Das dunkle Vermächtnis
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Das dunkle Vermächtnis von John Connelly
LESEPROBE
Billy Purdues Messer schnitt tiefer in meine Wange und Blut rannmir am Gesicht hinab. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen mich, presste mitden Ellenbogen meine Arme an die Wand und rammte seine Beine gegen meine, sodass ich ihm nicht in den Unterleib treten konnte. Seine Finger drückten mirden Hals zu und ich dachte:
Billy Purdue. Ganz schön dumm von mir
Billy Purdue war arm, arm und gewalttätig, und hinzu kam nocheine Prise Verbitterung und Frustration. Und er fackelte nicht lange.Brutalität umwaberte ihn wie ein Nebelschleier, das trübte sein Urteilsvermögenund ließ niemanden kalt. Wenn er eine Kneipe betrat, etwas trank oder ein Queuenahm, um eine Partie Pool zu spielen, dann gab es früher oder später Stunk.Billy Purdue musste gar nicht auf Stunk aus sein. DerStunk kam von ganz allein.
Das war wieeine Seuche, und selbst wenn es Billy gelang, einem Konflikt auszuweichen,konnte man wetten, dass er den allgemeinen Testosteronspiegel ausreichendgeputscht hatte, damit jemand anderes Zoff machte. Selbst bei einemKardinalskonklave hätte er nur zur Tür hereinschauen müssen und hätte schoneine Schlägerei provoziert. Wie man es auch drehte und wendete: Billy war eineLandplage.
Bisherhatte er niemanden umgebracht und war es niemandem gelungen, ihn umzubringen.Doch je länger eine solche Situation andauert, desto wahrscheinlicher wird einschlimmes Ende. Manche Leute hatten ihn als menschliche Sollbruchstelle bezeichnet,aber er war mehr als das. Er war eine immer weiter ausufernde Katastrophe. Wiedas langsame Sterben eines Sterns glich sein Leben einem einzigen,unaufhaltsamen Sturz in den Mahlstrom.
Ich wusstenicht allzu viel über Billy Purdues Vorleben,jedenfalls damals nicht. Ich wusste, dass er immer Ärger mit der Polizei gehabthatte. Sein Vorstrafenregister las sich wie ein Katalog minderer Delikte, vonStören des Unterrichts und kleineren Diebstählen bis zu Trunkenheit am Steuer,Hehlerei, Körperverletzung, Landfriedensbruch, ungebührlichem Betragen, Nichtzahlungvon Alimenten die Liste nahm kein Ende. Er war ein Adoptivkind gewesen undhatte in seiner Kindheit und Jugend eine ganze Reihe von Pflegeeltern gehabt,die ihn jeweils nur so lange behielten, bis sie merkten, dass sie sich mitBilly mehr Ärger eingehandelt hatten, als das Geld von der Fürsorge wert war.So sehen manche Pflegeeltern das: Sie ziehen die Kinder auf wie Vieh oderGeflügel, bis sie einsehen, dass man einem aufmüpfigen Huhn immer noch den Kopfabhacken und es als Sonntagsbraten auftischen kann, dass bei einem straffälliggewordenen Kind die Möglichkeiten aber eingeschränkter sind. Viele Pflegeelternhatten Billy Purdue erwiesenermaßen vernachlässigtund in zumindest zwei Fällen wurde körperlicher Missbrauch vermutet.
Billy hattehoch im Norden von Maine bei einem alten Mann und seiner Frau eine Art Zuhausegefunden, einem Paar, das auf Zucht und Ordnung spezialisiert war. Der Mann hatteschon gut zwanzig Pflegekinder hinter sich, als Billy kam, und als er Billy einbisschen besser kennen lernte, dachte er sich wahrscheinlich, dieser hier seijetzt einer zu viel.
Trotzdembemühte er sich, Billy auf die rechte Bahn zu bringen, und eine Zeit lang warBilly glücklich - zumindest glücklicher als je zuvor. Dann ließ er sich einbisschen gehen. Er zog nach Boston und schloss sich Tony CellisBande an, trat dort den falschen Leuten auf die Füße und wurde zurück nach Maineverfrachtet, wo er Rita Ferris, die sieben Jahrejünger war, kennen lernte und heiratete. Sie hatten einen Sohn, aber in dieserFamilie war stets Billy das eigentliche Kind.
Er warjetzt zweiunddreißig, war gebaut wie ein Stier, hatte Armmuskeln dick wieVorderschinken und die Finger seiner breiten Pranken wirkten wurstig vorMuskeln. Er hatte Schweinsäuglein und schiefe Zähne,sein Atem stank nach Starkbier und Sauerteigbrot, unter den Fingernägeln hatteer Dreck und am Hals, wo er sich mit einer stumpfen Klinge rasiert hatte, eineneitrigen Ausschlag.
Ich erhieltdie Gelegenheit, Billy Purdue aus der Nähe zu betrachten,nachdem ich vergeblich versucht hatte, ihn in den Polizeigriff zu nehmen, under mich mit voller Wucht an die Wand seines silberfarbenen Airstream-Wohnwagensgeknallt hatte, einem ramponierten Zehnmetervehikel draußen in Scarborough Downs, in dem es nachSchmutzwäsche, gammligen Lebensmitteln und schalem Schweiß stank. Mit einer Handumklammerte er meinen Hals und riss mich hoch, so dass meine Zehen kaum nochden Boden berührten. In der anderen hielt er ein kurzes Messer und schnitt michdamit einen Fingerbreit unterm linken Auge.
DerPolizeigriff war wahrscheinlich keine gute Idee gewesen, und auch wenn ich michmit aller Kraft wehrte, blieb Billy Purdues Arm dochso starr und reglos wie die Dichterstatue auf dem LongfellowSquare. Während mir allmählich dämmerte, was für eine schlechte Idee es gewesenwar, den Griff zu probieren, hatte Billy mich nach vorn gerissen, mir mitseiner riesigen Rechten eine Ohrfeige verpasst und mich an die Wohnwagenwandgeknallt und seine massiven Unterarme hielten meine Arme fest. Von dem Schlagdröhnte mir der Kopf und das Ohr tat mir weh. Ich dachte, mein Trommelfell seigeplatzt, aber dann nahm der Druck auf meinen Hals zu und mir wurde klar, dassich mir vielleicht nicht mehr lange Sorgen um mein Trommelfell machen musste.
Das Messerzuckte in seiner Hand und ich spürte einen neuen, stechenden Schmerz. Das Blutfloss nun ungehindert, lief mir vom Kinn in den Kragen meines weißen Hemds.Billys Gesicht war vor Wut hochrot angelaufen, er atmete schwer durchzusammengebissene Zähne und beim Ausatmen nieselte es Speichel.
Er wareinzig und allein darauf bedacht, alles Leben aus mir zu quetschen, und ichfuhr mit der rechten Hand in meine Jacke und spürte den kühlen Griff der Smith& Wesson. Ich dachte schon, ich würde ohnmächtig,doch da gelang es mir, die Waffe zu ziehen und den Arm genug zu bewegen, umBilly die Mündung unters Kinn zu halten. Das rote Leuchten in seinen Augenflackerte kurz und erlosch dann allmählich. Der Druck auf meinen Hals ließnach, das Messer glitt aus der Wunde und ich sackte zu Boden. Mit schmerzendemHals sog ich flache, rasselnde Atemzüge in meine gierige Lunge. Die Pistole hieltich auf Billy gerichtet, aber er hatte sich abgewandt. Nun, da sein Zornverrauchte, schien er sich über die Waffe und über mich keine Gedanken mehr zumachen. Aus einem Päckchen Marlboro nahm er eine Zigarette und steckte sie sichan. Er hielt mir das Päckchen hin. Ich schüttelte den Kopf und da wütete derOhrenschmerz wieder los. Ich hielt den Kopf lieber still.
»Wieso hastdu mich auch angefasst?«, fragte Billy eingeschnappt.
Er sah michan und sein Blick war aufrichtig gekränkt. »Du hättest mir nicht an den Armen rumreißen sollen.«
Der Typhatte vielleicht Nerven. Ich atmete noch ein paarmal durch,tiefer mittlerweile, und als ich dann sprach, klang meine Stimme heiser undmeine Kehle fühlte sich an, als hätte ich Streusand geschluckt. Wäre Billynicht so ein Kindskopf gewesen, ich hätte ihm gern eine mit dem Pistolengriffverpasst. »Soweit ich mich erinnere, hast du gesagt, du holst eine Baseballkeuleund schlägst mich grün und blau«, sagte ich. »Ja, weil du unhöflich warst«,sagte er und das rote Leuchten schien wieder kurz aufzuflackern. Ich hatteimmer noch die Waffe auf ihn gerichtet, was ihn immer noch nicht zu kümmern schien.Ich fragte mich, ob er mehr über die Pistole wusste als ich. Vielleichtzersetzte der Gestank im Wohnwagen gerade die Munition.
Unhöflich.Ich wollte eben wieder den Kopf schütteln, aber da fiel mir mein Ohr ein undich fand es alles in allem klüger, den Kopf still zu halten. Mein Besuch beiBilly war eine Gefälligkeit für Rita, die nunmehr seine Exfrau war und mitihrem zweijährigen Sohn Donald in einer kleinen Wohnung in der Locust Street in Portland lebte. Rita hatte sich ein halbesJahr zuvor von ihm scheiden lassen und Billy hatte seither keinen PennyUnterhalt gezahlt. Ich kannte Ritas Familie aus meiner Jugendzeit in Scarborough. Ihr Vater war 83 in Bangorbei einem fehlgeschlagenen Banküberfall ums Leben gekommen und ihre Mutterkonnte die Familie nicht beisammenhalten. Ein Brudersaß im Knast, nach einem zweiten wurde wegen Drogendelikten gefahndet und Ritasältere Schwester lebte in New York und hatte jeden Kontakt zu den Geschwisternabgebrochen.
Rita warschlank, hübsch und blond, aber allmählich sah man ihr die stiefmütterliche Artan, in der das Leben mit ihr umsprang. Billy Purduehatte sie nie geschlagen oder misshandelt, aber er neigte zu Tobsuchtsanfällenund hatte während ihrer Ehe die beiden Wohnungen zerstört, in denen sie lebten.Die eine hatte er nach einer dreitägigen Sauftour durch South Portland in Brandgesteckt. Rita war eben noch rechtzeitig aufgewacht, um ihren damalseinjährigen Sohn zu retten, dann den bewusstlosen Billy aus der Wohnung zuschleifen und den Feueralarm auszulösen, um das restliche Gebäude zu evakuieren.Anderntags reichte sie die Scheidung ein.
© UllsteinBuchverlage
Übersetzung:Jochen Schwarzer
- Autor: John Connolly
- 2006, 472 Seiten, Maße: 11,6 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Jochen Schwarzer
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548263917
- ISBN-13: 9783548263915
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