Als die Welt noch himmlisch war
Roman. Deutsche Erstveröffentlichung
Ein tragikomischer Reigen über Liebe, Freundschaften und Familienbande
Chicago, 1957: Der Tag der heiligen Madonna ist für die italienische Einwandererfamilie Peccatori ein Festtag. Alle freuen sich auf die Prozession und auf das üppige Mahl, dass Mama...
Chicago, 1957: Der Tag der heiligen Madonna ist für die italienische Einwandererfamilie Peccatori ein Festtag. Alle freuen sich auf die Prozession und auf das üppige Mahl, dass Mama...
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Klappentext zu „Als die Welt noch himmlisch war “
Ein tragikomischer Reigen über Liebe, Freundschaften und FamilienbandeChicago, 1957: Der Tag der heiligen Madonna ist für die italienische Einwandererfamilie Peccatori ein Festtag. Alle freuen sich auf die Prozession und auf das üppige Mahl, dass Mama Angela vorbereitet hat. Doch dann nimmt das Schicksal seinen Lauf: Familienoberhaupt Agostino erfährt, dass seine Affäre mit der jungen Gabriella nicht ohne Folgen geblieben ist. Die 16-jährige Victoria gibt dem Werben eines Nachbarjungen nach und wird prompt schwanger. Und der kleine Benito erkrankt schwer an einem Fieber. Mama Angela ist der Verzweiflung nahe, bis ihr einfällt, wie sie die Ehre und den Zusammenhalt der Familie retten kann ...
Chicago, 1957: Der Tag der heiligen Madonna ist für die italienische Einwandererfamilie Peccatori ein Festtag. Alle freuen sich auf die Prozession und auf das üppige Mahl, dass Mama Angela vorbereitet hat. Doch dann nimmt das Schicksal seinen Lauf: Familienoberhaupt Agostino erfährt, dass seine Affäre mit der jungen Gabriella nicht ohne Folgen geblieben ist. Die 16-jährige Victoria gibt dem Werben eines Nachbarjungen nach und wird prompt schwanger. Und der kleine Benito erkrankt schwer an einem Fieber. Mama Angela ist der Verzweiflung nahe, bis ihr einfällt, wie sie die Ehre und den Zusammenhalt der Familie retten kann ...
Lese-Probe zu „Als die Welt noch himmlisch war “
1976NICHOLAS PECCATORI
F r Mama war das wohl kein Trost, aber Papa verliebte sich erst ein Jahr nach dem Tod des armen kleinen Benito in Sophia Loren. So zumindest habe ich es in Erinnerung. Dass Papas Trauer seiner Obsession Platz machte. In einer Sache waren Mama und Papa sich einig. Benitos Zimmer wollten sie nie mehr benutzen. Zumindest nicht als Schlafzimmer.
Woher ich das alles wei , ist mir noch immer schleierhaft. Schlie lich kam ich erst, zwei Jahre nachdem Benito seinen letzten Atemzug getan hatte, zur Welt. Auf den Tag genau zwei Jahre. An meinem Geburtstag wandern immer wieder ernste Blicke zu Bennys Bild auf der Geschirrkommode im Esszimmer, w hrend man mir kr ftig auf die Schulter klopft und laut lacht - beides eine Spur zu bertrieben. Vom Foto mustert Benito einen von seinem Hochstuhl herab. Sein Blick dabei ist klar, und den riesigen dunklen Augen ist nichts anzumerken von dem Fieber, das ihn bald hinwegraffen wird.
Ich wei , den Gro teil unserer Familiengeschichte habe ich einfach aufgesogen, abseits der mitleidigen Blicke meiner lteren Br der und meiner Schwester, f r die ich immer der bleiben werde, der danach kam. Der einzige Unschuldige. Aber ich f hle mich nicht unschuldig. Sondern ich habe das Gef hl, dabei gewesen zu sein, als Benito starb. Er streckt mir seine rmchen entgegen, und ich ber hre seine H nde. Sie sind gl hend hei . Ich sehe den Zug der Trauernden aus St. Columbkille kommen, ihnen voran die beiden Sargtr ger. Ich sehe den winzigen Sarg und - ein furchtbarer Moment - wie dieser in das Grab hinuntergelassen wird.
Zwei Jahre sp ter war Benito an meiner Seite. Zu einer Zeit, als mir noch die Worte daf r fehlten. Er war da, als ich mich in Mamas Trauer kuschelte. Ich lag in ihren Armen, als Benito von uns ging. Ich war Teil ihrer geheimsten Gedanken. Sie hat es bemerkt. Mein Mund wurde seiner, wenn ich trank. An meinem ersten Tag im Kindergarten sah ich ihn in Mamas Augen. Und am ersten Schultag. Und jedes Mal, wenn
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ich nicht essen wollte oder auch nur einen Anflug von Fieber hatte. Ich sah ihn, wenn das Licht an einem gem tlichen Sonntagnachmittag auf eine bestimmte Art und Weise durch den zugezogenen Vorhang fiel. Ich war die lebende Erinnerung daran, was h tte sein k nnen.
Benito h tte der Letzte sein sollen, das wei ich. Ich bin ein nachtr glicher Einfall, bitters und qu lend. An diesen seltenen Nachmittagen, wenn das Haus leer ist, schlendere ich in Benitos altes Zimmer, das jetzt Papas Heiligtum ist, und lehne mich an das Bett, bis mein Kopf aufh rt, sich zu drehen, bis die W nde zum Stillstand kommen. Papas Geruch beruhigt mich, ein Speichergeruch, der an uralte Zeiten erinnert und an l und Kirche. Und dahinter, aus einer Schublade in der hellen Kommode, der Duft von Babylotion.
Blendet man die Sophia-Loren-Memorabilien aus - das Poster, die Platten, die Videokassetten, die Zeitungsausschnitte, den rot, wei und gr n eingefassten herzf rmigen Aschenbecher, der Sophia dabei zeigt, wie sie einen Kuss in die Kamera wirft -, dann findet man noch genug, was an meinen Bruder erinnert. Da ist nat rlich das Bettchen. Das springt sofort ins Auge, darum kommt man nicht herum. Seine Kommode. Das Nachttischl mpchen in Form eines F ustlings. Sein hellblauer Rosenkranz, der um ein Foto von Benny drapiert ist, das ihn als Kleinkind mit zu roten B ckchen zeigt und auf dem Nachttisch steht, im schiefen Winkel zum Spitzenkisschen.
Wenn ich auf diesem Bett sitze, befinde ich mich in einer anderen Welt. Benito macht seinen Collegeabschluss, sein Examen in Medizin. Wir sehen aus wie Br der, das sagt jeder - eine Statur wie eine Z ndkerze und dazu ein rundes Gesicht, dunkel, Papas dichtes Haar und Mamas breite Schultern. Wir sitzen hinten im Bus und fahren ins Wrigley-Field-Stadion, sitzen nebeneinander auf der Trib ne. Er bringt mir die Feinheiten des Spiels bei, welcher Schlag als N chstes kommen sollte und wohin der Ball gehen muss. Er liebt das Spiel beinahe mehr als mich. Und wenn ich an meine Familie denke, besteht die Peccatori-Familie aus einer Schwester und sechs Br dern, nicht f nf. Es sind sechs, und es werden immer sechs sein.
1957
Als er sie zum ersten Mal sah, wie sie aus dem Richtung Westen fahrenden Bus in der Grand Avenue ausstieg, fasste sich Santo Peccatori voll Begehren an die Brust. Er blickte durch die silbern get nten Scheiben von Mio Fratello, wo er am Wochenende f r seinen Vater und seinen Onkel arbeitete. Die Tische abwischte und die Cocktailgl ser sp lte, Arbeiten, die bald seine j ngeren Br der, Anthony und Alfredo, bernehmen w rden, jetzt, da sie keine Schule hatten. W hrend er, Santo, nachdem er seinen Abschluss der High School in der Tasche hatte, sich darum k mmern w rde, dass immer genug Wein und Schnaps da war, und auch mal einschenkte, wenn sein Vater unterwegs war und Onkel Vince sich nicht schnell genug von den Stammg sten losrei en konnte. Und nat rlich w rde er sich hier ans Fenster stellen, damit ihm nicht entging, wenn Sylvia Gomez um f nf Minuten nach vier aus dem Bus stieg, nach ihrer Acht-Stunden-Schicht bei Illinois Bell.
Sie hatte ein rmelloses Kleid mit einem Ringelblumenmuster an, das ihn an die Kleider erinnerte, die seine Mutter trug, als er ein Kind war. Sie wartete, w hrend der Bus, ein hellgr n- und cremefarbener Grasshopper, der von Hunderten knisternder Volts in der Oberleitung gezogen wurde, an ihr vorbeifuhr und ihm ein paar Sekunden die Sicht auf sie verstellte. Die Stromabnehmerstangen klirrten auf der Leitung und zuckelten zweimal, dann verschwand der Bus aus dem Blickfeld. W hrend sie darauf wartete, dass der Verkehr sich lichtete und sie die Grand berqueren und hinter Mio Fratello vorbei zu ihrer Wohnung gehen konnte, streckte sie sich und wandte sich um, als sei sie gerade aus einem langen Schlaf erwacht. Santo starrte auf ihre nackten Beine. Sie trug ihre schwarzen bequemen Schuhe, die mit dem kleinen Absatz, mit denen sie immer etwas unsicher ging. Weil sie zu lange in derselben Haltung gesessen hatte, hatte sie auf ihrer rechten Wade einen roten Kreis, so gro wie ein Pfirsich, wie Santos Handfl che.
Santos Vater, Agostino, der dabei war, die Flaschen Gallo-Wein hinter der Bar aus den Kisten zu r umen, linste ebenfalls hin ber zur Haltestelle, wo sich Sylvia Gomez jetzt das dichte schwarze Haar hinter die Schultern strich und am Riemen ihrer Handtasche zog. Sie machte sich bereit, ber die Stra e zu gehen. Agostino setzte eine bauchige Weinflasche mit Henkel ab und schlenderte zum Hinterausgang hinaus. Das Erdgeschoss war eine Kombination aus Spirituosenhandlung und Bar - manche nannten es einen Club -, wo immer dieselben zwanzig oder drei ig M nner ihre schwei nassen Dollar f r ein Glas Lik r oder Schnaps z ckten und sich an hei en Sommerabenden wie diesem anschlie end nach hinten zu einer Runde Boccia zur ckzogen. Agostino schnappte sich den breiten Rechen und nivellierte die Kiesel in der Bocciabahn. Eine von mehreren Arbeiten, die er sich gerne f r den Nachmittag aufhob, damit er um diese Zeit l ssig nach drau en gehen und sich einen gesch ftigen Anstrich geben konnte. Er und sein Bruder Vincenzo, der in der Wohnung ber der Bar wohnte, hatten vor sieben Sommern mit schmalen Brettern und Holzschrauben einen Rahmen f r die Bahn gebaut. Jedes Jahr strichen sie die Bretter aufs Neue dunkelgr n und frischten die roten Foullinien auf. Weshalb die Bahn bis auf ein paar von missgl ckten W rfen r hrende Dellen aussah, als habe noch nie jemand einen Fu auf sie gesetzt.
Er pfiff eine langsame Arie, jeden Ton sicher und pr zise, bis er aus den Augenwinkeln Sylvia Gomez ersp hte.
"Signora", rief er, lehnte sich mit dem Ellbogen auf den Rechen und wischte sich mit dem Handr cken ber die Stirn, als w re er schon seit Stunden mit den Kieseln zugange. Er musste sich anstrengen, um sein linkes Auge ruhig zu halten - sein Vater hatte ihn sinistra genannt -, und diese Kombination aus dem wandernden Auge und der leichten Anspannung, der es bedurfte, um es zu fixieren, verlieh ihm einen leicht nachdenklichen Ausdruck. Obwohl er von durchschnittlicher Gr e war, wirkte Agostino schlaksig. Seine von einem schmalen braunen G rtel gehaltene Khakihose fiel modisch. Der dunkle, grau gesprenkelte Schnurrbart war von Schwei tr pfchen bers t.
"Se or", antwortete sie und nickte.
"Wieder so ein hei er Tag heute."
Er staunte ber den Klang der Worte in seinem Kopf, bevor er sie aussprach. Reinster Midwesternakzent. Und was mit diesen Worten geschah, sobald sie seinen Mund verlie en. Diesen harten Akzent annahmen, an dem er sich so abm hte. Selbst noch nach zweiundzwanzig Jahren in Amerika.
Sie ging langsamer und blieb schlie lich stehen. "Nicht so hei wie gestern."
Sie konnten die Augen nicht voneinander lassen. Sie h ngte sich die Handtasche ber die andere Schulter, und Agostino kratzte sich am Kinn. Schlie lich lie en sie die Augen voneinander und sahen beide hin ber zu dem braunen Ziegelbau nebenan. Etwas versteckt zog sich an dem Geb ude dort, wo morgens die Sonne hinknallte, ein schmaler Streifen Erde entlang, der als Gem segarten diente: Tomaten und Gurken und ein paar B schel Petersilie.
Von drinnen lugte Santo heraus und rechnete, dass Sylvia Gomez mit ihren sieben- oder achtundzwanzig Jahren altersm ig seinem Vater nicht n her stand als ihm. Santo, der n chsten Monat achtzehn wurde, dachte verdrossen, dass Sylvia Gomez diesem Treffen wohl ebenso entgegenfieberte wie sein Vater.
Agostino winkte sie zu einem Tisch. "Kommen Sie. Setzen Sie sich. Auf ein Glas vino."
"Ein kleines Glas." Er trat zu einem der wei en, schmiedeeisernen Tische und zog einen Stuhl heraus. "Bitte. Setzen Sie sich. Hier im Schatten ist es k hl."
Mit Mrs. Gomez am Tisch w rde sein Vater nicht die Bestellung zu ihm hineinbr llen. Es juckte ihn ohnehin, den Wein hinauszubringen und ihn daran zu erinnern, dass Mama ihn heute Abend zu Hause zum Abendessen erwartete. Mama, die den ganzen Tag am Herd stand, weil ihre Schwester, Zia Lupa, von ihrer Reise zur ckkehrte. Endlich kam wieder einmal die ganze Familie zusammen - bis auf Onkel Vince, der sich um den Laden k mmern musste. An einem Tischende w rde Zia Lupa sitzen, am anderen Agostino. Mama sa neben Zia, obwohl sie nicht recht viel zum Sitzen kommen w rde. Anthony und Alfredo auf der einen Seite, wo sie sich mit ihren pubert ren Witzen am sieren w rden. Und Santo und seine ein Jahr j ngere Schwester Victoria auf der anderen Seite. Sie zog bestimmt den ganzen Abend eine Schnute, weil man sie wie das Nesth kchen behandelte, wo sie doch bereits sechzehn war. Sie durfte nicht einmal in die N he von Mio Fratello. Und nat rlich der kleine Benito, der neben Victoria hineingequetscht wurde. So konnte sie auf ihn aufpassen und er zugleich als Puffer vor Zia Lupa dienen.
Santo wartete, bis sein Vater ins Lokal gehuscht und mit dem Wein zur ckgekommen war, bevor er anfing, einen der vier Barhocker abzuwischen. Denn von hier hatte er den besten Blick auf Mrs. Gomez' R cken. Zumindest einen Teil davon. An ihrer rechten Schulter lugte ein elfenbeinfarbener Tr ger ein ganz klein wenig unter dem Kleid hervor. Santo stellte sich vor, wie sie an diesem Morgen den B stenhalter anzog und ihn irgendwie festhielt, w hrend sie die H kchen zumachte. Wie sie in das Ringelblumenmuster stieg und die Arme durch die Arml cher streckte. Oder hob sie das Kleid und streifte es ber, lie es wie Wasserkaskaden an sich herabgleiten? Diese Schlafzimmergesten stellten f r ihn ein gro es Mysterium dar. Santo verstand nicht genau, was die beiden sprachen, aber er h rte sie immer wieder lachen.
Sein Vater sah dann jedes Mal auf ihre kleinen Br ste und anschlie end zur Stra e hin ber, die zu ihrer Wohnung f hrte.
Santo trat n her, versuchte, mehr zu verstehen. Agostino erz hlte ihr vom Gro en Krieg, die alte Geschichte von seinem Vater, wie dieser in Italien von den Deutschen erschossen wurde. Er erz hlte ihr, was er und Vince machten, als sie das Telegramm aus bersee erhielten - sie rauchten eine Zigarette in ihrer Bar, was sonst. Und zu allem bel machte sich Roosevelt ein t gliches Vergn gen daraus, Mussolini in die Pfanne zu hauen. Wodurch die hart arbeitenden Italiener in Amerika wie die Hunde den Schwanz einzogen. Santo fragte sich, warum er ihr solche Geschichten erz hlte. Es sei denn, er hatte es auf ihr Mitleid abgesehen. F r jeden anderen Zuh rer h tte sein Vater noch den Teil hinzugef gt, wie er seinen j ngsten Sohn Benito nannte, nur um es einem Verr ckten wie diesem Mussolini nicht zu erlauben, einen so sch nen Namen zu beschmutzen. Aber anscheinend dachte sein Vater, dass diese Art von Trotz ihm bei ihr nicht weiterhelfen w rde, sondern sie vielleicht sogar vor den Kopf sto en k nnte. Und auf keinen Fall w rde er ihr erz hlen, dass Benito nach dem Gro vater seiner Frau genannt worden war, einem liebensw rdigen alten Herrn, der seine Zeit auf Erden zwischen seiner Arbeit als Bauer und als Frescomaler in italienischen D rfern aufteilte.
Diese nachmitt glichen Treffen waren noch immer etwas steif, was darauf schlie en lie , dass sein Vater noch nicht mit Mrs. Gomez schlief. Das machte Santo Mut. Allerdings waren die Aff ren seines Vaters nie leicht zu durchschauen, Santo konnte daher nicht sicher sein.
Er stie die Glast r auf und steckte den Kopf hinaus in die Nachmittagssonne. "Hey, Pop. Ist Onkel Vince oben?"
Mrs. Gomez stellte ihr Glas ab und blitzte Santo mit einem breiten L cheln an. Agostino starrte ganz unverhohlen auf ihre Br ste.
"Non lo so", erkl rte Agostino seinem Sohn.
"Hallo, Santo", sagte Mrs. Gomez.
"Hallo."
"Warum?", fragte Agostino.
"Warum was?", wollte Santo wissen.
"Warum brauchst du Zio?"
"Ach so. Ich wollte nur wissen, ob er schon JB bestellt hat. Der wird knapp."
Agostino beugte sich zu Mrs. Gomez, deutete auf den Laden und sagte: "Er glaubt, die Laden geh ren ihm." Und r umte achselzuckend ein: "Er es makken gut."
Santo sp rte, wie ihm die Brust anschwoll. Wenn er drei Jahre lter w re, k nnte er den Laden selbst f hren. Eine Vorstellung, die ihm au erordentlich gefiel. Vielleicht w rden sie den Laden sogar umbenennen - Mio Fratello e Figlio. "Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Mrs. Gomez?"
Sie trank das Glas aus, wischte sich mit der zerkn llten Serviette ber den Mund und tat seine Frage mit einer Handbewegung ab. "Nein, nein. Ich muss gehen."
"Vielleicht einen Kaffee?", fragte Santo.
"Nein."
"Wasser?"
Sie sch ttelte den Kopf.
"Einen Zahnstocher?"
Santo bekam das Lachen, auf das er es abgesehen hatte. Er war nicht der bestaussehende Sohn der Familie - seine abstehenden Ohren waren oben leicht eingedellt, und seine Freunde nannten ihn manchmal Walnuss wegen seiner Kopfform. Aber er strahlte Selbstvertrauen aus. Als kleiner Junge war er es gewesen, der bei Feiern herumh pfte und Zia Lupa und Onkel Vince und alle anderen G ste mit K ssen berh ufte, w hrend seine Br der sich im Scho seiner Mutter versteckten. Und wenn man ihn fragte, ob er schon eine Freundin habe, bleckte er die ebenm igen Z hne und zeigte jedem den Schulschnappschuss einer Mitsch lerin. Die M dchen fanden ihn selbstsicher und harmlos. Als er sich mit sechzehn f r sie zu interessieren begann, konnte er sich dadurch weitaus gr ere Freiheiten herausnehmen und unter ihren Blusen weiter nach oben gelangen, als sie ihm vielleicht sonst zugestanden h tten.
Als Mrs. Gomez die Stra e hinunterging, sahen Vater und Sohn ihr nach. Agostino fuhr sich mit einem Taschenkamm durch das allm hlich sch tter werdende Haar, wobei die freie Hand ber dem Kamm schwebte. Eine Geste, die Santo insgeheim bewunderte. Die sehnigen Arme seines Vaters, an denen bei jedem ligen Strich die Muskeln hervortraten, erinnerten ihn an die eleganten Bewegungen eines Bodybuilders. Santo wandte sich um und ging hinein. Die Glast r fiel hinter ihm zu. Er sp rte ein Ziehen in der Brust, eine Vorfreude, nicht un hnlich dem Ziehen, das er als Junge gesp rt hatte, als er auf der Treppe vor der T r sa und auf den Postboten wartete. Der ihm den Preis bringen w rde, den er mit dem Verkauf von S igkeiten f r St. Columbkille gewonnen hatte. Aber er war kein Junge mehr. Die Schule war ein f r alle Mal vorbei. Und der hei e Sommer begann erst.
Santo klopfte an das Fenster in Onkel Vince' Hintert r. Dreimal, kurz und fest. Immer wieder. Dabei sah er in die gr n und grau geflieste K che. Sein Onkel wohnte alleine in der Wohnung im ersten Stock ber der Bar. Seine Frau Gloria hatte ihn 1934 nach einem Jahr Ehe verlassen, weil er, wie sie behauptet hatte, mehr Zeit in der Bar verbrachte als mit ihr. Sie war eine ppige Blondine, und Vince trug noch immer Fotos von ihr in seiner Brieftasche herum, die er bereitwillig herzeigte. Ein richtiges Busenwunder, erkl rte er jedem, der es h ren wollte. Kurz nachdem sie ihn verlassen hatte, schickte Vince seinem Bruder Agostino in Italien ein Telegramm, in dem er ihm anbot, Partner in seinem Gesch ft zu werden. Er hatte bereits mit dem Trinken angefangen und wusste, ohne Hilfe w rde er das Gesch ft verlieren. Zun chst wollte Agostino nicht so recht. Er hatte gerade seine lange Lehrzeit bei dem Schneider Lucca Strazzi in Neapel beendet, aber die Aussichten, als Schneider in seinem kleinen Dorf ein gut gehendes Gesch ft aufzubauen, waren gering. So oder so musste er weggehen, entweder nach Neapel oder nach Amerika. Die Telegramme seines Bruders wurden immer dr ngender, und schlie lich zog Agostino in das zweite Schlafzimmer in der Wohnung seines Bruders ber der Bar, die sie in Mio Fratello umbenannten.
Santo wandte sich zu der Singer-N hmaschine, die hinter ihm in dem abgetrennten Vorbau stand. Sie geh rte seinem Vater. Er atmete den Geruch des A-1- lk nnchens auf der Maschine ein. Das schwarze, aus schmiedeeisernen Bl ttern und Ranken gearbeitete Pedal versetzte ihn einen Augenblick lang zur ck auf den Scho seines Vaters. So lange war das noch nicht her, und pl tzlich sehnte er sich mit einer Macht in diese Zeit zur ck, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er hatte noch das angenehme rhythmische Klicken des Pedals im Ohr, wenn sein Vater an der Maschine sa und es trat, damit es den Lederriemen antrieb, der die Eisenr der drehte, die wiederum die Nadel wie einen geschmierten Kolben durch den Stoff stie en. Ein schwarzer Faden hing von der Spule oben in der Maschine.Er konnte sich noch vage daran erinnern, dass die N hmaschine zu Hause im Keller stand, seine Mutter damit einen Kragen flickte, aber diese Erinnerung schien ihm eher ein Traum denn echt zu sein. Was f r eine Theorie sprach, die ihn in letzter Zeit sehr besch ftigte - dass beinahe alle Erinnerungen an seine Mutter in denselben nebligen Schleier geh llt waren, weil er und seine Mutter sich noch immer so nahe waren und sich im Lauf der Jahre so wenig zwischen ihnen ge ndert hatte. Die Tage gingen ineinander ber. Ihr Verh ltnis war liebevoll wie eh und je. Seine Mutter kniff ihn in die Backe und versetzte ihm dazu noch einen leichten Klaps - als Aufforderung, sich zu benehmen. Santo nahm sie daf r schnell in die Arme oder dr ckte ihr die Hand. Er konnte sie noch immer zum Lachen bringen oder dazu, am Abend auf der Veranda, mit Benito in ihren Armen, zu singen. Und beide wurden sie der kleinen Streiche nicht m de, die er ihr spielte. Wenn er sich in die K che schlich, um ein St ck warmes
Benito h tte der Letzte sein sollen, das wei ich. Ich bin ein nachtr glicher Einfall, bitters und qu lend. An diesen seltenen Nachmittagen, wenn das Haus leer ist, schlendere ich in Benitos altes Zimmer, das jetzt Papas Heiligtum ist, und lehne mich an das Bett, bis mein Kopf aufh rt, sich zu drehen, bis die W nde zum Stillstand kommen. Papas Geruch beruhigt mich, ein Speichergeruch, der an uralte Zeiten erinnert und an l und Kirche. Und dahinter, aus einer Schublade in der hellen Kommode, der Duft von Babylotion.
Blendet man die Sophia-Loren-Memorabilien aus - das Poster, die Platten, die Videokassetten, die Zeitungsausschnitte, den rot, wei und gr n eingefassten herzf rmigen Aschenbecher, der Sophia dabei zeigt, wie sie einen Kuss in die Kamera wirft -, dann findet man noch genug, was an meinen Bruder erinnert. Da ist nat rlich das Bettchen. Das springt sofort ins Auge, darum kommt man nicht herum. Seine Kommode. Das Nachttischl mpchen in Form eines F ustlings. Sein hellblauer Rosenkranz, der um ein Foto von Benny drapiert ist, das ihn als Kleinkind mit zu roten B ckchen zeigt und auf dem Nachttisch steht, im schiefen Winkel zum Spitzenkisschen.
Wenn ich auf diesem Bett sitze, befinde ich mich in einer anderen Welt. Benito macht seinen Collegeabschluss, sein Examen in Medizin. Wir sehen aus wie Br der, das sagt jeder - eine Statur wie eine Z ndkerze und dazu ein rundes Gesicht, dunkel, Papas dichtes Haar und Mamas breite Schultern. Wir sitzen hinten im Bus und fahren ins Wrigley-Field-Stadion, sitzen nebeneinander auf der Trib ne. Er bringt mir die Feinheiten des Spiels bei, welcher Schlag als N chstes kommen sollte und wohin der Ball gehen muss. Er liebt das Spiel beinahe mehr als mich. Und wenn ich an meine Familie denke, besteht die Peccatori-Familie aus einer Schwester und sechs Br dern, nicht f nf. Es sind sechs, und es werden immer sechs sein.
1957
Als er sie zum ersten Mal sah, wie sie aus dem Richtung Westen fahrenden Bus in der Grand Avenue ausstieg, fasste sich Santo Peccatori voll Begehren an die Brust. Er blickte durch die silbern get nten Scheiben von Mio Fratello, wo er am Wochenende f r seinen Vater und seinen Onkel arbeitete. Die Tische abwischte und die Cocktailgl ser sp lte, Arbeiten, die bald seine j ngeren Br der, Anthony und Alfredo, bernehmen w rden, jetzt, da sie keine Schule hatten. W hrend er, Santo, nachdem er seinen Abschluss der High School in der Tasche hatte, sich darum k mmern w rde, dass immer genug Wein und Schnaps da war, und auch mal einschenkte, wenn sein Vater unterwegs war und Onkel Vince sich nicht schnell genug von den Stammg sten losrei en konnte. Und nat rlich w rde er sich hier ans Fenster stellen, damit ihm nicht entging, wenn Sylvia Gomez um f nf Minuten nach vier aus dem Bus stieg, nach ihrer Acht-Stunden-Schicht bei Illinois Bell.
Sie hatte ein rmelloses Kleid mit einem Ringelblumenmuster an, das ihn an die Kleider erinnerte, die seine Mutter trug, als er ein Kind war. Sie wartete, w hrend der Bus, ein hellgr n- und cremefarbener Grasshopper, der von Hunderten knisternder Volts in der Oberleitung gezogen wurde, an ihr vorbeifuhr und ihm ein paar Sekunden die Sicht auf sie verstellte. Die Stromabnehmerstangen klirrten auf der Leitung und zuckelten zweimal, dann verschwand der Bus aus dem Blickfeld. W hrend sie darauf wartete, dass der Verkehr sich lichtete und sie die Grand berqueren und hinter Mio Fratello vorbei zu ihrer Wohnung gehen konnte, streckte sie sich und wandte sich um, als sei sie gerade aus einem langen Schlaf erwacht. Santo starrte auf ihre nackten Beine. Sie trug ihre schwarzen bequemen Schuhe, die mit dem kleinen Absatz, mit denen sie immer etwas unsicher ging. Weil sie zu lange in derselben Haltung gesessen hatte, hatte sie auf ihrer rechten Wade einen roten Kreis, so gro wie ein Pfirsich, wie Santos Handfl che.
Santos Vater, Agostino, der dabei war, die Flaschen Gallo-Wein hinter der Bar aus den Kisten zu r umen, linste ebenfalls hin ber zur Haltestelle, wo sich Sylvia Gomez jetzt das dichte schwarze Haar hinter die Schultern strich und am Riemen ihrer Handtasche zog. Sie machte sich bereit, ber die Stra e zu gehen. Agostino setzte eine bauchige Weinflasche mit Henkel ab und schlenderte zum Hinterausgang hinaus. Das Erdgeschoss war eine Kombination aus Spirituosenhandlung und Bar - manche nannten es einen Club -, wo immer dieselben zwanzig oder drei ig M nner ihre schwei nassen Dollar f r ein Glas Lik r oder Schnaps z ckten und sich an hei en Sommerabenden wie diesem anschlie end nach hinten zu einer Runde Boccia zur ckzogen. Agostino schnappte sich den breiten Rechen und nivellierte die Kiesel in der Bocciabahn. Eine von mehreren Arbeiten, die er sich gerne f r den Nachmittag aufhob, damit er um diese Zeit l ssig nach drau en gehen und sich einen gesch ftigen Anstrich geben konnte. Er und sein Bruder Vincenzo, der in der Wohnung ber der Bar wohnte, hatten vor sieben Sommern mit schmalen Brettern und Holzschrauben einen Rahmen f r die Bahn gebaut. Jedes Jahr strichen sie die Bretter aufs Neue dunkelgr n und frischten die roten Foullinien auf. Weshalb die Bahn bis auf ein paar von missgl ckten W rfen r hrende Dellen aussah, als habe noch nie jemand einen Fu auf sie gesetzt.
Er pfiff eine langsame Arie, jeden Ton sicher und pr zise, bis er aus den Augenwinkeln Sylvia Gomez ersp hte.
"Signora", rief er, lehnte sich mit dem Ellbogen auf den Rechen und wischte sich mit dem Handr cken ber die Stirn, als w re er schon seit Stunden mit den Kieseln zugange. Er musste sich anstrengen, um sein linkes Auge ruhig zu halten - sein Vater hatte ihn sinistra genannt -, und diese Kombination aus dem wandernden Auge und der leichten Anspannung, der es bedurfte, um es zu fixieren, verlieh ihm einen leicht nachdenklichen Ausdruck. Obwohl er von durchschnittlicher Gr e war, wirkte Agostino schlaksig. Seine von einem schmalen braunen G rtel gehaltene Khakihose fiel modisch. Der dunkle, grau gesprenkelte Schnurrbart war von Schwei tr pfchen bers t.
"Se or", antwortete sie und nickte.
"Wieder so ein hei er Tag heute."
Er staunte ber den Klang der Worte in seinem Kopf, bevor er sie aussprach. Reinster Midwesternakzent. Und was mit diesen Worten geschah, sobald sie seinen Mund verlie en. Diesen harten Akzent annahmen, an dem er sich so abm hte. Selbst noch nach zweiundzwanzig Jahren in Amerika.
Sie ging langsamer und blieb schlie lich stehen. "Nicht so hei wie gestern."
Sie konnten die Augen nicht voneinander lassen. Sie h ngte sich die Handtasche ber die andere Schulter, und Agostino kratzte sich am Kinn. Schlie lich lie en sie die Augen voneinander und sahen beide hin ber zu dem braunen Ziegelbau nebenan. Etwas versteckt zog sich an dem Geb ude dort, wo morgens die Sonne hinknallte, ein schmaler Streifen Erde entlang, der als Gem segarten diente: Tomaten und Gurken und ein paar B schel Petersilie.
Von drinnen lugte Santo heraus und rechnete, dass Sylvia Gomez mit ihren sieben- oder achtundzwanzig Jahren altersm ig seinem Vater nicht n her stand als ihm. Santo, der n chsten Monat achtzehn wurde, dachte verdrossen, dass Sylvia Gomez diesem Treffen wohl ebenso entgegenfieberte wie sein Vater.
Agostino winkte sie zu einem Tisch. "Kommen Sie. Setzen Sie sich. Auf ein Glas vino."
"Ein kleines Glas." Er trat zu einem der wei en, schmiedeeisernen Tische und zog einen Stuhl heraus. "Bitte. Setzen Sie sich. Hier im Schatten ist es k hl."
Mit Mrs. Gomez am Tisch w rde sein Vater nicht die Bestellung zu ihm hineinbr llen. Es juckte ihn ohnehin, den Wein hinauszubringen und ihn daran zu erinnern, dass Mama ihn heute Abend zu Hause zum Abendessen erwartete. Mama, die den ganzen Tag am Herd stand, weil ihre Schwester, Zia Lupa, von ihrer Reise zur ckkehrte. Endlich kam wieder einmal die ganze Familie zusammen - bis auf Onkel Vince, der sich um den Laden k mmern musste. An einem Tischende w rde Zia Lupa sitzen, am anderen Agostino. Mama sa neben Zia, obwohl sie nicht recht viel zum Sitzen kommen w rde. Anthony und Alfredo auf der einen Seite, wo sie sich mit ihren pubert ren Witzen am sieren w rden. Und Santo und seine ein Jahr j ngere Schwester Victoria auf der anderen Seite. Sie zog bestimmt den ganzen Abend eine Schnute, weil man sie wie das Nesth kchen behandelte, wo sie doch bereits sechzehn war. Sie durfte nicht einmal in die N he von Mio Fratello. Und nat rlich der kleine Benito, der neben Victoria hineingequetscht wurde. So konnte sie auf ihn aufpassen und er zugleich als Puffer vor Zia Lupa dienen.
Santo wartete, bis sein Vater ins Lokal gehuscht und mit dem Wein zur ckgekommen war, bevor er anfing, einen der vier Barhocker abzuwischen. Denn von hier hatte er den besten Blick auf Mrs. Gomez' R cken. Zumindest einen Teil davon. An ihrer rechten Schulter lugte ein elfenbeinfarbener Tr ger ein ganz klein wenig unter dem Kleid hervor. Santo stellte sich vor, wie sie an diesem Morgen den B stenhalter anzog und ihn irgendwie festhielt, w hrend sie die H kchen zumachte. Wie sie in das Ringelblumenmuster stieg und die Arme durch die Arml cher streckte. Oder hob sie das Kleid und streifte es ber, lie es wie Wasserkaskaden an sich herabgleiten? Diese Schlafzimmergesten stellten f r ihn ein gro es Mysterium dar. Santo verstand nicht genau, was die beiden sprachen, aber er h rte sie immer wieder lachen.
Sein Vater sah dann jedes Mal auf ihre kleinen Br ste und anschlie end zur Stra e hin ber, die zu ihrer Wohnung f hrte.
Santo trat n her, versuchte, mehr zu verstehen. Agostino erz hlte ihr vom Gro en Krieg, die alte Geschichte von seinem Vater, wie dieser in Italien von den Deutschen erschossen wurde. Er erz hlte ihr, was er und Vince machten, als sie das Telegramm aus bersee erhielten - sie rauchten eine Zigarette in ihrer Bar, was sonst. Und zu allem bel machte sich Roosevelt ein t gliches Vergn gen daraus, Mussolini in die Pfanne zu hauen. Wodurch die hart arbeitenden Italiener in Amerika wie die Hunde den Schwanz einzogen. Santo fragte sich, warum er ihr solche Geschichten erz hlte. Es sei denn, er hatte es auf ihr Mitleid abgesehen. F r jeden anderen Zuh rer h tte sein Vater noch den Teil hinzugef gt, wie er seinen j ngsten Sohn Benito nannte, nur um es einem Verr ckten wie diesem Mussolini nicht zu erlauben, einen so sch nen Namen zu beschmutzen. Aber anscheinend dachte sein Vater, dass diese Art von Trotz ihm bei ihr nicht weiterhelfen w rde, sondern sie vielleicht sogar vor den Kopf sto en k nnte. Und auf keinen Fall w rde er ihr erz hlen, dass Benito nach dem Gro vater seiner Frau genannt worden war, einem liebensw rdigen alten Herrn, der seine Zeit auf Erden zwischen seiner Arbeit als Bauer und als Frescomaler in italienischen D rfern aufteilte.
Diese nachmitt glichen Treffen waren noch immer etwas steif, was darauf schlie en lie , dass sein Vater noch nicht mit Mrs. Gomez schlief. Das machte Santo Mut. Allerdings waren die Aff ren seines Vaters nie leicht zu durchschauen, Santo konnte daher nicht sicher sein.
Er stie die Glast r auf und steckte den Kopf hinaus in die Nachmittagssonne. "Hey, Pop. Ist Onkel Vince oben?"
Mrs. Gomez stellte ihr Glas ab und blitzte Santo mit einem breiten L cheln an. Agostino starrte ganz unverhohlen auf ihre Br ste.
"Non lo so", erkl rte Agostino seinem Sohn.
"Hallo, Santo", sagte Mrs. Gomez.
"Hallo."
"Warum?", fragte Agostino.
"Warum was?", wollte Santo wissen.
"Warum brauchst du Zio?"
"Ach so. Ich wollte nur wissen, ob er schon JB bestellt hat. Der wird knapp."
Agostino beugte sich zu Mrs. Gomez, deutete auf den Laden und sagte: "Er glaubt, die Laden geh ren ihm." Und r umte achselzuckend ein: "Er es makken gut."
Santo sp rte, wie ihm die Brust anschwoll. Wenn er drei Jahre lter w re, k nnte er den Laden selbst f hren. Eine Vorstellung, die ihm au erordentlich gefiel. Vielleicht w rden sie den Laden sogar umbenennen - Mio Fratello e Figlio. "Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Mrs. Gomez?"
Sie trank das Glas aus, wischte sich mit der zerkn llten Serviette ber den Mund und tat seine Frage mit einer Handbewegung ab. "Nein, nein. Ich muss gehen."
"Vielleicht einen Kaffee?", fragte Santo.
"Nein."
"Wasser?"
Sie sch ttelte den Kopf.
"Einen Zahnstocher?"
Santo bekam das Lachen, auf das er es abgesehen hatte. Er war nicht der bestaussehende Sohn der Familie - seine abstehenden Ohren waren oben leicht eingedellt, und seine Freunde nannten ihn manchmal Walnuss wegen seiner Kopfform. Aber er strahlte Selbstvertrauen aus. Als kleiner Junge war er es gewesen, der bei Feiern herumh pfte und Zia Lupa und Onkel Vince und alle anderen G ste mit K ssen berh ufte, w hrend seine Br der sich im Scho seiner Mutter versteckten. Und wenn man ihn fragte, ob er schon eine Freundin habe, bleckte er die ebenm igen Z hne und zeigte jedem den Schulschnappschuss einer Mitsch lerin. Die M dchen fanden ihn selbstsicher und harmlos. Als er sich mit sechzehn f r sie zu interessieren begann, konnte er sich dadurch weitaus gr ere Freiheiten herausnehmen und unter ihren Blusen weiter nach oben gelangen, als sie ihm vielleicht sonst zugestanden h tten.
Als Mrs. Gomez die Stra e hinunterging, sahen Vater und Sohn ihr nach. Agostino fuhr sich mit einem Taschenkamm durch das allm hlich sch tter werdende Haar, wobei die freie Hand ber dem Kamm schwebte. Eine Geste, die Santo insgeheim bewunderte. Die sehnigen Arme seines Vaters, an denen bei jedem ligen Strich die Muskeln hervortraten, erinnerten ihn an die eleganten Bewegungen eines Bodybuilders. Santo wandte sich um und ging hinein. Die Glast r fiel hinter ihm zu. Er sp rte ein Ziehen in der Brust, eine Vorfreude, nicht un hnlich dem Ziehen, das er als Junge gesp rt hatte, als er auf der Treppe vor der T r sa und auf den Postboten wartete. Der ihm den Preis bringen w rde, den er mit dem Verkauf von S igkeiten f r St. Columbkille gewonnen hatte. Aber er war kein Junge mehr. Die Schule war ein f r alle Mal vorbei. Und der hei e Sommer begann erst.
Santo klopfte an das Fenster in Onkel Vince' Hintert r. Dreimal, kurz und fest. Immer wieder. Dabei sah er in die gr n und grau geflieste K che. Sein Onkel wohnte alleine in der Wohnung im ersten Stock ber der Bar. Seine Frau Gloria hatte ihn 1934 nach einem Jahr Ehe verlassen, weil er, wie sie behauptet hatte, mehr Zeit in der Bar verbrachte als mit ihr. Sie war eine ppige Blondine, und Vince trug noch immer Fotos von ihr in seiner Brieftasche herum, die er bereitwillig herzeigte. Ein richtiges Busenwunder, erkl rte er jedem, der es h ren wollte. Kurz nachdem sie ihn verlassen hatte, schickte Vince seinem Bruder Agostino in Italien ein Telegramm, in dem er ihm anbot, Partner in seinem Gesch ft zu werden. Er hatte bereits mit dem Trinken angefangen und wusste, ohne Hilfe w rde er das Gesch ft verlieren. Zun chst wollte Agostino nicht so recht. Er hatte gerade seine lange Lehrzeit bei dem Schneider Lucca Strazzi in Neapel beendet, aber die Aussichten, als Schneider in seinem kleinen Dorf ein gut gehendes Gesch ft aufzubauen, waren gering. So oder so musste er weggehen, entweder nach Neapel oder nach Amerika. Die Telegramme seines Bruders wurden immer dr ngender, und schlie lich zog Agostino in das zweite Schlafzimmer in der Wohnung seines Bruders ber der Bar, die sie in Mio Fratello umbenannten.
Santo wandte sich zu der Singer-N hmaschine, die hinter ihm in dem abgetrennten Vorbau stand. Sie geh rte seinem Vater. Er atmete den Geruch des A-1- lk nnchens auf der Maschine ein. Das schwarze, aus schmiedeeisernen Bl ttern und Ranken gearbeitete Pedal versetzte ihn einen Augenblick lang zur ck auf den Scho seines Vaters. So lange war das noch nicht her, und pl tzlich sehnte er sich mit einer Macht in diese Zeit zur ck, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er hatte noch das angenehme rhythmische Klicken des Pedals im Ohr, wenn sein Vater an der Maschine sa und es trat, damit es den Lederriemen antrieb, der die Eisenr der drehte, die wiederum die Nadel wie einen geschmierten Kolben durch den Stoff stie en. Ein schwarzer Faden hing von der Spule oben in der Maschine.Er konnte sich noch vage daran erinnern, dass die N hmaschine zu Hause im Keller stand, seine Mutter damit einen Kragen flickte, aber diese Erinnerung schien ihm eher ein Traum denn echt zu sein. Was f r eine Theorie sprach, die ihn in letzter Zeit sehr besch ftigte - dass beinahe alle Erinnerungen an seine Mutter in denselben nebligen Schleier geh llt waren, weil er und seine Mutter sich noch immer so nahe waren und sich im Lauf der Jahre so wenig zwischen ihnen ge ndert hatte. Die Tage gingen ineinander ber. Ihr Verh ltnis war liebevoll wie eh und je. Seine Mutter kniff ihn in die Backe und versetzte ihm dazu noch einen leichten Klaps - als Aufforderung, sich zu benehmen. Santo nahm sie daf r schnell in die Arme oder dr ckte ihr die Hand. Er konnte sie noch immer zum Lachen bringen oder dazu, am Abend auf der Veranda, mit Benito in ihren Armen, zu singen. Und beide wurden sie der kleinen Streiche nicht m de, die er ihr spielte. Wenn er sich in die K che schlich, um ein St ck warmes
... weniger
Autoren-Porträt von Tony Romano
Tony Romano hat 25 Jahre lang als Highschool-Lehrer gearbeitet. Nebenbei schrieb er vor allem Kurzgeschichten, die in verschiedenen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht wurden. Zweimal wurde er für den angesehenen 'Pushcart Prize' nominiert, zweimal mit dem 'PEN-Syndicated- Fiction-Preis' ausgezeichnet. Der Autor lebt in der Nähe von Chicago, Illinois.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tony Romano
- 2007, 380 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: v. Isabella Bruckmaier
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442463785
- ISBN-13: 9783442463787
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