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Aus dem Englischen von Stefan Rohmig
Prolog
Caitlin Moore öffnete die Tür zu ihrem Wohnzimmer
und fand sich in der Hölle wieder.
Zumindest kam es ihr für die verbleibenden drei Minuten
und siebenundzwanzig Sekunden ihres Lebens so vor.
Die Uhr begann zu ticken, als sie die Tür mit ihrer Hüfte
aufstieß und mit einer geübten Ellenbogenbewegung nach
dem Lichtschalter zielte. Es war die übliche Freitagabendroutine.
Wenn sie vollgepackt mit Büchern und zu benotenden
Klausuren von der Highschool kam und keine Hand frei hatte,
traf sie den Schalter jedes Mal mit dem Ellenbogen.
Aber dieses Mal klickte der Schalter nicht, kein Licht strahlte
auf, und sie musste auch nicht erst blinzeln und ihren Blick
abwenden, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen.
Sie ließ sich nicht verunsichern und betätigte den Lichtschalter
ein zweites Mal.
Alles blieb schwarz.
»Verdammt nochmal«, brummelte sie in sich hinein und
drehte sich zur Seite, um die Arbeiten auf der Anrichte neben
der Tür abzulegen.
Das Quietschen des Polstersessels neben dem Fernseher ließ
sie innehalten.
»Bist du wach, Nate? Wie wär's, wenn du mir mal hilfst? Der
Strom ist ausgefallen.«
Nathaniel Moore war ebenfalls Lehrer an der Collinwood
High in Miami. Aber im Gegensatz zu Caitlin war sein Fach
Leichtathletik, und er musste sich freitagabends nicht den eintönigen
Versammlungen des Lehrkörpers unterziehen. Er kam
immer drei Stunden früher von der Schule weg, holte Cassie bei
ihrer Babysitterin ab und kam nach Hause. Wenn Cassie erst
mal in den Federn war und er einige Jack Daniel's intus hatte,
schlief Nate vor dem Großbildschirm ein, während der Discovery
Channel sein Bestes gab, sein Schnarchen zu übertönen.
Routine.
»Nate?«
Aber heute Nacht blieb kein Fitzelchen von ihrer Routine
übrig.
Es würde kein Abendessen geben. Kein gemütliches Kuscheln
auf dem Sofa, während sie einen Spätfilm ansahen. Keine
zärtlichen Liebkosungen auf dem Weg ins Bett, wo Nate beweisen
würde, dass er immer noch ein Kerl war, der Ausdauersportarten
beherrschte.
»Hallo Caitlin.«
Die Stimme war sanft, aber sie erschreckte Caitlin bis ins
Mark. Sie zuckte zusammen und stieß sich den Rücken am
Sideboard. Blätter fielen vom Stapel zu Boden. Das war nicht
die Stimme ihres Ehemanns.
Es war keine Stimme, die sie kannte.
Der Polstersessel quietschte erneut. In der Dunkelheit um sie
herum regte sich etwas. Caitlin erkannte, dass sich der Besitzer
der unbekannten Stimme in Bewegung gesetzt hatte.
Fast hätte sie sich zur Tür aufgemacht.
Dann fiel ihr Cassie ein.
Ihre achtjährige Tochter musste in ihrem Zimmer schlafen.
Wenn sie jetzt flüchtete, was würde dann mit Cassie passieren?
Was war mit Nate passiert?
Eine Taschenlampe wurde eingeschaltet, ihr Strahl direkt in
Caitlins Augen gerichtet. Sie keuchte auf und riss den Arm
vor ihr Gesicht.
Erneut eine plötzliche Bewegung, und dann klammerte sich
eine Hand um ihren Hals. Die Finger waren lang und schlank,
aber wo sie sich in ihr Fleisch krallten, fühlten sie sich an wie
Stahl. Caitlins Lunge sprang ihr fast aus der Brust.
Sie konnte keine Gegenwehr leisten. Sie bekam keine Luft,
ihr fehlten die Kraft und der Wille zu kämpfen. Sie wurde um
ihre eigene Achse gedreht und dann in die Mitte des Zimmers
gezerrt. Funken stieben hinter ihren Augenlidern auf. Wenn
sie keine Luft bekam, wäre sie innerhalb von Sekunden bewusstlos.
Dann waren die Finger von ihrem Hals verschwunden,
und sie würgte: Brechreiz hoch zehn.
»Hallo Caitlin«, sagte die Stimme noch einmal.
»Wer ... wer sind Sie?«, keuchte Caitlin. »Was wollen Sie?«
Das Licht schien ihr immer noch direkt in die Augen. Sie
konnte die Person hinter dem Strahl nicht ausmachen. Kannte
sie die Stimme vielleicht doch?
»Ich möchte Sie vor die Wahl stellen.«
Die Taschenlampe ging aus, und Dunkelheit senkte sich wie
eine Haube über Caitlins Kopf. Um sie herum spürte sie einen
Luftzug. Der Fremde bewegte sich wieder. Caitlin drehte
sich mit dem Lufthauch, versuchte herauszufinden, wo sich
der Fremde nun befand.
»Lieben Sie Ihre Familie, Caitlin?« Die Stimme war kaum
lauter als ein Flüstern.
»Mehr als alles auf der Welt«, stieß Caitlin hervor. »Bitte!
Tun Sie ihnen nichts an. Ich mache alles, was Sie sagen.«
»Alles?«, fragte die Stimme und klang dabei seltsam beunruhigt.
»Sie würden sich für sie erniedrigen? Sie würden sich
hinlegen und sich einem Fremden darbieten?«
»Alles«, schluchzte Caitlin. »Geld! Wollen Sie Geld? Ich kann
es Ihnen holen.«
»Ich will kein Geld«, sagte die Stimme, »genauso wenig wie
ich Sex von Ihnen will.«
»Was dann? Was wollen Sie von mir?«
»Das habe ich doch bereits gesagt. Ich will Sie vor die Wahl
stellen.«
Ein metallisches Geräusch über ihr. Eine Glühbirne, die
in die Fassung geschraubt wurde. Das Zimmer wurde in gedämpftes
Licht getaucht.
Jetzt konnte Caitlin die Person sehen. Sie wusste jetzt, dass
sich ihre Lebenserwartung in Sekunden bemaß.
Er war groß. Schlank, fast schon ausgezehrt. Sein Gesicht
war zu bleich, eine Wachsmaske, die Caitlin an eine Reflexion
in einem beschlagenen Spiegel denken ließ. Sein seidigfeines
Haar war so bleich wie seine Haut und hing unter der breiten
runden Krempe seines Huts hervor bis auf die Schultern. Sein
Mantel war schäbig: ein langer Regenmantel, der ihm bis zu
den Knöcheln reichte und dem bis auf den obersten alle Knöpfe
fehlten. Eine dünne silberne Kette zog sich von der einen
Mantelhälfte zur anderen, wo etwas seine Tasche ausbeulte.
An seinen Füßen trug er verdreckte Segelschuhe, die dort, wo
seine überlangen Zehennägel gegen das Obermaterial drückten,
schon ganz rissig geworden waren.
Das Aussehen des Fremden sprach Bände: von Nächten unter
Pappbehausungen, vom Trinken aus Flaschen, die in braunen
Papiertüten verborgen waren, vom Hadern mit vom Alkohol
heraufbeschworenen Phantomen.
Aber Caitlin wusste, dass sie es hier nicht mit einem
Obdachlosen von der Straße zu tun hatte, der sich Zutritt
zu ihrer Wohnung verschafft hatte. Das war der Typ Mensch,
von dem sich selbst die abgebrühtesten Straßentypen fern-
hielten.
Zwei Dinge verrieten es ihr.
Erstens die Pistole mit dem Schalldämpfer, die er locker in
der Hand hielt.
Und zweitens der Killerblick in seinen Augen.
»Ich werde Ihnen die Wahl geben«, bot der Mann erneut an.
»Wen werden Sie retten, Caitlin? Nate oder Cassandra?«
Caitlin folgte seinem Blick. Auf der gegenüberliegenden Seite
des Zimmers standen zwei Holzstühle, die aus der Küche
herbeigezerrt worden waren. Auf den Stühlen saßen die beiden
Personen, die sie am meisten liebte auf der ganzen Welt.
Caitlin krächzte. Sie wusste nicht, welchen der beiden Namen
sie zuerst rufen sollte. Nate war gefesselt und geknebelt.
Mit aufgerissenen Augen bäumte er sich gegen seine Fesseln
auf. Im Gegensatz zu ihm wirkte Cassandra regungslos, ihre
Gesichtszüge entspannt.
Ein Aufschrei bahnte sich seinen Weg durch ihre Kehle.
»Treffen Sie Ihre Wahl, Caitlin«, flüsterte der Mann.
Wie konnte sie? Wie konnte sie? Wie ...
»Cassandra habe ich betäubt«, sagte der Fremde. »Wenn Sie
sich für Nathaniel entscheiden, wird sie es nie erfahren. Soll
ich sie töten, Caitlin?«
Nates Adern standen an seinen Schläfen hervor wie blaue
Seile. Er schüttelte den Kopf. Caitlin suchte seinen Blick, er
sank in den Stuhl zurück.
»Bitte«, sagte Caitlin. »Tun Sie unserer Tochter nichts an.«
Der Fremde nickte. Dann schoss er Nate in die Stirn.
»Sie haben die richtige Wahl getroffen. Ihr Kind ist nun in
Sicherheit, Caitlin. Sie können sich wieder entspannen.«
Dann hielt der Fremde Caitlin die Pistole vors Gesicht.
1
Manchmal trifft man übereilte Entscheidungen, die
man sofort bereut. Ein anderes Mal geht es nur darum, die
Konsequenzen zu tragen und alles auf sich zukommen zu lassen.
Wie zum Beispiel, als ich ins Shuggie's ging und mich auf
einem Barhocker am verzogenen fleckigen Tresen niederließ.
Shuggie's Shack ist die Art von Ort, an den keiner mit einem
letzten Funken Selbstrespekt einen Fuß setzt, sofern man
ihn nicht an den Haaren hineinzerrt. Die Tische bestehen aus
Holzbrettern, die man auf Fässer genagelt hat, die Stühle haben
SiebzigerJahreRetroPlastikbezüge,
die schon neu altmodisch
waren. Die Atmosphäre ist geprägt von Bierfahnen,
Zigarettenrauch und dem Gestank ungewaschener Körper.
Tätowierungen scheinen hier der letzte Schrei zu sein. Muskeln
und lange Haare ebenso. Und wir reden hier nur von den
Frauen.
Man würgt sein fetttriefendes, von beiden Seiten angebratenes
Irgendwas herunter und ist ansonsten dem Personal dankbar,
wenn man mit intaktem Gesicht wieder aus dem Laden
herauskommt.
In der Zeit, die es mich kostete, mit dem Barkeeper Blickkontakt
aufzunehmen und ihn mit einem Nicken zu mir zu
bestellen, hatten mich sämtliche Männer, Frauen und Tiere
in dem Laden als Cop ausgemacht. Da lagen sie zwar falsch,
aber ich hatte nichts dagegen, dass sie sich ein paar Gedanken
machten.
»Bier«, sagte ich. Es schien nichts anderes zur Auswahl zu
stehen. Entweder man trank das, oder man riskierte sein Glück
mit der braunen Flüssigkeit, die sich in den verstaubten Flaschen
im Regal hinter der Registrierkasse als Hochprozentiges
ausgab.
Der Barmann bewegte sich widerwillig auf mich zu. Er
blickte sich zu seiner Klientel um, als ob er gegen irgendein ungeschriebenes
Gesetz verstieße, wenn er mich bediente. Nicht
dass er aussah wie ein Typ, der sich großartig Gedanken über
die Gefühle anderer machte. Er war ein bulliger Mann in einer
dieser ärmellosen Lederwesten, die den Bizeps ihrer Träger
zur Schau stellen sollen. In der ungepflegten Haut unter seinem
rechten Auge prangte die Tätowierung eines schwarzen
Sterns, eine Narbe teilte seine Unterlippe und endete irgendwo
in dem geflochtenen Bart an seinem Kinn.
»Ich möchte hier drin keinen Ärger haben, Mister«, sagte er,
als er ein Bier vor mir abstellte. »Ich schlage vor, Sie trinken aus
und machen sich dann wieder auf den Weg.«
Ich hielt seinem Blick stand und fragte: »Ist es das, was Sie
hier unter SüdstaatenGastfreundlichkeit
verstehen?«
»Nein«, höhnte er, »in dieser Gegend nennt man das einen
guten Rat.«
Nach all den Stunden, die ich seit Tampa hinterm Lenkrad
gesessen hatte, stand mir wohl auch noch eine lange Nacht
bevor. Ein Drink zur Entspannung hätte meine Laune verbessert.
Vielleicht hätte auch eine nette Plauderei geholfen. Es
sah nicht danach aus, als ob ich das eine oder das andere hier
finden würde.
»Danke für die Vorwarnung«, sagte ich.
Ich warf ein paar Dollar auf den Tresen, stand auf und ging
mit meinem Getränk in der Hand davon. Die Flüssigkeit im
Glas war nicht gerade kalt. Ganz im Gegensatz zum Blick des
Barmanns, der sich eisig in meinen Rücken bohrte.
Ich ging an einer Gruppe Männer an einem Tisch vorbei
und nickte ihnen zu. Wie nicht anders zu erwarten, registrierten
sie mich mit den toten Augen derer, die auf der Hut sind
vor dem Gesetz. Einer von ihnen ließ mich das Zucken seiner
überentwickelten Brustmuskeln sehen. Alle fingen an zu kichern.
In der hinteren Ecke der Bar saß ein Mann, der ebenso wenig
in diese Umgebung passte wie ich. Ein kleiner, irgendwie vogelartig
wirkender Mann, der durch seine Haare schwitzte, ohne
dass der Schweiß jemals seine trockene Stirn erreichte. Seine
rechte Hand war ständig in Bewegung, als ob er mit einem kleinen
Gegenstand in seiner Handfläche spielte. Ich glaubte Metall
aufblitzen zu sehen, aber dann verschwand die Hand in seiner
Manteltasche, und ich war mir nicht mehr sicher.
Ohne zu fragen, stellte ich mein Bier ab und setzte mich auf
den Stuhl neben ihm. Das Fass unter der Tischplatte machte
es schwer, sich entspannt hinzusetzen, deshalb lehnte ich mich
nach vorne und stützte meine Ellenbogen auf dem Holzbrett
ab. Ich wandte mich dem Mann zu und sah ihn mir genauer
an, aber er beobachtete weiterhin den Barbereich, als ob er
Angst davor hätte, wer als Nächstes durch die Tür spazieren
könnte.
»Ich weiß jetzt, was Sie meinten, als Sie sagten, ich würde
Sie schon erkennen, wenn ich hier reinkomme«, sagte ich. »Sie
kommen mir nicht wie ein Typ vor, der in BikerClubhäusern
rumhängt.«
»Aus diesem Grund haben wir uns auf diesen Treffpunkt
geeinigt«, sagte der Mann. »Hier kommt wenigstens niemand
vorbei, den ich kenne.«
»Das war keine gute Idee«, erklärte ich ihm. »Wenn Sie anonym
bleiben wollten, hätten Sie sich was aussuchen müssen,
wo Sie nicht auffallen. Wo wir nicht auffallen. Sehen Sie sich
doch mal um: Die beobachten uns schon alle.«
Vielleicht war der Rat des Barmanns doch nicht so schlecht
gewesen.
»Wir sollten gehen«, sagte ich ihm.
Die Männer am nächsten Tisch hatten ihre Aufmerksamkeit
auf das Spektakel gelenkt, das wir als Fremde in ihrer Mitte
abgaben. Sie schienen nicht besonders erfreut darüber - vielleicht
senkten wir den Testosteronspiegel des Ladens zu sehr.
Der Mann hörte mir nicht zu. Er ließ eine Hand unter den
Tisch gleiten und kramte unter einer zusammengefalteten Zeitung.
Ich sah die Ecke eines Umschlags aufblitzen.
»Alles, was Sie brauchen, ist hier drin.« Schnell griff er nach
seinem Getränk und nahm einen nervösen Schluck. »Den Rest
zahle ich, wenn ich den Beweis habe, dass Jorgenson keine Bedrohung
mehr für mich oder meine Familie darstellt.«
Ich stieß einen Seufzer aus angesichts seiner amateurhaften
Geheimniskrämerei und ließ meine Arme auf dem Tisch
liegen. Der würde mir Deckung bieten, wenn ich mit meiner
rechten Hand in den Mantel greifen und meine SIG Sauer
P228 herausholen müsste.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Job will«, sagte ich zu
ihm.
Der Mann zuckte zusammen.
»Ich bin nicht der, den Sie erwartet haben«, sagte ich.
Nun sah er mich endlich an. Ich wusste, was er dachte. Ist das
eine Falle? War ich der Cop, für den mich jeder in der Bar hielt?
»Sie können sich entspannen, Mr. Dean. Ich bin Joe Hunter.«
Ich legte meine Hand um den Griff meiner Pistole und
meinen Zeigefinger neben den Abzug. »Was ich damit meine,
ist: Ich bin kein Auftragskiller.«
»Jared Rington hat aber gesagt, dass Sie mir helfen würden«,
flüsterte Richard Dean entrüstet.
»Ich werde Ihnen helfen«, versicherte ich ihm. »Aber ich
werde keinen Mann töten, ohne dass ich Beweise habe.«
Dean nickte nach unten in Richtung des Umschlags. »Nehmen
Sie das. Sie werden sehen, was ich meine. Die Beweise sind
da drin. Alles, was Sie dafür brauchen.«
Am Nebentisch kam Bewegung in die Gruppe. Ein Mann
mit KnastTätowierungen
stand auf. Er nahm sein Bier und
hielt es locker in der Hand. Er warf mir einen Blick zu, der sagte,
dass wir die Gastfreundlichkeit nun überstrapaziert hätten.
Er schniefte und nickte dann den zwei Männern zu, die ihm
am nächsten saßen.
Dean bekam davon nichts mit. Er sagte: »Bitte, Mr. Hunter.
Sie müssen meine Tochter von diesem Monster befreien. Wenn
das bedeuten sollte, dass Sie ihn töten müssen ... dann ... Ich
bezahle Ihnen alles, was Sie verlangen.«
»Schieben Sie mir den Umschlag zu«, sagte ich. »Unter dem
Tisch. Sie hören von mir. Ich lasse Sie meine Entscheidung
wissen.«
Panik stand Dean ins Gesicht geschrieben. Sei es, weil er das
Geld im Umschlag ohne feste Zusage aus den Händen geben
sollte oder weil tatsächlich die Möglichkeit bestand, dass ich
tat, was er von mir verlangte - jetzt wurde er nervös. Er zauderte,
malte mit den Fingern an seinem beschlagenen Glas herum.
»Zwei Sekunden, dann ist der Deal geplatzt«, warnte ich ihn.
Daraufhin schob er hastig den Umschlag in meine ausgestreckte
linke Hand.
»Okay. Gehen Sie jetzt.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich schüttelte
nur kurz den Kopf. Plötzlich bemerkte auch er, dass sich die
Aryan Brotherhood uns näherte.
Hüstelnd stand er auf und ging um den Tätowierten und
seine zwei Spießgesellen herum. Sie verhöhnten ihn, aber sie
ließen den kleinen Mann ziehen.
Ich schob den Umschlag in meinen Hosenbund und stand auf.
»Jungs, ich gehe. Ihr könnt euch entspannen.«
Der Mann mit den KnastTätowierungen
stellte sich mir in
den Weg. Er zeigte mit einem schmierigen nikotingelben Finger
auf meine Brust.
»Sie sind hier nicht willkommen.«
»Haben Sie nicht gehört, was ich gerade gesagt habe?«
»Könnte ich nicht behaupten. Was ist das denn überhaupt
für ein beknackter Akzent?«
Solche Bemerkungen bekomme ich öfter zu hören. Das passiert,
wenn man Engländer ist. Erst recht, wenn man aus dem
Norden kommt.
»Hört zu, Jungs, ihr habt mich gerade in einer unangenehmen
Zwickmühle erwischt«, sagte ich zum Tätowierten. »Ihr
wollt mich hier nicht, und ich will auch nicht hier sein. Normalerweise
würde ich auch nicht so tief sinken, ein Drecksloch
wie dieses zu betreten. Aber trotzdem bin ich nun mal hier.«
Meine Worte hatten den gewünschten Effekt.
Ich erntete Gelächter.
Als ich einen Schritt vortrat, bemerkte ich, dass sie mir Platz
machten.
Das hätte es eigentlich gewesen sein müssen. Mit geschickt
eingesetzter Selbstironie hätte ich mir den Weg aus Shuggie's
Shack gebahnt und es hätte keine Verletzten gegeben. Das Problem
war, dass zwei Dinge dazwischenkamen.
Das Erste war die Frage des Tätowierten: »Was hat die kleine
Missgeburt Ihnen unter dem Tisch zugeschoben?«
Und das Zweite war die mürrische Stimmung, mit der ich
hierhergekommen war. Die nicht besser geworden war von
dem Blödsinn, den Richard Dean mir danach erzählt hatte.
»Das geht Sie einen Scheißdreck an«, sagte ich ihm.
Aus der Jukebox dröhnte Heavy Metal. Es tat in den Ohren
weh, aber an einem solchen Ort war das nicht anders zu erwarten.
Die Jukebox lief weiter. Hätte es einen Pianisten in der
Bar gegeben, er hätte in diesem Moment aufgehört zu spielen.
»Sie sind in meinem Laden«, stellte der Tätowierte fest. »Also
geht es mich schon etwas an.«
»Ach, dann sind Sie also Shuggie?« Ich ließ meinen Blick
durch die Bar schweifen. Schüttelte den Kopf über das, was
ich sah. »Wissen Sie, für so eine Müllkippe sollten Sie sich eigentlich
schämen.«
»Ich bin nicht Shuggie, Arschloch. Und das war auch nicht
das, was ich gemeint habe.«
»Ja, ich weiß schon, was Sie meinen.«
»Ich hab den Laden unter Kontrolle. Und von allen Geschäften
unter diesem Dach kriege ich was ab.« Er streckte mir zum
zweiten Mal seine schmierige Hand entgegen. »Her damit!«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Okay.«
Er hatte die SIG zwischen den Augen, noch bevor das Grinsen
sich vollständig über sein Gesicht ausgebreitet hatte.
Stühle wurden gerückt, und Geschrei brach los, als fast alle
im Raum aufsprangen und ebenfalls ihre Pistolen zogen. Ein
paar der empfindsameren Bargäste brachten sich in Sicherheit.
Es war, als ob das Verteidigungsministerium gerade die
höchste Alarmbereitschaft verkündet hätte und der Ausbruch
der Anarchie unmittelbar bevorstünde.
Es passte irgendwie zu meiner Laune.
»Und jetzt sage ich euch, was wir tun werden«, richtete ich
mich an alle Anwesenden in der Bar. »Jeder entspannt sich,
steckt seine Waffe weg und sieht zu, dass er mir aus dem Weg
geht. Ansonsten wird Biker Boy hier in naher Zukunft seine
eigene Totenwache abhalten.«
»Das ist doch nur ein einziger Schlappschwanz«, kam ein
Schrei aus der Menge. »Den machen wir locker fertig.«
»Ein Schlappschwanz, der eine Pistole an den Kopf eures
Bosses hält«, erinnerte ich den Zwischenrufer. Ich wendete
meine Aufmerksamkeit wieder dem Tätowierten zu und fragte
ihn: »Wie wollen Sie, dass es läuft? Sie scheinen mir ja eher
der Partytyp zu sein. Da kommen bestimmt einige Leute zur
Totenwache.«
»Nehmt eure Scheißknarren runter«, schrie der Tätowierte.
»Wenn's einem von euch Arschlöchern in den Fingern jucken
sollte, dann kriegt er es mit mir zu tun!«
Freundlich lächelnd, packte ich ihn an seiner Jeanskutte.
»Wir beide werden jetzt zusammen hier rausmarschieren«,
erklärte ich ihm. Er war kleiner als ich, aber deutlich breiter.
War gar nicht so leicht, einen brauchbaren Griff um seinen
Hals anzusetzen. Ich begnügte mich damit, seinen putzigen
kleinen Zopf in die linke Hand zu nehmen, und drückte die
SIG unter sein Ohr. So bewegten wir uns auf die Tür zu.
Ein Mann zu meiner Rechten dachte wohl immer noch, ich
wäre ein Cop. Cops warnen dich immer, bevor sie schießen.
Er sprang auf mich zu und versuchte, die Pistole vom Hals des
Tätowierten wegzureißen.
Aber ich bin nun mal kein Cop.
Mit einem Sidekick traf ich sein Knie. Man konnte hören,
wie die Sehnen rissen, und dann hatte sein Bein ein neues, in
beide Richtungen bewegliches Gelenk. Sein schmerzverzerrtes
Gesicht bot ein gutes Ziel für meinen Ellenbogen. Er ging zu
Boden, aber wenigstens spürte er in seinem bewusstlosen Zustand
keinen Schmerz mehr.
In dem Sekundenbruchteil, den es dauerte, den Idioten
flachzulegen, hatte ich mit der SIG nie das Ziel aus den Augen
verloren.
»Noch jemand von euch Wichsern, der sich mit mir anlegen
will?«, knurrte ich.
Sie blieben auf Distanz wie eine Meute Hyänen, die am Verhungern
waren, aber zu ängstlich, dem Löwen in ihrer Mitte
seine Beute streitig zu machen.
Das nahm ich zum Anlass, den Tätowierten rückwärts aus
der Tür zu zerren. Draußen an der Straße standen einige tiefer
gelegte und umgebaute HarleyDavidsons
und andere Motorräder
aufgereiht, deren Fabrikate ich nicht kannte. Ich schoss
auf ein paar davon und durchlöcherte ihre Tanks mit 9mmGeschossen.
Eins ging in die Luft wie ein Space Shuttle und zog
einen Feuerschweif aus brennendem Benzin hinter sich her,
der die meisten anderen Maschinen in Brand setzte. Schnell
zog ich den Tätowierten aus der Feuersbrunst, als die anderen
Typen aus dem Shuggie's herausströmten. So hin und her
gerissen wie sie waren zwischen ihrem Wunsch, den Tätowierten
zu befreien und ihre geliebten Motorräder zu retten, konnte
es nur einen Sieger geben. Ich verfrachtete den Tätowierten
in meinen Ford Explorer, ohne dass jemand versuchte, den
Helden zu spielen.
Ich raste vom Parkplatz, bog mit quietschenden Reifen auf
Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2010
Copyright © 2009 by Matt Hilton
Copyright © 2010 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2010
Umschlagabbildung: © plainpicture / Arcangel
Umschlaggestaltung: yellowfarm GmbH, S. Freischem
Satz: BuchWerkstatt
GmbH, Bad Aibling
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 9783453435179
www.heyne.de
- Autor: Matt Hilton
- 2010, 383 Seiten, Maße: 13,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Stefan Rohmig
- Übersetzer: Stefan Rohmig
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435176
- ISBN-13: 9783453435179
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