Body Farm / Kay Scarpetta Bd.5
Ein Kay-Scarpetta-Roman
Kay Scarpetta muss den Mord an einem Mädchen aufklären.
Der grausame Mord an der elfjährigen Emily Steiner schockiert die Kleinstadt Black Mountain, North Carolina. Kay Scarpetta steht zunächst vor unlösbaren Rätseln. Doch...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Body Farm / Kay Scarpetta Bd.5 “
Kay Scarpetta muss den Mord an einem Mädchen aufklären.
Der grausame Mord an der elfjährigen Emily Steiner schockiert die Kleinstadt Black Mountain, North Carolina. Kay Scarpetta steht zunächst vor unlösbaren Rätseln. Doch dann deuten Spuren an der verstümmelten Leiche auf einen Täter hin, der aus Emilys engstem Umfeld stammen muss. Wurde das Mädchen Opfer einer Familientragödie?
Scarpettas Untersuchungen in dem Mordfall scheinen anfangs ins Leere zu laufen, da Emilys Tod einfach zu viele ungeklärte Fragen aufwirft: Was verschweigt Emilys Mutter? Hat der mysteriöse Selbstmord eines Polizisten etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun? Und warum verübt ein Unbekannter einen Mordanschlag auf Scarpettas Nichte Lucy?
Als die Pathologin schließlich einen verräterischen braunen Fleck auf Emilys Bein entdeckt, hat sie einen schrecklichen Verdacht, wer das Mädchen tatsächlich getötet haben könnte. Scarpetta weiß, dass ihr jetzt nur noch die "Body Farm" helfen kann: ein forensisches Labor, das menschliche Verwesungsprozesse erforscht und durch seine spektakulären Ergebnisse schon die schwierigsten Mordfälle aufgeklärt hat.
Der Roman erschien auf Deutsch erstmalig 1997 unter dem Titel "Das geheime ABC der Toten".
Klappentext zu „Body Farm / Kay Scarpetta Bd.5 “
Der grausame Mord an der elfjährigen Emily Steiner schockiert die Kleinstadt Black Mountain. Die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta steht zunächst vor unlösbaren Rätseln. Doch dann deuten Spuren an der verstümmelten Leiche auf einen Täter hin, der aus Emilys engstem Umfeld stammen muss. Wurde das Mädchen Opfer einer düsteren Familientragödie?Kay Scarpettas Untersuchungen in dem Mordfall des elfjährigen Mädchens laufen anfangs ins Leere, da Emilys Tod einfach zu viele Fragen aufwirft: Was verschweigt Emilys Mutter? Hat der mysteriöse Selbstmord eines Polizisten etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun? Und warum verübt ein Unbekannter einen Mordanschlag auf Scarpettas Nichte Lucy? Als Scarpetta auf ein entscheidendes Indiz stößt, muss ihr die "Body Farm" helfen: ein forensisches Labor, das menschliche Verwesungsprozesse erforscht und durch seine spektakulären Ergebnisse schon mehrmals geholfen hat, die schwierigsten Mordfälle aufzuklären.
Lese-Probe zu „Body Farm / Kay Scarpetta Bd.5 “
Body-Farm von Patricia Cornwell 1
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Es war der 16. Oktober. Die ersten Sonnenstrahlen vor meinem Fenster trieben Rehe langsam zum dunklen Waldrand zurück. In den Wasserleitungen über und unter mir begann es zu rauschen, und in einem Zimmer nach dem anderen ging das Licht an. Von irgendwoher schrillten Signale und zerrissen die dämmrige Stimmung. Ich war mit dem Krachen von Schüssen schlafen gegangen und auch wieder aufgewacht.
In Quantico, Virginia, hört dieser Lärm nie auf. Die Stadt beherbergt die FBI Academy, die wie eine Insel von Einheiten der Marines umgeben ist. Jeden Monat verbringe ich mehrere Tage im Sicherheitsbereich der Academy. Solange ich es nicht will, kann mich hier niemand erreichen, und es steigt mir auch keiner nach, der im Boardroom, der Kantine, ein paar Bierchen zu viel hatte.
Die Zimmer für neue Agenten und beim FBI hospitierende Polizisten sind spartanisch eingerichtet, doch mir stand eine ganze Suite zur Verfügung mit Fernsehen, Küche, Telefon und einem Badezimmer, das ich mit niemandem teilen musste. Rauchen und Alkohol waren nicht erlaubt, aber ich fragte mich, ob die Agenten und Prozesszeugen, die hier zu ihrem eigenen Schutz isoliert wurden, die Regeln auch nur annähernd so streng befolgten wie ich.
Während das Kaffeewasser heiß wurde, öffnete ich meine Aktentasche und holte einen Ordner heraus, der schon seit meiner Ankunft am Abend zuvor auf mich wartete. Ich hatte noch nicht hineingesehen, weil ich mich vor dem Schlafengehen ungern mit solch einer Sache auseinandersetze. In dieser Beziehung hatte ich mich nämlich verändert.
Seit meinem Medizinstudium war ich es gewohnt, mich jederzeit jedem nur erdenklichen Trauma auszusetzen. Ich hatte rund um die Uhr in der Notaufnahme gearbeitet. Ich hatte bis zum frühen Morgen allein im Leichenschauhaus Autopsien durchgeführt. Schlaf war immer wie ein kurzer Ausflug an einen dunklen, leeren Ort gewesen, an den ich mich hinterher kaum mehr erinnerte. Doch im Laufe der Jahre hatte sich in mir eine unangenehme Wandlung vollzogen. Ich bekam Angst vor dem Arbeiten bis spät in die Nacht. Ich hatte immer häufiger Albträume, in denen schreckliche Bilder aus meinem Leben plötzlich aus den verschiedenen Schichten meines Unterbewusstseins emporschossen.
Emily Steiner war elf gewesen. Ihre gerade erwachende Sexualität hatte ihren schmächtigen Körper wie ein erster rosiger Hauch überzogen, als sie vor zwei Wochen, am Sonntag, dem 1. Oktober, in ihr Tagebuch schrieb:
Ich bin soo glücklich! Es ist schon fast ein Uhr morgens und Mom weiß nicht das ich noch in mein Tagebuch schreibe. Ich liege nämlich im Bett mit der Taschenlampe unter der Decke. Wir waren zum Gemeinschaftsessen in der Kirche und Wren war da! Er hat mich bemerkt! Dann hat er mir ein Fireball Bonbon gegeben! Ich habe es eingesteckt als er wegsah. Er liegt in meiner Geheimschachtel. Heute Nachmittag haben wir Jugendgruppe. Er will das wir uns davor treffen und das ich es keinem sagen soll!!!
An diesem Nachmittag verließ Emily um halb vier ihr Elternhaus in Black Mountain und machte sich auf den drei Kilometer langen Weg zur Kirche. Andere Kinder erinnerten sich daran, dass sie das Mädchen nach der Gruppenstunde allein hatten weggehen sehen. Das war gegen sechs Uhr abends gewesen, als die Sonne gerade hinter den Hügeln verschwand. Den Gitarrenkasten in der Hand, bog Emily von der Hauptstraße ab und nahm eine Abkürzung um einen kleinen See. Nach Ansicht der Polizei begegnete sie auf diesem Weg dem Mann, der sie ein paar Stunden später umbringen sollte. Vielleicht blieb sie stehen und sprach mit ihm. Vielleicht aber hatte sie es in der hereinbrechenden Dämmerung auch so eilig, nach Hause zu kommen, dass sie ihn gar nicht bemerkte.
In Black Mountain, einer Stadt mit siebentausend Einwohnern im Westen von North Carolina, hatte die örtliche Polizei sehr selten mit Mord oder sexuellem Missbrauch von Kindern zu tun gehabt und noch niemals mit einem Fall, auf den beides zutraf. Kein Mensch hier hatte sich je über einen Temple Brooks Gault aus Albany, Georgia, Gedanken gemacht, obwohl sein Gesicht überall im Land von den Fahndungsplakaten mit den zehn meistgesuchten Verbrechern herablächelte. Notorische Kriminelle und ihre Verbrechen waren kein Thema, mit dem man sich in dieser malerischen kleinen Welt auseinandersetzen musste, einer Welt, aus der Thomas Wolfe und Billy Graham stammten.
Ich begriff nicht, was Gault in diese Gegend gezogen haben mochte, zu einem zarten Kind wie Emily, das nur für seine Mutter und einen Jungen namens Wren lebte. Doch als Gault vor zwei Jahren in Richmond seinen mörderischen Raubzug begonnen hatte, schien die Wahl seiner Opfer ebenso unverständlich. Sie blieb es bis heute. Obwohl ich aus meiner Wohnung in einen sonnendurchfluteten Gang hinaustrat, verdüsterte mir der Gedanke an Gaults blutige Karriere in Richmond diesen Morgen.
Einmal hätten wir ihn fast erwischt, einen Augenblick lang war er zum Greifen nah. Doch dann floh er durch ein Fenster und verschwand. Damals hatte ich keine Waffe bei mir. Es war auch gar nicht meine Aufgabe, durch die Gegend zu rennen und auf Leute zu schießen. Doch ich konnte die Selbstzweifel,
die mich seitdem erfüllten, einfach nicht abschütteln. Immer wieder stellte ich mir die Frage, was ich hätte tun können.
Der Wein in der Academy war noch nie ein guter Jahrgang gewesen, und ich bedauerte, am Abend zuvor im Boardroom ein paar Gläser davon getrunken zu haben. Mein Morgenlauf auf der J. Edgar Hoover Road fiel mir schwerer als sonst.
O Gott, dachte ich. Das schaffe ich nie.
Am Straßenrand stellten Marines Segeltuchstühle in Tarnfarben auf und beobachteten die Umgebung mit Fernrohren. Ich spürte ihre unverschämten Blicke, als ich langsam an ihnen vorbeilief, wusste aber, dass sie das goldene Wappen des Department of Justice auf meinem Ringel-T-Shirt sehr wohl zur Kenntnis nahmen. Wahrscheinlich hielten die Soldaten mich für eine Agentin oder für eine hospitierende Polizistin und ließen mich deshalb in Ruhe, aber die Vorstellung, dass meine Nichte genau dieselbe Strecke lief, gefiel mir ganz und gar nicht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Lucy ihr Praktikum anderswo absolviert hätte. Ich hatte bei dieser Entscheidung keinen geringen Einfluss auf sie gehabt, wie überhaupt auf ihr ganzes Leben, was mich nun eher beunruhigte, denn meine Kräfte ließen nach, und ich spürte, dass ich älter wurde.
Gerade rückte das HRT, das Hostage Rescue Team, zum Manöver aus, eine Spezialtruppe des FBI für die Befreiung von Geiseln. Die Rotorblätter der Hubschrauber zerschnitten träge die Luft. Ein Pick-up mit beim Schusstraining durchlöcherten Türen donnerte vorbei. Ihm folgte ein Zug Soldaten. Ich wendete und machte mich auf den zwei Kilometer langen Weg zurück zur Academy, einem Backsteingebäude, das man durchaus auch für ein modernes Hotel hätte halten können, wenn nicht die vielen Antennen auf dem Dach gewesen wären und es nicht mitten in einem waldigen Niemandsland gestanden hätte. Schließlich erreichte ich das Wachhäuschen und hob die Hand zu einem müden Gruß an den Wachhabenden hinter der Glasscheibe. Außer Atem und verschwitzt, wie ich war, überlegte ich gerade, ob ich den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen wollte, als ich spürte, wie hinter mir ein Wagen abbremste.
»Haben Sie vor, sich umzubringen oder so was Ähnliches?«, hörte ich die laute Stimme von Captain Pete Marino. Er saß in seinem silbernen Crown Victoria, die Funkantennen schwangen auf und ab wie Angelruten, und trotz zahlloser Vorträge meinerseits zu diesem Thema war er wieder mal nicht angeschnallt.
»Das kann man einfacher haben«, rief ich ihm durch das offene Beifahrerfenster zu. »Zum Beispiel, indem man ohne Sicherheitsgurt fährt.«
»Man weiß ja nie, wann man mal schnell rausspringen muss.«
»Aus einem Wrack werden Sie kaum mal schnell rausspringen«, sagte ich, »es sei denn, durch die Windschutzscheibe.« Marino war ein erfahrenes Mitglied der Richmonder Mordkommission; Richmond war unser beider Hauptquartier. Er war kürzlich befördert und auf das Revier im schlimmsten Bezirk unserer Stadt versetzt worden. Er war Experte für Gewaltverbrechen und arbeitete schon seit Jahren für das VICAP, ein Forschungsprogramm des FBI zur Ergreifung von Gewaltverbrechern.
Er war jetzt Anfang fünfzig und eine einzige Anhäufung menschlicher Schwächen, vor allem in Form von ungesunder Ernährung und übermäßigem Alkoholkonsum. Sein Gesicht war von diesem harten Leben deutlich gezeichnet und umrahmt von sich lichtendem, grauem Haar. Marino hatte übergewicht und war aus dem Leim gegangen; auch galt er nicht gerade als besonders liebenswürdig. Ich wusste, er kam zur Lagebesprechung des Falls Steiner, aber ich wunderte mich über das Gepäck auf seinem Rücksitz. »Bleiben Sie länger?«, fragte ich.
»Benton hat mich für das Street Survival eingeteilt.«
»Sie und wen noch?«, fragte ich. Für dieses Projekt, bei dem das Verhalten in brenzligen Situationen auf der Straße trainiert wird, wurden nämlich keine Einzelpersonen ausgebildet, sondern ganze Einheiten.
»Mich und mein Team aus dem Revier.«
»Nun erzählen Sie mir bloß nicht, dass zu Ihrem neuen Aufgabenbereich auch das Eintreten von Türen gehört.«
»Das ist einer der Vorzüge einer Beförderung: Man steckt mit dem Hintern wieder in einer Uniform und darf hinaus auf die Straße. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, Doc, da draußen geht's mittlerweile ganz schön zur Sache.«
»Danke für den Tipp«, sagte ich trocken. »Ziehen Sie sich dicke Sachen an.«
»Wie?« In seiner schwarzen Sonnenbrille spiegelten sich die Wagen, die langsam an uns vorbeirollten.
»Auch Farbgeschosse tun weh.«
»Ich habe nicht vor, mich treffen zu lassen.«
»Ich kenne niemanden, der das vorhat.«
»Wann sind Sie angekommen?«, fragte er.
»Gestern Abend.«
Marino zog ein Päckchen Zigaretten von der Sonnenblende. »Hat man Ihnen viel mitgeteilt?«
»Ich habe mir ein paar Dinge angesehen. Offenbar legt die Kriminalpolizei von North Carolina heute Vormittag den Großteil der Unterlagen zu dem Fall vor.«
»Es war Gault. Er muss es gewesen sein.«
»Gewiss gibt es da Parallelen«, sagte ich vorsichtig.
Er klopfte eine Marlboro aus dem Päckchen und schob sie sich zwischen die Lippen. »Ich schnappe mir diesen verdammten Hurensohn, und wenn ich durch die Hölle muss, um ihn zu finden.«
»Falls Sie ihn in der Hölle finden, lassen Sie ihn einfach dort«, sagte ich. »Gehen Sie mit mir zum Lunch?«
»Solange Sie zahlen, gern.«
»Das tue ich ja immer.« Das war eine Feststellung.
»Und das sollten Sie auch.« Er legte den Gang ein. »Schließlich sind Sie ein verdammter Doktor.«
Ich drehte mich um, überquerte die Fahrbahn und betrat die Sporthalle durch den Hintereingang. Im Umkleideraum blickten mir drei durchtrainierte junge Frauen in verschiedenen Stadien der Nacktheit entgegen.
»Guten Morgen, Mäam«, tönte es unisono, und damit wusste man gleich, wer sie waren. Die Agenten der Drogenfahndung waren in der ganzen Academy bekannt für ihre notorisch höfliche Art zu grüßen.
Etwas befangen zog ich mir die nass geschwitzten Sachen aus. An den eher männlich-militärischen Umgang hier habe ich mich nie gewöhnen können, wo es Frauen nichts ausmacht, belanglose Reden zu schwingen und sich im Evaskostüm gegenseitig ihre blauen Flecken vorzuführen. Fest in ein Handtuch gewickelt, eilte ich unter die Dusche. Gerade hatte ich das Wasser aufgedreht, als überraschend ein vertrautes grünes Augenpaar um den Plastikvorhang lugte. Die Seife glitt mir aus den Händen, rutschte über den Boden und landete kurz vor den schlammbespritzten Nikes meiner Nichte.
»Lucy, können wir uns unterhalten, nachdem ich hier raus bin?« Mit einem Ruck zog ich den Vorhang zu.
»Hör mal, Len hat mich heute Morgen fast umgebracht«, sagte sie fröhlich, während sie die Seife mit einem Tritt in die Kabine zurückbeförderte. »Es war toll. Wenn wir das nächste Mal die Yellow Brick Road laufen, frage ich ihn, ob du mitkommen kannst.«
»Nein, besten Dank.« Ich massierte mir Shampoo ins Haar.
»Ich habe keine Sehnsucht nach Bänderrissen und gebrochenen Knochen.«
»Einmal solltest du sie wirklich laufen, Tante Kay. Das gehört hier einfach dazu.«
»Für mich nicht.«
Lucy schwieg einen Augenblick, dann sagte sie etwas unsicher: »Ich muss dich was fragen.«
Ich spülte das Haar aus, strich es mir aus den Augen, schob den Vorhang zurück und sah hinaus. Meine Nichte stand ein Stück von der Kabine entfernt. Sie war verschwitzt und schmutzig vom Kopf bis zu den Füßen. Ihr graues FBI-T-Shirt zeigte Blutflecken. Mit gerade einundzwanzig Jahren stand sie kurz vor dem Abschluss an der University of Virginia; sie hatte schöne, scharfgeschnittene Züge, und das kurze kastanienbraune Haar war von der Sonne gebleicht. Ich erinnerte mich an die Zeit, als sie ihr Haar noch rot färbte und lang trug, Zahnklammern im Mund hatte und eindeutig zu dick war.
»Sie wollen, dass ich nach dem Examen zurückkomme«, sagte sie. »Mr. Wesley hat den Vorschlag eingereicht, und die Chancen stehen gut, dass die von der Bundesbehörde einwilligen.«
»Und deine Frage?« Ich wusste natürlich, was sie hören wollte, und war wieder einmal furchtbar hin- und hergerissen. »Ich möchte nur wissen, wie du darüber denkst.«
»Du weißt, dass es einen Einstellungsstopp gibt.« Lucy sah mich scharf an, um an meinem Gesicht abzulesen, was ich ihr nicht sagen wollte.
»Ich kann ohnehin nicht direkt nach dem Collegeabschluss Agentin werden«, sagte sie. »Es geht darum, jetzt in der ERF unterzukommen, vielleicht über eine Ausbildungsbeihilfe. Was ich danach mache«, sie zuckte mit den Schultern, »wer weiß?«
Die ERF, die Engineering Research Facility, war die kürzlich eingerichtete Abteilung des FBI für technische Forschung.
Sie war in einem schmucklosen Komplex auf dem Gelände der Academy untergebracht. Die Arbeit dort unterlag der Geheimhaltungspflicht, und es kränkte mich ein bisschen, dass ich als amtliche Leichenbeschauerin des Staates Virginia und beratende Gerichtsmedizinerin bei der Investigative Support Unit des FBI nie Zutritt zu Bereichen erhalten hatte, in denen meine junge Nichte täglich ein und aus ging. Lucy streifte ihre Joggingschuhe und Shorts ab und zog sich Hemd und Sport-BH über den Kopf.
»Wir sprechen später noch über dieses Thema«, sagte ich, während ich aus der Duschkabine trat und Lucy hineinging. »Autsch!«, rief sie, als Wasser über ihre Verletzungen lief. »Nimm reichlich Seife und Wasser. Wie ist das mit deiner Hand passiert?«
»Ich bin eine Böschung runtergerutscht und in der Umzäunung hängen geblieben.«
»Wir sollten lieber etwas Alkohol drauftun.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Wann geht dein ERF-Praktikum zu Ende?«
»Ich weiß nicht. Kommt darauf an.«
»Wir treffen uns noch einmal, bevor ich nach Richmond zurückfahre«, versprach ich, ging in den Umkleideraum zurück und föhnte mir das Haar.
Kaum eine Minute später kam Lucy hinter mir hergetrottet. Prüderie war für sie ein Fremdwort; sie war nackt bis auf die Breitling-Uhr, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Mist!«, sagte sie leise, während sie sich anzog. »Du wirst nicht glauben, was ich heute alles zu tun habe. Die Festplatte neu formatieren, weil mir der Platz ausgeht, neuen Speicherplatz einbauen, einen ganzen Haufen Dateien austauschen. Ich hoffe nur, dass die Probleme mit der Hardware vorbei sind.« Überzeugend klangen ihre Klagen nicht gerade. Lucy liebte jeden Tag und jede Minute ihrer Arbeit.
»Draußen beim Joggen bin ich Marino begegnet. Er ist diese Woche hier«, sagte ich.
»Frag ihn, ob er Schießübungen machen will.« Sie schleuderte ihre Laufschuhe in den Spind und warf die Tür mit einem begeisterten Knall zu.
»Ich habe das Gefühl, er wird nichts lieber tun«, rief ich ihr nach, als noch ein halbes Dutzend schwarz gekleideter Drogenagentinnen zur Tür hereinkam.
»Guten Morgen, Mäam.« Als sie ihre Stiefel auszogen, schnellten die Schnürsenkel gegen das Leder.
Übersetzung: Monika Blaich und Klaus Kamberger
Copyright für die deutschsprachige Ausgabe
© 2010 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Es war der 16. Oktober. Die ersten Sonnenstrahlen vor meinem Fenster trieben Rehe langsam zum dunklen Waldrand zurück. In den Wasserleitungen über und unter mir begann es zu rauschen, und in einem Zimmer nach dem anderen ging das Licht an. Von irgendwoher schrillten Signale und zerrissen die dämmrige Stimmung. Ich war mit dem Krachen von Schüssen schlafen gegangen und auch wieder aufgewacht.
In Quantico, Virginia, hört dieser Lärm nie auf. Die Stadt beherbergt die FBI Academy, die wie eine Insel von Einheiten der Marines umgeben ist. Jeden Monat verbringe ich mehrere Tage im Sicherheitsbereich der Academy. Solange ich es nicht will, kann mich hier niemand erreichen, und es steigt mir auch keiner nach, der im Boardroom, der Kantine, ein paar Bierchen zu viel hatte.
Die Zimmer für neue Agenten und beim FBI hospitierende Polizisten sind spartanisch eingerichtet, doch mir stand eine ganze Suite zur Verfügung mit Fernsehen, Küche, Telefon und einem Badezimmer, das ich mit niemandem teilen musste. Rauchen und Alkohol waren nicht erlaubt, aber ich fragte mich, ob die Agenten und Prozesszeugen, die hier zu ihrem eigenen Schutz isoliert wurden, die Regeln auch nur annähernd so streng befolgten wie ich.
Während das Kaffeewasser heiß wurde, öffnete ich meine Aktentasche und holte einen Ordner heraus, der schon seit meiner Ankunft am Abend zuvor auf mich wartete. Ich hatte noch nicht hineingesehen, weil ich mich vor dem Schlafengehen ungern mit solch einer Sache auseinandersetze. In dieser Beziehung hatte ich mich nämlich verändert.
Seit meinem Medizinstudium war ich es gewohnt, mich jederzeit jedem nur erdenklichen Trauma auszusetzen. Ich hatte rund um die Uhr in der Notaufnahme gearbeitet. Ich hatte bis zum frühen Morgen allein im Leichenschauhaus Autopsien durchgeführt. Schlaf war immer wie ein kurzer Ausflug an einen dunklen, leeren Ort gewesen, an den ich mich hinterher kaum mehr erinnerte. Doch im Laufe der Jahre hatte sich in mir eine unangenehme Wandlung vollzogen. Ich bekam Angst vor dem Arbeiten bis spät in die Nacht. Ich hatte immer häufiger Albträume, in denen schreckliche Bilder aus meinem Leben plötzlich aus den verschiedenen Schichten meines Unterbewusstseins emporschossen.
Emily Steiner war elf gewesen. Ihre gerade erwachende Sexualität hatte ihren schmächtigen Körper wie ein erster rosiger Hauch überzogen, als sie vor zwei Wochen, am Sonntag, dem 1. Oktober, in ihr Tagebuch schrieb:
Ich bin soo glücklich! Es ist schon fast ein Uhr morgens und Mom weiß nicht das ich noch in mein Tagebuch schreibe. Ich liege nämlich im Bett mit der Taschenlampe unter der Decke. Wir waren zum Gemeinschaftsessen in der Kirche und Wren war da! Er hat mich bemerkt! Dann hat er mir ein Fireball Bonbon gegeben! Ich habe es eingesteckt als er wegsah. Er liegt in meiner Geheimschachtel. Heute Nachmittag haben wir Jugendgruppe. Er will das wir uns davor treffen und das ich es keinem sagen soll!!!
An diesem Nachmittag verließ Emily um halb vier ihr Elternhaus in Black Mountain und machte sich auf den drei Kilometer langen Weg zur Kirche. Andere Kinder erinnerten sich daran, dass sie das Mädchen nach der Gruppenstunde allein hatten weggehen sehen. Das war gegen sechs Uhr abends gewesen, als die Sonne gerade hinter den Hügeln verschwand. Den Gitarrenkasten in der Hand, bog Emily von der Hauptstraße ab und nahm eine Abkürzung um einen kleinen See. Nach Ansicht der Polizei begegnete sie auf diesem Weg dem Mann, der sie ein paar Stunden später umbringen sollte. Vielleicht blieb sie stehen und sprach mit ihm. Vielleicht aber hatte sie es in der hereinbrechenden Dämmerung auch so eilig, nach Hause zu kommen, dass sie ihn gar nicht bemerkte.
In Black Mountain, einer Stadt mit siebentausend Einwohnern im Westen von North Carolina, hatte die örtliche Polizei sehr selten mit Mord oder sexuellem Missbrauch von Kindern zu tun gehabt und noch niemals mit einem Fall, auf den beides zutraf. Kein Mensch hier hatte sich je über einen Temple Brooks Gault aus Albany, Georgia, Gedanken gemacht, obwohl sein Gesicht überall im Land von den Fahndungsplakaten mit den zehn meistgesuchten Verbrechern herablächelte. Notorische Kriminelle und ihre Verbrechen waren kein Thema, mit dem man sich in dieser malerischen kleinen Welt auseinandersetzen musste, einer Welt, aus der Thomas Wolfe und Billy Graham stammten.
Ich begriff nicht, was Gault in diese Gegend gezogen haben mochte, zu einem zarten Kind wie Emily, das nur für seine Mutter und einen Jungen namens Wren lebte. Doch als Gault vor zwei Jahren in Richmond seinen mörderischen Raubzug begonnen hatte, schien die Wahl seiner Opfer ebenso unverständlich. Sie blieb es bis heute. Obwohl ich aus meiner Wohnung in einen sonnendurchfluteten Gang hinaustrat, verdüsterte mir der Gedanke an Gaults blutige Karriere in Richmond diesen Morgen.
Einmal hätten wir ihn fast erwischt, einen Augenblick lang war er zum Greifen nah. Doch dann floh er durch ein Fenster und verschwand. Damals hatte ich keine Waffe bei mir. Es war auch gar nicht meine Aufgabe, durch die Gegend zu rennen und auf Leute zu schießen. Doch ich konnte die Selbstzweifel,
die mich seitdem erfüllten, einfach nicht abschütteln. Immer wieder stellte ich mir die Frage, was ich hätte tun können.
Der Wein in der Academy war noch nie ein guter Jahrgang gewesen, und ich bedauerte, am Abend zuvor im Boardroom ein paar Gläser davon getrunken zu haben. Mein Morgenlauf auf der J. Edgar Hoover Road fiel mir schwerer als sonst.
O Gott, dachte ich. Das schaffe ich nie.
Am Straßenrand stellten Marines Segeltuchstühle in Tarnfarben auf und beobachteten die Umgebung mit Fernrohren. Ich spürte ihre unverschämten Blicke, als ich langsam an ihnen vorbeilief, wusste aber, dass sie das goldene Wappen des Department of Justice auf meinem Ringel-T-Shirt sehr wohl zur Kenntnis nahmen. Wahrscheinlich hielten die Soldaten mich für eine Agentin oder für eine hospitierende Polizistin und ließen mich deshalb in Ruhe, aber die Vorstellung, dass meine Nichte genau dieselbe Strecke lief, gefiel mir ganz und gar nicht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Lucy ihr Praktikum anderswo absolviert hätte. Ich hatte bei dieser Entscheidung keinen geringen Einfluss auf sie gehabt, wie überhaupt auf ihr ganzes Leben, was mich nun eher beunruhigte, denn meine Kräfte ließen nach, und ich spürte, dass ich älter wurde.
Gerade rückte das HRT, das Hostage Rescue Team, zum Manöver aus, eine Spezialtruppe des FBI für die Befreiung von Geiseln. Die Rotorblätter der Hubschrauber zerschnitten träge die Luft. Ein Pick-up mit beim Schusstraining durchlöcherten Türen donnerte vorbei. Ihm folgte ein Zug Soldaten. Ich wendete und machte mich auf den zwei Kilometer langen Weg zurück zur Academy, einem Backsteingebäude, das man durchaus auch für ein modernes Hotel hätte halten können, wenn nicht die vielen Antennen auf dem Dach gewesen wären und es nicht mitten in einem waldigen Niemandsland gestanden hätte. Schließlich erreichte ich das Wachhäuschen und hob die Hand zu einem müden Gruß an den Wachhabenden hinter der Glasscheibe. Außer Atem und verschwitzt, wie ich war, überlegte ich gerade, ob ich den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen wollte, als ich spürte, wie hinter mir ein Wagen abbremste.
»Haben Sie vor, sich umzubringen oder so was Ähnliches?«, hörte ich die laute Stimme von Captain Pete Marino. Er saß in seinem silbernen Crown Victoria, die Funkantennen schwangen auf und ab wie Angelruten, und trotz zahlloser Vorträge meinerseits zu diesem Thema war er wieder mal nicht angeschnallt.
»Das kann man einfacher haben«, rief ich ihm durch das offene Beifahrerfenster zu. »Zum Beispiel, indem man ohne Sicherheitsgurt fährt.«
»Man weiß ja nie, wann man mal schnell rausspringen muss.«
»Aus einem Wrack werden Sie kaum mal schnell rausspringen«, sagte ich, »es sei denn, durch die Windschutzscheibe.« Marino war ein erfahrenes Mitglied der Richmonder Mordkommission; Richmond war unser beider Hauptquartier. Er war kürzlich befördert und auf das Revier im schlimmsten Bezirk unserer Stadt versetzt worden. Er war Experte für Gewaltverbrechen und arbeitete schon seit Jahren für das VICAP, ein Forschungsprogramm des FBI zur Ergreifung von Gewaltverbrechern.
Er war jetzt Anfang fünfzig und eine einzige Anhäufung menschlicher Schwächen, vor allem in Form von ungesunder Ernährung und übermäßigem Alkoholkonsum. Sein Gesicht war von diesem harten Leben deutlich gezeichnet und umrahmt von sich lichtendem, grauem Haar. Marino hatte übergewicht und war aus dem Leim gegangen; auch galt er nicht gerade als besonders liebenswürdig. Ich wusste, er kam zur Lagebesprechung des Falls Steiner, aber ich wunderte mich über das Gepäck auf seinem Rücksitz. »Bleiben Sie länger?«, fragte ich.
»Benton hat mich für das Street Survival eingeteilt.«
»Sie und wen noch?«, fragte ich. Für dieses Projekt, bei dem das Verhalten in brenzligen Situationen auf der Straße trainiert wird, wurden nämlich keine Einzelpersonen ausgebildet, sondern ganze Einheiten.
»Mich und mein Team aus dem Revier.«
»Nun erzählen Sie mir bloß nicht, dass zu Ihrem neuen Aufgabenbereich auch das Eintreten von Türen gehört.«
»Das ist einer der Vorzüge einer Beförderung: Man steckt mit dem Hintern wieder in einer Uniform und darf hinaus auf die Straße. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, Doc, da draußen geht's mittlerweile ganz schön zur Sache.«
»Danke für den Tipp«, sagte ich trocken. »Ziehen Sie sich dicke Sachen an.«
»Wie?« In seiner schwarzen Sonnenbrille spiegelten sich die Wagen, die langsam an uns vorbeirollten.
»Auch Farbgeschosse tun weh.«
»Ich habe nicht vor, mich treffen zu lassen.«
»Ich kenne niemanden, der das vorhat.«
»Wann sind Sie angekommen?«, fragte er.
»Gestern Abend.«
Marino zog ein Päckchen Zigaretten von der Sonnenblende. »Hat man Ihnen viel mitgeteilt?«
»Ich habe mir ein paar Dinge angesehen. Offenbar legt die Kriminalpolizei von North Carolina heute Vormittag den Großteil der Unterlagen zu dem Fall vor.«
»Es war Gault. Er muss es gewesen sein.«
»Gewiss gibt es da Parallelen«, sagte ich vorsichtig.
Er klopfte eine Marlboro aus dem Päckchen und schob sie sich zwischen die Lippen. »Ich schnappe mir diesen verdammten Hurensohn, und wenn ich durch die Hölle muss, um ihn zu finden.«
»Falls Sie ihn in der Hölle finden, lassen Sie ihn einfach dort«, sagte ich. »Gehen Sie mit mir zum Lunch?«
»Solange Sie zahlen, gern.«
»Das tue ich ja immer.« Das war eine Feststellung.
»Und das sollten Sie auch.« Er legte den Gang ein. »Schließlich sind Sie ein verdammter Doktor.«
Ich drehte mich um, überquerte die Fahrbahn und betrat die Sporthalle durch den Hintereingang. Im Umkleideraum blickten mir drei durchtrainierte junge Frauen in verschiedenen Stadien der Nacktheit entgegen.
»Guten Morgen, Mäam«, tönte es unisono, und damit wusste man gleich, wer sie waren. Die Agenten der Drogenfahndung waren in der ganzen Academy bekannt für ihre notorisch höfliche Art zu grüßen.
Etwas befangen zog ich mir die nass geschwitzten Sachen aus. An den eher männlich-militärischen Umgang hier habe ich mich nie gewöhnen können, wo es Frauen nichts ausmacht, belanglose Reden zu schwingen und sich im Evaskostüm gegenseitig ihre blauen Flecken vorzuführen. Fest in ein Handtuch gewickelt, eilte ich unter die Dusche. Gerade hatte ich das Wasser aufgedreht, als überraschend ein vertrautes grünes Augenpaar um den Plastikvorhang lugte. Die Seife glitt mir aus den Händen, rutschte über den Boden und landete kurz vor den schlammbespritzten Nikes meiner Nichte.
»Lucy, können wir uns unterhalten, nachdem ich hier raus bin?« Mit einem Ruck zog ich den Vorhang zu.
»Hör mal, Len hat mich heute Morgen fast umgebracht«, sagte sie fröhlich, während sie die Seife mit einem Tritt in die Kabine zurückbeförderte. »Es war toll. Wenn wir das nächste Mal die Yellow Brick Road laufen, frage ich ihn, ob du mitkommen kannst.«
»Nein, besten Dank.« Ich massierte mir Shampoo ins Haar.
»Ich habe keine Sehnsucht nach Bänderrissen und gebrochenen Knochen.«
»Einmal solltest du sie wirklich laufen, Tante Kay. Das gehört hier einfach dazu.«
»Für mich nicht.«
Lucy schwieg einen Augenblick, dann sagte sie etwas unsicher: »Ich muss dich was fragen.«
Ich spülte das Haar aus, strich es mir aus den Augen, schob den Vorhang zurück und sah hinaus. Meine Nichte stand ein Stück von der Kabine entfernt. Sie war verschwitzt und schmutzig vom Kopf bis zu den Füßen. Ihr graues FBI-T-Shirt zeigte Blutflecken. Mit gerade einundzwanzig Jahren stand sie kurz vor dem Abschluss an der University of Virginia; sie hatte schöne, scharfgeschnittene Züge, und das kurze kastanienbraune Haar war von der Sonne gebleicht. Ich erinnerte mich an die Zeit, als sie ihr Haar noch rot färbte und lang trug, Zahnklammern im Mund hatte und eindeutig zu dick war.
»Sie wollen, dass ich nach dem Examen zurückkomme«, sagte sie. »Mr. Wesley hat den Vorschlag eingereicht, und die Chancen stehen gut, dass die von der Bundesbehörde einwilligen.«
»Und deine Frage?« Ich wusste natürlich, was sie hören wollte, und war wieder einmal furchtbar hin- und hergerissen. »Ich möchte nur wissen, wie du darüber denkst.«
»Du weißt, dass es einen Einstellungsstopp gibt.« Lucy sah mich scharf an, um an meinem Gesicht abzulesen, was ich ihr nicht sagen wollte.
»Ich kann ohnehin nicht direkt nach dem Collegeabschluss Agentin werden«, sagte sie. »Es geht darum, jetzt in der ERF unterzukommen, vielleicht über eine Ausbildungsbeihilfe. Was ich danach mache«, sie zuckte mit den Schultern, »wer weiß?«
Die ERF, die Engineering Research Facility, war die kürzlich eingerichtete Abteilung des FBI für technische Forschung.
Sie war in einem schmucklosen Komplex auf dem Gelände der Academy untergebracht. Die Arbeit dort unterlag der Geheimhaltungspflicht, und es kränkte mich ein bisschen, dass ich als amtliche Leichenbeschauerin des Staates Virginia und beratende Gerichtsmedizinerin bei der Investigative Support Unit des FBI nie Zutritt zu Bereichen erhalten hatte, in denen meine junge Nichte täglich ein und aus ging. Lucy streifte ihre Joggingschuhe und Shorts ab und zog sich Hemd und Sport-BH über den Kopf.
»Wir sprechen später noch über dieses Thema«, sagte ich, während ich aus der Duschkabine trat und Lucy hineinging. »Autsch!«, rief sie, als Wasser über ihre Verletzungen lief. »Nimm reichlich Seife und Wasser. Wie ist das mit deiner Hand passiert?«
»Ich bin eine Böschung runtergerutscht und in der Umzäunung hängen geblieben.«
»Wir sollten lieber etwas Alkohol drauftun.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Wann geht dein ERF-Praktikum zu Ende?«
»Ich weiß nicht. Kommt darauf an.«
»Wir treffen uns noch einmal, bevor ich nach Richmond zurückfahre«, versprach ich, ging in den Umkleideraum zurück und föhnte mir das Haar.
Kaum eine Minute später kam Lucy hinter mir hergetrottet. Prüderie war für sie ein Fremdwort; sie war nackt bis auf die Breitling-Uhr, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Mist!«, sagte sie leise, während sie sich anzog. »Du wirst nicht glauben, was ich heute alles zu tun habe. Die Festplatte neu formatieren, weil mir der Platz ausgeht, neuen Speicherplatz einbauen, einen ganzen Haufen Dateien austauschen. Ich hoffe nur, dass die Probleme mit der Hardware vorbei sind.« Überzeugend klangen ihre Klagen nicht gerade. Lucy liebte jeden Tag und jede Minute ihrer Arbeit.
»Draußen beim Joggen bin ich Marino begegnet. Er ist diese Woche hier«, sagte ich.
»Frag ihn, ob er Schießübungen machen will.« Sie schleuderte ihre Laufschuhe in den Spind und warf die Tür mit einem begeisterten Knall zu.
»Ich habe das Gefühl, er wird nichts lieber tun«, rief ich ihr nach, als noch ein halbes Dutzend schwarz gekleideter Drogenagentinnen zur Tür hereinkam.
»Guten Morgen, Mäam.« Als sie ihre Stiefel auszogen, schnellten die Schnürsenkel gegen das Leder.
Übersetzung: Monika Blaich und Klaus Kamberger
Copyright für die deutschsprachige Ausgabe
© 2010 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
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Autoren-Porträt von Patricia Cornwell
Cornwell, PatriciaPatricia Cornwell, 1956 in Miami, Florida, geboren, arbeitete als Polizeireporterin und in der Rechtsmedizin, bevor sie vor mehr als zwanzig Jahren mit ihren bahnbrechenden Thrillern um die Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta begann. Ihre Bücher wurden mit allen renommierten Preisen ausgezeichnet und sind weltweit Bestseller.
Blaich, Monika
Monika Blaich, geboren 1942, ist diplomierte Übersetzerin. Klaus Kamberger, geboren 1940, hat als Verlags- und Cheflektor, freier Journalist und Übersetzer gearbeitet. Als Team haben sie inzwischen fünfzehn Romane aus dem Englischen übersetzt. Beide leben in Alling bei München und seit 2000 vornehmlich in Andalusien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Patricia Cornwell
- 2010, 400 Seiten, Maße: 14,5 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übers.: Blaich, Monika; Kamberger, Klaus
- Übersetzer: Monika Blaich, Klaus Kamberger
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455401651
- ISBN-13: 9783455401653
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