Bildnis einer jungen Frau
Mitten in den Umbrüchen der Tudor-Zeit entfaltet sich die Geschichte um zwei der wichtigsten Gemälde Holbeins und das Schicksal einer jungen Frau, die nach der Wahrheit hinter den Bildern sucht.
Mitten in den Umbr chen der Tudor-Zeit entfaltet sich die Geschichte um zwei der wichtigsten Gem lde Holbeins und das Schicksal einer jungen Frau, die nach der Wahrheit hinter den Bildern sucht.
Bildnis einer jungen Frau von Vanora Bennett
LESEPROBE
Es dauerteweitaus länger, als ich es mir vorgestellt hatte. Endlich sahen wir, wie eineFähre auf dem Fluss heranschaukelte. Wir alle stürzten wie ein übereifrigesWillkommens-Komitee zum Landungssteg, um anschließend als Strafe für unser spontanesHandeln frierend am Ufer zu warten.
Aber dawaren zwei Menschen, nicht einer, die sich unbequem neben die aufgetürmtenTaschen und Kisten im Boot gezwängt hatten. Sie schienen einander nicht zukennen, nicht miteinander zu reden. Aber beide trugen fremdartige Kleidung. Undbeide begannen nun, ihre Habe um sich zu versammeln, als wollten sie aussteigen.
Dame Alicebetrachtete sie verwirrt, fragte sich sichtlich, welches unser Gast war, undsuchte das Gepäck nach Farben und Staffeleien und Künstler-Utensilien ab.
Einer derFahrgäste war ein untersetzter Mann ungefähr in meinem Alter, dessen kantigesGesicht vom Kopf bis zu dem derben Freisassenkinn von kurzem, hellem,gekräuseltem Haar umgeben war. Seine Augen lagen tief, und er hatte rötlicheWangen und eine kurze Nase. Er sah uns mit der zögerlichen Hoffnung einesFremden auf ein freundliches Willkommen entgegen.
Der anderewar ein großer Mann mit einem alten, über seinen Kopf gezogenen, dunklenUmhang. Erst als er aufstand, womit er das Boot zum Schaukeln brachte, und auflangen, tatkräftigen Beinen heraussprang, erkannte ich seine große Hakennaseund die unbestimmbare Traurigkeit in Augen, die den Himmel reflektierten. Erwirkte keinen Tag älter.
»John?«, fragte ich zögernd. Dann erklang hinter mir ein lauterSchrei. »John!«, rief Elizabeth, freudig und bar jenesAnstands, der von einer verheirateten Frau erwartet wurde. Sie löste sich ausWilliams Armen, um in die Arme des großen Mannes zu eilen. Er trat einen halbenSchritt zurück, wappnete sich, umfing sie und öffnete seine Arme weiter, alswollte er noch mehr Kinder umfangen. »Kleine Lizzie!«, rief er lächelnd und sah sich eher erwartungsvoll um,als hoffte er, dass sich seine früheren Schüler der Umarmung anschließenwürden.
Eine Wellelief auf einmal durch die ganze Gruppe. Eine Welle, als stünden sie alle hierin der Erwartung, sich mit einer Kostprobe imitierten Glücks zu begnügen, undbekämen plötzlich einen Teller voll unverfälschten Glücks präsentiert. Sie schartensich um die Neuankömmlinge wie hungrige Tiere. Alles andere, was sie in denGarten gezogen hatte, war vergessen. Alle fühlten sich jäh in die alten Zeitenversetzt. Einen Herzschlag hinter ihrer Schwester liefen Margaret Roper und Cecily Heron dem Neuankömmling entgegen. Er wirkte bei derHerzlichkeit der kollektiven Umarmung dieser drei Frauen erleichtert, soerleichtert, als wolle er sie alle auf einmal durch die Luft schwenken. Dann ließer sie alle, ein wenig plötzlich, los.
»Ist daswirklich John Clement?«, sagte Dame Alice, und ich glaubteeinen Moment, Tränen in ihren Augen zu sehen. Das war natürlich unmöglich - siewar stets so resolut. Aber dieses feuchte Schimmern, das ich mir eingebildethaben musste, erinnerte mich daran, wie sie und John früher oft zusammensaßen, um darüber zu diskutieren, wie sie mit mirumgehen sollten. Sie merkte nie, dass ich von der Galerie aus lauschte. Erwahrscheinlich auch nicht, obwohl ich mir dessen nicht mehr sicher war. Icherinnerte mich, dass es mich beruhigt hatte, dass sich diese Frau, die so geradeherausund kühl war, Gedanken über meine kindlichen Albträume machte und damals ruhigblieb. Es beruhigte mich auch, wie sie unserem ersten Lehrer vertraute, und wiesorgfältig sie seinen bedächtigen, wohl überlegten Antworten zuhörte. Sie warenalte Freunde.
»Clement!«, bellte der alte Sir John und wirkte erstaunt - und soaufgeregt, wie es bei dem alten, autoritären Mann nur möglich war. Er schlurfteunsicher voran.
JohnClement verbeugte sich tief vor Dame Alice (er besaß auf seine ruhige Art stetsausgezeichnete Manieren). Vor Großvater verbeugte er sich noch tiefer. Aberdann wich seine Förmlichkeit, und er legte seine langen Arme um sie beide. Ichdachte, er sei nur einen Atemzug davon entfernt, sie ebenfalls umherzuwirbeln.
Überallerklangen nun Willkommensrufe. Wangen und Hände wurden zum Gruß ausgestreckt.Und all jene unaufrichtigen Phrasen erklangen, die Menschen so äußern. »Ihrhabt euch kein bisschen verändert!« »Ihr wirkt jüngerdenn je!«
Aber er sahsich um, als hätte er noch nicht alle entdeckt, nach denen er Ausschau gehaltenhatte. Und dann erblickte er mich, und ich sah, wie sein Gesicht erstrahlte.
»Meg - ich bin am Donnerstag gekommen«, begann er. Und diesesMal hingen seine Arme unbeholfen herab, und er wollte mich nicht wie einkleines Mädchen umherwirbeln. Während ich das Glück in mir zu ihm hinausdrängenspürte, trat ich vor. Aber Mistress Alice hatte sichvon ihrem Schock zumindest weit genug erholt, um angemessen mit ihremÜberraschungsgast zu sprechen.
»Ja, nun,Master John«, sagte sie heiter und trat vor mich, um ihn liebevoll in die Wangezu zwicken. »Was tut Ihr, dass Ihr alle unsere Töchter hätschelt, als wären sieSouthwark-Königinnen? Und was macht Ihr überhaupthier? Nach all diesen Jahren aufzutauchen wie ein falscher Penny, ohne auch nureinem von uns ein Wort davon zu sagen? Nicht dass der Grund wichtig wäre - wir freuen uns einfach alle wirklich, euch zu sehen. Nein - halt- erzählt uns hier nichts. Kommt gleich mit hinauf zum Haus und erzählt es unsstattdessen am Kamin. Wir können nicht am Ufer herumstehen und schwatzen. Esist Januar, um Gottes willen. Was hat uns nur alle gepackt, hier herauszukommenund in der Kälte herumzustehen?« Und sie verdrehteulkig die Augen und führte ihn entschlossen davon, während Großvater und die Übrigenhinterhergingen und wie Raben kreischten. »Als wäre Frühling!«, hörte ich Dame Alice von weiter vorne sagen.
Und soblieb ich allein zurück, im Flusswind, der plötzlich einen Hauch von Eis insich zu tragen schien, allein auf dem Landesteg. Das heißt: allein bis auf denBootsführer, der nun Kisten und Taschen aus dem Boot zog, dazu seinenuntersetzten Passagier, der ebenso niedergeschlagen wirkte, wie ich michfühlte, während die Menschenmenge auf dem Steg verschwand.
Derhellhaarige Mann hielt meinen Blick fest. »Bitte, Mistress«,sagte er in stockendem Englisch, während er in Taschen und Beuteln suchte. »Ichsoll in Sir Thomas Mores Haus in Chelsea untergebracht werden. Bin ich darichtig?« Er nahm einen vielfach gefalteten Briefhervor, der, wie ich sogar aus der Entfernung erkennen konnte, mit Erasmus geliebter, enger Schrift bedeckt war, und warf mir aus seinen Spanielaugeneinen bittenden Blick zu. »Ach du lieber Himmel«, sagte ich, vonGewissensbissen gepackt. Einer der Gegenstände, die auf den Plankenaufgestapelt lagen, fi el mir ins Auge - ein langes, fest mit Wollstoffumwickeltes Holzgestell: Malerwerkzeuge. Der arme Mann zitterte in seinemgroben Umhang. Und alle anderen waren ohne ihn gegangen. »Ihr seid HansHolbein, nicht wahr?«( )
© KrügerVerlag
Übersetzung:Karin König
- Autor: Vanora Bennett
- 2007, 494 Seiten, Maße: 15,2 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: König, Karin
- Übersetzer: Karin König
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810502499
- ISBN-13: 9783810502490
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