Weigel, J: Danke, liebes Universum, jetzt reicht's!
Zeichen, Medien, Channeling - wie geht das denn?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Weigel, J: Danke, liebes Universum, jetzt reicht's! “
Zeichen, Medien, Channeling - wie geht das denn?
Klappentext zu „Weigel, J: Danke, liebes Universum, jetzt reicht's! “
Auf ihrer unterhaltsamen Reise in spirituelle Gefilde erlebt Jenniffer Weigel am eigenen Leib, was ihr Bestsellerautoren wie Don Miguel Ruiz, Deepak Chopra, Wayne Dyer und Neale Donald Walsch seit Jahren sagen wollten, sie aber nicht zu glauben wagte. Sie stolpert von einer spirituellen Begegnung in die nächste und gewinnt dabei ständig neue Einsichten in die Tücken esoterisch geprägter Lebenswelten.
Lese-Probe zu „Weigel, J: Danke, liebes Universum, jetzt reicht's! “
Danke, liebes Universum, jetzt reicht's! von Jenniffer Weigel1
Sie sind mitten unter uns.
Freue dich über deine Gabe.
Schild an der katholischen Kirche Allerheiligen: „ALLE HUNDE KOMMEN IN DEN HIMMEL."
An der evangelischen Kirche gegenüber steht: „NUR MENSCHEN KOMMEN IN DEN HIMMEL. LEST DIE BIBEL!"
„Du hast echt ein Talent, die bizarrste Scheiße magnetisch anzuziehen", sagte mein Freund Steve Chochran während der Werbepause seiner Radiosendung zu mir. Er interviewt mich für mein erstes Buch Stay Tuned.
„Sagen wir mal, ich sammle Informationen über paranormale oder metaphysische Phänomene, die viele Leute als bloße Zufälle abtun", sagte ich. „Aber du kannst es ruhig bizarre Scheiße nennen, wenn dir das lieber ist."
„Du bist eine Medium-Flüsterin", hauchte er mir vielsagend ins Ohr.
Damit hatte er nicht mal unrecht. Immerhin glaubten schon wildfremde Menschen, mir ihre „Ich sehe Verstorbene"-Geschichten anvertrauen zu müssen.
Glaubst du denn, dass es dir jetzt öfter passiert, weil du alle diese Medien und Gurus interviewt hast? Oder passiert es allen, nur dass du dir dessen jetzt bewusster bist?", fragte er.
„Wahrscheinlich trifft beides zu", antwortete ich.
... mehr
„JENNY, bist du das?", sagte der Mann. Ich stand an der Michigan Avenue und starrte ihn an. Er kam mir vage bekannte vor, ich hoffte, der Blitz der Erkenntnis würde mich treffen.
College? Nein. ... Sportkurs an der Highschool? Nö. ... One-Night-Stand? Gott behüte!
„Ja?" Ich musterte ihn nun ziemlich unbefangen, konnte ich ihn doch noch immer nicht einsortieren.
„Na, James!", sagte er, als ob es auf der Welt nur einen einzigen James gäbe.
James ... James ... James ... James? Oh! JAMES!
Das war nicht einfach irgendein James! Das war der James, der mich in der vierten Klasse total aus der Spur geworfen hat. Der aus meinem Magen mit einem einzigen Lächeln eine Hüpfburg gemacht hat. Der Supersportler, der mit der Cheerleaderin ging.
Dieser James.
„Oh mein GOTT!", kreischte ich, wie es sich für ein echtes Groupie gehörte. „Wie geht's denn so?"
„Ja bestens! Himmel, wie lang ist das her? Zwanzig Jahre?"
Wir hatten uns seit der Highschool nicht mehr gesehen, und nun trafen wir uns hier auf der Magnificent Mile, der „Prachtmeile" von Chicago, und versuchten über einem Panini, irgendwie an die Vergangenheit anzuknüpfen.
„Wie man so hört, warst du Fernsehjournalistin?", sagte er, während er die Speisekarte studierte.
„Stimmt. Aber nach ein paar Jahren hab ich gekündigt, weil ich genug von schlechten Nachrichten hatte und sich die Stimmung in der Redaktion allmählich den Nachrichten anpasste." Wir brachten uns gegenseitig auf den neusten Stand.
James war verheiratet und lebte an der Ostküste. Hatte beruflich etwas mit Technik und Computern zu tun. Ich war verheiratet, hatte ein Kind und lebte in der Nähe von Chicago. Inzwischen war das Schreiben zu meiner Hauptbeschäftigung geworden.
„Das mit deinem Vater tut mir leid", sagte er. „Meine Eltern haben mir ein paar Zeitungsartikel geschickt, als er gestorben war. Er war doch noch so jung."
„Sechsundfünfzig", sagte ich.
„Und ...", James war ganz offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln und die Stimmung damit etwas aufzuheitern, „hast du nicht ein Buch geschrieben? Meine Eltern haben sowas erzählt."
„Stimmt!" Ich tat ihm den Gefallen und lächelte befreit, als hätte ich nur auf diese Frage gewartet.
„Das ist ja aufregende! Dann bist du also eine echte Autorin."
Jedermann schien zu glauben, wer ein Buch geschrieben habe, automatisch Experte und zudem noch steinreich sei.
Dream on!
„Nun ja. Es gibt Tage, da frage ich mich schon, ob es wirklich richtig war, meinen Fernsehjob an den Nagel zu hängen", sagte ich. „Ich habe gut verdient. Und ich war krankenversichert ...", ich hing meinen Gedanken noch einen Moment nach, um dann entschieden hinzuzufügen:
„Aber es ging mir miserabel! Ich habe es einfach gehasst, ständig über Tragödien berichten zu müssen. Ich fand, das Leben müsste doch noch was anderes zu bieten haben."
„Das kann ich echt gut nachvollziehen", sagte James und trank ein Schlückchen von seinem Martini. „Aber im Moment läuft's doch gut für dich, oder nicht?"
„Oh ja!"
Das stimmte allerdings nur zum Teil. Es war schön, nicht mehr im Nachrichtengeschäft zu arbeiten und Schriftstellerin geworden zu sein, aber als Freiberuflerin wusste ich nie, wer mir meinen nächsten Scheck senden würde. Die Panik, die mich seit meiner Selbstständigkeit immer wieder überfiel, ermüdete mich zunehmend.
„Woher nahmst du den Mut, einfach so zu kündigen?", fragte James mit echtem Interesse.
Darauf zu antworten fiel mir jedes Mal schwer, weil es so verrückt klang. „Nach dem Tod meines Vaters ging ich auf eine Art Suche und interviewte einen Haufen Medien und andere paranormal begabte Leute. Ich entschied, dass das Leben zu kurz ist, um mit Dingen meine Brötchen zu verdienen, die mir keinen Spaß mehr machen."
„Echt?" James kaute auf einer Olive herum.
„Echt!" Ich sah ihm an, wie die Gedanken hinter seiner gefurchten Stirn Marathon liefen. Doch ich ließ mir nichts anmerken. „Eines jener Medien entdeckte ich hier mitten in Chicago. Sie erzählte mir Dinge über mich, die nur mein Vater wissen konnte."
„Und du hast ihr geglaubt?" Er war skeptisch, verständlicherweise. „Nichts davon hätte ich jemals geglaubt, wenn es mir einer erzählt und ich es nicht selbst erlebt hätte", betonte ich. „Aber ich war dabei! Sie wusste nicht mal meinen Namen, darauf hatte ich geachtet, allein schon, damit sie mich nicht googeln konnte. Und dennoch gab sie mir wortwörtlich ein Gespräch wieder, welches ich mit meinem Vater vor seinem Tod führte. Es war ein Gespräch unter vier Augen gewesen. Niemand sonst war dabei, nur er und ich. Daher weiß ich nicht, woher sie sich diese Informationen hätte beschaffen sollen."
James wirkte immer interessierter. „Du bist Journalistin. Bestimmt würdest du es bemerken, wenn dich jemand leimen wollte, nicht wahr?"
„Jedenfalls bilde ich mir das ein."
Einen Moment lang herrschte Schweigen. James bestellte sich noch einen Drink. Es war sein dritter, obwohl wir erst seit ungefähr einer Dreiviertelstunde zusammensaßen.
„Ich habe eine Menge Menschen mit Fähigkeiten getroffen, die von den meisten Leuten nicht wirklich akzeptiert oder verstanden werden", sagte ich. „Vielleicht haben wir einfach doch noch nicht alle Antworten. Und deshalb stelle ich weiterhin Fragen."
Ein Teil von mir fühlte sich wieder wie mit sechzehn, voller Angst, der beliebteste Junge an der Schule würde mich nicht zur Bierparty einladen. Was, wenn James mich für völlig durchgeknallt hielt? Doch dann hatte ich den deutlichen Eindruck, dass bei ihm etwas Klick machte, als ob er sich nun sicher genug fühlte, um mir etwas anzuvertrauen.
„Weißt du, ich spreche sonst fast nie darüber, aber ich hatte auch ein paar Erlebnisse", sagte er im Unterton eines Geständnisses ... Liebling, ich habe dich jahrelang betrogen ...
„Erlebnisse?", fragte ich und horchte auf.
„Na ja, bei mir hatte es immer schon mit Farben zu tun. Ich sehe, dass Menschen von Farben umgeben sind", sagte er und flüsterte jetzt beinahe.
„Du meinst, du siehst ihre Aura?", fragte ich.
„Manche Leute nennen es so, ja. Das hat mir immer sehr geholfen, vor allem im Beruf."
Oh mein Gott! Der Mädchenschwarm meiner Schule sieht Auren?!
Er trank einen Schluck, um zu beobachten, wie ich auf das reagieren würde, was er mir gerade gestanden hatte.
„Weiter", ermunterte ich ihn.
„Wenn jemand braune oder graue Energie hat, arbeite ich nicht mit ihm zusammen", sagte er. „Violett, Grün oder Gelb ... mit denen kann man ins Geschäft kommen. Meine besten Freunde haben violette Energie."
Nun handelte es sich bei James um einen beruflich sehr erfolgreichen Mann. Was immer er auch genau mit Technik und Computern anstellte, es hatte ihm in seiner Firma eine Topposition eingebracht.
„Wie lange kannst du denn schon Farben und Energie sehen?", fragte ich.
„So etwa seit ich acht bin", sagte er in einem ganz nüchternen, sachlichen Tonfall.
Ohne Scheiß?
„Alles ist Energie, daher hat alles eine bestimmte Farbe. Sogar die Autos auf der Straße", sagte er und zeigte auf einen Lieferwagen, der gerade vorbeifuhr.
„Das ist ja unglaublich! Weißt du, dass viele Leute jahrelang Kurse besuchen und meditieren in der Hoffnung, das zu erlernen, was du kannst, seit du acht bist?"
Ich war selbst seit mehreren Jahren auf spiritueller Suche gewesen, hatte jeden Esoterikautor interviewt, den ich vor das Mikro bekam, mit Yoga, Energiearbeit und Intuitionsworkshops experimentiert, getrommelt, in Schwitzhütten geschwitzt, Spiritualitätskonferenzen besucht und mich sogar in Engelseminare gewagt. Aber nach alledem konnte ich, verdammt nochmal, noch immer keine Farben sehen! Ich war lediglich fix und fertig, weiter nichts!
James gönnte sich einen weiteren Schluck Martini. Ich beobachtete ihn augenzwinkernd.
„Ich hab mal ein Medium interviewt, das täglich ein Zwölferpack Bier trinkt", sagte ich, um die Stimmung zu heben. „Sie erzählte mir, dass ihr das Trinken dabei hilft, ihre Gabe zu dämpfen. Manchmal habe sie nämlich einfach keine Lust, sich mit ihrem wunderbaren Talent herumzuschlagen."
James lachte nervös. Er merkte offensichtlich, dass sein mittägliches Trinkverhalten mir Sorgen bereitete.
„James", sagte ich mit ruhiger Stimme, denn ich wollte alles andere, als ihn in Verlegenheit zu bringen, „es gibt viel mehr Menschen, als du denkst, unter uns, die solche Dinge draufhaben wie du." Zu gerne wollte ich ihm klarmachen, dass es kein Fluch war, „solches Energiezeug" zu sehen. „Aber sieh es auch als eine unglaublich schöne Gabe, die du hast."
James schaute mich einfach nur schweigend an, und ich fragte mich besorgt, was er da wohl sah.
„Siehst du um mich herum denn auch Farben?"
„Ja. Um dich herum sehe ich überall Gelb«, sagte er, ohne zu zögern. Es hörte sich an wie eine Wettervorhersage.
Gelb? Der Schwarm meiner unschuldigen Jugend sieht Gelb, wenn er mich anschaut. Besser, als Rot zu sehen. Hm. Ist das nun gut oder nicht?
„Nur deine Augen wirken traurig. Sie sind grau."
Allmählich befiel mich die Panik, ob James vielleicht auch meine Gedanken lesen konnte. Abgesehen von meiner Jugendschwärmerei für ihn konnte er neben meiner Aura vielleicht auch meine Karriereängste sehen? Also gab ich mir alle Mühe, seinem Blick auszuweichen. James spürte mein Unbehagen und wechselte rasch das Thema.
„In der Highschool ... weißt du noch?" Und ob ich mich noch an die Highschool erinnere! „Als du in der
Theatergruppe mitgemacht hast, da warst du strahlend gelb und violett", sagte er.
„Du hast mich auf der Bühne gesehen?" Nun war mein Gelb garantiert einem knalligen Tomatenrot gewichen, und zwar großflächig in meinem Gesicht. In sämtlichen Theateraufführungen war ich dabei gewesen, an vorderster Front, gerade weil ich es nie für möglich gehalten hatte, dass sich ausgerechnet eine Sportskanone wie James dafür interessieren könnte.
„Klar doch", sagte er. „Du bist ein Naturtalent. Hast du je daran gedacht, Schauspielerin zu werden?"
Seltsam, dass er das ansprach. Gerade erst hatte ich einer Freundin davon erzählt, dass ich mit dem Gedanken spielte, aus meinem ersten Buch eine One-Woman-Show zu machen. Davon hatte ich immer schon geträumt. „Bist du nun auch noch Hellseher?", frotzelte ich. „Darüber hab ich nämlich tatsächlich nachgedacht."
„Dann tu es. Als ich die Schauspielerei erwähnte, wurde deine Farbe sofort heller." Er lachte.
Oh nein! Weiche von mir! Er kann sogar Stimmungen beim Aufhellen beobachten!
Ich fing mich wieder und machte das Beste aus der Situation. „Das Medium, das meinen toten Vater sehen konnte, ist überzeugt davon, mediale Begabung sei wie Klavierspielen. Jeder sei in der Lage, die Tasten anzuschlagen, aber manche könnten eben lediglich nur den Flohwalzer klimpern, während andere kleine Mozarts sind. Es gibt also ganz unterschiedliche Level, aber grundsätzlich kann es wohl jeder." Mir schien, dass ich jetzt schon einige Zeit im „Flohwalzer-Modus« feststeckte und hier einem Mozart gegenübersaß!
James nickte, aber meine Worte schienen ihn nicht eben aufzubauen.
„Was denkt denn deine Frau über deine Gabe, Farben zu sehen?", tastete ich mich vor.
„Wir reden nicht darüber."
Vielleicht war das die Erklärung, warum er mittags schon so viel Alkohol konsumierte.
Nach dem Lunch trennten sich unsere Wege. Wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben, was ich für wenig wahrscheinlich hielt.
„Ich werde über dich schreiben", sagte ich noch zum Abschied.
„In Ordnung", sagte er. „Aber bitte ändere meinen Namen ..."
Als ich in der folgenden Woche mit meinem Sohn Britt spazieren ging, stießen wir auf ein paar Feuerwehrmänner, die auf der Straße ihre Fahrzeuge wuschen.
„Mami, will Feuerautos gucken", plappert er los. Es war ein heißer Sommertag, und Britt war fasziniert von dem Treiben.
„Ah, da will wohl jemand Feuerwehrmann werden?", sagte einer der Feuerwehrmänner. Er gab Britt einen Schutzhelm aus Plastik in die Hand, und so begann die Liebesaffäre meines kleinen Sohnes mit lauten, glänzenden roten Feuerwehrautos.
„Wow!", sagte Britt, als die Männer ihn die Glocke läuten ließen.
„Sie kommen mir bekannt vor", wandte sich ein Feuerwehrmann an mich, auf dessen Namensschild Dann stand.
„Tatsächlich?"
Wir unterhielten uns ein bisschen, und es stellte sich heraus, dass Danny mich regelmäßig im Fernsehen gesehen hatte, als ich noch Reporterin bei CBS.
„Ich schätze, dann waren Sie und meine Mutter meine einzigen Zuschauer", scherzte ich.
Danny lachte. „Was machen Sie denn jetzt, wenn Sie nicht mehr bei CBS sind?"
„Ach ...", begann ich vorsichtig, „ich habe ein Buch geschrieben und halte Verträge."
„Das ist ja interessant!", sagte er völlig unvermittelt, als hätte ich ihm gerade gestanden, den Nobelpreis für Physik in meiner Handtasche spazieren zu tragen. „Worum geht's in dem Buch?"
Ich zögerte und suchte nach einer schlichten Beschreibung, die für einen Feuerwehrmann nicht zu abgedreht klang. „Ich habe meinen gut bezahlten Fernsehjob aufgegeben, um ich selbst zu finden." Okay, das klingt abgedreht, also stapele ich lieber alles tiefer. „Ich reiste im Land umher und suchte alle möglichen medial und paranormal begabten Leute auf, um ...", sein Interesse war ungebrochen, also ließ ich mich nun völlig gehen, „um mit meinem verstorbenen Vater zu sprechen", sagte ich und wartete auf eine entsprechende Reaktion wie: „Oh, soll ich besser einen Arzt oder einen Pfleger holen?"
Aber Danny beugte sich zu mir vor und wollte wohl vermeiden, dass die anderen ihn hören konnten. „Würden Sie kurz mit in mein Büro kommen, Jenniffer?"
Ich sah mich nach Britt um. Er saß glücklich und zufrieden auf dem Schoß von Feuerwehrmann Joe und tat so, als steuerte er das riesige rote Auto. „Ich passe so lange auf ihn auf", sagte Joa, der also offensichtlich doch mitgehört hatte.
Danny schloss die Tür hinter uns. „Seit meinem sechsten Lebensjahr flüstern mir die Engel ins Ohr", raunte er mir zu und war um einen sachlichen Tonfall bemüht.
Ich sah ihm in die Augen. Er hatte etwas Aufrichtiges, Ehrliches an sich und die Statur, die ihn vermutlich in die Lage versetzte, ein Auto hochzuheben, wenn er denn dazu entschlossen war.
„Engel?", fragte ich. „Was flüstern sie denn?"
„Alles Mögliche. Von ‚Biege an der Ampel da vorn links ab!‘ bis ‚Melde dich heute krank!‘. Ich höre sie klar und deutlich."
Danny berichtete, dass er seit der Kindheit von ihnen durchs Leben gelenkt wurde, von den Stimmen der Engel, wie er sie nannte. Er habe sich immer blind auf sie verlassen können, sie hätten ihn nicht ein einziges Mal in die Irre geführt und sogar schon mehr als einmal das Leben gerettet.
„Und weil wir gerade mal dabei sind: Außerdem sehe ich Geister", fügte er noch eindringlich hinzu. „Ein Kumpel von mir, der bei einem Brandeinsatz ums Leben kam, läuft mir immer wieder über den Weg und jagt mir Angst ein!" Jetzt musste er lachen. „Stellen Sie sich das mal vor! Er hantiert an unserer Ausrüstung herum und bringt die Lampen zum Flackern. Aber mit meinen Kollegen kann ich darüber natürlich nicht reden. Die würden mich sofort einliefern lassen."
Aber mir kannst du es erzählen ... „Ich werde Ihnen ein Exemplar meines Buches vorbeibringen, Danny", sagte ich. „Ich glaube, einige der Berichte darin werden Ihnen gefallen."
Wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus. Dann ging ich wieder nach draußen und versuchte, Britt von den Feuerwehrautos loszureißen.
„Will nicht nach Hause!", schrie er. „WILL NICHT!"
Ein paar Tage später brachte ich Danny das Buch. Er las es in nur zwei Tagen. Wir wurden E-Mail-Freunde und tauschten Geschichten über „sonderbare Zufälle" aus. Wieder besuchte ich mit Britt die Feuerwache, und Danny und ich setzten unser Gespräch fort.
„Erzählen Sie mir mehr über Therese", bat er und meinte eines der Medien aus meinem Buch. Therese Rowley war eine katholische Unternehmensberaterin, promovierte Betriebswirtschaftlerin und nebenbei Auraleserin. Therese konnte Geister sehen. Ich hielt sie für ein echtes Multitalent
„Und Sie meinen, sie ist eine echte Katholikin?", fragte Danny, als ob ihm die unechten Exemplare dieser Gattung mehr Angst machten als die größte Feuerbrunst. Er war ebenfalls katholisch und machte sich wohl Sorgen, wegen unserer Gespräche über das Paranormale könnte ihm eines Tages an der Himmelspforte der Zutritt verweigert werden.
„Ja, sie ist katholisch", sagte ich. „Geht regelmäßig zur Messe und ist beinahe jeden Tag in der Kirche. Als eines von elf Kindern konnte sie bereits als kleines Mädchen Geister sehen. Hat aber jahrelang mit niemanden darüber zu sprechen gewagt, eben weil sie katholisch ist. Ich bin der Meinung, Sie beide sollten sich mal kennenlernen." Wenn mich nicht alles täuschte, dann war sein Blick ein fragender. „Es würde ihr bestimmt gefallen, von Ihren Erlebnissen zu erfahren. Sie haben viel gemeinsam!", fügte ich noch hinzu. Er nickte, und so war ich ziemlich guter Dinge.
Wieder am heimischen Schreibtisch, schickte ich Therese eine E-Mail. Ich muss in der Beschreibung meines neuen Bekannten so enthusiastisch gewirkt haben, dass sie ihm geradezu postwendend schrieb und vorschlug, sich zu zweit zum Lunch zu treffen. Zwei praktizierende Katholiken, die Geister sehen! Wer wäre da nicht gerne das Mäuschen unterm Tisch?"
Ein paar Wochen vergingen, ohne dass ich etwas von Danny hörte, also hakte ich vorsichtig bei Therese nach. Sie waren tatsächlich verabredet, als Danny ganz kurzfristig absagt. Das konnte ich so nicht stehen lassen, also schickte ich ihm eine E-Mail. Nach ein paar Tagen des Schweigens bekam ich schließlich eine Antwort von ihm:
„Ich glaube, es ist besser für mich, wenn ich mich nicht auf Medien oder Geisterseher einlasse. Mein Priester sagt, das ist Teufelswerk und ich soll mich davon fernhalten."
Ich hörte nie wieder etwas von Danny, der wahrscheinlich fortan in jedem Wohnungsbrand ein Fegefeuer sah.
„Aber in der Bibel dreht sich doch so ziemlich alles um Geister, oder etwa nicht?", fragte ich Therese, als wir eines Abends miteinander telefonierten. Ich war schon ziemlich enttäuscht darüber, dass sich Danny noch nicht einmal auf ein Sandwich mit ihr getroffen hatte.
In diesem Moment hörte ich übers Babyfon, wie mein Sohn im Kinderzimmer lärmte:
„Hey, Therese, ich muss Schluss machen. Hört sich so an, als sei mein Sohn noch hellwach", sagte ich, legte auf und stieg die Treppe hinauf. Als ich in sein Zimmer kam, rollte Britt auf dem Bett herum, schaute zur Decke und lachte ohne erkennbaren Grund.
„Mit dem redest du, Schatz?"
Sein ausgestreckter Zeigefinger wies zur Decke. „Mit dem Mann da."
„Welchem Mann?"
„Mit dem da!", sagte er und zeigte wieder in die Luft.
„Aha, und was tut er?"
Britt lachte. „Er schenkt mir ein Feuerwehrauto."
„Wirklich. Das ist aber nett von ihm. Du kannst morgen früh damit spielen."
Behutsam schloss ich die Tür hinter mir und hörte Britt noch ein paar Minuten ganz vergnügt lachen. Schließlich schlief er ein.
Am nächsten Tag spielten Britt und ich im Untergeschoss unseres Hauses. Plötzlich rollte sein Ball unter den Schreibtisch meines Mannes. Britt blieb davor stehen und zeigte auf das Foto meines Vaters, das auf unserer Hochzeit aufgenommen worden war.
„Das ist der Mann, Mami", sagte Britt.
„Welcher Mann?"
„Der mir das Feuerwehrauto geschenkt hat", sagte er lächelnd.
Ich wurde beinahe ohnmächtig. „Das ist der Mann, der in deinem Zimmer war?"
Britt nickte.
Also können sogar tote Großeltern ihre Enkelkinder mit Geschenken verwöhnen!
„Das ist dein Großpapa", sagte ich und war den Tränen nahe.
„Mein Großpa?"
„Ja. Mamis Vater. Er ist jetzt ein Engel oben im Himmel."
Ich rang ein wenig mit mir, wie ich diese Geschichte Clay, meinem Mann, beibringen sollte. Er hatte mich immer unterstützt und ständig ermutigt, mich für mein erstes Buch auf die Reise zu all den Medien zu machen. Und trotzdem fragte ich mich, was er wohl von mir und meinen Fähigkeiten als Mutter hielte, wenn ich ihm davon erzählte, dass selbst unser Sohn nun schon die Geister Verstorbener sah, und das, während ich live dabei war.
Vielleicht bekäme er es mit der Angst zu tun, ich könnte unser Familienleben hinschmeißen und mich einer Sekte anschließen. Jedenfalls wiederholte sich Britts abendliche „Geisterstündchen" ...
Ein paar Wochen später hörte ich ihn im Babyfon sagen: „Hör auf! Hör auf! Lass das!" Dann folgten sein schallendes Lachen und ein begeistertes Quieken. Ich rannte in sein Zimmer. Dort sah ich ihn im Bett liegen und sich herumtollen, als ob ihn jemand kitzelte.
„Was ist denn los mit dir, Liebling?", fragte ich nicht ohne Sorge und setzt mich auf sein Bett.
„Es ist Großpa", antwortete er lächelnd.
„Dein Großpapa ist hier? Was tut er denn?"
„Er klopft mir auf den Popo", sagte Britt, rollte sich herum und zeigte auf seinen Hintern.
Mir fiel die Kinnlade herunter.
Mein Vater hatte sich immer einen Spaß daraus gemacht, kräftige Klapse auf den Po zu verteilen. Mit Vergnügen tat er das bei seinen Ehefrauen - von denen es mehrere gab - und natürlich bei seinen Kindern. Es war seine Antwort auf so ziemlich alles gewesen, es war seine Art, Zuneigung oder Ärger zu zeigen, was auch immer gerade anstand. Ob nun mit fünf oder mit fünfundzwanzig Jahren, stets konnte ich damit rechnen, dass mein Daddy sich von hinten nähern und mir mit dem größten Vergnügen auf den Po hauen würde. Dazu sagn er: Das ist gar nicht schade, es hüpft wie Marmelade [Pause] BABY! (Auf „Baby!" verwendete er besonders viel Kraft und Lautstärke.)
Auf meiner College-Abschlussfeier war mir das übrigens besonders peinlich gewesen.
„Wie haut dir denn Großpapa auf den Po?", fragte ich.
Britt schob mich vom Bett und stellt sich hinter mich.
„Mama, so!"
Britt klatschte mir mit dem unverwechselbaren Weigel-Stil auf den Hintern.
Während seine süßen kleinen Finger meinen Allerwertesten bearbeiteten, fragte ich mich, wie so etwas denn möglich war. Britt war doch noch so klein, hatte seinen Großvater zudem nie in Aktion in erlebt. Und selbst wenn er einmal zufällig mitbekommen haben sollte, wie Clay und ich über die „Popo-Klatsch-Gewohnheiten" seines Großvaters sprachen, war es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass er diese länger zurückliegende Information jetzt vor dem abendlichen Einschlafen plötzlich perfekt nachahmte?
Wie kommt es, dass der Junge dich sehen kann, und ich nicht, Vater?
Vielleicht hatte Britt uns ja belauscht, als mein Onkel Tony zu Besuch bei uns war. Oder er war einfach intuitiv begabt und spürte meine Traurigkeit darüber, dass mein Vater nicht mehr da war und mit seinem Enkel spielte.
Ich setzte mich an meinen Computer und schrieb einen Text zu dem Thema, den ich in meinem Blog postete. Dann ging ich ins Bett.
Am nächsten Morgen setzte eine wahre Flut von Leserkommentaren ein. Immer mehr Eltern berichteten darüber, dass ihre Kinder „mit toten Leuten" sprächen. Dreijährige, die sie gar nicht kennen konnten, benutzten die geheimen Spitznamen der Verstorbenen. Erstklässler fanden auf Anweisung einer bereits verstorbenen Tante deren verloren geglaubten Schmuck. All diese Geschichten hatten eines gemeinsam: Sie waren wirklich unglaublich.
Eine Frau schrieb: „Unsere zweieinhalbjährige Tochter muss intuitiv gespürt haben, dass ihre Großmutter soeben gestorben war, denn noch bevor wir es ihr sagten, schaute sie uns an und sagte: „Oma ist jetzt bei den Engeln. Sie hat mir gerade erzählt, wie schön es in ihrem neuen Zuhause ist."
Zwangsläufig kamen mir wieder mein Feuerwehrmann Danny und Schulschwarm James in den Sinn, beides Menschen mit Fähigkeiten, über die zu sprechen sie sich schämten. Und ebenso zwangsläufig fragte ich mich, wie viele Menschen wohl Gaben in sich trugen, die sie als Last empfanden, weil absolut niemand sie dazu ermutigte, diese Gabe zu trainieren, anzuwenden oder zumindest darauf stolz zu sein.
Wie anders sähe das Leben jener Menschen wohl aus, wenn sie ihre Verhaltensweisen ganz einfach „normal" betrachten und annehmen könnten.
Ich brachte meinen Sohn ins Bett und versäumte es fortan nicht, ihm zu versichern, dass ich alles, was er in seiner abendlichen Einschlafstunden sah und spürte, gut fand. „Denn viele Kinder können Engel sehen, mein Schatz", sagte ich, während ich ihm den Rücken kitzelte, was er besonders gerne mochte. „Sogar manche Erwachsene können das."
„Und du? Kannst du das auch?", fragte Britt, während er an seinen Fingern saugte.
Ich wünschte, ich könnte es!
„Nein, Liebling. Darum habe ich eine Bitte: Wenn dich Großpa das nächste Mal besucht, dann grüß ihn lieb von mir."
„Mmmm, hmmm", sagte Britt, während er langsam in den Schlaf driftete.
© 2014 Ullstein Taschenbuch Verlag
„JENNY, bist du das?", sagte der Mann. Ich stand an der Michigan Avenue und starrte ihn an. Er kam mir vage bekannte vor, ich hoffte, der Blitz der Erkenntnis würde mich treffen.
College? Nein. ... Sportkurs an der Highschool? Nö. ... One-Night-Stand? Gott behüte!
„Ja?" Ich musterte ihn nun ziemlich unbefangen, konnte ich ihn doch noch immer nicht einsortieren.
„Na, James!", sagte er, als ob es auf der Welt nur einen einzigen James gäbe.
James ... James ... James ... James? Oh! JAMES!
Das war nicht einfach irgendein James! Das war der James, der mich in der vierten Klasse total aus der Spur geworfen hat. Der aus meinem Magen mit einem einzigen Lächeln eine Hüpfburg gemacht hat. Der Supersportler, der mit der Cheerleaderin ging.
Dieser James.
„Oh mein GOTT!", kreischte ich, wie es sich für ein echtes Groupie gehörte. „Wie geht's denn so?"
„Ja bestens! Himmel, wie lang ist das her? Zwanzig Jahre?"
Wir hatten uns seit der Highschool nicht mehr gesehen, und nun trafen wir uns hier auf der Magnificent Mile, der „Prachtmeile" von Chicago, und versuchten über einem Panini, irgendwie an die Vergangenheit anzuknüpfen.
„Wie man so hört, warst du Fernsehjournalistin?", sagte er, während er die Speisekarte studierte.
„Stimmt. Aber nach ein paar Jahren hab ich gekündigt, weil ich genug von schlechten Nachrichten hatte und sich die Stimmung in der Redaktion allmählich den Nachrichten anpasste." Wir brachten uns gegenseitig auf den neusten Stand.
James war verheiratet und lebte an der Ostküste. Hatte beruflich etwas mit Technik und Computern zu tun. Ich war verheiratet, hatte ein Kind und lebte in der Nähe von Chicago. Inzwischen war das Schreiben zu meiner Hauptbeschäftigung geworden.
„Das mit deinem Vater tut mir leid", sagte er. „Meine Eltern haben mir ein paar Zeitungsartikel geschickt, als er gestorben war. Er war doch noch so jung."
„Sechsundfünfzig", sagte ich.
„Und ...", James war ganz offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln und die Stimmung damit etwas aufzuheitern, „hast du nicht ein Buch geschrieben? Meine Eltern haben sowas erzählt."
„Stimmt!" Ich tat ihm den Gefallen und lächelte befreit, als hätte ich nur auf diese Frage gewartet.
„Das ist ja aufregende! Dann bist du also eine echte Autorin."
Jedermann schien zu glauben, wer ein Buch geschrieben habe, automatisch Experte und zudem noch steinreich sei.
Dream on!
„Nun ja. Es gibt Tage, da frage ich mich schon, ob es wirklich richtig war, meinen Fernsehjob an den Nagel zu hängen", sagte ich. „Ich habe gut verdient. Und ich war krankenversichert ...", ich hing meinen Gedanken noch einen Moment nach, um dann entschieden hinzuzufügen:
„Aber es ging mir miserabel! Ich habe es einfach gehasst, ständig über Tragödien berichten zu müssen. Ich fand, das Leben müsste doch noch was anderes zu bieten haben."
„Das kann ich echt gut nachvollziehen", sagte James und trank ein Schlückchen von seinem Martini. „Aber im Moment läuft's doch gut für dich, oder nicht?"
„Oh ja!"
Das stimmte allerdings nur zum Teil. Es war schön, nicht mehr im Nachrichtengeschäft zu arbeiten und Schriftstellerin geworden zu sein, aber als Freiberuflerin wusste ich nie, wer mir meinen nächsten Scheck senden würde. Die Panik, die mich seit meiner Selbstständigkeit immer wieder überfiel, ermüdete mich zunehmend.
„Woher nahmst du den Mut, einfach so zu kündigen?", fragte James mit echtem Interesse.
Darauf zu antworten fiel mir jedes Mal schwer, weil es so verrückt klang. „Nach dem Tod meines Vaters ging ich auf eine Art Suche und interviewte einen Haufen Medien und andere paranormal begabte Leute. Ich entschied, dass das Leben zu kurz ist, um mit Dingen meine Brötchen zu verdienen, die mir keinen Spaß mehr machen."
„Echt?" James kaute auf einer Olive herum.
„Echt!" Ich sah ihm an, wie die Gedanken hinter seiner gefurchten Stirn Marathon liefen. Doch ich ließ mir nichts anmerken. „Eines jener Medien entdeckte ich hier mitten in Chicago. Sie erzählte mir Dinge über mich, die nur mein Vater wissen konnte."
„Und du hast ihr geglaubt?" Er war skeptisch, verständlicherweise. „Nichts davon hätte ich jemals geglaubt, wenn es mir einer erzählt und ich es nicht selbst erlebt hätte", betonte ich. „Aber ich war dabei! Sie wusste nicht mal meinen Namen, darauf hatte ich geachtet, allein schon, damit sie mich nicht googeln konnte. Und dennoch gab sie mir wortwörtlich ein Gespräch wieder, welches ich mit meinem Vater vor seinem Tod führte. Es war ein Gespräch unter vier Augen gewesen. Niemand sonst war dabei, nur er und ich. Daher weiß ich nicht, woher sie sich diese Informationen hätte beschaffen sollen."
James wirkte immer interessierter. „Du bist Journalistin. Bestimmt würdest du es bemerken, wenn dich jemand leimen wollte, nicht wahr?"
„Jedenfalls bilde ich mir das ein."
Einen Moment lang herrschte Schweigen. James bestellte sich noch einen Drink. Es war sein dritter, obwohl wir erst seit ungefähr einer Dreiviertelstunde zusammensaßen.
„Ich habe eine Menge Menschen mit Fähigkeiten getroffen, die von den meisten Leuten nicht wirklich akzeptiert oder verstanden werden", sagte ich. „Vielleicht haben wir einfach doch noch nicht alle Antworten. Und deshalb stelle ich weiterhin Fragen."
Ein Teil von mir fühlte sich wieder wie mit sechzehn, voller Angst, der beliebteste Junge an der Schule würde mich nicht zur Bierparty einladen. Was, wenn James mich für völlig durchgeknallt hielt? Doch dann hatte ich den deutlichen Eindruck, dass bei ihm etwas Klick machte, als ob er sich nun sicher genug fühlte, um mir etwas anzuvertrauen.
„Weißt du, ich spreche sonst fast nie darüber, aber ich hatte auch ein paar Erlebnisse", sagte er im Unterton eines Geständnisses ... Liebling, ich habe dich jahrelang betrogen ...
„Erlebnisse?", fragte ich und horchte auf.
„Na ja, bei mir hatte es immer schon mit Farben zu tun. Ich sehe, dass Menschen von Farben umgeben sind", sagte er und flüsterte jetzt beinahe.
„Du meinst, du siehst ihre Aura?", fragte ich.
„Manche Leute nennen es so, ja. Das hat mir immer sehr geholfen, vor allem im Beruf."
Oh mein Gott! Der Mädchenschwarm meiner Schule sieht Auren?!
Er trank einen Schluck, um zu beobachten, wie ich auf das reagieren würde, was er mir gerade gestanden hatte.
„Weiter", ermunterte ich ihn.
„Wenn jemand braune oder graue Energie hat, arbeite ich nicht mit ihm zusammen", sagte er. „Violett, Grün oder Gelb ... mit denen kann man ins Geschäft kommen. Meine besten Freunde haben violette Energie."
Nun handelte es sich bei James um einen beruflich sehr erfolgreichen Mann. Was immer er auch genau mit Technik und Computern anstellte, es hatte ihm in seiner Firma eine Topposition eingebracht.
„Wie lange kannst du denn schon Farben und Energie sehen?", fragte ich.
„So etwa seit ich acht bin", sagte er in einem ganz nüchternen, sachlichen Tonfall.
Ohne Scheiß?
„Alles ist Energie, daher hat alles eine bestimmte Farbe. Sogar die Autos auf der Straße", sagte er und zeigte auf einen Lieferwagen, der gerade vorbeifuhr.
„Das ist ja unglaublich! Weißt du, dass viele Leute jahrelang Kurse besuchen und meditieren in der Hoffnung, das zu erlernen, was du kannst, seit du acht bist?"
Ich war selbst seit mehreren Jahren auf spiritueller Suche gewesen, hatte jeden Esoterikautor interviewt, den ich vor das Mikro bekam, mit Yoga, Energiearbeit und Intuitionsworkshops experimentiert, getrommelt, in Schwitzhütten geschwitzt, Spiritualitätskonferenzen besucht und mich sogar in Engelseminare gewagt. Aber nach alledem konnte ich, verdammt nochmal, noch immer keine Farben sehen! Ich war lediglich fix und fertig, weiter nichts!
James gönnte sich einen weiteren Schluck Martini. Ich beobachtete ihn augenzwinkernd.
„Ich hab mal ein Medium interviewt, das täglich ein Zwölferpack Bier trinkt", sagte ich, um die Stimmung zu heben. „Sie erzählte mir, dass ihr das Trinken dabei hilft, ihre Gabe zu dämpfen. Manchmal habe sie nämlich einfach keine Lust, sich mit ihrem wunderbaren Talent herumzuschlagen."
James lachte nervös. Er merkte offensichtlich, dass sein mittägliches Trinkverhalten mir Sorgen bereitete.
„James", sagte ich mit ruhiger Stimme, denn ich wollte alles andere, als ihn in Verlegenheit zu bringen, „es gibt viel mehr Menschen, als du denkst, unter uns, die solche Dinge draufhaben wie du." Zu gerne wollte ich ihm klarmachen, dass es kein Fluch war, „solches Energiezeug" zu sehen. „Aber sieh es auch als eine unglaublich schöne Gabe, die du hast."
James schaute mich einfach nur schweigend an, und ich fragte mich besorgt, was er da wohl sah.
„Siehst du um mich herum denn auch Farben?"
„Ja. Um dich herum sehe ich überall Gelb«, sagte er, ohne zu zögern. Es hörte sich an wie eine Wettervorhersage.
Gelb? Der Schwarm meiner unschuldigen Jugend sieht Gelb, wenn er mich anschaut. Besser, als Rot zu sehen. Hm. Ist das nun gut oder nicht?
„Nur deine Augen wirken traurig. Sie sind grau."
Allmählich befiel mich die Panik, ob James vielleicht auch meine Gedanken lesen konnte. Abgesehen von meiner Jugendschwärmerei für ihn konnte er neben meiner Aura vielleicht auch meine Karriereängste sehen? Also gab ich mir alle Mühe, seinem Blick auszuweichen. James spürte mein Unbehagen und wechselte rasch das Thema.
„In der Highschool ... weißt du noch?" Und ob ich mich noch an die Highschool erinnere! „Als du in der
Theatergruppe mitgemacht hast, da warst du strahlend gelb und violett", sagte er.
„Du hast mich auf der Bühne gesehen?" Nun war mein Gelb garantiert einem knalligen Tomatenrot gewichen, und zwar großflächig in meinem Gesicht. In sämtlichen Theateraufführungen war ich dabei gewesen, an vorderster Front, gerade weil ich es nie für möglich gehalten hatte, dass sich ausgerechnet eine Sportskanone wie James dafür interessieren könnte.
„Klar doch", sagte er. „Du bist ein Naturtalent. Hast du je daran gedacht, Schauspielerin zu werden?"
Seltsam, dass er das ansprach. Gerade erst hatte ich einer Freundin davon erzählt, dass ich mit dem Gedanken spielte, aus meinem ersten Buch eine One-Woman-Show zu machen. Davon hatte ich immer schon geträumt. „Bist du nun auch noch Hellseher?", frotzelte ich. „Darüber hab ich nämlich tatsächlich nachgedacht."
„Dann tu es. Als ich die Schauspielerei erwähnte, wurde deine Farbe sofort heller." Er lachte.
Oh nein! Weiche von mir! Er kann sogar Stimmungen beim Aufhellen beobachten!
Ich fing mich wieder und machte das Beste aus der Situation. „Das Medium, das meinen toten Vater sehen konnte, ist überzeugt davon, mediale Begabung sei wie Klavierspielen. Jeder sei in der Lage, die Tasten anzuschlagen, aber manche könnten eben lediglich nur den Flohwalzer klimpern, während andere kleine Mozarts sind. Es gibt also ganz unterschiedliche Level, aber grundsätzlich kann es wohl jeder." Mir schien, dass ich jetzt schon einige Zeit im „Flohwalzer-Modus« feststeckte und hier einem Mozart gegenübersaß!
James nickte, aber meine Worte schienen ihn nicht eben aufzubauen.
„Was denkt denn deine Frau über deine Gabe, Farben zu sehen?", tastete ich mich vor.
„Wir reden nicht darüber."
Vielleicht war das die Erklärung, warum er mittags schon so viel Alkohol konsumierte.
Nach dem Lunch trennten sich unsere Wege. Wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben, was ich für wenig wahrscheinlich hielt.
„Ich werde über dich schreiben", sagte ich noch zum Abschied.
„In Ordnung", sagte er. „Aber bitte ändere meinen Namen ..."
Als ich in der folgenden Woche mit meinem Sohn Britt spazieren ging, stießen wir auf ein paar Feuerwehrmänner, die auf der Straße ihre Fahrzeuge wuschen.
„Mami, will Feuerautos gucken", plappert er los. Es war ein heißer Sommertag, und Britt war fasziniert von dem Treiben.
„Ah, da will wohl jemand Feuerwehrmann werden?", sagte einer der Feuerwehrmänner. Er gab Britt einen Schutzhelm aus Plastik in die Hand, und so begann die Liebesaffäre meines kleinen Sohnes mit lauten, glänzenden roten Feuerwehrautos.
„Wow!", sagte Britt, als die Männer ihn die Glocke läuten ließen.
„Sie kommen mir bekannt vor", wandte sich ein Feuerwehrmann an mich, auf dessen Namensschild Dann stand.
„Tatsächlich?"
Wir unterhielten uns ein bisschen, und es stellte sich heraus, dass Danny mich regelmäßig im Fernsehen gesehen hatte, als ich noch Reporterin bei CBS.
„Ich schätze, dann waren Sie und meine Mutter meine einzigen Zuschauer", scherzte ich.
Danny lachte. „Was machen Sie denn jetzt, wenn Sie nicht mehr bei CBS sind?"
„Ach ...", begann ich vorsichtig, „ich habe ein Buch geschrieben und halte Verträge."
„Das ist ja interessant!", sagte er völlig unvermittelt, als hätte ich ihm gerade gestanden, den Nobelpreis für Physik in meiner Handtasche spazieren zu tragen. „Worum geht's in dem Buch?"
Ich zögerte und suchte nach einer schlichten Beschreibung, die für einen Feuerwehrmann nicht zu abgedreht klang. „Ich habe meinen gut bezahlten Fernsehjob aufgegeben, um ich selbst zu finden." Okay, das klingt abgedreht, also stapele ich lieber alles tiefer. „Ich reiste im Land umher und suchte alle möglichen medial und paranormal begabten Leute auf, um ...", sein Interesse war ungebrochen, also ließ ich mich nun völlig gehen, „um mit meinem verstorbenen Vater zu sprechen", sagte ich und wartete auf eine entsprechende Reaktion wie: „Oh, soll ich besser einen Arzt oder einen Pfleger holen?"
Aber Danny beugte sich zu mir vor und wollte wohl vermeiden, dass die anderen ihn hören konnten. „Würden Sie kurz mit in mein Büro kommen, Jenniffer?"
Ich sah mich nach Britt um. Er saß glücklich und zufrieden auf dem Schoß von Feuerwehrmann Joe und tat so, als steuerte er das riesige rote Auto. „Ich passe so lange auf ihn auf", sagte Joa, der also offensichtlich doch mitgehört hatte.
Danny schloss die Tür hinter uns. „Seit meinem sechsten Lebensjahr flüstern mir die Engel ins Ohr", raunte er mir zu und war um einen sachlichen Tonfall bemüht.
Ich sah ihm in die Augen. Er hatte etwas Aufrichtiges, Ehrliches an sich und die Statur, die ihn vermutlich in die Lage versetzte, ein Auto hochzuheben, wenn er denn dazu entschlossen war.
„Engel?", fragte ich. „Was flüstern sie denn?"
„Alles Mögliche. Von ‚Biege an der Ampel da vorn links ab!‘ bis ‚Melde dich heute krank!‘. Ich höre sie klar und deutlich."
Danny berichtete, dass er seit der Kindheit von ihnen durchs Leben gelenkt wurde, von den Stimmen der Engel, wie er sie nannte. Er habe sich immer blind auf sie verlassen können, sie hätten ihn nicht ein einziges Mal in die Irre geführt und sogar schon mehr als einmal das Leben gerettet.
„Und weil wir gerade mal dabei sind: Außerdem sehe ich Geister", fügte er noch eindringlich hinzu. „Ein Kumpel von mir, der bei einem Brandeinsatz ums Leben kam, läuft mir immer wieder über den Weg und jagt mir Angst ein!" Jetzt musste er lachen. „Stellen Sie sich das mal vor! Er hantiert an unserer Ausrüstung herum und bringt die Lampen zum Flackern. Aber mit meinen Kollegen kann ich darüber natürlich nicht reden. Die würden mich sofort einliefern lassen."
Aber mir kannst du es erzählen ... „Ich werde Ihnen ein Exemplar meines Buches vorbeibringen, Danny", sagte ich. „Ich glaube, einige der Berichte darin werden Ihnen gefallen."
Wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus. Dann ging ich wieder nach draußen und versuchte, Britt von den Feuerwehrautos loszureißen.
„Will nicht nach Hause!", schrie er. „WILL NICHT!"
Ein paar Tage später brachte ich Danny das Buch. Er las es in nur zwei Tagen. Wir wurden E-Mail-Freunde und tauschten Geschichten über „sonderbare Zufälle" aus. Wieder besuchte ich mit Britt die Feuerwache, und Danny und ich setzten unser Gespräch fort.
„Erzählen Sie mir mehr über Therese", bat er und meinte eines der Medien aus meinem Buch. Therese Rowley war eine katholische Unternehmensberaterin, promovierte Betriebswirtschaftlerin und nebenbei Auraleserin. Therese konnte Geister sehen. Ich hielt sie für ein echtes Multitalent
„Und Sie meinen, sie ist eine echte Katholikin?", fragte Danny, als ob ihm die unechten Exemplare dieser Gattung mehr Angst machten als die größte Feuerbrunst. Er war ebenfalls katholisch und machte sich wohl Sorgen, wegen unserer Gespräche über das Paranormale könnte ihm eines Tages an der Himmelspforte der Zutritt verweigert werden.
„Ja, sie ist katholisch", sagte ich. „Geht regelmäßig zur Messe und ist beinahe jeden Tag in der Kirche. Als eines von elf Kindern konnte sie bereits als kleines Mädchen Geister sehen. Hat aber jahrelang mit niemanden darüber zu sprechen gewagt, eben weil sie katholisch ist. Ich bin der Meinung, Sie beide sollten sich mal kennenlernen." Wenn mich nicht alles täuschte, dann war sein Blick ein fragender. „Es würde ihr bestimmt gefallen, von Ihren Erlebnissen zu erfahren. Sie haben viel gemeinsam!", fügte ich noch hinzu. Er nickte, und so war ich ziemlich guter Dinge.
Wieder am heimischen Schreibtisch, schickte ich Therese eine E-Mail. Ich muss in der Beschreibung meines neuen Bekannten so enthusiastisch gewirkt haben, dass sie ihm geradezu postwendend schrieb und vorschlug, sich zu zweit zum Lunch zu treffen. Zwei praktizierende Katholiken, die Geister sehen! Wer wäre da nicht gerne das Mäuschen unterm Tisch?"
Ein paar Wochen vergingen, ohne dass ich etwas von Danny hörte, also hakte ich vorsichtig bei Therese nach. Sie waren tatsächlich verabredet, als Danny ganz kurzfristig absagt. Das konnte ich so nicht stehen lassen, also schickte ich ihm eine E-Mail. Nach ein paar Tagen des Schweigens bekam ich schließlich eine Antwort von ihm:
„Ich glaube, es ist besser für mich, wenn ich mich nicht auf Medien oder Geisterseher einlasse. Mein Priester sagt, das ist Teufelswerk und ich soll mich davon fernhalten."
Ich hörte nie wieder etwas von Danny, der wahrscheinlich fortan in jedem Wohnungsbrand ein Fegefeuer sah.
„Aber in der Bibel dreht sich doch so ziemlich alles um Geister, oder etwa nicht?", fragte ich Therese, als wir eines Abends miteinander telefonierten. Ich war schon ziemlich enttäuscht darüber, dass sich Danny noch nicht einmal auf ein Sandwich mit ihr getroffen hatte.
In diesem Moment hörte ich übers Babyfon, wie mein Sohn im Kinderzimmer lärmte:
„Hey, Therese, ich muss Schluss machen. Hört sich so an, als sei mein Sohn noch hellwach", sagte ich, legte auf und stieg die Treppe hinauf. Als ich in sein Zimmer kam, rollte Britt auf dem Bett herum, schaute zur Decke und lachte ohne erkennbaren Grund.
„Mit dem redest du, Schatz?"
Sein ausgestreckter Zeigefinger wies zur Decke. „Mit dem Mann da."
„Welchem Mann?"
„Mit dem da!", sagte er und zeigte wieder in die Luft.
„Aha, und was tut er?"
Britt lachte. „Er schenkt mir ein Feuerwehrauto."
„Wirklich. Das ist aber nett von ihm. Du kannst morgen früh damit spielen."
Behutsam schloss ich die Tür hinter mir und hörte Britt noch ein paar Minuten ganz vergnügt lachen. Schließlich schlief er ein.
Am nächsten Tag spielten Britt und ich im Untergeschoss unseres Hauses. Plötzlich rollte sein Ball unter den Schreibtisch meines Mannes. Britt blieb davor stehen und zeigte auf das Foto meines Vaters, das auf unserer Hochzeit aufgenommen worden war.
„Das ist der Mann, Mami", sagte Britt.
„Welcher Mann?"
„Der mir das Feuerwehrauto geschenkt hat", sagte er lächelnd.
Ich wurde beinahe ohnmächtig. „Das ist der Mann, der in deinem Zimmer war?"
Britt nickte.
Also können sogar tote Großeltern ihre Enkelkinder mit Geschenken verwöhnen!
„Das ist dein Großpapa", sagte ich und war den Tränen nahe.
„Mein Großpa?"
„Ja. Mamis Vater. Er ist jetzt ein Engel oben im Himmel."
Ich rang ein wenig mit mir, wie ich diese Geschichte Clay, meinem Mann, beibringen sollte. Er hatte mich immer unterstützt und ständig ermutigt, mich für mein erstes Buch auf die Reise zu all den Medien zu machen. Und trotzdem fragte ich mich, was er wohl von mir und meinen Fähigkeiten als Mutter hielte, wenn ich ihm davon erzählte, dass selbst unser Sohn nun schon die Geister Verstorbener sah, und das, während ich live dabei war.
Vielleicht bekäme er es mit der Angst zu tun, ich könnte unser Familienleben hinschmeißen und mich einer Sekte anschließen. Jedenfalls wiederholte sich Britts abendliche „Geisterstündchen" ...
Ein paar Wochen später hörte ich ihn im Babyfon sagen: „Hör auf! Hör auf! Lass das!" Dann folgten sein schallendes Lachen und ein begeistertes Quieken. Ich rannte in sein Zimmer. Dort sah ich ihn im Bett liegen und sich herumtollen, als ob ihn jemand kitzelte.
„Was ist denn los mit dir, Liebling?", fragte ich nicht ohne Sorge und setzt mich auf sein Bett.
„Es ist Großpa", antwortete er lächelnd.
„Dein Großpapa ist hier? Was tut er denn?"
„Er klopft mir auf den Popo", sagte Britt, rollte sich herum und zeigte auf seinen Hintern.
Mir fiel die Kinnlade herunter.
Mein Vater hatte sich immer einen Spaß daraus gemacht, kräftige Klapse auf den Po zu verteilen. Mit Vergnügen tat er das bei seinen Ehefrauen - von denen es mehrere gab - und natürlich bei seinen Kindern. Es war seine Antwort auf so ziemlich alles gewesen, es war seine Art, Zuneigung oder Ärger zu zeigen, was auch immer gerade anstand. Ob nun mit fünf oder mit fünfundzwanzig Jahren, stets konnte ich damit rechnen, dass mein Daddy sich von hinten nähern und mir mit dem größten Vergnügen auf den Po hauen würde. Dazu sagn er: Das ist gar nicht schade, es hüpft wie Marmelade [Pause] BABY! (Auf „Baby!" verwendete er besonders viel Kraft und Lautstärke.)
Auf meiner College-Abschlussfeier war mir das übrigens besonders peinlich gewesen.
„Wie haut dir denn Großpapa auf den Po?", fragte ich.
Britt schob mich vom Bett und stellt sich hinter mich.
„Mama, so!"
Britt klatschte mir mit dem unverwechselbaren Weigel-Stil auf den Hintern.
Während seine süßen kleinen Finger meinen Allerwertesten bearbeiteten, fragte ich mich, wie so etwas denn möglich war. Britt war doch noch so klein, hatte seinen Großvater zudem nie in Aktion in erlebt. Und selbst wenn er einmal zufällig mitbekommen haben sollte, wie Clay und ich über die „Popo-Klatsch-Gewohnheiten" seines Großvaters sprachen, war es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass er diese länger zurückliegende Information jetzt vor dem abendlichen Einschlafen plötzlich perfekt nachahmte?
Wie kommt es, dass der Junge dich sehen kann, und ich nicht, Vater?
Vielleicht hatte Britt uns ja belauscht, als mein Onkel Tony zu Besuch bei uns war. Oder er war einfach intuitiv begabt und spürte meine Traurigkeit darüber, dass mein Vater nicht mehr da war und mit seinem Enkel spielte.
Ich setzte mich an meinen Computer und schrieb einen Text zu dem Thema, den ich in meinem Blog postete. Dann ging ich ins Bett.
Am nächsten Morgen setzte eine wahre Flut von Leserkommentaren ein. Immer mehr Eltern berichteten darüber, dass ihre Kinder „mit toten Leuten" sprächen. Dreijährige, die sie gar nicht kennen konnten, benutzten die geheimen Spitznamen der Verstorbenen. Erstklässler fanden auf Anweisung einer bereits verstorbenen Tante deren verloren geglaubten Schmuck. All diese Geschichten hatten eines gemeinsam: Sie waren wirklich unglaublich.
Eine Frau schrieb: „Unsere zweieinhalbjährige Tochter muss intuitiv gespürt haben, dass ihre Großmutter soeben gestorben war, denn noch bevor wir es ihr sagten, schaute sie uns an und sagte: „Oma ist jetzt bei den Engeln. Sie hat mir gerade erzählt, wie schön es in ihrem neuen Zuhause ist."
Zwangsläufig kamen mir wieder mein Feuerwehrmann Danny und Schulschwarm James in den Sinn, beides Menschen mit Fähigkeiten, über die zu sprechen sie sich schämten. Und ebenso zwangsläufig fragte ich mich, wie viele Menschen wohl Gaben in sich trugen, die sie als Last empfanden, weil absolut niemand sie dazu ermutigte, diese Gabe zu trainieren, anzuwenden oder zumindest darauf stolz zu sein.
Wie anders sähe das Leben jener Menschen wohl aus, wenn sie ihre Verhaltensweisen ganz einfach „normal" betrachten und annehmen könnten.
Ich brachte meinen Sohn ins Bett und versäumte es fortan nicht, ihm zu versichern, dass ich alles, was er in seiner abendlichen Einschlafstunden sah und spürte, gut fand. „Denn viele Kinder können Engel sehen, mein Schatz", sagte ich, während ich ihm den Rücken kitzelte, was er besonders gerne mochte. „Sogar manche Erwachsene können das."
„Und du? Kannst du das auch?", fragte Britt, während er an seinen Fingern saugte.
Ich wünschte, ich könnte es!
„Nein, Liebling. Darum habe ich eine Bitte: Wenn dich Großpa das nächste Mal besucht, dann grüß ihn lieb von mir."
„Mmmm, hmmm", sagte Britt, während er langsam in den Schlaf driftete.
© 2014 Ullstein Taschenbuch Verlag
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Autoren-Porträt von Jenniffer Weigel
Weigel, JennifferJenniffer Weigel ist TV-Journalistin aus Chicago und wurde für ihre Arbeit u.a. mit dem Emmy ausgezeichnet. Sie schreibt für die Chicago Tribune u.a. Zeitungen und ist Kolumnistin der Blogging Community Chicago Now. Bei Hampton Road erschien 2007 ihr erstes Buch: ?Stay Tuned ? Conversations with Dad from the Other Side?.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jenniffer Weigel
- 2014, 248 Seiten, Maße: 11,8 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Görden
- Verlag: ALLEGRIA
- ISBN-10: 3548746055
- ISBN-13: 9783548746050
- Erscheinungsdatum: 10.03.2014
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