Raunächten, den Nächten nach dem Christfest, über den Himmel braust und in stetem Kampf gegen das Aufflammen des Lichts, der hellen Jahrezeit ankämpft. Erst durch diesen ewigen mythischen Kampf in der Mythologie des Nordens hat das Weihnachtsfest den Zauber und den Reiz erhalten, den es bis heute in aller Welt als winterliches Fest besitzt. Das Julfest im Norden war die heiligste und zugleich gespenstigste Zeit des Jahres; dann zog Wodan (Odin) mit einem tief ins Gesicht gezogenen Sturmhut durch die Lüfte, begleitet von der Sturmgöttin Berchta, der Frau Holda. Da machte man es sich drinnen im sicheren Hause gemütlich und feierte zu Ehren dieses Sturmgottes. In den Raunächten trieben auch andere Dämonen ihr Unwesen und versuchten, die Menschen heimzusuchen. Trolle, Huldren und Werwölfe lauerten überall. Die Begleiter des Heiligen Nikolaus wie Knecht Ruprecht und Krampus zeugen noch davon. Knecht Ruprecht scheint noch der harmloseste dieser Gesellen zu sein. Er ist schon gezähmt und zivilisiert und hat sich seinem Herrn, St. Nikolaus, schon ein bisschen angeglichen, denn hinter seiner düsteren Gestalt verbirgt sich doch ein recht gutmütiger Gabenbringer. Manchmal knurrt er noch, aber nur zur Drohung. In den Sack steckt er aber die bösen Kinder nicht.
Ohne dieses heidnische Substrat wäre Weihnachten wie jedes andere Fest auch. Es fehlte ihm das, was den Menschen im Innersten betrifft: das Archaische, das in jedem schlummert.
Die Stimmung, das Gefühl, das diese Zeit vermittelt, darf nicht einfach als Kitsch abgetan werden. Solange ein innerer Bezug zu dem ganzen Geschehen um die Weihnachtszeit vorhanden ist, kann auch die gefühlvollste Stimmung nicht wirklich kitschig sein. Kitschig wird es erst, wenn sich Menschen bemüßigt sehen, Weihnachten in folkloristischer Manier nachahmen zu müssen, nur um vielleicht etwas von dem Gefühl abzubekommen, was andere als echt empfinden.
Märchen und Weihnachtszeit gehören seit dem 19. Jahrhundert zusammen, als das Weihnachtsfest sich immer mehr verinnerlichte und zur Familienfeier im trauten Heim wurde. Da erst setzten sich Adventskranz, Tannenbaum und die Zeremonie der Bescherung durch. Erzählen und Vorlesen von Märchen und anderen Geschichten sind eng mit der Winterzeit verbunden, die den Familienkreis ins Haus hineinzwang und in der vor allem im bäuerlichen Bereich mehr Zeit füreinander blieb.
Die Märchen, die in diesem Band zusammengestellt sind, stammen aus aller Welt, vor allem natürlich aus den landschaftlichen Breiten, für die das Weihnachtsfest ein prägendes Element ist. Sie spiegeln die schillernde Vielfalt des Weihnachtsfestes historisch wie geografisch wider. In ihnen schimmern die religiösen, mythischen und kulturellen Hintergründe, die Ideen, die echten und ursprünglichen, aber bisweilen auch die vorgespiegelten Gefühle durch. Sie schildern die Sehnsüchte, aber auch die Enttäuschungen von Menschen in jener segensvollen Zeit, die ihren Zauber wohl nie verlieren wird, solange es noch Menschen gibt, die nach einer vollkommenen Zeit streben.
Erich Ackermann
JACOBUS DE VORAGINE
Aus dem Leben des heiligen Nikolaus
Nikolaus war Bürger der Stadt Patara in Kleinasien und entstammte reichen und frommen Eltern. Sein Vater hieß Epiphanes, seine Mutter Johanna. Als seine Eltern ihn in der Blüte ihrer frühen Jugend gezeugt hatten, führten sie darauf ein keusches und jungfräuliches Leben. Der kleine Nikolaus aber stand schon, als er das erste Mal gebadet wurde, aufrecht in der Wanne. Auch sog er am vierten und sechsten Wochentag nur einmal an der Mutterbrust, denn das waren Fastentage. Als er aber ein junger Mann geworden war, da mied er die ausgelassenen Spiele seiner Altersgenossen, er ging lieber in Kirchen, und getreulich hielt er alles in seinem Gedächtnis fest, was er aus der Heiligen Schrift erfahren konnte. Und als seine Eltern gestorben waren, begann er, darüber nachzudenken, wie er eine so große Menge an Reichtum, die sie ihm hinterlassen hatten, verwenden könne, nicht um bei den Menschen, sondern um bei Gott Ruhm und Ehre zu erlangen.
Zur damaligen Zeit sah sich ein adliger Nachbar von ihm gezwungen, aus Geldnot seine drei jungen Töchter Liebesdienste ausführen zu lassen, um sich ernähren zu können. Sobald der Heilige das erfuhr, war er über diesen Frevel empört und warf heimlich des Nachts einen Klumpen Gold, den er in ein Tuch gewickelt hatte, durch ein Fenster ins Haus und verschwand dann ebenso heimlich. Als der Nachbar morgens aufstand, fand er den Klumpen Gold, dankte Gott und richtete seiner erstgeborenen Tochter die Hochzeit. Nicht viel später vollbrachte Nikolaus, der Diener Gottes, eine ähnliche Tat. Der Nachbar fand wieder Gold, brach in überschwängliches Lob aus, doch nahm er sich vor, künftig wach zu bleiben, denn er wollte wissen, welcher Wohltäter seine Not gelindert hatte. Einige Tage später warf Nikolaus einen doppelt so großen Klumpen Gold ins Haus. Durch dieses Geräusch aber wurde der Nachbar wach, er lief dem fliehenden Nikolaus nach und rief: »Bleibe stehen und zeige dich mir!«, und als er näher kam, da erkannte er, dass es Nikolaus war. Er warf sich sogleich vor ihm nieder und wollte die Füße des Heiligen küssen; der aber wehrte ab und verlangte von seinem Nachbarn, er solle niemandem etwas von dieser Wohltat verraten, solange er lebe.
Bald darauf wurde Nikolaus zum Bischof von Myra in Kleinasien gewählt und lebte fromm und in Demut.
Als nun eines Tages Seeleute auf dem Meer in Not waren, da beteten sie unter Tränen: »Nikolaus, Diener Gottes, wenn es wahr ist, was wir über dich hören, so wollen wir es nun in Erfahrung bringen.«
Und sogleich erschien ihnen jemand, der so wie Nikolaus aussah, und sprach: »Seht, hier bin ich, denn ihr habt mich gerufen. « Und er begann, ihnen an den Rahen, Tauen und dem anderen Takelwerk des Schiffes zu helfen, und sogleich ließ der Sturm nach. Als die Seeleute dann zu der Kirche des Heiligen gekommen waren, erkannten sie diesen, ohne ihn je vorher wirklich gesehen zu haben. Da dankten sie Gott und ihm. Der Heilige aber sagte ihnen, sie sollten ihre Rettung dem Erbarmen Gottes und ihrem Glauben zuschreiben, er selbst, Nikolaus, habe daran keinen Anteil.
Einmal auch suchte eine große Hungersnot die Provinz des heiligen Nikolaus heim, sodass es allen an Nahrung mangelte. Als aber der Mann Gottes hörte, dass mit Weizen beladene Schiffe im Hafen angelegt hätten, eilte er flugs dorthin und bat die Seeleute, den hungrigen Menschen zu helfen und ihnen doch wenigstens hundert Scheffel von jedem der Schiffe zu überlassen. Da antworteten jene: »Das wagen wir nicht, Vater, denn in Alexandria wurde alles genau aufgewogen, und wir müssen die ganze Ladung in den Lagerscheunen des Kaisers abliefern.« Darauf entgegnete ihnen der Heilige: »Macht, wie ich es euch sage, und ich verspreche euch bei der Macht Gottes, dass euch bei den kaiserlichen Verwaltern nichts von der Ladung fehlen wird.« Das taten denn auch die Seeleute, und als sie den kaiserlichen Verwaltern die Ladung abgeliefert hatten, da war es genau die Menge, die sie in Alexandria geladen hatten. Da erzählten sie von dem Wunder, und in den höchsten Tönen lobten sie Gott in seinem Diener. Der Mann Gottes aber verteilte das Getreide jedem nach seiner Bedürftigkeit, sodass es auf wunderbare Weise für zwei Jahre nicht nur zur Nahrung ausreichte, sondern auch noch reichlich als Saat übrig blieb.
Auch nach seinem Tode noch vollbrachte der heilige Nikolaus viele Wunder. So beging ein Mann aus Liebe zu seinem Sohn, der die Wissenschaften erlernte, jedes Jahr feierlich das Fest des heiligen Nikolaus. Nun hatte der Vater wieder einmal ein Mahl herrichten lassen und viele Geistliche eingeladen. Es kam aber auch der Teufel in Gestalt eines Pilgers an die Tür und erbat sich ein Almosen. Und der Vater hieß sogleich seinen Sohn, dem Pilger ein Almosen zu geben. Der Sohn eilte zur Tür, und da er den Pilger dort nicht mehr vorfand, lief er ihm hinterher. An einer Wegkreuzung aber ergriff der Teufel den Jungen und erwürgte ihn. Als der Vater dies hörte, brach er in lautes Wehklagen aus, holte den Leichnam und legte ihn ins Schlafgemach. Vor Schmerz begann er laut zu klagen: »Geliebter Sohn, wie steht es nun um dich! Ist das der Lohn für die Ehre, heiliger Nikolaus, die ich dir so lange erwiesen habe?« Und als er diese und noch weitere Wehklagen ausstieß, da öffnete der Knabe sogleich die Augen und stand auf, als hätte er nur geschlafen.
Vom heiligen Nikolaus und dem Dieb
Es war einmal in einer Stadt ein Dieb, der hatte schon viel Schlimmes getan.
Einmal beraubte er einen reichen Mann, das wurde entdeckt, und man verfolgte ihn. Lange Zeit lief der Dieb durch den Wald davon, aber endlich kam er an eine freie Steppe, die war viel leicht zehn Werst lang. Da blieb der Dieb stehen und wusste nicht, was er machen sollte.
Lief er über die Steppe, so fingen ihn seine Verfolger gleich ein, denn man sah auf der Steppe alles von Weitem, und er hörte, dass seine Verfolger ihm schon nahe waren. Da begann er zu beten: »Herr, vergib meiner sündigen Seele! Väterchen, heiliger Nikolaus, verbirg mich, dann opfere ich dir eine dicke Wachskerze.«
Plötzlich stand ein älterer Mann vor dem Dieb und fragte: »Was hast du gesagt?«
Der Dieb antwortete: »Ich flehte: Väterchen, heiliger Nikolaus, verbirg mich in dieser Öde, und dann versprach ich, ihm eine Kerze zu weihen.«
Darauf beichtete der Dieb dem Alten seine Sünde.
Der Alte sagte: »Wenn du willst, krieche in dieses Aas.« Es lag da ein Aas in der Nähe, und der Dieb konnte sich nicht helfen und musste in das Aas kriechen, denn er wollte nicht gefangen werden. Er kroch hinein, und im selben Augenblick war der Alte verschwunden, denn es war der heilige Nikolaus selber gewesen.
Die Verfolger kamen, ritten wohl einen halben Werst weit in die Steppe hinein, aber als sie niemand sahen, kehrten sie wieder um. Der Dieb lag mittlerweile im Aas und konnte kaum atmen, des faulen Geruchs wegen. Als die Verfolger verschwunden waren, stieg er heraus und sah wieder jenen Greis in der Nähe stehen und Wachs einsammeln. Der Dieb trat zu ihm und dankte für seine Befreiung. Da fragte der Alte wieder: »Was hast du dem heiligen Nikolaus versprochen, als du eine Zuflucht suchtest?«
Der Dieb antwortete: »Ich versprach ihm eine Kerze.«
»So ist es! So übel riechend aber, wie dir das Aas erschien, in dem du verborgen lagst, ebenso erschien dem heiligen Nikolaus deine Kerze! Flehe niemals«, fügte der Alte noch hinzu, »Gott den Herrn und die Heiligen, seine Diener, um schlechter Dinge willen an, denn Gott segnet sie nicht. Gib acht und merk dir meine Worte. Sag es auch den andern, dass sie Gott nicht um Böses bitten!«
Er sagte es und verschwand.
Russland
Nikolaus, der Wundertäter
Es waren einmal zwei Brüder, der eine war reich und der andere arm. Der Arme hatte eine große Familie, und zu essen gab es nichts mehr. Da ging er zum Bruder und bat ihn um Mehl; doch der schlug es ihm ab. Der Arme nahm ein Bild von Nikolaus, dem Wundertäter, und brachte es dem Reichen als Pfand. Der Bruder traute ihm nicht und fragte: »Wer wird für dich bürgen?« Da antwortete das Heiligenbild: »Ich bürge für ihn.« Der Reiche verwunderte sich darob, aber nahm das Bild an und gab dafür einen Sack Mehl.
Ein Jahr verging, ein zweites und ein drittes, aber der Arme zahlte dem Bruder die Schuld nicht zurück. »Welch ein Betrüger ist doch der Heilige!«, dachte der Bruder, »und dabei hat er noch gesagt, er verbürge sich.« Er nahm das Heiligenbild, brach sich Ruten ab und trug das Bild hinaus auf das Feld, um es dort zu prügeln. Unterwegs begegnete ihm ein Kaufmannssohn und fragte, wohin er das Bild trage. Der Reiche erklärte es ihm. Da bat jener, er möge ihm den wundertätigen Nikolaus verkaufen, gab zwei Sack Mehl für ihn und trug ihn heim. Seine Mutter lobte ihn für die gute Tat, und sie hängten das Bild auf.
Zu dieser Zeit musste der Kaufmann mit seinen Schiffen in ein anderes Zarenreich fahren; drei seiner Onkel hatten sich schon mit ihren Waren auf die Reise gemacht und nicht auf ihn gewartet. Da wollte er einen Aufseher in seinen Dienst nehmen und fand auch einen. Die Mutter schenkte dem Aufseher ein Ei und sagte, er solle es zusammen mit ihrem Sohn verspeisen. Jener schnitt das Ei in die Hälfte, aber die größere nahm er für sich, die kleinere gab er dem Hausherrn. Da befahl die Mutter, diesen Mann laufen zu lassen, und sagte: »Er sorgt mehr für sich als für seinen Herrn.« Der Kaufmann suchte nun so lange einen Aufseher, bis er einen solchen fand, der die größere Hälfte vom Ei seinem Herrn gab und die kleinere für sich selber nahm.
Sie machten sich dann auf und fuhren ab. Auf dem Meere kamen sie an einer Insel vorbei, und auf der Insel erblickten sie einen alten Mann, der bat sie, ihn auf ihr Schiff hinüberzuholen, und das taten sie auch. Dann fuhren sie in das fremde Zaren- reich und handelten so glücklich, dass sie das Geld nicht mehr zu zählen vermochten.
Der Zar in dem Lande hatte eine Tochter, die war einmal in ihrer Kindheit von ihm verflucht worden; sie starb darauf und lag schon lange in der Kirche im Sarge. Jede Nacht gingen die Leute einer nach dem andern zu ihr, den Psalter zu lesen, und alle fraß sie auf. So kam auch die Reihe an einen der Onkel des Kaufmannssohnes. Was sollte er tun? Sterben wollte er nicht, aber fortbleiben durfte er nicht. Da bat er den Neffen, für ihn zu wachen. Der ging aber vorher zum Alten und holte sich von ihm Rat, und der Alte sagte ihm, er solle dafür von dem Onkel zwei Schiffe mit Waren verlangen, gab ihm auch ein Buch und ein Stück Kohle und befahl ihm, sich in der Kirche nicht umzuschauen. Der Neffe tat, wie er ihm geraten hatte, las in der Nacht den Psalter am Lesepult in der Kirche und zeichnete um sich herum mit der Kohle einen Kreis. Um Mitternacht aber, da stieg die Zarentochter aus dem Grabe und fing an, mit den Zähnen zu knirschen. »Ha! Jetzt bist du mir verfallen!« Doch sie konnte auf keine Art in den aufgezeichneten Kreis hineingelangen. Sie wand sich und mühte sich, bis ihre Zeit herum war und sie dort am Kreise niederfiel. Der Neffe aber las immerzu; am Morgen hob er die Zarentochter auf, legte sie zurück in den Sarg und ging selber nach Hause. Sie alle, das Volk und der Zar, staunten, dass er am Leben geblieben war. Der Onkel jedoch musste ihm zwei Schiffe geben; die Waren gingen rasch ab, und Geld hatte er nun scheffelweise.
In der nächsten Nacht kam die Reihe an den zweiten Onkel, in der übernächsten an den dritten; der Neffe nahm von ihnen je zwei Schiffe und wachte unbeschadet. Endlich, in der vierten Nacht, musste er für sich selber Wache halten. Da gab ihm der Alte drei eiserne, drei kupferne und drei stählerne Ruten und sprach zu ihm: »Zwing sie, ein Vaterunser zu beten, und sobald sie ins Stocken gerät, prügle sie mit den Ruten.« Der Kaufmannssohn ging zur Nacht in die Kirche, zeichnete den Kreis um sich herum und las. Die Zarentochter sprang um Mitternacht aus dem Grabe und fing an zu wüten, noch ärger als in den ersten drei Nächten. Sie hatte mit einem Mal Ofenkrücken in den Händen und zerrte ihn damit fast aus dem Kreise heraus; rund herum aber tobten zahllose Teufel und machten fürchterlichen Lärm. Endlich blieb die Zarentochter ganz ermattet stehen, aber fiel nicht um. Da zwang sie der Kaufmannssohn, das Vaterunser zu beten. Und wie sie nun anfing und dann stecken blieb, schlug er mit den eisernen Ruten auf sie ein. Danach musste sie aber weiterlesen, kam bis zur Hälfte und stockte abermals; da prügelte er sie aufs Neue mit den kupfernen Ruten. Und wieder zwang er sie weiterzulesen, und sie war noch nicht zu Ende gelangt, als sie nochmals ins Stocken geriet: Da schlug er sie mit den stählernen Ruten. Dann las sie jedoch richtig bis zum Schluss.
Der Morgen war schon angebrochen, und hinter den Türen fragten die Leute einander: »Lebt er wohl noch?« Und als sie zwei Stimmen hörten, wunderten sie sich: »Was soll das bedeuten? « Sie öffneten die Tür und sahen den Kaufmannssohn und die Zarentochter beieinander. Gleich meldeten sie's dem Zaren. Der freute sich darüber sehr und gab dem Kaufmannssohn seine Tochter zur Frau.
Die Waren hatten sie inzwischen verkauft, und es war Zeit heimzukehren. Der Alte aber sagte dem Kaufmannssohn, dass er seiner Frau des Nachts nicht eher beiwohnen solle, bis er es ihm erlauben würde. Sie fuhren nun auf ihren Schiffen und kamen zu jener Insel. Da sprach der Alte: »Jetzt wollen wir unsern Verdienst teilen.« Sie legten ihre Millionen auf zwei Hälften, und dann sollte auch die Frau geteilt werden. Der Jüngling betrübte sich gar sehr, aber es war nichts zu machen, so hatten sie es vorher verabredet, und er willigte schließlich ein. Der Alte nahm einen Säbel und hieb die Zarentochter in zwei Hälften: Da krochen aus ihrem Leibe allerhand Ungeziefer und Schlangen; das waren aber alles Teufel. Der Alte reinigte den Leib und besprengte ihn mit Wasser, da wuchs er zusammen, und die Zarentochter ward wieder lebendig. »Hier hast du deine wahre Frau«, sprach der Alte, »leb du mit ihr und nimm alles Geld, ich bedarf dessen nicht.« Nur drei Kopeken nahm er mit sich, und dann verschwand er plötzlich, keine Spur war mehr von ihm zu sehn. Dem Kaufmannssohn war es leid um den Alten, er hatte ihn lieb gewonnen wie einen Vater, aber da ließ sich nichts tun, und er reiste heim.
Zu Hause erzählte er der Mutter von ihm, berichtete, was ihm begegnet war, und bedauerte den Alten. Die Mutter aber sprach zu ihm: »Warum dachtest du nicht an den wundertätigen Nikolaus? Hättest du ihm doch vorher eine Kerze geweiht.« Da besann er sich darauf und ging zu dem Heiligenbild, dort brannte aber schon eine Kerze für drei Kopeken. Sie fragten herum, wer sie wohl gestiftet habe, denn der Heilige hätte eine für einen Rubel haben sollen, doch niemand bekannte sich dazu. Da erriet er, dass der Alte der heilige Nikolaus, der Wundertäter, gewesen war und für jene drei Kopeken sich selbst eine Kerze aufgestellt hatte. Sie ließen die Kerze brennen, und mit all dem Gut, das sie erworben hatten, lebten sie glücklich und zufrieden.
Väterchen Frost
Es war einmal ein alter Mann und eine alte Frau, die hatten drei Töchter. Die Frau konnte die älteste nicht leiden, denn sie war ihre Stieftochter. Sie zankte mit ihr, weckte sie früh und lastete ihr alle Arbeit auf. Das Mädchen musste das Vieh tränken und füttern, Holz und Wasser tragen, den Ofen heizen und Kleider nähen. Sie musste die Hütte stets vor Tagesanbruch fegen und in Ordnung bringen. Die Alte war aber trotzdem immer unzufrieden und brummte: »Wie faul und unordentlich, der Besen steht nicht an seinem Platz, dies fehlt und jenes und die Hütte ist schmutzig.«
Das Mädchen weinte und schwieg dazu, sie versuchte alles, um die Stiefmutter zufriedenzustellen und ihren Töchtern behilflich zu sein. Die Töchter machten es aber wie die Mutter, sie kränkten Marfuschka, stritten mit ihr und wenn sie darüber weinte, so war es ihnen recht. Sie selbst standen spät auf, wuschen sich in dem vorbereiteten Wasser, trockneten sich mit reinen Handtüchern ab und machten sich erst an die Arbeit, wenn es zum Essen ging.
So wuchsen die Mädchen heran und wurden reif zur Ehe. - Rasch erzählt man, langsam erlebt man. - Dem Alten tat seine Tochter leid; er liebte sie, weil sie gehorsam war und arbeitsam: Niemals war sie eigensinnig, immer tat sie, was man ihr auftrug, ohne ein Wort der Widerrede. Der Alte konnte aber dem Jammer nicht abhelfen, er war schwächlich, die Alte zänkisch und die Töchter faul und störrisch.
Die Alten überlegten: Er, wie die Töchter zu verheiraten seien, und sie, wie man die älteste los werden könnte. Eines Tages sagte die Alte zu ihm: »Alter! Verheiraten wir Marfuschka!«
»Gut!«, sagte er und stieg auf den Herd.
Die Alte folgte ihm nach und sprach: »Steh morgen früh auf, spanne das Pferd vor den Holzschlitten und fahre mit Marfuschka fort. Du, Marfuschka, sammle dein Hab und Gut in ein Körbchen, ziehe ein reines Hemd an, morgen fährst du auf Besuch. «
Die gute Marfuschka war froh über das Glück und schlief die ganze Nacht süß. Frühmorgens stand sie auf, wusch sich, betete, packte alles ordentlich ein und schmückte sich. Das Mädchen war so schön wie man noch kein Bräutchen gesehen.
Es war Winter und es herrschte ein grimmiger Frost. Vor Morgengrauen stand der Alte auf, spannte das Pferd vor den Schlitten und führte es vor das Haus. Er selbst ging hinein, setzte sich auf die Bank und sagte: »Nun habe ich alles vorbereitet. «
»Setzt euch an den Tisch und esst«, sagt die Alte.
Der Brotkorb stand auf dem Tisch und er nahm ein Brot he raus, das er mit seiner Tochter teilte. Die Stiefmutter brachte mittlerweile alte Suppe und sagte: »Nun, Liebchen, iss und fort mit dir, ich musste dich lange genug ansehen! Alter, führe Marfuschka zu ihrem Bräutigam, aber gib auf den Weg acht, alter Narr, fahre erst die gerade Straße hinunter und dann biege rechts in den Wald ein - weißt du, gerade bei der großen Fichte, die auf dem Hügel steht, dort übergib Marfuschka dem Frost.«
Der Alte riss die Augen auf, sperrte den Mund auf, hörte auf zu kauen und das Mädchen heulte.
»Was gibt es da zu jammern! Der Bräutigam ist ja schön und reich! Seht nur wie viel Gut er hat: Alle Tannen und Fichten glitzern und die Birken sind voll Flaum. Ein herrlicheres Leben gibt es kaum und er selber ist ein starker Held.«
Der Alte sammelte schweigend alle Habseligkeiten zusammen, befahl der Tochter, ihr Schafpelzchen anzuziehen und machte sich auf den Weg. Ob die Reise kurz war oder lang, ist mir wirklich nicht bekannt. - Rasch erzählt man, langsam erlebt man. - Endlich erreichten sie die Fichte, bogen vom Weg ab - da stürmte gerade der Schnee. In der Einöde machte der Alte halt, befahl der Tochter auszusteigen, setzte ihr Körbchen unter eine ungeheure Fichte und sagte: »Setze dich hierher, erwarte den Bräutigam und empfange ihn nur ja freundlich.«
Daraufhin wandte er sein Pferd um und fuhr nach Hause.
Das Mädchen saß da und zitterte. Kälte durchschauerte sie. Sie wollte weinen, doch ihr fehlte die Kraft, nur die Zähne schlugen zusammen. Plötzlich hörte sie von Ferne den Frost auf einer Tanne knarren, er sprang von Tanne zu Tanne und pfiff. Endlich war er hoch oben auf der Fichte, unter der das Mädchen saß und er fragte: »Mädchen ist dir warm?«
»Ach ja, Väterchen Frost!«
Der Frost ließ sich tiefer herab, knarrte und pfiff noch mehr als vorher: »Mädchen, sag, schönes Mädchen, ist dir warm?«
Dem Mädchen verging fast der Atem, aber sie sagte noch: »Warm ist mir, Väterchen Frost.«
Da knirschte der Frost noch mehr und pfiff: »Ist dir warm, Mädchen, ist dir warm, schönes Kind, ist dir warm mein Herzchen? «
Das Mädchen war fast erstarrt und sagte kaum hörbar: »Warm, Väterchen.«
Da hatte der Frost Erbarmen und hüllte das Mädchen in Pelze und wärmende Decken ein.
Am nächsten Morgen sagte die Alte zu ihrem Mann: »Geh, alter Narr, und wecke das junge Paar.«
Der Alte spannte sein Pferd vor den Schlitten und fuhr zu seiner Tochter. Er fand sie am Leben, eingehüllt in einen schönen Pelz und in ein seidenes Tuch, und schöne Geschenke lagen in ihrem Körbchen. Ohne ein Wort zu sagen legte der Alte alles in seinen Schlitten, stieg mit der Tochter ein und fuhr nach Hause. Dort fiel das Mädchen der Stiefmutter zu Füßen.
Die Alte wunderte sich sehr, als sie das Mädchen am Leben sah und den neuen Pelz und den Korb voll Wäsche. »Eh, mich betrügst du nicht!«, sagte sie.
Nach einigen Tagen sagte die Alte. »Führe meine Töchter zum Bräutigam, er wird sie noch ganz anders beschenken.«
Langsam erlebt man, schnell erzählt man! Am Morgen weckte die Alte ihre Töchter, schmückte sie, wie es sich zur Hochzeit schickt, und ließ sie ziehen.
Der Alte fuhr denselben Weg und ließ die Mädchen bei derselben Fichte zurück.
Die Mädchen saßen und lachten. »Was fällt Mütterchen ein, uns plötzlich beide zu verheiraten? Als wären bei uns im Dorf nicht Burschen genug! Wer weiß was hier für ein Teufel kommt!«
Die Mädchen hatten große Pelze an, aber trotz dem nagte die Kälte an ihnen.
»Paracha, mir läuft der Frost über die Haut, wenn die Erwählten nicht bald kommen, erfrieren wir.«
»Unsinn, Mascha, seit wann kommt ein Bräutigam so früh, jetzt ist erst Essenszeit«
»Paracha, wenn nur einer kommt, wen wird er da nehmen.«
»Dich nicht, du Gans.«
»Dich etwa?«
»Gewiss.«
»Lass dich nicht auslachen!«
Der Frost nagte den Mädchen an den Händen. Sie versteckten ihre Hände im Pelz und begannen neuerdings: »Du verschlafener Fratz, du böse Pest, du Lästermaul. Spinnen kannst du nicht und ans Beten denkst du gar nicht.«
»Oh du Prahlerin, was kannst denn du? In den Spinnstuben herumlaufen und tratschen. Warten wir es ab, wen er nimmt.«
So stritten die Mädchen und froren ernstlich. »Ei bist du blau geworden!«, sagten sie einstimmig.
Weit weg knarrte der Frost, sprang von Tanne zu Tanne und pfiff. Den Mädchen schien, als käme jemand gefahren.
»Hui, Paracha, er kommt mit Glöckchen ge fahren!«
»Geh weg, Närrin, mich schüttelt der Frost.«
»Aber heiraten willst du doch?«
Sie bliesen auf ihre Finger. Der Frost kam näher und näher, endlich ließ er sich auf der Fichte über den Mädchen nieder. »Ist euch warm, Mäd chen, ist euch warm, schöne Täubchen?«
»Ach, Frost, uns ist so kalt, wir sind fast er froren. Wir erwarten den Bräutigam und der Teufel kommt nicht!«
Der Frost ließ sich tiefer herab und knarrte und pfiff noch mehr: »Ist euch warm, Mädchen, ist euch warm, meine Schönen?«
»Geh zum Teufel! Bist du blind, Hände und Füße sind uns schon abgefroren.«
Da ließ sich der Frost noch näher herab, schlug fest zu und fragte: »Mädchen, ist euch warm?«
»Geh zu allen Teufeln ins Wasser und faule, Verfluchter!«
Da waren die Mädchen erstarrt.
Am Morgen sagte die Alte zu ihrem Mann: »Spanne ein, nimm Heu in den Schlitten und warme Decken, den Mädchen wird kalt sein. Ein starker Wind ist draußen! Mach flink, alter Narr!«
Der Alte ließ sich kaum Zeit zum Frühstück, und fuhr fort. Als er zu den Töchtern kam, waren sie tot. Er lud sie auf den Schlitten, schlug sie in die Decken ein, legte das Heu darüber und kehrte heim.
Die Alte sah ihn von weitem kommen und lief ihm entgegen: »Wo sind die Kinder?«
»Im Schlitten.«
Die Alte stieß das Heu beiseite, hob die Decken auf und fand die Kinder tot. Da ging sie wie ein Gewitter über den Alten nieder und schimpfte: »Was hast du, alter Hund, getan? Mit meinen Töchterchen, meinen eigenen, süßen Sprösslingen, meinen roten Beerchen? Ich erschlage dich mit dem Besenstiel, mit dem Feuerhacken erschlage ich dich!«
»Ruhig, alte Hexe, dich lockte der Reichtum, aber deine Töchter waren widerspenstig. Ich bin nicht schuld, du wolltest es selbst!«
Die Alte war zornig und zankte noch lange, versöhnte sich aber später mit der Stieftochter und so lebten sie gut und mit Bedacht, an das Böse wurde nicht mehr gedacht. Ein Nachbar kam und freite und hielt mit Marfuschka Hochzeit. Es ging ihr gut. Der Alte nahm die Enkel in seine Hut, schüchterte mit dem Frost sie ein und hieß sie willig und fleißig sein. Ich war bei der Hochzeit, trank Honigbier. Es kam mir nicht in den Mund, nur über den Schnurrbart floss es mir.
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Kern und Herzstück des Weihnachtsfestes ist gewiss die Geburt Christi, eines Erlösers, der schon im Alten Testament erwartet wurde. Der eigentliche Ursprung des Festes liegt aber schon früher im Einströmen von orientalischen religiösen Ideen in die griechisch-römische Welt, und über seine christliche Urprägung hinaus zeugt Weihnachten auch von der Verschmelzung und Assimilation christlichen Gedankengutes mit den heidnischen Kulturen des germanischen und keltischen Nordens.
Kulturgeschichtlich ist das Weihnachtsfest in zwei unterschiedliche Strömungen eingebettet:
Zum einen die verheißene Geburt eines göttlichen Kindes, das die Welt retten wird. Zum anderen die Feiern um die Wintersonnenwende, die vor allem in den nördlichen Gefilden als Wendepunkt von der Finsternis zum Licht angesehen wird.
Das Motiv der Geburt eines göttlichen Kindes ist vor allem im alten Orient verwurzelt, worin sich die Sehnsucht nach einem Heiland und Retter, aber auch nach einer neuen und heilen Zeit manifestiert. In Ägypten war es Horus, auch Harpokrates genannt, der als Kind von seiner Mutter Isis gesäugt und aufgezogen wurde. Keine Gottheit lag dem Volk mehr am Herzen als dieses göttliche heilbringende Kind. Im Alten Testament zeugt der Prophet Jesaja im 8. Jahrhundert v. Chr. von der Sehnsucht nach einem Erlöser, der alles wieder gut machen wird (»Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sein Name wird sein Immanuel«, Jesaja 7,12). Und in der griechischrömischen Welt der Zeitenwende wird ebenso das Kommen eines göttlichen Kindes erwartet, das in den heillosen Wirren ein neues Zeitalter des Friedens bringen wird.
In den eher nördlichen Breiten sehnten sich die Menschen nach dem Licht. Nach der langen Dunkelheit, die als bedrohlich angesehen wird, will man die Sonne zurückholen. Im Glauben und in den Mythen der Kelten und Germanen kämpften um die Wintersonnenwende herum die Dämonen und Unholde der Unterwelt gegen die kommende helle Jahreszeit. Der Winter ist die Zeit der Toten, die ins Leben zurückkehren wollen, und jedes Jahr aufs Neue tobt der wilde Kampf und jedes Mal obsiegt die Sonne. Auch diese keltischen und germanischen Winter dämonen haben einen nachhaltigen Einfluss auf das Weihnachtsfest hinterlassen. Es sind dies pelzzottige Gestalten wie Knecht Ruprecht, wie die Berchta, es ist das wilde Heer, das in den Zwölften oder Raunächten, den Nächten nach dem Christfest, über den Himmel braust und in stetem Kampf gegen das Aufflammen des Lichts, der hellen Jahrezeit ankämpft. Erst durch diesen ewigen mythischen Kampf in der Mythologie des Nordens hat das Weihnachtsfest den Zauber und den Reiz erhalten, den es bis heute in aller Welt als winterliches Fest besitzt. Das Julfest im Norden war die heiligste und zugleich gespenstigste Zeit des Jahres; dann zog Wodan (Odin) mit einem tief ins Gesicht gezogenen Sturmhut durch die Lüfte, begleitet von der Sturmgöttin Berchta, der Frau Holda. Da machte man es sich drinnen im sicheren Hause gemütlich und feierte zu Ehren dieses Sturmgottes. In den Raunächten trieben auch andere Dämonen ihr Unwesen und versuchten, die Menschen heimzusuchen. Trolle, Huldren und Werwölfe lauerten überall. Die Begleiter des Heiligen Nikolaus wie Knecht Ruprecht und Krampus zeugen noch davon. Knecht Ruprecht scheint noch der harmloseste dieser Gesellen zu sein. Er ist schon gezähmt und zivilisiert und hat sich seinem Herrn, St. Nikolaus, schon ein bisschen angeglichen, denn hinter seiner düsteren Gestalt verbirgt sich doch ein recht gutmütiger Gabenbringer. Manchmal knurrt er noch, aber nur zur Drohung. In den Sack steckt er aber die bösen Kinder nicht.
Ohne dieses heidnische Substrat wäre Weihnachten wie jedes andere Fest auch. Es fehlte ihm das, was den Menschen im Innersten betrifft: das Archaische, das in jedem schlummert.
Die Stimmung, das Gefühl, das diese Zeit vermittelt, darf nicht einfach als Kitsch abgetan werden. Solange ein innerer Bezug zu dem ganzen Geschehen um die Weihnachtszeit vorhanden ist, kann auch die gefühlvollste Stimmung nicht wirklich kitschig sein. Kitschig wird es erst, wenn sich Menschen bemüßigt sehen, Weihnachten in folkloristischer Manier nachahmen zu müssen, nur um vielleicht etwas von dem Gefühl abzubekommen, was andere als echt empfinden.
Märchen und Weihnachtszeit gehören seit dem 19. Jahrhundert zusammen, als das Weihnachtsfest sich immer mehr verinnerlichte und zur Familienfeier im trauten Heim wurde. Da erst setzten sich Adventskranz, Tannenbaum und die Zeremonie der Bescherung durch. Erzählen und Vorlesen von Märchen und anderen Geschichten sind eng mit der Winterzeit verbunden, die den Familienkreis ins Haus hineinzwang und in der vor allem im bäuerlichen Bereich mehr Zeit füreinander blieb.
Die Märchen, die in diesem Band zusammengestellt sind, stammen aus aller Welt, vor allem natürlich aus den landschaftlichen Breiten, für die das Weihnachtsfest ein prägendes Element ist. Sie spiegeln die schillernde Vielfalt des Weihnachtsfestes historisch wie geografisch wider. In ihnen schimmern die religiösen, mythischen und kulturellen Hintergründe, die Ideen, die echten und ursprünglichen, aber bisweilen auch die vorgespiegelten Gefühle durch. Sie schildern die Sehnsüchte, aber auch die Enttäuschungen von Menschen in jener segensvollen Zeit, die ihren Zauber wohl nie verlieren wird, solange es noch Menschen gibt, die nach einer vollkommenen Zeit streben.
Erich Ackermann
JACOBUS DE VORAGINE
Aus dem Leben des heiligen Nikolaus
Nikolaus war Bürger der Stadt Patara in Kleinasien und entstammte reichen und frommen Eltern. Sein Vater hieß Epiphanes, seine Mutter Johanna. Als seine Eltern ihn in der Blüte ihrer frühen Jugend gezeugt hatten, führten sie darauf ein keusches und jungfräuliches Leben. Der kleine Nikolaus aber stand schon, als er das erste Mal gebadet wurde, aufrecht in der Wanne. Auch sog er am vierten und sechsten Wochentag nur einmal an der Mutterbrust, denn das waren Fastentage. Als er aber ein junger Mann geworden war, da mied er die ausgelassenen Spiele seiner Altersgenossen, er ging lieber in Kirchen, und getreulich hielt er alles in seinem Gedächtnis fest, was er aus der Heiligen Schrift erfahren konnte. Und als seine Eltern gestorben waren, begann er, darüber nachzudenken, wie er eine so große Menge an Reichtum, die sie ihm hinterlassen hatten, verwenden könne, nicht um bei den Menschen, sondern um bei Gott Ruhm und Ehre zu erlangen.
Zur damaligen Zeit sah sich ein adliger Nachbar von ihm gezwungen, aus Geldnot seine drei jungen Töchter Liebesdienste ausführen zu lassen, um sich ernähren zu können. Sobald der Heilige das erfuhr, war er über diesen Frevel empört und warf heimlich des Nachts einen Klumpen Gold, den er in ein Tuch gewickelt hatte, durch ein Fenster ins Haus und verschwand dann ebenso heimlich. Als der Nachbar morgens aufstand, fand er den Klumpen Gold, dankte Gott und richtete seiner erstgeborenen Tochter die Hochzeit. Nicht viel später vollbrachte Nikolaus, der Diener Gottes, eine ähnliche Tat. Der Nachbar fand wieder Gold, brach in überschwängliches Lob aus, doch nahm er sich vor, künftig wach zu bleiben, denn er wollte wissen, welcher Wohltäter seine Not gelindert hatte. Einige Tage später warf Nikolaus einen doppelt so großen Klumpen Gold ins Haus. Durch dieses Geräusch aber wurde der Nachbar wach, er lief dem fliehenden Nikolaus nach und rief: »Bleibe stehen und zeige dich mir!«, und als er näher kam, da erkannte er, dass es Nikolaus war. Er warf sich sogleich vor ihm nieder und wollte die Füße des Heiligen küssen; der aber wehrte ab und verlangte von seinem Nachbarn, er solle niemandem etwas von dieser Wohltat verraten, solange er lebe.
Bald darauf wurde Nikolaus zum Bischof von Myra in Kleinasien gewählt und lebte fromm und in Demut.
Als nun eines Tages Seeleute auf dem Meer in Not waren, da beteten sie unter Tränen: »Nikolaus, Diener Gottes, wenn es wahr ist, was wir über dich hören, so wollen wir es nun in Erfahrung bringen.«
Und sogleich erschien ihnen jemand, der so wie Nikolaus aussah, und sprach: »Seht, hier bin ich, denn ihr habt mich gerufen. « Und er begann, ihnen an den Rahen, Tauen und dem anderen Takelwerk des Schiffes zu helfen, und sogleich ließ der Sturm nach. Als die Seeleute dann zu der Kirche des Heiligen gekommen waren, erkannten sie diesen, ohne ihn je vorher wirklich gesehen zu haben. Da dankten sie Gott und ihm. Der Heilige aber sagte ihnen, sie sollten ihre Rettung dem Erbarmen Gottes und ihrem Glauben zuschreiben, er selbst, Nikolaus, habe daran keinen Anteil.
Einmal auch suchte eine große Hungersnot die Provinz des heiligen Nikolaus heim, sodass es allen an Nahrung mangelte. Als aber der Mann Gottes hörte, dass mit Weizen beladene Schiffe im Hafen angelegt hätten, eilte er flugs dorthin und bat die Seeleute, den hungrigen Menschen zu helfen und ihnen doch wenigstens hundert Scheffel von jedem der Schiffe zu überlassen. Da antworteten jene: »Das wagen wir nicht, Vater, denn in Alexandria wurde alles genau aufgewogen, und wir müssen die ganze Ladung in den Lagerscheunen des Kaisers abliefern.« Darauf entgegnete ihnen der Heilige: »Macht, wie ich es euch sage, und ich verspreche euch bei der Macht Gottes, dass euch bei den kaiserlichen Verwaltern nichts von der Ladung fehlen wird.« Das taten denn auch die Seeleute, und als sie den kaiserlichen Verwaltern die Ladung abgeliefert hatten, da war es genau die Menge, die sie in Alexandria geladen hatten. Da erzählten sie von dem Wunder, und in den höchsten Tönen lobten sie Gott in seinem Diener. Der Mann Gottes aber verteilte das Getreide jedem nach seiner Bedürftigkeit, sodass es auf wunderbare Weise für zwei Jahre nicht nur zur Nahrung ausreichte, sondern auch noch reichlich als Saat übrig blieb.
Auch nach seinem Tode noch vollbrachte der heilige Nikolaus viele Wunder. So beging ein Mann aus Liebe zu seinem Sohn, der die Wissenschaften erlernte, jedes Jahr feierlich das Fest des heiligen Nikolaus. Nun hatte der Vater wieder einmal ein Mahl herrichten lassen und viele Geistliche eingeladen. Es kam aber auch der Teufel in Gestalt eines Pilgers an die Tür und erbat sich ein Almosen. Und der Vater hieß sogleich seinen Sohn, dem Pilger ein Almosen zu geben. Der Sohn eilte zur Tür, und da er den Pilger dort nicht mehr vorfand, lief er ihm hinterher. An einer Wegkreuzung aber ergriff der Teufel den Jungen und erwürgte ihn. Als der Vater dies hörte, brach er in lautes Wehklagen aus, holte den Leichnam und legte ihn ins Schlafgemach. Vor Schmerz begann er laut zu klagen: »Geliebter Sohn, wie steht es nun um dich! Ist das der Lohn für die Ehre, heiliger Nikolaus, die ich dir so lange erwiesen habe?« Und als er diese und noch weitere Wehklagen ausstieß, da öffnete der Knabe sogleich die Augen und stand auf, als hätte er nur geschlafen.
Vom heiligen Nikolaus und dem Dieb
Es war einmal in einer Stadt ein Dieb, der hatte schon viel Schlimmes getan.
Einmal beraubte er einen reichen Mann, das wurde entdeckt, und man verfolgte ihn. Lange Zeit lief der Dieb durch den Wald davon, aber endlich kam er an eine freie Steppe, die war viel leicht zehn Werst lang. Da blieb der Dieb stehen und wusste nicht, was er machen sollte.
Lief er über die Steppe, so fingen ihn seine Verfolger gleich ein, denn man sah auf der Steppe alles von Weitem, und er hörte, dass seine Verfolger ihm schon nahe waren. Da begann er zu beten: »Herr, vergib meiner sündigen Seele! Väterchen, heiliger Nikolaus, verbirg mich, dann opfere ich dir eine dicke Wachskerze.«
Plötzlich stand ein älterer Mann vor dem Dieb und fragte: »Was hast du gesagt?«
Der Dieb antwortete: »Ich flehte: Väterchen, heiliger Nikolaus, verbirg mich in dieser Öde, und dann versprach ich, ihm eine Kerze zu weihen.«
Darauf beichtete der Dieb dem Alten seine Sünde.
Der Alte sagte: »Wenn du willst, krieche in dieses Aas.« Es lag da ein Aas in der Nähe, und der Dieb konnte sich nicht helfen und musste in das Aas kriechen, denn er wollte nicht gefangen werden. Er kroch hinein, und im selben Augenblick war der Alte verschwunden, denn es war der heilige Nikolaus selber gewesen.
Die Verfolger kamen, ritten wohl einen halben Werst weit in die Steppe hinein, aber als sie niemand sahen, kehrten sie wieder um. Der Dieb lag mittlerweile im Aas und konnte kaum atmen, des faulen Geruchs wegen. Als die Verfolger verschwunden waren, stieg er heraus und sah wieder jenen Greis in der Nähe stehen und Wachs einsammeln. Der Dieb trat zu ihm und dankte für seine Befreiung. Da fragte der Alte wieder: »Was hast du dem heiligen Nikolaus versprochen, als du eine Zuflucht suchtest?«
Der Dieb antwortete: »Ich versprach ihm eine Kerze.«
»So ist es! So übel riechend aber, wie dir das Aas erschien, in dem du verborgen lagst, ebenso erschien dem heiligen Nikolaus deine Kerze! Flehe niemals«, fügte der Alte noch hinzu, »Gott den Herrn und die Heiligen, seine Diener, um schlechter Dinge willen an, denn Gott segnet sie nicht. Gib acht und merk dir meine Worte. Sag es auch den andern, dass sie Gott nicht um Böses bitten!«
Er sagte es und verschwand.
Russland
Nikolaus, der Wundertäter
Es waren einmal zwei Brüder, der eine war reich und der andere arm. Der Arme hatte eine große Familie, und zu essen gab es nichts mehr. Da ging er zum Bruder und bat ihn um Mehl; doch der schlug es ihm ab. Der Arme nahm ein Bild von Nikolaus, dem Wundertäter, und brachte es dem Reichen als Pfand. Der Bruder traute ihm nicht und fragte: »Wer wird für dich bürgen?« Da antwortete das Heiligenbild: »Ich bürge für ihn.« Der Reiche verwunderte sich darob, aber nahm das Bild an und gab dafür einen Sack Mehl.
Ein Jahr verging, ein zweites und ein drittes, aber der Arme zahlte dem Bruder die Schuld nicht zurück. »Welch ein Betrüger ist doch der Heilige!«, dachte der Bruder, »und dabei hat er noch gesagt, er verbürge sich.« Er nahm das Heiligenbild, brach sich Ruten ab und trug das Bild hinaus auf das Feld, um es dort zu prügeln. Unterwegs begegnete ihm ein Kaufmannssohn und fragte, wohin er das Bild trage. Der Reiche erklärte es ihm. Da bat jener, er möge ihm den wundertätigen Nikolaus verkaufen, gab zwei Sack Mehl für ihn und trug ihn heim. Seine Mutter lobte ihn für die gute Tat, und sie hängten das Bild auf.
Zu dieser Zeit musste der Kaufmann mit seinen Schiffen in ein anderes Zarenreich fahren; drei seiner Onkel hatten sich schon mit ihren Waren auf die Reise gemacht und nicht auf ihn gewartet. Da wollte er einen Aufseher in seinen Dienst nehmen und fand auch einen. Die Mutter schenkte dem Aufseher ein Ei und sagte, er solle es zusammen mit ihrem Sohn verspeisen. Jener schnitt das Ei in die Hälfte, aber die größere nahm er für sich, die kleinere gab er dem Hausherrn. Da befahl die Mutter, diesen Mann laufen zu lassen, und sagte: »Er sorgt mehr für sich als für seinen Herrn.« Der Kaufmann suchte nun so lange einen Aufseher, bis er einen solchen fand, der die größere Hälfte vom Ei seinem Herrn gab und die kleinere für sich selber nahm.
Sie machten sich dann auf und fuhren ab. Auf dem Meere kamen sie an einer Insel vorbei, und auf der Insel erblickten sie einen alten Mann, der bat sie, ihn auf ihr Schiff hinüberzuholen, und das taten sie auch. Dann fuhren sie in das fremde Zaren- reich und handelten so glücklich, dass sie das Geld nicht mehr zu zählen vermochten.
Der Zar in dem Lande hatte eine Tochter, die war einmal in ihrer Kindheit von ihm verflucht worden; sie starb darauf und lag schon lange in der Kirche im Sarge. Jede Nacht gingen die Leute einer nach dem andern zu ihr, den Psalter zu lesen, und alle fraß sie auf. So kam auch die Reihe an einen der Onkel des Kaufmannssohnes. Was sollte er tun? Sterben wollte er nicht, aber fortbleiben durfte er nicht. Da bat er den Neffen, für ihn zu wachen. Der ging aber vorher zum Alten und holte sich von ihm Rat, und der Alte sagte ihm, er solle dafür von dem Onkel zwei Schiffe mit Waren verlangen, gab ihm auch ein Buch und ein Stück Kohle und befahl ihm, sich in der Kirche nicht umzuschauen. Der Neffe tat, wie er ihm geraten hatte, las in der Nacht den Psalter am Lesepult in der Kirche und zeichnete um sich herum mit der Kohle einen Kreis. Um Mitternacht aber, da stieg die Zarentochter aus dem Grabe und fing an, mit den Zähnen zu knirschen. »Ha! Jetzt bist du mir verfallen!« Doch sie konnte auf keine Art in den aufgezeichneten Kreis hineingelangen. Sie wand sich und mühte sich, bis ihre Zeit herum war und sie dort am Kreise niederfiel. Der Neffe aber las immerzu; am Morgen hob er die Zarentochter auf, legte sie zurück in den Sarg und ging selber nach Hause. Sie alle, das Volk und der Zar, staunten, dass er am Leben geblieben war. Der Onkel jedoch musste ihm zwei Schiffe geben; die Waren gingen rasch ab, und Geld hatte er nun scheffelweise.
In der nächsten Nacht kam die Reihe an den zweiten Onkel, in der übernächsten an den dritten; der Neffe nahm von ihnen je zwei Schiffe und wachte unbeschadet. Endlich, in der vierten Nacht, musste er für sich selber Wache halten. Da gab ihm der Alte drei eiserne, drei kupferne und drei stählerne Ruten und sprach zu ihm: »Zwing sie, ein Vaterunser zu beten, und sobald sie ins Stocken gerät, prügle sie mit den Ruten.« Der Kaufmannssohn ging zur Nacht in die Kirche, zeichnete den Kreis um sich herum und las. Die Zarentochter sprang um Mitternacht aus dem Grabe und fing an zu wüten, noch ärger als in den ersten drei Nächten. Sie hatte mit einem Mal Ofenkrücken in den Händen und zerrte ihn damit fast aus dem Kreise heraus; rund herum aber tobten zahllose Teufel und machten fürchterlichen Lärm. Endlich blieb die Zarentochter ganz ermattet stehen, aber fiel nicht um. Da zwang sie der Kaufmannssohn, das Vaterunser zu beten. Und wie sie nun anfing und dann stecken blieb, schlug er mit den eisernen Ruten auf sie ein. Danach musste sie aber weiterlesen, kam bis zur Hälfte und stockte abermals; da prügelte er sie aufs Neue mit den kupfernen Ruten. Und wieder zwang er sie weiterzulesen, und sie war noch nicht zu Ende gelangt, als sie nochmals ins Stocken geriet: Da schlug er sie mit den stählernen Ruten. Dann las sie jedoch richtig bis zum Schluss.
Der Morgen war schon angebrochen, und hinter den Türen fragten die Leute einander: »Lebt er wohl noch?« Und als sie zwei Stimmen hörten, wunderten sie sich: »Was soll das bedeuten? « Sie öffneten die Tür und sahen den Kaufmannssohn und die Zarentochter beieinander. Gleich meldeten sie's dem Zaren. Der freute sich darüber sehr und gab dem Kaufmannssohn seine Tochter zur Frau.
Die Waren hatten sie inzwischen verkauft, und es war Zeit heimzukehren. Der Alte aber sagte dem Kaufmannssohn, dass er seiner Frau des Nachts nicht eher beiwohnen solle, bis er es ihm erlauben würde. Sie fuhren nun auf ihren Schiffen und kamen zu jener Insel. Da sprach der Alte: »Jetzt wollen wir unsern Verdienst teilen.« Sie legten ihre Millionen auf zwei Hälften, und dann sollte auch die Frau geteilt werden. Der Jüngling betrübte sich gar sehr, aber es war nichts zu machen, so hatten sie es vorher verabredet, und er willigte schließlich ein. Der Alte nahm einen Säbel und hieb die Zarentochter in zwei Hälften: Da krochen aus ihrem Leibe allerhand Ungeziefer und Schlangen; das waren aber alles Teufel. Der Alte reinigte den Leib und besprengte ihn mit Wasser, da wuchs er zusammen, und die Zarentochter ward wieder lebendig. »Hier hast du deine wahre Frau«, sprach der Alte, »leb du mit ihr und nimm alles Geld, ich bedarf dessen nicht.« Nur drei Kopeken nahm er mit sich, und dann verschwand er plötzlich, keine Spur war mehr von ihm zu sehn. Dem Kaufmannssohn war es leid um den Alten, er hatte ihn lieb gewonnen wie einen Vater, aber da ließ sich nichts tun, und er reiste heim.
Zu Hause erzählte er der Mutter von ihm, berichtete, was ihm begegnet war, und bedauerte den Alten. Die Mutter aber sprach zu ihm: »Warum dachtest du nicht an den wundertätigen Nikolaus? Hättest du ihm doch vorher eine Kerze geweiht.« Da besann er sich darauf und ging zu dem Heiligenbild, dort brannte aber schon eine Kerze für drei Kopeken. Sie fragten herum, wer sie wohl gestiftet habe, denn der Heilige hätte eine für einen Rubel haben sollen, doch niemand bekannte sich dazu. Da erriet er, dass der Alte der heilige Nikolaus, der Wundertäter, gewesen war und für jene drei Kopeken sich selbst eine Kerze aufgestellt hatte. Sie ließen die Kerze brennen, und mit all dem Gut, das sie erworben hatten, lebten sie glücklich und zufrieden.
Väterchen Frost
Es war einmal ein alter Mann und eine alte Frau, die hatten drei Töchter. Die Frau konnte die älteste nicht leiden, denn sie war ihre Stieftochter. Sie zankte mit ihr, weckte sie früh und lastete ihr alle Arbeit auf. Das Mädchen musste das Vieh tränken und füttern, Holz und Wasser tragen, den Ofen heizen und Kleider nähen. Sie musste die Hütte stets vor Tagesanbruch fegen und in Ordnung bringen. Die Alte war aber trotzdem immer unzufrieden und brummte: »Wie faul und unordentlich, der Besen steht nicht an seinem Platz, dies fehlt und jenes und die Hütte ist schmutzig.«
Das Mädchen weinte und schwieg dazu, sie versuchte alles, um die Stiefmutter zufriedenzustellen und ihren Töchtern behilflich zu sein. Die Töchter machten es aber wie die Mutter, sie kränkten Marfuschka, stritten mit ihr und wenn sie darüber weinte, so war es ihnen recht. Sie selbst standen spät auf, wuschen sich in dem vorbereiteten Wasser, trockneten sich mit reinen Handtüchern ab und machten sich erst an die Arbeit, wenn es zum Essen ging.
So wuchsen die Mädchen heran und wurden reif zur Ehe. - Rasch erzählt man, langsam erlebt man. - Dem Alten tat seine Tochter leid; er liebte sie, weil sie gehorsam war und arbeitsam: Niemals war sie eigensinnig, immer tat sie, was man ihr auftrug, ohne ein Wort der Widerrede. Der Alte konnte aber dem Jammer nicht abhelfen, er war schwächlich, die Alte zänkisch und die Töchter faul und störrisch.
Die Alten überlegten: Er, wie die Töchter zu verheiraten seien, und sie, wie man die älteste los werden könnte. Eines Tages sagte die Alte zu ihm: »Alter! Verheiraten wir Marfuschka!«
»Gut!«, sagte er und stieg auf den Herd.
Die Alte folgte ihm nach und sprach: »Steh morgen früh auf, spanne das Pferd vor den Holzschlitten und fahre mit Marfuschka fort. Du, Marfuschka, sammle dein Hab und Gut in ein Körbchen, ziehe ein reines Hemd an, morgen fährst du auf Besuch. «
Die gute Marfuschka war froh über das Glück und schlief die ganze Nacht süß. Frühmorgens stand sie auf, wusch sich, betete, packte alles ordentlich ein und schmückte sich. Das Mädchen war so schön wie man noch kein Bräutchen gesehen.
Es war Winter und es herrschte ein grimmiger Frost. Vor Morgengrauen stand der Alte auf, spannte das Pferd vor den Schlitten und führte es vor das Haus. Er selbst ging hinein, setzte sich auf die Bank und sagte: »Nun habe ich alles vorbereitet. «
»Setzt euch an den Tisch und esst«, sagt die Alte.
Der Brotkorb stand auf dem Tisch und er nahm ein Brot he raus, das er mit seiner Tochter teilte. Die Stiefmutter brachte mittlerweile alte Suppe und sagte: »Nun, Liebchen, iss und fort mit dir, ich musste dich lange genug ansehen! Alter, führe Marfuschka zu ihrem Bräutigam, aber gib auf den Weg acht, alter Narr, fahre erst die gerade Straße hinunter und dann biege rechts in den Wald ein - weißt du, gerade bei der großen Fichte, die auf dem Hügel steht, dort übergib Marfuschka dem Frost.«
Der Alte riss die Augen auf, sperrte den Mund auf, hörte auf zu kauen und das Mädchen heulte.
»Was gibt es da zu jammern! Der Bräutigam ist ja schön und reich! Seht nur wie viel Gut er hat: Alle Tannen und Fichten glitzern und die Birken sind voll Flaum. Ein herrlicheres Leben gibt es kaum und er selber ist ein starker Held.«
Der Alte sammelte schweigend alle Habseligkeiten zusammen, befahl der Tochter, ihr Schafpelzchen anzuziehen und machte sich auf den Weg. Ob die Reise kurz war oder lang, ist mir wirklich nicht bekannt. - Rasch erzählt man, langsam erlebt man. - Endlich erreichten sie die Fichte, bogen vom Weg ab - da stürmte gerade der Schnee. In der Einöde machte der Alte halt, befahl der Tochter auszusteigen, setzte ihr Körbchen unter eine ungeheure Fichte und sagte: »Setze dich hierher, erwarte den Bräutigam und empfange ihn nur ja freundlich.«
Daraufhin wandte er sein Pferd um und fuhr nach Hause.
Das Mädchen saß da und zitterte. Kälte durchschauerte sie. Sie wollte weinen, doch ihr fehlte die Kraft, nur die Zähne schlugen zusammen. Plötzlich hörte sie von Ferne den Frost auf einer Tanne knarren, er sprang von Tanne zu Tanne und pfiff. Endlich war er hoch oben auf der Fichte, unter der das Mädchen saß und er fragte: »Mädchen ist dir warm?«
»Ach ja, Väterchen Frost!«
Der Frost ließ sich tiefer herab, knarrte und pfiff noch mehr als vorher: »Mädchen, sag, schönes Mädchen, ist dir warm?«
Dem Mädchen verging fast der Atem, aber sie sagte noch: »Warm ist mir, Väterchen Frost.«
Da knirschte der Frost noch mehr und pfiff: »Ist dir warm, Mädchen, ist dir warm, schönes Kind, ist dir warm mein Herzchen? «
Das Mädchen war fast erstarrt und sagte kaum hörbar: »Warm, Väterchen.«
Da hatte der Frost Erbarmen und hüllte das Mädchen in Pelze und wärmende Decken ein.
Am nächsten Morgen sagte die Alte zu ihrem Mann: »Geh, alter Narr, und wecke das junge Paar.«
Der Alte spannte sein Pferd vor den Schlitten und fuhr zu seiner Tochter. Er fand sie am Leben, eingehüllt in einen schönen Pelz und in ein seidenes Tuch, und schöne Geschenke lagen in ihrem Körbchen. Ohne ein Wort zu sagen legte der Alte alles in seinen Schlitten, stieg mit der Tochter ein und fuhr nach Hause. Dort fiel das Mädchen der Stiefmutter zu Füßen.
Die Alte wunderte sich sehr, als sie das Mädchen am Leben sah und den neuen Pelz und den Korb voll Wäsche. »Eh, mich betrügst du nicht!«, sagte sie.
Nach einigen Tagen sagte die Alte. »Führe meine Töchter zum Bräutigam, er wird sie noch ganz anders beschenken.«
Langsam erlebt man, schnell erzählt man! Am Morgen weckte die Alte ihre Töchter, schmückte sie, wie es sich zur Hochzeit schickt, und ließ sie ziehen.
Der Alte fuhr denselben Weg und ließ die Mädchen bei derselben Fichte zurück.
Die Mädchen saßen und lachten. »Was fällt Mütterchen ein, uns plötzlich beide zu verheiraten? Als wären bei uns im Dorf nicht Burschen genug! Wer weiß was hier für ein Teufel kommt!«
Die Mädchen hatten große Pelze an, aber trotz dem nagte die Kälte an ihnen.
»Paracha, mir läuft der Frost über die Haut, wenn die Erwählten nicht bald kommen, erfrieren wir.«
»Unsinn, Mascha, seit wann kommt ein Bräutigam so früh, jetzt ist erst Essenszeit«
»Paracha, wenn nur einer kommt, wen wird er da nehmen.«
»Dich nicht, du Gans.«
»Dich etwa?«
»Gewiss.«
»Lass dich nicht auslachen!«
Der Frost nagte den Mädchen an den Händen. Sie versteckten ihre Hände im Pelz und begannen neuerdings: »Du verschlafener Fratz, du böse Pest, du Lästermaul. Spinnen kannst du nicht und ans Beten denkst du gar nicht.«
»Oh du Prahlerin, was kannst denn du? In den Spinnstuben herumlaufen und tratschen. Warten wir es ab, wen er nimmt.«
So stritten die Mädchen und froren ernstlich. »Ei bist du blau geworden!«, sagten sie einstimmig.
Weit weg knarrte der Frost, sprang von Tanne zu Tanne und pfiff. Den Mädchen schien, als käme jemand gefahren.
»Hui, Paracha, er kommt mit Glöckchen ge fahren!«
»Geh weg, Närrin, mich schüttelt der Frost.«
»Aber heiraten willst du doch?«
Sie bliesen auf ihre Finger. Der Frost kam näher und näher, endlich ließ er sich auf der Fichte über den Mädchen nieder. »Ist euch warm, Mäd chen, ist euch warm, schöne Täubchen?«
»Ach, Frost, uns ist so kalt, wir sind fast er froren. Wir erwarten den Bräutigam und der Teufel kommt nicht!«
Der Frost ließ sich tiefer herab und knarrte und pfiff noch mehr: »Ist euch warm, Mädchen, ist euch warm, meine Schönen?«
»Geh zum Teufel! Bist du blind, Hände und Füße sind uns schon abgefroren.«
Da ließ sich der Frost noch näher herab, schlug fest zu und fragte: »Mädchen, ist euch warm?«
»Geh zu allen Teufeln ins Wasser und faule, Verfluchter!«
Da waren die Mädchen erstarrt.
Am Morgen sagte die Alte zu ihrem Mann: »Spanne ein, nimm Heu in den Schlitten und warme Decken, den Mädchen wird kalt sein. Ein starker Wind ist draußen! Mach flink, alter Narr!«
Der Alte ließ sich kaum Zeit zum Frühstück, und fuhr fort. Als er zu den Töchtern kam, waren sie tot. Er lud sie auf den Schlitten, schlug sie in die Decken ein, legte das Heu darüber und kehrte heim.
Die Alte sah ihn von weitem kommen und lief ihm entgegen: »Wo sind die Kinder?«
»Im Schlitten.«
Die Alte stieß das Heu beiseite, hob die Decken auf und fand die Kinder tot. Da ging sie wie ein Gewitter über den Alten nieder und schimpfte: »Was hast du, alter Hund, getan? Mit meinen Töchterchen, meinen eigenen, süßen Sprösslingen, meinen roten Beerchen? Ich erschlage dich mit dem Besenstiel, mit dem Feuerhacken erschlage ich dich!«
»Ruhig, alte Hexe, dich lockte der Reichtum, aber deine Töchter waren widerspenstig. Ich bin nicht schuld, du wolltest es selbst!«
Die Alte war zornig und zankte noch lange, versöhnte sich aber später mit der Stieftochter und so lebten sie gut und mit Bedacht, an das Böse wurde nicht mehr gedacht. Ein Nachbar kam und freite und hielt mit Marfuschka Hochzeit. Es ging ihr gut. Der Alte nahm die Enkel in seine Hut, schüchterte mit dem Frost sie ein und hieß sie willig und fleißig sein. Ich war bei der Hochzeit, trank Honigbier. Es kam mir nicht in den Mund, nur über den Schnurrbart floss es mir.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Erich Ackermann
- 480 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828955274
- ISBN-13: 9783828955271
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