Die Bruderschaft der Nacht / Charlie Parker Bd.9
Thriller
Unerklärliche Selbstmorde, gefährliche Bündnisse, tödliche Gier
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Bruderschaft der Nacht / Charlie Parker Bd.9 “
Unerklärliche Selbstmorde, gefährliche Bündnisse, tödliche Gier
Klappentext zu „Die Bruderschaft der Nacht / Charlie Parker Bd.9 “
Charlie Parker erhält den Auftrag, den Selbstmord von Damien Patchett zu untersuchen. Der junge Irak-Veteran war in illegale Geschäfte mit gestohlenen Kunstschätzen verwickelt. Unter dem Beutegut war ein antikes Kästchen, das ein dämonisches Geheimnis birgt. Aus Patchetts Kompanie sterben weitere Männer. Um das Morden zu stoppen, muss Parker ein Bündnis eingehen, das er mehr fürchtet als alles andere.
Lese-Probe zu „Die Bruderschaft der Nacht / Charlie Parker Bd.9 “
Die Bruderschaft der Nacht von John ConnollyProlog
Krieg ist ein mythisches Ereignis ... Welche andere menschliche Erfahrung außer jener Todeskämpfe voll leidenschaftlicher Inbrunst ... versetzt uns in einen mythischen Zustand, in dem die Götter für uns äußerst real sind?
James Hillman,
Die erschreckende Liebe zum Krieg
Bagdad
16. April 2003 Dr. Al-Daini war es, der das Mädchen einsam und verlassen in dem langen Mittelgang fand. Es war fast völlig unter Glassplittern und Tonscherben, weggeworfener Kleidung, Möbelstücken und alten Zeitungen begraben, die als Verpackungsmaterial benutzt wurden. Im Staub und der Dunkelheit wäre es nahezu unsichtbar gewesen, doch Dr. Al-Daini hatte jahrzehntelang solche Mädchen gesucht, deshalb entdeckte er es, während andere womöglich einfach daran vorbeigelaufen wären.
Nur sein Kopf mit den geöffneten blauen Augen und den verblassten roten Lippen lag frei. Er kniete sich daneben und schob einige Trümmer beiseite. Von draußen hörte er Schreie und das Rasseln der Panzer, die ihre Stellung wechselten. Plötzlich fiel helles Licht in den Gang, und bewaffnete Männer tauchten auf, die lautstark Befehle erteilten, doch sie kamen zu spät. Ihre Kameraden hatten untätig zugesehen, als das hier geschehen war, weil sie andere Aufgaben hatten. Ihnen war das Mädchen egal, nicht aber Dr. Al-Daini. Er hatte es sofort erkannt, denn es war schon immer eines seiner Lieblingsstücke gewesen. Seine Schönheit hatte ihn in ihren Bann geschlagen, seit er es zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, und danach hatte er es sich nicht nehmen lassen, bei ihm stehen zu bleiben, wenn er tagsüber ein, zwei ruhige Minuten hatte, und es zu grüßen oder einfach sein Lächeln zu erwidern.
... mehr
Vielleicht könnte es noch gerettet werden, dachte er, doch als er vorsichtig das Holz und den Schutt beiseiteräumte, stellte er fest, dass er wenig tun konnte. Der Körper war zerschmettert, in einem sinnlosen Akt des Vandalismus in Stücke zerbrochen und entweiht. Das war nicht versehentlich geschehen, sondern mit Vorsatz - er konnte die Spuren auf dem Boden sehen, wo man mit Stiefeln auf die Arme und Beine eingetreten hatte, bis nur noch Fragmente übrig blieben, kaum größer als die Sandkörner, auf denen es jetzt lag. Dennoch war der Kopf vom Schlimmsten verschont geblieben, aber Dr. Al-Daini war sich nicht sicher, ob das, was man dem Mädchen angetan hatte, dadurch weniger schrecklich oder umso furchtbarer war.
»Ach, meine Kleine«, flüsterte er, als er zärtlich seine Wange streichelte und es zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren berührte. »Was haben sie dir angetan? Was haben sie uns allen angetan?«
Er hätte hierbleiben sollen. Er hätte sie nicht verlassen sollen, hätte keine von ihnen verlassen sollen, aber die Fedajin hatten sich in der Nähe des Informationsministeriums Gefechte mit den Amerikanern geliefert, und der Lärm der Schüsse und Explosionen war zu ihnen gedrungen, als sie Friese mit Sandsäcken gesichert und die Statuen mit Schaumgummi umhüllt hatten. Sie waren dankbar dafür gewesen, dass sie wenigstens einige der Schätze hatten in Sicherheit bringen können, bevor die Invasion begann. Danach hatten sich die Kämpfe bis zum Fernsehsender, der nur knapp einen Kilometer entfernt war, und zum Busbahnhof auf der anderen Seite des Komplexes ausgeweitet und waren immer näher gekommen. Er hatte dafür plädiert hierzubleiben, denn sie hatten Nahrungsmittel und Wasser im Keller eingelagert, doch viele waren der Meinung, dass es zu gefährlich sei. Alle Wächter bis auf einen waren geflohen, hatten ihre Waffen und Uniformen weggeworfen, und im Garten des Museums waren bereits schwarz gekleidete Männer mit Gewehren aufgetaucht. Deshalb hatten sie die vorderen Türen verschlossen, sich durch den Hinterausgang abgesetzt und waren über den Fluss zur Ostseite geflüchtet, wo sie im Haus eines Kollegen darauf warteten, dass die Kämpfe aufhörten.
Doch sie hörten nicht auf. Als sie versuchten, über die Brücke beim Medical City Hospital zurückzukehren, waren sie abgewiesen worden, deshalb waren sie wieder bei ihrem Kollegen geblieben, hatten Kaffee getrunken und abgewartet. Vielleicht waren sie zu lange dort geblieben, hatten hin und her diskutiert, ob es klug sei, einen vorerst sicheren Ort zu verlassen. Aber was hätten sie sonst tun können? Dennoch konnte er sich weder verzeihen noch seine Schuldgefühle besänftigen. Er hatte das Mädchen im Stich gelassen, und sie hatten sich an ihm ausgetobt.
Und jetzt weinte er, nicht wegen all des Schmutzes und des Schutts, sondern aus Wut, Schmerz und Trauer. Er konnte nicht mehr aufhören, nicht einmal als er Schritte hörte, schwere Stiefel, die sich näherten, und ein Soldat eine Taschenlampe auf sein Gesicht richtete. Hinter ihm waren andere, die ihre Waffen im Anschlag hatten.
»Sir, wer sind Sie?«, fragte der Soldat.
Dr. Al-Daini antwortete nicht. Er konnte es nicht. Wie gebannt blickte er auf die Augen des zerschmetterten Mädchens.
»Sir, können Sie Englisch? Ich frage Sie noch einmal: Wer sind Sie?«
Dr. Al-Daini bemerkte die Nervosität, die im Tonfall des Soldaten mitschwang, aber auch eine Spur Arroganz, die Überheblichkeit des Eroberers gegenüber dem Eroberten. Er seufzte und blickte auf.
»Mein Name ist Dr. Mufid Al-Daini«, sagte er, »und ich bin zweiter Kurator für die römischen Altertümer in diesem Museum. « Dann dachte er kurz nach. »Nein, ich war zweiter Kurator für die römischen Altertümer, denn jetzt gibt es kein Museum mehr. Jetzt gibt es nur noch Trümmer. Ihr habt das geschehen lassen. Ihr habt danebengestanden und es geschehen lassen ...«
Doch er sprach ebenso zu sich wie zu ihnen, und die Worte wurden in seinem Mund zu Asche. Die Mitarbeiter hatten das Museum am Dienstag verlassen. Am Samstag hatten sie erfahren, dass das Museum geplündert worden war, worauf sie zurückgekehrt waren, um den Schaden einzuschätzen und weitere Diebstähle zu verhindern. Jemand sagte, die Plünderung habe bereits am Donnerstag begonnen, als sich Hunderte von Menschen am Zaun vor dem Museum zusammenrotteten. Zwei Tage lang konnten sie ungehindert plündern. Es gab bereits Gerüchte, dass Insider beteiligt gewesen seien, Museumswächter, die es auf die wertvollsten Artefakte abgesehen hatten. Die Diebe nahmen alles mit, was sich fortschaffen ließ, und viele der Gegenstände, die sie nicht mitnehmen konnten, versuchten sie zu zerstören.
Dr. Al-Daini und ein paar andere Mitarbeiter hatten sich zum Hauptquartier der Marineinfanterie begeben und um Hilfe beim Absichern des Gebäudes gebeten, denn die Museumsangestellten befürchteten, dass die Plünderer zurückkehren könnten. Die Besatzungen der US-Panzer, die an der nur fünfzig Meter vom Museum entfernten Kreuzung standen, hatten sich auf ihre Befehle berufen und geweigert, ihnen beizustehen. Zu guter Letzt hatten ihnen die Amerikaner versprochen, Wachen zu schicken, aber erst jetzt, am Mittwoch, waren sie gekommen. Dr. Al-Daini war kurz vor ihnen eingetroffen, denn er war damit betraut worden, als Verbindungsmann zwischen den Soldaten und den Medien zu fungieren, und war deshalb in den vergangenen Tagen bei einem Offizier nach dem anderen vorstellig geworden und hatte Kontakte für Journalisten hergestellt.
Vorsichtig hob er den Kopf des zerschmetterten Mädchens hoch, das so jung und doch uralt war und an dessen Haaren, Mund und Augen auch nach fast viertausend Jahren noch die Farbe zu sehen war.
»Schaut her«, sagte er immer noch weinend, »schaut, was sie ihr angetan haben.«
Und die Soldaten starrten einen Moment lang auf den mit weißem Staub bedeckten alten Mann, der einen hohlen Kopf in den Händen hielt, bevor sie weiterzogen, um die geplünderten Hallen des Irakischen Nationalmuseums zu sichern. Es waren junge Männer, und bei diesem Einsatz ging es um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Bislang hatte noch keiner das Leben verloren, hier jedenfalls nicht. So etwas kam vor.
Schließlich herrschte Krieg.
Dr. Al-Daini schaute den Soldaten hinterher. Dann blickte er sich um und sah einen mit Farbe bespritzten Stofflappen neben einer umgestürzten Vitrine liegen. Er sah sich ihn genauer an und stellte fest, dass er halbwegs sauber war; dann schlug er den Kopf in das Tuch ein und verknotete die vier Ecken, damit er ihn einfacher tragen konnte. Müde stand er nun da, der Kopf baumelte von seiner Hand wie von der Hand eines Henkers, der seinem Potentaten den Beweis seines blutigen Werkes überbringt, denn das Gesicht des Mädchens war so lebensecht und Dr. Al-Daini war so bedrückt und schockiert, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn aus dem abgetrennten Hals Blutstropfen durch den Stoff gesickert und wie Blütenblätter auf den staubigen Boden gefallen wären. Ringsum waren überall Erinnerungen an das, was hier einst gewesen war, Lücken, die wie offene Wunden klafften. Man hatte Skelette ihres Schmuckes beraubt und die Knochen verstreut. Statuen hatte man die Köpfe abgeschlagen, damit man sie leichter wegtragen konnte. Es war merkwürdig, dachte er, dass man ausgerechnet den erlesenen Kopf des Mädchens übersehen hatte. Aber vielleicht hatten sich diejenigen, die sie zerschmetterten, damit begnügt, dass ihr Körper zerstört und die Welt um eine Schönheit ärmer geworden war.
Das Ausmaß der Zerstörung war unfassbar. Die Vase von Warka, ein etwa aus dem Jahr 3500 vor Christus stammendes Meisterwerk der sumerischen Kunst und damit das älteste mit einem Relief verzierte Ritualgefäß der Welt, war verschwunden, über dem Fuß abgeschlagen. Eine herrliche, mit einem Stierkopf verzierte Leier war ihres Goldes beraubt worden. Die Bassetki- Statue: verschwunden. Die Statue von Entema: verschwunden. Die Warka-Maske, eine der ersten naturgetreuen Darstellungen eines menschlichen Antlitzes: verschwunden. Er lief durch einen Raum nach dem anderen und ersetzte all die verlorenen Schätze durch Phantasmagorien, Trugbilder ihrer selbst - hier ein Elfenbeinsiegel, dort eine mit Edelsteinen besetzte Krone -, so dass alles, was sich hier einst befunden hatte, das derzeitige Trümmerfeld überlagerte. Selbst jetzt, da er schier betäubt war angesichts der Schäden, katalogisierte Dr. Al-Daini in Gedanken bereits die Sammlung und versuchte sich an Alter und Herkunft eines jeden kostbaren Reliktes zu entsinnen, für den Fall, dass die Aufzeichnungen des Museums nicht mehr zur Verfügung stehen sollten, wenn sie sich an die scheinbar unmögliche Aufgabe machten, die geraubten Gegenstände wiederzuerlangen.
Relikte.
Dr. Al-Daini blieb stehen. Er wankte leicht und schloss die Augen. Ein vorbeigehender Soldat fragte ihn, ob alles in Ordnung sei, und bot ihm Wasser an, eine kleine, freundliche Geste, die Dr. Al-Daini nicht würdigen konnte, weil er zu aufgewühlt war. Stattdessen drehte er sich zu dem Soldaten um und ergriff seinen Arm, eine Bewegung, die seinem Kummer auf der Stelle ein Ende hätte bereiten können, wenn der Soldat den Finger am Abzug seines Gewehrs gehabt hätte.
»Ich bin Dr. Mufid Al-Daini«, erklärte er dem Soldaten. »Ich bin zweiter Kurator im hiesigen Museum. Bitte, ich brauche Ihre Hilfe. Ich muss in den Keller. Ich muss etwas überprüfen. Es ist sehr, sehr wichtig. Sie müssen mir helfen, damit ich durchkomme. «
Er deutete auf die Silhouetten der bewaffneten Männer vor ihnen, beige Gestalten im dunklen Gang. Der junge Mann neben ihm wirkte unschlüssig, dann zuckte er die Achseln.
»Sie müssen aber erst meine Schulter loslassen, Sir«, sagte er. Er konnte nicht älter als zwanzig, einundzwanzig sein, doch er hatte etwas Selbstsicheres an sich, eine Unbefangenheit, die eher zu einem älteren Mann gepasst hätte.
Dr. Al-Daini trat einen Schritt zurück und entschuldigte sich für seine Dreistigkeit. Auf dem Namensschild an der Uniform des Soldaten stand »Patchett«.
»Können Sie sich ausweisen?«, fragte Patchett.
Dr. Al-Daini zückte seinen Dienstausweis, doch der war in arabischer Schrift ausgestellt. Er suchte in seiner Brieftasche, fand eine Visitenkarte, die auf der einen Seite arabisch, auf der anderen englisch beschriftet war, und reichte sie ihm. Patchett blinzelte leicht im schwachen Licht, als er sie betrachtete, dann gab er sie zurück.
»Okay, mal sehen, was wir tun können«, meinte er.
Dr. Al-Daini bekleidete zwei Posten im Museum. Er war sowohl zweiter Kurator für die römischen Sammlungen, ein Titel, der weder der Bandbreite seines Wissens noch der zusätzlichen Aufgabe gerecht wurde, die er inoffiziell und ohne Vergütung übernommen hatte, denn er war außerdem noch Kurator der noch nicht katalogisierten Gegenstände, eine weitere Berufsbezeichnung, die nur andeutungsweise verriet, welche Herkulesarbeit damit verbunden war. Das Katalogisierungssystem des Museums war sowohl altmodisch als auch umständlich, und es gab Zehntausende von Gegenständen, die noch nicht erfasst waren. Ein Teil des Museumskellers bestand aus einem Labyrinth von Regalen voller Artefakte, teils in Kisten verpackt, teils nicht. Die Mehrzahl davon beziehungsweise der winzige Bruchteil, der von Dr. Al-Daini und seinen Vorgängern katalogisiert worden war, war nur von geringem Geldwert, doch jedes einzelne war ein wichtiges Forschungsobjekt, die Hinterlassenschaft einer Kultur, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte oder gänzlich untergegangen war. In vielerlei Hinsicht war dieser Keller der Teil des Museums, den Dr. Al-Daini am meisten schätzte, denn wer konnte schon wissen, was es hier noch zu entdecken gab, welch unverhoffte Schätze zum Vorschein kommen könnten? Bislang hatte er allerdings wenig gefunden, und die Anzahl der noch nicht katalogisierten Gegenstände war so umfangreich wie eh und je, denn mit jeder Tonscherbe, jedem Bruchstück einer Statue, die offiziell in den Unterlagen des Museums erfasst wurde, gingen zehn weitere, noch unbekannte ein. Ein weniger von seiner Arbeit begeisterter Mann hätte dies für eine vergebliche Aufgabe gehalten, doch Dr. Al-Daini war ein Romantiker, wenn es um Wissen ging, und der Gedanke daran, dass es hier immer mehr und neue Schätze zu entdecken gab, erfüllte ihn mit Freude.
Jetzt lief Dr. Al-Daini mit einer Taschenlampe in der Hand, Soldat Patchett mit einer weiteren Lampe hinter ihm, durch die Schluchten des Archivs. Ein Schlüssel war nicht nötig gewesen, da die Tür aufgebrochen war. Im Keller war es erstickend heiß, und ein beißender Gestank hing in der Luft, der von dem verbrannten Schaumgummi stammte, den die Plünderer als Fackeln verwendet hatten, da schon vor der Invasion der Strom ausgefallen war. Doch Dr. Al-Daini nahm es kaum wahr. Sein ganzes Augenmerk galt einer Stelle, einer Stelle allein. Auch hier hatten die Plünderer ihre Spuren hinterlassen, hatten Regale umgekippt und den Inhalt der Kartons und Kisten verstreut, ja sogar Unterlagen verbrannt, aber ihnen musste rasch klar geworden sein, dass es hier wenig Wertvolles gab, deshalb war der Schaden geringer. Doch einige Gegenstände waren eindeutig geraubt worden, und als Dr. Al-Daini tiefer in den Keller vordrang, war ihm immer beklommener zumute, bis er schließlich vor dem gesuchten Regal stand und auf die leere Stelle starrte. Beinahe hätte er aufgegeben, aber noch bestand Hoffnung.
»Hier fehlt etwas«, sagte er zu Patchett. »Ich bitte Sie, helfen Sie mir, es zu finden.«
»Wonach suchen wir denn?«
»Einen Bleikasten. Nicht sehr groß.« Dr. Al-Daini hielt die Hände etwa einen halben Meter auseinander. »Ganz schlicht, mit einer einfachen Haspe und einem kleinen Schloss.«
Und so suchten sie die nicht verschlossenen Bereiche des Kellers ab, so gut sie konnten, und als Patchett von seinem Truppführer zurückgerufen wurde, machte Dr. Al-Daini den ganzen Tag und bis tief in die Nacht allein weiter, doch er fand nicht die geringste Spur von dem Bleikasten.
Ein Gegenstand von hohem Wert lässt sich sehr gut inmitten von allerlei wertlosen Sachen verstecken. Noch besser ist es, wenn man ihn so gut tarnt, dass er äußerlich unscheinbar wirkt, denn dann kann man ihn stehen lassen, wo jeder ihn sieht, ohne dass jemand auf ihn aufmerksam wird. Man könnte ihn sogar katalogisieren, wenn auch als etwas, was er nicht ist: In diesem Fall ein Bleikasten, persisch, sechzehntes Jahrhundert, der ein kleineres, nicht weiter bemerkenswertes verschlossenes Kästchen enthält, das offenbar aus rot bemaltem Eisen besteht. Funddatum: unbekannt. Herkunft: unbekannt. Wert: gering. Inhalt: nichts.
Lauter Lügen, vor allem Letzteres, denn wenn man nahe genug an das Kästchen herankam, konnte man fast meinen, dass in seinem Inneren irgendetwas sprach.
Nein, nicht sprach.
Flüsterte.
Kap Elizabeth, Maine Mai 2009
Die Hündin hörte den Ruf und kam vorsichtig zum obersten Treppenansatz. Sie hatte auf einem der Betten geschlafen und wusste, dass sie das nicht tun sollte. Sie lauschte, entnahm dem Tonfall aber nichts, das darauf hindeutete, dass sie Ärger bekommen könnte. Als der Ruf erneut ertönte und sie das Klirren ihrer Leine hörte, nahm sie zwei Stufen auf einmal und wäre fast über die eigenen Beine gefallen, als sie unten ankam.
Damien Patchett hob den Finger, beruhigte die Hündin und hakte die Leine am Halsband fest. Obwohl es draußen warm war, trug er eine grüne Kampfjacke. Die Hündin schnupperte an einer der Taschen und erkannte einen vertrauten Geruch, aber Damien scheuchte sie weg. Sein Vater war drüben im Diner, und im Haus herrschte Stille. Die Sonne ging gerade unter, und als Damien mit der Hündin durch den Wald in Richtung Meer spazieren ging, wechselte das Licht, und der Himmel hinter ihm verfärbte sich rot und golden.
Die Hündin schnappte nach der Leine, denn sie war es nicht gewohnt, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Normalerweise durfte sie bei ihren Spaziergängen herumstromern, und sie zeigte ihr Missfallen, indem sie heftig an der Leine zerrte.
© Ullstein TB (Verlag)
Vielleicht könnte es noch gerettet werden, dachte er, doch als er vorsichtig das Holz und den Schutt beiseiteräumte, stellte er fest, dass er wenig tun konnte. Der Körper war zerschmettert, in einem sinnlosen Akt des Vandalismus in Stücke zerbrochen und entweiht. Das war nicht versehentlich geschehen, sondern mit Vorsatz - er konnte die Spuren auf dem Boden sehen, wo man mit Stiefeln auf die Arme und Beine eingetreten hatte, bis nur noch Fragmente übrig blieben, kaum größer als die Sandkörner, auf denen es jetzt lag. Dennoch war der Kopf vom Schlimmsten verschont geblieben, aber Dr. Al-Daini war sich nicht sicher, ob das, was man dem Mädchen angetan hatte, dadurch weniger schrecklich oder umso furchtbarer war.
»Ach, meine Kleine«, flüsterte er, als er zärtlich seine Wange streichelte und es zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren berührte. »Was haben sie dir angetan? Was haben sie uns allen angetan?«
Er hätte hierbleiben sollen. Er hätte sie nicht verlassen sollen, hätte keine von ihnen verlassen sollen, aber die Fedajin hatten sich in der Nähe des Informationsministeriums Gefechte mit den Amerikanern geliefert, und der Lärm der Schüsse und Explosionen war zu ihnen gedrungen, als sie Friese mit Sandsäcken gesichert und die Statuen mit Schaumgummi umhüllt hatten. Sie waren dankbar dafür gewesen, dass sie wenigstens einige der Schätze hatten in Sicherheit bringen können, bevor die Invasion begann. Danach hatten sich die Kämpfe bis zum Fernsehsender, der nur knapp einen Kilometer entfernt war, und zum Busbahnhof auf der anderen Seite des Komplexes ausgeweitet und waren immer näher gekommen. Er hatte dafür plädiert hierzubleiben, denn sie hatten Nahrungsmittel und Wasser im Keller eingelagert, doch viele waren der Meinung, dass es zu gefährlich sei. Alle Wächter bis auf einen waren geflohen, hatten ihre Waffen und Uniformen weggeworfen, und im Garten des Museums waren bereits schwarz gekleidete Männer mit Gewehren aufgetaucht. Deshalb hatten sie die vorderen Türen verschlossen, sich durch den Hinterausgang abgesetzt und waren über den Fluss zur Ostseite geflüchtet, wo sie im Haus eines Kollegen darauf warteten, dass die Kämpfe aufhörten.
Doch sie hörten nicht auf. Als sie versuchten, über die Brücke beim Medical City Hospital zurückzukehren, waren sie abgewiesen worden, deshalb waren sie wieder bei ihrem Kollegen geblieben, hatten Kaffee getrunken und abgewartet. Vielleicht waren sie zu lange dort geblieben, hatten hin und her diskutiert, ob es klug sei, einen vorerst sicheren Ort zu verlassen. Aber was hätten sie sonst tun können? Dennoch konnte er sich weder verzeihen noch seine Schuldgefühle besänftigen. Er hatte das Mädchen im Stich gelassen, und sie hatten sich an ihm ausgetobt.
Und jetzt weinte er, nicht wegen all des Schmutzes und des Schutts, sondern aus Wut, Schmerz und Trauer. Er konnte nicht mehr aufhören, nicht einmal als er Schritte hörte, schwere Stiefel, die sich näherten, und ein Soldat eine Taschenlampe auf sein Gesicht richtete. Hinter ihm waren andere, die ihre Waffen im Anschlag hatten.
»Sir, wer sind Sie?«, fragte der Soldat.
Dr. Al-Daini antwortete nicht. Er konnte es nicht. Wie gebannt blickte er auf die Augen des zerschmetterten Mädchens.
»Sir, können Sie Englisch? Ich frage Sie noch einmal: Wer sind Sie?«
Dr. Al-Daini bemerkte die Nervosität, die im Tonfall des Soldaten mitschwang, aber auch eine Spur Arroganz, die Überheblichkeit des Eroberers gegenüber dem Eroberten. Er seufzte und blickte auf.
»Mein Name ist Dr. Mufid Al-Daini«, sagte er, »und ich bin zweiter Kurator für die römischen Altertümer in diesem Museum. « Dann dachte er kurz nach. »Nein, ich war zweiter Kurator für die römischen Altertümer, denn jetzt gibt es kein Museum mehr. Jetzt gibt es nur noch Trümmer. Ihr habt das geschehen lassen. Ihr habt danebengestanden und es geschehen lassen ...«
Doch er sprach ebenso zu sich wie zu ihnen, und die Worte wurden in seinem Mund zu Asche. Die Mitarbeiter hatten das Museum am Dienstag verlassen. Am Samstag hatten sie erfahren, dass das Museum geplündert worden war, worauf sie zurückgekehrt waren, um den Schaden einzuschätzen und weitere Diebstähle zu verhindern. Jemand sagte, die Plünderung habe bereits am Donnerstag begonnen, als sich Hunderte von Menschen am Zaun vor dem Museum zusammenrotteten. Zwei Tage lang konnten sie ungehindert plündern. Es gab bereits Gerüchte, dass Insider beteiligt gewesen seien, Museumswächter, die es auf die wertvollsten Artefakte abgesehen hatten. Die Diebe nahmen alles mit, was sich fortschaffen ließ, und viele der Gegenstände, die sie nicht mitnehmen konnten, versuchten sie zu zerstören.
Dr. Al-Daini und ein paar andere Mitarbeiter hatten sich zum Hauptquartier der Marineinfanterie begeben und um Hilfe beim Absichern des Gebäudes gebeten, denn die Museumsangestellten befürchteten, dass die Plünderer zurückkehren könnten. Die Besatzungen der US-Panzer, die an der nur fünfzig Meter vom Museum entfernten Kreuzung standen, hatten sich auf ihre Befehle berufen und geweigert, ihnen beizustehen. Zu guter Letzt hatten ihnen die Amerikaner versprochen, Wachen zu schicken, aber erst jetzt, am Mittwoch, waren sie gekommen. Dr. Al-Daini war kurz vor ihnen eingetroffen, denn er war damit betraut worden, als Verbindungsmann zwischen den Soldaten und den Medien zu fungieren, und war deshalb in den vergangenen Tagen bei einem Offizier nach dem anderen vorstellig geworden und hatte Kontakte für Journalisten hergestellt.
Vorsichtig hob er den Kopf des zerschmetterten Mädchens hoch, das so jung und doch uralt war und an dessen Haaren, Mund und Augen auch nach fast viertausend Jahren noch die Farbe zu sehen war.
»Schaut her«, sagte er immer noch weinend, »schaut, was sie ihr angetan haben.«
Und die Soldaten starrten einen Moment lang auf den mit weißem Staub bedeckten alten Mann, der einen hohlen Kopf in den Händen hielt, bevor sie weiterzogen, um die geplünderten Hallen des Irakischen Nationalmuseums zu sichern. Es waren junge Männer, und bei diesem Einsatz ging es um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Bislang hatte noch keiner das Leben verloren, hier jedenfalls nicht. So etwas kam vor.
Schließlich herrschte Krieg.
Dr. Al-Daini schaute den Soldaten hinterher. Dann blickte er sich um und sah einen mit Farbe bespritzten Stofflappen neben einer umgestürzten Vitrine liegen. Er sah sich ihn genauer an und stellte fest, dass er halbwegs sauber war; dann schlug er den Kopf in das Tuch ein und verknotete die vier Ecken, damit er ihn einfacher tragen konnte. Müde stand er nun da, der Kopf baumelte von seiner Hand wie von der Hand eines Henkers, der seinem Potentaten den Beweis seines blutigen Werkes überbringt, denn das Gesicht des Mädchens war so lebensecht und Dr. Al-Daini war so bedrückt und schockiert, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn aus dem abgetrennten Hals Blutstropfen durch den Stoff gesickert und wie Blütenblätter auf den staubigen Boden gefallen wären. Ringsum waren überall Erinnerungen an das, was hier einst gewesen war, Lücken, die wie offene Wunden klafften. Man hatte Skelette ihres Schmuckes beraubt und die Knochen verstreut. Statuen hatte man die Köpfe abgeschlagen, damit man sie leichter wegtragen konnte. Es war merkwürdig, dachte er, dass man ausgerechnet den erlesenen Kopf des Mädchens übersehen hatte. Aber vielleicht hatten sich diejenigen, die sie zerschmetterten, damit begnügt, dass ihr Körper zerstört und die Welt um eine Schönheit ärmer geworden war.
Das Ausmaß der Zerstörung war unfassbar. Die Vase von Warka, ein etwa aus dem Jahr 3500 vor Christus stammendes Meisterwerk der sumerischen Kunst und damit das älteste mit einem Relief verzierte Ritualgefäß der Welt, war verschwunden, über dem Fuß abgeschlagen. Eine herrliche, mit einem Stierkopf verzierte Leier war ihres Goldes beraubt worden. Die Bassetki- Statue: verschwunden. Die Statue von Entema: verschwunden. Die Warka-Maske, eine der ersten naturgetreuen Darstellungen eines menschlichen Antlitzes: verschwunden. Er lief durch einen Raum nach dem anderen und ersetzte all die verlorenen Schätze durch Phantasmagorien, Trugbilder ihrer selbst - hier ein Elfenbeinsiegel, dort eine mit Edelsteinen besetzte Krone -, so dass alles, was sich hier einst befunden hatte, das derzeitige Trümmerfeld überlagerte. Selbst jetzt, da er schier betäubt war angesichts der Schäden, katalogisierte Dr. Al-Daini in Gedanken bereits die Sammlung und versuchte sich an Alter und Herkunft eines jeden kostbaren Reliktes zu entsinnen, für den Fall, dass die Aufzeichnungen des Museums nicht mehr zur Verfügung stehen sollten, wenn sie sich an die scheinbar unmögliche Aufgabe machten, die geraubten Gegenstände wiederzuerlangen.
Relikte.
Dr. Al-Daini blieb stehen. Er wankte leicht und schloss die Augen. Ein vorbeigehender Soldat fragte ihn, ob alles in Ordnung sei, und bot ihm Wasser an, eine kleine, freundliche Geste, die Dr. Al-Daini nicht würdigen konnte, weil er zu aufgewühlt war. Stattdessen drehte er sich zu dem Soldaten um und ergriff seinen Arm, eine Bewegung, die seinem Kummer auf der Stelle ein Ende hätte bereiten können, wenn der Soldat den Finger am Abzug seines Gewehrs gehabt hätte.
»Ich bin Dr. Mufid Al-Daini«, erklärte er dem Soldaten. »Ich bin zweiter Kurator im hiesigen Museum. Bitte, ich brauche Ihre Hilfe. Ich muss in den Keller. Ich muss etwas überprüfen. Es ist sehr, sehr wichtig. Sie müssen mir helfen, damit ich durchkomme. «
Er deutete auf die Silhouetten der bewaffneten Männer vor ihnen, beige Gestalten im dunklen Gang. Der junge Mann neben ihm wirkte unschlüssig, dann zuckte er die Achseln.
»Sie müssen aber erst meine Schulter loslassen, Sir«, sagte er. Er konnte nicht älter als zwanzig, einundzwanzig sein, doch er hatte etwas Selbstsicheres an sich, eine Unbefangenheit, die eher zu einem älteren Mann gepasst hätte.
Dr. Al-Daini trat einen Schritt zurück und entschuldigte sich für seine Dreistigkeit. Auf dem Namensschild an der Uniform des Soldaten stand »Patchett«.
»Können Sie sich ausweisen?«, fragte Patchett.
Dr. Al-Daini zückte seinen Dienstausweis, doch der war in arabischer Schrift ausgestellt. Er suchte in seiner Brieftasche, fand eine Visitenkarte, die auf der einen Seite arabisch, auf der anderen englisch beschriftet war, und reichte sie ihm. Patchett blinzelte leicht im schwachen Licht, als er sie betrachtete, dann gab er sie zurück.
»Okay, mal sehen, was wir tun können«, meinte er.
Dr. Al-Daini bekleidete zwei Posten im Museum. Er war sowohl zweiter Kurator für die römischen Sammlungen, ein Titel, der weder der Bandbreite seines Wissens noch der zusätzlichen Aufgabe gerecht wurde, die er inoffiziell und ohne Vergütung übernommen hatte, denn er war außerdem noch Kurator der noch nicht katalogisierten Gegenstände, eine weitere Berufsbezeichnung, die nur andeutungsweise verriet, welche Herkulesarbeit damit verbunden war. Das Katalogisierungssystem des Museums war sowohl altmodisch als auch umständlich, und es gab Zehntausende von Gegenständen, die noch nicht erfasst waren. Ein Teil des Museumskellers bestand aus einem Labyrinth von Regalen voller Artefakte, teils in Kisten verpackt, teils nicht. Die Mehrzahl davon beziehungsweise der winzige Bruchteil, der von Dr. Al-Daini und seinen Vorgängern katalogisiert worden war, war nur von geringem Geldwert, doch jedes einzelne war ein wichtiges Forschungsobjekt, die Hinterlassenschaft einer Kultur, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte oder gänzlich untergegangen war. In vielerlei Hinsicht war dieser Keller der Teil des Museums, den Dr. Al-Daini am meisten schätzte, denn wer konnte schon wissen, was es hier noch zu entdecken gab, welch unverhoffte Schätze zum Vorschein kommen könnten? Bislang hatte er allerdings wenig gefunden, und die Anzahl der noch nicht katalogisierten Gegenstände war so umfangreich wie eh und je, denn mit jeder Tonscherbe, jedem Bruchstück einer Statue, die offiziell in den Unterlagen des Museums erfasst wurde, gingen zehn weitere, noch unbekannte ein. Ein weniger von seiner Arbeit begeisterter Mann hätte dies für eine vergebliche Aufgabe gehalten, doch Dr. Al-Daini war ein Romantiker, wenn es um Wissen ging, und der Gedanke daran, dass es hier immer mehr und neue Schätze zu entdecken gab, erfüllte ihn mit Freude.
Jetzt lief Dr. Al-Daini mit einer Taschenlampe in der Hand, Soldat Patchett mit einer weiteren Lampe hinter ihm, durch die Schluchten des Archivs. Ein Schlüssel war nicht nötig gewesen, da die Tür aufgebrochen war. Im Keller war es erstickend heiß, und ein beißender Gestank hing in der Luft, der von dem verbrannten Schaumgummi stammte, den die Plünderer als Fackeln verwendet hatten, da schon vor der Invasion der Strom ausgefallen war. Doch Dr. Al-Daini nahm es kaum wahr. Sein ganzes Augenmerk galt einer Stelle, einer Stelle allein. Auch hier hatten die Plünderer ihre Spuren hinterlassen, hatten Regale umgekippt und den Inhalt der Kartons und Kisten verstreut, ja sogar Unterlagen verbrannt, aber ihnen musste rasch klar geworden sein, dass es hier wenig Wertvolles gab, deshalb war der Schaden geringer. Doch einige Gegenstände waren eindeutig geraubt worden, und als Dr. Al-Daini tiefer in den Keller vordrang, war ihm immer beklommener zumute, bis er schließlich vor dem gesuchten Regal stand und auf die leere Stelle starrte. Beinahe hätte er aufgegeben, aber noch bestand Hoffnung.
»Hier fehlt etwas«, sagte er zu Patchett. »Ich bitte Sie, helfen Sie mir, es zu finden.«
»Wonach suchen wir denn?«
»Einen Bleikasten. Nicht sehr groß.« Dr. Al-Daini hielt die Hände etwa einen halben Meter auseinander. »Ganz schlicht, mit einer einfachen Haspe und einem kleinen Schloss.«
Und so suchten sie die nicht verschlossenen Bereiche des Kellers ab, so gut sie konnten, und als Patchett von seinem Truppführer zurückgerufen wurde, machte Dr. Al-Daini den ganzen Tag und bis tief in die Nacht allein weiter, doch er fand nicht die geringste Spur von dem Bleikasten.
Ein Gegenstand von hohem Wert lässt sich sehr gut inmitten von allerlei wertlosen Sachen verstecken. Noch besser ist es, wenn man ihn so gut tarnt, dass er äußerlich unscheinbar wirkt, denn dann kann man ihn stehen lassen, wo jeder ihn sieht, ohne dass jemand auf ihn aufmerksam wird. Man könnte ihn sogar katalogisieren, wenn auch als etwas, was er nicht ist: In diesem Fall ein Bleikasten, persisch, sechzehntes Jahrhundert, der ein kleineres, nicht weiter bemerkenswertes verschlossenes Kästchen enthält, das offenbar aus rot bemaltem Eisen besteht. Funddatum: unbekannt. Herkunft: unbekannt. Wert: gering. Inhalt: nichts.
Lauter Lügen, vor allem Letzteres, denn wenn man nahe genug an das Kästchen herankam, konnte man fast meinen, dass in seinem Inneren irgendetwas sprach.
Nein, nicht sprach.
Flüsterte.
Kap Elizabeth, Maine Mai 2009
Die Hündin hörte den Ruf und kam vorsichtig zum obersten Treppenansatz. Sie hatte auf einem der Betten geschlafen und wusste, dass sie das nicht tun sollte. Sie lauschte, entnahm dem Tonfall aber nichts, das darauf hindeutete, dass sie Ärger bekommen könnte. Als der Ruf erneut ertönte und sie das Klirren ihrer Leine hörte, nahm sie zwei Stufen auf einmal und wäre fast über die eigenen Beine gefallen, als sie unten ankam.
Damien Patchett hob den Finger, beruhigte die Hündin und hakte die Leine am Halsband fest. Obwohl es draußen warm war, trug er eine grüne Kampfjacke. Die Hündin schnupperte an einer der Taschen und erkannte einen vertrauten Geruch, aber Damien scheuchte sie weg. Sein Vater war drüben im Diner, und im Haus herrschte Stille. Die Sonne ging gerade unter, und als Damien mit der Hündin durch den Wald in Richtung Meer spazieren ging, wechselte das Licht, und der Himmel hinter ihm verfärbte sich rot und golden.
Die Hündin schnappte nach der Leine, denn sie war es nicht gewohnt, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Normalerweise durfte sie bei ihren Spaziergängen herumstromern, und sie zeigte ihr Missfallen, indem sie heftig an der Leine zerrte.
© Ullstein TB (Verlag)
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Autoren-Porträt von John Connolly
Connolly, JohnJohn Connolly lebt in Dublin und schreibt für die Irish Times. Seit seinem Debütroman ist er einer der erfolgreichsten Thrillerautoren weltweit. Seine Serie um Ex-Cop Charlie Parker begeistert auch Kollegen und Kritiker. Der preisgekrönte "Meister des Gänsehautmoments" konfrontiert seine Leser immer wieder mit der allgegenwärtigen Kraft des Bösen. Mehr über den Autor finden Sie unter:
Bibliographische Angaben
- Autor: John Connolly
- 2014, 432 Seiten, Maße: 12,1 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Georg
- Übersetzer: Georg Schmidt
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285813
- ISBN-13: 9783548285818
- Erscheinungsdatum: 10.03.2014
Kommentar zu "Die Bruderschaft der Nacht / Charlie Parker Bd.9"
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