Café Heimat
Wer kennt nicht das "Verwöhnaroma" und die "Krönung" - den kleinen Luxus, den die Firma Jacobs ihren Kunden bietet. Louise Jacobs erzählt hier von den Menschen, die hinter dem Kaffeeimperium stecken. Von der spannenden und dramatischen Geschichte ihrer...
Wer kennt nicht das "Verwöhnaroma" und die "Krönung" - den kleinen Luxus, den die Firma Jacobs ihren Kunden bietet. Louise Jacobs erzählt hier von den Menschen, die hinter dem Kaffeeimperium stecken. Von der spannenden und dramatischen Geschichte ihrer Famile, die sie bis ins 15. Jahrhundert erforscht hat.
Das Verwöhnaroma, die Krönung der schönsten Stunden - wer in die Familie Jacobs hineingeboren wird, ist Teil einer Legende. Doch Louise Jacobs, heute 23 Jahre alt, ist immer wieder erstaunt, wie wenig bei ihr daheim über frühere Generationen ihrer Familie gesprochen wird. So macht sie sich auf die Spurensuche und stößt dabei auf manche Überraschung: Die Vorfahren ihrer Mutter waren sephardische Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben wurden. Und Louises Großeltern, alle aus hanseatischen Kaufmannsfamilien, lebten während des 20. Jahrhunderts in höchst unterschiedlichen Welten. Aus einem bremischen Bauerndorf machten sich die Jacobs auf, die Welt des Kaffees und die Pferderennbahnen zu erobern, während ihre Großmutter Ann in die schwierigen Verhältnisse der jüdischen Emigration hineingeborenwurde. Aus mitreißend erzählten Szenen und berührenden Reportagen zeichnet Louise Jacobs ein faszinierendes Familienpanorama.
Café Heimat von Louise Jacobs
LESEPROBE
Prolog
Ich bin 22. Diese Reise war ichmeinen Vorfahren und mir selbst längst schuldig. Ich folge verschüttetenund vergessenen Spuren nach Hamburg und Arizona, zu den Gräbern meiner Vorfahrenin Rio de Janeiro und in New York. Wer war Walther Jacobs? Diese Frage führtmich zurück an den Anfang meiner Erinnerung an Familie. Die jüdischenSpuren mütterlicherseits führen mich nach Hamburg, wo ich mit demArchivar, Herrn Sielemann, die Geburtsurkunden und Gemeindebücher imKeller des Staatsarchivs durchblättere. Die blauen Akten meines Urgroßvaters seheich mehrere Male im Lesesaal ein sowie ein Biographisches Lexikon der Sepharden in Hamburg, in welchem ich unter denFamiliennamen Cohen, Luria, Ferro und zahlreichenanderen auch die Jessuruns finde. Die Wegeführen mich nach New York an das Grab meines Urgroßvaters Fritz Moritz aliasFred Milton, auf einen Friedhof in Queens. Die Reise bringt mich erstmals nachArizona zu seiner Tochter Eva, zu seinem Humidor,zu seiner Briefmarkensammlung. Eva erzählt mir Geschichten von ihm, manchelassen mich schmunzeln und manche bestürzen mich. War ich sonst nur alle dreiJahre in Bremen bei meiner Großmutter Ann, besuche ich sie jetzt häufiger,sitze auf ihrem Sofa und blättere in einem alten Kochbuch meinerUrgroßmutter Else. Ann erzählt nur ungern von der schweren Zeit derFamilie in Amerika. An Elses Grab in Rio de Janeiro wird mir klar, wie weiteine Diaspora sein kann, nicht mehr messbar in Raum und Zeit. Ich begegnein Bremen, Zürich und München den Hinterbliebenen meines Großvatersväterlicherseits und jenen, die Walther Jacobs kannten und sich gerne anihn erinnern. Ich höre seine Sekretärin mit leuchtenden Augen von demfreundlichen und verbindlichen Herrn sprechen. Ich sitze meiner Tantegegenüber, die mit verlorenem Blick Halt sucht, während sie von ihremVater spricht, der sie nie in den Arm genommen hat und der auf ihre Ausbildungkeinen Wert legte. Ich sollte dieses Buch nicht schreiben. Nie war dieGeschichte unserer Familie bei uns ein Thema. Ich wuchs als Deutsche ineinem viersprachigen Binnenland auf, mit fünf Geschwistern und liebevollenEltern. Ohne Alpen und die Leidenschaft fürs Skifahren, ohne Pfadfinder,ohne Gletscherwanderungen und schlaflose Nächte in Berghütten wäre ich nichtdie Deutsche, die ich heute so schweizerisch bin. Eines aber fehlte mir indieser Heimat - es waren die Vorfahren. In Zürich hatte die Familie keineWurzeln, keine Geschichte - mir fehlten familiäre Traditionen, um michdort heimisch zu fühlen. Um zu leben musste ich wissen, wer wo, wann und worangestorben war. Die Vergangenheit begann in meine Gegenwart einzudringen.
»Sag mal, hast du eigentlichspanische Vorfahren?«, fragte mich mein Freund eines Abends.
»Was?«,rief ich aus. »Spanien? Wir sind ein norddeutsches Bauerngeschlecht.«
»Du hast mit Sicherheit spanischeVorfahren.«
Wie konnte es sein, dass ich mit 22Jahren nicht wusste, woher ich kam? Ich fühlte mich nicht zum ersten Mal inmeinem Leben verloren, doch diesmal wusste ich endlich warum. SeineBeharrlichkeit und meine unbehagliche Ahnung von fremden Ursprüngenveranlassten mich zum ersten Mal in meinem Leben, meine Mutter danach zufragen:
»Könnte es sein, dass wir spanischeVorfahren haben?« Mit ihrer Antwort tat sich der dünneBoden eigener Vergangenheit unter meinen Füßen auf. Die Reise insUngewisse, ins Unbekannte hatte begonnen. Da tauchten plötzlich Rabbineraus Venedig auf, Pilger aus Lissabon. Erstmals sah ich ein Bild meinerUrgroßmutter Else und erfuhr den Namen meines Urgroßvaters. Für jedes dieser Detailswagte ich mich auf das Minenfeld der Erinnerung. Ich war wie im Rausch: Das istdas Blut, das in mir fließt, das sind meine Gene! Es sind also die Sepharden, die spanischen Juden. Es sind die Bauernaus Borgfeld mit Sau, Kuh und Hof. Meine Mutter musste vierzig werden, bis dieersten Bücher über das Judentum ihren Weg in unsere Bibliothek fanden.Erst heute spricht mein Vater über das »Bremer Brot mit Würfelschinken «,das sich mein Großvater ins Büro mitnahm und bei einer Tasse Kaffee umzehn Uhr aß, das Butterbrotpapier hob er immer auf. Ich weiß heute, was mir als Kindund Jugendliche fehlte: dass ich nie auch nur ein Wort mit Walther Jacobs,meinem Großvater, gewechselt hatte, an das ich mich erinnern könnte, dassich nie verstand, warum meine Mutter in Nicaragua geboren war, ihre Mutteraber in Bremen lebte - und wir in der Schweiz. Ich fragte nicht danach,weil niemand fragte. Der Normalzustand war, dass meine Großmutter vielleichtzweimal im Jahr bei uns war. Von meinem Opa Jacobs erreichte mich jährlichzum Geburtstag ein Brief mit einem Geldschein und einem Foto von seinemHaus. Der Normalzustand war das Nicht-Sprechen, war die Unantastbarkeitder Vergangenheit. Zu erfahren und zu erzählen ist für mich seit Beginn der Recherchezu einer Orgie des Schwelgens geworden. Einen Bissen nach dem anderen kaue ich, schmeckeich, anschließend kommt das Schlucken und das Verdauen. Diese Art der Nahrungsaufnahmekann niemals zur Völlerei werden, denn Wissbegierde soll nie im Leben gesättigt sein- je mehr ich erzähle, desto unerträglicher wird mein Hunger. So erfahre ich,dass meine Großmutter mütterlicherseits, Ann Grobien,geborene Jessurun, 1938 mit ihrer Familie aus Hamburg nachLissabon geflüchtet ist und von dort aus 1941 weiter nach New York getriebenwurde. Ann kehrte erst in den sechziger Jahren über Nicaragua, wo meineMutter geboren ist, zurück nach Bremen. Ihre Schwester Eva sowie AnnsEltern kamen nie wieder nach Deutschland zurück. Ich erfahre, dass dieverschwiegene Seite meines Großvaters, Walther Jacobs, ursprünglich von einembremischen Bauerngeschlecht aus Borgfeld abstammt, dessen Wurzeln bis 1550 zurückzuverfolgensind. Würde man mich fragen, ob ich mich als Jacobs fühle oder als Jessurun, ich würde antworten: als Jessurun.Würde man mich aber fragen, ob ich mich als Jacobs oder Grobien - so hieß die Familie meines Großvatersmütterlicherseits - fühle, so würde ich antworten: als Jacobs. Als Jessurun fühle ich mich, weil ich spüre, gewisse Dingevererben sich, nicht nur in Charakter oder Aussehen, sondern auch in derWeise, wie ich fühle und empfinde. Der Einfluss der Jessurun schenWurzeln ist einfach da, in meinem Blut. Stelle ich mir heute die Frage:»Wie hältst du s eigentlich mit dem Jüdisch-Sein?«,antworte ich: »Früher fühlte ich mich jüdisch, jetzt bin ich es.« Und ichbin eine Jacobs, weil mich die Leidenschaft für das Bäuerliche, das Ländlicheprägt, für Pferde und nicht zuletzt für Kaffee. Auf der Stammtafel der FamilieJacobs steht an der Spitze einer breiten Pyramide von Namen und DatenClaus Jacobs, geboren in Borgfeld um 1550, und dahinter in Klammern:Baumann in Borgfeld. Nachweislich hat die Familie Jacobs also seit dem 16.Jahrhundert in Borgfeld ein eigenes Gehöft. Von Generation zu Generation erbteimmer der älteste Sohn den Hof, und der jüngere - sofern es einen gab -zog in die Stadt, um zu arbeiten. So erging es auch den beiden BrüdernWalther und Daniel Jacobs rund 400 Jahre später. Daniel, der Erstgeborene,übernahm von seinem Vater Jacob den Hof und Walther zog nach Bremen, um dortbei seinem Onkel Johann, ebenfalls ein Zweitgeborener, im Spezialgeschäftfür »Caffee, Thee, Cacao, Chocoladen und Biscuits« zu arbeiten. Walther war 21 Jahre alt, als OnkelJohann seinen Neffen nach New York in die Lehre schickte. Zwei Jahrespäter kam er zurück und trat 1930 in die Firma Johann Jacobs &Company ein. Er würde erstmals ein Corporate Design, ein für den Kunden wieder erkennbaresLogo und einen Werbeslogan für die Marke Jacobs Kaffee entwickeln. Seitherstiegen die Verkaufszahlen der Firma Jacobs und sie war auf dem Weg zumErfolg.
Louise Jacobs, geboren 1982, ist Enkeltochter von Walther Jacobs, der nach dem 2. Weltkrieg das Unternehmen Jacobs zum Synonym für Kaffeekultur in Deutschland machte. Sie lebt in der Schweiz und in Berlin.
- Autor: Louise Jacobs
- 2006, 400 Seiten, 21 Abbildungen, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550078714
- ISBN-13: 9783550078712
- Erscheinungsdatum: 17.08.2006
("Druckfrisch - Neue Bücher mit Denis Scheck" in "Das Erste ARD")
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