Byzanz
Historischer Roman
Konstantinopel, das alte Byzanz, ist 1421 die prachtvollste Stadt Europas. Doch der Glanz trügt. Im Inneren drohen Korruption und Intrigen die Stadt zu zerstören. Von außen rücken die türkischen Eroberungsheere unaufhaltsam...
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Produktinformationen zu „Byzanz “
Konstantinopel, das alte Byzanz, ist 1421 die prachtvollste Stadt Europas. Doch der Glanz trügt. Im Inneren drohen Korruption und Intrigen die Stadt zu zerstören. Von außen rücken die türkischen Eroberungsheere unaufhaltsam näher. Loukas Notaras will mit den Türken Frieden schließen. Sein Erzfeind Alexios Angelos will die Alleinherrschaft und den Krieg. Kann Eirene, die sie beide begehren, die Rivalen versöhnen? Wird Byzanz gerettet werden? Ein Roman um Liebe und Hass, Heldentum und Tragödie.
Klappentext zu „Byzanz “
Konstantinopel, das alte Byzanz, ist 1421 die prachtvollste Stadt Europas. Doch der Glanz trügt.Im Inneren drohen Korruption und Intrigen die Stadt zu zerstören. Von außen rücken die türkischen Eroberungsheere unaufhaltsam näher.
Loukas Notaras will mit den Türken Frieden schließen. Sein Erzfeind Alexios Angelos will die Alleinherrschaft und den Krieg. Kann Eirene, die sie beide begehren, die Rivalen versöhnen? Wird Byzanz gerettet werden?
Ein Roman um Liebe und Hass, Heldentum und Tragödie.
Lese-Probe zu „Byzanz “
Byzanz von Sebastian FlemingTEIL I
1
Auf dem Meer Propontis vor Konstantinopel
Das Meer roch kräftig nach Leben. Nach Fisch, Plankton und Salz. Aus den Wassern stieg - anfangs noch zaghaft, dann immer selbstbewusster - die Hagia Sophia und in ihrem Gefolge die Kirchen, Paläste und Wohnhäuser, die sie regierte wie der Kaiser Manuel Palaiologos seine Untertanen. Herausfordernd durch ihre Schönheit, beherrschend durch ihren Stolz, glich Konstantinopel einer wahren Königin, begehrt von vielen, treu allein ihm. Loukas Notaras stand auf der Brücke seiner Galeere und genoss den Anblick. In seinem Nacken, den struppiges Haar überwucherte, spürte er, dass sich die Sonne langsam in den Westen zurückzog. Vom Norden kommend, begruben dunkle Wolken die Metropole unter ihrem Schatten. Ein kleiner Aufschrei lenkte die Aufmerksamkeit des Kapitäns zum Vordeck, auf dem die Gräfin Sophia von Montferrat inmitten ihrer Zofen mit dem Zeigefinger des ausgestreckten Armes auf das Unwetter wies, das sich zusammenbraute.
Die Ruderer griffen so eifrig in die Riemen, als wollten sie sich mit den fünf Delfinen messen, die backbord immer wieder durch die Lüfte glitten, bevor sie erneut für kurze Zeit in die See eintauchten. Möwen kämpften krächzend um die besten Plätze auf dem Mastbaum.
... mehr
Der Wind, der dem Kapitän als leichte Brise ins Gesicht blies, stürzte ins Meer. Er fühlte eine Anwandlung von Mattigkeit. Die Möwen verstummten, und selbst die Gräfin schwieg. Nur das Ächzen des Schiffes und das Schlagen der Ruder kämpften mit tapferem Gleichmut gegen die unheimliche Stille. Die Delfine waren plötzlich verschwunden. Wie grauschwarzer Marmor lag das Meer vor dem Kapitän. Mit der rechten Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Über Konstantinopel flatterten die Vögel orientierungslos umher.
»Segel einholen!«, befahl er.
Flink wie Eichhörnchen enterten die Matrosen den Mastbaum und refften die Segel. Nur zu gut wusste Loukas, dass sich der Sturm sammelte, und nach der Pause zu urteilen, war es ein furchtbarer Feind, der in wenigen Augenblicken über sie herfallen würde. Besorgt blickte er zur Takelage, aber die Mannschaft hatte ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt gerieten auch die Möwen in Panik.
»Ich übernehme das Steuer. Bring die Gräfin und die Zofen in die Kajüte«, befahl er einem großschädeligen Glatzkopf.
Loukas Notaras verspürte wenig Neigung, mit Sophia von Montferrat zu sprechen, und bedauerte Johannes Palaiologos, der schon bald mit dieser die Ehe und das Bett teilen würde. Sophia war klein und von gedrungener Gestalt, besaß aschfarbene Haare, ein pickeliges Maulwurfsgesicht mit groben Jochwulsten, die in Plusterwangen übergingen, und ausdruckslose gelbblaue Augen. Er mochte weder ihre Art noch ihr Aussehen. Die Gräfin kam dem Steuermann auf halbem Weg entgegen. Sie hörte ihn aber nicht an, sondern begab sich schimpfend in ihre Kajüte, als träfe den Seemann die Schuld am Wetter. Er folgte ihr mit einer gleichmütigen Miene, die eine große Geduld verriet. Wie einen Weckruf glaubte Loukas das Pfeifen einer einzelnen Böe zu vernehmen. Dann ging es los. Der Wind heulte wie ein Rudel Wölfe auf und trieb haselnussgroße Regentropfen vor sich her. Nach einer Weile kehrte Eudokimos zurück und spuckte aus. Der Kapitän fragte sich, ob die Geste des Steuermannes der Gräfin oder dem Sturm galt.
»Herr, es wird hart kommen«, sagte der Glatzköpfige.
»Wir stehen alle in Gottes Hand«, erwiderte Loukas äußerlich ungerührt, nur seine Fingernägel gruben sich in seine Handballen.
Mit neun Schwänzen, geflochten aus Regen und Wind, peitschte der Sturm das Gesicht des Kapitäns. Er hustete, er spuckte. Ans Steuer geklammert, um nicht weggeblasen zu werden, hielt Loukas Kurs auf die ewige Nacht. Die Lage der Stadt konnte er nur noch erahnen. Nicht einmal ein schwaches Blinken von den Leuchttürmen drang zu ihm. Verloren in der tobenden See wankte die Galeere, sie ächzte und krängte.
Der Kapitän wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Eudokimos schlug vor, nach Chalkedon abzudrehen, um dort im Hafen den Orkan abzuwarten, aber Loukas entschied sich dagegen. Er wusste, dass die Ruderer unter Deck den Sturm nur spürten. Ihre stillen und halblauten Gebete hallten in seiner Seele wider. Wenn unter ihnen Panik ausbrechen würde, dann wären sie verloren. Solange das Schiff manövrierfähig war, bestand noch Hoffnung. Der Kapitän setzte auf die Erfahrung der Besatzung und vertraute auf ihre Vernunft.
Den Plan, in den südlichen Kontoskalion- oder in den Eleutherios- Hafen einzulaufen, hatten die hohen Wellen inzwischen gründlich zunichtegemacht. Der Seegang verhinderte auch, beim Bukoleon- Palast vor Anker zu gehen. Also blieben nur noch die alten Häfen im Norden, im Goldenen Horn, übrig.
Nach einer Ewigkeit glaubte er, an Backbord die Seemauern der Stadt gesichtet zu haben. Doch der Bosporus empfing ihn mit einer riesigen Welle, auf der das Schiff bergauf fuhr. Die Welle brach, und die Galeere fiel zwanzig Klafter tief, während ein Teil des Wassers auf das Deck schlug und rechts und links ablief. Plötzlich krachte es so laut, dass Loukas das Bersten von Holz durch das Gebrüll des Windes und das Tosen des Meeres hindurch wahrnahm. Das Schiff taumelte. Er hielt das Ruder fest umklammert. Schreie drangen aus der Tiefe zu ihm. Befanden sie sich schon in der Hölle? Im Vorbeifahren sah er wie durch dicke Schleier den Bug eines sinkenden Schiffes, das sie gerammt hatten. Anders als die kleineren und wendigen Galeeren besaßen diese großen und schwerfälligen Schiffe, cocca genannt, im Unwetter nicht die geringste Chance zu manövrieren, weil sie ohne ihre Segel, die sie im Sturm reffen mussten, hilflos waren. Durch den Zusammenprall wurde die »Nike« ein wenig nach backbord gedrückt. Einige Stangen waren gebrochen und hatten ihre Ruderer verletzt.
»Schau nach, ob wir ein Leck haben, dann beruhige die Männer «, brüllte der Kapitän in Richtung des Glatzköpfigen. Er hoffte, dass der mächtige Eisensporn den Bug der »Nike« geschützt hatte. Der Steuermann nickte ihm nur zu, denn er sprach selten, und kämpfte sich zunächst zum Bug vor. Den Matrosen der cocca konnten sie in diesem Hexenkessel nicht mehr helfen - die See zog sie unaufhaltsam in ihren Schoß. Loukas schlug ein Kreuz und sandte ein kurzes Gebet für ihre Seelen zum Himmel.
Nun, wo er allein war, sank auch ihm der Mut. Wenn Gott es so wollte, dann würden sie eben mit Anstand ertrinken. Es soll nicht der schlechteste Tod sein, hatte er gehört - sofern ein Tod überhaupt gut sein konnte.
Für gewöhnlich ruhte der Schiffsverkehr wegen der Häufigkeit schwerer Unwetter vom Tag des heiligen Philippus im November bis zum Hochfest der Darstellung des Herrn im Tempel im Februar. Ohne den Befehl des Kaisers, die Braut seines Sohnes unverzüglich nach Konstantinopel zu bringen, hätte Loukas in Genua überwintert. Und nun würden sie alle untergehen, das Schiff, die Mannschaft, die Gräfin, auch er! Dabei hatte er noch nicht einmal begonnen zu leben, keine Frau geheiratet und keine Kinder gezeugt. Ein unvollendetes Leben also. Was hielt ihn noch am Steuerruder? Warum setzte er sich nicht in eine Ecke und sang die Bußpsalmen? Durch die Frische des Orkans roch er seinen Angstschweiß. Eudokimos kehrte mit undurchdringlichem Gesicht zurück. Wieder rollte eine Riesenwelle auf sie zu, wieder ruderten die Männer die Galeere auf ihrem Kamm. Doch diesmal brach die Woge nicht, und die »Nike« sauste auf ihrem steilen Rücken hinunter, dass der Besatzung Hören und Sehen verging. Loukas hatte mitgezählt: Jede siebte Welle übertraf alle vorherigen. Daraus schloss er, dass die nächste siebte Woge das Schiff zerbrechen würde.
Gegen den Höllenlärm des Sturmes brüllte der Steuermann, die Hände wie einen Trichter vor den Mund haltend, dem Kapitän zu, er solle um Gottes und der Seeleute willen darauf verzichten, ins Goldene Horn einzulaufen. Er hielt es für besser, vor der Einfahrt zu kreuzen und abzuwarten, bis Wind und Wasser sich beruhigt hätten. Leicht konnte das Schiff an die Küste geworfen werden und zerschellen. Sie aber würden wieder ins Wasser gezogen und, das sichere Ufer vor Augen, jämmerlich ertrinken. Jeder Seemann wusste doch von den tückischen Unterströmungen.
Das Goldene Horn, eingezwängt zwischen zwei Landzungen, über denen sich Konstantinopel und Galata erhoben, galt eigentlich als freundliches Gewässer, doch an diesem Tag hatte es sich in ein Ungeheuer verwandelt. Ein Blick auf die Kreuzwellen belehrte den jungen Kapitän darüber, dass sie das Schiff wie eine Nussschale hin und her werfen würden. Zudem hellte sich die Finsternis nicht auf, und ihm blieben nur noch drei Wogen Zeit bis zur nächsten Riesenwelle. Er durfte weder auf ein Ende noch auf ein Nachlassen des Unwetters hoffen.
Da nun lediglich Skylla und Charybdis zur Auswahl standen, entschied sich Loukas beherzt für Skylla und hielt auf die Mitte des Goldenen Horns zu. Eudokimos fluchte in einer irren Wut auf das unbarmherzige Schicksal und ballte die Fäuste. Seine Miene verriet, dass er jede Zurückhaltung aufgegeben hatte. Wenig fehlte, und er hätte mit seinen schweren Fäusten den Kapitän vom Steuer weggeprügelt, aber das hätte als Meuterei gegolten und wäre mit dem Tod bestraft worden. Also sagte er sich, er sei so oder so verloren, und fügte sich widerwillig in sein Schicksal. Bisher hatte sich der Jüngling, der die Kapitänsstellung einzig seinem Vater, dem »alten Seeräuber«, zu verdanken hatte, nicht ungeschickt angestellt, doch jetzt beging er nach Meinung des erfahrenen Seemanns einen tödlichen Fehler. Gott liebte sie nicht mehr, dachte Eudokimos, denn sie hatten es mit ihren Sünden zu toll getrieben. Ein bisschen Wind und ein Milchbart als Kapitän genügten offenbar, um sie zu verderben. Der Steuermann, der lange nachdenken musste, wann er das letzte Abendmahl und die letzte Messe besucht hatte, bekreuzigte sich. Er bat den heiligen Christophorus in einer Mischung aus Flehen und Trotz um Fürbitte und Beistand. »Hast du schon Jesus, unseren Herrn, gerettet, so hilf nun auch uns!«
Unbeeindruckt von alledem steuerte Loukas das Schiff in den Fluss, denn ihn trennten nur noch zwei Wellen vom Verhängnis. In der Gefahr bewahrte er kaltes Blut. Er wusste, dass es riskant war, das Schiff bei diesem Unwetter quer zur Hauptströmung zu stellen, und navigierte deshalb so, dass er einen möglichst spitzen Winkel fuhr. Schnell, zu schnell näherte sich das Schiff dem Hafen. Sie liefen tatsächlich Gefahr, an den Uferwänden zu zerschellen, der Steuermann lag mit seiner Einschätzung richtig. Aber nur Gott allein wusste, wie es ihnen auf dem Bosporus ergangen wäre!
»Sag den Männern, sie sollen ihre Riemen festhalten. Ganz gleich, wie viele Ruder dabei brechen, wir müssen sie als Bremsen nutzen«, brüllte Loukas dem Glatzköpfigen gegen das Tosen der Elemente zu.
Eudokimos arbeitete sich erst zum oberen, dann zum unteren Ruderdeck durch und wies die Seeleute an. Die Männer unter Deck brachten ihre ganze Kraft auf, um die Ruder gegen die Wellen zu halten. Das gelang ihnen nicht immer. Hin und wieder schlug eine Wasserfaust mit Wucht gegen das Ruderblatt und benutzte den Holm dabei als Hebel, der die Matrosen mühelos nach vorn in die Nacken und Rücken ihrer Vorderleute schleuderte. Ein kurzes Fluchen, dann hielten die Männer, zu ihrer Bank zurückgekehrt, erneut die Riemen fest. Manchem ging dabei die Handhaut in Fetzen, und Blut und Wasser mischten sich am Holz, das der Mann dennoch unter Schmerzen und Schreien festhielt. Das Leben stemmte sich gegen den Tod.
2
Auf der Straße nach Bursa, Anatolien
Fürst Alexios Angelos fror trotz seines schwarzen Pelzmantels, den er über Wams und Harnisch gezogen hatte. Heißer Ehrgeiz trieb den Berater des Mitkaisers Johannes von Konstantinopel nach Bursa, in die alte Hauptstadt der Osmanen. Er hatte sich mit Haut und Haar auf die große Politik eingelassen, die dem Kaiserreich, seiner Familie und letztendlich auch ihm selbst dienen sollte. Das Schwert mit der Damaszenerklinge steckte in der Scheide, die unauffällig am Rumpf des Rappen unter einer blauen Pferdedecke hing. Es hatte ihn nicht wenig Mühe, Geduld und Argumente gekostet, um Johannes, den Sohn des Kaisers Manuel, von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich mit Dschuneid, dem früheren Emir von Smyrna, auf ein Gespräch einzulassen. Die Gefahr, dass Sultan Mehmed I. davon Wind bekommen und es seinen Zorn erregen würde, war so groß, dass man sich schließlich auf ein konspiratives Treffen am verborgenen Ort einigte.
Die Geheimhaltung zu sichern stellte allerdings den schwierigsten Teil des Unternehmens dar. Türkische Spione durchzogen Europa, bestachen und horchten die Christen im Auftrag des Sultans aus. Sie hatten leichtes Spiel, denn bis in die höchsten Kreise hinein fanden sich Menschen bedenkenlos bereit, jede Information zu verhökern, wenn nur der Preis stimmte. Mehmed hatte richtig erkannt, dass unter den Christen kein Gemeinschaftsgefühl existierte, sie einander verrieten und sich gegenseitig bekämpften. Man konnte sich darauf verlassen, dass sie eher Judas statt Christus folgten.
Deshalb wussten auf griechischer Seite lediglich Johannes und Alexios von dem Treffen. Nichts Schriftliches, keine Mittelsmänner, nur Dschuneid und Fürst Alexios Angelos, von dem man notfalls behaupten konnte, dass der junge Heißsporn auf eigene Faust gehandelt hatte. Begleitet wurde der Fürst von seinem treuen Waffenmeister Xavier del Mar, einem Katalanen.
In Nikaia erwartete Alexios bereits der Türke, den Dschuneid gesandt hatte, um ihn zum Ort der Verhandlung zu führen, die in Bursa auf halbem Wege zwischen Konstantinopel und Smyrna stattfinden sollte. Für die alte Hauptstadt der Osmanen sprach zweierlei: Zum einen war sie sehr belebt, und deshalb würden Fremde kein Aufsehen erregen, zum anderen tummelten sich hier die wenigsten Späher. Wer hätte schon die Dreistigkeit besessen, ausgerechnet in der Höhle des Löwen das Komplott gegen den Löwen auszuhecken - wer, außer Dschuneid und Alexios?
Der Fürst und sein Waffenmeister schlugen sich unter Führung des Türken durch das Gebirge um den Olympos Misios, den Bythinischen Olymp, um schließlich in das Nebelmeer der Ebene von Bursa einzutauchen. Wenig später betraten sie die Stadt durch ein trutziges Tor, das einem kauernden Bären mit aufgesperrtem Maul glich. Durch Reden und ein paar Münzen lenkte der Türke die Wächter ab, die es wegen des einsetzenden kalten Nieselregens ohnehin in die beheizte und vor allem trockene Wachstube zurückzog.
Schweigend folgten Alexios Angelos und Xavier del Mar dem Türken durch labyrinthartige, enge Gassen in ein Haus, das mit seinem etwas schief aufgesetzten Stockwerk weder prächtig noch auffällig wirkte. Der Waffenmeister bezog am Fenster im Erdgeschoss Stellung und beobachtete von dort aus die Straße. Durch einen langen Gang und über ein steiles Treppchen gelangte Alexios in das obere Stockwerk. Es roch muffig, ungelüftet, ein Geruch, den er nicht kannte.
In einer niedrigen und mit Tischchen und Teppichen eilig eingerichteten Stube wurde er bereits ungeduldig von einem hageren, bärtigen Mann in einem recht einfachen Gewand erwartet. Seinem spitznasigen Gesicht mit den ausdruckslosen dunkelbraunen Augen, die ein kalter Glanz überzog, war die Leidenschaft für die Intrige anzusehen. Nur wenige hätten in dem türkischen Kaufmann mit seinem abgetragenen Kaftan, den er über angegrauten Pluderhosen trug, und dem flachen gelben Turban den reichen Emir Dschuneid erkannt. Die Verkleidung saß perfekt. Alexios legte den Pelzmantel ab, den Harnisch behielt er lieber an. Das Schwert nahm er aus dem Wehrgehänge, behielt es aber in Griffweite.
Nachdem sie sich begrüßt hatten und ein Diener, der Tee, Gebäck, Süßigkeiten und gebratenes Hühner- und Rinderfleisch serviert hatte, wieder verschwunden war, eröffnete Dschuneid das Gespräch mit einigen Nettigkeiten über Johannes Palaiologos, der sicher einmal ein großer Kaiser werden würde, und seinen exzellenten Berater. Obwohl Alexios die Schmeichelei durchschaute, hörte er sie doch gern, denn ganz gleich, ob der Emir an seine eigenen Worte glaubte, wusste Alexios doch, dass er die lauterste Wahrheit sprach, zumindest soweit es ihn selbst betraf. Den Sohn des Kaisers überschätzte Dschuneid dann doch ein wenig. Aber so war es eben Brauch. Alexios griff hungrig nach einem Stück Fleisch. Es schmeckte köstlich, denn der Koch hatte es in Honig eingelegt, bevor er es briet. Gern hätte er einen Wein dazu getrunken, aber sei es aus Geiz oder aus religiöser Strenge hatte der Emir nur Tee reichen lassen. Auch aß er selbst nichts.
Dschuneid fuhr sich mit seinen langen, femininen Fingern durch den Bart. »Kommen wir zur Sache, denn wir beide wollen ja das Schicksal nicht herausfordern.«
Alexios nickte.
»Sultan Mustafa befindet sich in der Obhut Eures Kaisers in einem Kloster auf der Insel Chios«, fuhr Dschuneid fort. Alexios wusste, dass Sultan Bayazid Yildirim in der Schlacht von Ankara in die Gefangenschaft des Mongolen Timur Lenk geraten und schließlich in der Haft gestorben war. Sein Nachfolger war sein Sohn Mehmed. Bayazids ältester Sohn, Mustafa, galt als in der Schlacht verschollen. Der Mann, den Kaiser Manuel auf Chios interniert hatte, behauptete nun, Mustafa zu sein, der erstgeborene Sohn des Sultans, dem die Herrschaft eigentlich zustand. Mehmed erkannte diesen Mustafa aber nicht als seinen Bruder an und ließ überall verkünden, dass er ein Scharlatan und Lügner wäre.
»Dafür, dass Kaiser Manuel Mustafa nicht dem elenden Thronräuber Mehmed ausgeliefert hat, sind wir euch zu großem Dank verpflichtet. Aber wir bitten um mehr und sind auch bereit, dafür große Beweise unserer Dankbarkeit und Freundschaft zu erbringen. Ich ersuche euch, lasst Mustafa frei, damit er seinen Thron zurückerobern kann. Die Kämpfer stehen bereit, sie warten nur noch auf ihren rechtmäßigen Führer, dann bricht der Sturm los. Wenn Mehmed vernichtet ist, werden wir uns aus Griechenland zurückziehen und euch Gebiete in Rumelien, in Nordanatolien und Gallipoli überlassen.«
»Gott schenke Mustafa Erfolg und ein langes Leben«, erwiderte Alexios.
Dschuneid nickte, die vielen Falten in seinem Gesicht bewegten sich nicht. Er reichte dem Fürsten eine Ledertasche, in der sich eine Röhre mit einer Landkarte befand, die alle jene Gebiete kennzeichnete, die der Kaiser von Mustafa erhalten sollte, wenn er den rechtmäßigen Herrscher unterstützte.
Alexios studierte die Karte und unterdrückte dabei ein zufriedenes Lächeln. Es klang fast wie die Besiegelung eines Paktes, als er mit fester Stimme verkündete: »Ich werde meinem Herrn raten, Sultan Mustafa aus dem Kloster entfliehen zu lassen. Wer kann gegen Bestechung schon etwas ausrichten?« Er lehnte sich vor, griff nach einem Stück gebratenem Hühnchen und schob es, zufrieden mit dem Doppelsinn seiner Rede, in den Mund.
»Wollen wir hoffen, dass man bei Hofe auf Euren weisen Rat hört«, entgegnete der Emir lächelnd.
Auf den sinnlichen Lippen des Fürsten breitete sich ein anerkennendes Schmunzeln aus, während er behaglich weiterkaute. Der Emir war sehr gut informiert. Er besaß offenbar Kenntnis davon, dass Manuel an dem Abkommen und den guten Beziehungen mit Mehmed I. festzuhalten gedachte, während Johannes dazu neigte, Mustafa zu unterstützen, um die Macht der Osmanen zu untergraben.
»Wenn der Kaiser der Mond ist, dann ist Manuel der abnehmende und Johannes der zunehmende Mond. Recht bald schon wird er Johannes allein herrschen lassen. Glaubt mir, der Alte ist des Regierens müde und will seine letzten Tage nur noch im Kloster verbringen und über Gott nachdenken«, sagte Alexios. »Erlaubt die Frage, was werdet Ihr jetzt tun?«
»Weitere Helfer für unsere Sache versammeln«, erklärte Dschuneid. »Und vor allem, mir mein altes Besitztum zurückholen «, fügte er mit tiefem Ingrimm hinzu.
Sein hageres Gesicht wirkte in diesem Moment wie gemeißelt. Sultan Mehmed I. hatte ihm Smyrna und das Emirat Aydin weggenommen, um ihn für die Konspiration mit Mustafa zu bestrafen. Dschuneid liebte nicht unbedingt alle, die ihm etwas gaben, aber wer ihm etwas nahm, den verfolgte er mit abgrundtiefem Hass. Sie verabschiedeten sich rasch voneinander, denn sie wollten nicht riskieren, doch noch entdeckt zu werden, weil sie ins Plaudern geraten waren. Im Aufstehen schnappte sich Alexios den letzten Bissen Fleisch und schlang ihn hinunter. Er fühlte sich zwar nicht gesättigt, hatte aber zumindest den Hunger besänftigt.
Als Alexios, gefolgt von Xavier del Mar und dem türkischen Führer, kurz darauf nach draußen trat, hatte es zwar aufgehört zu regnen, aber der Himmel war immer noch verhangen. Das triste Grauschwarz des Nebels, der sich nur langsam auflöste, legte sich auf sein Gemüt. Wie gern hätte er sich jetzt in einem vom Kerzenschein eingehüllten weichen Bett zwischen den Beinen einer Frau befunden!
Auf der Straße zwischen Bursa und der Küste kam ihnen ein Trupp bewaffneter Türken entgegen. Alexios zählte sieben Reiter. Er warf seinem Waffenmeister einen Blick zu, in dem pure Rauflust stand. Ein Kampf auf Leben und Tod würde zumindest seine melancholische Stimmung vertreiben.
Sie hielten sich hinter ihrem türkischen Führer, die Köpfe gesenkt.
»Wer seid ihr, und wohin wollt ihr?«, fragte der Anführer - zumindest trug er den größten Turban. Über seinen bauschigen Reithosen hatte er einen blauen Waffenrock mit einem schwarzen Lederriemen zusammengebunden, an dem das Wehrgehänge mit dem Krummsäbel befestigt war. Kein Zweifel, sie hatten eine Schar der berüchtigten akindschi, der Renner und Brenner Sultans Mehmed, vor sich. Blutgierige Geister. Mordlüsterne Phantome. Irreguläre Soldaten, die sich am geheimen Ort versammelten und dann in christliche Gebiete einfielen, plünderten, brandschatzten, mordeten und Menschen raubten, um sie anschließend in die Sklaverei zu verkaufen. Weil ihre Spione die Ziele ihrer Raubzüge vorher auskundschafteten, gelang es ihnen, wie aus heiterem Himmel über die bemitleidenswerten Städte und Dörfer herzufallen, um sich anschließend geradezu in Luft aufzulösen. Nur verwüstete Landstriche und Leichenberge kündeten dann noch von ihrer Anwesenheit.
Ein guter Tag, dachte Alexios, auf diese Geister zu stoßen. Sie hatten auch ein paar von seinen Besitztümern im Epirus gebrandschatzt, und ihm stand der Sinn nach Rache.
»Kaufleute sind wir, großer Herr«, erklärte der Führer unterwürfig. Der Anführer der akindschi mit dem großen weißen Turban warf den anderen einen zufriedenen Blick zu. Der Raubzug schien gut zu beginnen.
»Dann lasst uns auf gut muslimische Weise an eurem Reichtum teilhaben«, rief er in der Gewissheit, eine Art Wegezoll abstauben zu können, den vermeintlichen Kaufleuten zu. Die bärtigen Männer grinsten erfreut über den rauen Scherz des Anführers.
»Aber gern doch!«, erwiderte Alexios, ließ seinen Pelz von seinen Schultern gleiten, nahm sein Schwert und ritt mit gestreckter Waffe los. Die Karte durfte keinesfalls in falsche Hände fallen. Sein Waffenmeister tat es ihm gleich. Die akindschi zogen blitzschnell blank. Mit seinem scharfen Säbel, dem saif, hieb der Anführer der Mordgesellen dem türkischen Führer, mit dem er gerade eben noch gesprochen hatte, denn Kopf ab, der rechts neben dem Pferd zu Boden fiel. Aus einer unbegreiflichen Laune des Schicksals heraus hielt sich der Leib des Enthaupteten im Sattel, als warte er nur darauf, dass jemand den Kopf aufheben und ihm wieder aufsetzen würde. Als sei das alles nur ein Missverständnis gewesen.
Lachend wollte der Anführer im nächsten Moment seinen Krummsäbel gegen Alexios richten, doch dieser stieß ihm von schräg oben die Damaszenerklinge zwischen Hals und Schulter so tief in den Brustkorb hinein, dass es krachte. Drei der akindschi stürzten sich auf Xavier del Mar, während die anderen drei so schnell auf den Fürsten losgingen, dass diesem keine Zeit blieb, sein Schwert aus dem Brustkasten des Anführers zu ziehen. In höchster Not riss er dem Toten den Krummsäbel aus der Hand. Alexios geriet in schwere Bedrängnis, denn der Feind war in der Überzahl, und überdies fehlte es ihm an Übung im Umgang mit dem Krummsäbel. Er parierte die Schläge, wobei er nur mit Mühe verhindern konnte, dass ihn einer der Männer im Rücken angriff. Der Leib des Geköpften fiel vom Pferd, das wiehernd davongaloppierte. Der Falbe verlor sich im Dunst der Ebene.
Der Waffenmeister wehrte mit dem Dolch die Schläge ab, während er mit dem Schwert zuschlug. Dem ersten Gegner schleuderte er den Krummsäbel aus der Hand und parierte den Angriff des zweiten mit dem Dolch. Den Schlag des dritten schließlich wehrte er wieder mit der kurzen Klinge ab, während er ihm die lange Klinge in den Hals trieb. Der Getroffene gurgelte weiß-rote Blasen, ein Gemisch aus Blut und Luft aus dem Hals, bevor er vom Pferd stürzte.
Der Katalane wendete sein Ross, dann ritt er zurück und stürzte sich auf den nächsten Renner und Brenner. Der Türke, der seinen Säbel im Gefecht verloren hatte, war inzwischen vom Pferd gesprungen, um die Waffe aufzuheben.
Wieder parierte Xavier del Mar den Hieb des anderen mit seinem Dolch und rammte dem Feind die Spitze des Schwertes ins Herz. Der reckte sich, die Augen traten ihm aus den Höhlen, bevor er vom Pferd fiel. Dann wandte sich der Waffenmeister seinem bedrängten Herrn zu.
Einem der akindschi war es schließlich gelungen, sich dem Fürsten von hinten zu nähern, während dieser sich gegen die beiden anderen zur Wehr setzte. In dem Augenblick, in dem der von hinten kommende Türke zum Schlag ausholte, spaltete Xavier ihm den Kopf. Die beiden Waffenbrüder des Mannes hielten vor Schreck kurz inne - lange genug, dass der Fürst dem rechten das Schwert zwischen die Augen treiben konnte. Er zog es heraus und widmete sich dem nächsten Gegner.
Doch inzwischen hatte der Türke seinen Krummsäbel gefunden, war wieder aufgesessen und führte die Schneide mit einem eleganten Streich nun tief in den Rücken des Waffenmeisters. Der Fürst sah die brechenden Augen seines Gefährten, der Schwert und Dolch fallen ließ und die Arme gen Himmel drehte. Der Harnisch, dessen Rückenriemen durchschnitten waren, polterte zu Boden. Xavier del Mar fiel vornüber mit dem Gesicht in den Matsch. Auf seinem Rücken breitete sich eine rote Masse aus, die den Mantel zu verschlingen schien.
Alexios schrie auf wie ein Tier. Noch im Verhallen seines Gebrülls begann er wie ein Berserker auf seinen Gegner einzuhacken, der die Schläge nicht mehr zu parieren vermochte und schließlich vor Schmerz und Entsetzen schrie, denn er glaubte, es mit dem Leibhaftigen zu tun zu haben. Die Klinge des Fürsten drang in seine Arme und seine Beine, wo sie tiefe Wunden riss, schließlich auch in den Rücken des Pferdes, das sich aufbäumen wollte, aber zusammenbrach. Alexios saß ab und erledigte den Rest der Arbeit ruhig und emotionslos wie ein Metzger. Auch dem gestürzten Pferd gab er den Tod mit einem gezielten Stoß ins Herz, denn er mochte es nicht leiden sehen. Dann ließ er den Krummsäbel fallen und holte sich sein Schwert zurück. Es lag gut in der Hand.
Der letzte der sieben Renner und Brenner suchte sein Heil in der Flucht, denn auch er argwöhnte, dem Satan begegnet zu sein. Sogleich setzte Alexios ihm nach. Er durfte ihm nicht entkommen, er wollte ihn auch nicht entkommen lassen. Schließlich hatte dieser Mann seinen Waffenmeister getötet. Auf gleicher Höhe mit dem Türken trieb er sein Pferd brutal gegen das Tier des Feindes, das ins Straucheln geriet und stürzte. Der Türke lag mit schmerz- verzerrtem Gesicht unter seinem Ross. Der Sturz und das Gewicht des Pferdes hatten ihm Brüche, Stauchungen und Prellungen zugefügt.
»Mit Kriegern zu kämpfen ist ein anderes Geschäft, als wehrlose Männer, Frauen und Kinder niederzumetzeln. Der Tod, der von dir ausging, kommt zu dir zurück!«
Der Mann verstand den Fürsten nicht, begriff aber, dass er ihm keine Komplimente machte. Das Letzte, was der Türke in seinem Leben zu sehen bekam, war nicht Hass, sondern grenzenlose Verachtung. Mit einem schnellen Griff packte Alexios den linken Arm des Mannes und schnitt ihm mit seinem Dolch präzise wie ein Arzt die Pulsader auf. Dann sah er mit unbewegtem Gesicht zu, wie die Augen des Feindes mit steigendem Blutverlust erkalteten. Das Wimmern des Kriegers versickerte wie die rote Flüssigkeit im Schmutz des Bodens. Welche Landstriche der Raubzug der akindschi diesmal auch verwüsten würde, diese Renner und Brenner würden nicht mehr dabei sein, stellte er mit Genugtuung fest. Der Fürst ließ den Arm des Toten mit einer Bewegung los, als werfe er ihn fort.
Dann stand er auf und half dem Pferd des Türken auf die Beine. Er pfiff, und das treue Tier trabte an seine Seite. Schweren Herzens hob er den Leichnam seines alten Vertrauten auf, legte ihn quer über den Rücken des Pferdes und band ihn fest, damit er nicht herunterrutschen konnte. Dann schwang er sich auf sein Ross und ritt los, die beiden anderen Tiere am Zügel mit sich führend, ohne sich noch einmal umzusehen.
3
Im Goldenen Horn vor Konstantinopel
Die »Nike« verlor an Fahrt, auch wenn Loukas zwischen dem Lärmen des Windes das Knirschen von Holz wahrnahm. In diesem kurzen Moment der Erleichterung verspürte er Dankbarkeit gegenüber Gott, seinem Schiff, das er gegen kein anderes tauschen würde, und seiner Mannschaft. Kurz vor dem Kai des Kynegion-Hafens befahl Loukas, den Anker zu werfen, und hoffte, dass der Haken Halt im Boden fände. Er durfte nicht riskieren, näher ans Ufer zu treiben. Die Mauern boten eigentlich einen guten natürlichen Anlegeplatz, wenn es nicht gerade stürmte. Dann aber verwandelte sich der sichere Hafen in eine gefährliche Falle. Das Schiff zerrte heftig am Ankertau, stampfte aber nach einem Ruck mehr oder weniger auf der Stelle. Über das nasse Gesicht des Kapitäns, an dem die schwarzen Haare in dicken Strähnen klebten, huschte ein Lächeln, das ihm einen wilden und zugleich knabenhaften Charme verlieh. Eudokimos spuckte diesmal anerkennend aus. Vom Kai stießen kleinere Boote ab. Jetzt galt es, zunächst die Frauen und danach die Mannschaft sicher ans Ufer zu bringen.
Sophia wehrte sich mit Händen und Füßen, die Kajüte zu verlassen, doch Loukas nahm darauf keine Rücksicht. Über ihren Wünschen stand der Befehl des Kaisers, sie sicher nach Konstantinopel zu bringen. Also warf er sich die Dame über die Schulter und schleppte sie die Treppe hinauf an Deck. Sie brachte ihn auf dem schwankenden Schiff in arge Schwierigkeiten, denn sie war nicht nur schwer wie ein Mehlsack, sondern sie wehrte sich zudem mit Händen und Füßen.
An Deck wurde es sogar noch schlimmer. Sophia von Montferrat tobte und schrie. Sie verkündete, lieber den Tod auf dem Schiff zu empfangen, als sich der Flohbadewanne anzuvertrauen, wie sie das Ruderboot nannte, das schwankend neben der »Nike« lag. Von der Natur vernachlässigt, hatte der Sturm alle Versuche der Markgräfin, sich zu verschönern, grausam zunichtegemacht. Ihr Teint spielte zwischen grün und käsig.
»Mia morte, mia morte«, kreischte Sophia in den höchsten Tönen. »Oh Madonna mia!«
Da auch die undamenhaftesten Flüche nicht zum Ziele führten, verlegte sich Sophia schließlich aufs Schimpfen und Drohen. Sie nannte den Kapitän nur noch il diavolo greco, den griechischen Teufel, oder figlio di puttana, Sohn einer Hure - und was dergleichen Schmeicheleien mehr waren. Loukas nahm davon keine Notiz und zog sie ungerührt zur Bordwand. Dort zwang er sie, das Fallreep hinunterzusteigen, wobei er sie so lange festhielt, bis der Bootsführer sie umfassen und auf das heftig schaukelnde Boot heben konnte, während die Bootsleute und die Matrosen Boot und Schiff mit Haken mühsam beieinanderhielten. In gleicher Weise verfuhr man mit den Zofen. Dann übergab der Kapitän das Kommando an den Steuermann und stieg ebenfalls um. Vom Boot aus entdeckte er eine kleine Gruppe von Menschen, die das Kynegos-Tor passierten und sich eilig zum Hafen begaben. Sie trafen gleichzeitig ein. Den Ersten Minister des Kaisers erkannte er sofort an seinem prächtigen weißen Hut, der, konkav, wie er war, einem kräftig gestauchten Turm glich. Ein Windstoß stieß den Hut vom Kopf, spielte mit ihm und entführte ihn in die Finsternis des Orkans. Loukas verfolgte, wie das Weiß der Kopfbedeckung in den grauschwarzen Wolken verschwand. Hilflos schaute der Erste Minister dem Zeichen seiner Würde nach. Der Kapitän kletterte derweil vom Boot und hob die Gräfin auf den Kai. Dann begleitete er sie zu der kleinen Abordnung. Sie verkürzte das Empfangszeremoniell des hohen Beamten und wünschte, »subito« in den Palast gebracht zu werden.
»So können ich niemand in die Augen treten«, erklärte sie in falschem Griechisch.
Ihre Angst, in diesem Zustand gesehen zu werden, war überflüssig, denn bei einem solchen Wetter verließ niemand freiwillig das Haus, die Kirche oder das Kloster. Selbst die vielen Obdachlosen der Stadt hatten wohl irgendwo Unterschlupf gefunden.
Zugleich bestand Sophia darauf, dass ihr Gepäck umgehend entladen und ihr auf dem Fuß folgen würde. Loukas unterdrückte eine bissige Bemerkung, denn man hätte die Fracht gefahrlos löschen können, wenn der Sturm nachgelassen hatte. Doch wusste er, dass jeder Einwand zwecklos war, und versprach deshalb, sich sofort darum zu kümmern. Angesichts seines Aufzugs erließ man dem Kapitän die Pflicht, seine Passagiere zum Palast zu begleiten.
Weder bedankte sich Sophia bei dem Mann, der sie von Italien sicher über das Meer nach Konstantinopel gebracht hatte, noch verabschiedete sie sich von ihm. Sie ignorierte ihn einfach, als trüge er die Schuld an dem Sturm und an ihrem Aussehen. Mit Worten und Gesten trieb sie den Ersten Minister an, sie endlich ins Trockene zu bringen.
In knapp zwei Wochen sollte die Hochzeit von Sophia von Montferrat und Johannes Palaiologos stattfinden. Mit ihren dreißig Jahren war die Braut nicht mehr ganz taufrisch. Außerdem war sie schon einmal verheiratet gewesen, wenngleich die Ehe angeblich nicht vollzogen worden war. In Anbetracht ihres Aussehens glaubte man das gern. Aber der Kaiser suchte im Westen Bundesgenossen, und da kam ihm die Tochter eines oberitalienischen Grafen, der mit dem halben französischen Hochadel verschwägert und überdies mit den Palaiologen verwandt war, gerade recht. Auch Johannes Palaiologos würde nicht zum ersten Mal die Ehe eingehen, nur hatte bei ihm nicht der Mensch, sondern der Tod, genauer die Schwarzen Pocken die Verbindung gelöst.
Raschen Schrittes wurde Sophia von Montferrat samt ihren Zofen zum nahen Palast in Blachernae geführt, in dem die kaiserliche Familie wohnte. Unter Lebensgefahr brachte die Mannschaft das Gepäck der Frauen an Land, wo es eilig herbeigerufene Diener in Empfang nahmen.
Die Nachricht von dem riskanten und letztlich geglückten Anlegemanöver der »Nike« verbreitete sich in Windeseile in der Stadt, allein schon durch die Seeleute, die in die Tavernen und Bordelle einfielen, um sich zu beweisen, dass sie noch lebten.
Nach einem Dreivierteljahr der Abwesenheit, das er zum großen Teil auf See, in Genua, Venedig und Montferrat zugebracht hatte, freute sich Loukas unbändig darauf, seine Eltern und seinen jüngeren Bruder Demetrios wiederzusehen. In einem Holzkasten, den man, wenn sich der Sturm gelegt hätte, löschen und zusammen mit seinem Gepäck auf einem Eselskarren in den Palast der Familie Notaras in der Nähe der Hagia Sophia kutschieren würde, befanden sich reichlich Geschenke: für seine Mutter Thekla Gläser aus Murano und Stoffe aus Florenz, für den Vater Nikephoros Karten vom Westen und Bücher über die Reiche der westlichen Könige und für den Bruder geschnitzte Pferdchen mit Kutschen und bemalte Tonfiguren.
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Der Wind, der dem Kapitän als leichte Brise ins Gesicht blies, stürzte ins Meer. Er fühlte eine Anwandlung von Mattigkeit. Die Möwen verstummten, und selbst die Gräfin schwieg. Nur das Ächzen des Schiffes und das Schlagen der Ruder kämpften mit tapferem Gleichmut gegen die unheimliche Stille. Die Delfine waren plötzlich verschwunden. Wie grauschwarzer Marmor lag das Meer vor dem Kapitän. Mit der rechten Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Über Konstantinopel flatterten die Vögel orientierungslos umher.
»Segel einholen!«, befahl er.
Flink wie Eichhörnchen enterten die Matrosen den Mastbaum und refften die Segel. Nur zu gut wusste Loukas, dass sich der Sturm sammelte, und nach der Pause zu urteilen, war es ein furchtbarer Feind, der in wenigen Augenblicken über sie herfallen würde. Besorgt blickte er zur Takelage, aber die Mannschaft hatte ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt gerieten auch die Möwen in Panik.
»Ich übernehme das Steuer. Bring die Gräfin und die Zofen in die Kajüte«, befahl er einem großschädeligen Glatzkopf.
Loukas Notaras verspürte wenig Neigung, mit Sophia von Montferrat zu sprechen, und bedauerte Johannes Palaiologos, der schon bald mit dieser die Ehe und das Bett teilen würde. Sophia war klein und von gedrungener Gestalt, besaß aschfarbene Haare, ein pickeliges Maulwurfsgesicht mit groben Jochwulsten, die in Plusterwangen übergingen, und ausdruckslose gelbblaue Augen. Er mochte weder ihre Art noch ihr Aussehen. Die Gräfin kam dem Steuermann auf halbem Weg entgegen. Sie hörte ihn aber nicht an, sondern begab sich schimpfend in ihre Kajüte, als träfe den Seemann die Schuld am Wetter. Er folgte ihr mit einer gleichmütigen Miene, die eine große Geduld verriet. Wie einen Weckruf glaubte Loukas das Pfeifen einer einzelnen Böe zu vernehmen. Dann ging es los. Der Wind heulte wie ein Rudel Wölfe auf und trieb haselnussgroße Regentropfen vor sich her. Nach einer Weile kehrte Eudokimos zurück und spuckte aus. Der Kapitän fragte sich, ob die Geste des Steuermannes der Gräfin oder dem Sturm galt.
»Herr, es wird hart kommen«, sagte der Glatzköpfige.
»Wir stehen alle in Gottes Hand«, erwiderte Loukas äußerlich ungerührt, nur seine Fingernägel gruben sich in seine Handballen.
Mit neun Schwänzen, geflochten aus Regen und Wind, peitschte der Sturm das Gesicht des Kapitäns. Er hustete, er spuckte. Ans Steuer geklammert, um nicht weggeblasen zu werden, hielt Loukas Kurs auf die ewige Nacht. Die Lage der Stadt konnte er nur noch erahnen. Nicht einmal ein schwaches Blinken von den Leuchttürmen drang zu ihm. Verloren in der tobenden See wankte die Galeere, sie ächzte und krängte.
Der Kapitän wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Eudokimos schlug vor, nach Chalkedon abzudrehen, um dort im Hafen den Orkan abzuwarten, aber Loukas entschied sich dagegen. Er wusste, dass die Ruderer unter Deck den Sturm nur spürten. Ihre stillen und halblauten Gebete hallten in seiner Seele wider. Wenn unter ihnen Panik ausbrechen würde, dann wären sie verloren. Solange das Schiff manövrierfähig war, bestand noch Hoffnung. Der Kapitän setzte auf die Erfahrung der Besatzung und vertraute auf ihre Vernunft.
Den Plan, in den südlichen Kontoskalion- oder in den Eleutherios- Hafen einzulaufen, hatten die hohen Wellen inzwischen gründlich zunichtegemacht. Der Seegang verhinderte auch, beim Bukoleon- Palast vor Anker zu gehen. Also blieben nur noch die alten Häfen im Norden, im Goldenen Horn, übrig.
Nach einer Ewigkeit glaubte er, an Backbord die Seemauern der Stadt gesichtet zu haben. Doch der Bosporus empfing ihn mit einer riesigen Welle, auf der das Schiff bergauf fuhr. Die Welle brach, und die Galeere fiel zwanzig Klafter tief, während ein Teil des Wassers auf das Deck schlug und rechts und links ablief. Plötzlich krachte es so laut, dass Loukas das Bersten von Holz durch das Gebrüll des Windes und das Tosen des Meeres hindurch wahrnahm. Das Schiff taumelte. Er hielt das Ruder fest umklammert. Schreie drangen aus der Tiefe zu ihm. Befanden sie sich schon in der Hölle? Im Vorbeifahren sah er wie durch dicke Schleier den Bug eines sinkenden Schiffes, das sie gerammt hatten. Anders als die kleineren und wendigen Galeeren besaßen diese großen und schwerfälligen Schiffe, cocca genannt, im Unwetter nicht die geringste Chance zu manövrieren, weil sie ohne ihre Segel, die sie im Sturm reffen mussten, hilflos waren. Durch den Zusammenprall wurde die »Nike« ein wenig nach backbord gedrückt. Einige Stangen waren gebrochen und hatten ihre Ruderer verletzt.
»Schau nach, ob wir ein Leck haben, dann beruhige die Männer «, brüllte der Kapitän in Richtung des Glatzköpfigen. Er hoffte, dass der mächtige Eisensporn den Bug der »Nike« geschützt hatte. Der Steuermann nickte ihm nur zu, denn er sprach selten, und kämpfte sich zunächst zum Bug vor. Den Matrosen der cocca konnten sie in diesem Hexenkessel nicht mehr helfen - die See zog sie unaufhaltsam in ihren Schoß. Loukas schlug ein Kreuz und sandte ein kurzes Gebet für ihre Seelen zum Himmel.
Nun, wo er allein war, sank auch ihm der Mut. Wenn Gott es so wollte, dann würden sie eben mit Anstand ertrinken. Es soll nicht der schlechteste Tod sein, hatte er gehört - sofern ein Tod überhaupt gut sein konnte.
Für gewöhnlich ruhte der Schiffsverkehr wegen der Häufigkeit schwerer Unwetter vom Tag des heiligen Philippus im November bis zum Hochfest der Darstellung des Herrn im Tempel im Februar. Ohne den Befehl des Kaisers, die Braut seines Sohnes unverzüglich nach Konstantinopel zu bringen, hätte Loukas in Genua überwintert. Und nun würden sie alle untergehen, das Schiff, die Mannschaft, die Gräfin, auch er! Dabei hatte er noch nicht einmal begonnen zu leben, keine Frau geheiratet und keine Kinder gezeugt. Ein unvollendetes Leben also. Was hielt ihn noch am Steuerruder? Warum setzte er sich nicht in eine Ecke und sang die Bußpsalmen? Durch die Frische des Orkans roch er seinen Angstschweiß. Eudokimos kehrte mit undurchdringlichem Gesicht zurück. Wieder rollte eine Riesenwelle auf sie zu, wieder ruderten die Männer die Galeere auf ihrem Kamm. Doch diesmal brach die Woge nicht, und die »Nike« sauste auf ihrem steilen Rücken hinunter, dass der Besatzung Hören und Sehen verging. Loukas hatte mitgezählt: Jede siebte Welle übertraf alle vorherigen. Daraus schloss er, dass die nächste siebte Woge das Schiff zerbrechen würde.
Gegen den Höllenlärm des Sturmes brüllte der Steuermann, die Hände wie einen Trichter vor den Mund haltend, dem Kapitän zu, er solle um Gottes und der Seeleute willen darauf verzichten, ins Goldene Horn einzulaufen. Er hielt es für besser, vor der Einfahrt zu kreuzen und abzuwarten, bis Wind und Wasser sich beruhigt hätten. Leicht konnte das Schiff an die Küste geworfen werden und zerschellen. Sie aber würden wieder ins Wasser gezogen und, das sichere Ufer vor Augen, jämmerlich ertrinken. Jeder Seemann wusste doch von den tückischen Unterströmungen.
Das Goldene Horn, eingezwängt zwischen zwei Landzungen, über denen sich Konstantinopel und Galata erhoben, galt eigentlich als freundliches Gewässer, doch an diesem Tag hatte es sich in ein Ungeheuer verwandelt. Ein Blick auf die Kreuzwellen belehrte den jungen Kapitän darüber, dass sie das Schiff wie eine Nussschale hin und her werfen würden. Zudem hellte sich die Finsternis nicht auf, und ihm blieben nur noch drei Wogen Zeit bis zur nächsten Riesenwelle. Er durfte weder auf ein Ende noch auf ein Nachlassen des Unwetters hoffen.
Da nun lediglich Skylla und Charybdis zur Auswahl standen, entschied sich Loukas beherzt für Skylla und hielt auf die Mitte des Goldenen Horns zu. Eudokimos fluchte in einer irren Wut auf das unbarmherzige Schicksal und ballte die Fäuste. Seine Miene verriet, dass er jede Zurückhaltung aufgegeben hatte. Wenig fehlte, und er hätte mit seinen schweren Fäusten den Kapitän vom Steuer weggeprügelt, aber das hätte als Meuterei gegolten und wäre mit dem Tod bestraft worden. Also sagte er sich, er sei so oder so verloren, und fügte sich widerwillig in sein Schicksal. Bisher hatte sich der Jüngling, der die Kapitänsstellung einzig seinem Vater, dem »alten Seeräuber«, zu verdanken hatte, nicht ungeschickt angestellt, doch jetzt beging er nach Meinung des erfahrenen Seemanns einen tödlichen Fehler. Gott liebte sie nicht mehr, dachte Eudokimos, denn sie hatten es mit ihren Sünden zu toll getrieben. Ein bisschen Wind und ein Milchbart als Kapitän genügten offenbar, um sie zu verderben. Der Steuermann, der lange nachdenken musste, wann er das letzte Abendmahl und die letzte Messe besucht hatte, bekreuzigte sich. Er bat den heiligen Christophorus in einer Mischung aus Flehen und Trotz um Fürbitte und Beistand. »Hast du schon Jesus, unseren Herrn, gerettet, so hilf nun auch uns!«
Unbeeindruckt von alledem steuerte Loukas das Schiff in den Fluss, denn ihn trennten nur noch zwei Wellen vom Verhängnis. In der Gefahr bewahrte er kaltes Blut. Er wusste, dass es riskant war, das Schiff bei diesem Unwetter quer zur Hauptströmung zu stellen, und navigierte deshalb so, dass er einen möglichst spitzen Winkel fuhr. Schnell, zu schnell näherte sich das Schiff dem Hafen. Sie liefen tatsächlich Gefahr, an den Uferwänden zu zerschellen, der Steuermann lag mit seiner Einschätzung richtig. Aber nur Gott allein wusste, wie es ihnen auf dem Bosporus ergangen wäre!
»Sag den Männern, sie sollen ihre Riemen festhalten. Ganz gleich, wie viele Ruder dabei brechen, wir müssen sie als Bremsen nutzen«, brüllte Loukas dem Glatzköpfigen gegen das Tosen der Elemente zu.
Eudokimos arbeitete sich erst zum oberen, dann zum unteren Ruderdeck durch und wies die Seeleute an. Die Männer unter Deck brachten ihre ganze Kraft auf, um die Ruder gegen die Wellen zu halten. Das gelang ihnen nicht immer. Hin und wieder schlug eine Wasserfaust mit Wucht gegen das Ruderblatt und benutzte den Holm dabei als Hebel, der die Matrosen mühelos nach vorn in die Nacken und Rücken ihrer Vorderleute schleuderte. Ein kurzes Fluchen, dann hielten die Männer, zu ihrer Bank zurückgekehrt, erneut die Riemen fest. Manchem ging dabei die Handhaut in Fetzen, und Blut und Wasser mischten sich am Holz, das der Mann dennoch unter Schmerzen und Schreien festhielt. Das Leben stemmte sich gegen den Tod.
2
Auf der Straße nach Bursa, Anatolien
Fürst Alexios Angelos fror trotz seines schwarzen Pelzmantels, den er über Wams und Harnisch gezogen hatte. Heißer Ehrgeiz trieb den Berater des Mitkaisers Johannes von Konstantinopel nach Bursa, in die alte Hauptstadt der Osmanen. Er hatte sich mit Haut und Haar auf die große Politik eingelassen, die dem Kaiserreich, seiner Familie und letztendlich auch ihm selbst dienen sollte. Das Schwert mit der Damaszenerklinge steckte in der Scheide, die unauffällig am Rumpf des Rappen unter einer blauen Pferdedecke hing. Es hatte ihn nicht wenig Mühe, Geduld und Argumente gekostet, um Johannes, den Sohn des Kaisers Manuel, von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich mit Dschuneid, dem früheren Emir von Smyrna, auf ein Gespräch einzulassen. Die Gefahr, dass Sultan Mehmed I. davon Wind bekommen und es seinen Zorn erregen würde, war so groß, dass man sich schließlich auf ein konspiratives Treffen am verborgenen Ort einigte.
Die Geheimhaltung zu sichern stellte allerdings den schwierigsten Teil des Unternehmens dar. Türkische Spione durchzogen Europa, bestachen und horchten die Christen im Auftrag des Sultans aus. Sie hatten leichtes Spiel, denn bis in die höchsten Kreise hinein fanden sich Menschen bedenkenlos bereit, jede Information zu verhökern, wenn nur der Preis stimmte. Mehmed hatte richtig erkannt, dass unter den Christen kein Gemeinschaftsgefühl existierte, sie einander verrieten und sich gegenseitig bekämpften. Man konnte sich darauf verlassen, dass sie eher Judas statt Christus folgten.
Deshalb wussten auf griechischer Seite lediglich Johannes und Alexios von dem Treffen. Nichts Schriftliches, keine Mittelsmänner, nur Dschuneid und Fürst Alexios Angelos, von dem man notfalls behaupten konnte, dass der junge Heißsporn auf eigene Faust gehandelt hatte. Begleitet wurde der Fürst von seinem treuen Waffenmeister Xavier del Mar, einem Katalanen.
In Nikaia erwartete Alexios bereits der Türke, den Dschuneid gesandt hatte, um ihn zum Ort der Verhandlung zu führen, die in Bursa auf halbem Wege zwischen Konstantinopel und Smyrna stattfinden sollte. Für die alte Hauptstadt der Osmanen sprach zweierlei: Zum einen war sie sehr belebt, und deshalb würden Fremde kein Aufsehen erregen, zum anderen tummelten sich hier die wenigsten Späher. Wer hätte schon die Dreistigkeit besessen, ausgerechnet in der Höhle des Löwen das Komplott gegen den Löwen auszuhecken - wer, außer Dschuneid und Alexios?
Der Fürst und sein Waffenmeister schlugen sich unter Führung des Türken durch das Gebirge um den Olympos Misios, den Bythinischen Olymp, um schließlich in das Nebelmeer der Ebene von Bursa einzutauchen. Wenig später betraten sie die Stadt durch ein trutziges Tor, das einem kauernden Bären mit aufgesperrtem Maul glich. Durch Reden und ein paar Münzen lenkte der Türke die Wächter ab, die es wegen des einsetzenden kalten Nieselregens ohnehin in die beheizte und vor allem trockene Wachstube zurückzog.
Schweigend folgten Alexios Angelos und Xavier del Mar dem Türken durch labyrinthartige, enge Gassen in ein Haus, das mit seinem etwas schief aufgesetzten Stockwerk weder prächtig noch auffällig wirkte. Der Waffenmeister bezog am Fenster im Erdgeschoss Stellung und beobachtete von dort aus die Straße. Durch einen langen Gang und über ein steiles Treppchen gelangte Alexios in das obere Stockwerk. Es roch muffig, ungelüftet, ein Geruch, den er nicht kannte.
In einer niedrigen und mit Tischchen und Teppichen eilig eingerichteten Stube wurde er bereits ungeduldig von einem hageren, bärtigen Mann in einem recht einfachen Gewand erwartet. Seinem spitznasigen Gesicht mit den ausdruckslosen dunkelbraunen Augen, die ein kalter Glanz überzog, war die Leidenschaft für die Intrige anzusehen. Nur wenige hätten in dem türkischen Kaufmann mit seinem abgetragenen Kaftan, den er über angegrauten Pluderhosen trug, und dem flachen gelben Turban den reichen Emir Dschuneid erkannt. Die Verkleidung saß perfekt. Alexios legte den Pelzmantel ab, den Harnisch behielt er lieber an. Das Schwert nahm er aus dem Wehrgehänge, behielt es aber in Griffweite.
Nachdem sie sich begrüßt hatten und ein Diener, der Tee, Gebäck, Süßigkeiten und gebratenes Hühner- und Rinderfleisch serviert hatte, wieder verschwunden war, eröffnete Dschuneid das Gespräch mit einigen Nettigkeiten über Johannes Palaiologos, der sicher einmal ein großer Kaiser werden würde, und seinen exzellenten Berater. Obwohl Alexios die Schmeichelei durchschaute, hörte er sie doch gern, denn ganz gleich, ob der Emir an seine eigenen Worte glaubte, wusste Alexios doch, dass er die lauterste Wahrheit sprach, zumindest soweit es ihn selbst betraf. Den Sohn des Kaisers überschätzte Dschuneid dann doch ein wenig. Aber so war es eben Brauch. Alexios griff hungrig nach einem Stück Fleisch. Es schmeckte köstlich, denn der Koch hatte es in Honig eingelegt, bevor er es briet. Gern hätte er einen Wein dazu getrunken, aber sei es aus Geiz oder aus religiöser Strenge hatte der Emir nur Tee reichen lassen. Auch aß er selbst nichts.
Dschuneid fuhr sich mit seinen langen, femininen Fingern durch den Bart. »Kommen wir zur Sache, denn wir beide wollen ja das Schicksal nicht herausfordern.«
Alexios nickte.
»Sultan Mustafa befindet sich in der Obhut Eures Kaisers in einem Kloster auf der Insel Chios«, fuhr Dschuneid fort. Alexios wusste, dass Sultan Bayazid Yildirim in der Schlacht von Ankara in die Gefangenschaft des Mongolen Timur Lenk geraten und schließlich in der Haft gestorben war. Sein Nachfolger war sein Sohn Mehmed. Bayazids ältester Sohn, Mustafa, galt als in der Schlacht verschollen. Der Mann, den Kaiser Manuel auf Chios interniert hatte, behauptete nun, Mustafa zu sein, der erstgeborene Sohn des Sultans, dem die Herrschaft eigentlich zustand. Mehmed erkannte diesen Mustafa aber nicht als seinen Bruder an und ließ überall verkünden, dass er ein Scharlatan und Lügner wäre.
»Dafür, dass Kaiser Manuel Mustafa nicht dem elenden Thronräuber Mehmed ausgeliefert hat, sind wir euch zu großem Dank verpflichtet. Aber wir bitten um mehr und sind auch bereit, dafür große Beweise unserer Dankbarkeit und Freundschaft zu erbringen. Ich ersuche euch, lasst Mustafa frei, damit er seinen Thron zurückerobern kann. Die Kämpfer stehen bereit, sie warten nur noch auf ihren rechtmäßigen Führer, dann bricht der Sturm los. Wenn Mehmed vernichtet ist, werden wir uns aus Griechenland zurückziehen und euch Gebiete in Rumelien, in Nordanatolien und Gallipoli überlassen.«
»Gott schenke Mustafa Erfolg und ein langes Leben«, erwiderte Alexios.
Dschuneid nickte, die vielen Falten in seinem Gesicht bewegten sich nicht. Er reichte dem Fürsten eine Ledertasche, in der sich eine Röhre mit einer Landkarte befand, die alle jene Gebiete kennzeichnete, die der Kaiser von Mustafa erhalten sollte, wenn er den rechtmäßigen Herrscher unterstützte.
Alexios studierte die Karte und unterdrückte dabei ein zufriedenes Lächeln. Es klang fast wie die Besiegelung eines Paktes, als er mit fester Stimme verkündete: »Ich werde meinem Herrn raten, Sultan Mustafa aus dem Kloster entfliehen zu lassen. Wer kann gegen Bestechung schon etwas ausrichten?« Er lehnte sich vor, griff nach einem Stück gebratenem Hühnchen und schob es, zufrieden mit dem Doppelsinn seiner Rede, in den Mund.
»Wollen wir hoffen, dass man bei Hofe auf Euren weisen Rat hört«, entgegnete der Emir lächelnd.
Auf den sinnlichen Lippen des Fürsten breitete sich ein anerkennendes Schmunzeln aus, während er behaglich weiterkaute. Der Emir war sehr gut informiert. Er besaß offenbar Kenntnis davon, dass Manuel an dem Abkommen und den guten Beziehungen mit Mehmed I. festzuhalten gedachte, während Johannes dazu neigte, Mustafa zu unterstützen, um die Macht der Osmanen zu untergraben.
»Wenn der Kaiser der Mond ist, dann ist Manuel der abnehmende und Johannes der zunehmende Mond. Recht bald schon wird er Johannes allein herrschen lassen. Glaubt mir, der Alte ist des Regierens müde und will seine letzten Tage nur noch im Kloster verbringen und über Gott nachdenken«, sagte Alexios. »Erlaubt die Frage, was werdet Ihr jetzt tun?«
»Weitere Helfer für unsere Sache versammeln«, erklärte Dschuneid. »Und vor allem, mir mein altes Besitztum zurückholen «, fügte er mit tiefem Ingrimm hinzu.
Sein hageres Gesicht wirkte in diesem Moment wie gemeißelt. Sultan Mehmed I. hatte ihm Smyrna und das Emirat Aydin weggenommen, um ihn für die Konspiration mit Mustafa zu bestrafen. Dschuneid liebte nicht unbedingt alle, die ihm etwas gaben, aber wer ihm etwas nahm, den verfolgte er mit abgrundtiefem Hass. Sie verabschiedeten sich rasch voneinander, denn sie wollten nicht riskieren, doch noch entdeckt zu werden, weil sie ins Plaudern geraten waren. Im Aufstehen schnappte sich Alexios den letzten Bissen Fleisch und schlang ihn hinunter. Er fühlte sich zwar nicht gesättigt, hatte aber zumindest den Hunger besänftigt.
Als Alexios, gefolgt von Xavier del Mar und dem türkischen Führer, kurz darauf nach draußen trat, hatte es zwar aufgehört zu regnen, aber der Himmel war immer noch verhangen. Das triste Grauschwarz des Nebels, der sich nur langsam auflöste, legte sich auf sein Gemüt. Wie gern hätte er sich jetzt in einem vom Kerzenschein eingehüllten weichen Bett zwischen den Beinen einer Frau befunden!
Auf der Straße zwischen Bursa und der Küste kam ihnen ein Trupp bewaffneter Türken entgegen. Alexios zählte sieben Reiter. Er warf seinem Waffenmeister einen Blick zu, in dem pure Rauflust stand. Ein Kampf auf Leben und Tod würde zumindest seine melancholische Stimmung vertreiben.
Sie hielten sich hinter ihrem türkischen Führer, die Köpfe gesenkt.
»Wer seid ihr, und wohin wollt ihr?«, fragte der Anführer - zumindest trug er den größten Turban. Über seinen bauschigen Reithosen hatte er einen blauen Waffenrock mit einem schwarzen Lederriemen zusammengebunden, an dem das Wehrgehänge mit dem Krummsäbel befestigt war. Kein Zweifel, sie hatten eine Schar der berüchtigten akindschi, der Renner und Brenner Sultans Mehmed, vor sich. Blutgierige Geister. Mordlüsterne Phantome. Irreguläre Soldaten, die sich am geheimen Ort versammelten und dann in christliche Gebiete einfielen, plünderten, brandschatzten, mordeten und Menschen raubten, um sie anschließend in die Sklaverei zu verkaufen. Weil ihre Spione die Ziele ihrer Raubzüge vorher auskundschafteten, gelang es ihnen, wie aus heiterem Himmel über die bemitleidenswerten Städte und Dörfer herzufallen, um sich anschließend geradezu in Luft aufzulösen. Nur verwüstete Landstriche und Leichenberge kündeten dann noch von ihrer Anwesenheit.
Ein guter Tag, dachte Alexios, auf diese Geister zu stoßen. Sie hatten auch ein paar von seinen Besitztümern im Epirus gebrandschatzt, und ihm stand der Sinn nach Rache.
»Kaufleute sind wir, großer Herr«, erklärte der Führer unterwürfig. Der Anführer der akindschi mit dem großen weißen Turban warf den anderen einen zufriedenen Blick zu. Der Raubzug schien gut zu beginnen.
»Dann lasst uns auf gut muslimische Weise an eurem Reichtum teilhaben«, rief er in der Gewissheit, eine Art Wegezoll abstauben zu können, den vermeintlichen Kaufleuten zu. Die bärtigen Männer grinsten erfreut über den rauen Scherz des Anführers.
»Aber gern doch!«, erwiderte Alexios, ließ seinen Pelz von seinen Schultern gleiten, nahm sein Schwert und ritt mit gestreckter Waffe los. Die Karte durfte keinesfalls in falsche Hände fallen. Sein Waffenmeister tat es ihm gleich. Die akindschi zogen blitzschnell blank. Mit seinem scharfen Säbel, dem saif, hieb der Anführer der Mordgesellen dem türkischen Führer, mit dem er gerade eben noch gesprochen hatte, denn Kopf ab, der rechts neben dem Pferd zu Boden fiel. Aus einer unbegreiflichen Laune des Schicksals heraus hielt sich der Leib des Enthaupteten im Sattel, als warte er nur darauf, dass jemand den Kopf aufheben und ihm wieder aufsetzen würde. Als sei das alles nur ein Missverständnis gewesen.
Lachend wollte der Anführer im nächsten Moment seinen Krummsäbel gegen Alexios richten, doch dieser stieß ihm von schräg oben die Damaszenerklinge zwischen Hals und Schulter so tief in den Brustkorb hinein, dass es krachte. Drei der akindschi stürzten sich auf Xavier del Mar, während die anderen drei so schnell auf den Fürsten losgingen, dass diesem keine Zeit blieb, sein Schwert aus dem Brustkasten des Anführers zu ziehen. In höchster Not riss er dem Toten den Krummsäbel aus der Hand. Alexios geriet in schwere Bedrängnis, denn der Feind war in der Überzahl, und überdies fehlte es ihm an Übung im Umgang mit dem Krummsäbel. Er parierte die Schläge, wobei er nur mit Mühe verhindern konnte, dass ihn einer der Männer im Rücken angriff. Der Leib des Geköpften fiel vom Pferd, das wiehernd davongaloppierte. Der Falbe verlor sich im Dunst der Ebene.
Der Waffenmeister wehrte mit dem Dolch die Schläge ab, während er mit dem Schwert zuschlug. Dem ersten Gegner schleuderte er den Krummsäbel aus der Hand und parierte den Angriff des zweiten mit dem Dolch. Den Schlag des dritten schließlich wehrte er wieder mit der kurzen Klinge ab, während er ihm die lange Klinge in den Hals trieb. Der Getroffene gurgelte weiß-rote Blasen, ein Gemisch aus Blut und Luft aus dem Hals, bevor er vom Pferd stürzte.
Der Katalane wendete sein Ross, dann ritt er zurück und stürzte sich auf den nächsten Renner und Brenner. Der Türke, der seinen Säbel im Gefecht verloren hatte, war inzwischen vom Pferd gesprungen, um die Waffe aufzuheben.
Wieder parierte Xavier del Mar den Hieb des anderen mit seinem Dolch und rammte dem Feind die Spitze des Schwertes ins Herz. Der reckte sich, die Augen traten ihm aus den Höhlen, bevor er vom Pferd fiel. Dann wandte sich der Waffenmeister seinem bedrängten Herrn zu.
Einem der akindschi war es schließlich gelungen, sich dem Fürsten von hinten zu nähern, während dieser sich gegen die beiden anderen zur Wehr setzte. In dem Augenblick, in dem der von hinten kommende Türke zum Schlag ausholte, spaltete Xavier ihm den Kopf. Die beiden Waffenbrüder des Mannes hielten vor Schreck kurz inne - lange genug, dass der Fürst dem rechten das Schwert zwischen die Augen treiben konnte. Er zog es heraus und widmete sich dem nächsten Gegner.
Doch inzwischen hatte der Türke seinen Krummsäbel gefunden, war wieder aufgesessen und führte die Schneide mit einem eleganten Streich nun tief in den Rücken des Waffenmeisters. Der Fürst sah die brechenden Augen seines Gefährten, der Schwert und Dolch fallen ließ und die Arme gen Himmel drehte. Der Harnisch, dessen Rückenriemen durchschnitten waren, polterte zu Boden. Xavier del Mar fiel vornüber mit dem Gesicht in den Matsch. Auf seinem Rücken breitete sich eine rote Masse aus, die den Mantel zu verschlingen schien.
Alexios schrie auf wie ein Tier. Noch im Verhallen seines Gebrülls begann er wie ein Berserker auf seinen Gegner einzuhacken, der die Schläge nicht mehr zu parieren vermochte und schließlich vor Schmerz und Entsetzen schrie, denn er glaubte, es mit dem Leibhaftigen zu tun zu haben. Die Klinge des Fürsten drang in seine Arme und seine Beine, wo sie tiefe Wunden riss, schließlich auch in den Rücken des Pferdes, das sich aufbäumen wollte, aber zusammenbrach. Alexios saß ab und erledigte den Rest der Arbeit ruhig und emotionslos wie ein Metzger. Auch dem gestürzten Pferd gab er den Tod mit einem gezielten Stoß ins Herz, denn er mochte es nicht leiden sehen. Dann ließ er den Krummsäbel fallen und holte sich sein Schwert zurück. Es lag gut in der Hand.
Der letzte der sieben Renner und Brenner suchte sein Heil in der Flucht, denn auch er argwöhnte, dem Satan begegnet zu sein. Sogleich setzte Alexios ihm nach. Er durfte ihm nicht entkommen, er wollte ihn auch nicht entkommen lassen. Schließlich hatte dieser Mann seinen Waffenmeister getötet. Auf gleicher Höhe mit dem Türken trieb er sein Pferd brutal gegen das Tier des Feindes, das ins Straucheln geriet und stürzte. Der Türke lag mit schmerz- verzerrtem Gesicht unter seinem Ross. Der Sturz und das Gewicht des Pferdes hatten ihm Brüche, Stauchungen und Prellungen zugefügt.
»Mit Kriegern zu kämpfen ist ein anderes Geschäft, als wehrlose Männer, Frauen und Kinder niederzumetzeln. Der Tod, der von dir ausging, kommt zu dir zurück!«
Der Mann verstand den Fürsten nicht, begriff aber, dass er ihm keine Komplimente machte. Das Letzte, was der Türke in seinem Leben zu sehen bekam, war nicht Hass, sondern grenzenlose Verachtung. Mit einem schnellen Griff packte Alexios den linken Arm des Mannes und schnitt ihm mit seinem Dolch präzise wie ein Arzt die Pulsader auf. Dann sah er mit unbewegtem Gesicht zu, wie die Augen des Feindes mit steigendem Blutverlust erkalteten. Das Wimmern des Kriegers versickerte wie die rote Flüssigkeit im Schmutz des Bodens. Welche Landstriche der Raubzug der akindschi diesmal auch verwüsten würde, diese Renner und Brenner würden nicht mehr dabei sein, stellte er mit Genugtuung fest. Der Fürst ließ den Arm des Toten mit einer Bewegung los, als werfe er ihn fort.
Dann stand er auf und half dem Pferd des Türken auf die Beine. Er pfiff, und das treue Tier trabte an seine Seite. Schweren Herzens hob er den Leichnam seines alten Vertrauten auf, legte ihn quer über den Rücken des Pferdes und band ihn fest, damit er nicht herunterrutschen konnte. Dann schwang er sich auf sein Ross und ritt los, die beiden anderen Tiere am Zügel mit sich führend, ohne sich noch einmal umzusehen.
3
Im Goldenen Horn vor Konstantinopel
Die »Nike« verlor an Fahrt, auch wenn Loukas zwischen dem Lärmen des Windes das Knirschen von Holz wahrnahm. In diesem kurzen Moment der Erleichterung verspürte er Dankbarkeit gegenüber Gott, seinem Schiff, das er gegen kein anderes tauschen würde, und seiner Mannschaft. Kurz vor dem Kai des Kynegion-Hafens befahl Loukas, den Anker zu werfen, und hoffte, dass der Haken Halt im Boden fände. Er durfte nicht riskieren, näher ans Ufer zu treiben. Die Mauern boten eigentlich einen guten natürlichen Anlegeplatz, wenn es nicht gerade stürmte. Dann aber verwandelte sich der sichere Hafen in eine gefährliche Falle. Das Schiff zerrte heftig am Ankertau, stampfte aber nach einem Ruck mehr oder weniger auf der Stelle. Über das nasse Gesicht des Kapitäns, an dem die schwarzen Haare in dicken Strähnen klebten, huschte ein Lächeln, das ihm einen wilden und zugleich knabenhaften Charme verlieh. Eudokimos spuckte diesmal anerkennend aus. Vom Kai stießen kleinere Boote ab. Jetzt galt es, zunächst die Frauen und danach die Mannschaft sicher ans Ufer zu bringen.
Sophia wehrte sich mit Händen und Füßen, die Kajüte zu verlassen, doch Loukas nahm darauf keine Rücksicht. Über ihren Wünschen stand der Befehl des Kaisers, sie sicher nach Konstantinopel zu bringen. Also warf er sich die Dame über die Schulter und schleppte sie die Treppe hinauf an Deck. Sie brachte ihn auf dem schwankenden Schiff in arge Schwierigkeiten, denn sie war nicht nur schwer wie ein Mehlsack, sondern sie wehrte sich zudem mit Händen und Füßen.
An Deck wurde es sogar noch schlimmer. Sophia von Montferrat tobte und schrie. Sie verkündete, lieber den Tod auf dem Schiff zu empfangen, als sich der Flohbadewanne anzuvertrauen, wie sie das Ruderboot nannte, das schwankend neben der »Nike« lag. Von der Natur vernachlässigt, hatte der Sturm alle Versuche der Markgräfin, sich zu verschönern, grausam zunichtegemacht. Ihr Teint spielte zwischen grün und käsig.
»Mia morte, mia morte«, kreischte Sophia in den höchsten Tönen. »Oh Madonna mia!«
Da auch die undamenhaftesten Flüche nicht zum Ziele führten, verlegte sich Sophia schließlich aufs Schimpfen und Drohen. Sie nannte den Kapitän nur noch il diavolo greco, den griechischen Teufel, oder figlio di puttana, Sohn einer Hure - und was dergleichen Schmeicheleien mehr waren. Loukas nahm davon keine Notiz und zog sie ungerührt zur Bordwand. Dort zwang er sie, das Fallreep hinunterzusteigen, wobei er sie so lange festhielt, bis der Bootsführer sie umfassen und auf das heftig schaukelnde Boot heben konnte, während die Bootsleute und die Matrosen Boot und Schiff mit Haken mühsam beieinanderhielten. In gleicher Weise verfuhr man mit den Zofen. Dann übergab der Kapitän das Kommando an den Steuermann und stieg ebenfalls um. Vom Boot aus entdeckte er eine kleine Gruppe von Menschen, die das Kynegos-Tor passierten und sich eilig zum Hafen begaben. Sie trafen gleichzeitig ein. Den Ersten Minister des Kaisers erkannte er sofort an seinem prächtigen weißen Hut, der, konkav, wie er war, einem kräftig gestauchten Turm glich. Ein Windstoß stieß den Hut vom Kopf, spielte mit ihm und entführte ihn in die Finsternis des Orkans. Loukas verfolgte, wie das Weiß der Kopfbedeckung in den grauschwarzen Wolken verschwand. Hilflos schaute der Erste Minister dem Zeichen seiner Würde nach. Der Kapitän kletterte derweil vom Boot und hob die Gräfin auf den Kai. Dann begleitete er sie zu der kleinen Abordnung. Sie verkürzte das Empfangszeremoniell des hohen Beamten und wünschte, »subito« in den Palast gebracht zu werden.
»So können ich niemand in die Augen treten«, erklärte sie in falschem Griechisch.
Ihre Angst, in diesem Zustand gesehen zu werden, war überflüssig, denn bei einem solchen Wetter verließ niemand freiwillig das Haus, die Kirche oder das Kloster. Selbst die vielen Obdachlosen der Stadt hatten wohl irgendwo Unterschlupf gefunden.
Zugleich bestand Sophia darauf, dass ihr Gepäck umgehend entladen und ihr auf dem Fuß folgen würde. Loukas unterdrückte eine bissige Bemerkung, denn man hätte die Fracht gefahrlos löschen können, wenn der Sturm nachgelassen hatte. Doch wusste er, dass jeder Einwand zwecklos war, und versprach deshalb, sich sofort darum zu kümmern. Angesichts seines Aufzugs erließ man dem Kapitän die Pflicht, seine Passagiere zum Palast zu begleiten.
Weder bedankte sich Sophia bei dem Mann, der sie von Italien sicher über das Meer nach Konstantinopel gebracht hatte, noch verabschiedete sie sich von ihm. Sie ignorierte ihn einfach, als trüge er die Schuld an dem Sturm und an ihrem Aussehen. Mit Worten und Gesten trieb sie den Ersten Minister an, sie endlich ins Trockene zu bringen.
In knapp zwei Wochen sollte die Hochzeit von Sophia von Montferrat und Johannes Palaiologos stattfinden. Mit ihren dreißig Jahren war die Braut nicht mehr ganz taufrisch. Außerdem war sie schon einmal verheiratet gewesen, wenngleich die Ehe angeblich nicht vollzogen worden war. In Anbetracht ihres Aussehens glaubte man das gern. Aber der Kaiser suchte im Westen Bundesgenossen, und da kam ihm die Tochter eines oberitalienischen Grafen, der mit dem halben französischen Hochadel verschwägert und überdies mit den Palaiologen verwandt war, gerade recht. Auch Johannes Palaiologos würde nicht zum ersten Mal die Ehe eingehen, nur hatte bei ihm nicht der Mensch, sondern der Tod, genauer die Schwarzen Pocken die Verbindung gelöst.
Raschen Schrittes wurde Sophia von Montferrat samt ihren Zofen zum nahen Palast in Blachernae geführt, in dem die kaiserliche Familie wohnte. Unter Lebensgefahr brachte die Mannschaft das Gepäck der Frauen an Land, wo es eilig herbeigerufene Diener in Empfang nahmen.
Die Nachricht von dem riskanten und letztlich geglückten Anlegemanöver der »Nike« verbreitete sich in Windeseile in der Stadt, allein schon durch die Seeleute, die in die Tavernen und Bordelle einfielen, um sich zu beweisen, dass sie noch lebten.
Nach einem Dreivierteljahr der Abwesenheit, das er zum großen Teil auf See, in Genua, Venedig und Montferrat zugebracht hatte, freute sich Loukas unbändig darauf, seine Eltern und seinen jüngeren Bruder Demetrios wiederzusehen. In einem Holzkasten, den man, wenn sich der Sturm gelegt hätte, löschen und zusammen mit seinem Gepäck auf einem Eselskarren in den Palast der Familie Notaras in der Nähe der Hagia Sophia kutschieren würde, befanden sich reichlich Geschenke: für seine Mutter Thekla Gläser aus Murano und Stoffe aus Florenz, für den Vater Nikephoros Karten vom Westen und Bücher über die Reiche der westlichen Könige und für den Bruder geschnitzte Pferdchen mit Kutschen und bemalte Tonfiguren.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Sebastian Fleming
- 2013, 720 Seiten, Maße: 14,5 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ehrenwirth
- ISBN-10: 3431038697
- ISBN-13: 9783431038699
- Erscheinungsdatum: 17.05.2013
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