Berührt vom Unsichtbaren
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LESEPROBE
6. JANUAR
Umdenken,erkennen, hinausgehen - Der Weg der drei Magier
Diese Männer hatten wieselbstverständlich vorausgesetzt, daß der neue König im Königshaus geborenwürde; sie hatten wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß er, der dieWeisheit und die Quelle alles Erkennens ist, bei den Gelehrten zu finden sei.Aber nun mußten sie feststellen, daß sie dort zwar Auskunft, aber nicht denNeugeborenen selbst fanden. Sie mußten erkennen, daß Gott ganz anders ist, daßer gerade nicht in der Macht dieser Welt ist und auch nicht einfach in derWissenschaft, auch nicht einfach in der Theologie da ist und sich greifen läßt.Sie mußten erkennen, daß die Macht, auch die Macht des Wissens, ihm imGegenteil oft viel eher den Zugang versperrt. Sie mußten umdenken, umlernen,ihr Sein selbst wandeln lassen. Sie mußten hinausgehen in die kleine Stadt, dieehedem eine der geringsten gewesen war, aber nun für alle Zeit nicht mehr diegeringste ist: nach Betlehem. [...] Sie mußten erkennen, daß die MaßstäbeGottes ganz anders sind, daß er sich nicht in der Macht dieser Welt zeigt,sondern auf eine ganz andere Weise uns anführt: in der Demut seiner Liebe, dienur unsere Freiheit bitten kann, ihn anzunehmen, und so uns umwandelt undgottfähig werden läßt. Auch uns geht es nicht anders als jenen Männern. Wennwir ausdenken müßten, wie Gott die Welt hätte erlösen sollen, dann würden wirsagen: Er hätte mit großer Macht alles Gegenwärtige niederwerfen müssen, und erhätte mit großer wissenschaftlicher Präzision die richtige Weltwirtschafteinführen müssen, damit alle alles das haben, was sie sich wünschen. Das istunser Denken. In Wirklichkeit wäre dies eine Vergewaltigung des Menschen und
29. FEBRUAR
Nichtschimpfen - beten!
Das Wort. Wir sind geneigt zu sagen:Was ist das schon, das Wort? Nur die Tatsachen zählen. Worte sind nichts. Aberwer näher nachdenkt, stößt auf die Macht des Wortes, das Tatsachen schafft: Eineinziges falsches Wort kann ein ganzes Menschenleben zerstören, unwiderruflichseinen Namen beflecken. Ein einziges Wort der Güte kann einen Menschenverwandeln, wo ihm nichts anderes helfen kann. So sollte uns klar werden, wiewichtig es für die Menschheit ist, daß in ihr nicht nur von Geld und Krieg, vonMacht und Nutzen gesprochen wird; daß es nicht nur das Geschwätz des Alltagsgibt, sondern daß auch geredet wird von Gott. Wort Gottes - wir brauchen es wiedas tägliche Brot. Und wir brauchen Menschen, die für dieses Wort da sind,gerade weil es uns so fremd geworden ist. Das sollten wir auch bedenken, wennwir über die Predigt schimpfen, wenn sie uns langweilig oder zu unbedeutendist. Es ist schwer, heute das Wort Gottes zu verkünden in einer Welt, dieübersättigt ist von jeder Art Sensation. Der Dienst des Wortes ist schwergeworden. Manchmal mag es dem Priester von heute ergehen wie dem ProphetenJeremia, der gegen seine Aufgabe als Prophet aufbegehrte. Er möchte am liebstendas Wort abschütteln, das ihn zum Einsamen, zum Narren gemacht hat. Aber er mußdie Last des Wortes tragen. Das sollten wir auch einmal bedenken, wenn wirunter der Unzulänglichkeit der Verkündigung stöhnen. Statt zu schimpfen,sollten wir lieber füreinander beten: daß Gott den Zuhörern die Gabe desrechten Zuhörens, den Redenden die Gnade des Redens und uns allen viel Geduldmiteinander gebe; daß er in alledem sein Wort uns erhalte, das Brot derWahrheit, nach dem auch unsere Seele hungert, selbst wenn wir es nichtverstehen ...
3. MAI
Einstarkes Zeichen der Sehnsucht Im Zeitalter des Dialogs und der Begegnung der Religionen istnotwendigerweise die Frage aufgestanden, ob man miteinander beten könne. Manunterscheidet dabei heute multireligiöses und interreligiöses Gebet. Das Modellfür das multireligiöse Gebet bieten die beiden Weltgebetstage für den Frieden1986 und 2002 in Assisi an. Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaftenversammeln sich. Ihnen ist gemeinsam das Leiden an den Nöten der Welt und ihrerFriedlosigkeit, gemeinsam die Sehnsucht nach Hilfe von oben gegen die Mächtedes Bösen, damit Friede und Gerechtigkeit in die Welt kommen können. Darausfolgt die Absicht, ein öffentliches Zeichen dieser Sehnsucht zu setzen, dasalle Menschen aufrütteln und den guten Willen stärken soll, der Bedingung desFriedens ist. Die Versammelten wissen aber auch, daß ihr Verständnis des»Göttlichen« und daher ihre Weise, sich ihm zuzuwenden, so verschieden sind,daß ein gemeinsames Beten Fiktion wäre, nicht in der Wahrheit stünde. Sieversammeln sich, um ein Zeichen gemeinsamer Sehnsucht zu geben; aber sie beten- wenn auch gleichzeitig - doch an getrennten Orten, je auf ihre Weise.Natürlich heißt »Beten« im Falle eines impersonalen (mit dem Polytheismushäufig verbundenen) Gottesverständnisses etwas ganz anderes als Beten imGlauben an den einen, personalen Gott. Der Unterschied wird sichtbardargestellt, aber in einer Weise, daß er zugleich wie ein Schrei nach derHeilung unserer Trennungen werden soll [ ] - als Zeichen in außergewöhnlichenSituationen, in denen gleichsam ein gemeinsamer Notschrei aufsteigt, der dieHerzen der Menschen aufrüttelt und zugleich am Herzen Gottes rütteln soll.
4. JUNI
Dasbissige Wort Blaise Pascals
Ich glaube, daß der Kern derseelischen Krise unserer Zeit in der Verdunkelung der Gnade der Vergebungbegründet ist. Merken wir aber zunächst das Positive der Gegenwart an: DasMoralische kommt allmählich wieder zu Ehren. Es wird erkannt, ja es ist evidentgeworden, daß aller technische Fortschritt fragwürdig und schließlichzerstörerisch ist, wenn ihm nicht ein moralischer Aufstieg entspricht. Es wirderkannt, daß es Reform des Menschen und der Menschheit ohne moralischeErneuerung nicht gibt. Aber der Ruf nach Moral bleibt schließlich dochkraftlos, weil die Maßstäbe sich in einem Nebel von Diskussionen verbergen. Inder Tat kann der Mensch die bloße Moral nicht ertragen, nicht von ihr leben:Sie wird ihm zum »Gesetz«, das den Widerspruch hervorruft und die Sündegebiert. Deswegen muß Moral, wo Vergebung - wahre, vollmächtige Vergebung -nicht erkannt oder nicht geglaubt wird, so zurechtgeschneidert werden, daß dieBedingungen des Sündigens für den einzelnen eigentlich nie eintreten können.Die heutige Moraldiskussion läuft in weiten Stecken darauf hinaus, die Menschendadurch von der Schuld zu befreien, daß die Bedingungen ihrer Möglichkeit nieeintreten können. Das bissige Wort Blaise Pascals kommt einem in den Sinn: Eccepatres, qui tollunt peccata mundi! (Seht, die Väter, die die Sünden der Welthinwegnehmen). Es gibt nach diesen »Moralisten« einfach keine Schuld mehr.
10.DEZEMBER
AdventlicherBesuch (3)
In meinem Alltag habe ich wenig Zeitfür ihn und wenig Zeit für mich selbst. Ich bin ganz eingespannt in meineGeschäfte von früh bis spät, und ich weiche sogar aus vor mir selbst, weil ichnichts mit mir anfangen kann. Der Beruf hat mich, die Gesellschaft hat mich,das Vergnügen hat mich, aber ich habe mich nicht selbst. So verwildere ichallmählich auch nach innen zu. Die Dinge treiben mich, ich bin nur eineFunktion in ihrem großen Getriebe. Nun aber hat Gott mich herausgezogen. Ichmuß still sein. Ich muß warten. Ich muß mich besinnen auf mich selbst, ich mußdas Alleinsein tragen. Ich muß den Schmerz tragen, und ich muß mich selberannehmen. Das alles ist schwer. Aber kann es nicht wirklich sein, daß Gott indieser Stille auf mich wartet? Kann es nicht sein, daß er dabei das tut, was inder Parabel vom Weinstock steht: Die Zweige, die Frucht tragen, reinigt er,damit sie mehr Frucht bringen (Joh 15,2)? Wenn ich lerne, mich anzunehmen indiesen Tagen der Stille, wenn ich mir den Schmerz gefallen lasse, weil der Herrmich dabei reinigt - bin ich dann nicht reicher geworden, als wenn ich vielGeld verdient hätte? Ist dann nicht etwas an mir geschehen, was beständiger undfruchtbarer ist als die Dinge, die man zählen und berechnen kann?
© Verlag Herder
Am 28.2.2013 trat Benedikt XVI. vom Amt des Papstes zurück.Ludger Hohn-Morisch, Dipl.-Theologe, therapeutische Ausbildungen. Verlagslektor, Autor und Herausgeber zahlreicher Werke.
- Autor: Benedikt XVI.
- 2005, 397 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Ausgew. u. hrsg. v. Ludger Hohn-Morisch
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451288656
- ISBN-13: 9783451288654
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