Das erste Mal sah ich sie an einem Samstagnachmittag
Als Mängel-Exemplar
nur
Die faszinierende Geschichte einer dunklen erotischen Obsession - abgründig und mitreißend.
"Ein großes Buch! Die Autorin deckt die dunkle Seite auf, die jeder von uns in sich begraben hat, und verwandelt sie in ein Kunstwerk. Meisterhaft!" - Marie Claire
'Wie kann eine so junge Schriftstellerin so beeindruckend, glaubwürdig und lebenserfahren über Angst, Resignation und den verzweifelten Versuch, geliebt zu werden, schreiben.' - Ruhr Nachrichten
"Mit ihrem zweiten Roman hat Anne-Sophie Brasme bewiesen, dass sie eine wahre Autorin ist!" - Coté Femme
Das ersteMal sah ich sie an einem Samstag Nachmittag von Anne-Sophie Brasme
LESEPROBE
Marica hatte salzige Haut.
Marica hatte salzige Haut, und dafür habe ich sie geliebt. Eineperverse Begierde, die Laune eines Verdammten. Dabei ist bekannt, dass derKörper eines Mädchens nach Zucker, der eines Jungen nach Schweiß schmecken sollte;so war das auch für gewöhnlich. Doch dann stellte Marica alles auf den Kopf.Ihre Haut schmeckte würzig, wie nach Paprika, doch auf der Zungenspitze einwenig fade und süßlich, und verrückt, wie ich war, habe ich sie dafür geliebt. Anjenem Tag, jenem tragischen Tag, trug sie einen schwarzen, unförmigen Anorak,der ihre Figur nicht verriet. Wir waren in ein Café im Mouffetard-Viertelgegangen. Sie hatte Zitronensaft bestellt - ein sanftes Gift, eine beißende Säure,die ich eine Stunde später in ihrem Mundwinkel wiederfand, als ich sie zumersten Mal küsste. Etwas Absurdes ging von ihr aus. Wie diese Zigarette, diesie lässig rauchte, um sich interessant zu machen, und dabei leicht am Filterknabberte; und ich mochte das. Ich mochte dieses verliebte Schmachten, diesen einfältigenBlick. Kleine dumme Marica, sagte ich mir. Armes kleines Dummerchen mit demschlecht aufgetragenen Lippenstift - Sie sind nicht schön. Und trotzdem geschahetwas Unwiderrufliches, es überkam mich wie ein Fieber, ein widerliches Verlangen:sie mit meinen Händen zu berühren, sie ganz und gar zu besitzen. Ihre erstenKüsse waren bitter und unbeholfen. Ihre Zunge war trocken, und sie machte niewirklich den Mund auf, weil sie ihre Zähne nicht mochte, wie sie mir spätersagte, ihre großen gelben Zähne, die sie verunstalteten und die sie unbedingt versteckenwollte. Sie zu verführen war nicht schwierig, Marica ließ es arglos geschehen.Wir waren in ihr Zimmer gegangen, in der Rue des Feuillantines. Marica hatteeinen hübschen Körper, ziemlich sinnlich, kleine wohlgeformte Knie, glatterundliche Füße, jugendliche Brüste. Sie liebte langsam und träge, mitgeschlossenen Augen, das Gesicht an meine Schulter gedrückt, als wolle sie mirverbieten, sie anzusehen. Marica Marica. Nixe mit den grünen Augen,fantastische Nymphe. Spinne, deren Küsse einen Kokon um meine Haut spannen. ImNu war ich eingefangen, eingesponnen - einem schrecklichen Tod ausgeliefert. Maricawar hässlich, und auch dafür habe ich sie geliebt. Körperliche Makel, monströseMenschen haben mich schon immer fasziniert. Ich schwärmte für Märchengestalten,studierte die Mythen; ich traf Zwerge, Bucklige, Versehrte. Ich hatte es zueiner Art Zeitvertreib gemacht. Andere sammeln Bücher oder Bilder, ihreLeidenschaft gilt leblosen Objekten. Ich hingegen sammelte Menschen. MeinMuseum war eine Monstergalerie. Ich trug Gesichter und Körper zusammen. Ichklapperte Spitäler und Anstalten ab. Ich suchte rare Exemplare, Wunder derNatur - die äußerste Form menschlicher Entstellung. So habe ich sie getroffen. ImFrühjahr jenes Jahres hatte ich, wie ich es seit fünf Jahren tat, eine Annoncein die Zeitungen gesetzt. Ich suchte Modelle zum Fotografieren. Menschen mitkörperlichen Besonderheiten. Eines Abends rief Marica an. Wir plauderten einwenig. Sie hatte noch nie Modell gestanden, es war das erste Mal. Sie wusstenicht so genau, wie sie sich dabei anstellen sollte. Sicherlich kam daher auchdiese Unbeholfenheit am anderen Ende der Leitung. Sie hatte eine tiefe Stimmewie ein Junge im Stimmbruch. Ich stellte sie mir sehr jung vor, sehr töricht.Achtzehn, neunzehn. Ich bat sie, sich zu beschreiben, und nach kurzem Schweigensagte sie plötzlich: »Ich bin hässlich. Einfach hässlich.« Ich war überrascht,ungläubig, um ehrlich zu sein. Vielleicht übertrieb sie, vielleicht war es nurein Jungmädchenkomplex. Ich wollte meine Zeit nicht verschwenden. »Wenn wir unstreffen, können Sie es selbst beurteilen.« So verabredeten wir uns für einenDonnerstagabend im Jardin du Luxembourg. Sie hatte gesagt, dass sie im Schattender Kastanienbäume beim Spielplatz auf mich warten würde. Ich war früh dran, hattemit trockener Kehle und feuchten Händen gewartet. Wie sagte sie, hieß sie noch?Marica. Ma-ri-ca. Die Tönekollidieren im Mund, als wollten sich die drei Silben verheddern. MaricaMarica. Während ich den Weg entlangging, murmelte ich diesen Namen. Ich stelltemir ein pubertierendes Mädchen vor, plump, pickelig oder pummelig. AmSpielplatz waren nur Kinder, Pärchen in ihren Dreißigern und ein paar Rentner -nicht die Spur einer depressiven oder übergewichtigen Jugendlichen. Da wartetenur ein sehr großes Mädchen. Reglos vor einem Gitter, ein zerknülltesTaschentuch in der Hand. Ich wusste nicht, ob sie es war; ich schlenderte nochein wenig umher, drehte eine Runde und ging zurück. Wie auf ein Signal hinstand sie von der Bank auf - sie war es also. Und während ich auf sie zugingund versuchte, ihr Gesicht im Sonnenlicht zu erkennen, senkte sie wie aus Niedertrachtden Kopf. So, dass ich in den ersten Minuten, da ich sie nicht sehen und nurihre mädchenhafte Figur ausmachen konnte, an einen Betrug glaubte. Ich fragte,ob sie Marica Barbier sei. Sie nickte nur, das war alles. Wir wussten nicht,wie wir es anfangen sollten, also gingen wir ein Stück. Wir schlenderten aufsGeratewohl an den Bassins entlang. Ich stellte ihr ein paar Fragen, sieerzählte von sich. Sie war einundzwanzig und arbeitete in einer Buchhandlung inder Rue des Écoles. Zerstreut hörte ich ihr zu, ihre unbeholfene Ausdrucksweisestörte mich - Marica sprach nämlich schlecht und sehr schnell, sie verschluckteWörter, sie beendete ihre Sätze nicht. Im Sonnenlicht, das schräg einfiel wie einschwarzer Schleier, sah ich ihr Gesicht nicht richtig. Außerdem traute ich michkaum, sie anzusehen, weil ich fürchtete, sie könne es missverstehen. Aus demAugenwinkel beobachtete ich ihre hastigen Schritte, ihre langen Beine ragtenaus dem Saum eines roten Kleids. Ich schlug vor, in ein Café in Montparnasse zugehen. Sie war einverstanden. Wir setzten uns in eine schummrige Ecke,geschützt vor dem grellen Licht. Kaum saß ich ihr gegenüber und hob den Blick -da war sie plötzlich präsent und bot mir ihr Gesicht dar, wie man eine Wunde,ein Tabu entblößt. In den ersten zehn Minuten unseres Zusammenseins war ichneben ihr hergegangen wie neben jedem anderen Mädchen ihres Alters, und binneneiner Sekunde sollte ich eine andere entdecken, die mir dort gegenübersaß. Automatischschlug ich die Augen nieder, als hätte diese Konfrontation etwas Schamloses. DennMarica war nicht hübsch. Der Kiefer war zu eng für ihr Gebiss. Die Lippen warenschmal, die Zähne sehr groß, fast unförmig. Dadurch standen die Schneidezähnevor, der Mund schloss sich nicht ganz. Das verlieh ihr eine Art ständigesschiefes Lächeln, ein schwachsinniges Lächeln, das aussah wie ein Loch. Allesandere hingegen war normal; die Nase war gerade, die Brauen schwarz und geschwungen.Doch durch den schiefen Mund wirkte alles wie verzerrt, selbst der Blick. Sofolgte Maricas Gesicht einer absurden Logik, als hätten sich die einzelnenBestandteile irrtümlich ineinander geschoben. (...)
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Gaby Wurster
- Autor: Anne-Sophie Brasme
- 2006, 1, 191 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442311004
- ISBN-13: 9783442311002
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