Bestie Mensch
Wir begegnen ihr täglich: der "Bestie Mensch". Aber wir erkennen sie nicht. Denn es gibt nur einen Augenblick der Wahrheit: die Tat.
Thomas Müller ist in Gesprächen mit Serienmördern der Frage nachgegangen, wo das Böse seinen Ursprung hat und wie...
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Wir begegnen ihr täglich: der "Bestie Mensch". Aber wir erkennen sie nicht. Denn es gibt nur einen Augenblick der Wahrheit: die Tat.
Thomas Müller ist in Gesprächen mit Serienmördern der Frage nachgegangen, wo das Böse seinen Ursprung hat und wie es sich tarnt. Er lernte die Erfahrungswelten und Abgründe dieser Menschen kennen.
Wir begegnen der Bestie Mensch täglich. Aber wir erkennen sie nicht. Denn es gibt nur einen Augenblick der Wahrheit: die Tat. Thomas Müller, Europas führender Kriminalpsychologe, sprach mit den intelligentesten Verbrechern, Serienmördern und Betrügern und ist der Frage nachgegangen, wo das Böse seinen Ursprung hat und wie es sich tarnt.
"Thomas Müller ist der schillernde Star unter den Profilern." (DIE ZEIT)
"Ein Buch, für das man getrost ein paar Thriller weglassen kann..." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Wir begegnen der Bestie Mensch täglich. Aber wir erkennen sie nicht. Denn es gibt nur einen Augenblick der Wahrheit: die Tat. Thomas Müller, Europas führender Kriminalpsychologe, sprach mit den intelligentesten Verbrechern, Serienmördern und Betrügern und ist der Frage nachgegangen, wo das Böse seinen Ursprung hat und wie es sich tarnt.
"Thomas Müller ist der schillernde Star unter den Profilern." -- DIE ZEIT
"Ein Buch, für das man getrost ein paar Thriller weglassen kann..." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bestie Mensch von ThomasMüller
LESEPROBE
17-10-2003, 9.05 Uhr
Die Taube erhobsich mit diesem typischen klatschenden Geräusch auf den halbrunden Abschlussder wuchtigen Backsteinmauer. Vier Meter hoch - man sah der Mauer an, dassFrost, Sonne und Wind über Jahrzehnte hinweg den Zerfall eingeleitet hatten,aber eben nur eingeleitet. Die Taube hüpfte noch eine Weile auf der Mauerweiter und ließ durch die Bewegung erahnen, dass ihr einFuß fehlte oder verkrüppelt war. Bei jedem Sprung schien es, als ob der Kopfdas Gleichgewicht halten würde, indem er sich zurückbewegte, wenn der Körpervorwärts sprang. Gurrend blickte sie kurz in meine Richtung, bevor sie in einemMauerloch verschwand, welches Teil jenes Gebäudes war, wo ich eigentlichhinwollte. Der Innenhof war an zwei Seiten von jener Backsteinmauer umgrenzt,die in ihrer Ausstrahlung an alte Umfriedungen englischer Schlösser erinnerte.Ich war geneigt, mir die rote Mauer ihrer beständigen Schönheit wegen auf demTiteleinband eines esoterischen Kleinformatbüchleins vorzustellen. Daruntersteht der Satz: «Liebe lässt sich nicht aufhalten.» Er soll dem Leser, der Ratin solchen Büchern sucht, optisch assoziieren, dass positive Lebenseinstellungauch durch den größten Widerstand nicht aufzuhalten ist. Die beiden anderenSeiten des Innenhofes endeten in wuchtigen, mehrgeschossigen Trakten, ebenfallsganz aus Backstein. Das tiefe Blau des Himmels strahlte eine Kälte aus, die nuran jenen letzten Oktobertagen zu spüren ist, wo die morgendliche Entscheidungfür die angemessene Oberbekleidung zur Qual wird. Der Mantel, der in der Frühnoch zur Wohltat gereicht, wird zu Mittag, spätestens jedoch am Nachmittag, zumGarant für klebrige Hemden und Blusen. Gerader könnte der Strich nicht sein,den das Flugzeug in den Himmel zeichnete und dabei den durch dieBacksteinmauern eng begrenzten Ausschnitt des Blaus in zwei nahezu gleich großeHälften teilte. Die Beständigkeit des kleinen weißen Balkens unterstrich diescheinbare Kälte und erinnerte an die übliche Ansage des Piloten, dass dieFlughöhe jetzt erreicht sei und eine Außentemperatur von minus 50 Grad Celsiusherrsche. Die hüpfende Taube, die Ausstrahlung der Backsteinmauer, der Jet inseinem luftigen Kaltbad ließen an Reisefreiheit, Venedig oder Wanderungen durchden Garten einer schottischen Grafschaft erinnern: der krasse Gegensatz zurRealität. Ich war hier, um im Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel ein besonderes Gespräch zu führen. Ich warauf dem Weg zu Lutz Reinstrom, dem die Medien Anfang der 90er Jahre den Namen«Säuremörder» gaben, weil er zwei Frauen in große Plastiktonnen gestopft undsie anschließend in Salzsäure aufgelöst hatte. Die Formalitäten am Eingang desGefängnisses waren schnell erledigt, ich war angemeldet. Abgabe meinesDienstpasses, Handys, jeglicher Metallgegenstände, kurze Einweisung in denSicherheitsstatus, der Lutz Reinstrom zugedacht war, und prägnanteWegbeschreibung über den Innenhof, der zu jenem Teil des Komplexes führte, aufden ich zusteuerte. Dieser Teil strahlte übrigens genau das aus, was der Namekurz und bündig vermittelte: Hochsicherheitstrakt. Der verantwortliche Beamtebegrüßte mich beim Eingang, wies mich nochmals in die Sicherheitsvorschriftenein und brachte mich in jenen Besucherraum, in dem ich mein Gespräch mit LutzReinstrom führen wollte. Ein länglicher Raum, spärliche Einrichtung, ein Holztisch,zwei Stühle, vergittertes Fenster. Was auffiel, war die extreme Höhe desRaumes, sodass der metallene Lampenschirm unerreichbar an einem fast zwei Meterlangen Kabel hoch oben in der Luft zu schweben schien. Ein kurzer Blick aus demFenster gab mir die Sicht auf einen kleineren Innenhof frei, der offensichtlichTeil jener Anlage war, in dem nach festgesetzten Regeln die Insassen derAnstalt alleine oder in Gruppen ihren täglichen Ausgang hatten. Ich wusstenicht mehr, das wievielte Gespräch es war, das ich inHochsicherheitsgefängnissen geführt hatte, irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen:80, 90 Es ist jener Teil meiner Arbeit, der mir immer wieder am interessantestenerscheint. Direkte Gespräche mit Leuten zu führen, welche in Erfahrungsweltenleben, die wir nicht betreten können. Was wissen wir denn wirklich von jenen,die aus dem Bedürfnis der Machtausübung heraus andere quälen und töten? Könnenwir denn nur annähernd nachvollziehen, was es bedeutet, ein Glück darin zuempfinden, wenn sich andere Menschen vor Schmerzen winden? Ein Gespräch mitLutz Reinstrom ist notwendig, um, zumindest ansatzweise, zu verstehen, dass wirin der Bearbeitung und auch in der Beurteilung von außergewöhnlich strafbarenHandlungen immer wieder Irrtümern unterliegen, weil wir glauben erkennen zukönnen, wie das «Böse» auszusehen hat. Lutz Reinstrom wurde wegen Mordes inzwei Fällen, wegen versuchten schweren Raubs in Tateinheit mitFreiheitsberaubung sowie wegen erpresserischen Menschenraubes zu einerlebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Es wurde nach deutschem Strafrecht dieSchwere der Schuld festgestellt und die Sicherheitsverwahrung angeordnet: einirdisches Urteil. Ist Lutz Reinstrom deshalb böse? Aus Sicht derKriminalpsychologie ist er es nicht. Denn diese Beurteilung hilft weder dabei,sein Verhalten zu verstehen, noch mit ihm ein vernünftiges Gespräch zu führenbzw. von ihm zu lernen, wie wir eine dramatische Entwicklung, die er im Laufeseines Lebens eingeschlagen hat, irgendwann verhindern können. Der Mann ist fürden Rest seines Lebens eingesperrt, war und ist aber ein brillanter Kürschner.In meiner beruflichen Tätigkeit verurteile ich nicht, ich beurteile und ichnehme mir die Freiheit heraus, mit jedem Menschen zu sprechen, mit dem ichsprechen möchte. Ich zwinge mich auch dazu, mit jenen zu sprechen, mit denenich nicht sprechen möchte, weil ich nur dann an Informationen herankomme, diefür meine Tätigkeit wichtig sind.
© Rowohlt Verlag
- Autor: Thomas Müller
- 2008, 9. Aufl., 224 Seiten, Maße: 12,4 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499620928
- ISBN-13: 9783499620928
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