Eine kurze Geschichte vom Sterben
Sieben Tage, die alles verändern: Eine Tochter begleitet ihre Mutter beim Sterben. Was beiden bleibt, ist eine letzte kurze Woche. Auf engstem Raum, in einem Krankenhauszimmer. Aufrichtig und schonungslos gegen sich selbst durchlebt die Tochter Trauer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eine kurze Geschichte vom Sterben “
Sieben Tage, die alles verändern: Eine Tochter begleitet ihre Mutter beim Sterben. Was beiden bleibt, ist eine letzte kurze Woche. Auf engstem Raum, in einem Krankenhauszimmer. Aufrichtig und schonungslos gegen sich selbst durchlebt die Tochter Trauer und Glück, Verzweiflung und Wut.
Weltbild kommentiert: Eine kurze Geschichte vom Sterben
Ein sehr ergreifendes Buch. Ganz fokussiert auf das Gefühl der Mutter-Kind-Bindung endet die Geschichte. Während die kranke Frau stirbt, hält sie ihr erwachsenes Kind in den Armen. Noch im Sterben gibt sie die Liebe weiter, die die Tochter zum Weiterleben braucht. Ein Gefühl, das jeden erschauern lässt. Geschrieben in einer Sprache, die ruhig und ergreifend den Emotionen freien Lauf lässt.
Weltbild kommentiert: Eine kurze Geschichte vom Sterben
Ein sehr ergreifendes Buch. Ganz fokussiert auf das Gefühl der Mutter-Kind-Bindung endet die Geschichte. Während die kranke Frau stirbt, hält sie ihr erwachsenes Kind in den Armen. Noch im Sterben gibt sie die Liebe weiter, die die Tochter zum Weiterleben braucht. Ein Gefühl, das jeden erschauern lässt. Geschrieben in einer Sprache, die ruhig und ergreifend den Emotionen freien Lauf lässt.
Klappentext zu „Eine kurze Geschichte vom Sterben “
Ein zartes, intensives Stück Literatur über eine zutiefst menschliche Erfahrung. Eine Tochter begleitet ihre Mutter beim Sterben. Was beiden bleibt, ist eine letzte kurze Woche. Auf engstem Raum, in einem Krankenhauszimmer. Aufrichtig und schonungslos gegen sich selbst durchlebt die Tochter Trauer und Glück, Verzweiflung und Wut und sie versucht, mit dem nicht immer leichten Verhältnis zur Mutter fertigzuwerden, mit den Erinnerungen und dem als sinnlos empfundenen Tod. Linda Benedikts Prosadebüt Eine kurze Geschichte vom Sterben ist ein ergreifender Monolog über das Abschiednehmen und eine schmerzhafte Liebeserklärung zugleich. Es geschieht kaum etwas in diesen sieben Tagen, quälend langsam und eintönig vergeht die Zeit und doch verändert sich alles.
Lese-Probe zu „Eine kurze Geschichte vom Sterben “
Eine kurze Geschichte vom Sterben von Linda Benedikt Sieben
Eine kleine Lampe brennt an deinem Nachttisch. Ihr dumpfes Licht legt sich gnädig über deine knochigen Gesichtszüge, die dank starker Medikation so etwas wie Ruhe ausstrahlen. Ich sitze seit vier Stunden an deinem Bett und schaue zu, wie du stirbst. Stündlich ein bisschen mehr. Aber nicht genug, um dich endlich selbst aus dem Leben zu entlassen
Isabelle hat mich damals gewarnt. Es sehe nicht gut aus. Ich solle so schnell wie möglich kommen. Dann haben wir beide geweint. Sie mit den wirklichen Bildern vor Augen, ich mit denen in meinem Kopf. Damals ist jetzt, heute ist gestern. Damals wie heute ist es nachtschwarz.
Du hast mich sofort erkannt, und ein Lächeln erschien auf deinem schiefen Mund. Das ist also die teilweise Lähmung deiner Gesichtsmuskeln, von der mir mein Schwager zwischen Flughafenempfangs- halle und Krankenzimmer erzählt hat. Ein kleines Lächeln in einem großen Gesicht. Dein Körper wirkt klein und schmächtig, wie krankgeschrumpft. Als ich dich das letzte Mal sah, konntest du lachen, gehen, stehen und reden. Und irgendwie warst du größer.
Danach hast du wieder deine Augen geschlossen. Vor Freude? Dankbar, dass ich nun endlich da bin, nachdem Isabelle den Großteil deines Sterbens bis jetzt ertragen musste? Ich weiß es nicht.
... mehr
Isabelle hat mich den Ärzten und Schwestern vorgestellt. Sichtlich erleichtert darüber, dass sie nun nicht mehr allein für die kranke Mutter zuständig ist. Ich habe mir den für mich gänzlich unverständlichen Fachjargon angehört, welchen mir Isabelle - synchron und mit Händen und Füßen - in ein verständliches Deutsch übersetzte. Schließlich kennt sie sich aus. Achim stand neben ihr. Sein schönes Gesicht hatte an Farbe verloren, und seine himmelblauen Augen waren glanzlos und ließen sich von den weiten Gesten seiner Frau nicht zum Leben erwecken. Mir haben sie hingegen Mut gemacht. Das hier ist ganz eindeutig etwas, was zu bewältigen ist. Etwas, was wir gemeinsam durchstehen müssen und werden. Schließlich ist es der Teil eines größeren Plans, den wir beide nicht beeinflussen können: Eine Mutter zieht ihre Kinder auf, und diese wiederum geleiten sie in den Tod.
Der praktische Aspekt unseres familiären Dramas bereitet mir nur wenig Sorgen. Ich hatte nur schreckliche Angst davor, dich zu sehen. So vergehend und auf mich angewiesen. Isabelle und Achim sind heim zu den Kindern. Ich bin geblieben.
Als ich ins Zimmer trat, dachte ich nur, ich möchte nicht, dass du in solch einem Zimmer stirbst. Und ich begriff auch, für eine kurze Sekunde der Empörung, dass man in solch einem Zimmer gar nicht anders kann, als zu sterben. Dann erst traute ich mich, auf das Bett zu blicken. Dein Gesicht schaute nicht zu mir, sondern zum Fenster, auf das später Januarregen fiel. Es war gekippt, und das Prasseln des Regenschauers nahm etwas von der Sterilität des Zimmers, des Linoleumbodens und der belanglosen Stiche an den blassgelben Wänden. Bilder, ich brauche andere Bilder für dich.
Die kleine Lampe neben deinem Bett warf den Schatten eines Blumenstraußes auf dein Kopfkissen. Er sah aus wie ein schwarzer, welker Heiligenschein. Oder wie ein Totenschein. Aber das fiel mir erst ein, als ich die Blumen bereits weggeworfen hatte. Ich quälte mir ein »Grüß dich« ab, setzte mich auf deinen Bettrand und schaute zu, wie du mühsam deinen Kopf in meine Richtung drehtest.
Ich erschrak, als du mich anblicktest. Dein Haar lag dünn und müde gescheitelt auf dem zerdrückten Kissen. Ein kleiner Zipfel stand in einem seltsamen Winkel zur Seite. Unter anderen Umständen hätte ich ihn als frech bezeichnet. In diesem Zimmer, zu diesem sterbenden Körper, wirkte der Haarzipfel anstößig in seiner Lustigkeit. So gar nicht passend zu deiner spitzen Nase, die ins Dunkel des Zimmers stach. Deine Augen liegen in tiefen Höhlen, und die Proportionen deines einst so wunderschönen Gesichts haben sich aufgelöst; als wäre es wachsweich und planlos auseinandergeflossen. Eine nennenswerte Wangenlinie ist nicht mehr vorhanden, Metastasen werfen links und rechts ungleiche Beulen auf. Als hätte man deine Haut willkürlich und gedankenverloren mit Reißnägeln auf ein versägtes Brett gespannt. Deine Lippen sind schmal und blutleer. Fast weiß. Es fällt aber nicht weiter auf, da dein ganzes Gesicht voll ungesunder Blässe ist. Nicht unbedingt leichenblass, nein, das ist es nicht. Nur kränklich, vielleicht wie bei einer Grippe.
Trockene Tränen kitzelten meine Augen, als ich meine kleine Tasche auf das Bett neben dem deinen abstellte. Dann nahm ich deine Hand, weil ich das dringende Bedürfnis hatte, mich an irgendetwas festzuhalten. Als ich sie in der meinen hielt, musste ich mich zwingen, nicht schreiend aus dem Zimmer zu laufen. Ein Zimmer, das nun bis an dein Ende auch das meine sein würde. Ein temporäres Daheim, aus dem mich nur dein Tod befreien würde.
Dann hast du gelächelt, und ich war plötzlich froh. Als wäre dein Lächeln und unser Händchenhalten Lösung statt Ausdruck des Problems.
Ich saß eine ganze Weile an deinem Bett und hörte auf deine rasselnden Atemzüge. Zwischendurch erzählte ich dir von meiner Reise, von dem Stau auf der Autobahn. Das Rasseln hat mich sehr irritiert. Von Metastasen in der Lunge hatte Isabelle nichts gesagt. Vielleicht war es auch nur eine Erkältung? Ich hörte dich schnaufen und röcheln und wusste nicht, wie ich, in ein paar Stunden, je Schlaf finden sollte. Eine Schwester kam herein und brachte mir eine kalte Platte. Es kam mir erst taktlos vor, neben dir zu sitzen und alleine zu essen. Noch dazu hatte Isabelle mir erzählt, dass man dir beim Essen seit ein paar Tagen Hilfe leisten musste. Das war nur sehr schwer vorstellbar.
Eine Nachtschwester kam, ein stilles Wesen. Bei ihrem Eintreten hast du dich wachgerüttelt, als ob du geahnt hättest, dass da jemand kommt, der etwas von dir will, und wenn es nur deine Temperatur und dein Puls sind. Die Schwester gab dir eine Spritze, stach dabei zielsicher in deinen dünnen, mit blauen Flecken übersäten Oberarm, pappte ein Pflaster drauf und drehte sich Richtung Tür. »Gute Nacht«, sagte sie. »Das wünsche ich Ihnen auch«, hast du geflüstert. Ich habe an meinem Wurstbrot geschluckt. Dann war sie weg und wir wieder allein.
Ich stellte das leere Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster und wollte gerade ins Bad gehen, als du etwas sagtest. Ich verstand dich nicht und lehnte mich über dein heißes, blasses Gesicht: »Was hast du gesagt, Mami?« Deine Stimme klang schwer und dunkel. Wie von einem fernen Ort. »Bleibst du jetzt da?« Und ich hörte keinen Vorwurf in deiner Stimme, nur das Bedürfnis nach Gewissheit.
»Ja, ich bleibe da.«
»Die ganze Zeit?«
»Die ganze Zeit.«
Und beide erwähnten wir nicht das Ende dieses Satzes, das unausgesprochene »bis« und das so Unglaubliche darüber hinaus.
Dann gab ich dir einen Kuss auf deinen halbseitig gelähmten Mund. Der küsste mich auch ganz zart zurück. Dann deckte ich dich zu, öffnete das Fenster weit, da der Regen aufgehört hatte und ich weiß, dass du geschlossene Fenster hasst, und ging ins Bad, um mich zu duschen. Ich ließ die Tür offen. Während ich mich auszog, warf ich einen Blick auf dein Bett, in dem ich dich nur mühsam ausmachen konnte. Alles, was ich sehen konnte, war ein kleiner Hügel gestreifter Bettdecke.
Meine Kleider waren ein Haufen fremdes Leben auf den grünen Fliesen des Badezimmers. Mein Haar roch noch nach London, nach dem Flugzeug und der Autofahrt in Achims und Isabelles verrauchtem Wagen. Nach Krankenhaus roch es noch nicht.
Als ich wieder ins Zimmer kam, hatte das schwere Atmen aufgehört. Ich nahm mein Handy, um Isabelle anzurufen. Diesmal schloss ich die Tür. Ich wollte nicht, dass du denkst, dass wir hinter deinem Rücken
über dich reden. Was wir natürlich immer getan haben.
Isabelle und Achim lagen bereits im Bett. Eines der Kinder hatte Bauchweh, weigerte sich zu schlafen und rief ständig nach ihr oder Achim. Und ich wusste plötzlich nicht mehr, was ich sagen sollte. Erzählte ihr nur kurz, was du so gesagt hast und was es zum Abendessen gab. Sie versprach, morgen vorbeizukommen. Nach der Arbeit. Ich weiß, sie ist erleichtert, dass ich nun da bin. Und sie heute Nacht schlafen kann, ohne schlechtes Gewissen.
Ich fühle bleierne Müdigkeit und einen hellwachen Geist. Es ist kurz nach neun. In London kurz nach acht. Ich traue mich nicht, den Fernseher einzuschalten, weil ich Angst habe, dich zu wecken. Ich habe mir Bücher mitgenommen. Arbeit auch. Aber ich habe weder auf das eine noch das andere Lust.
Ich lege mich auf das freie Bett neben dich und höre dir beim Atmen zu. In einem Buch, ich weiß nicht mehr in welchem, fand ich einst den schönen Halbsatz: »Über den Schlaf des Geliebten wachen«. Ich wache immer über den Schlaf der anderen, da der meine stets auf sich warten lässt. Aber ich muss mich erst daran gewöhnen, über den deinen zu wachen. So war es schließlich nicht ausgemacht. Du bist doch die Mutter und ich das Kind. Und Kinder werden bewacht und bewachen nicht selber. Dachte ich zumindest. Dann denke ich noch an einiges, woran ich mich Sekunden später nicht mehr erinnere.
Ich gehe im Zimmer auf und ab, schaue auf dich, zähle deine Atemzüge, setze mich auf den Sessel am Fenster, packe mein bisschen Wäsche aus, nehme doch ein Buch, lege mich in mein Bett und lese. Als ich das letzte Mal auf die Uhr schaue, ist es kurz nach zwei. Dann muss ich wohl eingeschlafen sein.
© 2013 by Arche Literatur Verlag AG, Zürich
Isabelle hat mich den Ärzten und Schwestern vorgestellt. Sichtlich erleichtert darüber, dass sie nun nicht mehr allein für die kranke Mutter zuständig ist. Ich habe mir den für mich gänzlich unverständlichen Fachjargon angehört, welchen mir Isabelle - synchron und mit Händen und Füßen - in ein verständliches Deutsch übersetzte. Schließlich kennt sie sich aus. Achim stand neben ihr. Sein schönes Gesicht hatte an Farbe verloren, und seine himmelblauen Augen waren glanzlos und ließen sich von den weiten Gesten seiner Frau nicht zum Leben erwecken. Mir haben sie hingegen Mut gemacht. Das hier ist ganz eindeutig etwas, was zu bewältigen ist. Etwas, was wir gemeinsam durchstehen müssen und werden. Schließlich ist es der Teil eines größeren Plans, den wir beide nicht beeinflussen können: Eine Mutter zieht ihre Kinder auf, und diese wiederum geleiten sie in den Tod.
Der praktische Aspekt unseres familiären Dramas bereitet mir nur wenig Sorgen. Ich hatte nur schreckliche Angst davor, dich zu sehen. So vergehend und auf mich angewiesen. Isabelle und Achim sind heim zu den Kindern. Ich bin geblieben.
Als ich ins Zimmer trat, dachte ich nur, ich möchte nicht, dass du in solch einem Zimmer stirbst. Und ich begriff auch, für eine kurze Sekunde der Empörung, dass man in solch einem Zimmer gar nicht anders kann, als zu sterben. Dann erst traute ich mich, auf das Bett zu blicken. Dein Gesicht schaute nicht zu mir, sondern zum Fenster, auf das später Januarregen fiel. Es war gekippt, und das Prasseln des Regenschauers nahm etwas von der Sterilität des Zimmers, des Linoleumbodens und der belanglosen Stiche an den blassgelben Wänden. Bilder, ich brauche andere Bilder für dich.
Die kleine Lampe neben deinem Bett warf den Schatten eines Blumenstraußes auf dein Kopfkissen. Er sah aus wie ein schwarzer, welker Heiligenschein. Oder wie ein Totenschein. Aber das fiel mir erst ein, als ich die Blumen bereits weggeworfen hatte. Ich quälte mir ein »Grüß dich« ab, setzte mich auf deinen Bettrand und schaute zu, wie du mühsam deinen Kopf in meine Richtung drehtest.
Ich erschrak, als du mich anblicktest. Dein Haar lag dünn und müde gescheitelt auf dem zerdrückten Kissen. Ein kleiner Zipfel stand in einem seltsamen Winkel zur Seite. Unter anderen Umständen hätte ich ihn als frech bezeichnet. In diesem Zimmer, zu diesem sterbenden Körper, wirkte der Haarzipfel anstößig in seiner Lustigkeit. So gar nicht passend zu deiner spitzen Nase, die ins Dunkel des Zimmers stach. Deine Augen liegen in tiefen Höhlen, und die Proportionen deines einst so wunderschönen Gesichts haben sich aufgelöst; als wäre es wachsweich und planlos auseinandergeflossen. Eine nennenswerte Wangenlinie ist nicht mehr vorhanden, Metastasen werfen links und rechts ungleiche Beulen auf. Als hätte man deine Haut willkürlich und gedankenverloren mit Reißnägeln auf ein versägtes Brett gespannt. Deine Lippen sind schmal und blutleer. Fast weiß. Es fällt aber nicht weiter auf, da dein ganzes Gesicht voll ungesunder Blässe ist. Nicht unbedingt leichenblass, nein, das ist es nicht. Nur kränklich, vielleicht wie bei einer Grippe.
Trockene Tränen kitzelten meine Augen, als ich meine kleine Tasche auf das Bett neben dem deinen abstellte. Dann nahm ich deine Hand, weil ich das dringende Bedürfnis hatte, mich an irgendetwas festzuhalten. Als ich sie in der meinen hielt, musste ich mich zwingen, nicht schreiend aus dem Zimmer zu laufen. Ein Zimmer, das nun bis an dein Ende auch das meine sein würde. Ein temporäres Daheim, aus dem mich nur dein Tod befreien würde.
Dann hast du gelächelt, und ich war plötzlich froh. Als wäre dein Lächeln und unser Händchenhalten Lösung statt Ausdruck des Problems.
Ich saß eine ganze Weile an deinem Bett und hörte auf deine rasselnden Atemzüge. Zwischendurch erzählte ich dir von meiner Reise, von dem Stau auf der Autobahn. Das Rasseln hat mich sehr irritiert. Von Metastasen in der Lunge hatte Isabelle nichts gesagt. Vielleicht war es auch nur eine Erkältung? Ich hörte dich schnaufen und röcheln und wusste nicht, wie ich, in ein paar Stunden, je Schlaf finden sollte. Eine Schwester kam herein und brachte mir eine kalte Platte. Es kam mir erst taktlos vor, neben dir zu sitzen und alleine zu essen. Noch dazu hatte Isabelle mir erzählt, dass man dir beim Essen seit ein paar Tagen Hilfe leisten musste. Das war nur sehr schwer vorstellbar.
Eine Nachtschwester kam, ein stilles Wesen. Bei ihrem Eintreten hast du dich wachgerüttelt, als ob du geahnt hättest, dass da jemand kommt, der etwas von dir will, und wenn es nur deine Temperatur und dein Puls sind. Die Schwester gab dir eine Spritze, stach dabei zielsicher in deinen dünnen, mit blauen Flecken übersäten Oberarm, pappte ein Pflaster drauf und drehte sich Richtung Tür. »Gute Nacht«, sagte sie. »Das wünsche ich Ihnen auch«, hast du geflüstert. Ich habe an meinem Wurstbrot geschluckt. Dann war sie weg und wir wieder allein.
Ich stellte das leere Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster und wollte gerade ins Bad gehen, als du etwas sagtest. Ich verstand dich nicht und lehnte mich über dein heißes, blasses Gesicht: »Was hast du gesagt, Mami?« Deine Stimme klang schwer und dunkel. Wie von einem fernen Ort. »Bleibst du jetzt da?« Und ich hörte keinen Vorwurf in deiner Stimme, nur das Bedürfnis nach Gewissheit.
»Ja, ich bleibe da.«
»Die ganze Zeit?«
»Die ganze Zeit.«
Und beide erwähnten wir nicht das Ende dieses Satzes, das unausgesprochene »bis« und das so Unglaubliche darüber hinaus.
Dann gab ich dir einen Kuss auf deinen halbseitig gelähmten Mund. Der küsste mich auch ganz zart zurück. Dann deckte ich dich zu, öffnete das Fenster weit, da der Regen aufgehört hatte und ich weiß, dass du geschlossene Fenster hasst, und ging ins Bad, um mich zu duschen. Ich ließ die Tür offen. Während ich mich auszog, warf ich einen Blick auf dein Bett, in dem ich dich nur mühsam ausmachen konnte. Alles, was ich sehen konnte, war ein kleiner Hügel gestreifter Bettdecke.
Meine Kleider waren ein Haufen fremdes Leben auf den grünen Fliesen des Badezimmers. Mein Haar roch noch nach London, nach dem Flugzeug und der Autofahrt in Achims und Isabelles verrauchtem Wagen. Nach Krankenhaus roch es noch nicht.
Als ich wieder ins Zimmer kam, hatte das schwere Atmen aufgehört. Ich nahm mein Handy, um Isabelle anzurufen. Diesmal schloss ich die Tür. Ich wollte nicht, dass du denkst, dass wir hinter deinem Rücken
über dich reden. Was wir natürlich immer getan haben.
Isabelle und Achim lagen bereits im Bett. Eines der Kinder hatte Bauchweh, weigerte sich zu schlafen und rief ständig nach ihr oder Achim. Und ich wusste plötzlich nicht mehr, was ich sagen sollte. Erzählte ihr nur kurz, was du so gesagt hast und was es zum Abendessen gab. Sie versprach, morgen vorbeizukommen. Nach der Arbeit. Ich weiß, sie ist erleichtert, dass ich nun da bin. Und sie heute Nacht schlafen kann, ohne schlechtes Gewissen.
Ich fühle bleierne Müdigkeit und einen hellwachen Geist. Es ist kurz nach neun. In London kurz nach acht. Ich traue mich nicht, den Fernseher einzuschalten, weil ich Angst habe, dich zu wecken. Ich habe mir Bücher mitgenommen. Arbeit auch. Aber ich habe weder auf das eine noch das andere Lust.
Ich lege mich auf das freie Bett neben dich und höre dir beim Atmen zu. In einem Buch, ich weiß nicht mehr in welchem, fand ich einst den schönen Halbsatz: »Über den Schlaf des Geliebten wachen«. Ich wache immer über den Schlaf der anderen, da der meine stets auf sich warten lässt. Aber ich muss mich erst daran gewöhnen, über den deinen zu wachen. So war es schließlich nicht ausgemacht. Du bist doch die Mutter und ich das Kind. Und Kinder werden bewacht und bewachen nicht selber. Dachte ich zumindest. Dann denke ich noch an einiges, woran ich mich Sekunden später nicht mehr erinnere.
Ich gehe im Zimmer auf und ab, schaue auf dich, zähle deine Atemzüge, setze mich auf den Sessel am Fenster, packe mein bisschen Wäsche aus, nehme doch ein Buch, lege mich in mein Bett und lese. Als ich das letzte Mal auf die Uhr schaue, ist es kurz nach zwei. Dann muss ich wohl eingeschlafen sein.
© 2013 by Arche Literatur Verlag AG, Zürich
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Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Benedikt
- 2013, 128 Seiten, Maße: 12 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ARCHE VERLAG
- ISBN-10: 3716027049
- ISBN-13: 9783716027042
- Erscheinungsdatum: 26.08.2013
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