Balzac
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Balzac von Johannes Willms
LESEPROBE
Balzac istein Chamäleon. Von seinem gesellschaftlichen Leben, seiner Verschwendungssucht,dem Fimmel für Antiquitäten und kostbare Nichtigkeiten, seinem grotesken oderabstoßenden Schmuck- und Putzbedürfnis berichten zahllose Anekdoten. Malfiguriert er da als hemmungsloser Aufschneider, Lügner oder Großkotz, mal alsZecher und Fresser, der mit maßloser Gier alles verschlingt: Austern undKapaunen, Weib und Wein. Dass die Mitwelt ihn vor allem als schillerndenExzentriker, skrupellosen Schuldner und lärmenden Bohemien wahrgenommen hat,daran ist Balzac wahrhaftig nicht unschuldig. Dieses Auf-den-Putz-Hauen, diedemonstrative Zurschaustellung von geborgter Opulenz und lärmender Lebenslust,war ebenso Selbstreklame wie Versicherung der eigenen Bedeutung. Doch hat erdamit auch sein Bild bei der Nachwelt bis heute unvorteilhaft beeinflusst. Wiesollte ein solcher Bruder Lustig, ein Hochstapler solchen Grades je imstandesein, ein Werk zu schaffen, das fraglos zu den größten Schöpfungen des 19.Jahrhunderts gehört?
DieAntwort: Balzacs Existenz zerfällt in Schein und Sein. Der Schein war die mitnie erlahmendem Eifer inszenierte Projektion von Ruhm und Ruf, mit denen er dieZeitgenossen zu blenden suchte. Das hat ihm viel Spott, Neid und Feindschafteingetragen, Reaktionen, die er durch herrischen Hochmut, mit dem er auf dieKollegen manchmal herabblickte, zusätzlich provozierte. Balzacs Sein hingegenwar geprägt von asketischem Arbeitsethos, einer manischen Wut, zu schaffen, zugestalten, Schöpfer eines Welttheaters zu sein. Dieses Treiben hat erneugierigen Blicken weitgehend verborgen, darüber gab er nur selten Auskunft.Was soll man davon berichten? Das Schreiben ist ein einsamer, einentbehrungsreicher, o∫ von Selbstzweifeln und Ängsten vor dem Scheiterngeprägter Prozess. Das Publikum, wusste Goethe, soll nicht in das Geheimnis desKünstlers hineinschauen, ein Motto, das auch Balzac beherzigte.
Umungestört arbeiten zu können, machte Balzac die Nacht zum Tage. Um Mitternacht,wenn selbst mit dem überraschenden Besuch von Gläubigern nicht mehr zu rechnenwar, setzte er sich nur mit der Mönchskutte bekleidet an den Schreibtisch. Wiejeder, der konzentriert geistig arbeiten will, brauchte er eine große Spannevon Stunden, um jene schöpferische Spannung zu erzeugen, die den zunächstzögerlichen Gedankenkuss immer rascher strömen lässt. Die weiße Kutte ist ihmRitual wie praktische Arbeitskleidung. Sie liegt locker dem Körper an, beengtihn nicht und wärmt im Winter oder kühlt im Sommer. Von einem Band, später voneiner mit goldenen Eicheln geschmückten Kordel zusammengehalten, in dem er wieein Handwerker seine Arbeitsutensilien, Schere und Falzbein, stets griffbereit steckenhat, dient dieses Gewand als Rüstung für jene unblutigen Schlachten, bei denendie Krähenfeder das Schwert ersetzt. Die Vorhänge sind dicht geschlossen, dennselbst der Anbruch des Morgens soll nicht ankündigen, wie viel Zeit verstrichenist. Gleichmäßiges, warmes Licht spenden nur die Kerzenleuchter, die denSchreibtisch flankieren und den Raum ringsum im Dämmer versinken lassen. Alldiese Zurüstungen braucht Balzac, um mit der Alchemie von Phantasie und Talentseine Welt zu erschaffen, Figuren und Handlungen mit rascher Hand aufs Papierzu werfen, Intrigen zu spinnen, Leidenschaften aufschäumen zu lassen.
Damit derSchöpfungsprozess immer wieder aufs Neue gelingt, zwanzig, dreißig, bisweilenwohl vierzig Bogen Schreibpapier mittels Krähenfeder und Tinte in denregelmäßigen Lineamenten seiner energischen Schrift am Ende einer solchenNachtsitzung gefüllt sind, wollen alle Gewohnheiten peinlich genau eingehaltensein. Zu diesen gehört das Schreibmöbel, ein eher kleiner, unscheinbarer,rechteckiger Schreibtisch, dem Balzac stets die Treue hielt und den er beiallen o∫ überstürzten und fluchtartigen Wohnungswechseln mit sich nahm.Zu diesen Gewohnheiten gehört selbstverständlich die Beschaffenheit desSchreibpapiers. Balzac bevorzugt ein leicht bläuliches, satiniertes Papier, vondem ein Stoß auf der linken Seite des Schreibtischs aufgeschichtet ist. DiesePapierbeschaffenheit hat praktischen Grund: Sein bläulicher Schimmer vermeidetdie Blendung und damit eine rasche Ermüdung des Auges, während seine Glätte dieFeder mühelos dahingleiten lässt. Stets bedient sich Balzac einer Krähenfeder,die geschmeidiger und weicher als ein Gänsekiel ist, sich allerdings schnellerverbraucht. Deshalb beendet sich immer ein Vorrat dieser Federn zugeschnittenund griffbereit neben dem Tintenfass. Ein kleines Notizbuch, in das er sichEinfälle, Beobachtungen notierte, liegt zur Rechten auf dem Schreibtisch. Sonstist die Platte blank, türmen sich keine Bücher, keine Stapel mit Exzerpten,keine Zettelkästen oder sonstige Hilfsmittel. Die Arbeit, zu der sich Balzacnun niederlässt, ist bereits getan; was jetzt geschieht, ist die Umsetzung desgedanklich bereits weitgehend Geleisteten in Schriftzeichen, die er auf demPapier fixiert.
BalzacsManuskripte sind Dokumente sich stetig beschleunigender Prozessabläufe. Seltenverraten sie eine Stockung, weit häufiger künden wahre Kaskaden und Katarakteverkürzter Silben und Worte davon, dass die Schreibhand alle Mühe hat, demGedankenfluss verständliche Zeichenform zu geben. Sobald der Schaffensrauscheinsetzt, steigert sich das Tempo unerbittlich. Das geht so lange, bis einSchreibkrampf die Hand lähmt oder das Auge von Müdigkeit trüb wird, der Rückenschmerzt oder das erhitzte Blut in den Schläfen pocht. Allein das zwingt zumInnehalten, aber keineswegs zum Aufgeben, denn es gilt, das Pensum zu erfüllen,jene zwanzig, dreißig oder vierzig Manuskriptseiten, ehe er sich wirklich Ruhegönnen kann und darf. Um sich erneut zu stimulieren, letzte Kraftreserven zumobilisieren, den Körper seinem Willen gefügig zu machen, sucht Balzac jetztZuflucht bei einem Aufputschmittel, dessen jahrelanger Abusus wesentlich dazubeitrug, seiner an sich robusten Gesundheit nachhaltig zu schaden: Die aufeiner Anrichte bereitstehende Cafetière wird erhitzt, und Balzac zelebriert dasRitual der Kaffeezubereitung, um das sich zahlreiche Anekdoten ranken.
BalzacsKaffeekonsum ist legendär: Stark musste er sein, schwarz und heiß. Er trank nureine bestimmte, selbst zusammengestellte Mischung, für die er sich die unterschiedlichenBohnen, Bourbon, Martinique und Mokka, bei drei verschiedenen Händlern, derenLäden über Paris verteilt waren, zusammenkaufte. Um seine Vorräte aufzufüllen,musste er wahre Expeditionen unternehmen, die einen halben Tag seiner kostbarenZeit verschlangen. Dieser Aufwand war ihm die einzig genehme Bohnenmischungwert, denn nur diese garantierte jene belebende Wirkung, von der er abhängigwar, um den nächtlichen Schaffensorgien genügen zu können. Da jedes Suchtmittelmit der Gewöhnung an Wirkung verliert, musste Balzac die Dosis immer mehrsteigern, so lange, bis auch dieses nichts mehr nützte, die erhoffte Belebungnur für immer kürzere Spannen bemerkbar wurde, ihn dafür immer häufigerentsetzliche Magenschmerzen anfielen. Balzacs Riesenwerk entstand nicht nur ausFlüssen von Tinte, sondern auch aus wahren Strömen von Kaffee, das Schweröl,mit dem er die Maschine seines Körpers befeuerte.
Nachsolchen erschöpfenden, meist erst gegen acht Uhr endenden Nachtsitzungen gönntesich Balzac als kurze Unterbrechung ein leichtes Frühstück und ein heißes Bad,auf das er ebenso wenig verzichtete wie sein Idol Napoleon. Auch Balzacschätzte diese Entspannung als schöpferische Muße, er konnte, während dererschöpfte Körper sich wie- der kräftigte, seine Phantasie arbeiten lassen,ohne die Einfälle und Gedanken sofort zu Papier bringen zu müssen. Kaum aberhatte er das Bad verlassen und sich wieder in seine Kutte gehüllt, hieß es fürihn, wieder am Schreibtisch Platz zu nehmen, wobei er sich nun über die Korrekturbögenbeugte - Boten aus der Druckerei hatten sie gebracht und dabei gleich jenenManuskriptstoß mitgenommen, der in der Nacht geschrieben worden war. Dieserausgepicht arbeitsteilig geordnete Schöpfungsprozess hat etwas geradezuFabrikmäßiges. Diese Romanmanufaktur war aber die unverzichtbare Voraussetzungfür den ungeheuren Ausstoß, den Balzac unter der Firma der Comédie humaine alsLebenswerk produzierte.
© VerlagDiogenes
- Autor: Johannes Willms
- 2007, 02. Aufl., 368 Seiten, Maße: 12 x 18,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257066244
- ISBN-13: 9783257066241
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